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Biodivers - Benutzerbeiträge [de]
2024-03-29T14:17:14Z
Benutzerbeiträge
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Feuchtgebiete
2024-03-15T17:58:57Z
<p>VB2: </p>
<hr />
<div>[[fr:Zones humides]]<br />
<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = 2.3.1_Pfeifengraswiese_Molinion_180518_060_zg 96 dpi.jpg<br />
| text = <br />
}}<br />
<!--<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch Verein biodivers]<br />
|-<br />
| Review || <br />
|-<br />
| || <br />
|-<br />
| Publikation|| Dezember 2022 <br />
|-<br />
|}<br />
<br /> --><br />
{{TOC limit|4}}<br />
<br />
<!--<br />
= Das Wesentliche kompakt =<br />
<br />
= Einleitung =<br />
--><br />
<br />
= Praxisrelevante Ökologie =<br />
Feuchtgebiete und Moore lassen sich im Wesentlichen durch ihre Entstehungsgeschichte, die standörtlichen Verhältnisse, die Lebensraum- und Artengemeinschaften und die Nutzung charakterisieren (siehe Abbildung). In diesem Kapitel wird auf diese prägenden Faktoren eingegangen.<!-- In den Grundlagen werden ausgewählte Themen vertieft abgehandelt.--><br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = praegende_faktoren_de_zg.png<br />
| text = Prägende Faktoren der Moore gemäss Wagner und Wagner, 2003, S. 61, abgeändert und ergänzt mit Boden und Relief. Succow und Joosten, 2001 bezeichnen Substrat, Wasser, Relief und Vegetation als wesentlichen Geokomponenten der Moore.<br />
}}<br />
<br />
== Abiotische Faktoren ==<br />
Die abiotischen Faktoren entscheiden darüber, ob ein Moor entstehen kann. Unsere von den Eiszeiten geprägte Naturlandschaft liess Moore wachsen, wo die Bedingungen dafür gegeben waren. Entscheidender Faktor war und ist die permanente Versorgung mit (genügend und qualitativ gutem) Wasser. <br />
Die Kenntnis der massgeblichen (abiotischen) Faktoren ist der Schlüssel für das Verständnis eines Moors. Nachfolgend wird auf die wichtigsten abiotischen Faktoren Wasserhaushalt (Hydrologie), Boden, Nährstoffe sowie chemische und physikalische Eigenschaften eingegangen.<br />
<br />
== Boden ==<br />
Während der letzten Eiszeit war die Schweiz mehrheitlich von Eis bedeckt. Nach dem Rückzug der Gletscher wirkten auf die kahlen Rohböden sowohl physikalische als auch chemische und biologische Prozesse, die das Gestein zerkleinerten und die mineralischen Partikel teilweise auflösten und umgestalteten. Erste Pflanzen konnten sich ansiedeln. Diese Bodenbildungsprozesse sind seit dem Gletscherrückzug bis heute wirksam. Durch das natürlicherweise leicht saure Regenwasser und die von Wurzeln abgegeben Säuren verwittert das Muttergestein und Mineralien werden aufgelöst.<br />
<br />
Bodenbildung ist ein komplexer Vorgang, bei dem viele Faktoren eine Rolle spielen. Auf [https://www.wsl.ch/de/publikationen/den-waldboden-verstehen-vielfalt-und-funktion-der-waldboeden-in-der-schweiz.html Seite 3 des Merkblatts «Den Waldboden verstehen: Vielfalt und Funktion der Waldböden in der Schweiz» (WSL, 2021)] sind die Bodenbildungsfaktoren, Bodenbildungsprozesse sowie die Bodenmerkmale und -eigenschaften übersichtlich dargestellt.<br />
<br />
Je nach Gegebenheiten haben sich unterschiedliche Bodentypen entwickelt. Die Feuchtgebiete kommen auf den wassergeprägten mineralischen Böden ([https://de.wikipedia.org/wiki/Kategorie:Bodentyp Pseudogleye und Gleye]) und den Moorböden vor.<br />
<br />
Der Boden beeinflusst mit seinen chemischen und physikalischen Eigenschaften die [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Feuchtgebiete#Hydrologie Hydrologie] und somit auch die Vegetation eines Standorts (vgl. auch nachfolgende Tabelle).<br />
<br />
<br />
Tabelle: [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Feuchtgebiete#Lebensr.C3.A4ume Vegetationstypen] und Bodentypen<br />
{| class="wikitable" <br />
|-<br />
! Moortyp<br />
! Vegetationstyp<br />
! Bodentyp<br />
! Quelle<br />
|-<br />
| Flachmoor<br />
| Schilfröhrichte (im Verlandungsbereich grösserer Stillgewässer; in Seesedimenten wurzelnd; basisch bis neutrale Bedingungen)<br />
| Anmoorgley, <br /> Torfanmoor, <br /> Flachmoor<br />
| Wagner und Wagner, 2003 (S. 93); <br /> Feldbotanikordner BirdLife Schweiz<br />
|-<br />
| Flachmoor<br />
| Grossseggenried (im Verlandungsbereich grösserer Stillgewässer; basisch bis neutrale Bedingungen)<br />
| Anmoorgley, Torfanmoor, Flachmoor<br />
| Klötzli, 1969 (S. 85); <br /> Wagner und Wagner, 2003 (S. 93); <br /> Feldbotanikordner BirdLife Schweiz<br />
|-<br />
| Flachmoor<br />
| Pfeifengraswiesen<br />
| Basische und saure Mineralböden; <br /> Anmoore ("Humusböden"");<br /> wechselfeuchte Gleyböden"<br />
| Moorhandbuch, Kap. 2.2.2; <br /> Feldbotanikordner BirdLife Schweiz<br />
|-<br />
| Flachmoor<br />
| Dotterblumenwiesen<br />
| Anmoor-Gley oder Gley, teilweise Torfböden<br />
| Moorhandbuch, Kap. 2.2.3<br />
|-<br />
| Flachmoor<br />
| Hochstaudenriede<br />
| Gley oder vergleyte Braunerde, anmoorig; <br /> Gleyböden oder wechselfeuchte Pseudogleyböden<br />
| Moorhandbuch, Kap. 2.2.3; <br /> Feldbotanikordner BirdLife Schweiz<br />
|-<br />
| Flachmoor<br />
| basische und saure Kleinseggenriede<br />
| Pseudogley und Fahlgley, (anmoorige) Torfböden; <br /> Niedermoortorfböden; <br /> saure Kleinseggenriede: anmoorige Mineralböden, Torfanmoore, Torfgyttja, basische Kleinseggenriede: kalkreiche Gleyböden<br />
| Moorhandbuch Kap. 2.3.1; <br /> Feldbotanikordner BirdLife Schweiz; <br /> Klötzli 1969 (S. 102f.)<br />
|-<br />
| Übergangsmoor<br />
| <br />
| Torfböden <!-- mineralische Böden? --><br />
| Moorhandbuch Kap. 3.1.1<!--: (Übergangsmoore zählen zu den Ombro-minerogenen Mooren mit gemischtem Mineralbodenwasser- und Regenwasserregime)-->; <br /> Klötzli 1969 (S. 151)<br />
|-<br />
| Hochmoor<br />
| <br />
| Torfböden<br />
| Moorhandbuch Kap. 2.1.1; <br /> Feldbotanikordner BirdLife Schweiz<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
<br />
=== Torf ===<br />
Bei allen torfbildenden Faktoren spielt der '''Wasserüberschuss''' des Standortes eine zentrale Rolle. Natürliche Torfmoore zeichnet das Vorkommen von Torf, ständige Nässe und das kontinuierliche höher Wachsen des Bodens aus. Die Art der Torfbildung ist Ergebnis von Wasserangebot, Geländerelief und hydrologischen Eigenschaften.<br />
<br />
Überall in der Natur unterliegen abgestorbene pflanzliche und tierische Reste (organische Substanz) Zersetzungsprozessen, durch die sie abgebaut oder in andere Substanzen umgewandelt werden. Die wesentlichen Zersetzungsvorgänge sind '''Mineralisierung''' und '''Humifizierung'''. Mineralisierung umfasst alle Prozesse, bei denen das organische Material zu einfachen anorganischen Substanzen (im Wesentlichen Mineralien, Kohlendioxid und Wasser) abgebaut wird. Humifizierung bezeichnet alle Vorgänge, durch die organisches Material in braun bis schwarz gefärbte Humussubstanzen (Huminstoffe) umgewandelt wird. Da die meisten zersetzenden Organismen Sauerstoff für ihre Tätigkeit benötigen, ist der Abbau in wassergesättigten Standorten stark eingeschränkt. Unter solchen Bedingungen ist die Produktion von organischer Substanz größer als deren Abbau. Folglich kommt es zu einer Anreicherung von unvollständig zersetztem organischem Material - im wesentlichen Pflanzenresten -, die den für Moore kennzeichnenden '''Torf''' bilden. Demgemäss ist Torf ein auf wassergesättigten Standorten angereichertes, sedentäres (von unten nach oben aufwachsendes) Substrat. Der organische Anteil besteht dabei überwiegend aus abgestorbenen, unvollständig zersetzten Pflanzenresten und ihren Umwandlungsprodukten, den Huminstoffen.<br />
<br />
'''Torf''' enthält über 30% organische Substanz, '''Anmoor''' als Humusform zwischen 15% und 30%, während beim Mull weniger als 15% organisch sind (Bemerkung: Die weiteren Humusformen sind Rohhumus und Moder). Völlig wassergesättigte Torfe können bis zu 97 Volumen-Prozent Wasser enthalten.<br />
<br />
In Deutschland werden die botanischen Torfarteneinheiten '''Moostorfe, Kräutertorfe, Reisertorfe, Holztorfe''' und '''amorphe Torfe''' unterschieden, bei den bodenkundlichen Torfartengruppen Hoch-, Übergangs- und Niedermoortorfe. Die Grundlage für die botanische Torfgliederung sind die torfbildenden Vegetationsgemeinschaften (z. B. von Moosen oder Wollgräsern oder Schilf dominierte Vegetation). Weitergehende Informationen können dem Buch «Steckbriefe Moorsubstrate» (Luthardt et al. 2011) entnommen werden.<br />
<br />
In wachsenden Hochmooren akkumuliert sich pro Jahr bis 1 Millimeter Torf.<br />
<br />
Für die Beurteilung von Mooren und deren Regeneration ist die Kenntnis der wichtigsten physikalischen und chemischen Eigenschaften der Torfe von Bedeutung. Dazu zählen die Wasserleit- und Wasserspeicherfähigkeit, der Zersetzungsgrad, der pH-Wert oder das Kohlenstoff/Stickstoff- (C/N)-Verhältnis.<!-- Weitergehende Informationen dazu können den Moorstandardwerken entnommen werden <span style="background:yellow"> (#auf Literaturverzeichnis; Moorsubstrate, Göttlich, Succow/Joosten, Klötzli). </span> --><br />
<br />
In Mooren findet man manchmal '''Mudden'''. Es handelt sich dabei um Seesedimente mit einem organischen Anteil von mindestens 5 Prozent. Weitere Informationen zu Mudden siehe z. B. ab Seite 32 in «Steckbrief Moorsubstrate» (Luthardt et al. 2011).<br />
<br />
===Akrotelm und Katotelm=== <!--(Quellen: Moorhandbuch, Kap. 3.1.2, Zerbe (Renaturierung von Ökosystemen in Mitteleuropa), Succow/Joosten; ev. als Box; Bemerkung: zu Akro- und Katotelm nicht auf das Moorhandbuch verlinken, weil zu theoretisch und weil das Kapitel zur Hydrologie viel zu unvollständig ist, z. B. keine Angaben zu Wasserständen) --><br />
Ein ungestörtes, wachsendes Hochmoor ist aus zwei Schichten aufgebaut. Die obere, Schicht wird als Akrotelm bezeichnet. Darunter liegt das Katotelm. Das Katotelm kann über 10 m mächtig sein und besteht aus abgestorbenem Pflanzenmaterial (Torf) und Wasser. Das Akrotelm besteht v. a. aus einem dichten elastischen Geflecht lebender, luftführender Pflanzenwurzeln. Die organische Substanz ist relativ locker gelagert. Die Wasserdurchlässigkeit ist horizontal, welche mit zunehmender Tiefe rasch abnimmt, weil das organische Material in den tieferen Schichten immer stärker komprimiert wird. Deshalb fliesst in einem intakten Akrotelm überschüssiges Wasser schnell, aber diffus ab, ohne z. B. Erosion zu verursachen. Als Grenze zwischen Akro- und Katotelm gilt jener Bereich, über dem sich die Wasserverhältnisse und Abbauprozesse rasch ändern und unter dem die Verhältnisse weitgehend stabil bleiben. Der Wasserstand sinkt nicht unter die stärker komprimierten Schichten ab, mit folglich relativ stabilem Wasserstand. Im Katotelm, mit relativ geringer biologischer Aktivität, entstehen durch Wachstum und Absterben von Pflanzenteilen die frischen organischen Substanzen. Nur wenige Torfarten können ein funktionierendes Akrotelm mit diesen Eigenschaften aufbauen («Ökosystem-Ingenieure»: ''Sphagnum magellanicum, S. papillosum, S. imbricatum, S. fuscum, S. rubellum'').<br />
<!-- Weitergehende Informationen zu Akro- und Katotelm hat es zum Beispiel in Succow und Joosten, S. 42ff. --><br />
<br />
=== Literatur und Links zu Boden ===<br />
* Bodenkundliche Gesellschaft der Schweiz, 2010. Klassifikation der Böden der Schweiz: Profiluntersuchung, Klassifikationssystem, Definitionen der Begriffe, Anwendungsbeispiele, 3. Auflage. ed. BGS: Wichtige Grundlage für die Kartierung von Böden in der Schweiz mit Fachleuten als Zielpersonen. Ausführlich und eher schwer verständlich.<br />
* Bodenkundliche Gesellschaft der Schweiz, 1996. Schlüssel zur Klassifikation der Bodentypen der Schweiz: Die Bodentypen der Schweiz vereinfacht und übersichtlich dargestellt.<br />
* [https://www.dora.lib4ri.ch/wsl/islandora/object/wsl:27078/datastream/PDF Walser, M., 2021. Den Waldboden verstehen: Vielfalt und Funktion der Waldböden in der Schweiz, Merkblatt für die Praxis / Eidgenössische Forschungsanstalt WSL 68. Eidg. Forschungsanstalt WSL, Birmensdorf]: Das Merkblatt bezieht sich zwar auf den Wald, ist aber weitgehend allgemeingültig und fasst Relevantes zum Boden gut verständlich zusammen. Es handelt aber nicht alle in der Schweiz vorkommenden Bodentypen ab, insbesondere die für Moore wichtigen organischen Böden werden nur kurz abgehandelt. <!-- französische Version: [https://www.wsl.ch/de/publikationen/comprendre-la-diversite-et-les-fonctions-des-sols-forestiers-en-suisse.html Walser, M., 2021. Comprendre la diversité et les fonctions des sols forestiers en Suisse, Notice pour le praticien / Institut fédéral de recherches WSL 68. Institut fédéral de recherches WSL, Birmensdorf] --><br />
* [https://e-docs.geo-leo.de/handle/11858/8054 Steckbriefe Moorsubstrate, 2. Auflage, 2015. Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (Hrsg.): Umfassendes und reich bebildertes Werk zu Moorböden. Für Moorkundler:innen eine sehr wertvolle Grundlage]. <br />
* Bodenkundliche Gesellschaft der Schweiz, 1996. Bestimmungsschlüssel© (BGS / 1996), Unterscheidung nach den hierarchischen Klassifikationskriterien: Bestimmungsschlüssel für die Böden der Schweiz mit Fachleuten als Zielpersonen.<br />
* Amelung, W., 2018. Scheffer/Schachtschabel Lehrbuch der Bodenkunde, 17., überarbeitete und ergänzte Auflage. ed, Lehrbuch. Springer Spektrum, Berlin: Standardwerk zur Bodenkunde.<br />
<br />
== Hydrologie ==<br />
=== Wasserhaushalt und Wasserstände ===<br />
Wasser ist das Lebenselixier der Moore. Bedingungen und Prozesse in Mooren sind in besonderer Weise vom Wasserhaushalt abhängig. In einem natürlichen Moorsystem sind die hydrologischen Bedingungen das Resultat aus geologischen, edaphischen, topografischen und klimatischen Bedingungen (siehe Abbildung unten).<br />
<br />
Ans Moor angrenzende oder direkte menschlichen Aktivitäten wie Veränderungen des Wassereinzugsgebietes, intensive Nutzungen, Entwässerungen der Moore, Veränderungen der Topografie (Torfabbau) oder auch die Ein- und Durchleitung von Drainagen haben oft einen starken Einfluss auf die Hydrologie von Mooren.<br />
<br />
Der Wasserhaushalt seinerseits beeinflusst die Vegetation, die Nährstoff- und pH-Verhältnisse sowie die Art und Abfolge der gebildeten Substrate (Humusformen, z. B. Torf, siehe Kap. [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Feuchtgebiete#Boden «Boden»]).<br />
<br />
Zahlreiche, meist langjährig gemessene Grundwasserstände in Hoch- und Niedermooren lassen einen ausgeprägten Jahresgang erkennen mit Maxima im Winter und Minima ausgangs des Sommers. Im Frühjahr und Sommer zehrt die Verdunstung, im Herbst und Winter nährt der Niederschlag das im Moor meist oberflächennahe Grundwasser. Der Jahresgang kann durch Witterungseinflüsse mehr oder weniger überdeckt sein. Klötzli (1969) hat Höchststände von März bis Mai und Tiefststände von August bis Oktober gemessen. Er hat sehr viele Streuwiesen im östlichen Schweizer Mittelland auf ihren Wasserstand untersucht.<br />
<br />
[[Media:grosvernier_etal_2009_S15_de.pdf|Grosvernier et al. (2009, Regeneration von Hochmooren: Grundlagen und technische Massnahmen)]] zeigen Beispiele von Ganglinien verschiedener Moortypen.<br />
<br />
In Torfmooren hat der Wasserstand entscheidenden Einfluss auf die Torfbildung:<br />
* '''Absinktiefe und -dauer''' entscheiden massgeblich über Torfbildung bzw. –abbau, weil mit zunehmender Tiefe und Dauer der Belüftung der Torfe die Tendenz zur Mineralisation steigt.<br />
* '''Absinkgeschwindigkeit''': Der Wasserspiegel kann pro Tag bis über 4 cm absinken. <br />
* '''Torfakkumulation''': Damit Torf akkumuliert wird, das Moor also wächst, muss das Wasser im langfristigen Mittel nahe an, in oder über der Oberfläche stehen.<br />
<br />
<!-- Wir haben eine Tabelle zusammengestellt mit vegetationsbezogenen Angaben zum Wasserstand, zur Bodenreaktion und zur Leitfähigkeit.--> <!-- Das Kapitel Grundlagen enthält weitergehende Informationen zur Hydrologie. --><br />
Die Schweizer Flachmoore sind oft von vielen Gräben durchzogen, die zur Bewirtschaftung angelegt worden sind. Gräben entwässern ihre Umgebung. Sie tun dies vor allem in Abhängigkeit der Lage im Gelände und des Bodenaufbaus. Hangparallele Gräben entwässern die tiefergelegenen Flächen, während der Einfluss hangvertikaler Gräben geringer ist. Bodensubstrate sind sehr unterschiedlich wasserdurchlässig. Bei Torfen sind der Torftyp und der Zersetzungsgrad wichtige Einflussgrössen, bei mineralischen Böden das Verhältnis von Ton, Sand und Schluff<!-- Verweis auf Grundlagen-->. Je grobkörniger der Boden, desto wasserdurchlässiger ist er. Durch Sand fliesst entsprechend ziemlich viel Wasser.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = hydrologie de.png<br />
| text = Einflussfaktoren auf die Hydrologie (nicht abschliessend)<br />
}}<br />
<br />
=== Wassereinzugsgebiet ===<br />
Moore werden durch das Einzugsgebiet und den Niederschlag mit Wasser gespeist. Nur [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Feuchtgebiete#Hoch-_und_.C3.9Cbergangsmoore Regenmoore] werden ausschliesslich mit Niederschlag versorgt. Das hydrologische Einzugsgebiet ist durch Wasserscheiden begrenzt. Die Wasserspeisung eines Moors ist in Menge, Qualität und zeitlicher Verteilung von der räumlichen Ausdehnung sowie der pedologischen, geologischen und Nutzungsstruktur seines Einzugsgebiets abhängig.<br />
<br />
Im Rahmen des Projekts [https://marais.ch/de/home.html «Erhaltung der Wasserressourcen im Einzugsgebiet von Moorbiotopen von nationaler Bedeutung»] wurde eine Methode entwickelt zur Abgrenzung von hydrologischen Pufferzonen. Auf dem Weg dahin wird unter anderem das Einzugsgebiets beurteilt.<br />
<br />
Das Wassereinzugsgebiet ist eine wichtige Einflussgrösse und deren Charakterisierung relevant für das Verständnis und die Bedingungen in den Moorbiotopen.<br />
<br />
== Nährstoffökologie und chemische Eigenschaften ==<br />
Die Angaben zur Nährstoffökologie beziehen sich hauptsächlich auf Torfmoore, da die Grundlagenliteratur darauf fokussiert. In diesem Kapitel wird nur auf die wesentlichen Aspekte von Nährstoffen und chemischen Eigenschaften eingegangen. Ausführliches kann in der angegebenen Literatur nachgelesen werden.<br />
<br />
'''Moore sind natürlicherweise überwiegend nährstoffarm''', weil ein beträchtlicher Anteil der mit dem Grund-, Oberflächen- oder Niederschlagswasser zugeführten Ionen im Torf festgelegt wird und daher für Pflanzen nicht oder nur eingeschränkt verfügbar ist. Bei Hochmooren ist ausschliesslich der atmosphärische Eintrag von Bedeutung, in Niedermooren beziehungsweise im Lagg von Hochmooren überlagern sich die Einflüsse von Grund-, Oberflächen- und Niederschlagswasser. Einzig die Moore der Flusstäler mit grossem Einzugsgebiet sind etwas nährstoffreicher.<br />
<br />
=== Stickstoff, Phosphor und Kalium === <br />
Die Hauptnährstoffe sind '''Stickstoff, Phosphor und Kalium''', wobei '''Stickstoff der wichtigste Pflanzennährstoff ist'''. Stickstoff wird von den Pflanzen vor allem als Nitrat oder Ammonium aufgenommen. Wachstumslimitierend wirken in vielen terrestrischen und aquatischen Ökosystemen in erster Linie Stickstoff und Phosphor, in seltenen Fällen (organische Nassböden) auch Kalium.<br />
<br />
Stickstoff und Phosphor sind zum grössten Teil organisch gebunden und damit nur sehr eingeschränkt pflanzenverfügbar. Die Immobilisation von Stickstoff erfolgt v. a. bei der mikrobiellen Huminstoffbildung. Phosphor ist in der Bodenlösung von Torfen unter reduzierenden Bedingungen häufig nur zu einem geringen Anteil pflanzenverfügbar.<br />
<br />
In genutzten Mooren ist der Entzug von Phosphor durch die Ernte eine wichtige Austragsgrösse.<br />
<br />
Torfe enthalten deutlich weniger Kalium als Mineralböden. Aufgrund der grossen Kaliummenge in der Vegetation im Vergleich zum Bodenvorrat weisen Moore mit Schnittnutzung häufig eine negative Kaliumbilanz auf. In natürlichen und naturnahen Mooren gibt es hingegen keine Kaliumlimitierung des Pflanzenwachstums. Weil kein Kaliumentzug durch Ernte von Biomasse stattfindet, ist der Kaliumkreislauf in ungestörten Mooren weitgehend geschlossen.<br />
Die Pflanzen haben sich auf vielfältige Art an die nährstoffarmen Bedingungen in den Mooren angepasst. Darauf wird im [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Feuchtgebiete#Pflanzen entsprechenden Kapitel] eingegangen.<br />
<br />
'''Stickstoffeinträge aus der Luft (N-Deposition)''' <br /><br />
Stickstoffeinträge über Niederschläge in anthropogen wenig beeinflussten Gebieten betragen etwa '''1 kg N pro Hektar und Jahr'''. In weiten Teilen Mitteleuropas beträgt der Eintrag heute '''10-25 kg N pro Hektar und Jahr''' (bis zu 80 kg N pro Hektar und Jahr). Hinzu kommen Einträge durch trockene Deposition und Nebel (insgesamt 20-50 kg N pro Hektar und Jahr). In Hochmooren sind die Gesamt-Stickstoff-Frachten die wesentliche Eintragsquelle. Auf bewaldeten Moorflächen erfolgt gegenüber offenen Moorstandorten eine Anreicherung auf das bis zu 2.5fache.<br />
<br />
=== pH ===<br />
Für die Ökologie von Moorstandorten und damit die natürliche Vegetation sind neben den trophischen Bedingungen (Nährstoffe) die pH-Verhältnisse von Bedeutung.<br />
Succow und Joosten (2001) unterscheiden acht pH-Stufen (siehe Tabelle). Bei einem pH-Wert grösser als 6.4 ist Calciumcarbonat vorhanden und die Standorte dadurch von einer grösseren Zahl von «Kalkmoor»-Pflanzen gekennzeichnet. Der Bereich zwischen pH 4.8 und 6.4 ist basenreich. Hier ist der Schwerpunkt des Auftretens von Braunmoosen. Der saure Bereich mit tieferen pH-Werten als 4.8 ist charakteristisch für die meisten Torfmoosarten.<br />
<br />
{{Fotos-links-300px<br />
| bilddatei = Säure-Basen-Stufen gemäss Succow und Joosten 2001 de zg.png<br />
| text = Säure-Basen-Stufen gemäss Succow und Joosten, 2001<br />
}}<br />
<br />
=== Leitfähigkeit === <br />
Die elektrische Leitfähigkeit ist ein Mass für die Summe aller im Wasser gelösten Ionen mit Ausnahme der Wasserstoffionen. Durch die negativen oder positiven elektrischen Ladungen der Ionen (z. B. Calcium, Nitrat, Phosphat) wird ein Stromfluss im Wasser ermöglicht, den man sich bei der Messung der elektrischen Leitfähigkeit zunutze macht. Eine hohe Leitfähigkeit bedeutet folglich eine hohe Ionenkonzentration und umgekehrt. In Moorökosystemen kann ein hoher Ionengehalt durch Eintrag mineralstoffreichen Grundwassers, durch oberirdische Einträge von Pflanzennährstoffen aus landwirtschaftlich genutzten Gebieten oder durch Torfzersatz verursacht werden. PH-Wert und Leitfähigkeit sind häufig, aber nicht immer positiv korreliert (z. B. nicht bei pH-Werten unter 4).<br />
<br />
Die Messung der '''elektrischen Leitfähigkeit''' hat sich in der Praxis gut bewährt, um die vorkommenden Vegetationstypen nachvollziehen zu können oder Einflüsse von mineralstoffreichem Wasser zu erkennen.<!-- Das Wissen zu elektrischen Leitfähigkeiten ist in einer Tabelle zusammengefasst (#Link auf Tabelle_Vegetationstyp_Parameter.xlsx)--> Regengespeiste Hochmoore zeigen Werte unter 40 µS/cm (bei Göttlich 30 µS/cm) mit niedrigsten Werten in ungestörten Torfmoosbeständen mit grossen Torfmächtigkeiten. Leicht höhere Werte zeigen bereits den Einfluss von mineralischem Wasser und sind in Übergangsmooren anzutreffen. Flachmooren zeigen Werte über 200 µS/cm je nach Leitfähigkeit von Oberflächen- oder Grundwasser. Aufstossendes Wasser aus basenreichen Bodenschichten kann sehr hohe Werte aufweisen (z.B. 800 µS/cm), was oft in kalkreichen Kleinseggenrieden zu finden ist.<br />
<br />
== Lebensräume ==<br />
Die Feuchtgebiete unterscheiden sich in die beiden grossen Gruppen Hoch- und Flachmoore, die Übergangsmoore nehmen eine Mittelstellung ein. Die Feuchtwiesen werden mal zu den Flachmooren gezählt, mal separat geführt (siehe nachfolgende Tabelle). Daneben kommen in Mooren viele weitere, für das Ökosystem relevante Lebensräume wie natürliche kleine Seen, Abflussrinnen und Gräben vor, auf die in diesem Kapitel eingegangen wird. Für die Unterscheidung der Hoch- und Flachmoore wird die Klassifikation von Delarze et al. (2015) übernommen (siehe nachfolgende Tabelle). Die flächenmässig relevanten Moor- und Feuchtwälder werden bei den [https://www.biodivers.ch/de/index.php/W%C3%A4lder Wäldern] abgehandelt, die trockenen Wiesen und Weiden beim [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland Grünland]. Übergänge gibt es im Weiteren zu den Lebensräumen der [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Fliessgew%C3%A4sser Fliessgewässer].<br />
<br />
Ufer und Feuchtgebiete der Schweiz (nach Delarze et al. 2015) <br /><br />
<small> Gefährdungsgrad: LC: nicht gefährdet, NT: potenziell gefährdet, VU: verletzlich, EN: stark gefährdet, CR: vom Aussterben bedroht; Regenerationszeit nach Störung bzw. Zerstörung des Lebensraumes: 1: < 5 Jahre; 2: 5–10 Jahre; 3: 10–25 Jahre; 4:25–50 Jahre; 5: 50–200 Jahre; 6: > 200 Jahre (Quelle: Delarze et al., 2016. Rote Liste der Lebensräume der Schweiz). </small><br />
{| class="wikitable" <br />
|-<br />
! <br />
! Pflanzengesellschaft (wissenschaftlich)<br />
! Pflanzengesellschaft (Deutsch)<br />
! Gefährdung<br />
! Regenerationszeit<br />
|-<br />
| 2.1.1<br />
| Sphagno-Utricularion<br />
| Wasserschlauch-Moortümpelgesellschaften<br />
| EN<br />
| 3<br />
|-<br />
| 2.1.2.1<br />
| Phragmition<br />
| Stillwasser-Röhricht<br />
| VU<br />
| 2<br />
|-<br />
| 2.1.2.2<br />
| Phalaridion<br />
| Landschilf-Röhricht<br />
| VU<br />
| 2<br />
|-<br />
| 2.1.3<br />
| Littorellion<br />
| Strandlingsgesellschaften<br />
| EN<br />
| 2<br />
|-<br />
| 2.1.4<br />
| Glycero-Sparganion<br />
| Bach- und Flussröhricht<br />
| VU<br />
| 2<br />
|-<br />
| 2.2.1.1<br />
| Magnocaricion<br />
| Grossseggenried<br />
| VU<br />
| 3<br />
|-<br />
| 2.2.1.2<br />
| Cladietum<br />
| Schneidbinsenried<br />
| VU<br />
| 3<br />
|-<br />
| 2.2.2<br />
| Caricion fuscae<br />
| Saures Kleinseggenried<br />
| VU<br />
| 3<br />
|-<br />
| 2.2.3<br />
| Caricion davallianae<br />
| Kalk-Kleinseggenried<br />
| VU<br />
| 3<br />
|-<br />
| 2.2.4<br />
| Caricion lasiocarpae<br />
| Übergangsmoor<br />
| EN<br />
| 4<br />
|-<br />
| 2.2.5<br />
| Caricion bicolori-atrofuscae<br />
| Schwemmufervegetation alpiner Wildbäche<br />
| VU<br />
| 2<br />
|-<br />
| 2.3.1<br />
| Molinion<br />
| Pfeifengraswiese<br />
| EN<br />
| 3<br />
|-<br />
| 2.3.2<br />
| Calthion<br />
| Sumpfdotterblumenwiese<br />
| NT<br />
| 2<br />
|-<br />
| 2.3.3<br />
| Filipendulion<br />
| Spierstaudenflur<br />
| NT<br />
| 2<br />
|-<br />
| 2.4.1<br />
| Sphagnion magellanici<br />
| Torfmoos-Hochmoor<br />
| EN<br />
| 6<br />
|-<br />
| 2.5.1<br />
| Nanocyperion<br />
| Zwergbinsen-Annuellenflur<br />
| CR<br />
| 1<br />
|-<br />
| 2.5.2<br />
| Bidention<br />
| Nitrophile Annuellenvegetation<br />
| VU<br />
| 1<br />
|}<br />
<br />
<!--Weitere Informationen zu den Lebensräumen finden Sie in dieser Tabelle («Tabelle_Vegetationstyp_Parameter.xlsx»).--><!--Für die nachfolgen Beschreibungen wurden folgende Grundlagen verwendet: Pflegegrundsätze (Hintermann&Weber), Moorhandbuch, Moore und Moorschutz in der Schweiz (2002), Feldbotanik (2016), Zeitschrift Aqua Viva X/201X, Handbuch Pro Natura.-->Im [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/handbuch-moorschutz-schweiz.html Moorhandbuch sind die Lebensräume in ausführlichen Artikeln vorgestellt (Band 1, Kap. 2)]. [https://www.infoflora.ch/de/lebensraeume/vollst%C3%A4ndige-auflistung/vollst%C3%A4ndige-auflistung-phytosuisse.html Phytosuisse] ist ein Nachschlagewerk mit Kurzbeschrieb zu jeder Pflanzengesellschaft (Klassifikation nach Delarze et al.). Wichtig für das Verständnis der Lebensräume ist die Kenntnis ihrer Entstehung (Moorgenese). Darauf wird im Kapitel [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Feuchtgebiete#Moortypen Moortypen «Erhalt und Förderung»]<!--(und im Kapitel Grundlagen)--> eingegangen.<br />
<br />
=== Hoch- und Übergangsmoore ===<br />
Offene Hochmoore bestehen vorwiegend aus einem schwammigen Teppich wassergetränkter Torfmoose, auf dem verstreut kleinblättrige Heidekrautgewächse und schmalblättrige Sauergräser wachsen. Intakte Hochmoore wölben sich uhrglasförmig über die sie umgebende Landschaft. Sie sind durch den mächtigen Torfkörper vom Mineralboden und dessen Grundwasserregime vollständig isoliert. Die Speisung mit Wasser erfolgt ausschliesslich über den Niederschlag (Hochmoore werden deshalb auch «Regenmoore» genannt). Die Torfmoose sind durch ihr kontinuierliches, vom Grundwasser unabhängiges Wachstum die treibende Kraft für die Entstehung der Hochmoore. Sie bauen den Torfkörper auf. Das Wachstum der Hochmoorfläche ist ungleichmässig: Es wechseln sich «Bulten» (höckerartige Bodenerhebungen) mit nassen Schlenken ab. Der grosse Mangel an verfügbarem Stickstoff begünstigt zudem die Existenz fleischfressender Pflanzen (Drosera spp.) und Mykorrhiza-abhängiger Heidekrautgewächse. Ist der Wasserhaushalt gestört, nimmt das Heidekraut auf Kosten der Torfmoose stark zu – es bildet sich eine moorige Heidevegetation aus. Die Hochmoore sind auf Eutrophierung und Entwässerung äusserst empfindlich.<br />
<br />
Im Hochmoor herrschen extreme Lebensbedingungen: Es ist ganzjährig sehr nass, sehr sauer und die Temperaturschwankungen können im Jahres- wie im Tagesverlauf gross werden. Die Artenvielfalt der Hochmoore ist dadurch vergleichbar gering, ihre Spezialisierungen aber gross.<br />
<br /><br />
<table border="0", style="font-size:108%"> <br />
<tr> <br />
<td> '''Torfmoose – ein Winzling baut Landschaften''' <br /> Torfmoose sind die Baumeister der Hochmoore und sie überziehen dessen Oberfläche wie einen Teppich. Es ist einzigartig, dass ein kleines und unscheinbares Pflänzchen ganze Landschaften prägt und baut. <br /><br />
Das Torfmoos zeichnet ein paar Besonderheiten aus: Es wächst an der Spitze und stirbt am Wurzelende ab. Die abgestorbene Pflanzenmasse ist das Ausgangsmaterial für die Torfbildung. Das Torfmoos ist ein Ionentauscher, das heisst es entzieht der Umgebung Mineralstoffe und gibt dafür Wasserstoffionen (positiv geladene H-Teilchen) ab. Dadurch wird das Moorwasser sauer. Die enorme Wasserspeicherkapazität ist eine weitere herausragende Eigenschaft. Das Pflänzchen besitzt spezialisierte Zellen (Hyalinzellen), welche sich bei Nässe mit Wasser vollsaugen und diese bei Trockenheit nur langsam abgeben. Bis zum 30-fachen des Eigengewichts kann an Wasser gespeichert werden. Da die Speicherfunktion auch in den abgestorbenen Pflanzenteilen erhalten bleibt, können Torfmoore grosse Wassermengen speichern. In der Schweiz kommen rund 30 Torfmoosarten vor, ein Dutzend ausschliesslich in Hochmooren. </td><br />
</tr> <br />
</table><br />
<br /><br />
Hochmoore sind komplexe und kleinräumig diverse und vielfältige Lebensräume. Im [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/handbuch-moorschutz-schweiz.html Moorhandbuch sind sie ausführlich beschrieben (Kap. 2.2.8]).<br />
<br />
{{Fotos-links-500px<br />
| bilddatei = moorhandbuch 2.2.8 de zg.png<br />
| text = Schema eines naturnahen Hochmoors. a: Bult, b: Schlenke, c: Moorweiher, d: Schwingrasen, e: Rülle; f: Bergföhrenhochmoor, g: Randwald, h: Randsumpf, Lagg, i: Flachmoor (aus Moorhandbuch, Kap. 2.2.8, Original in Grünig, A., Vetterli, L., Wildi, O., 1986. Die Hoch- und Übergangsmoore der Schweiz (Bericht No. 281). Eidg. Anstalt für das forstliche Versuchswesen.<br />
}}<br />
<br />
Die Übergangsmoore, auch Zwischenmoore genannt, bilden Bestände aus Sauergräsern (insbesondere Seggen) am Übergang zwischen den äusserst nährstoffarmen Hochmooren und den mineralienreicheren Standorten. Sie finden sich typischerweise in Senken in der Nachbarschaft von Hochmooren, wo sich das Wasser aus dem Hochmoor und der Umgebung sammelt. Die Speisung mit Wasser ist somit eine Mischung aus dystrophem Hochmoor- und mineralstoffreichem Grund- oder Quellwasser aus der Umgebung. Übergangsmoore können auch in wasserhaltigen Vertiefungen in der Kernzone von Hochmooren (Schlenken) wachsen.<!-- (weglassen: Das Substrat ist gekennzeichnet durch seine torfige und nährstoffarme Zusammensetzung. Übergangsmoore sind natürliche Dauergesellschaften, die für ihr Bestehen weder Nutzung noch Pflege brauchen. Jedoch gefährden die Entwässerungen und Eutrophierung der Moore sowie atmosphärische Strickstoffeinträge den Lebensraum.)--> Ausführliche Informationen zu den Übergangsmooren enthält das [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/handbuch-moorschutz-schweiz.html Moorhandbuch, Kap. 2.2.6]).<br />
<br />
=== Flachmoore ===<br />
Flachmoore werden, im Gegensatz zu den Hochmooren, neben dem Regenwasser zusätzlich mit mineralstoffreichem Hang-, Grund- oder Quellwasser versorgt. Die Pflanzen der Flachmoore sind reichlicher mit Nährstoffen versorgt als die Hungerkünstler der Hochmoore. Entsprechend den unterschiedlichen chemischen Eigenschaften des Wassers und den grösseren Schwankungen des Wasserspiegels ist die Vegetation der Flachmoore produktiver und vielfältiger als diejenige der Hochmoore.<br />
<br />
Die Pflanzengesellschaften der Flachmoore<br />
<br />
'''Stillwasser-Röhricht''' (''Phragmition''), '''Landröhricht''' (''Phalaridion'') <br /><br />
Das gürtelartige Stillwasser-Röhricht steht während der gesamten Vegetationsperiode im Wasser von Seeufern und Stillwasserbereichen. Es besteht vorwiegend aus Schilf (''Phragmites australis''), manchmal auch aus Rohrkolben (''Typha angustifolia, T. latifolia'') oder Seebinsen (''Schoenoplectus lacustris''). Infolge der Akkumulation von organischem Material verlanden diese Uferbereiche allmählich.<br />
<br />
Das mähbare Landröhricht entsteht im Verlaufe des Verlandungsprozesses aus dem Stillwasser-Röhricht. Die Dominanz des Schilfs (bzw. des Rohrglanzgrases (''Phalaris arundinacea'') an Fliessgewässern) kennzeichnen die Einheit. Die lokalen Nährstoffanreicherungen durch angespülte Sedimente, Erde und Strandgut begünstigt das Aufkommen nitrophiler Arten. Landeinwärts nimmt die Dominanz des Schilfs zugunsten der Arten des Grossseggenrieds allmählich ab. Röhrichte der Verlandungszone wurden früher zur Gewinnung von Streumaterial gemäht.<br />
<br />
'''Grossseggenried''' (''Magnocaricion'') <br /><br />
Die Vegetation des Grosseggenried wird von wenigen Pflanzenarten, vorwiegend grosswüchsige Seggenarten (60 bis 150 cm hoch) dominiert. Dazu gehören auch Arten, die höckerartige Bodenerhebungen, sogenannte «Bulten», bilden (''Carex appropinquata, C. elata, C. paniculata''). Bei natürlichen Ufern schliesst diese Vegetation landwärts an das Wasserröhricht an. Sie übersteht mehrwöchige Überflutungsperioden, im Winter sogar mehrmonatige, und Wasserstandsschwankungen um 60 cm. Der Boden bleibt dauerhaft feucht und ist neutral bis leicht basisch. Er ist häufig sauerstoffarm und schlecht belüftet. In ungemähten, eutrophierten Mooren sind oft Übergangsformen zum Landschilfröhricht anzutreffen. (Das Aufkommen von Gehölzen, insbesondere von Moorweidengebüschen und Erlenbruchwäldern, ist ein Hinweis auf ein längeres Ausbleiben der Pflege.)<br />
<!-- klären, woher Urs Tester diese Info hat: Schilfröhrichte und Grossseggenriede sind wichtige Lebensräume für Kleintiere und Insekten mit grossem Raumanspruch. --><br />
<br />
'''Kalkreiches und Kalkarmes Kleinseggenried''' (''Caricion davallianae'' und ''Caricion fuscae'') <br />
<br /><br />
Das Kalkreiche Kleinseggenried bildet dichte, niederwüchsige Rasenbestände aus kalkzeigenden Seggen. Typisch ist der Reichtum an auffälligen, farbigen Blütenpflanzen, insbesondere an Orchideen. Die Einheit besiedelt oft Mulden oder feuchte, wasserzügige Hänge mit basen- und kalkreichen Böden (mineralreiche Rohböden oder torfige Humusböden). Die Mehrheit der Gesellschaften erträgt ein periodisches Trockenfallen besser als diejenigen der Kalkarmen Kleinseggenriede. Das [[Media:moorhandbuch 2 1 3 fm torf de.pdf|Moorhandbuch enthält einen interessanten Artikel]] zum Substrat von Kopfbinsen- und Davallseggenrieden (''Caricion davallianae'') anhand der Analyse von 18 Vegetationsaufnahmen in den Nordalpen. Für sieben der 18 Vegetationsaufnahmen wird die Humusform als Torf bezeichnet. Die Untersuchungen zeigen im Weiteren, dass das Davallseggenried nicht nur in verschiedenen Regionen der Schweiz, sondern auch innerhalb des gleichen Flachmoors auf unterschiedlichen Bodentypen und Humusformen vorkommen kann.<br />
<br />
Saure Kleinseggenriede kommen auf kalkarmen, torfigen Substraten vor. Sie sind arm an Arten und Blüten und bilden einen dichten Rasenbestand aus kleinwüchsigen Sauergräsern. Kalkarme Kleinseggenriede sind mehrheitlich ab der montanen Stufe anzutreffen, unterhalb von 500 m sind sie selten. Im Mittelland sind die Bestände infolge allgemeiner Entwässerung und intensiverer Bewirtschaftung der Moorlandschaften drastisch zurückgegangen.<br />
<br />
'''Pfeifengraswiese''' (''Molinion'') <br /><br />
Die Pfeifengraswiesen weisen eine reichhaltige Flora auf mit vielen seltenen und gefährdeten Arten, darunter verschiedene Orchideen. Sie sind wechselfeucht mit jahreszeitlich und witterungsbedingt stark schwankendem Wasserstand. Der Boden ist meistens kalkhaltig und nährstoffarm, jedoch reich an organischem Material bis anmoorig. (Das namensgebende spätblühende Pfeifengras (''Molinia coerulea'') hüllt die Wiesen im Sommer in ein dezent blaues Meer.) Oft wachsen Neophyten, insbesondere Goldruten (''Solidago spp.''). Bei Ausbleiben der Mahd verbuschen sie oder das Pfeifengras wird dominant und bildet grosse Horste. Bei höherem Nährstoffgehalt weichen die Pfeifengraswiesen entweder den Feuchtwiesen oder den Hochstaudenfluren.<br />
<br />
Die '''Sumpfdotterblumenwiese''' (''Calthion'') und die '''Spierstaudenflur''' (''Filipendulion'') sind nasse Standorte mit einem hohen Nährstoffangebot. Eine grossblättrige, üppige Krautvegetation ist vorherrschend. <!-- klären, woher Urs Tester diese Info hat: -->Dank des grossen Blütenangebots dienen sie vielen Insekten und Kleintieren als Nahrungsquelle.<br />
<br />
'''Nährstoffreiche Feuchtwiesen''' (''Calthion'', Sumpfdotterblumenwiese) <br /><br />
Feuchte Wiesen und Weiden mit üppiger Krautvegetation sind kennzeichnend für die Sumpfdotterblumenwiesen. Typische Standorte umfassen Böden, die im Winter oder bei der Schneeschmelze oft stark vernässt sind, sowie Uferregionen von kleineren Bachläufen. Bevorzugt besiedelt werden fruchtbare, frische Böden.<!-- (weglassen: Obwohl artenärmer als andere Feuchtwiesenlebensräume ist das Calthion in seiner typischen Ausprägung wertvoll und erhaltenswert.) --><br />
<br />
'''Feuchte Hochstaudenflur''' (''Filipendulion'', Spierstaudenflur) <br /><br />
Bei der Spierstaudenflur handelt es sich um Pflanzenbestände aus hochwüchsigen Stauden, die streifenartige Bestände entlang von Bachläufen bzw. Säume entlang von feuchten Wäldern bilden. Sie dehnt sich zudem in nährstoffreichen Feuchtwiesen aus. Durch das dichte Blattwerk der dominanten Arten gelangt nur wenig Licht bis auf den Boden, wodurch kleinwüchsige Kräuter und Gräser meist fehlen. Die dominante Art ist oft die Spierstaude (''Filipendula ulmaria''). Der Boden ist stets durchfeuchtet, aber keiner langanhaltenden Überflutung ausgesetzt und enthält viel organisches Material und Nährstoffe.<br />
<br />
Ausführliche Informationen zu den Pflanzengesellschaften der Flachmoore hat es im [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/handbuch-moorschutz-schweiz.html Moorhandbuch, Kap. 2.2.1 bis 2.2.5]).<br />
<br />
{{Fotos-links-500px<br />
| bilddatei = moore moorschutz S14 de zg.png<br />
| text = Flächenanteile der verschiedenen Vegetationseinheiten an den Hoch- und Flachmooren (Quelle: WSL, Erfolgskontrolle Moorschutz) <br />
}}<br />
<br />
Die nachfolgende Abbildung zeigt die Nutzung der Moore. Die Zahlen datieren ungefähr aus dem Jahr 2000 und basieren auf Stichproben. Die Moorwiesen werden etwa je hälftig gemäht oder beweidet, ca. 15% sind ungenutzt. Bei den basischen Kleinseggenrieden ist ein ähnlicher Anteil ungenutzt und etwas zwei Drittel werden beweidet. Die restlichen 20% werden mehrheitlich gemäht. Bei den sauren Kleinseggenrieden wird etwa ein Drittel gemäht und 15% beweidet, während fast die Hälfte ungenutzt bleibt. Bei den Hochmooren, welche im natürlichen Zustand keine Nutzung benötigen, werden ca. 30% gemäht oder beweidet, ca. 70% sind ungenutzt.<br />
<br />
{{Fotos-links-500px<br />
| bilddatei = moore moorschutz S34 de zg.png<br />
| text = Nutzung der Moore von nationaler Bedeutung nach Vegetationseinheiten (Quelle: WSL, Erfolgskontrolle Moorschutz)<br />
}}<br />
<br />
=== Weitere Lebensräume ===<br />
In den Feuchtgebieten gibt es, neben den oben beschriebenen Flach-, Übergangs- und Hochmooren viele weitere, ökologisch teilweise sehr relevante Lebensräume. In den Hochmooren sind es natürliche oder vom Menschen geschaffene wie Kolke, Rüllen, Lagg, Schwingrasen oder Torfstiche, in den Flachmooren sind es zum Beispiel Kleingewässer, Gräben oder Gehölze. Im [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/handbuch-moorschutz-schweiz.html Moorhandbuch wird in zwei Artikeln ausführlichen auf die Kleingewässer-Typen und ihre Bedeutung für Pflanzen und Tiere eingegangen (Kap. 2.2.8 und 3.3.2)]. Im [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Stillgew%C3%A4sser Artikel zu den Stillgewässern] wird ausführlich auf die Bedeutung, Förderung und den Unterhalt kleiner Gewässer eingegangen.<br />
<br />
== Flora und Fauna ==<br />
<br />
=== Bedeutung der Moore für Flora und Fauna ===<br />
Moore sind für den Artenschutz von grosser Bedeutung. Flachmoore gehören zu den artenreichsten Lebensräumen in Mitteleuropa. In den nördlichen Voralpen leben bis zu 48 verschiedene Arten von Moosen, 128 Blütenpflanzenarten, 28 Tagfalter- und 10 Heuschreckenarten in einem einzigen Flachmoor.<br />
<br />
Der Artikel «Artenvielfalt in Flachmooren der Voralpen» (Pauli D., 2002, Moorhandbuch, Kap. 3.3.4) zeigt auf, wie wichtig für den Artschutz die Grösse, Vernetzung und die Qualität der Moore sind. Die Grösse eines Flachmoors ist dabei der bedeutendste Faktor für die Artenvielfalt von Pflanzen und Insekten, wobei mit zunehmender Grösse vor allem die Zahl der speziell angepassten Arten zunimmt. Wichtig ist auch die Nutzungsvielfalt mit einem Nebeneinander von Mahd und Beweidung. Auf eine gute Vernetzung mit den angrenzenden Flächen sind v. a. die Tagfalter angewiesen. Während die Schmetterlinge niederwüchsige, wenig produktive Standorte benötigen, erreicht die Vielfalt von Heuschrecken in den üppigen, strukturreichen Hochstauden ihre höchsten Werte.<br />
<br />
Sehr ähnlich sind die Erkenntnisse einer 20-jährigen Untersuchung in 18 Mooren der Voralpen auf 800 bis 1400 m ü. M. Es gibt keine substanziellen Unterschiede in den Artenzahlen bei Mahd, bzw. Beweidung, negativen Einfluss hat aber eine zu starke Beweidung. Heuschrecken sind auf beweideten Flächen häufiger, Tagfalter auf gemähten. Es wird ein Mosaik aus Mahd und Beweidung empfohlen. Im Weiteren wird festgehalten, dass die Verbrachung negative Auswirkungen auf die Diversität hat, diese Effekte jedoch meist nach wenigen Jahren umkehrbar sind.<br />
<br />
Gemäss einer Untersuchung von Mitte der 1990er-Jahre sind die Moorlandschaften für ein Viertel der beurteilten Arten der Roten Liste von besonderer Bedeutung, dabei auffallend viele Arten aus den Artengruppen der Vögel, Fische und Rundmäuler und Tagfalter.<br />
<br />
=== Spezielle Bedingungen === <br />
In Mooren, insbesondere in Hochmooren, herrschen durch den hohen Wasserstand, die Nährstoffarmut, die sauren Bedingungen, dem möglichen Vorkommen toxischer Ionen (Fe<sup>2+</sup>, Mn<sup>2+</sup>, S<sup>2-</sup>) und dem huminstoffreichen, braunen Wasser extreme Lebensbedingungen. Entsprechend ist die Artenvielfalt bei Pflanzen und Tieren klein, die Spezialisierung aber gross. Deutlich lebensfreundlicher ist es in den Flachmooren.<br />
Pflanzen haben verschiedene Anpassungen an die unwirtlichen Bedingungen entwickelt<!-- (Quellen: Dierßen, K., Dierßen, B., 2001, Succow & Joosten 2001, Zerbe, Global guidelines for peatland rewetting and restoration)-->:<br />
* Sonnentau (''Drosera ssp.''), Fettblatt (''Pinguicula ssp.''), Wasserschlauch (''Utricularia ssp.'') und Aldrovanda (''Aldrovanda ssp.'') sind Fleischfresser und erschliessen sich mit dem Fang von Tieren Nährstoffe.<br />
* Sauergräser (''Cyperaceen'') haben tiefreichende Rhizome zur Versorgung aus dem Katotelm.<br />
* Cyanobakterien können (an Schlenken-Standorten) Luftstickstoff (N<sub>2</sub>) fixieren. Das machen auch die Mykorrhiza-Pilze, welche mit Erika-Gewächsen (Ericaceen) in Symbiose leben und diese mit Stickstoff versorgen. Schwarzerlen (Alnus glutinosa) werden durch Aktinomyceten mit Stickstoff versorgt.<br />
* Viele Feuchtgebietspflanzen verfügen über die Fähigkeit, Sauerstoff in unterirdische Organe zu transportieren und dann an die Umgebung abzugeben (Schilf (''Phragmites australis''), Rohrkolben (''Typha angustifolia'' und ''T. latifolia''), Sumpfbinse (''Eleocharis ssp.'')). Manche Pflanzen besitzen Aerenchyme (Durchlüftungsgewebe).<br />
