Pilze

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Totholzstamm mit holzabbauenden Pilzen (Saprobionten), darunter vermutlich Chondrostereum purpureum und Flammulina velutipes.
Text Verein biodivers
Interview PD Dr. Beatrice Senn-Irlet
Review Dr. Andrin Gross, Peter Karasch, Helen Küchler und Dr. Nicolas Küffer
Publikation Juli 2017



Zusammenfassung

Pilze sind ausserordentlich vielfältig und zahlreich. Bei uns sind allein über 5 000 Grosspilze mit einem Fruchtkörper grösser als 2 mm bekannt. Grosspilze kommen in allen Lebensräumen vor, am häufigsten sind sie in Wäldern, extensiv bewirtschaftetem Grünland und in Siedlungen. Der Pilzschutz erfolgt primär über den Schutz ihrer Lebensräume. Obwohl Pilze sehr kleine Sporen bilden und die Fruchtkörper meist schnell wachsen, haben sie geringe Ausbreitungsdistanzen und das verborgene Myzel wächst oft nur langsam. Eine jahrzehntelange Konstanz in der Nutzung ihrer Lebensräume ist daher für viele Pilze zentral.

Wichtige Massnahmen in allen Lebensräumen sind der Erhalt von Biotopbäumen und alten Baumbeständen, sowie eine hohe einheimische Pflanzenvielfalt. Im Wald sind die Ausscheidung von Reservaten und die Erhöhung des Totholzanteils zentral. in der Landwirtschaft soll die Kontinuität der Nutzung gewährleistet bleiben und im Siedlungsgebiet ist die Erhaltung alter Bäume wichtig. Die Rote Liste der Grosspilze ist mit 900 Arten ausserordentlich lang. Es gibt deshalb drei Förderprioritäten. Daten zu Vorkommen und Verbreitung und Merkblätter helfen bei der Umsetzung.

In diesem Artikel werden Massnahmen zur Förderung von streu- und holzabbauenden Pilzen und Mykorrhizapilzen vorgestellt. Flechten werden in einem separaten Artikel behandelt.

Systematik

Pilze bilden neben den Pflanzen und Tieren ein eigenes Reich, Funga genannt. Unsere heimischen Grosspilze gehören entweder zu den Ständerpilzen (Basidiomyzeten) oder Schlauchpilzen (Ascomyzeten), die sich in der Sporenbildung unterscheiden. Ständerpilze bilden ihre Sporen auf einer keulenartigen Struktur (Basidie), Schlauchpilze in schlauch- oder sackförmigen Sporenhüllen (Asci). Mehr Informationen zur Systematik der Pilze steht auf den Webseiten Pilzfreundetreff und Arbeitskreis Pilzkunde Ruhr.

Praxisrelevante Ökologie

Der grösste Teil der Pilze, das Myzel, ist im Boden oder Holz verborgen. Nur zur Vermehrung bilden Pilze oberirdisch sichtbare Fruchtkörper, in denen ihre Sporen reifen. Die Sporen werden mit Hilfe von Wind und Wasser verbreitet, oder durch Insekten, Schnecken und Säugetiere, die sich von den Pilzen ernähren. Für die Keimung der Sporen sind das Mikroklima (Luftfeuchtigkeit, Lichteinfall) und die Bodenzusammensetzung entscheidend. Pilze betreiben keine Photosynthese und sind auf externe Kohlenstoffquellen angewiesen. Sie ernähren sich heterotroph, indem sie tote Organismen (Pflanzen oder Tiere) abbauen, lebende Organismen parasitieren oder mit ihnen in Symbiose leben.

Lebensräume und Substrate

Der Wald ist der wichtigste Lebensraum der Grosspilze, hier kommen fast dreiviertel aller Arten vor. Natürliche Laubmischwaldgesellschaften sind die artenreichsten Waldbiotope. Im Wald sind seltene Pilze angewiesen auf alte Bäume und ausreichend Totholz (auch Biotopholz genannt). Im Landwirtschaftsgebiet kommen 16% der Grosspilzarten vor. Viele seltene Pilzarten wachsen auf extensiv bewirtschafteten, mageren Wiesen und Weiden. In Siedlungen kommen seltene Pilze insbesondere in alten Baumbeständen und auf mageren Böden vor, z. B. in Parks und auf Friedhöfen. Nur wenige Pilzarten wachsen in Mooren und der alpinen Stufe.