* Die typischen Feuchtgebietspflanzen sind an den hohen Feuchtegrad zu Anfang der Vegetationsperiode angepasst. Für die übrigen Arten ist die Frühlingsnässe der entscheidende Stressfaktor.<br />
* Viele Pflanzen haben schwimmfähige Diasporen, Riedwiesensamen sind aber kurzlebig. Sehr viele Riedwiesenpflanzen verbreiten sich vegetativ über Rhizome.<br />
* Auf die Besonderheiten der Torfmoose wird im Kapitel [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Feuchtgebiete#Hoch-_und_.C3.9Cbergangsmoore «Hoch- und Übergangsmoore»] eingegangen.<br />
<br />
=== Artenlisten ===<br />
'''Gilden''' <br /><br />
[https://www.infospecies.ch/de/projekte/%C3%B6kologische-infrastruktur.html#analysis InfoSpecies hat die auf Artvorkommen basierenden Grundlagen für die Planung und Umsetzung] der Ökologischen Infrastruktur durch Bund und Kantone erarbeitet.<br />
<br />
Die Gilden der feuchten Lebensräume (Gilde 5 - Kleine Stillgewässer, Teiche; Gilde 6 - Landröhrichte, Flachmoore, Streuwiesen, Moor-Weidengebüsche; Gilde 7 - Nährstoffreiche Nasswiesen; Gilde 8 – Auenwälder; Gilde 9 - Hochmoore und Zwischenmoore) werden zur Gilde der «Feuchtlebensräume» (G101) zusammengefasst. Diese enthält 1185 Arten aus den Gruppen der Flechten, Moose, Pilze, Gefässpflanzen und Fauna (Vögel, Amphibien, Libellen, Tagfalter, Säugetiere (inkl. Fledermäuse), Käfer, Eintagsfliegen, Köcherfliegen, Steinfliegen, Wildbienen, Muscheln, Heuschrecken). <br />
Diese Listen sind eine umfassende und aktuelle Grundlage der in Feuchtgebieten vorkommenden Arten.<br />
<br />
'''National prioritäre Arten''' <br /><br />
Die [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Allgemeine_Informationen#Arten Liste der National prioritäre Arten] lassen sich nach Lebensräumen filtern.<!-- Die bearbeitete Tabelle (erarbeiten und hochladen) umfasst xxx Arten aus den Artengruppen der xxx --><br />
<br />
'''Verschiedene Listen''' <br /><br />
In verschiedenen Datenbanken lassen sich die Artvorkommen nach Lebensräumen abfragen:<br />
* Die Publikation «Mires and man» (1994), enthält Listen zu Gefässpflanzen, Moosen, Lebermoosen, Flechten, Säugetieren, Vögeln, Amphibien, Reptilien und Invertebraten der Moore.<!-- (Datei hochladen: mires_and_man_381_390_species_list.pdf) --><br />
* [https://www.agroscope.admin.ch/agroscope/de/home/themen/umwelt-ressourcen/biodiversitaet-landschaft/oekologischer-ausgleich/umweltziele-landwirtschaft.html Umweltziele Landwirtschaft (UZL)]: In der Liste der UZL-Arten ist das Vorkommen in Lebensraumtypen (Extensive Wiesen feucht, Extensive Weiden feucht, Streuwiesen/Flachmoor, Wassergräben, Tümpel, Teiche, Hochmoore, Hochstauden, Röhricht, temporäre Gewässer) und Lebensraumgruppen (Gewässer, Hochstauden, Röhricht, Hochmoore, Extensive feuchte Wiesen/Weiden, Streuwiesen) erfasst.<br />
* Die [https://www.agroscope.admin.ch/agroscope/de/home/themen/umwelt-ressourcen/biodiversitaet-landschaft/oekologischer-ausgleich/umweltziele-landwirtschaft.html Flora indicativa] umfasst ökologische und biologische Eigenschaften von rund 5500 Gefässpflanzen-, 600 Moos- und 200 Flechtenarten der Flora der Schweiz und der Alpen. Die zugehörige Datenbank ermöglicht ebenfalls Abfragen zu den Lebensräumen.<br />
* Die [https://www.agroscope.admin.ch/agroscope/de/home/themen/umwelt-ressourcen/biodiversitaet-landschaft/oekologischer-ausgleich/umweltziele-landwirtschaft.html Fauna indicativa] erfasst ökologische Präferenzen und biologische Eigenschaften aller in der Schweiz einheimischer Libellen-, Heuschrecken-, Laufkäfer- und Tagfalterarten.<br />
<br />
=== Pflanzen ===<br />
Zur Moorflora werden 229 Arten gezählt. Seit 1850 haben sich die Anzahl Arten pro Verbreitungsgebiet (gemäss Welten-Sutter-Flächen) von 59 auf 51 Arten reduziert. Der Rückgang ist in der kollinen Stufe am grössten (Abnahme um 20 Prozent), gefolgt von der montanen Stufe (12 Prozent), der subalpinen Stufe (6 Prozent) und der alpinen Stufe (3 Prozent). Auch in den biogeografischen Regionen zeigt sich ein heterogenes Bild mit stärksten Rückgängen im Mittelland. Bei den Lebensraumtypen verzeichnen die Übergangsmoore und Moortümpel die deutlichsten Abnahmen.<br />
<br />
Das [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/handbuch-moorschutz-schweiz.html Moorhandbuch] enthält verschiedene Artikel mit Pflanzenlisten:<br />
* Kap. 2.1.1: Anhang 1, Liste der Gefässpflanzen der Hochmoore; Anhang 2, Liste der Sporen- und Blütenpflanzen der Flachmoore<!-- (Datei hochladen: moorhandbuch_2_1_1_listen_hm_fm_de.pdf; fr: moorhandbuch_2_1_1_listen_hm_fm_fr.pdf) --><br />
* Kap. 2.2.2: Charakteristische Arten der Pfeifengraswiesen<!-- (Bemerkung: keine Datei hochladen und kein Download, sondern Vereis auf Literaturliste) --><br />
* Kap. 2.2.3: Arten der Nasswiesen (''Calthion'') und der Hochstaudenriede (''Filipendulion'')<!-- (Bemerkung: keine Datei hochladen und kein Download, sondern Vereis auf Literaturliste) --><br />
* Kap. 2.2.4: Arten der Kleinseggenriede (''Caricion davallianae'' und ''Caricion fuscae'')<!-- (Bemerkung: keine Datei hochladen und kein Download, sondern Vereis auf Literaturliste) --><br />
* Kap. 2.2.7, Anhang (Inventarblatt): Arten der Hoch- und Übergangsmoore<!-- (Bemerkung: keine Datei hochladen und kein Download, sondern Vereis auf Literaturliste) --><br />
<br />
<!-- Anfrage bei Stefan Eggenberg<br />
{{Fotos-links-500px<br />
| bilddatei = 1 2 Eggenberg Moortagung WSL 20210923 Rueckgang Moorpfl de zg.png<br />
| text = Absoluter Rückgang der Anzahl Moorpflanzenarten in den «Welten-Sutter-Flächen» (Quelle: Vortrag St. Eggenberg, Info Flora an der Moortagung, 23.09.2021)<br />
}}<br />
--><br />
<br />
'''Schilf''' ist eine bedeutende Art der Moore. Einerseits bildet es an den Ufern von Stillgewässern die '''Röhrichte''' (siehe [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Feuchtgebiete#Flachmoore Kap. «Flachmoore»]), andererseits in den Streuwiesen das «'''Landschilf'''». Das Röhricht ist faunistisch von grosser Bedeutung. Viele Kleintiere, wie Gallmücken, Halmfliegen, Schmetterlinge (vor allem aus den Familien der Eulen, Holzbohrer und Zünsler), Blattläusen oder Zikaden nutzen es als Lebens-, Nahrungs- und Überwinterungsraum. Zudem nutzen viele, teilweise sehr seltene, Vogelarten die dichten Schilfbestände. Das «Landschilf» ist zwar in Flach- und Hochmooren oder Nasswiesen, wie auch ältere Vegetationsuntersuchungen belegen, weit verbreitet, es konnte in den vergangenen Jahrzehnten aber auch neue Moore besiedeln oder hat zugenommen. Verschilfte Flächen beinhalten in der Regel mehr schattentolerante Arten, weniger Arten der Roten Liste und weniger moortypische Arten als unverschilfte. Daher ist klar zu unterscheiden zwischen dem ökologisch sehr wertvollen Röhricht und dem problematischen Landschilf.<br />
<br />
Ausgewählte Literatur zum Schilf:<br />
* [[Media:Weber 2013 Maehversuche Verschilfung.pdf|Weber, U., 2013. 16 Jahre Mähversuche gegen die Verschilfung im Naturschutzgebiet Spitzmäder, Oberriet. Ökobüro Hugentobler]] <!-- Dokument hochladen: Okay von U. Weber, 17.10.2022) --><br />
* Staub R. und Güsewell S.: Bedeutung und Pflege des Schilfs. In [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/handbuch-moorschutz-schweiz.html Moorhandbuch 1, Kap. 3.3.3]<br />
<br />
=== Tiere ===<br />
Die Feuchtgebiete sind wichtige Lebensräume für Vögel. Von den 223 Brutvögeln der Schweiz haben 63 ihr Hauptverbreitungsgebiet in Feuchtgebieten oder an Gewässern. Die Vogelarten der Riedgebiete sind stark rückläufig. Die deutlichsten Auswirkungen des Verlusts der grossflächigen Riedgebiete zeigen sich bei den vier Limikolenarten Rotschenkel (''Tringa totanus''), Bekassine (''Gallinago gallinago''), Grosser Brachvogel (''Numenius arquata'') und Kiebitz (''Vanellus vanellus''). Die rezenten Feuchtgebiete sind nicht nur deutlich kleiner, sondern für viele Vogelarten auch qualitativ schlechter geworden aufgrund des Nährstoffeintrags, der fehlenden Nässe und der Zunahme von menschlichen Störungen durch Freizeitaktivitäten. Wegen der Regulierung und durch Pegelabsenkung im Winter und frühen Frühling, wird der höchste Wasserstand später in der Saison erreicht.<br />
<br />
Der Artikel «Entwicklung der Vogelwelt in Feuchtgebieten und an Gewässern» (Keller V., 2018 in Stuber, M. & Bürgi, M., 2018) enthält eine Liste mit allen Feuchtgebietsarten mit Angaben zum Lebensraum, zu Veränderungen seit 1850 und einer Beurteilung.<br />
<br />
Zu einem späteren Zeitpunkt werden zu weiteren faunistischen Artengruppen Informationen aufgeschaltet.<br />
<br />
== Mensch und Moor (Menschliche Einflüsse auf die Moore) ==<br />
Der Mensch wirkt schon seit Jahrtausenden auf Moore ein. Bereits zu römischen Zeiten begann die Trockenlegung von Feuchtgebieten und erreichte zwischen 1850 und 1890 im Mittelland und zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg im Jura und in den Voralpen ihren Höhepunkt.<br />
<br />
Das Wirken des Menschen war und ist mannigfaltig, sowohl im Moor selber als auch im Einzugsgebiet: Entwässerung, Nährstoffeintrag, (grossflächige) Grundwasserabsenkungen, Infrastrukturbauten, Nährstoffeinträge über die Luft, unsachgemässer Unterhalt oder Pflege, etc.<br />
<br />
Die Auswirkungen auf die Moore reichen von gering bis zu irreversibler Zerstörung. Zur Beurteilung des Einflusses wurde (in Deutschland) das System der Hemerobie- oder Naturnähestufe entwickelt, welches das Ausmass menschlicher Eingriffe in Bezug auf Vegetation und Standorteigenschaften kennzeichnet. Indikatoren sind Nährstoffhaushalt, Wasserhaushalt und Flora/Vegetation. Die Zuordnung zu einer Hemerobiestufe erfolgt nach dem Minimumprinzip, d.h. die jeweils naturfernste („schlechteste“) Ausprägung eines der Indikatoren entscheidet über die Gesamteinstufung.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Bayern Niedermoorrenaturierung Leitfaden S101 zg.png<br />
| text = Hemerobiestufen von Mooren (Quelle: [https://www.bestellen.bayern.de/application/applstarter?APPL=eshop&DIR=eshop&ACTIONxSETVAL(artdtl.htm,APGxNODENR:34,AARTxNR:lfu_nat_00098,AARTxNODENR:283362,USERxBODYURL:artdtl.htm,KATALOG:StMUG,AKATxNAME:StMUG,ALLE:x)=X Leitfaden der Niedermoorrenaturierung in Bayern, Wagner A. und I. (2005)])<br />
}}<br />
<br />
Flachmoore, die zur Streugewinnung angelegt worden und von Gräben durchzogen sind, sowie einmal jährlich genutzt werden, gehören zum kulturbetonten, primäre Hochmoore zum naturnahen Hemerobiegrad.<br />
<br />
Der Einfluss des menschlichen Wirkens auf die Moore hat unterschiedliche Auswirkungen auf die drei Indikatoren Nährstoffhaushalt, Wasserhaushalt und Flora/Vegetation. Bereits ab Hemerobiegrad «kulturbetont» findet kaum oder keine Torfbildung mehr statt. Bei stärkerer anthropogenen Überprägung finden im Moor sehr starke, oft nicht reversible Veränderungsprozesse statt. <br />
<br />
Entwässerungen haben weitreichende Veränderungen der bodenphysikalischen Kennwerte des Moorbodens zur Folge. Der Luftanteil, der Feststoffanteil und die Bodenfestigkeit nehmen zu, die Mächtigkeit des Moorkörpers, der Porenanteil, die gesättigte Wasserleitfähigkeit, die Speicherfähigkeit für pflanzenverfügbares Wasser und die Benetzbarkeit nehmen ab. Als Folge davon sinkt der Wasserstand ab, der Torf trocknet oberflächlich aus und mineralisiert, d. h. durch den Luftzutritt werden die Pflanzenreste des Torfs durch Mikroorganismen abgebaut und die Nährstoffe freigesetzt. Das Moor, das bisher eine CO2-Senke war, wird zur CO2-Quelle. Bei ackerbaulicher Nutzung von Torfmooren gehen jährlich etwa zwei Zentimeter Torf verlustig, bei Grünland etwa die Hälfte. <br />
<br />
Veränderungen der abiotischen Funktionen Nährstoff- und Wasserhaushalt wiederum haben auch Veränderungen der Lebensraumfunktionen zur Folge.<br />
<br />
In der angegeben Literatur wird ausführlich auf die Auswirkungen von Entwässerungen auf die Bodeneigenschaften und Funktionen eingegangen.<br />
<br />
= Erhalt und Förderung =<br />
In diesem Kapitel wird darauf eingegangen, wie Moore durch '''optimierte Pflege''' erhalten, wie sie durch '''Renaturierungen''' gefördert und wie durch '''Massnahmen im Einzugsgebiet''' die Bedingungen verbessert werden können. <!-- Weitere Aspekte sind der '''Grabenunterhalt''' und die '''Förderung ausgewählter Artengruppen'''. --><br />
<br />
== Grundsätze ==<br />
Die Moore sind in der Schweiz so stark zurückgegangen, dass der '''Erhalt der noch vorhanden Moore''' oberste Priorität geniessen muss ('''Flächensicherung'''). Wichtig ist dabei die gesamtheitliche Betrachtung (Einzugsgebiet, Moortyp, Boden, Nährstoffeinflüsse, Nutzungen, etc.) mit entsprechenden Massnahmen, wie z. B. die '''Ausscheidung von Pufferzonen''' und '''Gewässerräumen''', der Rückbau starker Eingriffe in den Wasserhaushalt oder die moorverträgliche Trinkwassernutzung.<br />
<br />
Die Moore sollen '''optimal gepflegt''' und bei Bedarf '''renaturiert''' werden. Das gilt insbesondere auch für Intensivnutzungen über Torf ('''moorschonende Nutzung''')<!-- interne Links auf PPF, ev. weitere Kapitel setzen, wenn vorhanden -->. Die beiden international renommierten Moorfachleute Succow und Joosten äussern sich dazu unmissverständlich: «Saat-Grasland und Ackernutzung auf Torfstandorten müssen der Vergangenheit angehören.» Sie bemerken, dass die Nutzung die Tragfähigkeit der Ökosysteme nicht überfordern oder gar zerstören darf. Nutzungsformen, die diesen Prinzipien widersprechen, seien zukünftig nicht mehr zu akzeptieren. <!-- Hier ev. Hinweis zum Flächenbedarf aus Guntern et al. 2013 (analog Grünland) --><br />
<br />
Zur Erhaltung der Moore sollen '''ihre Geschichte und der Zustand ausreichend bekannt sein, Ziele gesetzt und daraus die Massnahmen abgeleitet werden'''. <!-- In den Kap. <span style="background:yellow"> Renaturierungen und Grundlagen/Leitbilder und Entwicklungsziele (am Schluss verlinken und richtige Kapitel-Namen setzen) </span> wird auf entsprechende Unterlagen und Vorgehensweisen eingegangen.--><br />
<br />
== Optimale Bewirtschaftung ==<br />
=== Einleitung ===<br />
Die meisten Moore der Schweiz werden gemäht oder beweidet (siehe [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Feuchtgebiete#Flachmoore Kap. «Flachmoore»]). Mit Ausnahme natürlicher Hochmoore ist eine Nutzung notwendig, da die meisten Moore der traditionellen, regelmässigen Nutzung entstammen. Eine Nutzungsaufgabe würde letztendlich zur Ausbildung eines Gebüsch- oder Waldbestands führen<!-- ev. Links auf #Vorentwässerung, #Prozessschutz vs. Habitattradition, #Entbuschung)-->.<br />
Es können folgende Nutzungstypen unterschieden werden:<br />
* Regelmässige, jährliche Mahd im Herbst<br />
* Regelmässige zweimalige Mahd pro Jahr, im Sommer und Herbst (nährstoffreichere Feuchtwiesen)<br />
* Mahd alle paar Jahre<br />
* Unregelmässiges Mähen im Herbst/Winter (Ried-Rotationsbrache) <br />
* Beweiden<br />
* Kontrollierte Brache bis Sukzession (auf diese selten angewendete Nutzungsform wird weiter unten eingegangen) <br />
* Keine Nutzung<br />
<br />
Bis in die 1970er-Jahre wurden Streuwiesen kleinflächig und zu verschiedenen Zeitpunkten im Spätsommer bis Herbst gemäht, wobei in einzelnen Jahren auch kleinere Flächen ungemäht blieben . In den 1990er Jahren wurden die Schnitttermine von Streuwiesen einheitlich auf den 1. September festgelegt. Dabei wurde zu wenig Rücksicht genommen auf viele Tier- und Pflanzenarten. Die Mahd in der ersten Septemberhälfte ist für viele zahlreiche Kleintierarten zu früh, weil sie zu diesem Zeitpunkt ihre Eiablagephase / Entwicklung noch nicht abgeschlossen haben.<br />
<br />
=== Fauna-freundliche Mahd ===<br />
Im [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Faunafreundliche.2C_schonende_Mahd_und_Ernte Grünland-Artikel wird ausführlich auf die Wirkung der Mahd auf die Fauna eingegangen].<br />
<br />
=== Pflegepläne erarbeiten ===<br />
Die Art und Weise der Bewirtschaftung und Nutzung hat unterschiedliche Wirkungen auf die Vegetationszusammensetzung und auf das Vorkommen von Tieren. Um die Moore optimal zu nutzen, sollen '''Pflegepläne''', für die Alpbetriebe '''alpwirtschaftliche Gesamtplanungen''' erarbeitet werden. Dadurch soll die '''Bewirtschaftung auf die Ziellebensräume und -arten ausgerichtet werden'''. In den letzten Jahrzehnten sind solche für viele Naturschutzgebiete erarbeitet worden und das Wissen dazu ist entsprechend gross. Wir möchten uns daher darauf beschränken, auf die zu berücksichtigenden Aspekte hinzuweisen: <br />
* '''Mahdzeitpunkte''': Riedwiesen werden traditionell im Herbst, die nährstoffreicheren Feuchtwiesen im (Spät-)Sommer gemäht. Wir möchten dazu auf die detaillierten Angaben in den Pflegegrundsätzen (siehe unten) und auf die Tabelle mit Schnittzeitpunkten verweisen.<br />
* '''Beweidung''': Relevante Aspekte sind u. a. die '''Bestossungsdichte''', die Koppelung, Zaunführung und das Auszäunen heikler Moore (Hochmoore und sehr nassen oder trittempfindlichen Bereiche von Flachmooren). Das[https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/handbuch-moorschutz-schweiz.html Moorhandbuch] enthält dazu mehrere (auch wenn schon einige Jahre alt) informative Artikel: Kapitel 2.1.2 «Minimalpflege von Mooren in Hochlagen», Kapitel 2.1.3 «Bewirtschaftung und Pflege verschiedener Pflanzengesellschaften der Flachmoore», Kapitel 2.1.4 «Grundsätze zur Bewirtschaftung und Pflege von Flachmooren in Hochlagen», Kapitel 2.2.1 «Moorschutz in schwach erschlossenen Gebieten – Schutzkonzept Weissenberge», Kapitel 3.1.1 «Zur Beweidung von Hoch- und Flachmooren», Kapitel 3.1.2 «Moorschutz in Gebieten mit alpwirtschaftlicher Nutzung», Kapitel 3.1.3 «Grundsätze für Weideführung, Stallhaltung und Düngung», Kapitel 3.2.1 «Fallbeispiel Grosses Moos (Schwändital, GL)». <br />
* '''Differenzierte Pflege''' (Gestaffelter Schnitt, Nutzungsmosaike, etc.): siehe Pflegegrundsätze <br />
* '''Keine Pflege''': siehe unten<br />
* '''Rotationsbrache''': siehe unten<br />
* '''Strukturen schaffe'''n: das Vorhandensein von Ast- und Holzhaufen, Gehölzgruppen, Gräben, kleinen Böschungen und Säumen erhöht die Biodiversität. Sie sollen am Rand oder ausserhalb der Moorvegetation angelegt werden. Ausführliche Informationen dazu finden Sie im [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Stillgew%C3%A4sserArtikel «Kleinstrukturen»].<br />
<br />
'''Rotationsbrache''' <br /><br />
Seit einigen Jahren wird bei der herbstlichen Mahd häufig ein Anteil von 5-10% der Riedwiesen als Brache stehen gelassen. Informationen dazu liefern der Bericht [[Media:Gigon Rocker 2010 Rotationsbrachen Insekten.pdf|«Praxisorientierte Empfehlung für die Erhaltung der Insekten- und Pflanzenvielfalt mit Ried-Rotationsbrachen»]] und die [https://www.zh.ch/de/umwelt-tiere/naturschutz/naturschutzgebiete.html Pflegegrundsätze (S. 18f.; siehe nachfolgendes Kapitel)]. In Rotationsbrachen ist auf Neophyten (z. B. Goldruten (''Solidago ssp.'')) und Problemarten (z. B. Schilf (''Phragmites australis''), Knotenbinse (''Juncus subnodulosus'')) zu achten (Regioflora führt eine [https://www.regioflora.ch/de/assets/content/pdf/Problemarten_D_online.pdf Liste von potenziell problematischen Arten im Grünland, darunter auch Feuchtgebietsarten]).<br />
<br />
'''Pflegegrundsätze''' <br /><br />
Der Kanton Zürich hat [https://www.zh.ch/de/umwelt-tiere/naturschutz/naturschutzgebiete.html Pflegegrundsätze erarbeitet (Bericht sowie umfangreiche Artenliste mit Angaben zu den Ansprüchen von Arten)]. Diese umfassen die ökologisch wertvollen Lebensraumtypen des Grünlands. Das Dokument thematisiert wiederkehrende Pflegemassnahmen (nicht eingegangen wird auf in grösseren Abständen (> 3 Jahre) stattfindende Unterhaltsarbeiten und die Beweidung). Die beiden Hauptkapitel handeln allgemeingültige und lebensraumspezifische Pflegegrundsätze (Kap. 3) sowie artenspezifische Pflegegrundsätze (Kap. 4) ab. Auch wenn sich der Bericht auf den Kanton Zürich bezieht, hat er für die kolline und (sub-)montane Stufe des östlichen Mittellands Gültigkeit. Die vorgeschlagenen Schnittzeitpunkte können wohl für das ganze Mittelland angewendet werden.<br />
<br />
'''Kontrollierte Brache bis Sukzession''' <br /><br />
Wagner&Wagner (2005) schlagen langjährige Brachen als Voraussetzung der Etablierung/Ausbreitung mahdempfindlicher Zielarten vor. Von den von ihnen genannten Zielarten (Niedrige Birke (''Betula humilis''), Kammfarn (''Dryopteris cristata''), Heidelbeerblättrige Weide (''Salix myrtilloides'')) kommt in der Schweiz der Kammfarn selten vor, die beiden anderen Arten sind bei uns äusserst selten. Nichtsdestotrotz sind langjährige Brachen eine Möglichkeit der Erhöhung der Strukturvielfalt in gemähten Riedwiesen. In Frage kommen einerseits nur langsam verbuschende Pflanzenbestände (z. B. Hochstaudenriede) oder andererseits artenarme Bestände, welche statt jährlich gemäht in einem Turnus von 5 bis 10 Jahren entbuscht werden. <br />
<br />
'''Keine Pflege''' <br /><br />
Natürliche Hochmoore, nasse Grossseggenriede und nährstoffarme, schwach wüchsige Flachmoore in der alpinen Stufe benötigen keine Pflege. <br />
<br />
'''Zielkonflikte''' <br /><br />
Bei der Erarbeitung eines Pflegeplans wird man wegen der unterschiedlichen Ansprüche von Arten unweigerlich auf Zielkonflikte stossen. Die oben aufgeführten Aspekte bieten Optionen, damit umzugehen, um eine möglichst grosse Artenvielfalt zu ermöglichen.<br />
<br />
Die Bestimmungen des Bundes für die Bewirtschaftung von Streueflächen (http://www.bff-spb.ch/de/biodiversitaetsfoerderflaechen/wiesen-und-weiden/streueflaechen/) sind zu lasch und entsprechen nicht den nach aktuellen wissenschaftlichen Kenntnissen zur Förderung der Biodiversität der Feuchtgebiete (die Kantone machen teilweise weitergehende Auflagen):<br />
* Es gibt keine Differenzierung des Schnitttermins (generell ab 1. September möglich)<br />
* Ein Verbot des Mähaufbereiters gilt nur für QII<br />
* Rückzugsstreifen (Brachen) sind nur fakultativ<br />
* Maschinen mit Rotationsmähwerk sind erlaubt<br />
* Es muss keine Mindestschnitthöhe eingehalten werden.<br />
<br />
=== Problempflanzen ===<br />
Dieses Kapitel wird laufend mit Informationen zu weiteren Arten ergänzt.<br />
<br />
'''Schilf''' <br /><br />
Das [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Feuchtgebiete#Pflanzen «Landschilf»] ist in den Riedwiesen ist bei zu starkem Aufkommen ein Proble. 1997 wurden im Flachmoor Spitzmäder, Kanton St.Gallen, [[Media:Weber_2013_Maehversuche_Verschilfung.pdf|Mähversuche zur Eindämmung der Verschilfung]] gestartet. Der bisherige Septemberschnitt (Kontrolle) wurde mit zwei Frühschnitttypen verglichen (jährliche Zusatzmahd im Juli sowie Zusatzmahd nur jedes zweite Jahr). In den Jahren 1997 bis 2001, 2006 und 2012 erfolgten Vegetationsaufnahmen und Verschilfungsmessungen. Die Verschilfung reagierte schon ab dem zweiten Versuchsjahr auf die Frühschnitte und verringerte sich bis 2012 um rund 60% (jährlicher Julischnitt) bzw. 20% (Julischnitt alle zwei Jahre). Auf den Kontrollflächen stieg die Verschilfung im selben Zeitraum fast auf das Dreifache. Aufgrund der Versuche wird ein alternierender Schnitt empfohlen (Zusatzmahd im Juli in jedem zweiten Jahr).<br />
<br />
Knotenbinse''' (''Juncus subnodulosus'') <br /><br />
Die Knotenbinse macht sich zunehmend in Flachmooren auf Kosten anderer moortypischer Arten breit. Betroffen sind auch wertvolle Pflanzenbestände wie etwa das Kleinseggenried. Die Ursachen für diese neue Entwicklung sind nur unzulänglich bekannt. Denkbar sind Verbrachungsprozesse (Bosshard et al. 1988), Bodenverdichtung (vgl. beweidungsbedingte Zunahme bei Quinger et al. 1995) und Nährstoffanreicherung (Quinger et al. 1995). Das Handbuch Moorschutz empfiehlt einen regelmässigen Schnitt.<br />
<br />
== Renaturierungen ==<br />
=== Einleitung ===<br />
Die Renaturierung von Mooren ist ein weites Feld. Von kleineren Aufwertungsmassnahmen bis zu grossflächigen Regenerationen gibt es eine breite Palette von Fördermassnahmen. '''Renaturierung''' wird i. d. R. als Oberbegriff verwendet und steht für die Überführung von gestörten Ökosystemen in einen naturnäheren Zustand. Mit '''Regeneration''' meint man die Rückführung in den natürlichen Zustand. Von '''Revitalisierung'' wird dann gesprochen, wenn es um die biologischen Funktionen in einem Moor geht. Eine Renaturierung ist in der Regel kurzfristig möglich, Regenerationen hingegen brauchen Zeit.<br />
<br />
In den vergangenen Jahrzehnten sind in der Schweiz und in den Nachbarländern viele Renaturierungsprojekte umgesetzt worden. In Deutschland hat man dabei vor allem Torfmoore vernässt (Hoch- und Niedermoore), in der Schweiz hauptsächlich Hochmoore und nur selten Flachmoore.<br />
<br />
In diesem Kapitel wird auf den Planungs- und Umsetzungsablauf von Wiedervernässungsprojekten und auf die Massnahmen eingegangen. Da es zur Renaturierung von Mooren umfangreiche Unterlagen gibt, enthält es viele Verweise.<br />
<br />
=== Planung und Umsetzung ===<br />
Auslöser und auch Hauptproblem in beeinträchtigten Mooren ist der zu tiefe Wasserstand. Um ein Moor erfolgreich zu renaturieren, braucht es '''genügend und sauberes Wasser'''. Eine Regeneration durchläuft verschiedene Prozessschritte. Diese sind, je nach Gebiet, unterschiedlich tief und aufwändig zu bearbeiten:<br />
* Übergeordnete Planung<br />
* Ist-Zustand und Abklärungen<br />
* Projektierung<br />
* Umsetzung/Bau<br />
* Erfolgskontrolle<br />
<br />
Es lohnt sich, mit einer '''übergeordneten Planung''' über einen grösseren Raum, z. B. einen Kanton, eine Prioritätenliste zu erstellen. Es sollen die Gebiete bezeichnet werden, für welche die grössten Erfolgsaussichten für Renaturierungsmassnahmen bestehen. Kriterien können z. B. Besonderheit, Realisierbarkeit, Dringlichkeit und Gefährdung oder Effizienz sein.<br />
<br />
'''Ist-Zustand und Abklärungen''' sind im «Leitfaden der Niedermoorrenaturierung in Bayern» (Wagner et al. 2005) ausführlich beschrieben. Besonders empfehlenswert ist das Kapitel «Leitbilder und Entwicklungsziele». Dabei geht es u. a. um die Frage, ob ein Gebiet in ein naturnahes oder in ein kulturbetontes Moor (extensive Streunutzung) entwickelt werden soll (vgl. Kap. [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Feuchtgebiete#Mensch_und_Moor_.28Menschliche_Einfl.C3.BCsse_auf_die_Moore.29 «Mensch und Moor»]).<br />
<br />
Bei der '''Projektierung''' geht es darum, die wesentlichen Parameter zu erfassen. Die Wahl der geeigneten '''Massnahmen''' ist für jedes Gebiet individuell festzulegen. Sie sollen solid und langlebig sein. Im Kapitel [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Feuchtgebiete#Massnahmentypen «Massnahmentypen» ] wird auf die verschiedenen Möglichkeiten eingegangen.<br />
<br />
Die '''ideale Zeit für den Bau ist zwischen August und Oktober''', weil dann die Böden am trockensten, Tiere aber noch mobil sind, um ausweichen zu können. Es soll mit adäquaten Maschinen gearbeitet, d. h. geringer Bodendruck (Bagger mit breiten Raupen, auf Baggermatratzen arbeiten) und geeignete Grösse des Baggers, je nach Arbeiten und Situation vom Kleinbagger (1-1.5 t) bis zu sehr grossen Geräten (20-25 t). Die Arbeiten sollen mit den Ausführenden besprochen und gut begleitet werden.<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = FNS 2009 Praxishilfe Regeneration Hochmoore zg.png<br />
| text = Prozessschritte bei einem Renaturierungsprojekt (Quelle: [[Media:FNS 2009 Praxishilfe Regeneration Hochmoore.pdf|Praxishilfe zur Regeneration von Hochmooren im Kanton Zürich (2009))]]. Auf die einzelnen Prozessschritte wird in der Praxishilfe im Detail eingegangen.<br />
}}<br />
<br />
Literatur mit Ausführungen zum Projektablauf (nicht abschliessend):<br />
* Wagner, A., Wagner, I., Hrsg.: Bayerisches Landesamt für Umweltschutz, 2003. Leitfaden der Niedermoorrenaturierung in Bayern.<br />
* pluspunkt, Naturplan, quadra, 2009. Praxishilfe zur Regeneration von Hochmooren im Kanton Zürich (Merkblatt).<br />
* Grosvernier, Ph., Staubli, P., 2009. Regeneration von Hochmooren. Grundlagen und technische Massnahmen, Umwelt-Vollzug Nr. 0918. Bundesamt für Umwelt, Bern.<br />
* Bayerisches Landesamt für Umweltschutz (Hrsg.), 2002. Leitfaden der Hochmoorrenaturierung in Bayern für Fachbehörden, Naturschutzorganisationen und Planer.<br />
* Convention on Wetlands., 2021. Global guidelines for peatland rewetting and restoration, Ramsar Technical Report No. 11. Gland, Switzerland: Secretariat of the Convention on Wetlands.<br />
<br />
Die [https://www.pulsbern.ch/torfboerse.html '''Torfbörse'''] ist eine Plattform, welche als Aushubmaterial anfallenden Torf an Regenerationsprojekte in Hochmooren vermittelt. Melden Sie sich dort, wenn Sie Torf benötigen oder anzubieten haben.<br />
<br />
== Moortypen ==<br />
Aufgrund der Entwicklung unterscheidet man acht verschiedene hydrogenetische Moortypen, die sich für Renaturierungen verschieden gut eignen und bei denen unterschiedlich herangegangen werden muss. Bei all diesen Moortypen handelt es sich um Torfmoore. Mineralische Moore oder Anmoore mit geringmächtiger organischer Schicht sind hier nicht behandelt.<br />
<br />
Besonders günstige Bedingungen für Renaturierungen bieten nicht geneigte, nährstoffarm-saure und eutrophe Moore, die nur wenig degradiert sind <!--(Stufe «gering bis mittel»: was hatte ich damit gemeint?)-->, mit lokalem Auftreten der (torfbildenden) Schlüsselarten. Mesotrophe, basen- und kalkreiche Moore (vor allem Durchströmungs- und Quellmoore), die meist geneigt und von einem Grundwasserzustrom sowie von Durchströmung oder Überrieselung des Torfkörpers abhängig sind, sind hingegen nur schwer regenerierbar. Moore lassen sich nicht immer nur einem Moortyp zuordnen, da es im Laufe der Entstehungsgeschichte unterschiedliche Phasen gegeben haben kann. Bei Mooren mit einer (natürlichen) Hangneigung ist bei Renaturierungsmassnahmen eine der grösseren Herausforderungen, dass sie einen weitreichenden Effekt haben.<br />
<br />
=== Verlandungsmoore ===<br />
Die Verlandungsmoore entstehen an den Ufern von Seen und Weiher. An meso- (bis oligo-)trophen Seen mit relativ geringer Produktivität ist der Verlandungsbereich artenreich mit seltenen Arten wie Rohrdommel, Sumpfhuhnarten, Weihen, Rohrsängern, Bartmeisen und Schwirlen. Eine der wichtigsten Massnahmen sind Seesanierungsmassnahmen zur Reduktion der Nährstoffgehalte, je nachdem eine Erhöhung des Wasserspiegels. Landseitig soll das Moor aus dem Einzugsgebiet nicht mit nährstoffreichem Wasser versorgt werden (siehe Kap. [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Feuchtgebiete#Wassereinzugsgebiet «Wassereinzugsgebiet»]).<br />
<br />
=== Versumpfungsmoore ===<br />
Dieser Moortyp, der in Mitteleuropa mindestens ein Viertel der Moore ausmacht, entsteht durch eine Erhöhung des Grundwasserspiegels (z. B. aufgrund von Klima- oder Landnutzungsänderung (Rodung) oder der Verringerung des Wasserabflusses). Sie zeigen einen jahreszeitlichen Wechsel von Überstau und Austrocknung. Sie weisen meist nur geringmächtige und meist stark zersetze Torfschichten auf, die leicht entwässerbar sind. Primäres Ziel der Renaturierung von Versumpfungsmooren ist die Wiederherstellung einer phasenhaften Überstauungsdynamik durch Anhebung des Grund- bzw. Förderung der Stauwasserzuflüsse sowie das Rückgängigmachen der künstlichen Moorentwässerung. Sie sind einfach wiederherstellbar.<br />
<br />
=== Überflutungsmoore ===<br />
Überflutungsmoore sind typisch für Auengebiete. Entscheidend für Auen-Moorbildungen ist ansteigendes Grundwasser in flussferneren Auenbereichen, verursacht durch die Erhöhung des Flussbettes. Der Boden weist mineralische Zwischenschichten auf. Auen-Überflutungsmoore tragen zumeist eine eutraphente Vegetation aus Grossseggenrieden, Röhrichten, Auen- und Bruchwäldern. Durch die starken Eingriffe in die Gewässer sind viele Überflutungsmoore zerstört worden. Sie zu reaktivieren bedingt Gewässerrevitalisierungen.<br />
<br />
=== Kesselmoore ===<br />
Kesselmoore sind meist klein mit einem geringen Einzugsgebiet. Die Torfmächtigkeit kann grösser als 10 m sein. Der natürliche Wasserstand ist dynamisch mit mehrjährigen Nässe- und Trockenphasen und einem korrespondierenden periodischen Aufwachsen und Absterben von Gehölzen. Kesselmoore lassen sich relativ einfach renaturieren durch die Förderung des Wasserzulaufs, die Rückhaltung von Wasserabflüssen und Niederschlägen und die Minimalisierung von Nährstoffeinträgen.<br />
<br />
=== Hangmoore ===<br />
Bei diesem Typ handelt es sich um flächige Hangvermoorungen durch Hangwasserzufuhr («geogen»). Die Torfe sind in der Regel geringmächtig. Bei reichlich Niederschlag entstehen die «ombro-soligenen» Moore <!-- nicht erwähnen: mit von konkav zu konvex wechselndem Querschnitt-->mit schliesslich rein ombrogenen Mooren. Hangabwärts hagert das Moor zunehmend aus<!--falls erwähnt: Link auf Filter-Funktion des Torfs-->. Natürlicherweise handelt es sich bei Hangmooren um Erlen- oder Birken- und Fichtenbruchwälder. Offene Hangmoore sind meist aufgrund von Mahd und extensiver Weidenutzung entstanden.<br />
<br />
Bei der Renaturierung steht die Instandstellung des Überrieselungs-Wasserregimes im Fokus. Im Bereich der Wasserzufuhr soll es einen wassergefüllten Randsumpf geben, von dem aus das Moor überrieselt wird. Entwässerungseinrichtungen und -gräben sollen verschlossen und je nachdem soll die Nutzung angepasst werden.<br />
<br />
=== Durchströmungsmoore ===<br />
Durchströmungsmoore entstanden vorwiegend in den Talsystemen der Urstromtäler mit permanenter Grundwasserspeisung. Die oberflächennahen, lockeren Torfschichten werden durchströmt mit einem Wachstum der Torfe von bis zu 10 m. Bei gleichmässigem Wasserangebot treten kaum Wasserstandsschwankungen und eine nur geringer Torfzersetzung auf.<br />
<br />
Durchströmungsmoore sind schwierig renaturierbar, weil sich der Torf durch die menschlichen Eingriffe verändert hat mit stark reduzierter Durchlässigkeit, Sackung, etc. Eine Renaturierung muss daher meist einer Überrieselung beginnen, damit sich darauf braunmoosreiche Seggenriede entwickeln können. Entwässerungsgräben sollen verschlossen und der Wasserstand angehoben werden. Das Buch «Landschaftsökologische Moorkunde» (2001) enthält in den Kapiteln 9.3.2 und 9.3.7 ausführliche Beschreibungen zu Durchströmungsmooren.<br />
<br />
=== Quellmoore ===<br />
Quellmoore entwickeln sich bei permanenten Grundwasseraustrittsstellen. Bei genügend langsamer Strömung des Quellwassers findet Torfbildung statt. <!-- Vorläufig weglassen: Die Torfe enthalten silikatische Bestandteile (überwiegend Schluff) sowie Fällungsprodukte.-->Die Torfmächtigkeiten sind oft gross. Bei der Vegetation handelt es sich um Erlenwälder oder Grossseggenriede, Braunmoos-, Seggen- oder Kopfbinsenriede oder um Zwischenmoore.<br />
<br />
Renaturierungen sind meist schwierig wegen a) Hangneigung und Relief, b) Entwässerungen durch Gräben und Torfstiche, c) oft unbekannter Grösse des unterirdischen Einzugsgebiets und d) Veränderungen der Porosität des Torfs. Zur Renaturierung braucht es genügend Wasserspeisung, den Rückbau aller hydrologischen Eingriffe, ev. die Aktivierung der Quelltätigkeit und bei starker Veränderung der oberen Torfschichten, einen Oberbodenabtrag.<br />
<br />
=== Hochmoore (Regenmoore) ===<br />
Die wesentlichen Eigenschaften der Hochmoore sind die ausschliessliche Regenwasserspeisung (wobei es möglich ist, dass ein Hochmoor durch Grundwasser gestützt wird) und saure und mineral- und nährstoffarme Bedingungen. Hochmoore können nur in Gebieten mit einer positiven Wasserbilanz vorkommen, was in der regenreichen Schweiz mehrheitlich zutrifft. Eine weitere Eigenschaft ist das Vorkommen von [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Feuchtgebiete#Akrotelm_und_Katotelm Akro- und Katotelm]. Nur wenige Torfmoosarten können ein funktionierendes Akrotelm aufbauen. <!-- vorläufig nicht veröffentlichen: «Ökosystem-Ingenieure»: S. magellanicum, S. papillosum, s. imbricatum, S. fuscum, S. rubellum. --><br />
<br />
Hochmoore sind durch verschiedene menschliche Eingriffe, allen voran Torfabbau und Entwässerungen, meist stark beeinträchtigt. Viele sind in den vergangenen Jahrzehnten renaturiert worden, entsprechend gross sind die Erfahrungen für entsprechende Massnahmen. Sehr oft präsentiert sich die Situation wegen der starken Eingriffe aber komplex (z. B. sehr starke Reliefierungen, Mineral- und Nährstoffeinflüsse von aussen, viele Gräben, etc.). Bei Massnahmen geht es in der Regel darum, die Regeneration einzuleiten in Richtung eines sich selbstregulierenden Systems und die Akrotelmbildung zu begünstigen. Das Vorkommen der torfbildenden Torfmoose ist dabei ein wichtiger Indikator.<br />
<br />
== Massnahmentypen ==<br />
Die (vermutlich) am häufigsten angewendeten Massnahmen zur Renaturierung von Feuchtgebieten sind Grabenverfüllung und -einstau. In flachem Gelände sind Totalverfüllungen nicht notwendig (im Gegenteil: hinter dem Einstau entstehen ökologisch wertvolle Kleingewässer (siehe Stillgewässerartikel oder Kapitel Prö)). '''Ab einem Gefälle von 1 bis 2 Prozent sollen Gräben vollständig verfüllt werden'''. Je nach Situation ist das aber schwierig umsetzbar (Materialbeschaffung und Transport, grosser Aufwand, viele Fahrten erforderlich).<br />
<br />
Bei einigen Moortypen ist das Durchströmen von Wasser durch den Torfkörper charakteristisch. Lange, dichtende, quer zur Fliessrichtung liegende Massnahmen sollen in solchen Mooren möglichst vermieden werden. Je nachdem ist es aber die einzige Möglichkeit, den Wasserstand anzuheben.<br />
<br />
Massnahmen sollen '''langlebig''' und stets '''gut gegen Erosion geschützt''' sein (siehe separates Kapitel). Für Massnahmen relevant ist die Eigenschaft von '''Torf, dass er nie ganz dicht ist'''.<br />
<br />
Es wäre wichtig, die Erfahrungen mit den verschiedenen Massnahmen und deren Vor- und Nachteile zusammenzutragen. Zu Rundholzdämmen gibt es Untersuchungen (siehe «Regeneration von Hochmooren», 2009, S. 54), zu den anderen Techniken und Materialien gibt es vermutlich zwar einige, aber zerstreut vorliegende Erfolgskontrollen.<br />
<br />
=== Grabenverfüllung, Graben Teilverfüllung ===<br />
Die Verfüllung ist die effektivste Methode, um den Wasserspiegel wiederherzustellen, bedingt aber viel Material. An Material werden vor allem Torf und Sägemehl verwendet. In «Practical peatland restoration» sind weitere Materialen, z. B. Strohballen aufgeführt. Je nach Situation genügt eine teilweise Verfüllung.<br />
<br />
Die Anforderungen ans Material und zu beachtende Punkte:<br />
* Nährstoffarm und höchstens mässig durchlässig (maximal so durchlässig wie der umgebende Torf)<br />
* Torf: verdichten, bei der Torfberechnung den Schwund miteinberechnen (Sägemehl schwindet nicht)<br />
* In genügenden Abständen Dämme einbauen, damit das Anheben des Wasserstands garantiert ist.<br />
* Erosion verhindern (mit Vegetation zudecken, wo solche fehlt mit Fasermatten)<br />
<br />
Verfüllungen mit Torf sind ungeeignet in sehr nassen (Untergrund ist dann meist zu weich) oder zu trockenen Gebieten (Mineralisation des Torfes), bei zu starker Neigung (Erosionsgefahr) und bei sehr breiten Gräben wegen des Bedarfs grosser Mengen. Wenn der Torf vor Ort entnommen wird, muss darauf geachtet werden, dass keine hydrologischen Schwächezonen geschaffen werden. Das Verfüllen von Gräben ist in [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/regeneration-von-hochmooren.html «Regeneration von Hochmooren» (2009) ausführlich beschrieben (Kap. 3.3.2 und 3.3.3)]. Der Kanton Neuenburg benutzt zum Verfüllen eine [[Media:SFFN 2016 regen marais technique sciure.pdf|Mischung aus Sägemehl und Häcksel]].<br />
<br />
=== Grabeneinstau ===<br />
Im Gegensatz zur Grabenverfüllung werden Gräben punktuell verschlossen. Man kann unterscheiden zwischen a) '''Grabenanstau''' (nicht bis zur Bodenoberfläche), b) '''Grabeneinsta'''u (bis zur Bodenoberfläche) und c) '''Grabenüberstau''' mit seitlichem Wegfliessen des Wassers über die Grabenschultern. Solche punktuellen Grabenverschlüsse sollen dicht sein und gut gegen Erosion gesichert sein, da sich überschüssiges Wasser bei der Massnahme sammelt.<br />
<br />
Als Material kommen Holzplatten, Holzspundwände, Metallplatten oder Kunststoffwände in Frage. Holz muss zum Schutz vor Verwitterung geschützt werden (Torfüberdeckung). In Feuchtgebieten mit geringer oder fehlender Torfauflage kann auch Lehm verwendet werden.<br />
<br />
Wenn stärker geneigte Gräben kaskadenmässig verschlossen werden, dann soll der Höhenunterschied zwischen den Massnahmen 10 bis 25 cm betragen, höchstens aber 50 cm .<br />
Das Verfüllen von Gräben ist in [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/regeneration-von-hochmooren.html «Regeneration von Hochmooren» (2009)] ausführlich beschrieben (Kap. 3.3.4).<br />
<br />
{{Fotos-links-500px<br />
| bilddatei = Juchmoos Grabeneinstau KZirfasse 96 dpi.JPEG<br />
| text = Ein alle ca. 10 m mit Holzspundwänden eingestauter Graben mit <!--xx% -->Gefälle. Eine Vollverfüllung war nicht möglich wegen zu geringer Torfmächtigkeit zur Entnahme von Torf vor Ort, bzw. unverhältnismässigem Aufwand zum Zuführen.<br />
}}<br />
<br />
=== Dämme ===<br />
Dämme (Sperren, Deiche) überragen die Umgebung mit dem Ziel, Wasser zurückzuhalten. Dämme müssen solid gebaut sein, das überschüssige Wasser muss gezielt und vor Erosion gesichert abgeführt werden. Für den Bau von Dämmen kommen Holzspundwände, Kunststoffwände oder Lehmdämme in Frage. Sie sollen mit geeignetem Material überdeckt werden. Wenn Torf verwendet wird, dann muss mit einer Sackung von 20 bis 25 cm gerechnet werden. Von reinen Torfdämmen ist, auch wenn in der Literatur öfters erwähnt, abzuraten, weil diese nicht dicht und erosionsanfällig sind.<br />
<br />
=== Wasserregulierung ===<br />
Zahlreiche Hochmoore sind hinter Moränenwällen entstanden. Viele wurden entwässert, indem die natürlichen Abflusshindernisse durchstochen wurden . In solchen Fällen kann mit einer Reguliervorrichtung der Wasserstand sukzessive, der Entwicklung des Gebiets angepasst, angehoben werden. Beispiele von Reguliervorrichtungen sind Schächte, Holzkästen, Wehre oder Mönche.<br />
<br />
Die Publikation [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/regeneration-von-hochmooren.html «Regeneration von Hochmooren» (2009)] enthält ausführliche Informationen zu Holzkästen (Kap. 3.3.5) und zu Schächten (Kap. 3.3.6).<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = Stillgewaesser_Galerie20.png<br />
| text = Einbau eines vorgefertigten Mönchs.Links oben: Seit langem bestehendes Rohr durch die Moräne, links unten: Der Grundablass und die Reguliermöglichkeit durch Holzbretter, die eingesetzt werden können, sind erkennbar. Über den Mönch kann der Wasserstand von 25 Hektaren Moorfläche reguliert werden.<br />
}}<br />
<br />
=== Erosionsschutz ===<br />
So simpel es auch klingen mag: Wasser arbeitet ständig. Die Bauwerke müssen entsprechend gegen Erosion gesichert sein. Als Massnahmen kommen in Frage (keine abschliessend Aufzählung):<br />
* Genügend breit und tief eingebaute Massnahmen<br />
* Seitlich und nach unten (Auskolkungsgefahr) gut gesicherte Überläufe: Die Seiten und die Sohle z. B. mit Holz gut sichern.<br />
* Zudecken nackter Torfflächen mit Fasermatten<br />
<br />
=== Vegetationslenkende Massnahmen ===<br />
Die Etablierung von Feuchtgebiets- oder torfbildender Vegetation ist, nach der Verbesserung der Hydrologie, der zweitwichtigste Faktor einer Regeneration . Nackte Torfflächen sollen bepflanzt werden, weil sie bis 70° C heiss werden können und eine spontane Besiedlung deshalb fast ausgeschlossen ist. <br />
Das Bepflanzung ist in [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/regeneration-von-hochmooren.html «Regeneration von Hochmooren» (2009)] ausführlich beschrieben (Kap. 2). Neben der dort beschriebenen aufwändigen Methoden kann das Vegetationswachstum, je nach Situation, auch mit Mahdgutübertragung gefördert werden (siehe [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Mahdgut.C3.BCbertragung Grünlandartikel]).<br />
<br />
= Literatur =<br />
* Antoniazza, M., Clerc, C., Le Nédic, C., Sattler, T., Lavanchy, G., 2018. Long-term effects of rotational wetland mowing on breeding birds: evidence from a 30-year experiment. Biodiversity and Conservation 27, 749–763.<br />
* Bamann, T., 2016. Der Goldene Scheckenfalter (Euphydryas aurinia) im Artenschutzprogramm des Landes Baden‐Württemberg (Präsentation).<br />
* Baumann, A., Fetz, R., Leiser, M., Meier, W., 2002. Aktuelle Beiträge zum Moorentwicklungskonzept Bayern. Bayerisches Landesamt für Umweltschutz, Augsburg.<br />
* Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege ANL (Hrsg.), 2003. Moorrenaturierung - Praxis und Erfolgskontrolle: Tagungsband der beiden Fachtagungen “Moorrenaturierungspraxis - Echte Chance oder nur Kosmetik ?” am 3./4. Mai in Rosenheim und “Erfolgskontrollen im Naturschutz: Moore” am 21./22. November 2002 in Rosenheim, Laufener Seminarbeiträge. Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege ANL, Laufen/Salzach.<br />
* Bayerisches Landesamt für Umweltschutz (Hrsg.), 1992. Auswirkungen maschineller Grabenräumung auf den Naturhaushalt: Seminar am 24. November 1992 in Wackersdorf. LfU, München.<br />
* Bayerisches Landesamt für Umweltschutz (Hrsg.), 2002. Leitfaden der Hochmoorrenaturierung in Bayern für Fachbehörden, Naturschutzorganisationen und Planer.<br />
* Benoît Bressoud, Bundesamt für Umwelt (BAFU), Broggi + Hubeli + Reith + Ryser Büro für Siedlungs- und Umweltplanung, 1992a. Handbuch Moorschutz in der Schweiz: Fallbeispiele - Band 2. Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft, Bern.<br />
* Benoît Bressoud, Bundesamt für Umwelt (BAFU), Broggi + Hubeli + Reith + Ryser Büro für Siedlungs- und Umweltplanung, 1992b. Handbuch Moorschutz in der Schweiz: Grundlagen - Band 1. Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft, Bern.<br />
* Bettschart, A., Klötzli, F., 1978. Frauenwinkel - Altmatt - Lauerzersee: geobotanische, ornithologische und entomologische Studien, Berichte der Schwyzerischen Naturforschenden Gesellschaft. Einsiedeln, Einsiedeln.<br />
* Bodenkundliche Gesellschaft der Schweiz, 1996a. Bestimmungsschlüssel (BGS / 1996), Unterscheidung nach den hierarchischen Klassifikationskriterien.<br />
* Bodenkundliche Gesellschaft der Schweiz, 1996b. Schlüssel zur Klassifikation der Bodentypen der Schweiz.<br />
* Bodenkundliche Gesellschaft der Schweiz, 2010. Klassifikation der Böden der Schweiz: Profiluntersuchung, Klassifikationssystem, Definitionen der Begriffe, Anwendungsbeispiele, 3. Auflage. ed. BGS.<br />
* Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL), Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL), 2002. Moore und Moorschutz in der Schweiz. Bern.<br />
* Convention on Wetlands., 2021a. Practical peatland restoration, Briefing Note No. 11. Gland, Switzerland: Secretariat of the Convention on Wetlands.<br />
* Convention on Wetlands., 2021b. Global guidelines for peatland rewetting and restoration, Ramsar Technical Report No. 11. Gland, Switzerland: Secretariat of the Convention on Wetlands.<br />
* Deutschland / Bundesministerium für Umwelt, N. und N.S. [Herausgeber/in] (Ed.), 2021. Nationale Moorschutzstrategie.<br />
* Dierßen, K., Dierßen, B., 2001. Moore, Ökosysteme Mitteleuropas aus geobotanischer Sicht. Ulmer, Stuttgart.<br />
* Gigon, A., Rocker, S., 2010. Praxisorientierte Empfehlung für die Erhaltung der Insekten- und Pflanzenvielfalt mit Ried-Rotationsbrachen (Merkblatt No. ART 721). Agroscope Reckenholz-Tänikon ART.<br />
* Göttlich Karlhans (Hrsg.), 1990. Moor- und Torfkunde, 3. vollständig überarbeitete, ergänzte und erweiterte Aufl. ed. ESchweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart.<br />
* Grosvernier, Ph., Staubli, P., 2009. Regeneration von Hochmooren. Grundlagen und technische Massnahmen, Umwelt-Vollzug Nr. 0918. Bundesamt für Umwelt, Bern.<br />
* Grünig, A., Vetterli, L., Wildi, O., 1986. Die Hoch- und Übergangsmoore der Schweiz (Bericht No. 281). Eidg. Anstalt für das forstliche Versuchswesen.<br />
* Grünig, A.Peter., 1994. Mires and man : mire conservation in a densely populated country - the Swiss experience : excursion guide and symposium proceedings of the 5th Field Symposium of the International Mire Conservation Group (IMCG) to Switzerland 1992. Swiss Federal Institute for Forest, Snow and Landscape Research.<br />
* Guntern, J., Lachat, T., Daniela, P., Fischer, M., 2013. Flächenbedarf für die Erhaltung der Biodiversität und der Ökosystemleistungen in der Schweiz. Forum Biodiversität Schweiz, Akademie der Naturwissenschaften (SCNAT), Bern.<br />
* Haab, R., Jutz, X., 2003. Konsequenzen aus ersten Hochmoor-Regenerationsprojekten im Kanton Zürich. Konzeption und Umsetzung eines kantonalen Regerations-Programmes. Bayerische Akademie für Naturschutz und Landespflege S. 63-87.<br />
* Haab, R., Jutz, X., 2004. Das Hochmoor-Regenerationsprogramm im Kanton Zürich. Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich Jg. 149, S. 105-115.<br />
* Innovationsprojekt “Umgang mit drainierten Böden” (Hrsg.), 2019. Moorböden - kostbar und unersetzlich.<br />
* Klötzli, F., 1969. Die Grundwasserbeziehungen der Streu- und Moorwiesen im nördlichen Schweizer Mittelland, Beiträge zur geobotanischen Landesaufnahme der Schweiz. Huber, Bern.<br />
* Klötzli, F., Grootjans, A.P., 2001. Restoration of Natural and Semi-Natural Wetland Systems in Central Europe: Progress and Predictability of Developments. REC Restoration Ecology 9, 209–219.<br />
* Kollmann, 2019. Renaturierungsökologie. Springer Berlin Heidelberg.<br />
* Kratz, R., Pfadenhauer, J., 2001. Ökosystemmanagement für Niedermoore: Strategien und Verfahren zur Renaturierung. Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart.<br />
* Küchler, M., 2018. Moore der Schweiz: Zustand, Entwicklung, Regeneration, Bristol-Schriftenreihe. Haupt Verlag, Bern, © 2018.<br />
* Luthardt, V., Meier-Uhlher, R., Schulz, C., Succow, M., Hrsg.: HNE Eberswalde, 2011. Steckbriefe Moorsubstrate. Sauer Druck und Werbung, Berlin.<br />
* Peintinger, M., Schniepper, M., Züger, M., Küchler, M., Bergamini, A., 2022. Mahdregime in Flachmooren und ihre Auswirkungen auf Flora und Fauna: eine Literaturübersicht und -auswertung.<br />
* Pfadenhauer, J., 1999. Leitlinien für die Renaturierung süddeutscher Moore. Natur und Landschaft 74, S. 18-29.<br />
* Schumann, M., Joosten, H., 2008. Global peatland restoration manual.<br />
* SFFN, 2016. Les tourbières du canton de Neuchâtel, Techniques de régénération mélange copeaux/sciure. Départment du développment territorial et l’environnement, canton de Neuchâtel.<br />
* Siuda, C., 2013. Vegetationsstrukturtypen in Moorflächen und analoge Moor- /Grundwasserspiegelstände.<br />
* Sliva, J., Marzelli, M., Pfadenhauer, J., 2000. Renaturierung von landwirtschaftlich genutzten Niedermooren und abgetorften Hochmooren / Projektbearb.: Jan Sliva et al. ; Hrsg. : Bayerisches Landesamt für Umweltschutz. Bayerisches Landesamt für Umweltschutz, München.<br />
* Stuber, M., Bürgi, M., 2018. Vom “eroberten Land” zum Renaturierungsprojekt. Geschichte der Feuchtgebiete in der Schweiz seit 1700, Zürich, Bristol-Stiftung. Haupt, Bern.<br />
* Succow, M., Joosten, H., 2001. Landschaftsökologische Moorkunde, 2., völlig neu bearb. Aufl. ed. E. Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart.<br />
* Wagner, A., Wagner, I., Hrsg.: Bayerisches Landesamt für Umweltschutz, 2003. Leitfaden der Niedermoorrenaturierung in Bayern.<br />
* Wagner, Alfred., Wagner, Ingrid., Hrsg.: Bayerisches Landesamt für Umweltschutz, 2005. Leitfaden der Niedermoorrenaturierung in Bayern. Augsburg.<br />
* Walser, M., 2021a. Comprendre la diversité et les fonctions des sols forestiers en Suisse, Notice pour le praticien / Institut fédéral de recherches WSL 68. Institut fédéral de recherches WSL, Birmensdorf.<br />
* Walser, M., 2021b. Den Waldboden verstehen: Vielfalt und Funktion der Waldböden in der Schweiz, Merkblatt für die Praxis / Eidgenössische Forschungsanstalt WSL 68. Eidg. Forschungsanstalt WSL, Birmensdorf.<br />
* Weber, U., 2013. 16 Jahre Mähversuche gegen die Verschilfung im Naturschutzgebiet Spitzmäder, Oberriet. Ökobüro Hugentobler.<br />
* Zerbe, S., Wiegleb, G., 2009. Renaturierung von Ökosystemen in Mitteleuropa. Spektrum, Heidelberg.<br />
* Zirfass, K., Christine Huovinen, Peter Bolligerf, 2016. Feldbotanik. SVS Lehrgang, 4. Aufl. ed. Schweizer Vogelschutz SVS/BirdLife Schweiz.</div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Gr%C3%BCnland/Grundlagen&diff=4727
Grünland/Grundlagen
2023-03-12T14:37:02Z
<p>VB2: </p>
<hr />
<div>[[fr:Milieux prairiaux/Informations de base]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Fromentalwiese ABosshard zg 96 dpi.JPG<br />
| text = Die Fromentalwiesen sind innerhalb weniger Jahrzehnte weitestgehend verschwunden.<br />
}}<br />
<br />
=Sukzession und Bedeutung des Grünlands=<br />
Mit wenigen Ausnahmen ist Grünland keine natürliche Vegetation - bleibt eine Nutzung aus, folgt der Verlauf der meisten Grünland-Lebensraumtypen der natürlichen Sukzession. Maag et al. (2001) zeigen die verschiedenen Sukzessionsverläufe für unterschiedliche Standorte. Dabei hat jede Stufe der Sukzession beispielsweise eines Trockenrasens bis hin zum Wald ihren ökologischen Wert; die Artenvielfalt kann durch ein Nebeneinander verschiedener Sukzessionsstadien erhöht werden (Diacon et al. 2011). Die unterschiedlichen Stadien der Verbrachung und Verbuschung weisen willkommene Rückzugsgebiete und Nahrungsreservoirs für Reptilien, Spinnen und viele Insekten dar. Insbesondere jüngere Brachen können floristisch und faunistisch äusserst wertvoll sein; langfristig ist dagegen die Artenvielfalt in Dauerbrachen gefährdet (Dipner & Volkart 2010). <br />
<!-- Abbildung weglassen, weil nicht in guter Qualität zur Verfügung; Alternative: Foto einwachsender Wiese. In der folgenden Abbildung sind die Phasen der Verbuschung nicht mehr bewirtschafteter Halbtrockenrasen dargestellt (Quelle: Briemle et al. 1993):--><br />
<br />
Die Bedeutung des Grünlandes ist vielfältig und eine grosse Bandbreite von allgemeinen, nicht nur an das Grünland gebundene Ökosystemleistungen sind auch mit diesen Lebensräumen verbunden, wie produktive Erzeugnisse, genetische Ressourcen von Futterpflanzen, Bestäubungsleistungen, Erosionsvermeidung, kulturelle Leistungen, Speicherung von Kohlenstoff (Guntern et al. 2013). Ebenfalls relevant sind die mit dem Grünland verbundenen ästhetisch-landschaftlichen Aspekte bspw. im Hinblick auf die touristische Nutzung oder die Erholungsfunktion. Aus landwirtschaftlicher Sicht ist die Bedeutung des Grünlandes als Stätte der Futterproduktion zentral. Entsprechend sind Wiesen und Weiden für die landwirtschaftliche Nutzung im Laufe der vergangenen Jahrzehnte „optimiert“ worden. Beispielsweise stellen die Hochleistungsrassen in der Milchwirtschaft hohe Ansprüche an den Futterwert des Grünlandes: im jüngeren Aufwuchs ist der Rohfasergehalt niedriger und die Anteile an Rohprotein und Mineralstoffen höher. Entsprechend sind der Energiegehalt und die Verdaulichkeit des Futters besser. Damit sind die Anforderungen der Hochleistungsmilchwirtschaft mit dem Erhalt des artenreichen Grünlands nicht vereinbar (Gerowitt et al. 2011); landwirtschaftlich intensiv genutzte Wiesen haben kaum einen ökologischen Wert verglichen mit artenreichem Grünland.<br />
<br />
=Typologie des Grünlands=<br />
Je nachdem, worauf der Fokus liegt, kann das Grünland in Unterkategorien aufgeteilt werden; man kann vegetationskundliche, ökologische oder auch futterbauliche Kriterien anwenden.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Haber de zg.png<br />
| text = Haber (2014) gliedert das Grünland i.w.S. wie oben dargestellt (Abbildung leicht verändert).<br />
}}<br />
<br />
Dietl & Grünig (in Oppermann & Gujer 2003, S. 60) gliedern die artenreichen (Mäh-)Wiesen der Schweiz nach Wasser- und Nährstoffhaushalt in 19 Wiesentypen auf. Ihre tabellarische Übersicht zeigt für die jeweiligen Wiesentypen kennzeichnende Artengruppen und -kombinationen. Für den gedüngten Bereich wurde die obengenannte Systematik weiterentwickelt und [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie#Lebensr.C3.A4ume_des_Gr.C3.BCnlands Bosshard (2016) unterscheidet in der Folge für das gedüngte Wiesland neun Typen].<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = bosshard Genese de.png<br />
| text = Genese und Höhenverbreitung der gedüngten Wiesentypen. <br/> Quelle: Bosshard, A., 2016. Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas. Mit besonderer Berücksichtigung der Fromentalwiesen und des standortgemässen Futterbaus, Bristol-Schriftenreihe Band 50. Haupt Verlag, Bern. © Andreas Bosshard<br />
}}<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* Vereinfachter dichotomer Bestimmungsschlüssel zur Identifikation von Fromental- und Goldhaferwiesen in Bosshard (2016, S. 188).<br />
* [http://www.agraroekologie.ch/SchluesselGeduengteNaturwiesen.xls Bestimmungsschlüssel für die Wiesentypen des gedüngten Naturwieslands der Schweiz]<br />
* [https://ira.agroscope.ch/de-CH/publication/46127 Bestimmungsschlüssel für Lebensräume der offenen Kulturlandschaft] (Buholzer et al. 2015)<br />
* Die [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/kartierung-und-bewertung-trockenwiesen.html Kartier- und Bewertungsmethode zur Erarbeitung des Inventars der Trockenwiesen und -weiden] ist im Technischen Bericht ausgeführt (Eggenberg et al. 2001)<br />
* [https://www.infoflora.ch/de/lebensraeume/typoch/4-grnland-naturrasen-wiesen-und-weiden.html Klassifikation der Grünlandlebensräume nach Delarze et al. (2015)]<br />
<br />
=Zustand und Entwicklung des Grünlands in der Schweiz=<br />
==Entstehung von Grünland==<br />
Grünland ist in Mitteleuropa vor 8000 Jahren durch Waldrodung zur Ackernutzung entstanden. Die anschliessend nicht mehr für den Ackerbau genutzten Flächen begrünten sich und wurden als Viehweiden genutzt. Wo Wiesland in prähistorischer Zeit vorkam, ist weitgehend ungewiss und wird in Bosshard (2016) kurz ausgeführt.<br />
<br />
Kapfer (2010a, 2010b) und Bosshard (2016) beleuchten die Entstehungsgeschichte und die historische Wies- und Weidelandnutzung und stellen sie in Vergleich mit heutigen Nutzungsformen: Während vieler hundert Jahre war das Wiesland in das Produktionssystem der auf Getreidebau ausgerichteten Dreizelgenwirtschaft ausgerichtet. Der Heu- und Emdschnitt führte zusammen mit den geringen Mistgaben (rund um den Hof herum) und der historisch üblichen Frühjahrsvorweide (Etzen) zu einer langfristigen Ausmagerung der Böden mit entsprechenden Folgen für die Vegetation. Reine Mähwiesen haben sich grossflächig erst im 19. Jahrhundert entwickelt, vorher waren alle Wiesen auch beweidet (Frühjahrs- oder Herbstweide). Nach dem Etzen erfolgte der Heuschnitt später und die Wiesenpflanzen konnten ihre individuelle Entwicklung bis zur Samenreife und dem Ausstreuen der Samen vollständig abschliessen. Die heutige erste Hauptnutzung auf den Mager- und Fromentalwiesen beim Heuschnitt entsprach historisch der zweiten Nutzung. Früher orientierte man sich für den Beginn und das Ende bestimmter Bewirtschaftungsgänge an Heiligen-Tagen. Diese Orientierungszeitpunkte wurden jedoch je nach Jahresverlauf bspw. für den Mahdbeginn auch flexibel gehandhabt. Die Ernte einzelner Flächen erstreckte sich über mehrere Wochen hinweg. Das Heu der Schnittwiesen wurde auf der Fläche getrocknet, wodurch eine erfolgreiche generative Vermehrung gefördert wurde (Poschlod 2011). Im Laufe der Zeit führten neue Ernteverfahren, Bewässerungsmassnahmen und neu auch die phänologischen Veränderungen aufgrund des Klimawandels zu einem früheren ersten Schnitt von Wiesen (Guntern et al. 2013).<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Bewirtschaftungsschemata Kapfer zg 96 dpi.jpg<br />
| text = Bewirtschaftungsschema der drei wichtigsten Wiesentypen der alten Dreizelgenwirtschaft. Quelle: Kapfer, A. (2010): Beitrag zur Geschichte des Grünlands Mitteleuropas im Hinblick auf den Arten- und Biotopschutz. Darstellung im Kontext der landwirtschaftlichen Bodennutzungssysteme. In: Naturschutz und Landschaftsplanung 42 (5), S. 133–140.<br />
}}<br />
<br />
<br /><br />
<table border="0", style="font-size:108%"> <br />
<tr> <br />
<td> '''Die ökologischen Auswirkungen und die Anwendung des Etzens (Frühjahrsvorweide) (Quelle: Bosshard 2015b)''' <br /> Etzen war bis ins 18./19. Jh. die übliche erste Nutzung von Mähwiesen. Heute wird die Vorweide dagegen vor allem im Berggebiet in den intensiver genutzten Wiesentypen noch regelmässig praktiziert. Etzen bewirkt langfristig einen Nährstoffentzug, die Wüchsigkeit einer Wiese wird vermindert und dadurch, dass kurzfristig Licht in den Bestand eingebracht wird, werden empfindlichere Pflanzen artenreicher Wiesen gefördert. Die längere bewirtschaftungsfreie Phase zwischen der Frühjahrsweide und dem nächsten Nutzungszeitpunkt durch Mahd führt zu einem deutlich schmackhafteren, gehaltvolleren (da eiweissreicheren) Heuaufwuchs, so dass Etzen auch aus futterbaulicher und wirtschaftlicher Sicht von Interesse sein dürfte. <br />
Das kurze, schonende Überweiden einer Wiese im Frühjahr führt zu einem strukturierteren Pflanzenbestand, einem längerdauernden Blütenangebot und einem späteren Heuschnitt und gewisse Tierarten (Tagfalter, Heuschrecken und wiesenbrütende Vogelarten) können davon profitieren (SHL 2008). Aus praktischen Gründen (logistischer Aufwand) kommt das Etzen nur für eine Minderheit von Grünlandflächen überhaupt in Frage und ist für BFF-Flächen bspw. im Rahmen von Vernetzungsprojekten realisierbar, sofern die kantonalen Vernetzungsrichtlinien dies vorsehen und begründen.</td> <br />
</tr> <br />
</table><br />
<br /><br />
<br />
Unter diesem historischen Blickwinkel ist die Entstehung der Artenvielfalt in Wiesen zu betrachten (Poschlod 2011): Die Artenzusammensetzung der Flachlandmähwiesen, wie sie sich in der heutigen Form präsentiert, ist wahrscheinlich erst etwa 300 Jahre alt; der namengebende Glatthafer (''Arrhenatherum elatius'') wurde erst Anfang des 18. Jahrhunderts eingeführt (d.h. ein durch Auswahl-Zucht verbesserter Ökotyp aus Südfrankreich). Möglicherweise ist die namengebende Art der Berg-Mähwiesen, der Goldhafer (''Trisetum flavescens'') ebenfalls erst zu dieser Zeit eingeführt worden. Fast alle Pflanzenarten des Wieslandes scheinen aus der autochthonen Flora zu stammen (bspw. aus lichten Stellen von Wäldern, aus Schotterflächen der Auen, aus den Randregionen der Hochmoore etc.). Verschiedene Futterpflanzen des Wieslandes sind (gezielt oder unabsichtlich) eingeführt worden und schon früh begann der Mensch, mit gezielten Einsaaten den Ertrag zu steigern.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Bewirtschaftungstypen Kapfer zg 1280 768.png<br />
| text = Übersicht zur Genese der Bewirtschaftungstypen des Grünlands Mitteleuropas. Quelle: Kapfer, A. (2010): Beitrag zur Geschichte des Grünlands Mitteleuropas im Hinblick auf den Arten- und Biotopschutz. Darstellung im Kontext der landwirtschaftlichen Bodennutzungssysteme. In: Naturschutz und Landschaftsplanung 42 (5), S. 133–140.<br />
}}<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* Zusammenfassende Betrachtungen und nähere Ausführungen zur Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des Grünlands liefern Kapfer (2010a, 2010b), [https://pudi.lubw.de/detailseite/-/publication/90005 Poschlod (2011)] und Bosshard (2016).<br />
* Auch das [http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D13861.php Historische Lexikon der Schweiz] bietet zu verschiedenen Themen (Düngung, Futtermittel, Bewässerung, Wiesen, Weiden) informative Artikel.<br />
<br />
==Quantitativer und qualitativer Zustand und deren Veränderung==<br />
Das Grünland hat sich mit den technischen Möglichkeiten in der Landwirtschaft (Mechanisierung, Düngereinsatz) und den Flurbereinigungen der letzten Jahrzehnte stark verändert worden und verändert sich immer noch.<br />
<br />
Die [[Media:Tabelle Grünland Auszug Flächenbedarf.pdf|Tabelle]] gibt einen Überblick über die Ausdehnung und quantitative Veränderung der Schweizer Grünlandlebensräume. Quelle: «Guntern et al. (2013): Flächenbedarf für die Erhaltung der Biodiversität und der Ökosystemleistungen in der Schweiz», S. 96. Weitere Grünflächen befinden sich im Siedlungsgebiet.<br/><br />
<small>LN = Landwirtschaftliche Nutzfläche, SöG = Sömmerungsgebiet, BFF = Biodiversitätsförderfläche</small> <br />
{| class="wikitable" <br />
|-<br />
! style="width: 25%"| Lebensraum<br />
! style="width: 10%"| Zeit<br />
!colspan="2"|Ausdehnung [ha]<br />
! style="width: 25%"| Bemerkung, Quelle<br />
|- style="vertical-align:top;"<br />
| Wiesen und Weiden auf der LN (ohne SöG, Kunstwiesen) davon:<br/>- Extensiv genutzte BFF-Wiesen <br/>- Wenig intensiv genutzte BFF-Wiesen<br />
| 2011<br />
|colspan="2"|610’732 <br/><br/><br/>66‘056 <br/>22‘919<br />
| (BLW 2012) <br/>Wobei mit Qualität gemäss ÖQV: <br/>- Weiden, Waldweiden: 5'384 ha <br/>- Wiesen (inkl. Streuflächen): 28'864 ha<br />
|-<br />
| Sömmerungsgebiet <sup>1</sup> (SöG)<br />
| 2011<br />
|colspan="2"|505'385 (12% der CH)<br />
| Gemäss (Walter et al. 2013)<br />
|-<br />
|rowspan="2"|Trockenwiesen und –weiden (TWW)<br />
| 1900<br />
|colspan="2"|760‘000 (bis 900‘000)<br />
| (Eggenberg et al. 2001; Lachat et al. 2010b), Flächenverlust von 90-99% von TWW in den Regionen und 95% in der Schweiz. <sup>2</sup><br />
|-<br />
| 2010<br />
|colspan="2"|37‘011<br />
| <br />
|- style="vertical-align:top;"<br />
| Potenziell wertvolles Grasland auf der LN oder im SöG (ohne TWW, Moore Modell basierend auf der Steigung und der Höhe über Meer an den Fundorten von UZL-Ziel- und Leitarten.<br />
| 2012 <br/>Total: <br/>TZ: <br/>HZ: <br/>BZI: <br/>BZII: <br/>BZII: <br/>BZIV: <br/>SöG:<br />
| style="width: 20%"| [ha] <br/>231’688 <br/>3797 <br/>354 <br/>2'023 <br/>6943 <br/>9223 <br/>10'984 <br/>198'364<br />
| style="width: 20%"| [%] <br/> <br/>0.78 <br/>0.25 <br/>1.71 <br/>4.52 <br/>11.06 <br/>22.72 <br/>39.25<br />
| (Walter et al. 2013) <br/> <br/>TZ = Talzone <br/>HZ = Hügelzone <br/>BZ = Bergzone <br/> <br/>Grünland macht nahezu 100% des SöG sowie der LN in den BZIV und BZIII aus.<br />
|-<br />
|rowspan="2"|Fromentalwiesen auf der LN<br />
| 1950<br />
|colspan="2"|Abgesehen von TWW, Dauerweiden, Streuwiesen, Äckern nahezu alles<br />
| (Bosshard & Stähli 2012): genauere Angaben in Erarbeitung für Schlussbericht der laufenden Studie.<br />
|-<br />
| 2011<br />
|colspan="2"|3-8%<br />
| (Bosshard & Stähli 2012), wobei davon ca. 20% mit der Artenzusammensetzung von intensiv genutzten Fromentalwiesen der 1950er Jahre und max. 5% mit guter Qualität (pers. Mitteilung A. Bosshard) <br/>-> Rückgang von vermutlich > 90% und nahezu 100% für artenreiche Bestände (Bosshard 1998)<br />
|}<br />
<small><br />
<sup>1</sup> Gemäss Arealstatistik nahm die Alpwirtschaftliche Nutzfläche von 1979/85 bis 1992/97 von 555'662 um 3.2 % auf 537'802 ha ab. Ein weiterer Rückgang wurde bis 2004/09 festgestellt.<br />
</small> <br/><br />
<small><br />
<sup>2</sup> Schätzungsweise weitere Abnahme von 25-30% zw. 1995-2005 (Leibundgut 2007 zitiert in Graf & Korner 2011). Grössenordnungen in diesem Bereich sind im Wallis und Engadin durch Fallstudien bestätigt.<br />
</small><br />
<br />
<br/><br />
Ein Vergleich mit der Grünland-Situation in Deutschland zeigt: Ein mit der Schweiz (Tieflagen) vergleichbarer Anteil von rund 13% der Gesamtfläche (CH 14.7%) wird als landwirtschaftliches Grünland genutzt, der Grossteil davon ebenfalls intensiv (Boch et al. 2016).<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = Nutzung LN BFS 2018 96 dpi.png<br />
| text = Wie sich die landwirtschaftliche Nutzfläche der Schweiz auf die verschiedenen Nutzungstypen aufteilt. Quelle: BFS 2018, Die Schweiz in 21 Infografiken.<br />
}}<br />
<br />
Im Zeitraum von 1990 bis 2009 hat sich die Grünlandfläche in Deutschland um 875‘000 ha verringert. Zwischen 2003 und 2012 betrug der absolute Verlust des Dauergrünlands ca. 5%. In der Schweiz machen Landwirtschafts- und Alpwirtschaftsflächen zusammen mehr als einen Drittel der Gesamtfläche aus; zwischen 1985 und 2009 sind 85‘000 ha davon verlorengegangen, was der Grösse des Kantons Jura entspricht (BFS 2018). Die Fromentalwiesen, bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts der häufigste und zugleich produktivste Wiesentyp auf den guten Böden der tieferen Lagen Mitteleuropas, sind innerhalb weniger Jahrzehnte weitestgehend verschwunden. Damit einher ging eine qualitative Verschlechterung: ein Vergleich zwischen 1950 und 2009 zeigt, dass die damalig «intensiv» genutzten Wiesen in der Regel QII-Qualität hatten, heute hingegen in den noch vorhandenen Fromental-Vergleichswiesen nur noch ein Drittel diese Qualitätsanforderung erreicht («Fromentalwiesenprojekt», Bosshard 2016). Unter den besonders wertvollen Lebensräumen ging die Fläche der Trockenwiesen und -weiden zwischen 1900 und 2010 um 95% zurück.<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = TWW Zuerich Umweltbericht zg.png<br />
| text = Abnahme artenreicher Wiesen im Kanton Zürich. Quelle: Baudirektion Kanton Zürich (2008), Umweltbericht 2008.<br />
}}<br />
<br />
Im Schweizer Berggebiet nahm die Entwicklung des Futterbaus und der Wiesen und Weiden einen anderen Weg als im Mittelland: Erschwernislagen (steile oder schlecht erschlossene, meist mit vielen Kleinstrukturen durchsetzte Flächen) wurden zunehmend in Weiden umgenutzt oder ganz aus der Nutzung entlassen und ein Grossteil davon ist in der Folge verbuscht und verwaldet. Insgesamt hat die Waldfläche in den vergangenen 150 Jahren auf Kosten von Wiesen- und Weideflächen je nach Region um 30-100% zugenommen. Heute liegt der überwiegende Teil des artenreichen Wieslandes der Schweiz in solchen Erschwernislagen ab Bergzone I; besonders hoch ist dieser Anteil im Sömmerungsgebiet. Allerdings nehmen diese Flächen sowohl durch Nutzungsaufgabe als auch durch Intensivierung laufend ab (Bosshard 2016).<br />
<br />
Der Anteil BFF mit Qualitätsstufe II steigt stetig an; das Ziel eines 40%-Anteils wurde 2017 erstmals erreicht. Der Anteil im Talgebiet ist mit 28% jedoch immer noch tief (BLW 2018). Seit 2014 werden ebenfalls Beiträge für artenreiche Grün- und Streueflächen im Sömmerungsgebiet ausgerichtet; der Anteil dieser Flächen mit Qualitätsstufe II betrug 2017 217‘496 ha.<br />
<br />
{| class="wikitable" <br />
|- <br />
|colspan="5"| '''Übersicht über die Flächenanteile BFF mit QII-Qualität (in Hektaren) (Quelle: Agrarbericht BLW 2019)'''<br />
|-<br />
! BFF QII-Typ<br />
! style="text-align:right;" | Talregion<br />
! style="text-align:right;" | Hügelregion<br />
! style="text-align:right;" | Bergregion<br />
! style="text-align:right;" | Total<br />
|-<br />
| Extensiv genutzte Wiesen<br />
| style="text-align:right;" | 11495<br />
| style="text-align:right;" | 7395<br />
| style="text-align:right;" | 17411<br />
| style="text-align:right;" | 36301<br />
|-<br />
| Wenig intensiv genutzte Wiesen<br />
| style="text-align:right;" | 130<br />
| style="text-align:right;" | 411<br />
| style="text-align:right;" | 3220<br />
| style="text-align:right;" | 3761<br />
|-<br />
| extensiv genutzte Weiden und Waldweiden<br />
| style="text-align:right;" | 1468<br />
| style="text-align:right;" | 2830<br />
| style="text-align:right;" | 14759<br />
| style="text-align:right;" | 19057<br />
|-<br />
| artenreiche Grün- und Streuflächen im Sömmerungsgebiet<br />
| <br />
| <br />
| <br />
| style="text-align:right;" | 223509<br />
|}<br />
<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Entwicklung BFF Q2 2001 2016.png<br />
| text = Entwicklung (in Hektaren) der angemeldeten artenreichen Wiesen und Weiden (BFF mit Qualitätsstufe II) zwischen 2001 – 2016 (Quelle: Daten BLW).<br />
}}<br />
<br />
Die qualitativen Veränderungen in Wiesen und Weiden betreffen das allgemeine Nährstoffniveau, welches enorm gestiegen ist und das Verschwinden des früher verbreiteten Mosaiks von unterschiedlich genutzten Flächen (Schmid et al. 2007). Weitere qualitative Veränderungen der letzten Jahrzehnte beschreibt Bosshard (2016): Die Schlagkraft hat sich vervielfacht mit früherem Schnitt, viel höherer Nutzungsfrequenz und der zeitgleichen Nutzung viel grösserer Flächen. Die Erträge sind um ca. 60-80% gestiegen. Kleinstrukturen und Kulturlandschaftselemente sind verschwunden. Die schwereren Maschinen haben eine problematische Bodenverdichtung zur Folge und insbesondere für die Fauna destruktive Ernteverfahren (Rotationsmähwerke, Futteraufbereiter, Silagetechnik) nehmen zu. Heute wird vorwiegend Güllewirtschaft (rasch verfügbare Nährstoffe) statt der früher üblichen Festmistwirtschaft betrieben und durch den Wechsel von der Dürrfutterbereitung (Heu) zur Silage liegt der Nutzungszeitpunkt des ersten Aufwuchses heute früher im Jahr, es sind mehr Nutzungen pro Jahr möglich, die Ernte verläuft rascher und die Pflanzen können weniger absamen. Meliorationen, das Zusammenlegen von Parzellen und das Verschwinden von extensiven Parzellengrenzen bewirken ebenfalls grosse Veränderungen. Ein nächster Schritt steht mit der zukünftigen Automatisierung der Bewirtschaftung bevor. Anschaulich illustriert [https://www.pronatura.ch/de/wiesen-und-weiden Pro Natura anhand von Beispielen] die Entwicklung ehemals artenreicher Wiesen in artenarme Fettwiesen.<br />
<br />
Die ökologischen Auswirkungen der oben beschriebenen Veränderungen sind mannigfaltig: beispielsweise führt die Intensivierung der Graslandkultivierung und die früheren Schnittzeitpunkte zu einer Abnahme der Samenbank im Boden (Klimkowska et al. 2007). Die früheren Schnittzeitpunkte führen zur Überlappung mit der Brutsaison bodenbrütender Vögel; durch Mahd werden die Nester mechanisch zerstört oder sind für Prädatoren nach dem Schnitt leichter zugänglich oder die Futterverfügbarkeit wird während einer kritischen Phase der Nestlinge dezimiert (Britschgi et al. 2006). Einzelflächen wie auch die Gesamtfläche ökologisch wertvoller Wiesen und Weiden sind zu klein und zu stark fragmentiert. Kleine Grünlandflächen sind besonders empfindlich gegenüber negativer Randeffekte (z.B. Eindringen anderer Arten) und ökologischer Drift. Die durchschnittliche Grösse der TWW von nationaler Bedeutung beträgt heute 4.7 ha und im Sömmerungsgebiet 10.5 ha (Guntern et al. 2013): eine Wiederbesiedlung durch Tagfalter, Hummeln und Reptilien ist möglich, wenn die Flächen nicht weiter als 1-3 km voneinander entfernt sind. Charakteristische Heuschrecken und Laufkäfer dagegen überwinden selten Distanzen von über 100 m.<br />
<br />
'''Nährstoffversorgung im Grünland''' <br/><br />
Stickstoff ein elementarer Baustein aller Lebewesen; Pflanzen nehmen ihn über die Wurzeln in der Form von Ammonium oder Nitrat auf. Pflanzenverfügbarer Stickstoff ist natürlicherweise in den meisten Böden Mangelware – in den letzten Jahrzehnten gelangten jedoch riesige Mengen von Stickstoffverbindungen als Mineraldünger, Gülle oder aus Verbrennungsprozessen direkt oder indirekt über die Luft in die Böden. Der natürliche atmosphärische Eintrag von biologisch aktivem Stickstoff beträgt lediglich 0.5 – 2 kg/ha. Heute gelangt durchschnittlich 16 kg/ha Stickstoff über die Luft in den Boden, was in etwa der ausgebrachten Menge für mittel intensiv genutzten Wiesen entspricht. Peter (2011) weist darauf hin, dass bei drei der vier umweltrelevanten Stickstoffformen (Ammoniak, Nitrat und Lachgas) die Landwirtschaft gesamtschweizerisch gesehen die Haupt Emittentin ist. So müssten beim Ammoniak beispielsweise die Emissionen aus der Landwirtschaft annähernd halbiert werden, damit eine substanziell schädigende Wirkung in sensiblen Ökosystemen verhindert werden könnte. Für artenreiche Wiesen (kollin und montan) liegt der kritische Eintragswert bei 10-30 kg N pro Hektar und Jahr (Guntern 2016a). Entsprechend sind bspw. 49% der Trockenwiesen von den negativen Auswirkungen des atmosphärischen Stickstoffeintrags betroffen; die kritischen Eintragswerte (critical loads) werden in vielen Lebensräumen z.T. massiv überschritten (BAFU 2017). In Wiesen führt dies zu einer Bodenversauerung, zu einer starken Abnahme der Pflanzendiversität und zur Dominanz einiger weniger Grasarten und ist mitverantwortlich für die extreme Artenverarmung im Wiesland insbesondere in den Tieflagen (Bosshard 2016). Heutige Bestände sind im Vergleich zu früher wüchsiger und dichter.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Stickstoffbilanz 2015 BFS 2.png<br />
| text = Die Stickstoffbilanz in den Landwirtschaftsflächen (inkl. Alpweiden) zeigt langfristig betrachtet zwar einen rückläufigen Überschuss, dennoch resultierte 2015 ein Überschuss von 60 kg/ha (1990er-Jahre > 80 kg/ha). Quelle: Landwirtschaft und Ernährung, Taschenstatistik BFS 2018)<br />
}}<br />
<br />
Auch Phosphor ist einer der Hauptnährstoffe der Pflanzen und wird in der Landwirtschaft als Düngemittel eingesetzt. In den letzten zehn Jahren belief sich der Phosphorüberschuss auf rund 400 t/Jahr.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = phosphorbilanz 2018 de zg.png<br />
| text = Phosphorbilanz der Landwirtschaftsflächen. Phosphormengen, die in landwirtschaftliche Böden gelangen bzw. ihnen entzogen werden. Quelle: BFS – Umweltgesamtrechnung (2020)<br />
}}<br />
<br />
Im intensiv genutzten Grasland werden ausserdem steigende Zink- und Kupfereinträge beobachtet, welche aus dem Hofdünger (Gülle und Mist) bzw. aus den Futtermitteln stammen (Gubler et al. 2015). Aufgrund der hohen landwirtschaftlichen Nutzungsintensität kann auch im Grünland davon ausgegangen werden, dass vielerorts das Bodenleben dadurch beeinträchtigt wird.<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* BAFU (2017): [https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/biodiversitaet/uz-umwelt-zustand/biodiversitaet-schweiz-zustand-entwicklung.pdf.download.pdf/UZ-1630-D_2017-06-20.pdf Zustand und Entwicklung Biodiversität Schweiz]<br />
* Guntern et al. (2013): [http://www.ngzh.ch/media/pdf/Flaechenbedarf.pdf Flächenbedarf für die Erhaltung der Biodiversität und der Ökosystemleistungen in der Schweiz]<br />
* BAFU (2017): [https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/boden/uz-umwelt-zustand/boden-schweiz.pdf.download.pdf/UZ-1721-D_Boden2017.pdf Boden in der Schweiz. Zustand und Entwicklung. Stand 2017] <br />
* BFS (2018): [https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kataloge-datenbanken/publikationen/uebersichtsdarstellungen/taschenstatistik-schweiz.html Taschenstatistiken] <br />
* BLW: [https://www.agrarbericht.ch/de Agrarbericht]<br />
<br />
==Zustand und Entwicklung der Artengemeinschaften des Grünlands==<br />
Bei einer Vergleichsuntersuchung fanden Schlup et al. (2013) im extensiv bewirtschafteten Grünland (Kammgrasweide, Fromental- und Goldhaferwiese, Halbtrockenrasen) eine höhere Artenzahl an Gefässpflanzen als im durchschnittlichen Grünland der Schweiz. Ausserdem kamen im extensiven Grünland deutlich mehr Kenn- und Charakterarten sowie gefährdete Arten vor. Spezialisiertere Grünlandarten werden zunehmend von Generalisten verdrängt und es findet eine Trivialisierung statt.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = TWW Kennarten de zs.png<br />
| text = Die Tabelle zeigt, wie wichtig besonders wertvolle Lebensräume für den Erhalt von vielen Tiergruppen sind. Quelle: Hotspot 18, Forum Biodiversität Schweiz 2008)<br />
}}<br />
<br />
Demnach weist ein beträchtlicher Teil der Arten eine erhöhte Bindung zu Trockenwiesen und -weiden auf.<br />
Lebensraumverlust und -degradierung haben auf die Biodiversität im Grünland einen negativen Einfluss, wie die folgende Darstellung aus dem Biodiversitätsmonitoring Schweiz zeigt (BAFU):<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Indikatoren de zs.png<br />
| text = Vielfalt von Artengemeinschaften in Wiesen und Weiden - Index* von 0 (einheitlich) bis 100 (vielfältig), aller paarweisen Vergleiche der Stichprobenflächen, in Prozent. *Mittelwerte über einen Zeitraum von jeweils fünf Jahren. Quelle: BAFU: Biodiversitäts-Monitoring Schweiz BDM 2018<br />
}}<br />
<br />
Die Artenvielfalt ist seit Mitte der 2000er Jahre insgesamt zurückgegangen und deutet auf eine gesamtschweizerische Vereinheitlichung der Wiesen und Weiden hin, was einem Verlust der Biodiversität gleichkommt. Jedoch ist der Verlust der Artengemeinschaften in diesen Lebensräumen schon seit mindestens einigen Jahrzehnten im Gang: In den letzten 120 Jahren hat sich die durchschnittliche Pflanzenartenvielfalt auf 81 Wiesen fast halbiert (Schlup et al. 2013). Generell wird festgestellt, dass v.a. häufig vorkommende Arten zugenommen haben, welche keine besonderen Ansprüche an ihren Lebensraum stellen. Spezialisierte Grünlandarten werden zunehmend von Generalisten verdrängt, was zu einer Trivialisierung der Wiesen und Weiden führt.<br />
<br />
Auch die meisten Vogelarten, welche auf Äckern, Wiesen und Weiden brüten, sind aufgrund der hohen landwirtschaftlichen Nutzungsintensität im Rückgang begriffen: Der schweizerische Index der für das Kulturland typischen Brutvögel (46 UZL-Arten) hat seit 1990 um fast 30% abgenommen, der europäische Agrarvogelindex seit 1980 um über 50% (BLW 2017, Becker et al. 2014). Auch die Bergidylle ist zunehmend bedroht: ein Langzeitvergleich der Vogelwarte zeigt, dass im Engadin innerhalb von 22 Jahren der Anteil an wenig intensiv genutzten und artenreichen Wiesen von 32 auf 27% gesunken und die Brutbestände von Feldlerche, Baumpieper und Braunkehlchen um 44-61% gesunken sind (Korner et al. 2017). Den blütenbesuchenden Insekten wird durch den Rückgang des reichen Blüten- und Nektarangebots die Nahrungsgrundlage entzogen. Wesche et al. (2014) stellten bei Heuschrecken und Wanzen in Auen und Trockenwiesen innert 50 Jahren einen dramatischen Einbruch der Individuenzahlen (>60%) bei teils konstanten, teils zunehmenden Artenzahlen fest. Die botanische Zusammensetzung von Fromentalwiesen zeigt im Vergleich zu den 1950er Jahren eine durchschnittliche Abnahme der Artenzahl von rund 30% bei einer ebenfalls deutlichen Qualitätseinbusse (Bosshard 2015c).<br />
<br />
Im Rahmen des Monitoringprogramms ALL-EMA werden der Zustand und die Veränderung von Arten und Lebensräumen der Umweltziele Landwirtschaft in der offenen Agrarlandschaft Schweiz erfasst und die Biodiversitätsförderflächen beurteilt. Eine erste umfassende Auswertung zum Zustand der Biodiversität ist 2020 vorgesehen.<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* [https://www.agroscope.admin.ch/agroscope/de/home/themen/umwelt-ressourcen/monitoring-analytik/all-ema.html ALL-EMA]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/zustand/indikatoren.html Vielfalt von Artengemeinschaften in Wiesen und Weiden (BAFU)]<br />
* [https://www.biodiversitymonitoring.ch/index.php/de/ Biodiversitätsmonitoring Schweiz]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/biodiversitaet/uw-umwelt-wissen/umweltziele_landwirtschaftstatusbericht.pdf.download.pdf/umweltziele_landwirtschaftstatusbericht.pdf BAFU & BLW (2016): Umweltziele Landwirtschaft UZL.]<br />
<br />
=Gefährdung und Gefährdungsursachen=<br />
43% der unter dem Begriff „Grünland“ zusammengefassten Lebensraumtypen gelten als gefährdet. Die wertvollsten Flächen der Trockenwiesen und -weiden sind in einem Inventar (TWW) bezeichnet - seit 1900 sind rund 95% der TWW in der Schweiz verschwunden.<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = Gefaehrdungskat Grünland de.png<br />
| text = Einstufung der 30 Lebensraumtypen des Grünlandes gemäss Roter Liste.<br />
}}<br />
<br />
Gefährdungsursachen und wichtige Treiber sind (Delarze et al. 2015, Bosshard 2016, Becker et al. 2014):<br />
* Der Verlust an Grünland-Lebensräumen durch Nutzungsaufgabe in Grenzertragslagen und nachfolgender Sukzession, durch Umwandlung von Grünland in Ackerland oder Kunstwiesen und durch den Siedlungs- und Strassenbau. Als Folge der Lebensraumverluste sind verbleibende Habitate oft zu klein und/oder von Isolation bedroht. Bis Fragmentierung und Randeffekte zum Verlust von Arten führen, kann es Jahrzehnte dauern; man spricht deshalb auch von der sogenannten Aussterbeschuld. Im Sömmerungsgebiet verschwinden mittel-wertvolle Flächen. Das aktuelle Instrument der BFF gibt im Sömmerungsgebiet keine Kriterien zur Bewirtschaftung vor. Es gibt Hinweise, dass die Kartierung der TWW nicht vollständig ist. Es besteht die Gefahr, dass wertvolle Flächen durch Intensivierung, falsche Nutzung oder Nutzungsaufgabe verloren gehen.<br />
* Intensivierung, moderne oder ungeeignete Bewirtschaftung sowie Nährstoffeinträge: Der Strukturwandel in der Landwirtschaft und die damit verbundene Intensivierung hat vielfache Auswirkungen auch auf das Grünland. Düngung und Zufütterung in der Viehhaltung haben vervielfachte Nährstoffeinträge und die Eutrophierung des Bodens zur Folge. Durch das Düngen werden viele Grünlandarten, insbesondere Kräuter, verdrängt und die Artenvielfalt nimmt in der Folge ab, weil wenige Arten dank dieser zugeführten Nährstoffe schnell wachsen, rasch Biomasse aufbauen und den Boden für den Aufwuchs anderer Pflanzen beschatten (Gerowitt et al. 2013). Die Intensivierung umfasst ausserdem die frühere Nutzung der Bestände zur Erzielung hoher Futterqualität (für die Hochleistungs-Milchkühe) und eine generell erhöhte Schlagkraft (mit schweren Maschinen), häufigere Nutzungen, den Einsatz von Pestiziden, Flurbereinigungen und Strukturverlust sowie kulturtechnische Massnahmen zur Entwässerung, Kalkung oder Bewässerung der Flächen. Des Weiteren werden Flächen eingeebnet bzw. unter Einsatz von bspw. Forstmulchern intensiviert. Vorgegebene Schnittzeitpunkte bewirken eine Monotonisierung der Landschaft sowie ein zeitgleiches Wegfallen von Nahrungsquellen. All diese Faktoren sowie die Aufgabe bestimmter Nutzungsformen führen zu einer Vereinheitlichung der Lebensräume. <br />
* Der Klimawandel stellt für den Wandel der Biodiversität und Ökosysteme einen bedeutenden Faktor dar (Guntern 2016b): insbesondere spielen der Temperaturanstieg sowie Veränderungen im hydrologischen Regime eine Rolle. Höhere Temperaturen und zunehmende Niederschlagsmengen führen bei gleichmässiger Bodendurchfeuchtung zu einer zunehmend schnelleren Wuchsleistung des Grünlands. Aus dem Biodiversitätsmonitoring ergeben sich Hinweise, dass im Mittelland bestimmte Lebensräume einerseits wärmer, andererseits auch trockener werden (BDM-Facts Nr. 4, BAFU 2012).<br />
* Auch invasive, gebietsfremde Arten können auf die heimische Biodiversität nachteilig wirken. V.a. folgende Arten bereiten bisher grossflächig Probleme im extensiv genutzten Wiesland: das Einjährige Berufkraut (''Erigeron annuus''), die beiden Goldrutenarten (''Solidago canadensis'' und ''S. serotina'', v.a. im unternutzten oder spät gemähten, feuchten bis wechselfeuchten Wiesland) sowie das Schmalblättrige Kreuzkraut (''Senecio inaequidens''). Weitere Neophyten mit invasivem Ausbreitungspotenzial werden auf der Neophyten-Watch-List geführt. Die (bemerkenswerte) Resistenz gegenüber neu eingebrachten Arten scheint ein Charakteristikum des mitteleuropäischen Wieslands zu sein (Bosshard 2016).<br />
* Je nach Lebensraumtyp und Lage des Grünlandes stellen auch Freizeitaktivitäten bzw. Erholungsnutzung Gefährdungsfaktoren dar. In Deutschland sind insbesondere auch der Anbau von Energiepflanzen (Biogasproduktion, Raps für Kraftstoffproduktion) sowie die Agrophotovoltaik mögliche Gefährdungstreiber.<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = rationelle Mahd as 96 dpi.jpg<br />
| text = Rationelle Erntemaschinen töten und verletzten viele Tiere.<br />
}}<br />
<br />
Nachfolgend werden einige ausgewählte Gefährdungsfaktoren näher beleuchtet.<br />
<br />
'''Unternutzung und Nutzungsaufgabe''': <br/><br />
Eine extensive Bewirtschaftung wird in Gebieten mit ungünstigen Produktionsbedingungen (Hangneigung, Bodenstruktur) immer weniger rentabel. In den letzten dreissig Jahren bewegten sich die Veränderungen in der Nutzungsform im Alpenraum stets in Richtung eines geringeren Bewirtschaftungsaufwands: von der Schnitt- zur Weidenutzung und von der Beweidung zur Verbrachung (Leitgruppe NFP 48 2007). Eine Unternutzung oder eine gänzliche Aufgabe der Bewirtschaftung führen kurzfristig zu Verbrachungserscheinungen, mittelfristig zu Verbuschung und Einwaldung. Wenn die Biomasse nicht weggeführt wird, tritt im Laufe der Jahre zunehmend Lichtmangel v.a. für die dichte, bodennahe Schicht in Form von sogenanntem Streuefilz auf. Gerade seltene und gefährdete Arten verschwinden oft zuerst und werden durch Generalisten ersetzt, bevor die Bewaldung einsetzt (Bosshard 2016). Im günstigsten Fall kann bereits nach 20 Jahren auf einer früheren Magerwiese oder -weide ein Wald stehen. In sehr magerem Wiesland führt die Nutzungsaufgabe und Verbrachung jedoch nicht zu einem Artenverlust, da die Wüchsigkeit für das Ausbilden eines Streuefilzes nicht ausreicht oder dieser rasch wieder abgebaut wird (bspw. durch Wind). Die natürliche Wiederbewaldung in Grenzertragslagen wird als Ausdruck eines grundlegenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels interpretiert, bei dem der Rückgang der Armut und die Zunahme des Wohlstands eine grosse Rolle spielen (Leitgruppe NFP 48 2007). Durch die abnehmende Verfügbarkeit von Arbeitskräften sind auch pflegerische Arbeiten der Bewirtschaftung gefährdet: damit eine möglichst langfristige Produktivität des Kulturbiotops sichergestellt werden kann, sind Pflegearbeiten wie Frühjahrssäuberung, exaktes Mähen, Abrechen des Schnittguts usw. notwendig, damit die «Saatbett-Bereitung» bzw. das Vorhandensein von Keimstellen gesichert ist.<br />
<br />
'''Steinfräsen''': <br/><br />