Bei den Grosspilzen unterscheidet man drei grosse Gruppen bezüglich ihrer Nahrungsquellen: streu- und holzabbauende Pilze, die sich von totem Pflanzenmaterial ernähren, symbiontische Pilze, die mit Pflanzen in Symbiose leben, und parasitische Pilze, die sich von lebenden Wirtsorganismen ernähren.

Saprophyt Mykorrhizapilz Parasit.png
Von links nach rechts: Der saprophytische Halsband-Schwindling (Marasmius rotula) zersetzt Nadelstreu. Der Satansröhrling (Boletus satanas) ist ein Mykorrhizapilz z. B. von Buchen (Fagus). Gymnosporangium cornutum gehört zu den Rostpilzen und parasitiert hier Blätter der Vogelbeere (Sorbus aucuparia)

Streu- und holzabbauende Pilze (Saprobionten oder Saprophyten)

Die streu- und holzabbauenden Pilze sind die grösste Gruppe der Grosspilze, sie beinhaltet etwa die Hälfte aller Pilzarten in der Schweiz. Sie ernähren sich von Totholz, Humus und Streu. Saprobionten sind bedeutend für das Ökosystem Wald, da mit dem Abbau des organischen Pflanzenmaterials die darin enthaltenen Nährstoffe freigesetzt werden.

Bei den Saprobionten gibt es Unterschiede in ihrer Spezifität gegenüber dem Totholzsubstrat. Einige Arten sind Generalisten, andere kommen nur auf Laub- oder Nadelholz vor oder sind spezifisch für bestimmte Pflanzenarten. Die Saprobionten zeigen auch Spezifitäten je nach Holzart, Totholzmenge, Holzabbaugrad und -grösse. Frisches Totholz nach Stürmen oder Holzschlag fördert oft nur Generalisten, die über ihre Sporen rasch grosse Mengen an Totholz besiedeln. Viele selten gewordene Arten sind auf grobes liegendes oder stehendes Totholz angewiesen, das mindestens Armdicke und -länge hat.

Einige seltene Saprobionten siedeln sich schon am lebenden Altbaum an, dringen über kleine Rindenverletzungen ins Holz und verbleiben dort für viele Jahre. Sie leben dann mehr oder weniger unauffällig im Baum, bis dieser alters- oder umweltbedingt geschwächt ist. Für den Holzabbau brauchen gefährdete Arten oft Jahrzehnte, da sie an natürliche Waldgemeinschaften mit einem Lebensalter der Bäume von 200-800 Jahren angepasst sind.

Symbiontische Pilze (Mykorrhizapilze)

In der Schweiz gibt es rund 2 000 Arten von Mykorrhizapilzen, zu denen viele Speisepilze gehören, wie z. B. Trüffel, Steinpilze und Eierschwämme. Die Pilzhyphen bilden einen Filz um die Enden der Pflanzenwurzeln und fördern die Wasserversorgung und mineralische Nährstoffaufnahme der Pflanzen, insbesondere von Stickstoff. Zudem filtern die Pilze gewisse Schadstoffe aus dem Boden. Im Gegenzug erhalten die Mykorrhizapilze Glucose von ihren Partnerpflanzen.

Zwischen Mykorrhizapilz und Pflanze besteht ein enges Abhängigkeitsverhältnis, da gewisse Pilzarten nur mit bestimmten Pflanzenarten zusammen vorkommen. Die Diversität des Gehölzbestandes ist daher insbesondere für seltene Mykorrhizapilze wichtig. Einen grossen Einfluss auf die Symbiose hat auch der Stickstoffgehalt des Bodens. Erhöhte Stickstoffkonzentrationen können den Austausch zwischen Pflanze und Pilz stören, was zu einem Rückgang von Pilzvielfalt, Mycelwachstum und Fruchtkörperbildung führt.

Parasitische Pilze

Parasitische Pilze sind in bestimmten Phasen ihres Wachstums auf lebende Wirte (Pflanzen, Tiere oder andere Pilze) als Nahrungsquelle angewiesen. Die meisten Pflanzenparasiten sind wirtspezifisch, das heisst sie können nur auf wenigen oder einer Wirtspflanze überleben. Wenige Arten, wie z. B. Hallimasche (Armillaria), sind weniger spezialisiert und können nahezu alle geschwächten Laub- und Nadelholzarten befallen. Die verschiedenen Parasitenarten weisen eine unterschiedliche „Potenz“ auf: einige verursachen nur kleine Nekrosen auf den Blättern, andere schwere Schäden bis hin zum Absterben der gesamten Pflanze.