Steinfräsen zerkleinern Steine und Felsen, zermalmen und brechen den Boden auf, beseitigen Kleinstrukturen und Unebenheiten im Gelände. Diese irreparable Zerstörung der natürlichen Vegetation und der Kleinstrukturvielfalt ist u.a. für den Verlust von Baumpieper und Feldlerche im jurassischen Brutgebiet mitverantwortlich. Im Jura werden seit den 1990er-Jahren Steinfräsen teilweise grossflächig eingesetzt, um die wertvollen Kleinstrukturen zu eliminieren und ganze Flächen zu planieren. Die Gesetzeslage ist kantonal unterschiedlich (SO, JU, VD nicht erlaubt, NE & BE teilweise erlaubt) und trotz Verbot sind unbewilligte Fälle bekannt (Apolloni et al. 2017). Steinfräsen werden auch in höheren Lagen der Alpen regelmässig eingesetzt. Sie stellen eine so grosse Gefahr für die Biodiversität dar, dass sie verboten gehören.<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* Delarze et al. (2016): [https://www.infoflora.ch/de/lebensraeume/rote-liste.html Rote Liste der Lebensräume der Schweiz]<br />
* Trockenwiesen und -weiden der Schweiz (TWW) [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/fachinformationen/oekologische-infrastruktur/biotope-von-nationaler-bedeutung/trockenwiesen-und--weiden.html Inventar, Vollzugshilfe und Merkblätter, Fallstudien]<br />
* [https://www.wsl.ch/de/biotopschutz-schweiz.html Wirkungskontrolle Biotopschutz Schweiz]<br />
<br />
=Rechtsgrundlagen =<br />
* [https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19983407/index.html Landwirtschaftsgesetz (LwG)]<br />
* [https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19983381/index.html Landwirtschaftliche Begriffsverordnung (LBV)]<br />
* [https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20130216/index.html Direktzahlungsverordnung (DZV)]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/oekologischer-leistungsnachweis.html Ökologischer Leistungsnachweis (ÖLN) gemäss DZV, Übersicht zu den einzelnen Artikeln]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/biodiversitaetsbeitraege.html Übersicht über die Biodiversitätsbeiträge pro BFF-Typ und Qualitätsstufe]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/biodiversitaetsbeitraege.html Weitere Ausführungen zu den BFF-Qualitätsbeiträgen (QI und QII)]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/biodiversitaetsbeitraege.html Weitere Ausführungen zu den Vernetzungsbeiträgen]<br />
* Die rechtliche Grundlage für den nationalen Schutz der Trockenwiesen und -weiden bildet das [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/fachinformationen/oekologische-infrastruktur/biotope-von-nationaler-bedeutung/trockenwiesen-und--weiden.html Inventar über die Trockenwiesen und -weiden mit den entsprechenden Verordnungen und Vollzugshilfen].<br />
<br />
=Praxisrelevante Wissenslücken =<br />
Nachfolgend sind wichtige Themen aufgeführt, zu welchen (teilweise) Wissenslücken bestehen:<br />
* Vorkommen und Verbreitung ökologisch wertvoller Grünlandflächen im Sömmerungsgebiet, flächendeckende Inventarisierung<br />
* Wissenschaftliche Grundlagen zum Düngungsbedarf von Fromental- und Goldhaferwiesen im Hinblick auf die botanische Vielfalt fehlen, Praxisversuche sind wünschenswert.<br />
* Es gibt kaum systematische Erfahrungen zum Etzen in Zusammenhang mit der Biodiversitätsförderung im artenreichen Wiesland, übergeordnete Erfolgskontrollen sind erwünscht.<br />
* Phänologisch basierte Schnittzeitpunkte<br />
* Einfluss von Heubläser-Einsätzen auf die Biodiversität, insbesondere die Fauna (Richner et al. 2014 beleuchten den Einfluss auf die Vegetation)<br />
* Auswirkungen der Bewirtschaftung auf die Fauna über alle Mäh- und Nachbereitungsgeräte hinweg unter vergleichbaren Bedingungen untersuchen. Verhalten der Populationen auf mehrschürigen Wiesen im Jahresverlauf.<br />
* Angaben zu Ausmass und Verbreitung von Bodenverdichtungen<br />
<br />
=Literatur=<br />
Die Publikationen zum Grünland sind äusserst umfangreich. Wir stellen Ihnen die gesamte [[Media:Dokumentation Grünland Literatur.pdf|Liste an verwendeter Literatur]] zur Verfügung.<br />
<br />
= Weitere Kapitel zum Grünland=<br />
* [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland Einleitung und Zusammenfassung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie Praxisrelevante Ökologie]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung Erhalt und Aufwertung durch optimierte Bewirtschaftung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat Aufwertung und Neuschaffung durch Direktbegrünung und Ansaat]<br />
<!--* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisbeispiele Praxisbeispiele]--><br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || [https://www.faunatur.ch/portr%C3%A4t/ Karin Loeffel]|| [https://www.faunatur.ch/ faunatur]<br />
|-<br />
| Review|| Andreas Bosshard || [http://www.agraroekologie.ch/ueber-uns/team/ Ö+L GmbH] <br />
|-<br />
| || Jean-Yves Humbert || [https://www.cb.iee.unibe.ch/about_us/pd_dr_humbert_jean_yves/index_eng.html Universität Bern, Conservation Biology]<br />
|-<br />
| || Heiri Schiess || <br />
|-<br />
| || André Stapfer || <br />
|-<br />
| || Markus Staub || [https://www.poel.ch/ Projekte Ökologie Landwirtschaft] <br />
|-<br />
| || Gaby Volkart || [https://www.ateliernature.ch/de/portrait-deutsch/ atena]<br />
|-<br />
|}<br />
<br /></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Gr%C3%BCnland/Grundlagen&diff=4726
Grünland/Grundlagen
2023-03-12T14:23:05Z
<p>VB2: /* Autoren */</p>
<hr />
<div>[[fr:Milieux prairiaux/Informations de base]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Fromentalwiese ABosshard zg 96 dpi.JPG<br />
| text = Die Fromentalwiesen sind innerhalb weniger Jahrzehnte weitestgehend verschwunden.<br />
}}<br />
<br />
=Sukzession und Bedeutung des Grünlands=<br />
Mit wenigen Ausnahmen ist Grünland keine natürliche Vegetation - bleibt eine Nutzung aus, folgt der Verlauf der meisten Grünland-Lebensraumtypen der natürlichen Sukzession. Maag et al. (2001) zeigen die verschiedenen Sukzessionsverläufe für unterschiedliche Standorte. Dabei hat jede Stufe der Sukzession beispielsweise eines Trockenrasens bis hin zum Wald ihren ökologischen Wert; die Artenvielfalt kann durch ein Nebeneinander verschiedener Sukzessionsstadien erhöht werden (Diacon et al. 2011). Die unterschiedlichen Stadien der Verbrachung und Verbuschung weisen willkommene Rückzugsgebiete und Nahrungsreservoirs für Reptilien, Spinnen und viele Insekten dar. Insbesondere jüngere Brachen können floristisch und faunistisch äusserst wertvoll sein; langfristig ist dagegen die Artenvielfalt in Dauerbrachen gefährdet (Dipner & Volkart 2010). <br />
<!-- Abbildung weglassen, weil nicht in guter Qualität zur Verfügung; Alternative: Foto einwachsender Wiese. In der folgenden Abbildung sind die Phasen der Verbuschung nicht mehr bewirtschafteter Halbtrockenrasen dargestellt (Quelle: Briemle et al. 1993):--><br />
<br />
Die Bedeutung des Grünlandes ist vielfältig und eine grosse Bandbreite von allgemeinen, nicht nur an das Grünland gebundene Ökosystemleistungen sind auch mit diesen Lebensräumen verbunden, wie produktive Erzeugnisse, genetische Ressourcen von Futterpflanzen, Bestäubungsleistungen, Erosionsvermeidung, kulturelle Leistungen, Speicherung von Kohlenstoff (Guntern et al. 2013). Ebenfalls relevant sind die mit dem Grünland verbundenen ästhetisch-landschaftlichen Aspekte bspw. im Hinblick auf die touristische Nutzung oder die Erholungsfunktion. Aus landwirtschaftlicher Sicht ist die Bedeutung des Grünlandes als Stätte der Futterproduktion zentral. Entsprechend sind Wiesen und Weiden für die landwirtschaftliche Nutzung im Laufe der vergangenen Jahrzehnte „optimiert“ worden. Beispielsweise stellen die Hochleistungsrassen in der Milchwirtschaft hohe Ansprüche an den Futterwert des Grünlandes: im jüngeren Aufwuchs ist der Rohfasergehalt niedriger und die Anteile an Rohprotein und Mineralstoffen höher. Entsprechend sind der Energiegehalt und die Verdaulichkeit des Futters besser. Damit sind die Anforderungen der Hochleistungsmilchwirtschaft mit dem Erhalt des artenreichen Grünlands nicht vereinbar (Gerowitt et al. 2011); landwirtschaftlich intensiv genutzte Wiesen haben kaum einen ökologischen Wert verglichen mit artenreichem Grünland.<br />
<br />
=Typologie des Grünlands=<br />
Je nachdem, worauf der Fokus liegt, kann das Grünland in Unterkategorien aufgeteilt werden; man kann vegetationskundliche, ökologische oder auch futterbauliche Kriterien anwenden.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Haber de zg.png<br />
| text = Haber (2014) gliedert das Grünland i.w.S. wie oben dargestellt (Abbildung leicht verändert).<br />
}}<br />
<br />
Dietl & Grünig (in Oppermann & Gujer 2003, S. 60) gliedern die artenreichen (Mäh-)Wiesen der Schweiz nach Wasser- und Nährstoffhaushalt in 19 Wiesentypen auf. Ihre tabellarische Übersicht zeigt für die jeweiligen Wiesentypen kennzeichnende Artengruppen und -kombinationen. Für den gedüngten Bereich wurde die obengenannte Systematik weiterentwickelt und [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie#Lebensr.C3.A4ume_des_Gr.C3.BCnlands Bosshard (2016) unterscheidet in der Folge für das gedüngte Wiesland neun Typen].<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = bosshard Genese de.png<br />
| text = Genese und Höhenverbreitung der gedüngten Wiesentypen. <br/> Quelle: Bosshard, A., 2016. Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas. Mit besonderer Berücksichtigung der Fromentalwiesen und des standortgemässen Futterbaus, Bristol-Schriftenreihe Band 50. Haupt Verlag, Bern. © Andreas Bosshard<br />
}}<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* Vereinfachter dichotomer Bestimmungsschlüssel zur Identifikation von Fromental- und Goldhaferwiesen in Bosshard (2016, S. 188).<br />
* [http://www.agraroekologie.ch/SchluesselGeduengteNaturwiesen.xls Bestimmungsschlüssel für die Wiesentypen des gedüngten Naturwieslands der Schweiz]<br />
* [https://ira.agroscope.ch/de-CH/publication/46127 Bestimmungsschlüssel für Lebensräume der offenen Kulturlandschaft] (Buholzer et al. 2015)<br />
* Die [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/kartierung-und-bewertung-trockenwiesen.html Kartier- und Bewertungsmethode zur Erarbeitung des Inventars der Trockenwiesen und -weiden] ist im Technischen Bericht ausgeführt (Eggenberg et al. 2001)<br />
* [https://www.infoflora.ch/de/lebensraeume/typoch/4-grnland-naturrasen-wiesen-und-weiden.html Klassifikation der Grünlandlebensräume nach Delarze et al. (2015)]<br />
<br />
=Zustand und Entwicklung des Grünlands in der Schweiz=<br />
==Entstehung von Grünland==<br />
Grünland ist in Mitteleuropa vor 8000 Jahren durch Waldrodung zur Ackernutzung entstanden. Die anschliessend nicht mehr für den Ackerbau genutzten Flächen begrünten sich und wurden als Viehweiden genutzt. Wo Wiesland in prähistorischer Zeit vorkam, ist weitgehend ungewiss und wird in Bosshard (2016) kurz ausgeführt.<br />
<br />
Kapfer (2010a, 2010b) und Bosshard (2016) beleuchten die Entstehungsgeschichte und die historische Wies- und Weidelandnutzung und stellen sie in Vergleich mit heutigen Nutzungsformen: Während vieler hundert Jahre war das Wiesland in das Produktionssystem der auf Getreidebau ausgerichteten Dreizelgenwirtschaft ausgerichtet. Der Heu- und Emdschnitt führte zusammen mit den geringen Mistgaben (rund um den Hof herum) und der historisch üblichen Frühjahrsvorweide (Etzen) zu einer langfristigen Ausmagerung der Böden mit entsprechenden Folgen für die Vegetation. Reine Mähwiesen haben sich grossflächig erst im 19. Jahrhundert entwickelt, vorher waren alle Wiesen auch beweidet (Frühjahrs- oder Herbstweide). Nach dem Etzen erfolgte der Heuschnitt später und die Wiesenpflanzen konnten ihre individuelle Entwicklung bis zur Samenreife und dem Ausstreuen der Samen vollständig abschliessen. Die heutige erste Hauptnutzung auf den Mager- und Fromentalwiesen beim Heuschnitt entsprach historisch der zweiten Nutzung. Früher orientierte man sich für den Beginn und das Ende bestimmter Bewirtschaftungsgänge an Heiligen-Tagen. Diese Orientierungszeitpunkte wurden jedoch je nach Jahresverlauf bspw. für den Mahdbeginn auch flexibel gehandhabt. Die Ernte einzelner Flächen erstreckte sich über mehrere Wochen hinweg. Das Heu der Schnittwiesen wurde auf der Fläche getrocknet, wodurch eine erfolgreiche generative Vermehrung gefördert wurde (Poschlod 2011). Im Laufe der Zeit führten neue Ernteverfahren, Bewässerungsmassnahmen und neu auch die phänologischen Veränderungen aufgrund des Klimawandels zu einem früheren ersten Schnitt von Wiesen (Guntern et al. 2013).<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Bewirtschaftungsschemata Kapfer zg 96 dpi.jpg<br />
| text = Bewirtschaftungsschema der drei wichtigsten Wiesentypen der alten Dreizelgenwirtschaft. Quelle: Kapfer, A. (2010): Beitrag zur Geschichte des Grünlands Mitteleuropas im Hinblick auf den Arten- und Biotopschutz. Darstellung im Kontext der landwirtschaftlichen Bodennutzungssysteme. In: Naturschutz und Landschaftsplanung 42 (5), S. 133–140.<br />
}}<br />
<br />
<br /><br />
<table border="0", style="font-size:108%"> <br />
<tr> <br />
<td> '''Die ökologischen Auswirkungen und die Anwendung des Etzens (Frühjahrsvorweide) (Quelle: Bosshard 2015b)''' <br /> Etzen war bis ins 18./19. Jh. die übliche erste Nutzung von Mähwiesen. Heute wird die Vorweide dagegen vor allem im Berggebiet in den intensiver genutzten Wiesentypen noch regelmässig praktiziert. Etzen bewirkt langfristig einen Nährstoffentzug, die Wüchsigkeit einer Wiese wird vermindert und dadurch, dass kurzfristig Licht in den Bestand eingebracht wird, werden empfindlichere Pflanzen artenreicher Wiesen gefördert. Die längere bewirtschaftungsfreie Phase zwischen der Frühjahrsweide und dem nächsten Nutzungszeitpunkt durch Mahd führt zu einem deutlich schmackhafteren, gehaltvolleren (da eiweissreicheren) Heuaufwuchs, so dass Etzen auch aus futterbaulicher und wirtschaftlicher Sicht von Interesse sein dürfte. <br />
Das kurze, schonende Überweiden einer Wiese im Frühjahr führt zu einem strukturierteren Pflanzenbestand, einem längerdauernden Blütenangebot und einem späteren Heuschnitt und gewisse Tierarten (Tagfalter, Heuschrecken und wiesenbrütende Vogelarten) können davon profitieren (SHL 2008). Aus praktischen Gründen (logistischer Aufwand) kommt das Etzen nur für eine Minderheit von Grünlandflächen überhaupt in Frage und ist für BFF-Flächen bspw. im Rahmen von Vernetzungsprojekten realisierbar, sofern die kantonalen Vernetzungsrichtlinien dies vorsehen und begründen.</td> <br />
</tr> <br />
</table><br />
<br /><br />
<br />
Unter diesem historischen Blickwinkel ist die Entstehung der Artenvielfalt in Wiesen zu betrachten (Poschlod 2011): Die Artenzusammensetzung der Flachlandmähwiesen, wie sie sich in der heutigen Form präsentiert, ist wahrscheinlich erst etwa 300 Jahre alt; der namengebende Glatthafer (''Arrhenatherum elatius'') wurde erst Anfang des 18. Jahrhunderts eingeführt (d.h. ein durch Auswahl-Zucht verbesserter Ökotyp aus Südfrankreich). Möglicherweise ist die namengebende Art der Berg-Mähwiesen, der Goldhafer (''Trisetum flavescens'') ebenfalls erst zu dieser Zeit eingeführt worden. Fast alle Pflanzenarten des Wieslandes scheinen aus der autochthonen Flora zu stammen (bspw. aus lichten Stellen von Wäldern, aus Schotterflächen der Auen, aus den Randregionen der Hochmoore etc.). Verschiedene Futterpflanzen des Wieslandes sind (gezielt oder unabsichtlich) eingeführt worden und schon früh begann der Mensch, mit gezielten Einsaaten den Ertrag zu steigern.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Bewirtschaftungstypen Kapfer zg 1280 768.png<br />
| text = Übersicht zur Genese der Bewirtschaftungstypen des Grünlands Mitteleuropas. Quelle: Kapfer, A. (2010): Beitrag zur Geschichte des Grünlands Mitteleuropas im Hinblick auf den Arten- und Biotopschutz. Darstellung im Kontext der landwirtschaftlichen Bodennutzungssysteme. In: Naturschutz und Landschaftsplanung 42 (5), S. 133–140.<br />
}}<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* Zusammenfassende Betrachtungen und nähere Ausführungen zur Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des Grünlands liefern [http://www.dr-kapfer.de/index.php/download.html Kapfer (2010a, 2010b)], [https://pudi.lubw.de/detailseite/-/publication/90005 Poschlod (2011)] und Bosshard (2016).<br />
* Auch das [http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D13861.php Historische Lexikon der Schweiz] bietet zu verschiedenen Themen (Düngung, Futtermittel, Bewässerung, Wiesen, Weiden) informative Artikel.<br />
<br />
==Quantitativer und qualitativer Zustand und deren Veränderung==<br />
Das Grünland hat sich mit den technischen Möglichkeiten in der Landwirtschaft (Mechanisierung, Düngereinsatz) und den Flurbereinigungen der letzten Jahrzehnte stark verändert worden und verändert sich immer noch.<br />
<br />
Die [[Media:Tabelle Grünland Auszug Flächenbedarf.pdf|Tabelle]] gibt einen Überblick über die Ausdehnung und quantitative Veränderung der Schweizer Grünlandlebensräume. Quelle: «Guntern et al. (2013): Flächenbedarf für die Erhaltung der Biodiversität und der Ökosystemleistungen in der Schweiz», S. 96. Weitere Grünflächen befinden sich im Siedlungsgebiet.<br/><br />
<small>LN = Landwirtschaftliche Nutzfläche, SöG = Sömmerungsgebiet, BFF = Biodiversitätsförderfläche</small> <br />
{| class="wikitable" <br />
|-<br />
! style="width: 25%"| Lebensraum<br />
! style="width: 10%"| Zeit<br />
!colspan="2"|Ausdehnung [ha]<br />
! style="width: 25%"| Bemerkung, Quelle<br />
|- style="vertical-align:top;"<br />
| Wiesen und Weiden auf der LN (ohne SöG, Kunstwiesen) davon:<br/>- Extensiv genutzte BFF-Wiesen <br/>- Wenig intensiv genutzte BFF-Wiesen<br />
| 2011<br />
|colspan="2"|610’732 <br/><br/><br/>66‘056 <br/>22‘919<br />
| (BLW 2012) <br/>Wobei mit Qualität gemäss ÖQV: <br/>- Weiden, Waldweiden: 5'384 ha <br/>- Wiesen (inkl. Streuflächen): 28'864 ha<br />
|-<br />
| Sömmerungsgebiet <sup>1</sup> (SöG)<br />
| 2011<br />
|colspan="2"|505'385 (12% der CH)<br />
| Gemäss (Walter et al. 2013)<br />
|-<br />
|rowspan="2"|Trockenwiesen und –weiden (TWW)<br />
| 1900<br />
|colspan="2"|760‘000 (bis 900‘000)<br />
| (Eggenberg et al. 2001; Lachat et al. 2010b), Flächenverlust von 90-99% von TWW in den Regionen und 95% in der Schweiz. <sup>2</sup><br />
|-<br />
| 2010<br />
|colspan="2"|37‘011<br />
| <br />
|- style="vertical-align:top;"<br />
| Potenziell wertvolles Grasland auf der LN oder im SöG (ohne TWW, Moore Modell basierend auf der Steigung und der Höhe über Meer an den Fundorten von UZL-Ziel- und Leitarten.<br />
| 2012 <br/>Total: <br/>TZ: <br/>HZ: <br/>BZI: <br/>BZII: <br/>BZII: <br/>BZIV: <br/>SöG:<br />
| style="width: 20%"| [ha] <br/>231’688 <br/>3797 <br/>354 <br/>2'023 <br/>6943 <br/>9223 <br/>10'984 <br/>198'364<br />
| style="width: 20%"| [%] <br/> <br/>0.78 <br/>0.25 <br/>1.71 <br/>4.52 <br/>11.06 <br/>22.72 <br/>39.25<br />
| (Walter et al. 2013) <br/> <br/>TZ = Talzone <br/>HZ = Hügelzone <br/>BZ = Bergzone <br/> <br/>Grünland macht nahezu 100% des SöG sowie der LN in den BZIV und BZIII aus.<br />
|-<br />
|rowspan="2"|Fromentalwiesen auf der LN<br />
| 1950<br />
|colspan="2"|Abgesehen von TWW, Dauerweiden, Streuwiesen, Äckern nahezu alles<br />
| (Bosshard & Stähli 2012): genauere Angaben in Erarbeitung für Schlussbericht der laufenden Studie.<br />
|-<br />
| 2011<br />
|colspan="2"|3-8%<br />
| (Bosshard & Stähli 2012), wobei davon ca. 20% mit der Artenzusammensetzung von intensiv genutzten Fromentalwiesen der 1950er Jahre und max. 5% mit guter Qualität (pers. Mitteilung A. Bosshard) <br/>-> Rückgang von vermutlich > 90% und nahezu 100% für artenreiche Bestände (Bosshard 1998)<br />
|}<br />
<small><br />
<sup>1</sup> Gemäss Arealstatistik nahm die Alpwirtschaftliche Nutzfläche von 1979/85 bis 1992/97 von 555'662 um 3.2 % auf 537'802 ha ab. Ein weiterer Rückgang wurde bis 2004/09 festgestellt.<br />
</small> <br/><br />
<small><br />
<sup>2</sup> Schätzungsweise weitere Abnahme von 25-30% zw. 1995-2005 (Leibundgut 2007 zitiert in Graf & Korner 2011). Grössenordnungen in diesem Bereich sind im Wallis und Engadin durch Fallstudien bestätigt.<br />
</small><br />
<br />
<br/><br />
Ein Vergleich mit der Grünland-Situation in Deutschland zeigt: Ein mit der Schweiz (Tieflagen) vergleichbarer Anteil von rund 13% der Gesamtfläche (CH 14.7%) wird als landwirtschaftliches Grünland genutzt, der Grossteil davon ebenfalls intensiv (Boch et al. 2016).<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = Nutzung LN BFS 2018 96 dpi.png<br />
| text = Wie sich die landwirtschaftliche Nutzfläche der Schweiz auf die verschiedenen Nutzungstypen aufteilt. Quelle: BFS 2018, Die Schweiz in 21 Infografiken.<br />
}}<br />
<br />
Im Zeitraum von 1990 bis 2009 hat sich die Grünlandfläche in Deutschland um 875‘000 ha verringert. Zwischen 2003 und 2012 betrug der absolute Verlust des Dauergrünlands ca. 5%. In der Schweiz machen Landwirtschafts- und Alpwirtschaftsflächen zusammen mehr als einen Drittel der Gesamtfläche aus; zwischen 1985 und 2009 sind 85‘000 ha davon verlorengegangen, was der Grösse des Kantons Jura entspricht (BFS 2018). Die Fromentalwiesen, bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts der häufigste und zugleich produktivste Wiesentyp auf den guten Böden der tieferen Lagen Mitteleuropas, sind innerhalb weniger Jahrzehnte weitestgehend verschwunden. Damit einher ging eine qualitative Verschlechterung: ein Vergleich zwischen 1950 und 2009 zeigt, dass die damalig «intensiv» genutzten Wiesen in der Regel QII-Qualität hatten, heute hingegen in den noch vorhandenen Fromental-Vergleichswiesen nur noch ein Drittel diese Qualitätsanforderung erreicht («Fromentalwiesenprojekt», Bosshard 2016). Unter den besonders wertvollen Lebensräumen ging die Fläche der Trockenwiesen und -weiden zwischen 1900 und 2010 um 95% zurück.<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = TWW Zuerich Umweltbericht zg.png<br />
| text = Abnahme artenreicher Wiesen im Kanton Zürich. Quelle: Baudirektion Kanton Zürich (2008), Umweltbericht 2008.<br />
}}<br />
<br />
Im Schweizer Berggebiet nahm die Entwicklung des Futterbaus und der Wiesen und Weiden einen anderen Weg als im Mittelland: Erschwernislagen (steile oder schlecht erschlossene, meist mit vielen Kleinstrukturen durchsetzte Flächen) wurden zunehmend in Weiden umgenutzt oder ganz aus der Nutzung entlassen und ein Grossteil davon ist in der Folge verbuscht und verwaldet. Insgesamt hat die Waldfläche in den vergangenen 150 Jahren auf Kosten von Wiesen- und Weideflächen je nach Region um 30-100% zugenommen. Heute liegt der überwiegende Teil des artenreichen Wieslandes der Schweiz in solchen Erschwernislagen ab Bergzone I; besonders hoch ist dieser Anteil im Sömmerungsgebiet. Allerdings nehmen diese Flächen sowohl durch Nutzungsaufgabe als auch durch Intensivierung laufend ab (Bosshard 2016).<br />
<br />
Der Anteil BFF mit Qualitätsstufe II steigt stetig an; das Ziel eines 40%-Anteils wurde 2017 erstmals erreicht. Der Anteil im Talgebiet ist mit 28% jedoch immer noch tief (BLW 2018). Seit 2014 werden ebenfalls Beiträge für artenreiche Grün- und Streueflächen im Sömmerungsgebiet ausgerichtet; der Anteil dieser Flächen mit Qualitätsstufe II betrug 2017 217‘496 ha.<br />
<br />
{| class="wikitable" <br />
|- <br />
|colspan="5"| '''Übersicht über die Flächenanteile BFF mit QII-Qualität (in Hektaren) (Quelle: Agrarbericht BLW 2019)'''<br />
|-<br />
! BFF QII-Typ<br />
! style="text-align:right;" | Talregion<br />
! style="text-align:right;" | Hügelregion<br />
! style="text-align:right;" | Bergregion<br />
! style="text-align:right;" | Total<br />
|-<br />
| Extensiv genutzte Wiesen<br />
| style="text-align:right;" | 11495<br />
| style="text-align:right;" | 7395<br />
| style="text-align:right;" | 17411<br />
| style="text-align:right;" | 36301<br />
|-<br />
| Wenig intensiv genutzte Wiesen<br />
| style="text-align:right;" | 130<br />
| style="text-align:right;" | 411<br />
| style="text-align:right;" | 3220<br />
| style="text-align:right;" | 3761<br />
|-<br />
| extensiv genutzte Weiden und Waldweiden<br />
| style="text-align:right;" | 1468<br />
| style="text-align:right;" | 2830<br />
| style="text-align:right;" | 14759<br />
| style="text-align:right;" | 19057<br />
|-<br />
| artenreiche Grün- und Streuflächen im Sömmerungsgebiet<br />
| <br />
| <br />
| <br />
| style="text-align:right;" | 223509<br />
|}<br />
<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Entwicklung BFF Q2 2001 2016.png<br />
| text = Entwicklung (in Hektaren) der angemeldeten artenreichen Wiesen und Weiden (BFF mit Qualitätsstufe II) zwischen 2001 – 2016 (Quelle: Daten BLW).<br />
}}<br />
<br />
Die qualitativen Veränderungen in Wiesen und Weiden betreffen das allgemeine Nährstoffniveau, welches enorm gestiegen ist und das Verschwinden des früher verbreiteten Mosaiks von unterschiedlich genutzten Flächen (Schmid et al. 2007). Weitere qualitative Veränderungen der letzten Jahrzehnte beschreibt Bosshard (2016): Die Schlagkraft hat sich vervielfacht mit früherem Schnitt, viel höherer Nutzungsfrequenz und der zeitgleichen Nutzung viel grösserer Flächen. Die Erträge sind um ca. 60-80% gestiegen. Kleinstrukturen und Kulturlandschaftselemente sind verschwunden. Die schwereren Maschinen haben eine problematische Bodenverdichtung zur Folge und insbesondere für die Fauna destruktive Ernteverfahren (Rotationsmähwerke, Futteraufbereiter, Silagetechnik) nehmen zu. Heute wird vorwiegend Güllewirtschaft (rasch verfügbare Nährstoffe) statt der früher üblichen Festmistwirtschaft betrieben und durch den Wechsel von der Dürrfutterbereitung (Heu) zur Silage liegt der Nutzungszeitpunkt des ersten Aufwuchses heute früher im Jahr, es sind mehr Nutzungen pro Jahr möglich, die Ernte verläuft rascher und die Pflanzen können weniger absamen. Meliorationen, das Zusammenlegen von Parzellen und das Verschwinden von extensiven Parzellengrenzen bewirken ebenfalls grosse Veränderungen. Ein nächster Schritt steht mit der zukünftigen Automatisierung der Bewirtschaftung bevor. Anschaulich illustriert [https://www.pronatura.ch/de/wiesen-und-weiden Pro Natura anhand von Beispielen] die Entwicklung ehemals artenreicher Wiesen in artenarme Fettwiesen.<br />
<br />
Die ökologischen Auswirkungen der oben beschriebenen Veränderungen sind mannigfaltig: beispielsweise führt die Intensivierung der Graslandkultivierung und die früheren Schnittzeitpunkte zu einer Abnahme der Samenbank im Boden (Klimkowska et al. 2007). Die früheren Schnittzeitpunkte führen zur Überlappung mit der Brutsaison bodenbrütender Vögel; durch Mahd werden die Nester mechanisch zerstört oder sind für Prädatoren nach dem Schnitt leichter zugänglich oder die Futterverfügbarkeit wird während einer kritischen Phase der Nestlinge dezimiert (Britschgi et al. 2006). Einzelflächen wie auch die Gesamtfläche ökologisch wertvoller Wiesen und Weiden sind zu klein und zu stark fragmentiert. Kleine Grünlandflächen sind besonders empfindlich gegenüber negativer Randeffekte (z.B. Eindringen anderer Arten) und ökologischer Drift. Die durchschnittliche Grösse der TWW von nationaler Bedeutung beträgt heute 4.7 ha und im Sömmerungsgebiet 10.5 ha (Guntern et al. 2013): eine Wiederbesiedlung durch Tagfalter, Hummeln und Reptilien ist möglich, wenn die Flächen nicht weiter als 1-3 km voneinander entfernt sind. Charakteristische Heuschrecken und Laufkäfer dagegen überwinden selten Distanzen von über 100 m.<br />
<br />
'''Nährstoffversorgung im Grünland''' <br/><br />
Stickstoff ein elementarer Baustein aller Lebewesen; Pflanzen nehmen ihn über die Wurzeln in der Form von Ammonium oder Nitrat auf. Pflanzenverfügbarer Stickstoff ist natürlicherweise in den meisten Böden Mangelware – in den letzten Jahrzehnten gelangten jedoch riesige Mengen von Stickstoffverbindungen als Mineraldünger, Gülle oder aus Verbrennungsprozessen direkt oder indirekt über die Luft in die Böden. Der natürliche atmosphärische Eintrag von biologisch aktivem Stickstoff beträgt lediglich 0.5 – 2 kg/ha. Heute gelangt durchschnittlich 16 kg/ha Stickstoff über die Luft in den Boden, was in etwa der ausgebrachten Menge für mittel intensiv genutzten Wiesen entspricht. Peter (2011) weist darauf hin, dass bei drei der vier umweltrelevanten Stickstoffformen (Ammoniak, Nitrat und Lachgas) die Landwirtschaft gesamtschweizerisch gesehen die Haupt Emittentin ist. So müssten beim Ammoniak beispielsweise die Emissionen aus der Landwirtschaft annähernd halbiert werden, damit eine substanziell schädigende Wirkung in sensiblen Ökosystemen verhindert werden könnte. Für artenreiche Wiesen (kollin und montan) liegt der kritische Eintragswert bei 10-30 kg N pro Hektar und Jahr (Guntern 2016a). Entsprechend sind bspw. 49% der Trockenwiesen von den negativen Auswirkungen des atmosphärischen Stickstoffeintrags betroffen; die kritischen Eintragswerte (critical loads) werden in vielen Lebensräumen z.T. massiv überschritten (BAFU 2017). In Wiesen führt dies zu einer Bodenversauerung, zu einer starken Abnahme der Pflanzendiversität und zur Dominanz einiger weniger Grasarten und ist mitverantwortlich für die extreme Artenverarmung im Wiesland insbesondere in den Tieflagen (Bosshard 2016). Heutige Bestände sind im Vergleich zu früher wüchsiger und dichter.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Stickstoffbilanz 2015 BFS 2.png<br />
| text = Die Stickstoffbilanz in den Landwirtschaftsflächen (inkl. Alpweiden) zeigt langfristig betrachtet zwar einen rückläufigen Überschuss, dennoch resultierte 2015 ein Überschuss von 60 kg/ha (1990er-Jahre > 80 kg/ha). Quelle: Landwirtschaft und Ernährung, Taschenstatistik BFS 2018)<br />
}}<br />
<br />
Auch Phosphor ist einer der Hauptnährstoffe der Pflanzen und wird in der Landwirtschaft als Düngemittel eingesetzt. In den letzten zehn Jahren belief sich der Phosphorüberschuss auf rund 400 t/Jahr.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = phosphorbilanz 2018 de zg.png<br />
| text = Phosphorbilanz der Landwirtschaftsflächen. Phosphormengen, die in landwirtschaftliche Böden gelangen bzw. ihnen entzogen werden. Quelle: BFS – Umweltgesamtrechnung (2020)<br />
}}<br />
<br />
Im intensiv genutzten Grasland werden ausserdem steigende Zink- und Kupfereinträge beobachtet, welche aus dem Hofdünger (Gülle und Mist) bzw. aus den Futtermitteln stammen (Gubler et al. 2015). Aufgrund der hohen landwirtschaftlichen Nutzungsintensität kann auch im Grünland davon ausgegangen werden, dass vielerorts das Bodenleben dadurch beeinträchtigt wird.<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* BAFU (2017): [https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/biodiversitaet/uz-umwelt-zustand/biodiversitaet-schweiz-zustand-entwicklung.pdf.download.pdf/UZ-1630-D_2017-06-20.pdf Zustand und Entwicklung Biodiversität Schweiz]<br />
* Guntern et al. (2013): [http://www.ngzh.ch/media/pdf/Flaechenbedarf.pdf Flächenbedarf für die Erhaltung der Biodiversität und der Ökosystemleistungen in der Schweiz]<br />
* BAFU (2017): [https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/boden/uz-umwelt-zustand/boden-schweiz.pdf.download.pdf/UZ-1721-D_Boden2017.pdf Boden in der Schweiz. Zustand und Entwicklung. Stand 2017] <br />
* BFS (2018): [https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kataloge-datenbanken/publikationen/uebersichtsdarstellungen/taschenstatistik-schweiz.html Taschenstatistiken] <br />
* BLW: [https://www.agrarbericht.ch/de Agrarbericht]<br />
<br />
==Zustand und Entwicklung der Artengemeinschaften des Grünlands==<br />
Bei einer Vergleichsuntersuchung fanden Schlup et al. (2013) im extensiv bewirtschafteten Grünland (Kammgrasweide, Fromental- und Goldhaferwiese, Halbtrockenrasen) eine höhere Artenzahl an Gefässpflanzen als im durchschnittlichen Grünland der Schweiz. Ausserdem kamen im extensiven Grünland deutlich mehr Kenn- und Charakterarten sowie gefährdete Arten vor. Spezialisiertere Grünlandarten werden zunehmend von Generalisten verdrängt und es findet eine Trivialisierung statt.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = TWW Kennarten de zs.png<br />
| text = Die Tabelle zeigt, wie wichtig besonders wertvolle Lebensräume für den Erhalt von vielen Tiergruppen sind. Quelle: Hotspot 18, Forum Biodiversität Schweiz 2008)<br />
}}<br />
<br />
Demnach weist ein beträchtlicher Teil der Arten eine erhöhte Bindung zu Trockenwiesen und -weiden auf.<br />
Lebensraumverlust und -degradierung haben auf die Biodiversität im Grünland einen negativen Einfluss, wie die folgende Darstellung aus dem Biodiversitätsmonitoring Schweiz zeigt (BAFU):<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Indikatoren de zs.png<br />
| text = Vielfalt von Artengemeinschaften in Wiesen und Weiden - Index* von 0 (einheitlich) bis 100 (vielfältig), aller paarweisen Vergleiche der Stichprobenflächen, in Prozent. *Mittelwerte über einen Zeitraum von jeweils fünf Jahren. Quelle: BAFU: Biodiversitäts-Monitoring Schweiz BDM 2018<br />
}}<br />
<br />
Die Artenvielfalt ist seit Mitte der 2000er Jahre insgesamt zurückgegangen und deutet auf eine gesamtschweizerische Vereinheitlichung der Wiesen und Weiden hin, was einem Verlust der Biodiversität gleichkommt. Jedoch ist der Verlust der Artengemeinschaften in diesen Lebensräumen schon seit mindestens einigen Jahrzehnten im Gang: In den letzten 120 Jahren hat sich die durchschnittliche Pflanzenartenvielfalt auf 81 Wiesen fast halbiert (Schlup et al. 2013). Generell wird festgestellt, dass v.a. häufig vorkommende Arten zugenommen haben, welche keine besonderen Ansprüche an ihren Lebensraum stellen. Spezialisierte Grünlandarten werden zunehmend von Generalisten verdrängt, was zu einer Trivialisierung der Wiesen und Weiden führt.<br />
<br />
Auch die meisten Vogelarten, welche auf Äckern, Wiesen und Weiden brüten, sind aufgrund der hohen landwirtschaftlichen Nutzungsintensität im Rückgang begriffen: Der schweizerische Index der für das Kulturland typischen Brutvögel (46 UZL-Arten) hat seit 1990 um fast 30% abgenommen, der europäische Agrarvogelindex seit 1980 um über 50% (BLW 2017, Becker et al. 2014). Auch die Bergidylle ist zunehmend bedroht: ein Langzeitvergleich der Vogelwarte zeigt, dass im Engadin innerhalb von 22 Jahren der Anteil an wenig intensiv genutzten und artenreichen Wiesen von 32 auf 27% gesunken und die Brutbestände von Feldlerche, Baumpieper und Braunkehlchen um 44-61% gesunken sind (Korner et al. 2017). Den blütenbesuchenden Insekten wird durch den Rückgang des reichen Blüten- und Nektarangebots die Nahrungsgrundlage entzogen. Wesche et al. (2014) stellten bei Heuschrecken und Wanzen in Auen und Trockenwiesen innert 50 Jahren einen dramatischen Einbruch der Individuenzahlen (>60%) bei teils konstanten, teils zunehmenden Artenzahlen fest. Die botanische Zusammensetzung von Fromentalwiesen zeigt im Vergleich zu den 1950er Jahren eine durchschnittliche Abnahme der Artenzahl von rund 30% bei einer ebenfalls deutlichen Qualitätseinbusse (Bosshard 2015c).<br />
<br />
Im Rahmen des Monitoringprogramms ALL-EMA werden der Zustand und die Veränderung von Arten und Lebensräumen der Umweltziele Landwirtschaft in der offenen Agrarlandschaft Schweiz erfasst und die Biodiversitätsförderflächen beurteilt. Eine erste umfassende Auswertung zum Zustand der Biodiversität ist 2020 vorgesehen.<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* [https://www.agroscope.admin.ch/agroscope/de/home/themen/umwelt-ressourcen/monitoring-analytik/all-ema.html ALL-EMA]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/zustand/indikatoren.html Vielfalt von Artengemeinschaften in Wiesen und Weiden (BAFU)]<br />
* [https://www.biodiversitymonitoring.ch/index.php/de/ Biodiversitätsmonitoring Schweiz]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/biodiversitaet/uw-umwelt-wissen/umweltziele_landwirtschaftstatusbericht.pdf.download.pdf/umweltziele_landwirtschaftstatusbericht.pdf BAFU & BLW (2016): Umweltziele Landwirtschaft UZL.]<br />
<br />
=Gefährdung und Gefährdungsursachen=<br />
43% der unter dem Begriff „Grünland“ zusammengefassten Lebensraumtypen gelten als gefährdet. Die wertvollsten Flächen der Trockenwiesen und -weiden sind in einem Inventar (TWW) bezeichnet - seit 1900 sind rund 95% der TWW in der Schweiz verschwunden.<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = Gefaehrdungskat Grünland de.png<br />
| text = Einstufung der 30 Lebensraumtypen des Grünlandes gemäss Roter Liste.<br />
}}<br />
<br />
Gefährdungsursachen und wichtige Treiber sind (Delarze et al. 2015, Bosshard 2016, Becker et al. 2014):<br />
* Der Verlust an Grünland-Lebensräumen durch Nutzungsaufgabe in Grenzertragslagen und nachfolgender Sukzession, durch Umwandlung von Grünland in Ackerland oder Kunstwiesen und durch den Siedlungs- und Strassenbau. Als Folge der Lebensraumverluste sind verbleibende Habitate oft zu klein und/oder von Isolation bedroht. Bis Fragmentierung und Randeffekte zum Verlust von Arten führen, kann es Jahrzehnte dauern; man spricht deshalb auch von der sogenannten Aussterbeschuld. Im Sömmerungsgebiet verschwinden mittel-wertvolle Flächen. Das aktuelle Instrument der BFF gibt im Sömmerungsgebiet keine Kriterien zur Bewirtschaftung vor. Es gibt Hinweise, dass die Kartierung der TWW nicht vollständig ist. Es besteht die Gefahr, dass wertvolle Flächen durch Intensivierung, falsche Nutzung oder Nutzungsaufgabe verloren gehen.<br />
* Intensivierung, moderne oder ungeeignete Bewirtschaftung sowie Nährstoffeinträge: Der Strukturwandel in der Landwirtschaft und die damit verbundene Intensivierung hat vielfache Auswirkungen auch auf das Grünland. Düngung und Zufütterung in der Viehhaltung haben vervielfachte Nährstoffeinträge und die Eutrophierung des Bodens zur Folge. Durch das Düngen werden viele Grünlandarten, insbesondere Kräuter, verdrängt und die Artenvielfalt nimmt in der Folge ab, weil wenige Arten dank dieser zugeführten Nährstoffe schnell wachsen, rasch Biomasse aufbauen und den Boden für den Aufwuchs anderer Pflanzen beschatten (Gerowitt et al. 2013). Die Intensivierung umfasst ausserdem die frühere Nutzung der Bestände zur Erzielung hoher Futterqualität (für die Hochleistungs-Milchkühe) und eine generell erhöhte Schlagkraft (mit schweren Maschinen), häufigere Nutzungen, den Einsatz von Pestiziden, Flurbereinigungen und Strukturverlust sowie kulturtechnische Massnahmen zur Entwässerung, Kalkung oder Bewässerung der Flächen. Des Weiteren werden Flächen eingeebnet bzw. unter Einsatz von bspw. Forstmulchern intensiviert. Vorgegebene Schnittzeitpunkte bewirken eine Monotonisierung der Landschaft sowie ein zeitgleiches Wegfallen von Nahrungsquellen. All diese Faktoren sowie die Aufgabe bestimmter Nutzungsformen führen zu einer Vereinheitlichung der Lebensräume. <br />
* Der Klimawandel stellt für den Wandel der Biodiversität und Ökosysteme einen bedeutenden Faktor dar (Guntern 2016b): insbesondere spielen der Temperaturanstieg sowie Veränderungen im hydrologischen Regime eine Rolle. Höhere Temperaturen und zunehmende Niederschlagsmengen führen bei gleichmässiger Bodendurchfeuchtung zu einer zunehmend schnelleren Wuchsleistung des Grünlands. Aus dem Biodiversitätsmonitoring ergeben sich Hinweise, dass im Mittelland bestimmte Lebensräume einerseits wärmer, andererseits auch trockener werden (BDM-Facts Nr. 4, BAFU 2012).<br />
* Auch invasive, gebietsfremde Arten können auf die heimische Biodiversität nachteilig wirken. V.a. folgende Arten bereiten bisher grossflächig Probleme im extensiv genutzten Wiesland: das Einjährige Berufkraut (''Erigeron annuus''), die beiden Goldrutenarten (''Solidago canadensis'' und ''S. serotina'', v.a. im unternutzten oder spät gemähten, feuchten bis wechselfeuchten Wiesland) sowie das Schmalblättrige Kreuzkraut (''Senecio inaequidens''). Weitere Neophyten mit invasivem Ausbreitungspotenzial werden auf der Neophyten-Watch-List geführt. Die (bemerkenswerte) Resistenz gegenüber neu eingebrachten Arten scheint ein Charakteristikum des mitteleuropäischen Wieslands zu sein (Bosshard 2016).<br />
* Je nach Lebensraumtyp und Lage des Grünlandes stellen auch Freizeitaktivitäten bzw. Erholungsnutzung Gefährdungsfaktoren dar. In Deutschland sind insbesondere auch der Anbau von Energiepflanzen (Biogasproduktion, Raps für Kraftstoffproduktion) sowie die Agrophotovoltaik mögliche Gefährdungstreiber.<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = rationelle Mahd as 96 dpi.jpg<br />
| text = Rationelle Erntemaschinen töten und verletzten viele Tiere.<br />
}}<br />
<br />
Nachfolgend werden einige ausgewählte Gefährdungsfaktoren näher beleuchtet.<br />
<br />
'''Unternutzung und Nutzungsaufgabe''': <br/><br />
Eine extensive Bewirtschaftung wird in Gebieten mit ungünstigen Produktionsbedingungen (Hangneigung, Bodenstruktur) immer weniger rentabel. In den letzten dreissig Jahren bewegten sich die Veränderungen in der Nutzungsform im Alpenraum stets in Richtung eines geringeren Bewirtschaftungsaufwands: von der Schnitt- zur Weidenutzung und von der Beweidung zur Verbrachung (Leitgruppe NFP 48 2007). Eine Unternutzung oder eine gänzliche Aufgabe der Bewirtschaftung führen kurzfristig zu Verbrachungserscheinungen, mittelfristig zu Verbuschung und Einwaldung. Wenn die Biomasse nicht weggeführt wird, tritt im Laufe der Jahre zunehmend Lichtmangel v.a. für die dichte, bodennahe Schicht in Form von sogenanntem Streuefilz auf. Gerade seltene und gefährdete Arten verschwinden oft zuerst und werden durch Generalisten ersetzt, bevor die Bewaldung einsetzt (Bosshard 2016). Im günstigsten Fall kann bereits nach 20 Jahren auf einer früheren Magerwiese oder -weide ein Wald stehen. In sehr magerem Wiesland führt die Nutzungsaufgabe und Verbrachung jedoch nicht zu einem Artenverlust, da die Wüchsigkeit für das Ausbilden eines Streuefilzes nicht ausreicht oder dieser rasch wieder abgebaut wird (bspw. durch Wind). Die natürliche Wiederbewaldung in Grenzertragslagen wird als Ausdruck eines grundlegenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels interpretiert, bei dem der Rückgang der Armut und die Zunahme des Wohlstands eine grosse Rolle spielen (Leitgruppe NFP 48 2007). Durch die abnehmende Verfügbarkeit von Arbeitskräften sind auch pflegerische Arbeiten der Bewirtschaftung gefährdet: damit eine möglichst langfristige Produktivität des Kulturbiotops sichergestellt werden kann, sind Pflegearbeiten wie Frühjahrssäuberung, exaktes Mähen, Abrechen des Schnittguts usw. notwendig, damit die «Saatbett-Bereitung» bzw. das Vorhandensein von Keimstellen gesichert ist.<br />
<br />
'''Steinfräsen''': <br/><br />
Steinfräsen zerkleinern Steine und Felsen, zermalmen und brechen den Boden auf, beseitigen Kleinstrukturen und Unebenheiten im Gelände. Diese irreparable Zerstörung der natürlichen Vegetation und der Kleinstrukturvielfalt ist u.a. für den Verlust von Baumpieper und Feldlerche im jurassischen Brutgebiet mitverantwortlich. Im Jura werden seit den 1990er-Jahren Steinfräsen teilweise grossflächig eingesetzt, um die wertvollen Kleinstrukturen zu eliminieren und ganze Flächen zu planieren. Die Gesetzeslage ist kantonal unterschiedlich (SO, JU, VD nicht erlaubt, NE & BE teilweise erlaubt) und trotz Verbot sind unbewilligte Fälle bekannt (Apolloni et al. 2017). Steinfräsen werden auch in höheren Lagen der Alpen regelmässig eingesetzt. Sie stellen eine so grosse Gefahr für die Biodiversität dar, dass sie verboten gehören.<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* Delarze et al. (2016): [https://www.infoflora.ch/de/lebensraeume/rote-liste.html Rote Liste der Lebensräume der Schweiz]<br />
* Trockenwiesen und -weiden der Schweiz (TWW) [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/fachinformationen/oekologische-infrastruktur/biotope-von-nationaler-bedeutung/trockenwiesen-und--weiden.html Inventar, Vollzugshilfe und Merkblätter, Fallstudien]<br />
* [https://www.wsl.ch/de/biotopschutz-schweiz.html Wirkungskontrolle Biotopschutz Schweiz]<br />
<br />
=Rechtsgrundlagen =<br />
* [https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19983407/index.html Landwirtschaftsgesetz (LwG)]<br />
* [https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19983381/index.html Landwirtschaftliche Begriffsverordnung (LBV)]<br />
* [https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20130216/index.html Direktzahlungsverordnung (DZV)]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/oekologischer-leistungsnachweis.html Ökologischer Leistungsnachweis (ÖLN) gemäss DZV, Übersicht zu den einzelnen Artikeln]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/biodiversitaetsbeitraege.html Übersicht über die Biodiversitätsbeiträge pro BFF-Typ und Qualitätsstufe]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/biodiversitaetsbeitraege.html Weitere Ausführungen zu den BFF-Qualitätsbeiträgen (QI und QII)]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/biodiversitaetsbeitraege.html Weitere Ausführungen zu den Vernetzungsbeiträgen]<br />
* Die rechtliche Grundlage für den nationalen Schutz der Trockenwiesen und -weiden bildet das [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/fachinformationen/oekologische-infrastruktur/biotope-von-nationaler-bedeutung/trockenwiesen-und--weiden.html Inventar über die Trockenwiesen und -weiden mit den entsprechenden Verordnungen und Vollzugshilfen].<br />
<br />
=Praxisrelevante Wissenslücken =<br />
Nachfolgend sind wichtige Themen aufgeführt, zu welchen (teilweise) Wissenslücken bestehen:<br />
* Vorkommen und Verbreitung ökologisch wertvoller Grünlandflächen im Sömmerungsgebiet, flächendeckende Inventarisierung<br />
* Wissenschaftliche Grundlagen zum Düngungsbedarf von Fromental- und Goldhaferwiesen im Hinblick auf die botanische Vielfalt fehlen, Praxisversuche sind wünschenswert.<br />
* Es gibt kaum systematische Erfahrungen zum Etzen in Zusammenhang mit der Biodiversitätsförderung im artenreichen Wiesland, übergeordnete Erfolgskontrollen sind erwünscht.<br />
* Phänologisch basierte Schnittzeitpunkte<br />
* Einfluss von Heubläser-Einsätzen auf die Biodiversität, insbesondere die Fauna (Richner et al. 2014 beleuchten den Einfluss auf die Vegetation)<br />
* Auswirkungen der Bewirtschaftung auf die Fauna über alle Mäh- und Nachbereitungsgeräte hinweg unter vergleichbaren Bedingungen untersuchen. Verhalten der Populationen auf mehrschürigen Wiesen im Jahresverlauf.<br />
* Angaben zu Ausmass und Verbreitung von Bodenverdichtungen<br />
<br />
=Literatur=<br />
Die Publikationen zum Grünland sind äusserst umfangreich. Wir stellen Ihnen die gesamte [[Media:Dokumentation Grünland Literatur.pdf|Liste an verwendeter Literatur]] zur Verfügung.<br />
<br />
= Weitere Kapitel zum Grünland=<br />
* [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland Einleitung und Zusammenfassung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie Praxisrelevante Ökologie]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung Erhalt und Aufwertung durch optimierte Bewirtschaftung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat Aufwertung und Neuschaffung durch Direktbegrünung und Ansaat]<br />
<!--* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisbeispiele Praxisbeispiele]--><br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || [https://www.faunatur.ch/portr%C3%A4t/ Karin Loeffel]|| [https://www.faunatur.ch/ faunatur]<br />
|-<br />
| Review|| Andreas Bosshard || [http://www.agraroekologie.ch/ueber-uns/team/ Ö+L GmbH] <br />
|-<br />
| || Jean-Yves Humbert || [https://www.cb.iee.unibe.ch/about_us/pd_dr_humbert_jean_yves/index_eng.html Universität Bern, Conservation Biology]<br />
|-<br />
| || Heiri Schiess || <br />
|-<br />
| || André Stapfer || <br />
|-<br />
| || Markus Staub || [https://www.poel.ch/ Projekte Ökologie Landwirtschaft] <br />
|-<br />
| || Gaby Volkart || [https://www.ateliernature.ch/de/portrait-deutsch/ atena]<br />
|-<br />
|}<br />
<br /></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Gr%C3%BCnland/Grundlagen&diff=4725
Grünland/Grundlagen
2023-03-12T14:22:45Z
<p>VB2: </p>
<hr />
<div>[[fr:Milieux prairiaux/Informations de base]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Fromentalwiese ABosshard zg 96 dpi.JPG<br />
| text = Die Fromentalwiesen sind innerhalb weniger Jahrzehnte weitestgehend verschwunden.<br />
}}<br />
<br />
=Sukzession und Bedeutung des Grünlands=<br />
Mit wenigen Ausnahmen ist Grünland keine natürliche Vegetation - bleibt eine Nutzung aus, folgt der Verlauf der meisten Grünland-Lebensraumtypen der natürlichen Sukzession. Maag et al. (2001) zeigen die verschiedenen Sukzessionsverläufe für unterschiedliche Standorte. Dabei hat jede Stufe der Sukzession beispielsweise eines Trockenrasens bis hin zum Wald ihren ökologischen Wert; die Artenvielfalt kann durch ein Nebeneinander verschiedener Sukzessionsstadien erhöht werden (Diacon et al. 2011). Die unterschiedlichen Stadien der Verbrachung und Verbuschung weisen willkommene Rückzugsgebiete und Nahrungsreservoirs für Reptilien, Spinnen und viele Insekten dar. Insbesondere jüngere Brachen können floristisch und faunistisch äusserst wertvoll sein; langfristig ist dagegen die Artenvielfalt in Dauerbrachen gefährdet (Dipner & Volkart 2010). <br />
<!-- Abbildung weglassen, weil nicht in guter Qualität zur Verfügung; Alternative: Foto einwachsender Wiese. In der folgenden Abbildung sind die Phasen der Verbuschung nicht mehr bewirtschafteter Halbtrockenrasen dargestellt (Quelle: Briemle et al. 1993):--><br />
<br />
Die Bedeutung des Grünlandes ist vielfältig und eine grosse Bandbreite von allgemeinen, nicht nur an das Grünland gebundene Ökosystemleistungen sind auch mit diesen Lebensräumen verbunden, wie produktive Erzeugnisse, genetische Ressourcen von Futterpflanzen, Bestäubungsleistungen, Erosionsvermeidung, kulturelle Leistungen, Speicherung von Kohlenstoff (Guntern et al. 2013). Ebenfalls relevant sind die mit dem Grünland verbundenen ästhetisch-landschaftlichen Aspekte bspw. im Hinblick auf die touristische Nutzung oder die Erholungsfunktion. Aus landwirtschaftlicher Sicht ist die Bedeutung des Grünlandes als Stätte der Futterproduktion zentral. Entsprechend sind Wiesen und Weiden für die landwirtschaftliche Nutzung im Laufe der vergangenen Jahrzehnte „optimiert“ worden. Beispielsweise stellen die Hochleistungsrassen in der Milchwirtschaft hohe Ansprüche an den Futterwert des Grünlandes: im jüngeren Aufwuchs ist der Rohfasergehalt niedriger und die Anteile an Rohprotein und Mineralstoffen höher. Entsprechend sind der Energiegehalt und die Verdaulichkeit des Futters besser. Damit sind die Anforderungen der Hochleistungsmilchwirtschaft mit dem Erhalt des artenreichen Grünlands nicht vereinbar (Gerowitt et al. 2011); landwirtschaftlich intensiv genutzte Wiesen haben kaum einen ökologischen Wert verglichen mit artenreichem Grünland.<br />
<br />
=Typologie des Grünlands=<br />
Je nachdem, worauf der Fokus liegt, kann das Grünland in Unterkategorien aufgeteilt werden; man kann vegetationskundliche, ökologische oder auch futterbauliche Kriterien anwenden.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Haber de zg.png<br />
| text = Haber (2014) gliedert das Grünland i.w.S. wie oben dargestellt (Abbildung leicht verändert).<br />
}}<br />
<br />
Dietl & Grünig (in Oppermann & Gujer 2003, S. 60) gliedern die artenreichen (Mäh-)Wiesen der Schweiz nach Wasser- und Nährstoffhaushalt in 19 Wiesentypen auf. Ihre tabellarische Übersicht zeigt für die jeweiligen Wiesentypen kennzeichnende Artengruppen und -kombinationen. Für den gedüngten Bereich wurde die obengenannte Systematik weiterentwickelt und [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie#Lebensr.C3.A4ume_des_Gr.C3.BCnlands Bosshard (2016) unterscheidet in der Folge für das gedüngte Wiesland neun Typen].<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = bosshard Genese de.png<br />
| text = Genese und Höhenverbreitung der gedüngten Wiesentypen. <br/> Quelle: Bosshard, A., 2016. Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas. Mit besonderer Berücksichtigung der Fromentalwiesen und des standortgemässen Futterbaus, Bristol-Schriftenreihe Band 50. Haupt Verlag, Bern. © Andreas Bosshard<br />
}}<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* Vereinfachter dichotomer Bestimmungsschlüssel zur Identifikation von Fromental- und Goldhaferwiesen in Bosshard (2016, S. 188).<br />
* [http://www.agraroekologie.ch/SchluesselGeduengteNaturwiesen.xls Bestimmungsschlüssel für die Wiesentypen des gedüngten Naturwieslands der Schweiz]<br />
* [https://ira.agroscope.ch/de-CH/publication/46127 Bestimmungsschlüssel für Lebensräume der offenen Kulturlandschaft] (Buholzer et al. 2015)<br />
* Die [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/kartierung-und-bewertung-trockenwiesen.html Kartier- und Bewertungsmethode zur Erarbeitung des Inventars der Trockenwiesen und -weiden] ist im Technischen Bericht ausgeführt (Eggenberg et al. 2001)<br />
* [https://www.infoflora.ch/de/lebensraeume/typoch/4-grnland-naturrasen-wiesen-und-weiden.html Klassifikation der Grünlandlebensräume nach Delarze et al. (2015)]<br />
<br />
=Zustand und Entwicklung des Grünlands in der Schweiz=<br />
==Entstehung von Grünland==<br />
Grünland ist in Mitteleuropa vor 8000 Jahren durch Waldrodung zur Ackernutzung entstanden. Die anschliessend nicht mehr für den Ackerbau genutzten Flächen begrünten sich und wurden als Viehweiden genutzt. Wo Wiesland in prähistorischer Zeit vorkam, ist weitgehend ungewiss und wird in Bosshard (2016) kurz ausgeführt.<br />
<br />
Kapfer (2010a, 2010b) und Bosshard (2016) beleuchten die Entstehungsgeschichte und die historische Wies- und Weidelandnutzung und stellen sie in Vergleich mit heutigen Nutzungsformen: Während vieler hundert Jahre war das Wiesland in das Produktionssystem der auf Getreidebau ausgerichteten Dreizelgenwirtschaft ausgerichtet. Der Heu- und Emdschnitt führte zusammen mit den geringen Mistgaben (rund um den Hof herum) und der historisch üblichen Frühjahrsvorweide (Etzen) zu einer langfristigen Ausmagerung der Böden mit entsprechenden Folgen für die Vegetation. Reine Mähwiesen haben sich grossflächig erst im 19. Jahrhundert entwickelt, vorher waren alle Wiesen auch beweidet (Frühjahrs- oder Herbstweide). Nach dem Etzen erfolgte der Heuschnitt später und die Wiesenpflanzen konnten ihre individuelle Entwicklung bis zur Samenreife und dem Ausstreuen der Samen vollständig abschliessen. Die heutige erste Hauptnutzung auf den Mager- und Fromentalwiesen beim Heuschnitt entsprach historisch der zweiten Nutzung. Früher orientierte man sich für den Beginn und das Ende bestimmter Bewirtschaftungsgänge an Heiligen-Tagen. Diese Orientierungszeitpunkte wurden jedoch je nach Jahresverlauf bspw. für den Mahdbeginn auch flexibel gehandhabt. Die Ernte einzelner Flächen erstreckte sich über mehrere Wochen hinweg. Das Heu der Schnittwiesen wurde auf der Fläche getrocknet, wodurch eine erfolgreiche generative Vermehrung gefördert wurde (Poschlod 2011). Im Laufe der Zeit führten neue Ernteverfahren, Bewässerungsmassnahmen und neu auch die phänologischen Veränderungen aufgrund des Klimawandels zu einem früheren ersten Schnitt von Wiesen (Guntern et al. 2013).<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Bewirtschaftungsschemata Kapfer zg 96 dpi.jpg<br />
| text = Bewirtschaftungsschema der drei wichtigsten Wiesentypen der alten Dreizelgenwirtschaft. Quelle: Kapfer, A. (2010): Beitrag zur Geschichte des Grünlands Mitteleuropas im Hinblick auf den Arten- und Biotopschutz. Darstellung im Kontext der landwirtschaftlichen Bodennutzungssysteme. In: Naturschutz und Landschaftsplanung 42 (5), S. 133–140.<br />
}}<br />
<br />
<br /><br />
<table border="0", style="font-size:108%"> <br />
<tr> <br />
<td> '''Die ökologischen Auswirkungen und die Anwendung des Etzens (Frühjahrsvorweide) (Quelle: Bosshard 2015b)''' <br /> Etzen war bis ins 18./19. Jh. die übliche erste Nutzung von Mähwiesen. Heute wird die Vorweide dagegen vor allem im Berggebiet in den intensiver genutzten Wiesentypen noch regelmässig praktiziert. Etzen bewirkt langfristig einen Nährstoffentzug, die Wüchsigkeit einer Wiese wird vermindert und dadurch, dass kurzfristig Licht in den Bestand eingebracht wird, werden empfindlichere Pflanzen artenreicher Wiesen gefördert. Die längere bewirtschaftungsfreie Phase zwischen der Frühjahrsweide und dem nächsten Nutzungszeitpunkt durch Mahd führt zu einem deutlich schmackhafteren, gehaltvolleren (da eiweissreicheren) Heuaufwuchs, so dass Etzen auch aus futterbaulicher und wirtschaftlicher Sicht von Interesse sein dürfte. <br />
Das kurze, schonende Überweiden einer Wiese im Frühjahr führt zu einem strukturierteren Pflanzenbestand, einem längerdauernden Blütenangebot und einem späteren Heuschnitt und gewisse Tierarten (Tagfalter, Heuschrecken und wiesenbrütende Vogelarten) können davon profitieren (SHL 2008). Aus praktischen Gründen (logistischer Aufwand) kommt das Etzen nur für eine Minderheit von Grünlandflächen überhaupt in Frage und ist für BFF-Flächen bspw. im Rahmen von Vernetzungsprojekten realisierbar, sofern die kantonalen Vernetzungsrichtlinien dies vorsehen und begründen.</td> <br />
</tr> <br />
</table><br />
<br /><br />
<br />
Unter diesem historischen Blickwinkel ist die Entstehung der Artenvielfalt in Wiesen zu betrachten (Poschlod 2011): Die Artenzusammensetzung der Flachlandmähwiesen, wie sie sich in der heutigen Form präsentiert, ist wahrscheinlich erst etwa 300 Jahre alt; der namengebende Glatthafer (''Arrhenatherum elatius'') wurde erst Anfang des 18. Jahrhunderts eingeführt (d.h. ein durch Auswahl-Zucht verbesserter Ökotyp aus Südfrankreich). Möglicherweise ist die namengebende Art der Berg-Mähwiesen, der Goldhafer (''Trisetum flavescens'') ebenfalls erst zu dieser Zeit eingeführt worden. Fast alle Pflanzenarten des Wieslandes scheinen aus der autochthonen Flora zu stammen (bspw. aus lichten Stellen von Wäldern, aus Schotterflächen der Auen, aus den Randregionen der Hochmoore etc.). Verschiedene Futterpflanzen des Wieslandes sind (gezielt oder unabsichtlich) eingeführt worden und schon früh begann der Mensch, mit gezielten Einsaaten den Ertrag zu steigern.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Bewirtschaftungstypen Kapfer zg 1280 768.png<br />
| text = Übersicht zur Genese der Bewirtschaftungstypen des Grünlands Mitteleuropas. Quelle: Kapfer, A. (2010): Beitrag zur Geschichte des Grünlands Mitteleuropas im Hinblick auf den Arten- und Biotopschutz. Darstellung im Kontext der landwirtschaftlichen Bodennutzungssysteme. In: Naturschutz und Landschaftsplanung 42 (5), S. 133–140.<br />
}}<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* Zusammenfassende Betrachtungen und nähere Ausführungen zur Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des Grünlands liefern [http://www.dr-kapfer.de/index.php/download.html Kapfer (2010a, 2010b)], [https://pudi.lubw.de/detailseite/-/publication/90005 Poschlod (2011)] und Bosshard (2016).<br />
* Auch das [http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D13861.php Historische Lexikon der Schweiz] bietet zu verschiedenen Themen (Düngung, Futtermittel, Bewässerung, Wiesen, Weiden) informative Artikel.<br />
<br />
==Quantitativer und qualitativer Zustand und deren Veränderung==<br />
Das Grünland hat sich mit den technischen Möglichkeiten in der Landwirtschaft (Mechanisierung, Düngereinsatz) und den Flurbereinigungen der letzten Jahrzehnte stark verändert worden und verändert sich immer noch.<br />
<br />
Die [[Media:Tabelle Grünland Auszug Flächenbedarf.pdf|Tabelle]] gibt einen Überblick über die Ausdehnung und quantitative Veränderung der Schweizer Grünlandlebensräume. Quelle: «Guntern et al. (2013): Flächenbedarf für die Erhaltung der Biodiversität und der Ökosystemleistungen in der Schweiz», S. 96. Weitere Grünflächen befinden sich im Siedlungsgebiet.<br/><br />
<small>LN = Landwirtschaftliche Nutzfläche, SöG = Sömmerungsgebiet, BFF = Biodiversitätsförderfläche</small> <br />
{| class="wikitable" <br />
|-<br />
! style="width: 25%"| Lebensraum<br />
! style="width: 10%"| Zeit<br />
!colspan="2"|Ausdehnung [ha]<br />
! style="width: 25%"| Bemerkung, Quelle<br />
|- style="vertical-align:top;"<br />
| Wiesen und Weiden auf der LN (ohne SöG, Kunstwiesen) davon:<br/>- Extensiv genutzte BFF-Wiesen <br/>- Wenig intensiv genutzte BFF-Wiesen<br />
| 2011<br />
|colspan="2"|610’732 <br/><br/><br/>66‘056 <br/>22‘919<br />
| (BLW 2012) <br/>Wobei mit Qualität gemäss ÖQV: <br/>- Weiden, Waldweiden: 5'384 ha <br/>- Wiesen (inkl. Streuflächen): 28'864 ha<br />
|-<br />
| Sömmerungsgebiet <sup>1</sup> (SöG)<br />
| 2011<br />
|colspan="2"|505'385 (12% der CH)<br />
| Gemäss (Walter et al. 2013)<br />
|-<br />
|rowspan="2"|Trockenwiesen und –weiden (TWW)<br />
| 1900<br />
|colspan="2"|760‘000 (bis 900‘000)<br />
| (Eggenberg et al. 2001; Lachat et al. 2010b), Flächenverlust von 90-99% von TWW in den Regionen und 95% in der Schweiz. <sup>2</sup><br />
|-<br />
| 2010<br />
|colspan="2"|37‘011<br />
| <br />
|- style="vertical-align:top;"<br />
| Potenziell wertvolles Grasland auf der LN oder im SöG (ohne TWW, Moore Modell basierend auf der Steigung und der Höhe über Meer an den Fundorten von UZL-Ziel- und Leitarten.<br />
| 2012 <br/>Total: <br/>TZ: <br/>HZ: <br/>BZI: <br/>BZII: <br/>BZII: <br/>BZIV: <br/>SöG:<br />
| style="width: 20%"| [ha] <br/>231’688 <br/>3797 <br/>354 <br/>2'023 <br/>6943 <br/>9223 <br/>10'984 <br/>198'364<br />
| style="width: 20%"| [%] <br/> <br/>0.78 <br/>0.25 <br/>1.71 <br/>4.52 <br/>11.06 <br/>22.72 <br/>39.25<br />
| (Walter et al. 2013) <br/> <br/>TZ = Talzone <br/>HZ = Hügelzone <br/>BZ = Bergzone <br/> <br/>Grünland macht nahezu 100% des SöG sowie der LN in den BZIV und BZIII aus.<br />
|-<br />
|rowspan="2"|Fromentalwiesen auf der LN<br />
| 1950<br />
|colspan="2"|Abgesehen von TWW, Dauerweiden, Streuwiesen, Äckern nahezu alles<br />
| (Bosshard & Stähli 2012): genauere Angaben in Erarbeitung für Schlussbericht der laufenden Studie.<br />
|-<br />
| 2011<br />
|colspan="2"|3-8%<br />
| (Bosshard & Stähli 2012), wobei davon ca. 20% mit der Artenzusammensetzung von intensiv genutzten Fromentalwiesen der 1950er Jahre und max. 5% mit guter Qualität (pers. Mitteilung A. Bosshard) <br/>-> Rückgang von vermutlich > 90% und nahezu 100% für artenreiche Bestände (Bosshard 1998)<br />
|}<br />
<small><br />
<sup>1</sup> Gemäss Arealstatistik nahm die Alpwirtschaftliche Nutzfläche von 1979/85 bis 1992/97 von 555'662 um 3.2 % auf 537'802 ha ab. Ein weiterer Rückgang wurde bis 2004/09 festgestellt.<br />
</small> <br/><br />
<small><br />
<sup>2</sup> Schätzungsweise weitere Abnahme von 25-30% zw. 1995-2005 (Leibundgut 2007 zitiert in Graf & Korner 2011). Grössenordnungen in diesem Bereich sind im Wallis und Engadin durch Fallstudien bestätigt.<br />
</small><br />
<br />
<br/><br />
Ein Vergleich mit der Grünland-Situation in Deutschland zeigt: Ein mit der Schweiz (Tieflagen) vergleichbarer Anteil von rund 13% der Gesamtfläche (CH 14.7%) wird als landwirtschaftliches Grünland genutzt, der Grossteil davon ebenfalls intensiv (Boch et al. 2016).<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = Nutzung LN BFS 2018 96 dpi.png<br />
| text = Wie sich die landwirtschaftliche Nutzfläche der Schweiz auf die verschiedenen Nutzungstypen aufteilt. Quelle: BFS 2018, Die Schweiz in 21 Infografiken.<br />
}}<br />
<br />
Im Zeitraum von 1990 bis 2009 hat sich die Grünlandfläche in Deutschland um 875‘000 ha verringert. Zwischen 2003 und 2012 betrug der absolute Verlust des Dauergrünlands ca. 5%. In der Schweiz machen Landwirtschafts- und Alpwirtschaftsflächen zusammen mehr als einen Drittel der Gesamtfläche aus; zwischen 1985 und 2009 sind 85‘000 ha davon verlorengegangen, was der Grösse des Kantons Jura entspricht (BFS 2018). Die Fromentalwiesen, bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts der häufigste und zugleich produktivste Wiesentyp auf den guten Böden der tieferen Lagen Mitteleuropas, sind innerhalb weniger Jahrzehnte weitestgehend verschwunden. Damit einher ging eine qualitative Verschlechterung: ein Vergleich zwischen 1950 und 2009 zeigt, dass die damalig «intensiv» genutzten Wiesen in der Regel QII-Qualität hatten, heute hingegen in den noch vorhandenen Fromental-Vergleichswiesen nur noch ein Drittel diese Qualitätsanforderung erreicht («Fromentalwiesenprojekt», Bosshard 2016). Unter den besonders wertvollen Lebensräumen ging die Fläche der Trockenwiesen und -weiden zwischen 1900 und 2010 um 95% zurück.<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = TWW Zuerich Umweltbericht zg.png<br />
| text = Abnahme artenreicher Wiesen im Kanton Zürich. Quelle: Baudirektion Kanton Zürich (2008), Umweltbericht 2008.<br />
}}<br />
<br />
Im Schweizer Berggebiet nahm die Entwicklung des Futterbaus und der Wiesen und Weiden einen anderen Weg als im Mittelland: Erschwernislagen (steile oder schlecht erschlossene, meist mit vielen Kleinstrukturen durchsetzte Flächen) wurden zunehmend in Weiden umgenutzt oder ganz aus der Nutzung entlassen und ein Grossteil davon ist in der Folge verbuscht und verwaldet. Insgesamt hat die Waldfläche in den vergangenen 150 Jahren auf Kosten von Wiesen- und Weideflächen je nach Region um 30-100% zugenommen. Heute liegt der überwiegende Teil des artenreichen Wieslandes der Schweiz in solchen Erschwernislagen ab Bergzone I; besonders hoch ist dieser Anteil im Sömmerungsgebiet. Allerdings nehmen diese Flächen sowohl durch Nutzungsaufgabe als auch durch Intensivierung laufend ab (Bosshard 2016).<br />
<br />
Der Anteil BFF mit Qualitätsstufe II steigt stetig an; das Ziel eines 40%-Anteils wurde 2017 erstmals erreicht. Der Anteil im Talgebiet ist mit 28% jedoch immer noch tief (BLW 2018). Seit 2014 werden ebenfalls Beiträge für artenreiche Grün- und Streueflächen im Sömmerungsgebiet ausgerichtet; der Anteil dieser Flächen mit Qualitätsstufe II betrug 2017 217‘496 ha.<br />
<br />
{| class="wikitable" <br />
|- <br />
|colspan="5"| '''Übersicht über die Flächenanteile BFF mit QII-Qualität (in Hektaren) (Quelle: Agrarbericht BLW 2019)'''<br />
|-<br />
! BFF QII-Typ<br />
! style="text-align:right;" | Talregion<br />
! style="text-align:right;" | Hügelregion<br />
! style="text-align:right;" | Bergregion<br />
! style="text-align:right;" | Total<br />
|-<br />
| Extensiv genutzte Wiesen<br />
| style="text-align:right;" | 11495<br />
| style="text-align:right;" | 7395<br />
| style="text-align:right;" | 17411<br />
| style="text-align:right;" | 36301<br />
|-<br />
| Wenig intensiv genutzte Wiesen<br />
| style="text-align:right;" | 130<br />
| style="text-align:right;" | 411<br />
| style="text-align:right;" | 3220<br />
| style="text-align:right;" | 3761<br />
|-<br />
| extensiv genutzte Weiden und Waldweiden<br />
| style="text-align:right;" | 1468<br />
| style="text-align:right;" | 2830<br />
| style="text-align:right;" | 14759<br />
| style="text-align:right;" | 19057<br />
|-<br />
| artenreiche Grün- und Streuflächen im Sömmerungsgebiet<br />
| <br />
| <br />
| <br />
| style="text-align:right;" | 223509<br />
|}<br />
<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Entwicklung BFF Q2 2001 2016.png<br />
| text = Entwicklung (in Hektaren) der angemeldeten artenreichen Wiesen und Weiden (BFF mit Qualitätsstufe II) zwischen 2001 – 2016 (Quelle: Daten BLW).<br />
}}<br />
<br />
Die qualitativen Veränderungen in Wiesen und Weiden betreffen das allgemeine Nährstoffniveau, welches enorm gestiegen ist und das Verschwinden des früher verbreiteten Mosaiks von unterschiedlich genutzten Flächen (Schmid et al. 2007). Weitere qualitative Veränderungen der letzten Jahrzehnte beschreibt Bosshard (2016): Die Schlagkraft hat sich vervielfacht mit früherem Schnitt, viel höherer Nutzungsfrequenz und der zeitgleichen Nutzung viel grösserer Flächen. Die Erträge sind um ca. 60-80% gestiegen. Kleinstrukturen und Kulturlandschaftselemente sind verschwunden. Die schwereren Maschinen haben eine problematische Bodenverdichtung zur Folge und insbesondere für die Fauna destruktive Ernteverfahren (Rotationsmähwerke, Futteraufbereiter, Silagetechnik) nehmen zu. Heute wird vorwiegend Güllewirtschaft (rasch verfügbare Nährstoffe) statt der früher üblichen Festmistwirtschaft betrieben und durch den Wechsel von der Dürrfutterbereitung (Heu) zur Silage liegt der Nutzungszeitpunkt des ersten Aufwuchses heute früher im Jahr, es sind mehr Nutzungen pro Jahr möglich, die Ernte verläuft rascher und die Pflanzen können weniger absamen. Meliorationen, das Zusammenlegen von Parzellen und das Verschwinden von extensiven Parzellengrenzen bewirken ebenfalls grosse Veränderungen. Ein nächster Schritt steht mit der zukünftigen Automatisierung der Bewirtschaftung bevor. Anschaulich illustriert [https://www.pronatura.ch/de/wiesen-und-weiden Pro Natura anhand von Beispielen] die Entwicklung ehemals artenreicher Wiesen in artenarme Fettwiesen.<br />
<br />
Die ökologischen Auswirkungen der oben beschriebenen Veränderungen sind mannigfaltig: beispielsweise führt die Intensivierung der Graslandkultivierung und die früheren Schnittzeitpunkte zu einer Abnahme der Samenbank im Boden (Klimkowska et al. 2007). Die früheren Schnittzeitpunkte führen zur Überlappung mit der Brutsaison bodenbrütender Vögel; durch Mahd werden die Nester mechanisch zerstört oder sind für Prädatoren nach dem Schnitt leichter zugänglich oder die Futterverfügbarkeit wird während einer kritischen Phase der Nestlinge dezimiert (Britschgi et al. 2006). Einzelflächen wie auch die Gesamtfläche ökologisch wertvoller Wiesen und Weiden sind zu klein und zu stark fragmentiert. Kleine Grünlandflächen sind besonders empfindlich gegenüber negativer Randeffekte (z.B. Eindringen anderer Arten) und ökologischer Drift. Die durchschnittliche Grösse der TWW von nationaler Bedeutung beträgt heute 4.7 ha und im Sömmerungsgebiet 10.5 ha (Guntern et al. 2013): eine Wiederbesiedlung durch Tagfalter, Hummeln und Reptilien ist möglich, wenn die Flächen nicht weiter als 1-3 km voneinander entfernt sind. Charakteristische Heuschrecken und Laufkäfer dagegen überwinden selten Distanzen von über 100 m.<br />
<br />
'''Nährstoffversorgung im Grünland''' <br/><br />
Stickstoff ein elementarer Baustein aller Lebewesen; Pflanzen nehmen ihn über die Wurzeln in der Form von Ammonium oder Nitrat auf. Pflanzenverfügbarer Stickstoff ist natürlicherweise in den meisten Böden Mangelware – in den letzten Jahrzehnten gelangten jedoch riesige Mengen von Stickstoffverbindungen als Mineraldünger, Gülle oder aus Verbrennungsprozessen direkt oder indirekt über die Luft in die Böden. Der natürliche atmosphärische Eintrag von biologisch aktivem Stickstoff beträgt lediglich 0.5 – 2 kg/ha. Heute gelangt durchschnittlich 16 kg/ha Stickstoff über die Luft in den Boden, was in etwa der ausgebrachten Menge für mittel intensiv genutzten Wiesen entspricht. Peter (2011) weist darauf hin, dass bei drei der vier umweltrelevanten Stickstoffformen (Ammoniak, Nitrat und Lachgas) die Landwirtschaft gesamtschweizerisch gesehen die Haupt Emittentin ist. So müssten beim Ammoniak beispielsweise die Emissionen aus der Landwirtschaft annähernd halbiert werden, damit eine substanziell schädigende Wirkung in sensiblen Ökosystemen verhindert werden könnte. Für artenreiche Wiesen (kollin und montan) liegt der kritische Eintragswert bei 10-30 kg N pro Hektar und Jahr (Guntern 2016a). Entsprechend sind bspw. 49% der Trockenwiesen von den negativen Auswirkungen des atmosphärischen Stickstoffeintrags betroffen; die kritischen Eintragswerte (critical loads) werden in vielen Lebensräumen z.T. massiv überschritten (BAFU 2017). In Wiesen führt dies zu einer Bodenversauerung, zu einer starken Abnahme der Pflanzendiversität und zur Dominanz einiger weniger Grasarten und ist mitverantwortlich für die extreme Artenverarmung im Wiesland insbesondere in den Tieflagen (Bosshard 2016). Heutige Bestände sind im Vergleich zu früher wüchsiger und dichter.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Stickstoffbilanz 2015 BFS 2.png<br />
| text = Die Stickstoffbilanz in den Landwirtschaftsflächen (inkl. Alpweiden) zeigt langfristig betrachtet zwar einen rückläufigen Überschuss, dennoch resultierte 2015 ein Überschuss von 60 kg/ha (1990er-Jahre > 80 kg/ha). Quelle: Landwirtschaft und Ernährung, Taschenstatistik BFS 2018)<br />
}}<br />
<br />
Auch Phosphor ist einer der Hauptnährstoffe der Pflanzen und wird in der Landwirtschaft als Düngemittel eingesetzt. In den letzten zehn Jahren belief sich der Phosphorüberschuss auf rund 400 t/Jahr.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = phosphorbilanz 2018 de zg.png<br />
| text = Phosphorbilanz der Landwirtschaftsflächen. Phosphormengen, die in landwirtschaftliche Böden gelangen bzw. ihnen entzogen werden. Quelle: BFS – Umweltgesamtrechnung (2020)<br />
}}<br />
<br />
Im intensiv genutzten Grasland werden ausserdem steigende Zink- und Kupfereinträge beobachtet, welche aus dem Hofdünger (Gülle und Mist) bzw. aus den Futtermitteln stammen (Gubler et al. 2015). Aufgrund der hohen landwirtschaftlichen Nutzungsintensität kann auch im Grünland davon ausgegangen werden, dass vielerorts das Bodenleben dadurch beeinträchtigt wird.<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* BAFU (2017): [https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/biodiversitaet/uz-umwelt-zustand/biodiversitaet-schweiz-zustand-entwicklung.pdf.download.pdf/UZ-1630-D_2017-06-20.pdf Zustand und Entwicklung Biodiversität Schweiz]<br />
* Guntern et al. (2013): [http://www.ngzh.ch/media/pdf/Flaechenbedarf.pdf Flächenbedarf für die Erhaltung der Biodiversität und der Ökosystemleistungen in der Schweiz]<br />
* BAFU (2017): [https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/boden/uz-umwelt-zustand/boden-schweiz.pdf.download.pdf/UZ-1721-D_Boden2017.pdf Boden in der Schweiz. Zustand und Entwicklung. Stand 2017] <br />
* BFS (2018): [https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kataloge-datenbanken/publikationen/uebersichtsdarstellungen/taschenstatistik-schweiz.html Taschenstatistiken] <br />
* BLW: [https://www.agrarbericht.ch/de Agrarbericht]<br />
<br />
==Zustand und Entwicklung der Artengemeinschaften des Grünlands==<br />
Bei einer Vergleichsuntersuchung fanden Schlup et al. (2013) im extensiv bewirtschafteten Grünland (Kammgrasweide, Fromental- und Goldhaferwiese, Halbtrockenrasen) eine höhere Artenzahl an Gefässpflanzen als im durchschnittlichen Grünland der Schweiz. Ausserdem kamen im extensiven Grünland deutlich mehr Kenn- und Charakterarten sowie gefährdete Arten vor. Spezialisiertere Grünlandarten werden zunehmend von Generalisten verdrängt und es findet eine Trivialisierung statt.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = TWW Kennarten de zs.png<br />
| text = Die Tabelle zeigt, wie wichtig besonders wertvolle Lebensräume für den Erhalt von vielen Tiergruppen sind. Quelle: Hotspot 18, Forum Biodiversität Schweiz 2008)<br />
}}<br />
<br />
Demnach weist ein beträchtlicher Teil der Arten eine erhöhte Bindung zu Trockenwiesen und -weiden auf.<br />
Lebensraumverlust und -degradierung haben auf die Biodiversität im Grünland einen negativen Einfluss, wie die folgende Darstellung aus dem Biodiversitätsmonitoring Schweiz zeigt (BAFU):<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Indikatoren de zs.png<br />
| text = Vielfalt von Artengemeinschaften in Wiesen und Weiden - Index* von 0 (einheitlich) bis 100 (vielfältig), aller paarweisen Vergleiche der Stichprobenflächen, in Prozent. *Mittelwerte über einen Zeitraum von jeweils fünf Jahren. Quelle: BAFU: Biodiversitäts-Monitoring Schweiz BDM 2018<br />
}}<br />
<br />
Die Artenvielfalt ist seit Mitte der 2000er Jahre insgesamt zurückgegangen und deutet auf eine gesamtschweizerische Vereinheitlichung der Wiesen und Weiden hin, was einem Verlust der Biodiversität gleichkommt. Jedoch ist der Verlust der Artengemeinschaften in diesen Lebensräumen schon seit mindestens einigen Jahrzehnten im Gang: In den letzten 120 Jahren hat sich die durchschnittliche Pflanzenartenvielfalt auf 81 Wiesen fast halbiert (Schlup et al. 2013). Generell wird festgestellt, dass v.a. häufig vorkommende Arten zugenommen haben, welche keine besonderen Ansprüche an ihren Lebensraum stellen. Spezialisierte Grünlandarten werden zunehmend von Generalisten verdrängt, was zu einer Trivialisierung der Wiesen und Weiden führt.<br />
<br />
Auch die meisten Vogelarten, welche auf Äckern, Wiesen und Weiden brüten, sind aufgrund der hohen landwirtschaftlichen Nutzungsintensität im Rückgang begriffen: Der schweizerische Index der für das Kulturland typischen Brutvögel (46 UZL-Arten) hat seit 1990 um fast 30% abgenommen, der europäische Agrarvogelindex seit 1980 um über 50% (BLW 2017, Becker et al. 2014). Auch die Bergidylle ist zunehmend bedroht: ein Langzeitvergleich der Vogelwarte zeigt, dass im Engadin innerhalb von 22 Jahren der Anteil an wenig intensiv genutzten und artenreichen Wiesen von 32 auf 27% gesunken und die Brutbestände von Feldlerche, Baumpieper und Braunkehlchen um 44-61% gesunken sind (Korner et al. 2017). Den blütenbesuchenden Insekten wird durch den Rückgang des reichen Blüten- und Nektarangebots die Nahrungsgrundlage entzogen. Wesche et al. (2014) stellten bei Heuschrecken und Wanzen in Auen und Trockenwiesen innert 50 Jahren einen dramatischen Einbruch der Individuenzahlen (>60%) bei teils konstanten, teils zunehmenden Artenzahlen fest. Die botanische Zusammensetzung von Fromentalwiesen zeigt im Vergleich zu den 1950er Jahren eine durchschnittliche Abnahme der Artenzahl von rund 30% bei einer ebenfalls deutlichen Qualitätseinbusse (Bosshard 2015c).<br />
<br />
Im Rahmen des Monitoringprogramms ALL-EMA werden der Zustand und die Veränderung von Arten und Lebensräumen der Umweltziele Landwirtschaft in der offenen Agrarlandschaft Schweiz erfasst und die Biodiversitätsförderflächen beurteilt. Eine erste umfassende Auswertung zum Zustand der Biodiversität ist 2020 vorgesehen.<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* [https://www.agroscope.admin.ch/agroscope/de/home/themen/umwelt-ressourcen/monitoring-analytik/all-ema.html ALL-EMA]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/zustand/indikatoren.html Vielfalt von Artengemeinschaften in Wiesen und Weiden (BAFU)]<br />
* [https://www.biodiversitymonitoring.ch/index.php/de/ Biodiversitätsmonitoring Schweiz]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/biodiversitaet/uw-umwelt-wissen/umweltziele_landwirtschaftstatusbericht.pdf.download.pdf/umweltziele_landwirtschaftstatusbericht.pdf BAFU & BLW (2016): Umweltziele Landwirtschaft UZL.]<br />
<br />
=Gefährdung und Gefährdungsursachen=<br />
43% der unter dem Begriff „Grünland“ zusammengefassten Lebensraumtypen gelten als gefährdet. Die wertvollsten Flächen der Trockenwiesen und -weiden sind in einem Inventar (TWW) bezeichnet - seit 1900 sind rund 95% der TWW in der Schweiz verschwunden.<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = Gefaehrdungskat Grünland de.png<br />
| text = Einstufung der 30 Lebensraumtypen des Grünlandes gemäss Roter Liste.<br />
}}<br />
<br />
Gefährdungsursachen und wichtige Treiber sind (Delarze et al. 2015, Bosshard 2016, Becker et al. 2014):<br />
* Der Verlust an Grünland-Lebensräumen durch Nutzungsaufgabe in Grenzertragslagen und nachfolgender Sukzession, durch Umwandlung von Grünland in Ackerland oder Kunstwiesen und durch den Siedlungs- und Strassenbau. Als Folge der Lebensraumverluste sind verbleibende Habitate oft zu klein und/oder von Isolation bedroht. Bis Fragmentierung und Randeffekte zum Verlust von Arten führen, kann es Jahrzehnte dauern; man spricht deshalb auch von der sogenannten Aussterbeschuld. Im Sömmerungsgebiet verschwinden mittel-wertvolle Flächen. Das aktuelle Instrument der BFF gibt im Sömmerungsgebiet keine Kriterien zur Bewirtschaftung vor. Es gibt Hinweise, dass die Kartierung der TWW nicht vollständig ist. Es besteht die Gefahr, dass wertvolle Flächen durch Intensivierung, falsche Nutzung oder Nutzungsaufgabe verloren gehen.<br />
* Intensivierung, moderne oder ungeeignete Bewirtschaftung sowie Nährstoffeinträge: Der Strukturwandel in der Landwirtschaft und die damit verbundene Intensivierung hat vielfache Auswirkungen auch auf das Grünland. Düngung und Zufütterung in der Viehhaltung haben vervielfachte Nährstoffeinträge und die Eutrophierung des Bodens zur Folge. Durch das Düngen werden viele Grünlandarten, insbesondere Kräuter, verdrängt und die Artenvielfalt nimmt in der Folge ab, weil wenige Arten dank dieser zugeführten Nährstoffe schnell wachsen, rasch Biomasse aufbauen und den Boden für den Aufwuchs anderer Pflanzen beschatten (Gerowitt et al. 2013). Die Intensivierung umfasst ausserdem die frühere Nutzung der Bestände zur Erzielung hoher Futterqualität (für die Hochleistungs-Milchkühe) und eine generell erhöhte Schlagkraft (mit schweren Maschinen), häufigere Nutzungen, den Einsatz von Pestiziden, Flurbereinigungen und Strukturverlust sowie kulturtechnische Massnahmen zur Entwässerung, Kalkung oder Bewässerung der Flächen. Des Weiteren werden Flächen eingeebnet bzw. unter Einsatz von bspw. Forstmulchern intensiviert. Vorgegebene Schnittzeitpunkte bewirken eine Monotonisierung der Landschaft sowie ein zeitgleiches Wegfallen von Nahrungsquellen. All diese Faktoren sowie die Aufgabe bestimmter Nutzungsformen führen zu einer Vereinheitlichung der Lebensräume. <br />
* Der Klimawandel stellt für den Wandel der Biodiversität und Ökosysteme einen bedeutenden Faktor dar (Guntern 2016b): insbesondere spielen der Temperaturanstieg sowie Veränderungen im hydrologischen Regime eine Rolle. Höhere Temperaturen und zunehmende Niederschlagsmengen führen bei gleichmässiger Bodendurchfeuchtung zu einer zunehmend schnelleren Wuchsleistung des Grünlands. Aus dem Biodiversitätsmonitoring ergeben sich Hinweise, dass im Mittelland bestimmte Lebensräume einerseits wärmer, andererseits auch trockener werden (BDM-Facts Nr. 4, BAFU 2012).<br />
* Auch invasive, gebietsfremde Arten können auf die heimische Biodiversität nachteilig wirken. V.a. folgende Arten bereiten bisher grossflächig Probleme im extensiv genutzten Wiesland: das Einjährige Berufkraut (''Erigeron annuus''), die beiden Goldrutenarten (''Solidago canadensis'' und ''S. serotina'', v.a. im unternutzten oder spät gemähten, feuchten bis wechselfeuchten Wiesland) sowie das Schmalblättrige Kreuzkraut (''Senecio inaequidens''). Weitere Neophyten mit invasivem Ausbreitungspotenzial werden auf der Neophyten-Watch-List geführt. Die (bemerkenswerte) Resistenz gegenüber neu eingebrachten Arten scheint ein Charakteristikum des mitteleuropäischen Wieslands zu sein (Bosshard 2016).<br />
* Je nach Lebensraumtyp und Lage des Grünlandes stellen auch Freizeitaktivitäten bzw. Erholungsnutzung Gefährdungsfaktoren dar. In Deutschland sind insbesondere auch der Anbau von Energiepflanzen (Biogasproduktion, Raps für Kraftstoffproduktion) sowie die Agrophotovoltaik mögliche Gefährdungstreiber.<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = rationelle Mahd as 96 dpi.jpg<br />
| text = Rationelle Erntemaschinen töten und verletzten viele Tiere.<br />
}}<br />
<br />
Nachfolgend werden einige ausgewählte Gefährdungsfaktoren näher beleuchtet.<br />
<br />
'''Unternutzung und Nutzungsaufgabe''': <br/><br />
Eine extensive Bewirtschaftung wird in Gebieten mit ungünstigen Produktionsbedingungen (Hangneigung, Bodenstruktur) immer weniger rentabel. In den letzten dreissig Jahren bewegten sich die Veränderungen in der Nutzungsform im Alpenraum stets in Richtung eines geringeren Bewirtschaftungsaufwands: von der Schnitt- zur Weidenutzung und von der Beweidung zur Verbrachung (Leitgruppe NFP 48 2007). Eine Unternutzung oder eine gänzliche Aufgabe der Bewirtschaftung führen kurzfristig zu Verbrachungserscheinungen, mittelfristig zu Verbuschung und Einwaldung. Wenn die Biomasse nicht weggeführt wird, tritt im Laufe der Jahre zunehmend Lichtmangel v.a. für die dichte, bodennahe Schicht in Form von sogenanntem Streuefilz auf. Gerade seltene und gefährdete Arten verschwinden oft zuerst und werden durch Generalisten ersetzt, bevor die Bewaldung einsetzt (Bosshard 2016). Im günstigsten Fall kann bereits nach 20 Jahren auf einer früheren Magerwiese oder -weide ein Wald stehen. In sehr magerem Wiesland führt die Nutzungsaufgabe und Verbrachung jedoch nicht zu einem Artenverlust, da die Wüchsigkeit für das Ausbilden eines Streuefilzes nicht ausreicht oder dieser rasch wieder abgebaut wird (bspw. durch Wind). Die natürliche Wiederbewaldung in Grenzertragslagen wird als Ausdruck eines grundlegenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels interpretiert, bei dem der Rückgang der Armut und die Zunahme des Wohlstands eine grosse Rolle spielen (Leitgruppe NFP 48 2007). Durch die abnehmende Verfügbarkeit von Arbeitskräften sind auch pflegerische Arbeiten der Bewirtschaftung gefährdet: damit eine möglichst langfristige Produktivität des Kulturbiotops sichergestellt werden kann, sind Pflegearbeiten wie Frühjahrssäuberung, exaktes Mähen, Abrechen des Schnittguts usw. notwendig, damit die «Saatbett-Bereitung» bzw. das Vorhandensein von Keimstellen gesichert ist.<br />
<br />
'''Steinfräsen''': <br/><br />
Steinfräsen zerkleinern Steine und Felsen, zermalmen und brechen den Boden auf, beseitigen Kleinstrukturen und Unebenheiten im Gelände. Diese irreparable Zerstörung der natürlichen Vegetation und der Kleinstrukturvielfalt ist u.a. für den Verlust von Baumpieper und Feldlerche im jurassischen Brutgebiet mitverantwortlich. Im Jura werden seit den 1990er-Jahren Steinfräsen teilweise grossflächig eingesetzt, um die wertvollen Kleinstrukturen zu eliminieren und ganze Flächen zu planieren. Die Gesetzeslage ist kantonal unterschiedlich (SO, JU, VD nicht erlaubt, NE & BE teilweise erlaubt) und trotz Verbot sind unbewilligte Fälle bekannt (Apolloni et al. 2017). Steinfräsen werden auch in höheren Lagen der Alpen regelmässig eingesetzt. Sie stellen eine so grosse Gefahr für die Biodiversität dar, dass sie verboten gehören.<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* Delarze et al. (2016): [https://www.infoflora.ch/de/lebensraeume/rote-liste.html Rote Liste der Lebensräume der Schweiz]<br />
* Trockenwiesen und -weiden der Schweiz (TWW) [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/fachinformationen/oekologische-infrastruktur/biotope-von-nationaler-bedeutung/trockenwiesen-und--weiden.html Inventar, Vollzugshilfe und Merkblätter, Fallstudien]<br />
* [https://www.wsl.ch/de/biotopschutz-schweiz.html Wirkungskontrolle Biotopschutz Schweiz]<br />
<br />
=Rechtsgrundlagen =<br />
* [https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19983407/index.html Landwirtschaftsgesetz (LwG)]<br />
* [https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19983381/index.html Landwirtschaftliche Begriffsverordnung (LBV)]<br />
* [https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20130216/index.html Direktzahlungsverordnung (DZV)]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/oekologischer-leistungsnachweis.html Ökologischer Leistungsnachweis (ÖLN) gemäss DZV, Übersicht zu den einzelnen Artikeln]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/biodiversitaetsbeitraege.html Übersicht über die Biodiversitätsbeiträge pro BFF-Typ und Qualitätsstufe]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/biodiversitaetsbeitraege.html Weitere Ausführungen zu den BFF-Qualitätsbeiträgen (QI und QII)]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/biodiversitaetsbeitraege.html Weitere Ausführungen zu den Vernetzungsbeiträgen]<br />
* Die rechtliche Grundlage für den nationalen Schutz der Trockenwiesen und -weiden bildet das [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/fachinformationen/oekologische-infrastruktur/biotope-von-nationaler-bedeutung/trockenwiesen-und--weiden.html Inventar über die Trockenwiesen und -weiden mit den entsprechenden Verordnungen und Vollzugshilfen].<br />
<br />
=Praxisrelevante Wissenslücken =<br />
Nachfolgend sind wichtige Themen aufgeführt, zu welchen (teilweise) Wissenslücken bestehen:<br />
* Vorkommen und Verbreitung ökologisch wertvoller Grünlandflächen im Sömmerungsgebiet, flächendeckende Inventarisierung<br />
* Wissenschaftliche Grundlagen zum Düngungsbedarf von Fromental- und Goldhaferwiesen im Hinblick auf die botanische Vielfalt fehlen, Praxisversuche sind wünschenswert.<br />
* Es gibt kaum systematische Erfahrungen zum Etzen in Zusammenhang mit der Biodiversitätsförderung im artenreichen Wiesland, übergeordnete Erfolgskontrollen sind erwünscht.<br />
* Phänologisch basierte Schnittzeitpunkte<br />
* Einfluss von Heubläser-Einsätzen auf die Biodiversität, insbesondere die Fauna (Richner et al. 2014 beleuchten den Einfluss auf die Vegetation)<br />
* Auswirkungen der Bewirtschaftung auf die Fauna über alle Mäh- und Nachbereitungsgeräte hinweg unter vergleichbaren Bedingungen untersuchen. Verhalten der Populationen auf mehrschürigen Wiesen im Jahresverlauf.<br />
* Angaben zu Ausmass und Verbreitung von Bodenverdichtungen<br />
<br />
=Literatur=<br />
Die Publikationen zum Grünland sind äusserst umfangreich. Wir stellen Ihnen die gesamte [[Media:Dokumentation Grünland Literatur.pdf|Liste an verwendeter Literatur]] zur Verfügung.<br />
<br />
= Weitere Kapitel zum Grünland=<br />
* [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland Einleitung und Zusammenfassung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie Praxisrelevante Ökologie]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung Erhalt und Aufwertung durch optimierte Bewirtschaftung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat Aufwertung und Neuschaffung durch Direktbegrünung und Ansaat]<br />
<!--* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisbeispiele Praxisbeispiele]--><br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || [https://www.faunatur.ch/portr%C3%A4t/ Karin Loeffel]|| [https://www.faunatur.ch/ faunatur]<br />
|-<br />
| Review|| Andreas Bosshard || [http://www.agraroekologie.ch/ueber-uns/team/ Ö+L GmbH] <br />
|-<br />
| || Jean-Yves Humbert || [https://www.cb.iee.unibe.ch/about_us/pd_dr_humbert_jean_yves/index_eng.html Universität Bern, Conservation Biology]<br />
|-<br />
| || Heiri Schiess || <br />
|-<br />
| || André Stapfer || <br />
|-<br />
| || Markus Staub || [https://www.poel.ch/ Projekte Ökologie Landwirtschaft] <br />
|-<br />
| || Gaby Volkart || https://www.ateliernature.ch/de/portrait-deutsch/ atena]<br />
|-<br />
|}<br />