Über die parasitischen Pilze ist zu wenig bekannt und die meisten sind in der Roten Liste nicht aufgeführt. Es ist deshalb noch nicht möglich, konkrete Schutz- und Fördermassnahmen festzulegen.

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Der seltene Lärchenporling (Laricifomes officinalis) wächst und verbreitet sich sehr langsam.

Reproduktion und Ausbreitung

Die Reproduktionsraten und Ausbreitungskapazitäten unterscheidet sich stark zwischen den Pilzarten. So produzieren bestimmte Pilzarten grosse Mengen an Sporen, bspw. der Flache Lackporling (Ganoderma applanatum), einige Feuerschwämme wiederum produzieren deutlich weniger Sporen. Die Sporenproduktion hat einen Einfluss auf die Ausbreitungswahrscheinlichkeit, die in geschlossenen Wäldern bereits nach einigen Metern stark abnehmen kann. Zudem ist die Ausbreitung abhängig von der Spezialisierung der Pilze. Pilze, welche nur auf eine oder wenige Holzarten spezialisiert sind, finden seltener ein geeignetes neues Substrat als Generalisten. Seltene Arten wachsen zum Teil nur sehr langsam. Beim Lärchenporling (Laricifomes officinalis ) kann der Fruchtkörper mehrere Jahrzehnte alt werden, bei anderen Arten wächst das Myzel über einen langen Zeitraum. Die Spezialisierung auf bestimmte Holzarten, langsame Wachstumsraten und begrenzte Ausbreitungsdistanzen der Sporen erschweren das Entstehen neuer Pilzpopulationen.

Erhalt und Förderung

Allgemeine Massnahmen

Zur Erhaltung der Grosspilze ist der Schutz bestehender Populationen über den Schutz ihrer Lebensräume zentral. Es lohnt sich, auch für kleine Populationen Schutzmassnahmen zu ergreifen, da sie gute Überlebenschancen aufweisen und zur Gründung von neuen Populationen beitragen können.

Folgende Massnahmen unterstützen den Schutz und die Verbreitung von Grosspilzen in allen Lebensräumen:

  • Sicherung von extensiven Bewirtschaftungsformen in Wald und Landwirtschaft, insbesondere an Orten mit vielen und seltenen Pilzarten
  • Kontinuität der Bewirtschaftungsart über Jahrzehnte
  • Förderung und Erhalt einer natürlichen Vielfalt an einheimischen Pflanzen
  • Erhalt und Wiederherstellung natürlicher Wasserregimes und Grundwasserspiegel
  • Erhalt von mineralischen Böden und offener Vegetation z. B. in Magerrasen, Trockenwiesen und –weiden, an Waldrändern, in Lichtungen und entlang von Flussläufen
  • Eindämmung von Neophyten (z. B. Drüsiges Springkraut Impatiens glandulifera) und stark dominierender Pflanzen auf natürlichen Offenflächen, wie z. B. Brennnesseln (Urtica) oder Hochstauden

Links

Wald

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Der Wald ist der wichtigste Lebensraum für Grosspilze. Zentral sind alte Baumbestände und Totholzstämme.

Hintergrundinformationen zum Lebensraum Wald

Einrichtung von Reservaten

Die Einrichtung von Waldreservaten ist ein wirksames Mittel für den Erhalt seltener Arten. Wälder mit langer Kontinuität, das heisst mit alten Baumbeständen, ungestörten Waldböden und geringer oder fehlender Nutzung, weisen oft eine hoch spezialisierte Pilzartenvielfalt auf. Für diese Wälder gilt ein hohes Schutzgebot, um die Entfaltung der natürlichen Entwicklungsprozesse zu wahren.

Für den Schutz von Vorkommen gefährdeter Arten können Pilzreservaten eingerichtet werden. Diese können Stilllegeflächen im Sinne des Prozessschutzes (absoluter Schutz der natürlichen Entwicklungsprozesse) und Gebiete mit extensiver Pflege beinhalten. Die Pflege der Pilzreservate soll sich an den Ansprüchen der vorkommenden Pilze ausrichten. Ein Wegegebot, mindestens im Herbst, sowie ein Pflückverbot der Fruchtkörper unterstützen die Reproduktion von gefährdeten und seltenen Pilzen, indem Trittschäten vermieden werden und die Fruchtköper erhalten bleiben.