<br /></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Gr%C3%BCnland/Grundlagen&diff=4724
Grünland/Grundlagen
2023-03-12T14:21:02Z
<p>VB2: </p>
<hr />
<div>[[fr:Milieux prairiaux/Informations de base]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Fromentalwiese ABosshard zg 96 dpi.JPG<br />
| text = Die Fromentalwiesen sind innerhalb weniger Jahrzehnte weitestgehend verschwunden.<br />
}}<br />
<br />
=Sukzession und Bedeutung des Grünlands=<br />
Mit wenigen Ausnahmen ist Grünland keine natürliche Vegetation - bleibt eine Nutzung aus, folgt der Verlauf der meisten Grünland-Lebensraumtypen der natürlichen Sukzession. Maag et al. (2001) zeigen die verschiedenen Sukzessionsverläufe für unterschiedliche Standorte. Dabei hat jede Stufe der Sukzession beispielsweise eines Trockenrasens bis hin zum Wald ihren ökologischen Wert; die Artenvielfalt kann durch ein Nebeneinander verschiedener Sukzessionsstadien erhöht werden (Diacon et al. 2011). Die unterschiedlichen Stadien der Verbrachung und Verbuschung weisen willkommene Rückzugsgebiete und Nahrungsreservoirs für Reptilien, Spinnen und viele Insekten dar. Insbesondere jüngere Brachen können floristisch und faunistisch äusserst wertvoll sein; langfristig ist dagegen die Artenvielfalt in Dauerbrachen gefährdet (Dipner & Volkart 2010). <br />
<!-- Abbildung weglassen, weil nicht in guter Qualität zur Verfügung; Alternative: Foto einwachsender Wiese. In der folgenden Abbildung sind die Phasen der Verbuschung nicht mehr bewirtschafteter Halbtrockenrasen dargestellt (Quelle: Briemle et al. 1993):--><br />
<br />
Die Bedeutung des Grünlandes ist vielfältig und eine grosse Bandbreite von allgemeinen, nicht nur an das Grünland gebundene Ökosystemleistungen sind auch mit diesen Lebensräumen verbunden, wie produktive Erzeugnisse, genetische Ressourcen von Futterpflanzen, Bestäubungsleistungen, Erosionsvermeidung, kulturelle Leistungen, Speicherung von Kohlenstoff (Guntern et al. 2013). Ebenfalls relevant sind die mit dem Grünland verbundenen ästhetisch-landschaftlichen Aspekte bspw. im Hinblick auf die touristische Nutzung oder die Erholungsfunktion. Aus landwirtschaftlicher Sicht ist die Bedeutung des Grünlandes als Stätte der Futterproduktion zentral. Entsprechend sind Wiesen und Weiden für die landwirtschaftliche Nutzung im Laufe der vergangenen Jahrzehnte „optimiert“ worden. Beispielsweise stellen die Hochleistungsrassen in der Milchwirtschaft hohe Ansprüche an den Futterwert des Grünlandes: im jüngeren Aufwuchs ist der Rohfasergehalt niedriger und die Anteile an Rohprotein und Mineralstoffen höher. Entsprechend sind der Energiegehalt und die Verdaulichkeit des Futters besser. Damit sind die Anforderungen der Hochleistungsmilchwirtschaft mit dem Erhalt des artenreichen Grünlands nicht vereinbar (Gerowitt et al. 2011); landwirtschaftlich intensiv genutzte Wiesen haben kaum einen ökologischen Wert verglichen mit artenreichem Grünland.<br />
<br />
=Typologie des Grünlands=<br />
Je nachdem, worauf der Fokus liegt, kann das Grünland in Unterkategorien aufgeteilt werden; man kann vegetationskundliche, ökologische oder auch futterbauliche Kriterien anwenden.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Haber de zg.png<br />
| text = Haber (2014) gliedert das Grünland i.w.S. wie oben dargestellt (Abbildung leicht verändert).<br />
}}<br />
<br />
Dietl & Grünig (in Oppermann & Gujer 2003, S. 60) gliedern die artenreichen (Mäh-)Wiesen der Schweiz nach Wasser- und Nährstoffhaushalt in 19 Wiesentypen auf. Ihre tabellarische Übersicht zeigt für die jeweiligen Wiesentypen kennzeichnende Artengruppen und -kombinationen. Für den gedüngten Bereich wurde die obengenannte Systematik weiterentwickelt und [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie#Lebensr.C3.A4ume_des_Gr.C3.BCnlands Bosshard (2016) unterscheidet in der Folge für das gedüngte Wiesland neun Typen].<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = bosshard Genese de.png<br />
| text = Genese und Höhenverbreitung der gedüngten Wiesentypen. <br/> Quelle: Bosshard, A., 2016. Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas. Mit besonderer Berücksichtigung der Fromentalwiesen und des standortgemässen Futterbaus, Bristol-Schriftenreihe Band 50. Haupt Verlag, Bern. © Andreas Bosshard<br />
}}<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* Vereinfachter dichotomer Bestimmungsschlüssel zur Identifikation von Fromental- und Goldhaferwiesen in Bosshard (2016, S. 188).<br />
* [http://www.agraroekologie.ch/SchluesselGeduengteNaturwiesen.xls Bestimmungsschlüssel für die Wiesentypen des gedüngten Naturwieslands der Schweiz]<br />
* [https://ira.agroscope.ch/de-CH/publication/46127 Bestimmungsschlüssel für Lebensräume der offenen Kulturlandschaft] (Buholzer et al. 2015)<br />
* Die [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/kartierung-und-bewertung-trockenwiesen.html Kartier- und Bewertungsmethode zur Erarbeitung des Inventars der Trockenwiesen und -weiden] ist im Technischen Bericht ausgeführt (Eggenberg et al. 2001)<br />
* [https://www.infoflora.ch/de/lebensraeume/typoch/4-grnland-naturrasen-wiesen-und-weiden.html Klassifikation der Grünlandlebensräume nach Delarze et al. (2015)]<br />
<br />
=Zustand und Entwicklung des Grünlands in der Schweiz=<br />
==Entstehung von Grünland==<br />
Grünland ist in Mitteleuropa vor 8000 Jahren durch Waldrodung zur Ackernutzung entstanden. Die anschliessend nicht mehr für den Ackerbau genutzten Flächen begrünten sich und wurden als Viehweiden genutzt. Wo Wiesland in prähistorischer Zeit vorkam, ist weitgehend ungewiss und wird in Bosshard (2016) kurz ausgeführt.<br />
<br />
Kapfer (2010a, 2010b) und Bosshard (2016) beleuchten die Entstehungsgeschichte und die historische Wies- und Weidelandnutzung und stellen sie in Vergleich mit heutigen Nutzungsformen: Während vieler hundert Jahre war das Wiesland in das Produktionssystem der auf Getreidebau ausgerichteten Dreizelgenwirtschaft ausgerichtet. Der Heu- und Emdschnitt führte zusammen mit den geringen Mistgaben (rund um den Hof herum) und der historisch üblichen Frühjahrsvorweide (Etzen) zu einer langfristigen Ausmagerung der Böden mit entsprechenden Folgen für die Vegetation. Reine Mähwiesen haben sich grossflächig erst im 19. Jahrhundert entwickelt, vorher waren alle Wiesen auch beweidet (Frühjahrs- oder Herbstweide). Nach dem Etzen erfolgte der Heuschnitt später und die Wiesenpflanzen konnten ihre individuelle Entwicklung bis zur Samenreife und dem Ausstreuen der Samen vollständig abschliessen. Die heutige erste Hauptnutzung auf den Mager- und Fromentalwiesen beim Heuschnitt entsprach historisch der zweiten Nutzung. Früher orientierte man sich für den Beginn und das Ende bestimmter Bewirtschaftungsgänge an Heiligen-Tagen. Diese Orientierungszeitpunkte wurden jedoch je nach Jahresverlauf bspw. für den Mahdbeginn auch flexibel gehandhabt. Die Ernte einzelner Flächen erstreckte sich über mehrere Wochen hinweg. Das Heu der Schnittwiesen wurde auf der Fläche getrocknet, wodurch eine erfolgreiche generative Vermehrung gefördert wurde (Poschlod 2011). Im Laufe der Zeit führten neue Ernteverfahren, Bewässerungsmassnahmen und neu auch die phänologischen Veränderungen aufgrund des Klimawandels zu einem früheren ersten Schnitt von Wiesen (Guntern et al. 2013).<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Bewirtschaftungsschemata Kapfer zg 96 dpi.jpg<br />
| text = Bewirtschaftungsschema der drei wichtigsten Wiesentypen der alten Dreizelgenwirtschaft. Quelle: Kapfer, A. (2010): Beitrag zur Geschichte des Grünlands Mitteleuropas im Hinblick auf den Arten- und Biotopschutz. Darstellung im Kontext der landwirtschaftlichen Bodennutzungssysteme. In: Naturschutz und Landschaftsplanung 42 (5), S. 133–140.<br />
}}<br />
<br />
<br /><br />
<table border="0", style="font-size:108%"> <br />
<tr> <br />
<td> '''Die ökologischen Auswirkungen und die Anwendung des Etzens (Frühjahrsvorweide) (Quelle: Bosshard 2015b)''' <br /> Etzen war bis ins 18./19. Jh. die übliche erste Nutzung von Mähwiesen. Heute wird die Vorweide dagegen vor allem im Berggebiet in den intensiver genutzten Wiesentypen noch regelmässig praktiziert. Etzen bewirkt langfristig einen Nährstoffentzug, die Wüchsigkeit einer Wiese wird vermindert und dadurch, dass kurzfristig Licht in den Bestand eingebracht wird, werden empfindlichere Pflanzen artenreicher Wiesen gefördert. Die längere bewirtschaftungsfreie Phase zwischen der Frühjahrsweide und dem nächsten Nutzungszeitpunkt durch Mahd führt zu einem deutlich schmackhafteren, gehaltvolleren (da eiweissreicheren) Heuaufwuchs, so dass Etzen auch aus futterbaulicher und wirtschaftlicher Sicht von Interesse sein dürfte. <br />
Das kurze, schonende Überweiden einer Wiese im Frühjahr führt zu einem strukturierteren Pflanzenbestand, einem längerdauernden Blütenangebot und einem späteren Heuschnitt und gewisse Tierarten (Tagfalter, Heuschrecken und wiesenbrütende Vogelarten) können davon profitieren (SHL 2008). Aus praktischen Gründen (logistischer Aufwand) kommt das Etzen nur für eine Minderheit von Grünlandflächen überhaupt in Frage und ist für BFF-Flächen bspw. im Rahmen von Vernetzungsprojekten realisierbar, sofern die kantonalen Vernetzungsrichtlinien dies vorsehen und begründen.</td> <br />
</tr> <br />
</table><br />
<br /><br />
<br />
Unter diesem historischen Blickwinkel ist die Entstehung der Artenvielfalt in Wiesen zu betrachten (Poschlod 2011): Die Artenzusammensetzung der Flachlandmähwiesen, wie sie sich in der heutigen Form präsentiert, ist wahrscheinlich erst etwa 300 Jahre alt; der namengebende Glatthafer (''Arrhenatherum elatius'') wurde erst Anfang des 18. Jahrhunderts eingeführt (d.h. ein durch Auswahl-Zucht verbesserter Ökotyp aus Südfrankreich). Möglicherweise ist die namengebende Art der Berg-Mähwiesen, der Goldhafer (''Trisetum flavescens'') ebenfalls erst zu dieser Zeit eingeführt worden. Fast alle Pflanzenarten des Wieslandes scheinen aus der autochthonen Flora zu stammen (bspw. aus lichten Stellen von Wäldern, aus Schotterflächen der Auen, aus den Randregionen der Hochmoore etc.). Verschiedene Futterpflanzen des Wieslandes sind (gezielt oder unabsichtlich) eingeführt worden und schon früh begann der Mensch, mit gezielten Einsaaten den Ertrag zu steigern.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Bewirtschaftungstypen Kapfer zg 1280 768.png<br />
| text = Übersicht zur Genese der Bewirtschaftungstypen des Grünlands Mitteleuropas. Quelle: Kapfer, A. (2010): Beitrag zur Geschichte des Grünlands Mitteleuropas im Hinblick auf den Arten- und Biotopschutz. Darstellung im Kontext der landwirtschaftlichen Bodennutzungssysteme. In: Naturschutz und Landschaftsplanung 42 (5), S. 133–140.<br />
}}<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* Zusammenfassende Betrachtungen und nähere Ausführungen zur Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des Grünlands liefern [http://www.dr-kapfer.de/index.php/download.html Kapfer (2010a, 2010b)], [https://pudi.lubw.de/detailseite/-/publication/90005 Poschlod (2011)] und Bosshard (2016).<br />
* Auch das [http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D13861.php Historische Lexikon der Schweiz] bietet zu verschiedenen Themen (Düngung, Futtermittel, Bewässerung, Wiesen, Weiden) informative Artikel.<br />
<br />
==Quantitativer und qualitativer Zustand und deren Veränderung==<br />
Das Grünland hat sich mit den technischen Möglichkeiten in der Landwirtschaft (Mechanisierung, Düngereinsatz) und den Flurbereinigungen der letzten Jahrzehnte stark verändert worden und verändert sich immer noch.<br />
<br />
Die [[Media:Tabelle Grünland Auszug Flächenbedarf.pdf|Tabelle]] gibt einen Überblick über die Ausdehnung und quantitative Veränderung der Schweizer Grünlandlebensräume. Quelle: «Guntern et al. (2013): Flächenbedarf für die Erhaltung der Biodiversität und der Ökosystemleistungen in der Schweiz», S. 96. Weitere Grünflächen befinden sich im Siedlungsgebiet.<br/><br />
<small>LN = Landwirtschaftliche Nutzfläche, SöG = Sömmerungsgebiet, BFF = Biodiversitätsförderfläche</small> <br />
{| class="wikitable" <br />
|-<br />
! style="width: 25%"| Lebensraum<br />
! style="width: 10%"| Zeit<br />
!colspan="2"|Ausdehnung [ha]<br />
! style="width: 25%"| Bemerkung, Quelle<br />
|- style="vertical-align:top;"<br />
| Wiesen und Weiden auf der LN (ohne SöG, Kunstwiesen) davon:<br/>- Extensiv genutzte BFF-Wiesen <br/>- Wenig intensiv genutzte BFF-Wiesen<br />
| 2011<br />
|colspan="2"|610’732 <br/><br/><br/>66‘056 <br/>22‘919<br />
| (BLW 2012) <br/>Wobei mit Qualität gemäss ÖQV: <br/>- Weiden, Waldweiden: 5'384 ha <br/>- Wiesen (inkl. Streuflächen): 28'864 ha<br />
|-<br />
| Sömmerungsgebiet <sup>1</sup> (SöG)<br />
| 2011<br />
|colspan="2"|505'385 (12% der CH)<br />
| Gemäss (Walter et al. 2013)<br />
|-<br />
|rowspan="2"|Trockenwiesen und –weiden (TWW)<br />
| 1900<br />
|colspan="2"|760‘000 (bis 900‘000)<br />
| (Eggenberg et al. 2001; Lachat et al. 2010b), Flächenverlust von 90-99% von TWW in den Regionen und 95% in der Schweiz. <sup>2</sup><br />
|-<br />
| 2010<br />
|colspan="2"|37‘011<br />
| <br />
|- style="vertical-align:top;"<br />
| Potenziell wertvolles Grasland auf der LN oder im SöG (ohne TWW, Moore Modell basierend auf der Steigung und der Höhe über Meer an den Fundorten von UZL-Ziel- und Leitarten.<br />
| 2012 <br/>Total: <br/>TZ: <br/>HZ: <br/>BZI: <br/>BZII: <br/>BZII: <br/>BZIV: <br/>SöG:<br />
| style="width: 20%"| [ha] <br/>231’688 <br/>3797 <br/>354 <br/>2'023 <br/>6943 <br/>9223 <br/>10'984 <br/>198'364<br />
| style="width: 20%"| [%] <br/> <br/>0.78 <br/>0.25 <br/>1.71 <br/>4.52 <br/>11.06 <br/>22.72 <br/>39.25<br />
| (Walter et al. 2013) <br/> <br/>TZ = Talzone <br/>HZ = Hügelzone <br/>BZ = Bergzone <br/> <br/>Grünland macht nahezu 100% des SöG sowie der LN in den BZIV und BZIII aus.<br />
|-<br />
|rowspan="2"|Fromentalwiesen auf der LN<br />
| 1950<br />
|colspan="2"|Abgesehen von TWW, Dauerweiden, Streuwiesen, Äckern nahezu alles<br />
| (Bosshard & Stähli 2012): genauere Angaben in Erarbeitung für Schlussbericht der laufenden Studie.<br />
|-<br />
| 2011<br />
|colspan="2"|3-8%<br />
| (Bosshard & Stähli 2012), wobei davon ca. 20% mit der Artenzusammensetzung von intensiv genutzten Fromentalwiesen der 1950er Jahre und max. 5% mit guter Qualität (pers. Mitteilung A. Bosshard) <br/>-> Rückgang von vermutlich > 90% und nahezu 100% für artenreiche Bestände (Bosshard 1998)<br />
|}<br />
<small><br />
<sup>1</sup> Gemäss Arealstatistik nahm die Alpwirtschaftliche Nutzfläche von 1979/85 bis 1992/97 von 555'662 um 3.2 % auf 537'802 ha ab. Ein weiterer Rückgang wurde bis 2004/09 festgestellt.<br />
</small> <br/><br />
<small><br />
<sup>2</sup> Schätzungsweise weitere Abnahme von 25-30% zw. 1995-2005 (Leibundgut 2007 zitiert in Graf & Korner 2011). Grössenordnungen in diesem Bereich sind im Wallis und Engadin durch Fallstudien bestätigt.<br />
</small><br />
<br />
<br/><br />
Ein Vergleich mit der Grünland-Situation in Deutschland zeigt: Ein mit der Schweiz (Tieflagen) vergleichbarer Anteil von rund 13% der Gesamtfläche (CH 14.7%) wird als landwirtschaftliches Grünland genutzt, der Grossteil davon ebenfalls intensiv (Boch et al. 2016).<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = Nutzung LN BFS 2018 96 dpi.png<br />
| text = Wie sich die landwirtschaftliche Nutzfläche der Schweiz auf die verschiedenen Nutzungstypen aufteilt. Quelle: BFS 2018, Die Schweiz in 21 Infografiken.<br />
}}<br />
<br />
Im Zeitraum von 1990 bis 2009 hat sich die Grünlandfläche in Deutschland um 875‘000 ha verringert. Zwischen 2003 und 2012 betrug der absolute Verlust des Dauergrünlands ca. 5%. In der Schweiz machen Landwirtschafts- und Alpwirtschaftsflächen zusammen mehr als einen Drittel der Gesamtfläche aus; zwischen 1985 und 2009 sind 85‘000 ha davon verlorengegangen, was der Grösse des Kantons Jura entspricht (BFS 2018). Die Fromentalwiesen, bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts der häufigste und zugleich produktivste Wiesentyp auf den guten Böden der tieferen Lagen Mitteleuropas, sind innerhalb weniger Jahrzehnte weitestgehend verschwunden. Damit einher ging eine qualitative Verschlechterung: ein Vergleich zwischen 1950 und 2009 zeigt, dass die damalig «intensiv» genutzten Wiesen in der Regel QII-Qualität hatten, heute hingegen in den noch vorhandenen Fromental-Vergleichswiesen nur noch ein Drittel diese Qualitätsanforderung erreicht («Fromentalwiesenprojekt», Bosshard 2016). Unter den besonders wertvollen Lebensräumen ging die Fläche der Trockenwiesen und -weiden zwischen 1900 und 2010 um 95% zurück.<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = TWW Zuerich Umweltbericht zg.png<br />
| text = Abnahme artenreicher Wiesen im Kanton Zürich. Quelle: Baudirektion Kanton Zürich (2008), Umweltbericht 2008.<br />
}}<br />
<br />
Im Schweizer Berggebiet nahm die Entwicklung des Futterbaus und der Wiesen und Weiden einen anderen Weg als im Mittelland: Erschwernislagen (steile oder schlecht erschlossene, meist mit vielen Kleinstrukturen durchsetzte Flächen) wurden zunehmend in Weiden umgenutzt oder ganz aus der Nutzung entlassen und ein Grossteil davon ist in der Folge verbuscht und verwaldet. Insgesamt hat die Waldfläche in den vergangenen 150 Jahren auf Kosten von Wiesen- und Weideflächen je nach Region um 30-100% zugenommen. Heute liegt der überwiegende Teil des artenreichen Wieslandes der Schweiz in solchen Erschwernislagen ab Bergzone I; besonders hoch ist dieser Anteil im Sömmerungsgebiet. Allerdings nehmen diese Flächen sowohl durch Nutzungsaufgabe als auch durch Intensivierung laufend ab (Bosshard 2016).<br />
<br />
Der Anteil BFF mit Qualitätsstufe II steigt stetig an; das Ziel eines 40%-Anteils wurde 2017 erstmals erreicht. Der Anteil im Talgebiet ist mit 28% jedoch immer noch tief (BLW 2018). Seit 2014 werden ebenfalls Beiträge für artenreiche Grün- und Streueflächen im Sömmerungsgebiet ausgerichtet; der Anteil dieser Flächen mit Qualitätsstufe II betrug 2017 217‘496 ha.<br />
<br />
{| class="wikitable" <br />
|- <br />
|colspan="5"| '''Übersicht über die Flächenanteile BFF mit QII-Qualität (in Hektaren) (Quelle: Agrarbericht BLW 2019)'''<br />
|-<br />
! BFF QII-Typ<br />
! style="text-align:right;" | Talregion<br />
! style="text-align:right;" | Hügelregion<br />
! style="text-align:right;" | Bergregion<br />
! style="text-align:right;" | Total<br />
|-<br />
| Extensiv genutzte Wiesen<br />
| style="text-align:right;" | 11495<br />
| style="text-align:right;" | 7395<br />
| style="text-align:right;" | 17411<br />
| style="text-align:right;" | 36301<br />
|-<br />
| Wenig intensiv genutzte Wiesen<br />
| style="text-align:right;" | 130<br />
| style="text-align:right;" | 411<br />
| style="text-align:right;" | 3220<br />
| style="text-align:right;" | 3761<br />
|-<br />
| extensiv genutzte Weiden und Waldweiden<br />
| style="text-align:right;" | 1468<br />
| style="text-align:right;" | 2830<br />
| style="text-align:right;" | 14759<br />
| style="text-align:right;" | 19057<br />
|-<br />
| artenreiche Grün- und Streuflächen im Sömmerungsgebiet<br />
| <br />
| <br />
| <br />
| style="text-align:right;" | 223509<br />
|}<br />
<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Entwicklung BFF Q2 2001 2016.png<br />
| text = Entwicklung (in Hektaren) der angemeldeten artenreichen Wiesen und Weiden (BFF mit Qualitätsstufe II) zwischen 2001 – 2016 (Quelle: Daten BLW).<br />
}}<br />
<br />
Die qualitativen Veränderungen in Wiesen und Weiden betreffen das allgemeine Nährstoffniveau, welches enorm gestiegen ist und das Verschwinden des früher verbreiteten Mosaiks von unterschiedlich genutzten Flächen (Schmid et al. 2007). Weitere qualitative Veränderungen der letzten Jahrzehnte beschreibt Bosshard (2016): Die Schlagkraft hat sich vervielfacht mit früherem Schnitt, viel höherer Nutzungsfrequenz und der zeitgleichen Nutzung viel grösserer Flächen. Die Erträge sind um ca. 60-80% gestiegen. Kleinstrukturen und Kulturlandschaftselemente sind verschwunden. Die schwereren Maschinen haben eine problematische Bodenverdichtung zur Folge und insbesondere für die Fauna destruktive Ernteverfahren (Rotationsmähwerke, Futteraufbereiter, Silagetechnik) nehmen zu. Heute wird vorwiegend Güllewirtschaft (rasch verfügbare Nährstoffe) statt der früher üblichen Festmistwirtschaft betrieben und durch den Wechsel von der Dürrfutterbereitung (Heu) zur Silage liegt der Nutzungszeitpunkt des ersten Aufwuchses heute früher im Jahr, es sind mehr Nutzungen pro Jahr möglich, die Ernte verläuft rascher und die Pflanzen können weniger absamen. Meliorationen, das Zusammenlegen von Parzellen und das Verschwinden von extensiven Parzellengrenzen bewirken ebenfalls grosse Veränderungen. Ein nächster Schritt steht mit der zukünftigen Automatisierung der Bewirtschaftung bevor. Anschaulich illustriert [https://www.pronatura.ch/de/wiesen-und-weiden Pro Natura anhand von Beispielen] die Entwicklung ehemals artenreicher Wiesen in artenarme Fettwiesen.<br />
<br />
Die ökologischen Auswirkungen der oben beschriebenen Veränderungen sind mannigfaltig: beispielsweise führt die Intensivierung der Graslandkultivierung und die früheren Schnittzeitpunkte zu einer Abnahme der Samenbank im Boden (Klimkowska et al. 2007). Die früheren Schnittzeitpunkte führen zur Überlappung mit der Brutsaison bodenbrütender Vögel; durch Mahd werden die Nester mechanisch zerstört oder sind für Prädatoren nach dem Schnitt leichter zugänglich oder die Futterverfügbarkeit wird während einer kritischen Phase der Nestlinge dezimiert (Britschgi et al. 2006). Einzelflächen wie auch die Gesamtfläche ökologisch wertvoller Wiesen und Weiden sind zu klein und zu stark fragmentiert. Kleine Grünlandflächen sind besonders empfindlich gegenüber negativer Randeffekte (z.B. Eindringen anderer Arten) und ökologischer Drift. Die durchschnittliche Grösse der TWW von nationaler Bedeutung beträgt heute 4.7 ha und im Sömmerungsgebiet 10.5 ha (Guntern et al. 2013): eine Wiederbesiedlung durch Tagfalter, Hummeln und Reptilien ist möglich, wenn die Flächen nicht weiter als 1-3 km voneinander entfernt sind. Charakteristische Heuschrecken und Laufkäfer dagegen überwinden selten Distanzen von über 100 m.<br />
<br />
'''Nährstoffversorgung im Grünland''' <br/><br />
Stickstoff ein elementarer Baustein aller Lebewesen; Pflanzen nehmen ihn über die Wurzeln in der Form von Ammonium oder Nitrat auf. Pflanzenverfügbarer Stickstoff ist natürlicherweise in den meisten Böden Mangelware – in den letzten Jahrzehnten gelangten jedoch riesige Mengen von Stickstoffverbindungen als Mineraldünger, Gülle oder aus Verbrennungsprozessen direkt oder indirekt über die Luft in die Böden. Der natürliche atmosphärische Eintrag von biologisch aktivem Stickstoff beträgt lediglich 0.5 – 2 kg/ha. Heute gelangt durchschnittlich 16 kg/ha Stickstoff über die Luft in den Boden, was in etwa der ausgebrachten Menge für mittel intensiv genutzten Wiesen entspricht. Peter (2011) weist darauf hin, dass bei drei der vier umweltrelevanten Stickstoffformen (Ammoniak, Nitrat und Lachgas) die Landwirtschaft gesamtschweizerisch gesehen die Haupt Emittentin ist. So müssten beim Ammoniak beispielsweise die Emissionen aus der Landwirtschaft annähernd halbiert werden, damit eine substanziell schädigende Wirkung in sensiblen Ökosystemen verhindert werden könnte. Für artenreiche Wiesen (kollin und montan) liegt der kritische Eintragswert bei 10-30 kg N pro Hektar und Jahr (Guntern 2016a). Entsprechend sind bspw. 49% der Trockenwiesen von den negativen Auswirkungen des atmosphärischen Stickstoffeintrags betroffen; die kritischen Eintragswerte (critical loads) werden in vielen Lebensräumen z.T. massiv überschritten (BAFU 2017). In Wiesen führt dies zu einer Bodenversauerung, zu einer starken Abnahme der Pflanzendiversität und zur Dominanz einiger weniger Grasarten und ist mitverantwortlich für die extreme Artenverarmung im Wiesland insbesondere in den Tieflagen (Bosshard 2016). Heutige Bestände sind im Vergleich zu früher wüchsiger und dichter.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Stickstoffbilanz 2015 BFS 2.png<br />
| text = Die Stickstoffbilanz in den Landwirtschaftsflächen (inkl. Alpweiden) zeigt langfristig betrachtet zwar einen rückläufigen Überschuss, dennoch resultierte 2015 ein Überschuss von 60 kg/ha (1990er-Jahre > 80 kg/ha). Quelle: Landwirtschaft und Ernährung, Taschenstatistik BFS 2018)<br />
}}<br />
<br />
Auch Phosphor ist einer der Hauptnährstoffe der Pflanzen und wird in der Landwirtschaft als Düngemittel eingesetzt. In den letzten zehn Jahren belief sich der Phosphorüberschuss auf rund 400 t/Jahr.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = phosphorbilanz 2018 de zg.png<br />
| text = Phosphorbilanz der Landwirtschaftsflächen. Phosphormengen, die in landwirtschaftliche Böden gelangen bzw. ihnen entzogen werden. Quelle: BFS – Umweltgesamtrechnung (2020)<br />
}}<br />
<br />
Im intensiv genutzten Grasland werden ausserdem steigende Zink- und Kupfereinträge beobachtet, welche aus dem Hofdünger (Gülle und Mist) bzw. aus den Futtermitteln stammen (Gubler et al. 2015). Aufgrund der hohen landwirtschaftlichen Nutzungsintensität kann auch im Grünland davon ausgegangen werden, dass vielerorts das Bodenleben dadurch beeinträchtigt wird.<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* BAFU (2017): [https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/biodiversitaet/uz-umwelt-zustand/biodiversitaet-schweiz-zustand-entwicklung.pdf.download.pdf/UZ-1630-D_2017-06-20.pdf Zustand und Entwicklung Biodiversität Schweiz]<br />
* Guntern et al. (2013): [http://www.ngzh.ch/media/pdf/Flaechenbedarf.pdf Flächenbedarf für die Erhaltung der Biodiversität und der Ökosystemleistungen in der Schweiz]<br />
* BAFU (2017): [https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/boden/uz-umwelt-zustand/boden-schweiz.pdf.download.pdf/UZ-1721-D_Boden2017.pdf Boden in der Schweiz. Zustand und Entwicklung. Stand 2017] <br />
* BFS (2018): [https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kataloge-datenbanken/publikationen/uebersichtsdarstellungen/taschenstatistik-schweiz.html Taschenstatistiken] <br />
* BLW: [https://www.agrarbericht.ch/de Agrarbericht]<br />
<br />
==Zustand und Entwicklung der Artengemeinschaften des Grünlands==<br />
Bei einer Vergleichsuntersuchung fanden Schlup et al. (2013) im extensiv bewirtschafteten Grünland (Kammgrasweide, Fromental- und Goldhaferwiese, Halbtrockenrasen) eine höhere Artenzahl an Gefässpflanzen als im durchschnittlichen Grünland der Schweiz. Ausserdem kamen im extensiven Grünland deutlich mehr Kenn- und Charakterarten sowie gefährdete Arten vor. Spezialisiertere Grünlandarten werden zunehmend von Generalisten verdrängt und es findet eine Trivialisierung statt.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = TWW Kennarten de zs.png<br />
| text = Die Tabelle zeigt, wie wichtig besonders wertvolle Lebensräume für den Erhalt von vielen Tiergruppen sind. Quelle: Hotspot 18, Forum Biodiversität Schweiz 2008)<br />
}}<br />
<br />
Demnach weist ein beträchtlicher Teil der Arten eine erhöhte Bindung zu Trockenwiesen und -weiden auf.<br />
Lebensraumverlust und -degradierung haben auf die Biodiversität im Grünland einen negativen Einfluss, wie die folgende Darstellung aus dem Biodiversitätsmonitoring Schweiz zeigt (BAFU):<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Indikatoren de zs.png<br />
| text = Vielfalt von Artengemeinschaften in Wiesen und Weiden - Index* von 0 (einheitlich) bis 100 (vielfältig), aller paarweisen Vergleiche der Stichprobenflächen, in Prozent. *Mittelwerte über einen Zeitraum von jeweils fünf Jahren. Quelle: BAFU: Biodiversitäts-Monitoring Schweiz BDM 2018<br />
}}<br />
<br />
Die Artenvielfalt ist seit Mitte der 2000er Jahre insgesamt zurückgegangen und deutet auf eine gesamtschweizerische Vereinheitlichung der Wiesen und Weiden hin, was einem Verlust der Biodiversität gleichkommt. Jedoch ist der Verlust der Artengemeinschaften in diesen Lebensräumen schon seit mindestens einigen Jahrzehnten im Gang: In den letzten 120 Jahren hat sich die durchschnittliche Pflanzenartenvielfalt auf 81 Wiesen fast halbiert (Schlup et al. 2013). Generell wird festgestellt, dass v.a. häufig vorkommende Arten zugenommen haben, welche keine besonderen Ansprüche an ihren Lebensraum stellen. Spezialisierte Grünlandarten werden zunehmend von Generalisten verdrängt, was zu einer Trivialisierung der Wiesen und Weiden führt.<br />
<br />
Auch die meisten Vogelarten, welche auf Äckern, Wiesen und Weiden brüten, sind aufgrund der hohen landwirtschaftlichen Nutzungsintensität im Rückgang begriffen: Der schweizerische Index der für das Kulturland typischen Brutvögel (46 UZL-Arten) hat seit 1990 um fast 30% abgenommen, der europäische Agrarvogelindex seit 1980 um über 50% (BLW 2017, Becker et al. 2014). Auch die Bergidylle ist zunehmend bedroht: ein Langzeitvergleich der Vogelwarte zeigt, dass im Engadin innerhalb von 22 Jahren der Anteil an wenig intensiv genutzten und artenreichen Wiesen von 32 auf 27% gesunken und die Brutbestände von Feldlerche, Baumpieper und Braunkehlchen um 44-61% gesunken sind (Korner et al. 2017). Den blütenbesuchenden Insekten wird durch den Rückgang des reichen Blüten- und Nektarangebots die Nahrungsgrundlage entzogen. Wesche et al. (2014) stellten bei Heuschrecken und Wanzen in Auen und Trockenwiesen innert 50 Jahren einen dramatischen Einbruch der Individuenzahlen (>60%) bei teils konstanten, teils zunehmenden Artenzahlen fest. Die botanische Zusammensetzung von Fromentalwiesen zeigt im Vergleich zu den 1950er Jahren eine durchschnittliche Abnahme der Artenzahl von rund 30% bei einer ebenfalls deutlichen Qualitätseinbusse (Bosshard 2015c).<br />
<br />
Im Rahmen des Monitoringprogramms ALL-EMA werden der Zustand und die Veränderung von Arten und Lebensräumen der Umweltziele Landwirtschaft in der offenen Agrarlandschaft Schweiz erfasst und die Biodiversitätsförderflächen beurteilt. Eine erste umfassende Auswertung zum Zustand der Biodiversität ist 2020 vorgesehen.<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* [https://www.agroscope.admin.ch/agroscope/de/home/themen/umwelt-ressourcen/monitoring-analytik/all-ema.html ALL-EMA]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/zustand/indikatoren.html Vielfalt von Artengemeinschaften in Wiesen und Weiden (BAFU)]<br />
* [https://www.biodiversitymonitoring.ch/index.php/de/ Biodiversitätsmonitoring Schweiz]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/biodiversitaet/uw-umwelt-wissen/umweltziele_landwirtschaftstatusbericht.pdf.download.pdf/umweltziele_landwirtschaftstatusbericht.pdf BAFU & BLW (2016): Umweltziele Landwirtschaft UZL.]<br />
<br />
=Gefährdung und Gefährdungsursachen=<br />
43% der unter dem Begriff „Grünland“ zusammengefassten Lebensraumtypen gelten als gefährdet. Die wertvollsten Flächen der Trockenwiesen und -weiden sind in einem Inventar (TWW) bezeichnet - seit 1900 sind rund 95% der TWW in der Schweiz verschwunden.<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = Gefaehrdungskat Grünland de.png<br />
| text = Einstufung der 30 Lebensraumtypen des Grünlandes gemäss Roter Liste.<br />
}}<br />
<br />
Gefährdungsursachen und wichtige Treiber sind (Delarze et al. 2015, Bosshard 2016, Becker et al. 2014):<br />
* Der Verlust an Grünland-Lebensräumen durch Nutzungsaufgabe in Grenzertragslagen und nachfolgender Sukzession, durch Umwandlung von Grünland in Ackerland oder Kunstwiesen und durch den Siedlungs- und Strassenbau. Als Folge der Lebensraumverluste sind verbleibende Habitate oft zu klein und/oder von Isolation bedroht. Bis Fragmentierung und Randeffekte zum Verlust von Arten führen, kann es Jahrzehnte dauern; man spricht deshalb auch von der sogenannten Aussterbeschuld. Im Sömmerungsgebiet verschwinden mittel-wertvolle Flächen. Das aktuelle Instrument der BFF gibt im Sömmerungsgebiet keine Kriterien zur Bewirtschaftung vor. Es gibt Hinweise, dass die Kartierung der TWW nicht vollständig ist. Es besteht die Gefahr, dass wertvolle Flächen durch Intensivierung, falsche Nutzung oder Nutzungsaufgabe verloren gehen.<br />
* Intensivierung, moderne oder ungeeignete Bewirtschaftung sowie Nährstoffeinträge: Der Strukturwandel in der Landwirtschaft und die damit verbundene Intensivierung hat vielfache Auswirkungen auch auf das Grünland. Düngung und Zufütterung in der Viehhaltung haben vervielfachte Nährstoffeinträge und die Eutrophierung des Bodens zur Folge. Durch das Düngen werden viele Grünlandarten, insbesondere Kräuter, verdrängt und die Artenvielfalt nimmt in der Folge ab, weil wenige Arten dank dieser zugeführten Nährstoffe schnell wachsen, rasch Biomasse aufbauen und den Boden für den Aufwuchs anderer Pflanzen beschatten (Gerowitt et al. 2013). Die Intensivierung umfasst ausserdem die frühere Nutzung der Bestände zur Erzielung hoher Futterqualität (für die Hochleistungs-Milchkühe) und eine generell erhöhte Schlagkraft (mit schweren Maschinen), häufigere Nutzungen, den Einsatz von Pestiziden, Flurbereinigungen und Strukturverlust sowie kulturtechnische Massnahmen zur Entwässerung, Kalkung oder Bewässerung der Flächen. Des Weiteren werden Flächen eingeebnet bzw. unter Einsatz von bspw. Forstmulchern intensiviert. Vorgegebene Schnittzeitpunkte bewirken eine Monotonisierung der Landschaft sowie ein zeitgleiches Wegfallen von Nahrungsquellen. All diese Faktoren sowie die Aufgabe bestimmter Nutzungsformen führen zu einer Vereinheitlichung der Lebensräume. <br />
* Der Klimawandel stellt für den Wandel der Biodiversität und Ökosysteme einen bedeutenden Faktor dar (Guntern 2016b): insbesondere spielen der Temperaturanstieg sowie Veränderungen im hydrologischen Regime eine Rolle. Höhere Temperaturen und zunehmende Niederschlagsmengen führen bei gleichmässiger Bodendurchfeuchtung zu einer zunehmend schnelleren Wuchsleistung des Grünlands. Aus dem Biodiversitätsmonitoring ergeben sich Hinweise, dass im Mittelland bestimmte Lebensräume einerseits wärmer, andererseits auch trockener werden (BDM-Facts Nr. 4, BAFU 2012).<br />
* Auch invasive, gebietsfremde Arten können auf die heimische Biodiversität nachteilig wirken. V.a. folgende Arten bereiten bisher grossflächig Probleme im extensiv genutzten Wiesland: das Einjährige Berufkraut (''Erigeron annuus''), die beiden Goldrutenarten (''Solidago canadensis'' und ''S. serotina'', v.a. im unternutzten oder spät gemähten, feuchten bis wechselfeuchten Wiesland) sowie das Schmalblättrige Kreuzkraut (''Senecio inaequidens''). Weitere Neophyten mit invasivem Ausbreitungspotenzial werden auf der Neophyten-Watch-List geführt. Die (bemerkenswerte) Resistenz gegenüber neu eingebrachten Arten scheint ein Charakteristikum des mitteleuropäischen Wieslands zu sein (Bosshard 2016).<br />
* Je nach Lebensraumtyp und Lage des Grünlandes stellen auch Freizeitaktivitäten bzw. Erholungsnutzung Gefährdungsfaktoren dar. In Deutschland sind insbesondere auch der Anbau von Energiepflanzen (Biogasproduktion, Raps für Kraftstoffproduktion) sowie die Agrophotovoltaik mögliche Gefährdungstreiber.<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = rationelle Mahd as 96 dpi.jpg<br />
| text = Rationelle Erntemaschinen töten und verletzten viele Tiere.<br />
}}<br />
<br />
Nachfolgend werden einige ausgewählte Gefährdungsfaktoren näher beleuchtet.<br />
<br />
'''Unternutzung und Nutzungsaufgabe''': <br/><br />
Eine extensive Bewirtschaftung wird in Gebieten mit ungünstigen Produktionsbedingungen (Hangneigung, Bodenstruktur) immer weniger rentabel. In den letzten dreissig Jahren bewegten sich die Veränderungen in der Nutzungsform im Alpenraum stets in Richtung eines geringeren Bewirtschaftungsaufwands: von der Schnitt- zur Weidenutzung und von der Beweidung zur Verbrachung (Leitgruppe NFP 48 2007). Eine Unternutzung oder eine gänzliche Aufgabe der Bewirtschaftung führen kurzfristig zu Verbrachungserscheinungen, mittelfristig zu Verbuschung und Einwaldung. Wenn die Biomasse nicht weggeführt wird, tritt im Laufe der Jahre zunehmend Lichtmangel v.a. für die dichte, bodennahe Schicht in Form von sogenanntem Streuefilz auf. Gerade seltene und gefährdete Arten verschwinden oft zuerst und werden durch Generalisten ersetzt, bevor die Bewaldung einsetzt (Bosshard 2016). Im günstigsten Fall kann bereits nach 20 Jahren auf einer früheren Magerwiese oder -weide ein Wald stehen. In sehr magerem Wiesland führt die Nutzungsaufgabe und Verbrachung jedoch nicht zu einem Artenverlust, da die Wüchsigkeit für das Ausbilden eines Streuefilzes nicht ausreicht oder dieser rasch wieder abgebaut wird (bspw. durch Wind). Die natürliche Wiederbewaldung in Grenzertragslagen wird als Ausdruck eines grundlegenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels interpretiert, bei dem der Rückgang der Armut und die Zunahme des Wohlstands eine grosse Rolle spielen (Leitgruppe NFP 48 2007). Durch die abnehmende Verfügbarkeit von Arbeitskräften sind auch pflegerische Arbeiten der Bewirtschaftung gefährdet: damit eine möglichst langfristige Produktivität des Kulturbiotops sichergestellt werden kann, sind Pflegearbeiten wie Frühjahrssäuberung, exaktes Mähen, Abrechen des Schnittguts usw. notwendig, damit die «Saatbett-Bereitung» bzw. das Vorhandensein von Keimstellen gesichert ist.<br />
<br />
'''Steinfräsen''': <br/><br />
Steinfräsen zerkleinern Steine und Felsen, zermalmen und brechen den Boden auf, beseitigen Kleinstrukturen und Unebenheiten im Gelände. Diese irreparable Zerstörung der natürlichen Vegetation und der Kleinstrukturvielfalt ist u.a. für den Verlust von Baumpieper und Feldlerche im jurassischen Brutgebiet mitverantwortlich. Im Jura werden seit den 1990er-Jahren Steinfräsen teilweise grossflächig eingesetzt, um die wertvollen Kleinstrukturen zu eliminieren und ganze Flächen zu planieren. Die Gesetzeslage ist kantonal unterschiedlich (SO, JU, VD nicht erlaubt, NE & BE teilweise erlaubt) und trotz Verbot sind unbewilligte Fälle bekannt (Apolloni et al. 2017). Steinfräsen werden auch in höheren Lagen der Alpen regelmässig eingesetzt. Sie stellen eine so grosse Gefahr für die Biodiversität dar, dass sie verboten gehören.<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* Delarze et al. (2016): [https://www.infoflora.ch/de/lebensraeume/rote-liste.html Rote Liste der Lebensräume der Schweiz]<br />
* Trockenwiesen und -weiden der Schweiz (TWW) [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/fachinformationen/oekologische-infrastruktur/biotope-von-nationaler-bedeutung/trockenwiesen-und--weiden.html Inventar, Vollzugshilfe und Merkblätter, Fallstudien]<br />
* [https://www.wsl.ch/de/biotopschutz-schweiz.html Wirkungskontrolle Biotopschutz Schweiz]<br />
<br />
=Rechtsgrundlagen =<br />
* [https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19983407/index.html Landwirtschaftsgesetz (LwG)]<br />
* [https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19983381/index.html Landwirtschaftliche Begriffsverordnung (LBV)]<br />
* [https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20130216/index.html Direktzahlungsverordnung (DZV)]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/oekologischer-leistungsnachweis.html Ökologischer Leistungsnachweis (ÖLN) gemäss DZV, Übersicht zu den einzelnen Artikeln]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/biodiversitaetsbeitraege.html Übersicht über die Biodiversitätsbeiträge pro BFF-Typ und Qualitätsstufe]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/biodiversitaetsbeitraege.html Weitere Ausführungen zu den BFF-Qualitätsbeiträgen (QI und QII)]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/biodiversitaetsbeitraege.html Weitere Ausführungen zu den Vernetzungsbeiträgen]<br />
* Die rechtliche Grundlage für den nationalen Schutz der Trockenwiesen und -weiden bildet das [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/fachinformationen/oekologische-infrastruktur/biotope-von-nationaler-bedeutung/trockenwiesen-und--weiden.html Inventar über die Trockenwiesen und -weiden mit den entsprechenden Verordnungen und Vollzugshilfen].<br />
<br />
=Praxisrelevante Wissenslücken =<br />
Nachfolgend sind wichtige Themen aufgeführt, zu welchen (teilweise) Wissenslücken bestehen:<br />
* Vorkommen und Verbreitung ökologisch wertvoller Grünlandflächen im Sömmerungsgebiet, flächendeckende Inventarisierung<br />
* Wissenschaftliche Grundlagen zum Düngungsbedarf von Fromental- und Goldhaferwiesen im Hinblick auf die botanische Vielfalt fehlen, Praxisversuche sind wünschenswert.<br />
* Es gibt kaum systematische Erfahrungen zum Etzen in Zusammenhang mit der Biodiversitätsförderung im artenreichen Wiesland, übergeordnete Erfolgskontrollen sind erwünscht.<br />
* Phänologisch basierte Schnittzeitpunkte<br />
* Einfluss von Heubläser-Einsätzen auf die Biodiversität, insbesondere die Fauna (Richner et al. 2014 beleuchten den Einfluss auf die Vegetation)<br />
* Auswirkungen der Bewirtschaftung auf die Fauna über alle Mäh- und Nachbereitungsgeräte hinweg unter vergleichbaren Bedingungen untersuchen. Verhalten der Populationen auf mehrschürigen Wiesen im Jahresverlauf.<br />
* Angaben zu Ausmass und Verbreitung von Bodenverdichtungen<br />
<br />
=Literatur=<br />
Die Publikationen zum Grünland sind äusserst umfangreich. Wir stellen Ihnen die gesamte [[Media:Dokumentation Grünland Literatur.pdf|Liste an verwendeter Literatur]] zur Verfügung.<br />
<br />
= Weitere Kapitel zum Grünland=<br />
* [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland Einleitung und Zusammenfassung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie Praxisrelevante Ökologie]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung Erhalt und Aufwertung durch optimierte Bewirtschaftung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat Aufwertung und Neuschaffung durch Direktbegrünung und Ansaat]<br />
<!--* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisbeispiele Praxisbeispiele]--><br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || [https://www.faunatur.ch/portr%C3%A4t/ Karin Loeffel]|| [https://www.faunatur.ch/ faunatur]<br />
|-<br />
| Review|| Andreas Bosshard || [http://www.agraroekologie.ch/ueber-uns/team/ Ö+L GmbH] <br />
|-<br />
| || Jean-Yves Humbert || [https://www.cb.iee.unibe.ch/about_us/pd_dr_humbert_jean_yves/index_eng.html Universität Bern, Conservation Biology]<br />
|-<br />
| || Heiri Schiess || <br />
|-<br />
| || André Stapfer || <br />
|-<br />
| || Markus Staub || [https://www.poel.ch/ Projekte Ökologie Landwirtschaft] <br />
|-<br />
| || Gaby Volkart || [http://www.ateliernature.ch/atena/francais.php atena]<br />
|-<br />
|}<br />
<br /></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Gr%C3%BCnland/Grundlagen&diff=4723
Grünland/Grundlagen
2023-03-12T14:18:53Z
<p>VB2: </p>
<hr />
<div>[[fr:Milieux prairiaux/Informations de base]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Fromentalwiese ABosshard zg 96 dpi.JPG<br />
| text = Die Fromentalwiesen sind innerhalb weniger Jahrzehnte weitestgehend verschwunden.<br />
}}<br />
<br />
=Sukzession und Bedeutung des Grünlands=<br />
Mit wenigen Ausnahmen ist Grünland keine natürliche Vegetation - bleibt eine Nutzung aus, folgt der Verlauf der meisten Grünland-Lebensraumtypen der natürlichen Sukzession. Maag et al. (2001) zeigen die verschiedenen Sukzessionsverläufe für unterschiedliche Standorte. Dabei hat jede Stufe der Sukzession beispielsweise eines Trockenrasens bis hin zum Wald ihren ökologischen Wert; die Artenvielfalt kann durch ein Nebeneinander verschiedener Sukzessionsstadien erhöht werden (Diacon et al. 2011). Die unterschiedlichen Stadien der Verbrachung und Verbuschung weisen willkommene Rückzugsgebiete und Nahrungsreservoirs für Reptilien, Spinnen und viele Insekten dar. Insbesondere jüngere Brachen können floristisch und faunistisch äusserst wertvoll sein; langfristig ist dagegen die Artenvielfalt in Dauerbrachen gefährdet (Dipner & Volkart 2010). <br />
<!-- Abbildung weglassen, weil nicht in guter Qualität zur Verfügung; Alternative: Foto einwachsender Wiese. In der folgenden Abbildung sind die Phasen der Verbuschung nicht mehr bewirtschafteter Halbtrockenrasen dargestellt (Quelle: Briemle et al. 1993):--><br />
<br />
Die Bedeutung des Grünlandes ist vielfältig und eine grosse Bandbreite von allgemeinen, nicht nur an das Grünland gebundene Ökosystemleistungen sind auch mit diesen Lebensräumen verbunden, wie produktive Erzeugnisse, genetische Ressourcen von Futterpflanzen, Bestäubungsleistungen, Erosionsvermeidung, kulturelle Leistungen, Speicherung von Kohlenstoff (Guntern et al. 2013). Ebenfalls relevant sind die mit dem Grünland verbundenen ästhetisch-landschaftlichen Aspekte bspw. im Hinblick auf die touristische Nutzung oder die Erholungsfunktion. Aus landwirtschaftlicher Sicht ist die Bedeutung des Grünlandes als Stätte der Futterproduktion zentral. Entsprechend sind Wiesen und Weiden für die landwirtschaftliche Nutzung im Laufe der vergangenen Jahrzehnte „optimiert“ worden. Beispielsweise stellen die Hochleistungsrassen in der Milchwirtschaft hohe Ansprüche an den Futterwert des Grünlandes: im jüngeren Aufwuchs ist der Rohfasergehalt niedriger und die Anteile an Rohprotein und Mineralstoffen höher. Entsprechend sind der Energiegehalt und die Verdaulichkeit des Futters besser. Damit sind die Anforderungen der Hochleistungsmilchwirtschaft mit dem Erhalt des artenreichen Grünlands nicht vereinbar (Gerowitt et al. 2011); landwirtschaftlich intensiv genutzte Wiesen haben kaum einen ökologischen Wert verglichen mit artenreichem Grünland.<br />