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Schutz von alten Biotopbäumen und Altholzflächen

Alte Bäume, die bereits von seltenen Pilzen bewachsen sind, sollen einschliesslich ihres Wurzelraumes erhalten werden. In der Umgebung von Rastplätzen und entlang von Waldwegen ist auf die Sicherheit Rücksicht zu nehmen. Besonders wichtig sind Biotopbäume in Jahrhunderte alten Holzbeständen und Wäldern. Für die Pilzförderung im Wirtschaftswald liegt die empfohlene Anzahl zwischen 5 und 10 Biotopbäumen je Hektare. Die Dichte des Biotopbaumbestandes ist abhängig von der Distanz zwischen den Pilzpopulationen, den Baumarten und dem Alter der Bäume. Geeignete Biotopbäume sind standorttypisch, einheimisch und sollen mindestens 80-120 Jahre alt sein. Für den Schutz von bodenbewohnenden Pilzen sollen Altholzflächen mit Grössen von 1-20 ha geschützt werden.

Links

Allgemeine Informationen

Das Handbuch beinhaltet Pflegeempfehlungen für viele baumbewohnende Arten, zur Förderung von Pilzen werden aber leider keine konkreten Massnahmen genannt.

Erhöhung des Bestandes an Totholz

Beim Totholzbestand ist zu beachten, dass mittlere Zersetzungsstadien und Weichhölzer die höchste Pilzvielfalt aufweisen. Zudem kommen viele seltene und gefährdete Arten ausschließlich auf grobem Totholz vor, dass einen Durchmesser von mindestens 12 cm hat. Tote Hölzer in Baumkronen sollen nach Möglichkeit belassen, tote Bäume stehen bzw. umgefallene Bäume unzerteilt liegen gelassen werden. Schwellenwerte für Totholzmengen sind noch nicht untersucht. Für Wirtschaftswälder ist die von SVS/BirdLife Schweiz angegebene Menge von über 60 m³/ha nach heutiger Kenntnis ausreichend. Für Naturwaldreservate empfiehlt Beatrice Senn-Irlet Totholzmengen bis zu 150 m³/ha.

Links

Allgemeine Informationen

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Der Dornige Stachelbart (Creolophus cirrhatus), der Orangegelbe Flockenschüppling (Flammulaster limulatus) und der Lilafarbene Knorpelporling (Skeletocutis lilacina) kommen bevorzugt auf dicken Totholzstämmen vor und sind daher im Wirtschaftswald oft selten bis fehlend.

Lichteinfall und Artenreichtum in Baum- und Strauchbeständen erhöhen

Die Vielfalt an Mykorrhizapilzen und Saprobionten hängt stark von der Vielfalt an einheimischen Baum- und Straucharten ab. Die Pilze können ausserdem durch das Durchforsten dichter Baumbestände gefördert werden. Die Durchforstungen sollen so bodenschonend und kleinräumig wie möglich durchgeführt werden, damit Reliktmycelien nicht geschädigt werden. Auch sollen Biotopbäume und Totholz belassen werden.

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Entlang von Fliessgewässern: Weichhölzer fördern und erhalten

Weichhölzer, wie Weide (Salix), Erle (Alnus), Mehlbeere (Sorbus) und Vogel­beere (Sorbus aucuparia), werden bevorzugt von Waldpilzen besiedelt. Zur Förderung der Pilze sollen Weichhölzer in Auengebieten gezielt gefördert und geschützt werden.
Hintergrundinformationen

Landwirtschaftsgebiet

Pilze im Landwirtschaftsgebiet kommen auf extensiv gepflegten mageren Wiesen bis hin zu natürlichen Fettwiesen und Weiden mit geringer Viehdichte vor. Seltene Arten wachsen insbesondere auf Trockenwiesen und -weiden und auf sauren Böden in Mähwiesen. Nach heutigen Erkenntnissen besteht für die Bodenpilze kein Unterschied, ob eine Fläche beweidet oder gemäht wird. Die Art der Nutzung soll nach Möglichkeit über Jahrzehnte beibehalten werden. Während der Fruchtkörperbildung im Herbst sollen Wiesenpilze nicht beeinträchtigt, und Beweidung bzw. Mahdregime entsprechend angepasst werden.

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Siedlungsgebiet

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Im Siedlungsgebiet sind, wie im Wald, alte Bäume wichtige Lebensräume für Pilze.

Kleinflächen im Siedlungsgebiet bieten einer Vielzahl von Grosspilzen einen Lebensraum, wenn sie extensiv gepflegt werden. Alte Bäume und Sträucher sollen erhalten und nur einheimische Pflanzen verwendet werden. Generell soll im Herbst nicht gemäht werden, wenn die Pilze Fruchtkörper bilden. Je nährstoffärmer die Pilzbiotope gehalten werden, umso relevanter sind sie für seltene Arten. Daher soll auf Düngung, Grasmulch und Häcksel verzichtet werden. Ist ein Verzicht nicht möglich, soll ausschliesslich einheimisches Schnittgut von einheimischen Pflanzen verwendet werden.

  • Quelle für alle Massnahmen: Senn-Irlet, B. (2014). Pilze im Siedlungsgebiet. Schweizerische Zeitschrift für Pilzkunde SZP 3, S. 14–18.

Baumhecken

Waldpilze können in Baumhecken wachsen, wenn waldähnliche Bedingungen vorherschen. Das bedeutet, dass die Hecken aus einheimischen Baum- und Straucharten bestehen und einen breiten Krautsaum haben.

Pflegeempfehlung:

  • Alte Stämme erhalten, bzw. einzelne Bäume ausscheiden, die ein hohes Alter erreichen dürfen
  • Um die Bäume einen Saum belassen, der mindestens der Grösse des Wurzelraumes entspricht, d. h. dem Durchmesser der Baumkrone oder der Baumhöhe * 2,5
  • Auf Dünger und Biozide verzichten

Parkanlagen und Gärten

In Parks und Stadtgärten sind häufig noch alte Bäume mit grossem Stammdurchmesser zu finden, wie sie im Wald oft nicht mehr vorkommen. Wachsen die Bäume auf magerem, ungedüngtem Boden, können sie mit seltenen Mykorrhizapilzen in Symbiose leben. Je nähstoffärmer die Böden sind, umso höher ist die Artenvielfalt der Pilze. Im Tropfbereich von Bäumen ist die Besiedelung am vielfältigsten.

Pflegeempfehlung:

  • Geeignete Baumarten für Mykorrhiza-Symbiosen pflanzen: Birke (Betula), Buche (Fagus), Eiche (Quercus), Fichte (Picea), Föhre (Pinus), Hasel (Corylus), Hagebuche (Carpinus betulus) und Linde (Tilia); Nicht geeignete Baumarten sind: Ahorn (Acer), Platane (Platanus), Robinie (Robinia pseudoacacia) und Rosskastanie (Aesculus hippocastanum)
  • Altbäume so lange wie möglich erhalten, ab 60 Jahren können diese für seltene Pilze interessant sein
  • Grünflächen extensiv mähen und das Mahdgut abführen
  • Rasenflächen und Umgebung der Bäume nicht düngen und keine Biozide einsetzen

Alleen

Einzelbäume in Alleen weisen oft keine oder nur kleine freie Bodenfläche auf, daher werden sie von bodenbewohnende Pilze nur selten besiedelt. Der Eintrag von Autoabgasen, Reifenabrieb und Streusalz führt dazu, dass auch die Stämme der Bäume oft nicht pilzreich sind. Alleen mit Altbaumbeständen können Lebensraum für seltene Pilze sein, wenn:

  • Buchen (Fagus), Eichen (Quercus) oder Linden (Tilia) gepflanzt wurden
  • Ein ungedüngter Saum von ca. 2-5 Meter mit regelmässiger Mahd und Abfuhr des Mähguts besteht und der Nährstoffeintrag durch Hundekot vermieden wird
  • Der Streusalz-Eintrag im Winter gering ist
  • Offene Bodenstellen um die Bäume bestehen und diese nicht bepflanzt werden