<br />
=Typologie des Grünlands=<br />
Je nachdem, worauf der Fokus liegt, kann das Grünland in Unterkategorien aufgeteilt werden; man kann vegetationskundliche, ökologische oder auch futterbauliche Kriterien anwenden.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Haber de zg.png<br />
| text = Haber (2014) gliedert das Grünland i.w.S. wie oben dargestellt (Abbildung leicht verändert).<br />
}}<br />
<br />
Dietl & Grünig (in Oppermann & Gujer 2003, S. 60) gliedern die artenreichen (Mäh-)Wiesen der Schweiz nach Wasser- und Nährstoffhaushalt in 19 Wiesentypen auf. Ihre tabellarische Übersicht zeigt für die jeweiligen Wiesentypen kennzeichnende Artengruppen und -kombinationen. Für den gedüngten Bereich wurde die obengenannte Systematik weiterentwickelt und [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie#Lebensr.C3.A4ume_des_Gr.C3.BCnlands Bosshard (2016) unterscheidet in der Folge für das gedüngte Wiesland neun Typen].<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = bosshard Genese de.png<br />
| text = Genese und Höhenverbreitung der gedüngten Wiesentypen. <br/> Quelle: Bosshard, A., 2016. Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas. Mit besonderer Berücksichtigung der Fromentalwiesen und des standortgemässen Futterbaus, Bristol-Schriftenreihe Band 50. Haupt Verlag, Bern. © Andreas Bosshard<br />
}}<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* Vereinfachter dichotomer Bestimmungsschlüssel zur Identifikation von Fromental- und Goldhaferwiesen in Bosshard (2016, S. 188).<br />
* [http://www.agraroekologie.ch/SchluesselGeduengteNaturwiesen.xls Bestimmungsschlüssel für die Wiesentypen des gedüngten Naturwieslands der Schweiz]<br />
* [https://ira.agroscope.ch/de-CH/publication/46127 Bestimmungsschlüssel für Lebensräume der offenen Kulturlandschaft] (Buholzer et al. 2015)<br />
* Die [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/kartierung-und-bewertung-trockenwiesen.html Kartier- und Bewertungsmethode zur Erarbeitung des Inventars der Trockenwiesen und -weiden] ist im Technischen Bericht ausgeführt (Eggenberg et al. 2001)<br />
* [https://www.infoflora.ch/de/lebensraeume/typoch/4-grnland-naturrasen-wiesen-und-weiden.html Klassifikation der Grünlandlebensräume nach Delarze et al. (2015)]<br />
<br />
=Zustand und Entwicklung des Grünlands in der Schweiz=<br />
==Entstehung von Grünland==<br />
Grünland ist in Mitteleuropa vor 8000 Jahren durch Waldrodung zur Ackernutzung entstanden. Die anschliessend nicht mehr für den Ackerbau genutzten Flächen begrünten sich und wurden als Viehweiden genutzt. Wo Wiesland in prähistorischer Zeit vorkam, ist weitgehend ungewiss und wird in Bosshard (2016) kurz ausgeführt.<br />
<br />
Kapfer (2010a, 2010b) und Bosshard (2016) beleuchten die Entstehungsgeschichte und die historische Wies- und Weidelandnutzung und stellen sie in Vergleich mit heutigen Nutzungsformen: Während vieler hundert Jahre war das Wiesland in das Produktionssystem der auf Getreidebau ausgerichteten Dreizelgenwirtschaft ausgerichtet. Der Heu- und Emdschnitt führte zusammen mit den geringen Mistgaben (rund um den Hof herum) und der historisch üblichen Frühjahrsvorweide (Etzen) zu einer langfristigen Ausmagerung der Böden mit entsprechenden Folgen für die Vegetation. Reine Mähwiesen haben sich grossflächig erst im 19. Jahrhundert entwickelt, vorher waren alle Wiesen auch beweidet (Frühjahrs- oder Herbstweide). Nach dem Etzen erfolgte der Heuschnitt später und die Wiesenpflanzen konnten ihre individuelle Entwicklung bis zur Samenreife und dem Ausstreuen der Samen vollständig abschliessen. Die heutige erste Hauptnutzung auf den Mager- und Fromentalwiesen beim Heuschnitt entsprach historisch der zweiten Nutzung. Früher orientierte man sich für den Beginn und das Ende bestimmter Bewirtschaftungsgänge an Heiligen-Tagen. Diese Orientierungszeitpunkte wurden jedoch je nach Jahresverlauf bspw. für den Mahdbeginn auch flexibel gehandhabt. Die Ernte einzelner Flächen erstreckte sich über mehrere Wochen hinweg. Das Heu der Schnittwiesen wurde auf der Fläche getrocknet, wodurch eine erfolgreiche generative Vermehrung gefördert wurde (Poschlod 2011). Im Laufe der Zeit führten neue Ernteverfahren, Bewässerungsmassnahmen und neu auch die phänologischen Veränderungen aufgrund des Klimawandels zu einem früheren ersten Schnitt von Wiesen (Guntern et al. 2013).<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Bewirtschaftungsschemata Kapfer zg 96 dpi.jpg<br />
| text = Bewirtschaftungsschema der drei wichtigsten Wiesentypen der alten Dreizelgenwirtschaft. Quelle: Kapfer, A. (2010): Beitrag zur Geschichte des Grünlands Mitteleuropas im Hinblick auf den Arten- und Biotopschutz. Darstellung im Kontext der landwirtschaftlichen Bodennutzungssysteme. In: Naturschutz und Landschaftsplanung 42 (5), S. 133–140.<br />
}}<br />
<br />
<br /><br />
<table border="0", style="font-size:108%"> <br />
<tr> <br />
<td> '''Die ökologischen Auswirkungen und die Anwendung des Etzens (Frühjahrsvorweide) (Quelle: Bosshard 2015b)''' <br /> Etzen war bis ins 18./19. Jh. die übliche erste Nutzung von Mähwiesen. Heute wird die Vorweide dagegen vor allem im Berggebiet in den intensiver genutzten Wiesentypen noch regelmässig praktiziert. Etzen bewirkt langfristig einen Nährstoffentzug, die Wüchsigkeit einer Wiese wird vermindert und dadurch, dass kurzfristig Licht in den Bestand eingebracht wird, werden empfindlichere Pflanzen artenreicher Wiesen gefördert. Die längere bewirtschaftungsfreie Phase zwischen der Frühjahrsweide und dem nächsten Nutzungszeitpunkt durch Mahd führt zu einem deutlich schmackhafteren, gehaltvolleren (da eiweissreicheren) Heuaufwuchs, so dass Etzen auch aus futterbaulicher und wirtschaftlicher Sicht von Interesse sein dürfte. <br />
Das kurze, schonende Überweiden einer Wiese im Frühjahr führt zu einem strukturierteren Pflanzenbestand, einem längerdauernden Blütenangebot und einem späteren Heuschnitt und gewisse Tierarten (Tagfalter, Heuschrecken und wiesenbrütende Vogelarten) können davon profitieren (SHL 2008). Aus praktischen Gründen (logistischer Aufwand) kommt das Etzen nur für eine Minderheit von Grünlandflächen überhaupt in Frage und ist für BFF-Flächen bspw. im Rahmen von Vernetzungsprojekten realisierbar, sofern die kantonalen Vernetzungsrichtlinien dies vorsehen und begründen.</td> <br />
</tr> <br />
</table><br />
<br /><br />
<br />
Unter diesem historischen Blickwinkel ist die Entstehung der Artenvielfalt in Wiesen zu betrachten (Poschlod 2011): Die Artenzusammensetzung der Flachlandmähwiesen, wie sie sich in der heutigen Form präsentiert, ist wahrscheinlich erst etwa 300 Jahre alt; der namengebende Glatthafer (''Arrhenatherum elatius'') wurde erst Anfang des 18. Jahrhunderts eingeführt (d.h. ein durch Auswahl-Zucht verbesserter Ökotyp aus Südfrankreich). Möglicherweise ist die namengebende Art der Berg-Mähwiesen, der Goldhafer (''Trisetum flavescens'') ebenfalls erst zu dieser Zeit eingeführt worden. Fast alle Pflanzenarten des Wieslandes scheinen aus der autochthonen Flora zu stammen (bspw. aus lichten Stellen von Wäldern, aus Schotterflächen der Auen, aus den Randregionen der Hochmoore etc.). Verschiedene Futterpflanzen des Wieslandes sind (gezielt oder unabsichtlich) eingeführt worden und schon früh begann der Mensch, mit gezielten Einsaaten den Ertrag zu steigern.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Bewirtschaftungstypen Kapfer zg 1280 768.png<br />
| text = Übersicht zur Genese der Bewirtschaftungstypen des Grünlands Mitteleuropas. Quelle: Kapfer, A. (2010): Beitrag zur Geschichte des Grünlands Mitteleuropas im Hinblick auf den Arten- und Biotopschutz. Darstellung im Kontext der landwirtschaftlichen Bodennutzungssysteme. In: Naturschutz und Landschaftsplanung 42 (5), S. 133–140.<br />
}}<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* Zusammenfassende Betrachtungen und nähere Ausführungen zur Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des Grünlands liefern [http://www.dr-kapfer.de/index.php/download.html Kapfer (2010a, 2010b)], [https://pudi.lubw.de/detailseite/-/publication/90005 Poschlod (2011)] und Bosshard (2016).<br />
* Auch das [http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D13861.php Historische Lexikon der Schweiz] bietet zu verschiedenen Themen (Düngung, Futtermittel, Bewässerung, Wiesen, Weiden) informative Artikel.<br />
<br />
==Quantitativer und qualitativer Zustand und deren Veränderung==<br />
Das Grünland hat sich mit den technischen Möglichkeiten in der Landwirtschaft (Mechanisierung, Düngereinsatz) und den Flurbereinigungen der letzten Jahrzehnte stark verändert worden und verändert sich immer noch.<br />
<br />
Die [[Media:Tabelle Grünland Auszug Flächenbedarf.pdf|Tabelle]] gibt einen Überblick über die Ausdehnung und quantitative Veränderung der Schweizer Grünlandlebensräume. Quelle: «Guntern et al. (2013): Flächenbedarf für die Erhaltung der Biodiversität und der Ökosystemleistungen in der Schweiz», S. 96. Weitere Grünflächen befinden sich im Siedlungsgebiet.<br/><br />
<small>LN = Landwirtschaftliche Nutzfläche, SöG = Sömmerungsgebiet, BFF = Biodiversitätsförderfläche</small> <br />
{| class="wikitable" <br />
|-<br />
! style="width: 25%"| Lebensraum<br />
! style="width: 10%"| Zeit<br />
!colspan="2"|Ausdehnung [ha]<br />
! style="width: 25%"| Bemerkung, Quelle<br />
|- style="vertical-align:top;"<br />
| Wiesen und Weiden auf der LN (ohne SöG, Kunstwiesen) davon:<br/>- Extensiv genutzte BFF-Wiesen <br/>- Wenig intensiv genutzte BFF-Wiesen<br />
| 2011<br />
|colspan="2"|610’732 <br/><br/><br/>66‘056 <br/>22‘919<br />
| (BLW 2012) <br/>Wobei mit Qualität gemäss ÖQV: <br/>- Weiden, Waldweiden: 5'384 ha <br/>- Wiesen (inkl. Streuflächen): 28'864 ha<br />
|-<br />
| Sömmerungsgebiet <sup>1</sup> (SöG)<br />
| 2011<br />
|colspan="2"|505'385 (12% der CH)<br />
| Gemäss (Walter et al. 2013)<br />
|-<br />
|rowspan="2"|Trockenwiesen und –weiden (TWW)<br />
| 1900<br />
|colspan="2"|760‘000 (bis 900‘000)<br />
| (Eggenberg et al. 2001; Lachat et al. 2010b), Flächenverlust von 90-99% von TWW in den Regionen und 95% in der Schweiz. <sup>2</sup><br />
|-<br />
| 2010<br />
|colspan="2"|37‘011<br />
| <br />
|- style="vertical-align:top;"<br />
| Potenziell wertvolles Grasland auf der LN oder im SöG (ohne TWW, Moore Modell basierend auf der Steigung und der Höhe über Meer an den Fundorten von UZL-Ziel- und Leitarten.<br />
| 2012 <br/>Total: <br/>TZ: <br/>HZ: <br/>BZI: <br/>BZII: <br/>BZII: <br/>BZIV: <br/>SöG:<br />
| style="width: 20%"| [ha] <br/>231’688 <br/>3797 <br/>354 <br/>2'023 <br/>6943 <br/>9223 <br/>10'984 <br/>198'364<br />
| style="width: 20%"| [%] <br/> <br/>0.78 <br/>0.25 <br/>1.71 <br/>4.52 <br/>11.06 <br/>22.72 <br/>39.25<br />
| (Walter et al. 2013) <br/> <br/>TZ = Talzone <br/>HZ = Hügelzone <br/>BZ = Bergzone <br/> <br/>Grünland macht nahezu 100% des SöG sowie der LN in den BZIV und BZIII aus.<br />
|-<br />
|rowspan="2"|Fromentalwiesen auf der LN<br />
| 1950<br />
|colspan="2"|Abgesehen von TWW, Dauerweiden, Streuwiesen, Äckern nahezu alles<br />
| (Bosshard & Stähli 2012): genauere Angaben in Erarbeitung für Schlussbericht der laufenden Studie.<br />
|-<br />
| 2011<br />
|colspan="2"|3-8%<br />
| (Bosshard & Stähli 2012), wobei davon ca. 20% mit der Artenzusammensetzung von intensiv genutzten Fromentalwiesen der 1950er Jahre und max. 5% mit guter Qualität (pers. Mitteilung A. Bosshard) <br/>-> Rückgang von vermutlich > 90% und nahezu 100% für artenreiche Bestände (Bosshard 1998)<br />
|}<br />
<small><br />
<sup>1</sup> Gemäss Arealstatistik nahm die Alpwirtschaftliche Nutzfläche von 1979/85 bis 1992/97 von 555'662 um 3.2 % auf 537'802 ha ab. Ein weiterer Rückgang wurde bis 2004/09 festgestellt.<br />
</small> <br/><br />
<small><br />
<sup>2</sup> Schätzungsweise weitere Abnahme von 25-30% zw. 1995-2005 (Leibundgut 2007 zitiert in Graf & Korner 2011). Grössenordnungen in diesem Bereich sind im Wallis und Engadin durch Fallstudien bestätigt.<br />
</small><br />
<br />
<br/><br />
Ein Vergleich mit der Grünland-Situation in Deutschland zeigt: Ein mit der Schweiz (Tieflagen) vergleichbarer Anteil von rund 13% der Gesamtfläche (CH 14.7%) wird als landwirtschaftliches Grünland genutzt, der Grossteil davon ebenfalls intensiv (Boch et al. 2016).<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = Nutzung LN BFS 2018 96 dpi.png<br />
| text = Wie sich die landwirtschaftliche Nutzfläche der Schweiz auf die verschiedenen Nutzungstypen aufteilt. Quelle: BFS 2018, Die Schweiz in 21 Infografiken.<br />
}}<br />
<br />
Im Zeitraum von 1990 bis 2009 hat sich die Grünlandfläche in Deutschland um 875‘000 ha verringert. Zwischen 2003 und 2012 betrug der absolute Verlust des Dauergrünlands ca. 5%. In der Schweiz machen Landwirtschafts- und Alpwirtschaftsflächen zusammen mehr als einen Drittel der Gesamtfläche aus; zwischen 1985 und 2009 sind 85‘000 ha davon verlorengegangen, was der Grösse des Kantons Jura entspricht (BFS 2018). Die Fromentalwiesen, bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts der häufigste und zugleich produktivste Wiesentyp auf den guten Böden der tieferen Lagen Mitteleuropas, sind innerhalb weniger Jahrzehnte weitestgehend verschwunden. Damit einher ging eine qualitative Verschlechterung: ein Vergleich zwischen 1950 und 2009 zeigt, dass die damalig «intensiv» genutzten Wiesen in der Regel QII-Qualität hatten, heute hingegen in den noch vorhandenen Fromental-Vergleichswiesen nur noch ein Drittel diese Qualitätsanforderung erreicht («Fromentalwiesenprojekt», Bosshard 2016). Unter den besonders wertvollen Lebensräumen ging die Fläche der Trockenwiesen und -weiden zwischen 1900 und 2010 um 95% zurück.<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = TWW Zuerich Umweltbericht zg.png<br />
| text = Abnahme artenreicher Wiesen im Kanton Zürich. Quelle: Baudirektion Kanton Zürich (2008), Umweltbericht 2008.<br />
}}<br />
<br />
Im Schweizer Berggebiet nahm die Entwicklung des Futterbaus und der Wiesen und Weiden einen anderen Weg als im Mittelland: Erschwernislagen (steile oder schlecht erschlossene, meist mit vielen Kleinstrukturen durchsetzte Flächen) wurden zunehmend in Weiden umgenutzt oder ganz aus der Nutzung entlassen und ein Grossteil davon ist in der Folge verbuscht und verwaldet. Insgesamt hat die Waldfläche in den vergangenen 150 Jahren auf Kosten von Wiesen- und Weideflächen je nach Region um 30-100% zugenommen. Heute liegt der überwiegende Teil des artenreichen Wieslandes der Schweiz in solchen Erschwernislagen ab Bergzone I; besonders hoch ist dieser Anteil im Sömmerungsgebiet. Allerdings nehmen diese Flächen sowohl durch Nutzungsaufgabe als auch durch Intensivierung laufend ab (Bosshard 2016).<br />
<br />
Der Anteil BFF mit Qualitätsstufe II steigt stetig an; das Ziel eines 40%-Anteils wurde 2017 erstmals erreicht. Der Anteil im Talgebiet ist mit 28% jedoch immer noch tief (BLW 2018). Seit 2014 werden ebenfalls Beiträge für artenreiche Grün- und Streueflächen im Sömmerungsgebiet ausgerichtet; der Anteil dieser Flächen mit Qualitätsstufe II betrug 2017 217‘496 ha.<br />
<br />
{| class="wikitable" <br />
|- <br />
|colspan="5"| '''Übersicht über die Flächenanteile BFF mit QII-Qualität (in Hektaren) (Quelle: Agrarbericht BLW 2019)'''<br />
|-<br />
! BFF QII-Typ<br />
! style="text-align:right;" | Talregion<br />
! style="text-align:right;" | Hügelregion<br />
! style="text-align:right;" | Bergregion<br />
! style="text-align:right;" | Total<br />
|-<br />
| Extensiv genutzte Wiesen<br />
| style="text-align:right;" | 11495<br />
| style="text-align:right;" | 7395<br />
| style="text-align:right;" | 17411<br />
| style="text-align:right;" | 36301<br />
|-<br />
| Wenig intensiv genutzte Wiesen<br />
| style="text-align:right;" | 130<br />
| style="text-align:right;" | 411<br />
| style="text-align:right;" | 3220<br />
| style="text-align:right;" | 3761<br />
|-<br />
| extensiv genutzte Weiden und Waldweiden<br />
| style="text-align:right;" | 1468<br />
| style="text-align:right;" | 2830<br />
| style="text-align:right;" | 14759<br />
| style="text-align:right;" | 19057<br />
|-<br />
| artenreiche Grün- und Streuflächen im Sömmerungsgebiet<br />
| <br />
| <br />
| <br />
| style="text-align:right;" | 223509<br />
|}<br />
<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Entwicklung BFF Q2 2001 2016.png<br />
| text = Entwicklung (in Hektaren) der angemeldeten artenreichen Wiesen und Weiden (BFF mit Qualitätsstufe II) zwischen 2001 – 2016 (Quelle: Daten BLW).<br />
}}<br />
<br />
Die qualitativen Veränderungen in Wiesen und Weiden betreffen das allgemeine Nährstoffniveau, welches enorm gestiegen ist und das Verschwinden des früher verbreiteten Mosaiks von unterschiedlich genutzten Flächen (Schmid et al. 2007). Weitere qualitative Veränderungen der letzten Jahrzehnte beschreibt Bosshard (2016): Die Schlagkraft hat sich vervielfacht mit früherem Schnitt, viel höherer Nutzungsfrequenz und der zeitgleichen Nutzung viel grösserer Flächen. Die Erträge sind um ca. 60-80% gestiegen. Kleinstrukturen und Kulturlandschaftselemente sind verschwunden. Die schwereren Maschinen haben eine problematische Bodenverdichtung zur Folge und insbesondere für die Fauna destruktive Ernteverfahren (Rotationsmähwerke, Futteraufbereiter, Silagetechnik) nehmen zu. Heute wird vorwiegend Güllewirtschaft (rasch verfügbare Nährstoffe) statt der früher üblichen Festmistwirtschaft betrieben und durch den Wechsel von der Dürrfutterbereitung (Heu) zur Silage liegt der Nutzungszeitpunkt des ersten Aufwuchses heute früher im Jahr, es sind mehr Nutzungen pro Jahr möglich, die Ernte verläuft rascher und die Pflanzen können weniger absamen. Meliorationen, das Zusammenlegen von Parzellen und das Verschwinden von extensiven Parzellengrenzen bewirken ebenfalls grosse Veränderungen. Ein nächster Schritt steht mit der zukünftigen Automatisierung der Bewirtschaftung bevor. Anschaulich illustriert [https://www.pronatura.ch/de/wiesen-und-weiden Pro Natura anhand von Beispielen] die Entwicklung ehemals artenreicher Wiesen in artenarme Fettwiesen.<br />
<br />
Die ökologischen Auswirkungen der oben beschriebenen Veränderungen sind mannigfaltig: beispielsweise führt die Intensivierung der Graslandkultivierung und die früheren Schnittzeitpunkte zu einer Abnahme der Samenbank im Boden (Klimkowska et al. 2007). Die früheren Schnittzeitpunkte führen zur Überlappung mit der Brutsaison bodenbrütender Vögel; durch Mahd werden die Nester mechanisch zerstört oder sind für Prädatoren nach dem Schnitt leichter zugänglich oder die Futterverfügbarkeit wird während einer kritischen Phase der Nestlinge dezimiert (Britschgi et al. 2006). Einzelflächen wie auch die Gesamtfläche ökologisch wertvoller Wiesen und Weiden sind zu klein und zu stark fragmentiert. Kleine Grünlandflächen sind besonders empfindlich gegenüber negativer Randeffekte (z.B. Eindringen anderer Arten) und ökologischer Drift. Die durchschnittliche Grösse der TWW von nationaler Bedeutung beträgt heute 4.7 ha und im Sömmerungsgebiet 10.5 ha (Guntern et al. 2013): eine Wiederbesiedlung durch Tagfalter, Hummeln und Reptilien ist möglich, wenn die Flächen nicht weiter als 1-3 km voneinander entfernt sind. Charakteristische Heuschrecken und Laufkäfer dagegen überwinden selten Distanzen von über 100 m.<br />
<br />
'''Nährstoffversorgung im Grünland''' <br/><br />
Stickstoff ein elementarer Baustein aller Lebewesen; Pflanzen nehmen ihn über die Wurzeln in der Form von Ammonium oder Nitrat auf. Pflanzenverfügbarer Stickstoff ist natürlicherweise in den meisten Böden Mangelware – in den letzten Jahrzehnten gelangten jedoch riesige Mengen von Stickstoffverbindungen als Mineraldünger, Gülle oder aus Verbrennungsprozessen direkt oder indirekt über die Luft in die Böden. Der natürliche atmosphärische Eintrag von biologisch aktivem Stickstoff beträgt lediglich 0.5 – 2 kg/ha. Heute gelangt durchschnittlich 16 kg/ha Stickstoff über die Luft in den Boden, was in etwa der ausgebrachten Menge für mittel intensiv genutzten Wiesen entspricht. Peter (2011) weist darauf hin, dass bei drei der vier umweltrelevanten Stickstoffformen (Ammoniak, Nitrat und Lachgas) die Landwirtschaft gesamtschweizerisch gesehen die Haupt Emittentin ist. So müssten beim Ammoniak beispielsweise die Emissionen aus der Landwirtschaft annähernd halbiert werden, damit eine substanziell schädigende Wirkung in sensiblen Ökosystemen verhindert werden könnte. Für artenreiche Wiesen (kollin und montan) liegt der kritische Eintragswert bei 10-30 kg N pro Hektar und Jahr (Guntern 2016a). Entsprechend sind bspw. 49% der Trockenwiesen von den negativen Auswirkungen des atmosphärischen Stickstoffeintrags betroffen; die kritischen Eintragswerte (critical loads) werden in vielen Lebensräumen z.T. massiv überschritten (BAFU 2017). In Wiesen führt dies zu einer Bodenversauerung, zu einer starken Abnahme der Pflanzendiversität und zur Dominanz einiger weniger Grasarten und ist mitverantwortlich für die extreme Artenverarmung im Wiesland insbesondere in den Tieflagen (Bosshard 2016). Heutige Bestände sind im Vergleich zu früher wüchsiger und dichter.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Stickstoffbilanz 2015 BFS 2.png<br />
| text = Die Stickstoffbilanz in den Landwirtschaftsflächen (inkl. Alpweiden) zeigt langfristig betrachtet zwar einen rückläufigen Überschuss, dennoch resultierte 2015 ein Überschuss von 60 kg/ha (1990er-Jahre > 80 kg/ha). Quelle: Landwirtschaft und Ernährung, Taschenstatistik BFS 2018)<br />
}}<br />
<br />
Auch Phosphor ist einer der Hauptnährstoffe der Pflanzen und wird in der Landwirtschaft als Düngemittel eingesetzt. In den letzten zehn Jahren belief sich der Phosphorüberschuss auf rund 400 t/Jahr.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = phosphorbilanz 2018 de zg.png<br />
| text = Phosphorbilanz der Landwirtschaftsflächen. Phosphormengen, die in landwirtschaftliche Böden gelangen bzw. ihnen entzogen werden. Quelle: BFS – Umweltgesamtrechnung (2020)<br />
}}<br />
<br />
Im intensiv genutzten Grasland werden ausserdem steigende Zink- und Kupfereinträge beobachtet, welche aus dem Hofdünger (Gülle und Mist) bzw. aus den Futtermitteln stammen (Gubler et al. 2015). Aufgrund der hohen landwirtschaftlichen Nutzungsintensität kann auch im Grünland davon ausgegangen werden, dass vielerorts das Bodenleben dadurch beeinträchtigt wird.<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* BAFU (2017): [https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/biodiversitaet/uz-umwelt-zustand/biodiversitaet-schweiz-zustand-entwicklung.pdf.download.pdf/UZ-1630-D_2017-06-20.pdf Zustand und Entwicklung Biodiversität Schweiz]<br />
* Guntern et al. (2013): [http://www.ngzh.ch/media/pdf/Flaechenbedarf.pdf Flächenbedarf für die Erhaltung der Biodiversität und der Ökosystemleistungen in der Schweiz]<br />
* BAFU (2017): [https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/boden/uz-umwelt-zustand/boden-schweiz.pdf.download.pdf/UZ-1721-D_Boden2017.pdf Boden in der Schweiz. Zustand und Entwicklung. Stand 2017] <br />
* BFS (2018): [https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kataloge-datenbanken/publikationen/uebersichtsdarstellungen/taschenstatistik-schweiz.html Taschenstatistiken] <br />
* BLW: [https://www.agrarbericht.ch/de Agrarbericht]<br />
<br />
==Zustand und Entwicklung der Artengemeinschaften des Grünlands==<br />
Bei einer Vergleichsuntersuchung fanden Schlup et al. (2013) im extensiv bewirtschafteten Grünland (Kammgrasweide, Fromental- und Goldhaferwiese, Halbtrockenrasen) eine höhere Artenzahl an Gefässpflanzen als im durchschnittlichen Grünland der Schweiz. Ausserdem kamen im extensiven Grünland deutlich mehr Kenn- und Charakterarten sowie gefährdete Arten vor. Spezialisiertere Grünlandarten werden zunehmend von Generalisten verdrängt und es findet eine Trivialisierung statt.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = TWW Kennarten de zs.png<br />
| text = Die Tabelle zeigt, wie wichtig besonders wertvolle Lebensräume für den Erhalt von vielen Tiergruppen sind. Quelle: Hotspot 18, Forum Biodiversität Schweiz 2008)<br />
}}<br />
<br />
Demnach weist ein beträchtlicher Teil der Arten eine erhöhte Bindung zu Trockenwiesen und -weiden auf.<br />
Lebensraumverlust und -degradierung haben auf die Biodiversität im Grünland einen negativen Einfluss, wie die folgende Darstellung aus dem Biodiversitätsmonitoring Schweiz zeigt (BAFU):<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Indikatoren de zs.png<br />
| text = Vielfalt von Artengemeinschaften in Wiesen und Weiden - Index* von 0 (einheitlich) bis 100 (vielfältig), aller paarweisen Vergleiche der Stichprobenflächen, in Prozent. *Mittelwerte über einen Zeitraum von jeweils fünf Jahren. Quelle: BAFU: Biodiversitäts-Monitoring Schweiz BDM 2018<br />
}}<br />
<br />
Die Artenvielfalt ist seit Mitte der 2000er Jahre insgesamt zurückgegangen und deutet auf eine gesamtschweizerische Vereinheitlichung der Wiesen und Weiden hin, was einem Verlust der Biodiversität gleichkommt. Jedoch ist der Verlust der Artengemeinschaften in diesen Lebensräumen schon seit mindestens einigen Jahrzehnten im Gang: In den letzten 120 Jahren hat sich die durchschnittliche Pflanzenartenvielfalt auf 81 Wiesen fast halbiert (Schlup et al. 2013). Generell wird festgestellt, dass v.a. häufig vorkommende Arten zugenommen haben, welche keine besonderen Ansprüche an ihren Lebensraum stellen. Spezialisierte Grünlandarten werden zunehmend von Generalisten verdrängt, was zu einer Trivialisierung der Wiesen und Weiden führt.<br />
<br />
Auch die meisten Vogelarten, welche auf Äckern, Wiesen und Weiden brüten, sind aufgrund der hohen landwirtschaftlichen Nutzungsintensität im Rückgang begriffen: Der schweizerische Index der für das Kulturland typischen Brutvögel (46 UZL-Arten) hat seit 1990 um fast 30% abgenommen, der europäische Agrarvogelindex seit 1980 um über 50% (BLW 2017, Becker et al. 2014). Auch die Bergidylle ist zunehmend bedroht: ein Langzeitvergleich der Vogelwarte zeigt, dass im Engadin innerhalb von 22 Jahren der Anteil an wenig intensiv genutzten und artenreichen Wiesen von 32 auf 27% gesunken und die Brutbestände von Feldlerche, Baumpieper und Braunkehlchen um 44-61% gesunken sind (Korner et al. 2017). Den blütenbesuchenden Insekten wird durch den Rückgang des reichen Blüten- und Nektarangebots die Nahrungsgrundlage entzogen. Wesche et al. (2014) stellten bei Heuschrecken und Wanzen in Auen und Trockenwiesen innert 50 Jahren einen dramatischen Einbruch der Individuenzahlen (>60%) bei teils konstanten, teils zunehmenden Artenzahlen fest. Die botanische Zusammensetzung von Fromentalwiesen zeigt im Vergleich zu den 1950er Jahren eine durchschnittliche Abnahme der Artenzahl von rund 30% bei einer ebenfalls deutlichen Qualitätseinbusse (Bosshard 2015c).<br />
<br />
Im Rahmen des Monitoringprogramms ALL-EMA werden der Zustand und die Veränderung von Arten und Lebensräumen der Umweltziele Landwirtschaft in der offenen Agrarlandschaft Schweiz erfasst und die Biodiversitätsförderflächen beurteilt. Eine erste umfassende Auswertung zum Zustand der Biodiversität ist 2020 vorgesehen.<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* [https://www.agroscope.admin.ch/agroscope/de/home/themen/umwelt-ressourcen/monitoring-analytik/all-ema.html ALL-EMA]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/zustand/indikatoren.html Vielfalt von Artengemeinschaften in Wiesen und Weiden (BAFU)]<br />
* [https://www.biodiversitymonitoring.ch/index.php/de/ Biodiversitätsmonitoring Schweiz]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/biodiversitaet/uw-umwelt-wissen/umweltziele_landwirtschaftstatusbericht.pdf.download.pdf/umweltziele_landwirtschaftstatusbericht.pdf BAFU & BLW (2016): Umweltziele Landwirtschaft UZL.]<br />
<br />
=Gefährdung und Gefährdungsursachen=<br />
43% der unter dem Begriff „Grünland“ zusammengefassten Lebensraumtypen gelten als gefährdet. Die wertvollsten Flächen der Trockenwiesen und -weiden sind in einem Inventar (TWW) bezeichnet - seit 1900 sind rund 95% der TWW in der Schweiz verschwunden.<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = Gefaehrdungskat Grünland de.png<br />
| text = Einstufung der 30 Lebensraumtypen des Grünlandes gemäss Roter Liste.<br />
}}<br />
<br />
Gefährdungsursachen und wichtige Treiber sind (Delarze et al. 2015, Bosshard 2016, Becker et al. 2014):<br />
* Der Verlust an Grünland-Lebensräumen durch Nutzungsaufgabe in Grenzertragslagen und nachfolgender Sukzession, durch Umwandlung von Grünland in Ackerland oder Kunstwiesen und durch den Siedlungs- und Strassenbau. Als Folge der Lebensraumverluste sind verbleibende Habitate oft zu klein und/oder von Isolation bedroht. Bis Fragmentierung und Randeffekte zum Verlust von Arten führen, kann es Jahrzehnte dauern; man spricht deshalb auch von der sogenannten Aussterbeschuld. Im Sömmerungsgebiet verschwinden mittel-wertvolle Flächen. Das aktuelle Instrument der BFF gibt im Sömmerungsgebiet keine Kriterien zur Bewirtschaftung vor. Es gibt Hinweise, dass die Kartierung der TWW nicht vollständig ist. Es besteht die Gefahr, dass wertvolle Flächen durch Intensivierung, falsche Nutzung oder Nutzungsaufgabe verloren gehen.<br />
* Intensivierung, moderne oder ungeeignete Bewirtschaftung sowie Nährstoffeinträge: Der Strukturwandel in der Landwirtschaft und die damit verbundene Intensivierung hat vielfache Auswirkungen auch auf das Grünland. Düngung und Zufütterung in der Viehhaltung haben vervielfachte Nährstoffeinträge und die Eutrophierung des Bodens zur Folge. Durch das Düngen werden viele Grünlandarten, insbesondere Kräuter, verdrängt und die Artenvielfalt nimmt in der Folge ab, weil wenige Arten dank dieser zugeführten Nährstoffe schnell wachsen, rasch Biomasse aufbauen und den Boden für den Aufwuchs anderer Pflanzen beschatten (Gerowitt et al. 2013). Die Intensivierung umfasst ausserdem die frühere Nutzung der Bestände zur Erzielung hoher Futterqualität (für die Hochleistungs-Milchkühe) und eine generell erhöhte Schlagkraft (mit schweren Maschinen), häufigere Nutzungen, den Einsatz von Pestiziden, Flurbereinigungen und Strukturverlust sowie kulturtechnische Massnahmen zur Entwässerung, Kalkung oder Bewässerung der Flächen. Des Weiteren werden Flächen eingeebnet bzw. unter Einsatz von bspw. Forstmulchern intensiviert. Vorgegebene Schnittzeitpunkte bewirken eine Monotonisierung der Landschaft sowie ein zeitgleiches Wegfallen von Nahrungsquellen. All diese Faktoren sowie die Aufgabe bestimmter Nutzungsformen führen zu einer Vereinheitlichung der Lebensräume. <br />
* Der Klimawandel stellt für den Wandel der Biodiversität und Ökosysteme einen bedeutenden Faktor dar (Guntern 2016b): insbesondere spielen der Temperaturanstieg sowie Veränderungen im hydrologischen Regime eine Rolle. Höhere Temperaturen und zunehmende Niederschlagsmengen führen bei gleichmässiger Bodendurchfeuchtung zu einer zunehmend schnelleren Wuchsleistung des Grünlands. Aus dem Biodiversitätsmonitoring ergeben sich Hinweise, dass im Mittelland bestimmte Lebensräume einerseits wärmer, andererseits auch trockener werden (BDM-Facts Nr. 4, BAFU 2012).<br />
* Auch invasive, gebietsfremde Arten können auf die heimische Biodiversität nachteilig wirken. V.a. folgende Arten bereiten bisher grossflächig Probleme im extensiv genutzten Wiesland: das Einjährige Berufkraut (''Erigeron annuus''), die beiden Goldrutenarten (''Solidago canadensis'' und ''S. serotina'', v.a. im unternutzten oder spät gemähten, feuchten bis wechselfeuchten Wiesland) sowie das Schmalblättrige Kreuzkraut (''Senecio inaequidens''). Weitere Neophyten mit invasivem Ausbreitungspotenzial werden auf der Neophyten-Watch-List geführt. Die (bemerkenswerte) Resistenz gegenüber neu eingebrachten Arten scheint ein Charakteristikum des mitteleuropäischen Wieslands zu sein (Bosshard 2016).<br />
* Je nach Lebensraumtyp und Lage des Grünlandes stellen auch Freizeitaktivitäten bzw. Erholungsnutzung Gefährdungsfaktoren dar. In Deutschland sind insbesondere auch der Anbau von Energiepflanzen (Biogasproduktion, Raps für Kraftstoffproduktion) sowie die Agrophotovoltaik mögliche Gefährdungstreiber.<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = rationelle Mahd as 96 dpi.jpg<br />
| text = Rationelle Erntemaschinen töten und verletzten viele Tiere.<br />
}}<br />
<br />
Nachfolgend werden einige ausgewählte Gefährdungsfaktoren näher beleuchtet.<br />
<br />
'''Unternutzung und Nutzungsaufgabe''': <br/><br />
Eine extensive Bewirtschaftung wird in Gebieten mit ungünstigen Produktionsbedingungen (Hangneigung, Bodenstruktur) immer weniger rentabel. In den letzten dreissig Jahren bewegten sich die Veränderungen in der Nutzungsform im Alpenraum stets in Richtung eines geringeren Bewirtschaftungsaufwands: von der Schnitt- zur Weidenutzung und von der Beweidung zur Verbrachung (Leitgruppe NFP 48 2007). Eine Unternutzung oder eine gänzliche Aufgabe der Bewirtschaftung führen kurzfristig zu Verbrachungserscheinungen, mittelfristig zu Verbuschung und Einwaldung. Wenn die Biomasse nicht weggeführt wird, tritt im Laufe der Jahre zunehmend Lichtmangel v.a. für die dichte, bodennahe Schicht in Form von sogenanntem Streuefilz auf. Gerade seltene und gefährdete Arten verschwinden oft zuerst und werden durch Generalisten ersetzt, bevor die Bewaldung einsetzt (Bosshard 2016). Im günstigsten Fall kann bereits nach 20 Jahren auf einer früheren Magerwiese oder -weide ein Wald stehen. In sehr magerem Wiesland führt die Nutzungsaufgabe und Verbrachung jedoch nicht zu einem Artenverlust, da die Wüchsigkeit für das Ausbilden eines Streuefilzes nicht ausreicht oder dieser rasch wieder abgebaut wird (bspw. durch Wind). Die natürliche Wiederbewaldung in Grenzertragslagen wird als Ausdruck eines grundlegenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels interpretiert, bei dem der Rückgang der Armut und die Zunahme des Wohlstands eine grosse Rolle spielen (Leitgruppe NFP 48 2007). Durch die abnehmende Verfügbarkeit von Arbeitskräften sind auch pflegerische Arbeiten der Bewirtschaftung gefährdet: damit eine möglichst langfristige Produktivität des Kulturbiotops sichergestellt werden kann, sind Pflegearbeiten wie Frühjahrssäuberung, exaktes Mähen, Abrechen des Schnittguts usw. notwendig, damit die «Saatbett-Bereitung» bzw. das Vorhandensein von Keimstellen gesichert ist.<br />
<br />
'''Steinfräsen''': <br/><br />
Steinfräsen zerkleinern Steine und Felsen, zermalmen und brechen den Boden auf, beseitigen Kleinstrukturen und Unebenheiten im Gelände. Diese irreparable Zerstörung der natürlichen Vegetation und der Kleinstrukturvielfalt ist u.a. für den Verlust von Baumpieper und Feldlerche im jurassischen Brutgebiet mitverantwortlich. Im Jura werden seit den 1990er-Jahren Steinfräsen teilweise grossflächig eingesetzt, um die wertvollen Kleinstrukturen zu eliminieren und ganze Flächen zu planieren. Die Gesetzeslage ist kantonal unterschiedlich (SO, JU, VD nicht erlaubt, NE & BE teilweise erlaubt) und trotz Verbot sind unbewilligte Fälle bekannt (Apolloni et al. 2017). Steinfräsen werden auch in höheren Lagen der Alpen regelmässig eingesetzt. Sie stellen eine so grosse Gefahr für die Biodiversität dar, dass sie verboten gehören.<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* Delarze et al. (2016): [https://www.infoflora.ch/de/lebensraeume/rote-liste.html Rote Liste der Lebensräume der Schweiz]<br />
* Trockenwiesen und -weiden der Schweiz (TWW) [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/fachinformationen/oekologische-infrastruktur/biotope-von-nationaler-bedeutung/trockenwiesen-und--weiden.html Inventar, Vollzugshilfe und Merkblätter, Fallstudien]<br />
* [https://www.wsl.ch/de/biotopschutz-schweiz.html Wirkungskontrolle Biotopschutz Schweiz]<br />
<br />
=Rechtsgrundlagen =<br />
* [https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19983407/index.html Landwirtschaftsgesetz (LwG)]<br />
* [https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19983381/index.html Landwirtschaftliche Begriffsverordnung (LBV)]<br />
* [https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20130216/index.html Direktzahlungsverordnung (DZV)]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/oekologischer-leistungsnachweis.html Ökologischer Leistungsnachweis (ÖLN) gemäss DZV, Übersicht zu den einzelnen Artikeln]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/biodiversitaetsbeitraege.html Übersicht über die Biodiversitätsbeiträge pro BFF-Typ und Qualitätsstufe]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/biodiversitaetsbeitraege.html Weitere Ausführungen zu den BFF-Qualitätsbeiträgen (QI und QII)]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/biodiversitaetsbeitraege.html Weitere Ausführungen zu den Vernetzungsbeiträgen]<br />
* Die rechtliche Grundlage für den nationalen Schutz der Trockenwiesen und -weiden bildet das [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/fachinformationen/massnahmen-zur-erhaltung-und-foerderung-der-biodiversitaet/oekologische-infrastruktur/biotope-von-nationaler-bedeutung/trockenwiesen-und--weiden.html Inventar über die Trockenwiesen und -weiden mit den entsprechenden Verordnungen und Vollzugshilfen].<br />
<br />
=Praxisrelevante Wissenslücken =<br />
Nachfolgend sind wichtige Themen aufgeführt, zu welchen (teilweise) Wissenslücken bestehen:<br />
* Vorkommen und Verbreitung ökologisch wertvoller Grünlandflächen im Sömmerungsgebiet, flächendeckende Inventarisierung<br />
* Wissenschaftliche Grundlagen zum Düngungsbedarf von Fromental- und Goldhaferwiesen im Hinblick auf die botanische Vielfalt fehlen, Praxisversuche sind wünschenswert.<br />
* Es gibt kaum systematische Erfahrungen zum Etzen in Zusammenhang mit der Biodiversitätsförderung im artenreichen Wiesland, übergeordnete Erfolgskontrollen sind erwünscht.<br />
* Phänologisch basierte Schnittzeitpunkte<br />
* Einfluss von Heubläser-Einsätzen auf die Biodiversität, insbesondere die Fauna (Richner et al. 2014 beleuchten den Einfluss auf die Vegetation)<br />
* Auswirkungen der Bewirtschaftung auf die Fauna über alle Mäh- und Nachbereitungsgeräte hinweg unter vergleichbaren Bedingungen untersuchen. Verhalten der Populationen auf mehrschürigen Wiesen im Jahresverlauf.<br />
* Angaben zu Ausmass und Verbreitung von Bodenverdichtungen<br />
<br />
=Literatur=<br />
Die Publikationen zum Grünland sind äusserst umfangreich. Wir stellen Ihnen die gesamte [[Media:Dokumentation Grünland Literatur.pdf|Liste an verwendeter Literatur]] zur Verfügung.<br />
<br />
= Weitere Kapitel zum Grünland=<br />
* [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland Einleitung und Zusammenfassung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie Praxisrelevante Ökologie]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung Erhalt und Aufwertung durch optimierte Bewirtschaftung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat Aufwertung und Neuschaffung durch Direktbegrünung und Ansaat]<br />
<!--* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisbeispiele Praxisbeispiele]--><br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || [https://www.faunatur.ch/portr%C3%A4t/ Karin Loeffel]|| [https://www.faunatur.ch/ faunatur]<br />
|-<br />
| Review|| Andreas Bosshard || [http://www.agraroekologie.ch/ueber-uns/team/ Ö+L GmbH] <br />
|-<br />
| || Jean-Yves Humbert || [https://www.cb.iee.unibe.ch/about_us/pd_dr_humbert_jean_yves/index_eng.html Universität Bern, Conservation Biology]<br />
|-<br />
| || Heiri Schiess || <br />
|-<br />
| || André Stapfer || <br />
|-<br />
| || Markus Staub || [https://www.poel.ch/ Projekte Ökologie Landwirtschaft] <br />
|-<br />
| || Gaby Volkart || [http://www.ateliernature.ch/atena/francais.php atena]<br />
|-<br />
|}<br />
<br /></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Gr%C3%BCnland/Grundlagen&diff=4722
Grünland/Grundlagen
2023-03-12T14:16:02Z
<p>VB2: </p>
<hr />
<div>[[fr:Milieux prairiaux/Informations de base]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Fromentalwiese ABosshard zg 96 dpi.JPG<br />
| text = Die Fromentalwiesen sind innerhalb weniger Jahrzehnte weitestgehend verschwunden.<br />
}}<br />
<br />
=Sukzession und Bedeutung des Grünlands=<br />
Mit wenigen Ausnahmen ist Grünland keine natürliche Vegetation - bleibt eine Nutzung aus, folgt der Verlauf der meisten Grünland-Lebensraumtypen der natürlichen Sukzession. Maag et al. (2001) zeigen die verschiedenen Sukzessionsverläufe für unterschiedliche Standorte. Dabei hat jede Stufe der Sukzession beispielsweise eines Trockenrasens bis hin zum Wald ihren ökologischen Wert; die Artenvielfalt kann durch ein Nebeneinander verschiedener Sukzessionsstadien erhöht werden (Diacon et al. 2011). Die unterschiedlichen Stadien der Verbrachung und Verbuschung weisen willkommene Rückzugsgebiete und Nahrungsreservoirs für Reptilien, Spinnen und viele Insekten dar. Insbesondere jüngere Brachen können floristisch und faunistisch äusserst wertvoll sein; langfristig ist dagegen die Artenvielfalt in Dauerbrachen gefährdet (Dipner & Volkart 2010). <br />
<!-- Abbildung weglassen, weil nicht in guter Qualität zur Verfügung; Alternative: Foto einwachsender Wiese. In der folgenden Abbildung sind die Phasen der Verbuschung nicht mehr bewirtschafteter Halbtrockenrasen dargestellt (Quelle: Briemle et al. 1993):--><br />
<br />
Die Bedeutung des Grünlandes ist vielfältig und eine grosse Bandbreite von allgemeinen, nicht nur an das Grünland gebundene Ökosystemleistungen sind auch mit diesen Lebensräumen verbunden, wie produktive Erzeugnisse, genetische Ressourcen von Futterpflanzen, Bestäubungsleistungen, Erosionsvermeidung, kulturelle Leistungen, Speicherung von Kohlenstoff (Guntern et al. 2013). Ebenfalls relevant sind die mit dem Grünland verbundenen ästhetisch-landschaftlichen Aspekte bspw. im Hinblick auf die touristische Nutzung oder die Erholungsfunktion. Aus landwirtschaftlicher Sicht ist die Bedeutung des Grünlandes als Stätte der Futterproduktion zentral. Entsprechend sind Wiesen und Weiden für die landwirtschaftliche Nutzung im Laufe der vergangenen Jahrzehnte „optimiert“ worden. Beispielsweise stellen die Hochleistungsrassen in der Milchwirtschaft hohe Ansprüche an den Futterwert des Grünlandes: im jüngeren Aufwuchs ist der Rohfasergehalt niedriger und die Anteile an Rohprotein und Mineralstoffen höher. Entsprechend sind der Energiegehalt und die Verdaulichkeit des Futters besser. Damit sind die Anforderungen der Hochleistungsmilchwirtschaft mit dem Erhalt des artenreichen Grünlands nicht vereinbar (Gerowitt et al. 2011); landwirtschaftlich intensiv genutzte Wiesen haben kaum einen ökologischen Wert verglichen mit artenreichem Grünland.<br />
<br />
=Typologie des Grünlands=<br />
Je nachdem, worauf der Fokus liegt, kann das Grünland in Unterkategorien aufgeteilt werden; man kann vegetationskundliche, ökologische oder auch futterbauliche Kriterien anwenden.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Haber de zg.png<br />
| text = Haber (2014) gliedert das Grünland i.w.S. wie oben dargestellt (Abbildung leicht verändert).<br />
}}<br />
<br />
Dietl & Grünig (in Oppermann & Gujer 2003, S. 60) gliedern die artenreichen (Mäh-)Wiesen der Schweiz nach Wasser- und Nährstoffhaushalt in 19 Wiesentypen auf. Ihre tabellarische Übersicht zeigt für die jeweiligen Wiesentypen kennzeichnende Artengruppen und -kombinationen. Für den gedüngten Bereich wurde die obengenannte Systematik weiterentwickelt und [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie#Lebensr.C3.A4ume_des_Gr.C3.BCnlands Bosshard (2016) unterscheidet in der Folge für das gedüngte Wiesland neun Typen].<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = bosshard Genese de.png<br />
| text = Genese und Höhenverbreitung der gedüngten Wiesentypen. <br/> Quelle: Bosshard, A., 2016. Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas. Mit besonderer Berücksichtigung der Fromentalwiesen und des standortgemässen Futterbaus, Bristol-Schriftenreihe Band 50. Haupt Verlag, Bern. © Andreas Bosshard<br />
}}<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* Vereinfachter dichotomer Bestimmungsschlüssel zur Identifikation von Fromental- und Goldhaferwiesen in Bosshard (2016, S. 188).<br />
* [http://www.agraroekologie.ch/SchluesselGeduengteNaturwiesen.xls Bestimmungsschlüssel für die Wiesentypen des gedüngten Naturwieslands der Schweiz]<br />
* [https://ira.agroscope.ch/de-CH/publication/46127 Bestimmungsschlüssel für Lebensräume der offenen Kulturlandschaft] (Buholzer et al. 2015)<br />