Bemooste Mauern

Auf schattigen Trockenmauern mit Kalkmörtel oder Beton finden sich oft ausgedehnte Moospolster, welche ein Habitat für moosbewohnende Pilze sind. Zur Bildung einer zusammenhängenden Moosschicht und einer Besiedlung durch Pilze braucht es viele Jahre. Daher sollen die Mauern nach Möglichkeit über lange Zeiträume erhalten und nicht gepflegt werden. Ist eine Pflege oder Reparatur der Mauer notwendig, soll:

  • Die Entfernung der Moospolster höchstens abschnittsweise erfolgen
  • Die Ausbesserung von Fugen mit Kalkmörtel und nicht mit synthetischem Mörtel durchgeführt werden

Industrieareale und Ruderalstandorte

Industrieareale und Ruderalstandorte mit sandigen Stellen, kiesigen Flächen (auch Parkplätze) und mageren Rasenflächen sind geeignete Standorte für Pilze. Auch bei kleiner Grösse sind diese Flächen wertvoll und sollen extensiv gepflegt werden.

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Von links nach rechts: Der Gefleckthütige Röhrling (Boletus depilatus) wächst besonders unter Hagebuchen. Omphalina subglobispora wächst auf Moosen und gerne auch auf stark bemoosten Mauern. Tulostoma brumale bevorzugt magere, sandige und trockenwarme Standorte und kann im Stadtgebiet geeignete Ersatzlebensräume finden.

Moor

Pilze werden bei Pflegemassnahmen in Mooren oft noch zu wenig berücksichtigt. Für den Schutz von Mykorrhizapilzen und Saprobionten ist es wichtig, Bruchwälder oder Föhrenwälder am Rand von Hochmooren stehen zu lassen. In diesen soll ein Teil des Altbaumbestandes und des Totholzes erhalten bleiben, so dass er von seltenen Pilzen besiedelt werden kann. In Flachmooren sollen alte Bäume erhalten und Totholz angereichert werden. Oft jedoch sind die verbliebenen (Moor-) Flächen zu klein, um die vorhandenen Pilzpopulationen zu sichern, bzw. eine Neubesiedelung zu ermöglichen. Umso wichtiger ist es, den Lebensraum bestehender Populationen durch die oben genannten Massnahmen zu erhalten.

Alpine Stufe

Für die gefährdeten Pilze in der Alpenregion ist es wichtig, offene Stellen mit Pioniercharakter (z. B. mit Zwergweiden-Arten), grössere Gletschervorfelder und natürliche Moränenregionen zur erhalten. Das Betreten dieser Standorte soll vermieden werden.

Artenschutz

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Der Orangerote Dachpilz (Pluteus aurantiorugosus) gehört zu den Pilzarten mit dringendem Massnahmenbedarf.

Für viele Grosspilzarten besteht Handlungsbedarf für ihren Schutz. Aktuelle Informationen zu Verbreitung und Schutzstatus der Schweizer Grosspilzarten werden auf Swissfungi veröffentlicht und stehen der Öffentlichkeit zur Verfügung. In die Datenbank des Projekts «Virtual Data Center VDC» werden seit 2014 die Fundorte sämtlicher Organismengruppen eingespeist, um sie bei naturschutzrelevanten Projekten zu berücksichtigen. Mit der Datenbank sollen insbesondere die Bedürfnisse der kantonalen Fachstellen abgedeckt werden. Diese Daten sind für die Öffentlichkeit nicht zugänglich.

Für die Umsetzung konkreter Schutzmassnahmen wird folgende Prioritätenliste empfohlen:

  1. Prioritär in der Förderung sind 35 Arten mit dringendem Massnahmenbedarf. Für 12 Arten bestehen bereits Artenschutz-Merkblätter, weitere sind in Planung.
  2. Zweite Priorität haben weitere 300 Arten, welche gemäss der Liste der National Prioritären Arten mit 1. und 2. Priorität eingestuft wurden.
  3. Grundsätzlich besteht für 900 Grosspilzarten Handlungsbedarf. Diese sind in der Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Grosspilze (2007) aufgeführt.

Gefährdung

Die Gefährdung der Grosspilze ist vor allem dem Lebensraumverlust und der veränderten Nutzung in Wald und Landwirtschaftsgebiet zuzuschreiben. So finden sich gemäss der Schweizerischen Roten Liste (2007) die meisten gefährdeten Pilzarten in Mooren (30%), im Wald (26%) und auf mageren Wiesen und Weiden (20%).

Hauptsächlich werden Grosspilze durch folgende Ursachen gefährdet:

  • Rückgang und Fragmentierung des Lebensraums
  • Ausbreitung der Siedlungsflächen und Versiegelung des Bodens
  • Anbau von Baum-Monokulturen, insbesondere von Nadelhölzern, anstelle von Mischbeständen
  • Rückgang des (groben) Totholzes in bewirtschafteten Wäldern, vor allem im Mittelland
  • Rückgang an Altbaumbeständen und alten Wäldern
  • Rückgang von extensiv genutzten Wiesen und Weiden
  • Rückgang von Feuchtgebieten und verstärkte Entwässerung des Bodens
  • Erhöhter Eintrag von Stickstoff in den Boden
  • Klimaerwärmung
  • Luftverschmutzung

Die Gefahr für einheimische Grosspilze durch eingeführte Arten, z. B. durch Konkurrenzdruck, ist bisher kaum erforscht. Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass die meisten Neomyceten parasitär und häufig an nicht einheimische Pflanzen gebunden sind. Neomyceten gelangen insbesondere durch den globalen Handel von Pflanzen und organischem Material zu uns. Siedlungsgebiete gelten als Kerngebiete für Neomyceten, da sie viele fremdländische Pflanzenarten beherbergen. Mehr Informationen zu Neomyceten in der Schweiz.

Wissenslücken

  • Wissen zur Förderung insbesondere der seltenen Arten deutlich ausbauen
  • Kenntnisse zu Vorkommen und Verbreitung der bisher kaum untersuchten Pilze verbessern
  • Ist die Impfung von Bäumen mit Saprobionten zur Gründung neuer Populationen möglich?
  • Ausreichende Menge an verschiedenem Totholz
  • Einfluss von Neomyceten auf heimische Pilzarten

Praxisbeispiele

Naturschutzprojekte zur gezielten Förderung von Pilzen sind uns kaum bekannt. Daher freuen wir uns über Ihre Vorschläge per Email.

Allgemeine Links

Literaturempfehlungen

Praxisbezogene Literatur

Uns sind ist nur 3 Bücher zur Förderung von Pilzen bekannt. Wenn Sie ein weiteres praxisbeszogenes Buch kennen, senden Sie uns Ihren Vorschlag gerne per Email.

  • Lüderitz, M. & Gminder, A. (2014). Verantwortungsarten bei Großpilzen in Deutschland. Zeitschrift für Mykologie, Beiheft 13.
Das Beiheft enthält die Steckbriefe von 19 seltenen Grosspilzarten, für deren globale Erhaltung Deutschland eine hohe bzw. besonders hohe Verantwortung besitzt. Die Steckbriefe umfassen Verbreitungsangaben, Hinweise zu Gefährdungsursachen und Schutzstatus sowie eine ausführliche Charakterisierung des Lebensraums. Das Beiheft kann bei der Deutschen Gesellschaft für Mykologie e.V. bestellt werden.
  • Moore, D., Nauta, M. M., Evans, S. E. & Rotheroe, M. (2001). Fungal conservation – issues and solutions. Cambridge University Press. Recording and Conservation.
Eine ausführliche Dokumentation zu 19 Verantwortungsarten die aufzeigt, wie Schutzprogramme und Pflege aussehen können. Für jede Art werden Gefährdungsursachen und -verursacher diskutiert. Es werden mögliche Bewirtschaftungsvorgaben aufgelistet und anderweitige Schutzmassnahmen, z. B der sogenannte Gebietsschutz oder artspezifische Schutzprogramme aufgeführt, und ergänzt mit Pflegehinweisen und dem Hinweis auf Forschungs- und Monitoringbedarf. Die Schutzmassnahmen beinhalten stets Anleitungen zu einem Biotopschutz.
  • Keizer, P. J. (2003). Paddenstoelvriendelijk natuurbeheer. Utrecht, KNNV Uitgeverij.
Ein niederländisches Buch mit allgemeinen Tipps für den pilzfreundlichen Naturschutz.

Bestimmungsbücher

Bestimmungsbücher werden später hinzugefügt.

Autoren

Text Verein biodivers info@biodivers.ch
Interview PD Dr. Beatrice Senn-Irlet Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL
Review Dr. Andrin Gross Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL
Peter Karasch Deutsche Gesellschaft für Mykologie
Helen Küchler Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL
Dr. Nicolas Küffer Botanischer Garten Bern