* Die [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/kartierung-und-bewertung-trockenwiesen.html Kartier- und Bewertungsmethode zur Erarbeitung des Inventars der Trockenwiesen und -weiden] ist im Technischen Bericht ausgeführt (Eggenberg et al. 2001)<br />
* [https://www.infoflora.ch/de/lebensraeume/typoch/4-grnland-naturrasen-wiesen-und-weiden.html Klassifikation der Grünlandlebensräume nach Delarze et al. (2015)]<br />
<br />
=Zustand und Entwicklung des Grünlands in der Schweiz=<br />
==Entstehung von Grünland==<br />
Grünland ist in Mitteleuropa vor 8000 Jahren durch Waldrodung zur Ackernutzung entstanden. Die anschliessend nicht mehr für den Ackerbau genutzten Flächen begrünten sich und wurden als Viehweiden genutzt. Wo Wiesland in prähistorischer Zeit vorkam, ist weitgehend ungewiss und wird in Bosshard (2016) kurz ausgeführt.<br />
<br />
Kapfer (2010a, 2010b) und Bosshard (2016) beleuchten die Entstehungsgeschichte und die historische Wies- und Weidelandnutzung und stellen sie in Vergleich mit heutigen Nutzungsformen: Während vieler hundert Jahre war das Wiesland in das Produktionssystem der auf Getreidebau ausgerichteten Dreizelgenwirtschaft ausgerichtet. Der Heu- und Emdschnitt führte zusammen mit den geringen Mistgaben (rund um den Hof herum) und der historisch üblichen Frühjahrsvorweide (Etzen) zu einer langfristigen Ausmagerung der Böden mit entsprechenden Folgen für die Vegetation. Reine Mähwiesen haben sich grossflächig erst im 19. Jahrhundert entwickelt, vorher waren alle Wiesen auch beweidet (Frühjahrs- oder Herbstweide). Nach dem Etzen erfolgte der Heuschnitt später und die Wiesenpflanzen konnten ihre individuelle Entwicklung bis zur Samenreife und dem Ausstreuen der Samen vollständig abschliessen. Die heutige erste Hauptnutzung auf den Mager- und Fromentalwiesen beim Heuschnitt entsprach historisch der zweiten Nutzung. Früher orientierte man sich für den Beginn und das Ende bestimmter Bewirtschaftungsgänge an Heiligen-Tagen. Diese Orientierungszeitpunkte wurden jedoch je nach Jahresverlauf bspw. für den Mahdbeginn auch flexibel gehandhabt. Die Ernte einzelner Flächen erstreckte sich über mehrere Wochen hinweg. Das Heu der Schnittwiesen wurde auf der Fläche getrocknet, wodurch eine erfolgreiche generative Vermehrung gefördert wurde (Poschlod 2011). Im Laufe der Zeit führten neue Ernteverfahren, Bewässerungsmassnahmen und neu auch die phänologischen Veränderungen aufgrund des Klimawandels zu einem früheren ersten Schnitt von Wiesen (Guntern et al. 2013).<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Bewirtschaftungsschemata Kapfer zg 96 dpi.jpg<br />
| text = Bewirtschaftungsschema der drei wichtigsten Wiesentypen der alten Dreizelgenwirtschaft. Quelle: Kapfer, A. (2010): Beitrag zur Geschichte des Grünlands Mitteleuropas im Hinblick auf den Arten- und Biotopschutz. Darstellung im Kontext der landwirtschaftlichen Bodennutzungssysteme. In: Naturschutz und Landschaftsplanung 42 (5), S. 133–140.<br />
}}<br />
<br />
<br /><br />
<table border="0", style="font-size:108%"> <br />
<tr> <br />
<td> '''Die ökologischen Auswirkungen und die Anwendung des Etzens (Frühjahrsvorweide) (Quelle: Bosshard 2015b)''' <br /> Etzen war bis ins 18./19. Jh. die übliche erste Nutzung von Mähwiesen. Heute wird die Vorweide dagegen vor allem im Berggebiet in den intensiver genutzten Wiesentypen noch regelmässig praktiziert. Etzen bewirkt langfristig einen Nährstoffentzug, die Wüchsigkeit einer Wiese wird vermindert und dadurch, dass kurzfristig Licht in den Bestand eingebracht wird, werden empfindlichere Pflanzen artenreicher Wiesen gefördert. Die längere bewirtschaftungsfreie Phase zwischen der Frühjahrsweide und dem nächsten Nutzungszeitpunkt durch Mahd führt zu einem deutlich schmackhafteren, gehaltvolleren (da eiweissreicheren) Heuaufwuchs, so dass Etzen auch aus futterbaulicher und wirtschaftlicher Sicht von Interesse sein dürfte. <br />
Das kurze, schonende Überweiden einer Wiese im Frühjahr führt zu einem strukturierteren Pflanzenbestand, einem längerdauernden Blütenangebot und einem späteren Heuschnitt und gewisse Tierarten (Tagfalter, Heuschrecken und wiesenbrütende Vogelarten) können davon profitieren (SHL 2008). Aus praktischen Gründen (logistischer Aufwand) kommt das Etzen nur für eine Minderheit von Grünlandflächen überhaupt in Frage und ist für BFF-Flächen bspw. im Rahmen von Vernetzungsprojekten realisierbar, sofern die kantonalen Vernetzungsrichtlinien dies vorsehen und begründen.</td> <br />
</tr> <br />
</table><br />
<br /><br />
<br />
Unter diesem historischen Blickwinkel ist die Entstehung der Artenvielfalt in Wiesen zu betrachten (Poschlod 2011): Die Artenzusammensetzung der Flachlandmähwiesen, wie sie sich in der heutigen Form präsentiert, ist wahrscheinlich erst etwa 300 Jahre alt; der namengebende Glatthafer (''Arrhenatherum elatius'') wurde erst Anfang des 18. Jahrhunderts eingeführt (d.h. ein durch Auswahl-Zucht verbesserter Ökotyp aus Südfrankreich). Möglicherweise ist die namengebende Art der Berg-Mähwiesen, der Goldhafer (''Trisetum flavescens'') ebenfalls erst zu dieser Zeit eingeführt worden. Fast alle Pflanzenarten des Wieslandes scheinen aus der autochthonen Flora zu stammen (bspw. aus lichten Stellen von Wäldern, aus Schotterflächen der Auen, aus den Randregionen der Hochmoore etc.). Verschiedene Futterpflanzen des Wieslandes sind (gezielt oder unabsichtlich) eingeführt worden und schon früh begann der Mensch, mit gezielten Einsaaten den Ertrag zu steigern.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Bewirtschaftungstypen Kapfer zg 1280 768.png<br />
| text = Übersicht zur Genese der Bewirtschaftungstypen des Grünlands Mitteleuropas. Quelle: Kapfer, A. (2010): Beitrag zur Geschichte des Grünlands Mitteleuropas im Hinblick auf den Arten- und Biotopschutz. Darstellung im Kontext der landwirtschaftlichen Bodennutzungssysteme. In: Naturschutz und Landschaftsplanung 42 (5), S. 133–140.<br />
}}<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* Zusammenfassende Betrachtungen und nähere Ausführungen zur Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des Grünlands liefern [http://www.dr-kapfer.de/index.php/download.html Kapfer (2010a, 2010b)], [https://pudi.lubw.de/detailseite/-/publication/90005 Poschlod (2011)] und Bosshard (2016).<br />
* Auch das [http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D13861.php Historische Lexikon der Schweiz] bietet zu verschiedenen Themen (Düngung, Futtermittel, Bewässerung, Wiesen, Weiden) informative Artikel.<br />
<br />
==Quantitativer und qualitativer Zustand und deren Veränderung==<br />
Das Grünland hat sich mit den technischen Möglichkeiten in der Landwirtschaft (Mechanisierung, Düngereinsatz) und den Flurbereinigungen der letzten Jahrzehnte stark verändert worden und verändert sich immer noch.<br />
<br />
Die [[Media:Tabelle Grünland Auszug Flächenbedarf.pdf|Tabelle]] gibt einen Überblick über die Ausdehnung und quantitative Veränderung der Schweizer Grünlandlebensräume. Quelle: «Guntern et al. (2013): Flächenbedarf für die Erhaltung der Biodiversität und der Ökosystemleistungen in der Schweiz», S. 96. Weitere Grünflächen befinden sich im Siedlungsgebiet.<br/><br />
<small>LN = Landwirtschaftliche Nutzfläche, SöG = Sömmerungsgebiet, BFF = Biodiversitätsförderfläche</small> <br />
{| class="wikitable" <br />
|-<br />
! style="width: 25%"| Lebensraum<br />
! style="width: 10%"| Zeit<br />
!colspan="2"|Ausdehnung [ha]<br />
! style="width: 25%"| Bemerkung, Quelle<br />
|- style="vertical-align:top;"<br />
| Wiesen und Weiden auf der LN (ohne SöG, Kunstwiesen) davon:<br/>- Extensiv genutzte BFF-Wiesen <br/>- Wenig intensiv genutzte BFF-Wiesen<br />
| 2011<br />
|colspan="2"|610’732 <br/><br/><br/>66‘056 <br/>22‘919<br />
| (BLW 2012) <br/>Wobei mit Qualität gemäss ÖQV: <br/>- Weiden, Waldweiden: 5'384 ha <br/>- Wiesen (inkl. Streuflächen): 28'864 ha<br />
|-<br />
| Sömmerungsgebiet <sup>1</sup> (SöG)<br />
| 2011<br />
|colspan="2"|505'385 (12% der CH)<br />
| Gemäss (Walter et al. 2013)<br />
|-<br />
|rowspan="2"|Trockenwiesen und –weiden (TWW)<br />
| 1900<br />
|colspan="2"|760‘000 (bis 900‘000)<br />
| (Eggenberg et al. 2001; Lachat et al. 2010b), Flächenverlust von 90-99% von TWW in den Regionen und 95% in der Schweiz. <sup>2</sup><br />
|-<br />
| 2010<br />
|colspan="2"|37‘011<br />
| <br />
|- style="vertical-align:top;"<br />
| Potenziell wertvolles Grasland auf der LN oder im SöG (ohne TWW, Moore Modell basierend auf der Steigung und der Höhe über Meer an den Fundorten von UZL-Ziel- und Leitarten.<br />
| 2012 <br/>Total: <br/>TZ: <br/>HZ: <br/>BZI: <br/>BZII: <br/>BZII: <br/>BZIV: <br/>SöG:<br />
| style="width: 20%"| [ha] <br/>231’688 <br/>3797 <br/>354 <br/>2'023 <br/>6943 <br/>9223 <br/>10'984 <br/>198'364<br />
| style="width: 20%"| [%] <br/> <br/>0.78 <br/>0.25 <br/>1.71 <br/>4.52 <br/>11.06 <br/>22.72 <br/>39.25<br />
| (Walter et al. 2013) <br/> <br/>TZ = Talzone <br/>HZ = Hügelzone <br/>BZ = Bergzone <br/> <br/>Grünland macht nahezu 100% des SöG sowie der LN in den BZIV und BZIII aus.<br />
|-<br />
|rowspan="2"|Fromentalwiesen auf der LN<br />
| 1950<br />
|colspan="2"|Abgesehen von TWW, Dauerweiden, Streuwiesen, Äckern nahezu alles<br />
| (Bosshard & Stähli 2012): genauere Angaben in Erarbeitung für Schlussbericht der laufenden Studie.<br />
|-<br />
| 2011<br />
|colspan="2"|3-8%<br />
| (Bosshard & Stähli 2012), wobei davon ca. 20% mit der Artenzusammensetzung von intensiv genutzten Fromentalwiesen der 1950er Jahre und max. 5% mit guter Qualität (pers. Mitteilung A. Bosshard) <br/>-> Rückgang von vermutlich > 90% und nahezu 100% für artenreiche Bestände (Bosshard 1998)<br />
|}<br />
<small><br />
<sup>1</sup> Gemäss Arealstatistik nahm die Alpwirtschaftliche Nutzfläche von 1979/85 bis 1992/97 von 555'662 um 3.2 % auf 537'802 ha ab. Ein weiterer Rückgang wurde bis 2004/09 festgestellt.<br />
</small> <br/><br />
<small><br />
<sup>2</sup> Schätzungsweise weitere Abnahme von 25-30% zw. 1995-2005 (Leibundgut 2007 zitiert in Graf & Korner 2011). Grössenordnungen in diesem Bereich sind im Wallis und Engadin durch Fallstudien bestätigt.<br />
</small><br />
<br />
<br/><br />
Ein Vergleich mit der Grünland-Situation in Deutschland zeigt: Ein mit der Schweiz (Tieflagen) vergleichbarer Anteil von rund 13% der Gesamtfläche (CH 14.7%) wird als landwirtschaftliches Grünland genutzt, der Grossteil davon ebenfalls intensiv (Boch et al. 2016).<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = Nutzung LN BFS 2018 96 dpi.png<br />
| text = Wie sich die landwirtschaftliche Nutzfläche der Schweiz auf die verschiedenen Nutzungstypen aufteilt. Quelle: BFS 2018, Die Schweiz in 21 Infografiken.<br />
}}<br />
<br />
Im Zeitraum von 1990 bis 2009 hat sich die Grünlandfläche in Deutschland um 875‘000 ha verringert. Zwischen 2003 und 2012 betrug der absolute Verlust des Dauergrünlands ca. 5%. In der Schweiz machen Landwirtschafts- und Alpwirtschaftsflächen zusammen mehr als einen Drittel der Gesamtfläche aus; zwischen 1985 und 2009 sind 85‘000 ha davon verlorengegangen, was der Grösse des Kantons Jura entspricht (BFS 2018). Die Fromentalwiesen, bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts der häufigste und zugleich produktivste Wiesentyp auf den guten Böden der tieferen Lagen Mitteleuropas, sind innerhalb weniger Jahrzehnte weitestgehend verschwunden. Damit einher ging eine qualitative Verschlechterung: ein Vergleich zwischen 1950 und 2009 zeigt, dass die damalig «intensiv» genutzten Wiesen in der Regel QII-Qualität hatten, heute hingegen in den noch vorhandenen Fromental-Vergleichswiesen nur noch ein Drittel diese Qualitätsanforderung erreicht («Fromentalwiesenprojekt», Bosshard 2016). Unter den besonders wertvollen Lebensräumen ging die Fläche der Trockenwiesen und -weiden zwischen 1900 und 2010 um 95% zurück.<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = TWW Zuerich Umweltbericht zg.png<br />
| text = Abnahme artenreicher Wiesen im Kanton Zürich. Quelle: Baudirektion Kanton Zürich (2008), Umweltbericht 2008.<br />
}}<br />
<br />
Im Schweizer Berggebiet nahm die Entwicklung des Futterbaus und der Wiesen und Weiden einen anderen Weg als im Mittelland: Erschwernislagen (steile oder schlecht erschlossene, meist mit vielen Kleinstrukturen durchsetzte Flächen) wurden zunehmend in Weiden umgenutzt oder ganz aus der Nutzung entlassen und ein Grossteil davon ist in der Folge verbuscht und verwaldet. Insgesamt hat die Waldfläche in den vergangenen 150 Jahren auf Kosten von Wiesen- und Weideflächen je nach Region um 30-100% zugenommen. Heute liegt der überwiegende Teil des artenreichen Wieslandes der Schweiz in solchen Erschwernislagen ab Bergzone I; besonders hoch ist dieser Anteil im Sömmerungsgebiet. Allerdings nehmen diese Flächen sowohl durch Nutzungsaufgabe als auch durch Intensivierung laufend ab (Bosshard 2016).<br />
<br />
Der Anteil BFF mit Qualitätsstufe II steigt stetig an; das Ziel eines 40%-Anteils wurde 2017 erstmals erreicht. Der Anteil im Talgebiet ist mit 28% jedoch immer noch tief (BLW 2018). Seit 2014 werden ebenfalls Beiträge für artenreiche Grün- und Streueflächen im Sömmerungsgebiet ausgerichtet; der Anteil dieser Flächen mit Qualitätsstufe II betrug 2017 217‘496 ha.<br />
<br />
{| class="wikitable" <br />
|- <br />
|colspan="5"| '''Übersicht über die Flächenanteile BFF mit QII-Qualität (in Hektaren) (Quelle: Agrarbericht BLW 2019)'''<br />
|-<br />
! BFF QII-Typ<br />
! style="text-align:right;" | Talregion<br />
! style="text-align:right;" | Hügelregion<br />
! style="text-align:right;" | Bergregion<br />
! style="text-align:right;" | Total<br />
|-<br />
| Extensiv genutzte Wiesen<br />
| style="text-align:right;" | 11495<br />
| style="text-align:right;" | 7395<br />
| style="text-align:right;" | 17411<br />
| style="text-align:right;" | 36301<br />
|-<br />
| Wenig intensiv genutzte Wiesen<br />
| style="text-align:right;" | 130<br />
| style="text-align:right;" | 411<br />
| style="text-align:right;" | 3220<br />
| style="text-align:right;" | 3761<br />
|-<br />
| extensiv genutzte Weiden und Waldweiden<br />
| style="text-align:right;" | 1468<br />
| style="text-align:right;" | 2830<br />
| style="text-align:right;" | 14759<br />
| style="text-align:right;" | 19057<br />
|-<br />
| artenreiche Grün- und Streuflächen im Sömmerungsgebiet<br />
| <br />
| <br />
| <br />
| style="text-align:right;" | 223509<br />
|}<br />
<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Entwicklung BFF Q2 2001 2016.png<br />
| text = Entwicklung (in Hektaren) der angemeldeten artenreichen Wiesen und Weiden (BFF mit Qualitätsstufe II) zwischen 2001 – 2016 (Quelle: Daten BLW).<br />
}}<br />
<br />
Die qualitativen Veränderungen in Wiesen und Weiden betreffen das allgemeine Nährstoffniveau, welches enorm gestiegen ist und das Verschwinden des früher verbreiteten Mosaiks von unterschiedlich genutzten Flächen (Schmid et al. 2007). Weitere qualitative Veränderungen der letzten Jahrzehnte beschreibt Bosshard (2016): Die Schlagkraft hat sich vervielfacht mit früherem Schnitt, viel höherer Nutzungsfrequenz und der zeitgleichen Nutzung viel grösserer Flächen. Die Erträge sind um ca. 60-80% gestiegen. Kleinstrukturen und Kulturlandschaftselemente sind verschwunden. Die schwereren Maschinen haben eine problematische Bodenverdichtung zur Folge und insbesondere für die Fauna destruktive Ernteverfahren (Rotationsmähwerke, Futteraufbereiter, Silagetechnik) nehmen zu. Heute wird vorwiegend Güllewirtschaft (rasch verfügbare Nährstoffe) statt der früher üblichen Festmistwirtschaft betrieben und durch den Wechsel von der Dürrfutterbereitung (Heu) zur Silage liegt der Nutzungszeitpunkt des ersten Aufwuchses heute früher im Jahr, es sind mehr Nutzungen pro Jahr möglich, die Ernte verläuft rascher und die Pflanzen können weniger absamen. Meliorationen, das Zusammenlegen von Parzellen und das Verschwinden von extensiven Parzellengrenzen bewirken ebenfalls grosse Veränderungen. Ein nächster Schritt steht mit der zukünftigen Automatisierung der Bewirtschaftung bevor. Anschaulich illustriert [https://www.pronatura.ch/de/wiesen-und-weiden Pro Natura anhand von Beispielen] die Entwicklung ehemals artenreicher Wiesen in artenarme Fettwiesen.<br />
<br />
Die ökologischen Auswirkungen der oben beschriebenen Veränderungen sind mannigfaltig: beispielsweise führt die Intensivierung der Graslandkultivierung und die früheren Schnittzeitpunkte zu einer Abnahme der Samenbank im Boden (Klimkowska et al. 2007). Die früheren Schnittzeitpunkte führen zur Überlappung mit der Brutsaison bodenbrütender Vögel; durch Mahd werden die Nester mechanisch zerstört oder sind für Prädatoren nach dem Schnitt leichter zugänglich oder die Futterverfügbarkeit wird während einer kritischen Phase der Nestlinge dezimiert (Britschgi et al. 2006). Einzelflächen wie auch die Gesamtfläche ökologisch wertvoller Wiesen und Weiden sind zu klein und zu stark fragmentiert. Kleine Grünlandflächen sind besonders empfindlich gegenüber negativer Randeffekte (z.B. Eindringen anderer Arten) und ökologischer Drift. Die durchschnittliche Grösse der TWW von nationaler Bedeutung beträgt heute 4.7 ha und im Sömmerungsgebiet 10.5 ha (Guntern et al. 2013): eine Wiederbesiedlung durch Tagfalter, Hummeln und Reptilien ist möglich, wenn die Flächen nicht weiter als 1-3 km voneinander entfernt sind. Charakteristische Heuschrecken und Laufkäfer dagegen überwinden selten Distanzen von über 100 m.<br />
<br />
'''Nährstoffversorgung im Grünland''' <br/><br />
Stickstoff ein elementarer Baustein aller Lebewesen; Pflanzen nehmen ihn über die Wurzeln in der Form von Ammonium oder Nitrat auf. Pflanzenverfügbarer Stickstoff ist natürlicherweise in den meisten Böden Mangelware – in den letzten Jahrzehnten gelangten jedoch riesige Mengen von Stickstoffverbindungen als Mineraldünger, Gülle oder aus Verbrennungsprozessen direkt oder indirekt über die Luft in die Böden. Der natürliche atmosphärische Eintrag von biologisch aktivem Stickstoff beträgt lediglich 0.5 – 2 kg/ha. Heute gelangt durchschnittlich 16 kg/ha Stickstoff über die Luft in den Boden, was in etwa der ausgebrachten Menge für mittel intensiv genutzten Wiesen entspricht. Peter (2011) weist darauf hin, dass bei drei der vier umweltrelevanten Stickstoffformen (Ammoniak, Nitrat und Lachgas) die Landwirtschaft gesamtschweizerisch gesehen die Haupt Emittentin ist. So müssten beim Ammoniak beispielsweise die Emissionen aus der Landwirtschaft annähernd halbiert werden, damit eine substanziell schädigende Wirkung in sensiblen Ökosystemen verhindert werden könnte. Für artenreiche Wiesen (kollin und montan) liegt der kritische Eintragswert bei 10-30 kg N pro Hektar und Jahr (Guntern 2016a). Entsprechend sind bspw. 49% der Trockenwiesen von den negativen Auswirkungen des atmosphärischen Stickstoffeintrags betroffen; die kritischen Eintragswerte (critical loads) werden in vielen Lebensräumen z.T. massiv überschritten (BAFU 2017). In Wiesen führt dies zu einer Bodenversauerung, zu einer starken Abnahme der Pflanzendiversität und zur Dominanz einiger weniger Grasarten und ist mitverantwortlich für die extreme Artenverarmung im Wiesland insbesondere in den Tieflagen (Bosshard 2016). Heutige Bestände sind im Vergleich zu früher wüchsiger und dichter.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Stickstoffbilanz 2015 BFS 2.png<br />
| text = Die Stickstoffbilanz in den Landwirtschaftsflächen (inkl. Alpweiden) zeigt langfristig betrachtet zwar einen rückläufigen Überschuss, dennoch resultierte 2015 ein Überschuss von 60 kg/ha (1990er-Jahre > 80 kg/ha). Quelle: Landwirtschaft und Ernährung, Taschenstatistik BFS 2018)<br />
}}<br />
<br />
Auch Phosphor ist einer der Hauptnährstoffe der Pflanzen und wird in der Landwirtschaft als Düngemittel eingesetzt. In den letzten zehn Jahren belief sich der Phosphorüberschuss auf rund 400 t/Jahr.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = phosphorbilanz 2018 de zg.png<br />
| text = Phosphorbilanz der Landwirtschaftsflächen. Phosphormengen, die in landwirtschaftliche Böden gelangen bzw. ihnen entzogen werden. Quelle: BFS – Umweltgesamtrechnung (2020)<br />
}}<br />
<br />
Im intensiv genutzten Grasland werden ausserdem steigende Zink- und Kupfereinträge beobachtet, welche aus dem Hofdünger (Gülle und Mist) bzw. aus den Futtermitteln stammen (Gubler et al. 2015). Aufgrund der hohen landwirtschaftlichen Nutzungsintensität kann auch im Grünland davon ausgegangen werden, dass vielerorts das Bodenleben dadurch beeinträchtigt wird.<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* BAFU (2017): [https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/biodiversitaet/uz-umwelt-zustand/biodiversitaet-schweiz-zustand-entwicklung.pdf.download.pdf/UZ-1630-D_2017-06-20.pdf Zustand und Entwicklung Biodiversität Schweiz]<br />
* Guntern et al. (2013): [http://www.ngzh.ch/media/pdf/Flaechenbedarf.pdf Flächenbedarf für die Erhaltung der Biodiversität und der Ökosystemleistungen in der Schweiz]<br />
* BAFU (2017): [https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/boden/uz-umwelt-zustand/boden-schweiz.pdf.download.pdf/UZ-1721-D_Boden2017.pdf Boden in der Schweiz. Zustand und Entwicklung. Stand 2017] <br />
* BFS (2018): [https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kataloge-datenbanken/publikationen/uebersichtsdarstellungen/taschenstatistik-schweiz.html Taschenstatistiken] <br />
* BLW: [https://www.agrarbericht.ch/de Agrarbericht]<br />
<br />
==Zustand und Entwicklung der Artengemeinschaften des Grünlands==<br />
Bei einer Vergleichsuntersuchung fanden Schlup et al. (2013) im extensiv bewirtschafteten Grünland (Kammgrasweide, Fromental- und Goldhaferwiese, Halbtrockenrasen) eine höhere Artenzahl an Gefässpflanzen als im durchschnittlichen Grünland der Schweiz. Ausserdem kamen im extensiven Grünland deutlich mehr Kenn- und Charakterarten sowie gefährdete Arten vor. Spezialisiertere Grünlandarten werden zunehmend von Generalisten verdrängt und es findet eine Trivialisierung statt.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = TWW Kennarten de zs.png<br />
| text = Die Tabelle zeigt, wie wichtig besonders wertvolle Lebensräume für den Erhalt von vielen Tiergruppen sind. Quelle: Hotspot 18, Forum Biodiversität Schweiz 2008)<br />
}}<br />
<br />
Demnach weist ein beträchtlicher Teil der Arten eine erhöhte Bindung zu Trockenwiesen und -weiden auf.<br />
Lebensraumverlust und -degradierung haben auf die Biodiversität im Grünland einen negativen Einfluss, wie die folgende Darstellung aus dem Biodiversitätsmonitoring Schweiz zeigt (BAFU):<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Indikatoren de zs.png<br />
| text = Vielfalt von Artengemeinschaften in Wiesen und Weiden - Index* von 0 (einheitlich) bis 100 (vielfältig), aller paarweisen Vergleiche der Stichprobenflächen, in Prozent. *Mittelwerte über einen Zeitraum von jeweils fünf Jahren. Quelle: BAFU: Biodiversitäts-Monitoring Schweiz BDM 2018<br />
}}<br />
<br />
Die Artenvielfalt ist seit Mitte der 2000er Jahre insgesamt zurückgegangen und deutet auf eine gesamtschweizerische Vereinheitlichung der Wiesen und Weiden hin, was einem Verlust der Biodiversität gleichkommt. Jedoch ist der Verlust der Artengemeinschaften in diesen Lebensräumen schon seit mindestens einigen Jahrzehnten im Gang: In den letzten 120 Jahren hat sich die durchschnittliche Pflanzenartenvielfalt auf 81 Wiesen fast halbiert (Schlup et al. 2013). Generell wird festgestellt, dass v.a. häufig vorkommende Arten zugenommen haben, welche keine besonderen Ansprüche an ihren Lebensraum stellen. Spezialisierte Grünlandarten werden zunehmend von Generalisten verdrängt, was zu einer Trivialisierung der Wiesen und Weiden führt.<br />
<br />
Auch die meisten Vogelarten, welche auf Äckern, Wiesen und Weiden brüten, sind aufgrund der hohen landwirtschaftlichen Nutzungsintensität im Rückgang begriffen: Der schweizerische Index der für das Kulturland typischen Brutvögel (46 UZL-Arten) hat seit 1990 um fast 30% abgenommen, der europäische Agrarvogelindex seit 1980 um über 50% (BLW 2017, Becker et al. 2014). Auch die Bergidylle ist zunehmend bedroht: ein Langzeitvergleich der Vogelwarte zeigt, dass im Engadin innerhalb von 22 Jahren der Anteil an wenig intensiv genutzten und artenreichen Wiesen von 32 auf 27% gesunken und die Brutbestände von Feldlerche, Baumpieper und Braunkehlchen um 44-61% gesunken sind (Korner et al. 2017). Den blütenbesuchenden Insekten wird durch den Rückgang des reichen Blüten- und Nektarangebots die Nahrungsgrundlage entzogen. Wesche et al. (2014) stellten bei Heuschrecken und Wanzen in Auen und Trockenwiesen innert 50 Jahren einen dramatischen Einbruch der Individuenzahlen (>60%) bei teils konstanten, teils zunehmenden Artenzahlen fest. Die botanische Zusammensetzung von Fromentalwiesen zeigt im Vergleich zu den 1950er Jahren eine durchschnittliche Abnahme der Artenzahl von rund 30% bei einer ebenfalls deutlichen Qualitätseinbusse (Bosshard 2015c).<br />
<br />
Im Rahmen des Monitoringprogramms ALL-EMA werden der Zustand und die Veränderung von Arten und Lebensräumen der Umweltziele Landwirtschaft in der offenen Agrarlandschaft Schweiz erfasst und die Biodiversitätsförderflächen beurteilt. Eine erste umfassende Auswertung zum Zustand der Biodiversität ist 2020 vorgesehen.<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* [https://www.agroscope.admin.ch/agroscope/de/home/themen/umwelt-ressourcen/monitoring-analytik/all-ema.html ALL-EMA]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/zustand/indikatoren.html Vielfalt von Artengemeinschaften in Wiesen und Weiden (BAFU)]<br />
* [https://www.biodiversitymonitoring.ch/index.php/de/ Biodiversitätsmonitoring Schweiz]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/biodiversitaet/uw-umwelt-wissen/umweltziele_landwirtschaftstatusbericht.pdf.download.pdf/umweltziele_landwirtschaftstatusbericht.pdf BAFU & BLW (2016): Umweltziele Landwirtschaft UZL.]<br />
<br />
=Gefährdung und Gefährdungsursachen=<br />
43% der unter dem Begriff „Grünland“ zusammengefassten Lebensraumtypen gelten als gefährdet. Die wertvollsten Flächen der Trockenwiesen und -weiden sind in einem Inventar (TWW) bezeichnet - seit 1900 sind rund 95% der TWW in der Schweiz verschwunden.<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = Gefaehrdungskat Grünland de.png<br />
| text = Einstufung der 30 Lebensraumtypen des Grünlandes gemäss Roter Liste.<br />
}}<br />
<br />
Gefährdungsursachen und wichtige Treiber sind (Delarze et al. 2015, Bosshard 2016, Becker et al. 2014):<br />
* Der Verlust an Grünland-Lebensräumen durch Nutzungsaufgabe in Grenzertragslagen und nachfolgender Sukzession, durch Umwandlung von Grünland in Ackerland oder Kunstwiesen und durch den Siedlungs- und Strassenbau. Als Folge der Lebensraumverluste sind verbleibende Habitate oft zu klein und/oder von Isolation bedroht. Bis Fragmentierung und Randeffekte zum Verlust von Arten führen, kann es Jahrzehnte dauern; man spricht deshalb auch von der sogenannten Aussterbeschuld. Im Sömmerungsgebiet verschwinden mittel-wertvolle Flächen. Das aktuelle Instrument der BFF gibt im Sömmerungsgebiet keine Kriterien zur Bewirtschaftung vor. Es gibt Hinweise, dass die Kartierung der TWW nicht vollständig ist. Es besteht die Gefahr, dass wertvolle Flächen durch Intensivierung, falsche Nutzung oder Nutzungsaufgabe verloren gehen.<br />
* Intensivierung, moderne oder ungeeignete Bewirtschaftung sowie Nährstoffeinträge: Der Strukturwandel in der Landwirtschaft und die damit verbundene Intensivierung hat vielfache Auswirkungen auch auf das Grünland. Düngung und Zufütterung in der Viehhaltung haben vervielfachte Nährstoffeinträge und die Eutrophierung des Bodens zur Folge. Durch das Düngen werden viele Grünlandarten, insbesondere Kräuter, verdrängt und die Artenvielfalt nimmt in der Folge ab, weil wenige Arten dank dieser zugeführten Nährstoffe schnell wachsen, rasch Biomasse aufbauen und den Boden für den Aufwuchs anderer Pflanzen beschatten (Gerowitt et al. 2013). Die Intensivierung umfasst ausserdem die frühere Nutzung der Bestände zur Erzielung hoher Futterqualität (für die Hochleistungs-Milchkühe) und eine generell erhöhte Schlagkraft (mit schweren Maschinen), häufigere Nutzungen, den Einsatz von Pestiziden, Flurbereinigungen und Strukturverlust sowie kulturtechnische Massnahmen zur Entwässerung, Kalkung oder Bewässerung der Flächen. Des Weiteren werden Flächen eingeebnet bzw. unter Einsatz von bspw. Forstmulchern intensiviert. Vorgegebene Schnittzeitpunkte bewirken eine Monotonisierung der Landschaft sowie ein zeitgleiches Wegfallen von Nahrungsquellen. All diese Faktoren sowie die Aufgabe bestimmter Nutzungsformen führen zu einer Vereinheitlichung der Lebensräume. <br />
* Der Klimawandel stellt für den Wandel der Biodiversität und Ökosysteme einen bedeutenden Faktor dar (Guntern 2016b): insbesondere spielen der Temperaturanstieg sowie Veränderungen im hydrologischen Regime eine Rolle. Höhere Temperaturen und zunehmende Niederschlagsmengen führen bei gleichmässiger Bodendurchfeuchtung zu einer zunehmend schnelleren Wuchsleistung des Grünlands. Aus dem Biodiversitätsmonitoring ergeben sich Hinweise, dass im Mittelland bestimmte Lebensräume einerseits wärmer, andererseits auch trockener werden (BDM-Facts Nr. 4, BAFU 2012).<br />
* Auch invasive, gebietsfremde Arten können auf die heimische Biodiversität nachteilig wirken. V.a. folgende Arten bereiten bisher grossflächig Probleme im extensiv genutzten Wiesland: das Einjährige Berufkraut (''Erigeron annuus''), die beiden Goldrutenarten (''Solidago canadensis'' und ''S. serotina'', v.a. im unternutzten oder spät gemähten, feuchten bis wechselfeuchten Wiesland) sowie das Schmalblättrige Kreuzkraut (''Senecio inaequidens''). Weitere Neophyten mit invasivem Ausbreitungspotenzial werden auf der Neophyten-Watch-List geführt. Die (bemerkenswerte) Resistenz gegenüber neu eingebrachten Arten scheint ein Charakteristikum des mitteleuropäischen Wieslands zu sein (Bosshard 2016).<br />
* Je nach Lebensraumtyp und Lage des Grünlandes stellen auch Freizeitaktivitäten bzw. Erholungsnutzung Gefährdungsfaktoren dar. In Deutschland sind insbesondere auch der Anbau von Energiepflanzen (Biogasproduktion, Raps für Kraftstoffproduktion) sowie die Agrophotovoltaik mögliche Gefährdungstreiber.<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = rationelle Mahd as 96 dpi.jpg<br />
| text = Rationelle Erntemaschinen töten und verletzten viele Tiere.<br />
}}<br />
<br />
Nachfolgend werden einige ausgewählte Gefährdungsfaktoren näher beleuchtet.<br />
<br />
'''Unternutzung und Nutzungsaufgabe''': <br/><br />
Eine extensive Bewirtschaftung wird in Gebieten mit ungünstigen Produktionsbedingungen (Hangneigung, Bodenstruktur) immer weniger rentabel. In den letzten dreissig Jahren bewegten sich die Veränderungen in der Nutzungsform im Alpenraum stets in Richtung eines geringeren Bewirtschaftungsaufwands: von der Schnitt- zur Weidenutzung und von der Beweidung zur Verbrachung (Leitgruppe NFP 48 2007). Eine Unternutzung oder eine gänzliche Aufgabe der Bewirtschaftung führen kurzfristig zu Verbrachungserscheinungen, mittelfristig zu Verbuschung und Einwaldung. Wenn die Biomasse nicht weggeführt wird, tritt im Laufe der Jahre zunehmend Lichtmangel v.a. für die dichte, bodennahe Schicht in Form von sogenanntem Streuefilz auf. Gerade seltene und gefährdete Arten verschwinden oft zuerst und werden durch Generalisten ersetzt, bevor die Bewaldung einsetzt (Bosshard 2016). Im günstigsten Fall kann bereits nach 20 Jahren auf einer früheren Magerwiese oder -weide ein Wald stehen. In sehr magerem Wiesland führt die Nutzungsaufgabe und Verbrachung jedoch nicht zu einem Artenverlust, da die Wüchsigkeit für das Ausbilden eines Streuefilzes nicht ausreicht oder dieser rasch wieder abgebaut wird (bspw. durch Wind). Die natürliche Wiederbewaldung in Grenzertragslagen wird als Ausdruck eines grundlegenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels interpretiert, bei dem der Rückgang der Armut und die Zunahme des Wohlstands eine grosse Rolle spielen (Leitgruppe NFP 48 2007). Durch die abnehmende Verfügbarkeit von Arbeitskräften sind auch pflegerische Arbeiten der Bewirtschaftung gefährdet: damit eine möglichst langfristige Produktivität des Kulturbiotops sichergestellt werden kann, sind Pflegearbeiten wie Frühjahrssäuberung, exaktes Mähen, Abrechen des Schnittguts usw. notwendig, damit die «Saatbett-Bereitung» bzw. das Vorhandensein von Keimstellen gesichert ist.<br />
<br />
'''Steinfräsen''': <br/><br />
Steinfräsen zerkleinern Steine und Felsen, zermalmen und brechen den Boden auf, beseitigen Kleinstrukturen und Unebenheiten im Gelände. Diese irreparable Zerstörung der natürlichen Vegetation und der Kleinstrukturvielfalt ist u.a. für den Verlust von Baumpieper und Feldlerche im jurassischen Brutgebiet mitverantwortlich. Im Jura werden seit den 1990er-Jahren Steinfräsen teilweise grossflächig eingesetzt, um die wertvollen Kleinstrukturen zu eliminieren und ganze Flächen zu planieren. Die Gesetzeslage ist kantonal unterschiedlich (SO, JU, VD nicht erlaubt, NE & BE teilweise erlaubt) und trotz Verbot sind unbewilligte Fälle bekannt (Apolloni et al. 2017). Steinfräsen werden auch in höheren Lagen der Alpen regelmässig eingesetzt. Sie stellen eine so grosse Gefahr für die Biodiversität dar, dass sie verboten gehören.<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* Delarze et al. (2016): [https://www.infoflora.ch/de/lebensraeume/rote-liste.html Rote Liste der Lebensräume der Schweiz]<br />
* Trockenwiesen und -weiden der Schweiz (TWW) [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/fachinformationen/oekologische-infrastruktur/biotope-von-nationaler-bedeutung/trockenwiesen-und--weiden.html Inventar, Vollzugshilfe und Merkblätter, Fallstudien]<br />
* [https://www.wsl.ch/de/biotopschutz-schweiz.html Wirkungskontrolle Biotopschutz Schweiz]<br />
<br />
=Rechtsgrundlagen =<br />
* [https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19983407/index.html Landwirtschaftsgesetz (LwG)]<br />
* [https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19983381/index.html Landwirtschaftliche Begriffsverordnung (LBV)]<br />
* [https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20130216/index.html Direktzahlungsverordnung (DZV)]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/oekologischer-leistungsnachweis.html Ökologischer Leistungsnachweis (ÖLN) gemäss DZV, Übersicht zu den einzelnen Artikeln]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/biodiversitaetsbeitraege.html Übersicht über die Biodiversitätsbeiträge pro BFF-Typ und Qualitätsstufe]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/biodiversitaetsbeitraege.html Weitere Ausführungen zu den BFF-Qualitätsbeiträgen (QI und QII)]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/biodiversitaetsbeitraege/vernetzungsbeitrag.html Weitere Ausführungen zu den Vernetzungsbeiträgen]<br />
* Die rechtliche Grundlage für den nationalen Schutz der Trockenwiesen und -weiden bildet das [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/fachinformationen/massnahmen-zur-erhaltung-und-foerderung-der-biodiversitaet/oekologische-infrastruktur/biotope-von-nationaler-bedeutung/trockenwiesen-und--weiden.html Inventar über die Trockenwiesen und -weiden mit den entsprechenden Verordnungen und Vollzugshilfen].<br />
<br />
=Praxisrelevante Wissenslücken =<br />
Nachfolgend sind wichtige Themen aufgeführt, zu welchen (teilweise) Wissenslücken bestehen:<br />
* Vorkommen und Verbreitung ökologisch wertvoller Grünlandflächen im Sömmerungsgebiet, flächendeckende Inventarisierung<br />
* Wissenschaftliche Grundlagen zum Düngungsbedarf von Fromental- und Goldhaferwiesen im Hinblick auf die botanische Vielfalt fehlen, Praxisversuche sind wünschenswert.<br />
* Es gibt kaum systematische Erfahrungen zum Etzen in Zusammenhang mit der Biodiversitätsförderung im artenreichen Wiesland, übergeordnete Erfolgskontrollen sind erwünscht.<br />
* Phänologisch basierte Schnittzeitpunkte<br />
* Einfluss von Heubläser-Einsätzen auf die Biodiversität, insbesondere die Fauna (Richner et al. 2014 beleuchten den Einfluss auf die Vegetation)<br />
* Auswirkungen der Bewirtschaftung auf die Fauna über alle Mäh- und Nachbereitungsgeräte hinweg unter vergleichbaren Bedingungen untersuchen. Verhalten der Populationen auf mehrschürigen Wiesen im Jahresverlauf.<br />
* Angaben zu Ausmass und Verbreitung von Bodenverdichtungen<br />
<br />
=Literatur=<br />
Die Publikationen zum Grünland sind äusserst umfangreich. Wir stellen Ihnen die gesamte [[Media:Dokumentation Grünland Literatur.pdf|Liste an verwendeter Literatur]] zur Verfügung.<br />
<br />
= Weitere Kapitel zum Grünland=<br />
* [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland Einleitung und Zusammenfassung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie Praxisrelevante Ökologie]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung Erhalt und Aufwertung durch optimierte Bewirtschaftung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat Aufwertung und Neuschaffung durch Direktbegrünung und Ansaat]<br />
<!--* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisbeispiele Praxisbeispiele]--><br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || [https://www.faunatur.ch/portr%C3%A4t/ Karin Loeffel]|| [https://www.faunatur.ch/ faunatur]<br />
|-<br />
| Review|| Andreas Bosshard || [http://www.agraroekologie.ch/ueber-uns/team/ Ö+L GmbH] <br />
|-<br />
| || Jean-Yves Humbert || [https://www.cb.iee.unibe.ch/about_us/pd_dr_humbert_jean_yves/index_eng.html Universität Bern, Conservation Biology]<br />
|-<br />
| || Heiri Schiess || <br />
|-<br />
| || André Stapfer || <br />
|-<br />
| || Markus Staub || [https://www.poel.ch/ Projekte Ökologie Landwirtschaft] <br />
|-<br />
| || Gaby Volkart || [http://www.ateliernature.ch/atena/francais.php atena]<br />
|-<br />
|}<br />
<br /></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Gr%C3%BCnland/Grundlagen&diff=4721
Grünland/Grundlagen
2023-03-12T14:10:49Z
<p>VB2: </p>
<hr />
<div>[[fr:Milieux prairiaux/Informations de base]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Fromentalwiese ABosshard zg 96 dpi.JPG<br />
| text = Die Fromentalwiesen sind innerhalb weniger Jahrzehnte weitestgehend verschwunden.<br />
}}<br />
<br />
=Sukzession und Bedeutung des Grünlands=<br />
Mit wenigen Ausnahmen ist Grünland keine natürliche Vegetation - bleibt eine Nutzung aus, folgt der Verlauf der meisten Grünland-Lebensraumtypen der natürlichen Sukzession. Maag et al. (2001) zeigen die verschiedenen Sukzessionsverläufe für unterschiedliche Standorte. Dabei hat jede Stufe der Sukzession beispielsweise eines Trockenrasens bis hin zum Wald ihren ökologischen Wert; die Artenvielfalt kann durch ein Nebeneinander verschiedener Sukzessionsstadien erhöht werden (Diacon et al. 2011). Die unterschiedlichen Stadien der Verbrachung und Verbuschung weisen willkommene Rückzugsgebiete und Nahrungsreservoirs für Reptilien, Spinnen und viele Insekten dar. Insbesondere jüngere Brachen können floristisch und faunistisch äusserst wertvoll sein; langfristig ist dagegen die Artenvielfalt in Dauerbrachen gefährdet (Dipner & Volkart 2010). <br />
<!-- Abbildung weglassen, weil nicht in guter Qualität zur Verfügung; Alternative: Foto einwachsender Wiese. In der folgenden Abbildung sind die Phasen der Verbuschung nicht mehr bewirtschafteter Halbtrockenrasen dargestellt (Quelle: Briemle et al. 1993):--><br />
<br />
Die Bedeutung des Grünlandes ist vielfältig und eine grosse Bandbreite von allgemeinen, nicht nur an das Grünland gebundene Ökosystemleistungen sind auch mit diesen Lebensräumen verbunden, wie produktive Erzeugnisse, genetische Ressourcen von Futterpflanzen, Bestäubungsleistungen, Erosionsvermeidung, kulturelle Leistungen, Speicherung von Kohlenstoff (Guntern et al. 2013). Ebenfalls relevant sind die mit dem Grünland verbundenen ästhetisch-landschaftlichen Aspekte bspw. im Hinblick auf die touristische Nutzung oder die Erholungsfunktion. Aus landwirtschaftlicher Sicht ist die Bedeutung des Grünlandes als Stätte der Futterproduktion zentral. Entsprechend sind Wiesen und Weiden für die landwirtschaftliche Nutzung im Laufe der vergangenen Jahrzehnte „optimiert“ worden. Beispielsweise stellen die Hochleistungsrassen in der Milchwirtschaft hohe Ansprüche an den Futterwert des Grünlandes: im jüngeren Aufwuchs ist der Rohfasergehalt niedriger und die Anteile an Rohprotein und Mineralstoffen höher. Entsprechend sind der Energiegehalt und die Verdaulichkeit des Futters besser. Damit sind die Anforderungen der Hochleistungsmilchwirtschaft mit dem Erhalt des artenreichen Grünlands nicht vereinbar (Gerowitt et al. 2011); landwirtschaftlich intensiv genutzte Wiesen haben kaum einen ökologischen Wert verglichen mit artenreichem Grünland.<br />
<br />
=Typologie des Grünlands=<br />
Je nachdem, worauf der Fokus liegt, kann das Grünland in Unterkategorien aufgeteilt werden; man kann vegetationskundliche, ökologische oder auch futterbauliche Kriterien anwenden.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Haber de zg.png<br />
| text = Haber (2014) gliedert das Grünland i.w.S. wie oben dargestellt (Abbildung leicht verändert).<br />
}}<br />
<br />
Dietl & Grünig (in Oppermann & Gujer 2003, S. 60) gliedern die artenreichen (Mäh-)Wiesen der Schweiz nach Wasser- und Nährstoffhaushalt in 19 Wiesentypen auf. Ihre tabellarische Übersicht zeigt für die jeweiligen Wiesentypen kennzeichnende Artengruppen und -kombinationen. Für den gedüngten Bereich wurde die obengenannte Systematik weiterentwickelt und [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie#Lebensr.C3.A4ume_des_Gr.C3.BCnlands Bosshard (2016) unterscheidet in der Folge für das gedüngte Wiesland neun Typen].<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = bosshard Genese de.png<br />
| text = Genese und Höhenverbreitung der gedüngten Wiesentypen. <br/> Quelle: Bosshard, A., 2016. Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas. Mit besonderer Berücksichtigung der Fromentalwiesen und des standortgemässen Futterbaus, Bristol-Schriftenreihe Band 50. Haupt Verlag, Bern. © Andreas Bosshard<br />
}}<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* Vereinfachter dichotomer Bestimmungsschlüssel zur Identifikation von Fromental- und Goldhaferwiesen in Bosshard (2016, S. 188).<br />
* [http://www.agraroekologie.ch/SchluesselGeduengteNaturwiesen.xls Bestimmungsschlüssel für die Wiesentypen des gedüngten Naturwieslands der Schweiz]<br />
* [https://ira.agroscope.ch/de-CH/publication/46127 Bestimmungsschlüssel für Lebensräume der offenen Kulturlandschaft] (Buholzer et al. 2015)<br />
* Die [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/kartierung-und-bewertung-trockenwiesen.html Kartier- und Bewertungsmethode zur Erarbeitung des Inventars der Trockenwiesen und -weiden] ist im Technischen Bericht ausgeführt (Eggenberg et al. 2001)<br />
* [https://www.infoflora.ch/de/lebensraeume/typoch/4-grnland-naturrasen-wiesen-und-weiden.html Klassifikation der Grünlandlebensräume nach Delarze et al. (2015)]<br />
<br />
=Zustand und Entwicklung des Grünlands in der Schweiz=<br />
==Entstehung von Grünland==<br />
Grünland ist in Mitteleuropa vor 8000 Jahren durch Waldrodung zur Ackernutzung entstanden. Die anschliessend nicht mehr für den Ackerbau genutzten Flächen begrünten sich und wurden als Viehweiden genutzt. Wo Wiesland in prähistorischer Zeit vorkam, ist weitgehend ungewiss und wird in Bosshard (2016) kurz ausgeführt.<br />
<br />
Kapfer (2010a, 2010b) und Bosshard (2016) beleuchten die Entstehungsgeschichte und die historische Wies- und Weidelandnutzung und stellen sie in Vergleich mit heutigen Nutzungsformen: Während vieler hundert Jahre war das Wiesland in das Produktionssystem der auf Getreidebau ausgerichteten Dreizelgenwirtschaft ausgerichtet. Der Heu- und Emdschnitt führte zusammen mit den geringen Mistgaben (rund um den Hof herum) und der historisch üblichen Frühjahrsvorweide (Etzen) zu einer langfristigen Ausmagerung der Böden mit entsprechenden Folgen für die Vegetation. Reine Mähwiesen haben sich grossflächig erst im 19. Jahrhundert entwickelt, vorher waren alle Wiesen auch beweidet (Frühjahrs- oder Herbstweide). Nach dem Etzen erfolgte der Heuschnitt später und die Wiesenpflanzen konnten ihre individuelle Entwicklung bis zur Samenreife und dem Ausstreuen der Samen vollständig abschliessen. Die heutige erste Hauptnutzung auf den Mager- und Fromentalwiesen beim Heuschnitt entsprach historisch der zweiten Nutzung. Früher orientierte man sich für den Beginn und das Ende bestimmter Bewirtschaftungsgänge an Heiligen-Tagen. Diese Orientierungszeitpunkte wurden jedoch je nach Jahresverlauf bspw. für den Mahdbeginn auch flexibel gehandhabt. Die Ernte einzelner Flächen erstreckte sich über mehrere Wochen hinweg. Das Heu der Schnittwiesen wurde auf der Fläche getrocknet, wodurch eine erfolgreiche generative Vermehrung gefördert wurde (Poschlod 2011). Im Laufe der Zeit führten neue Ernteverfahren, Bewässerungsmassnahmen und neu auch die phänologischen Veränderungen aufgrund des Klimawandels zu einem früheren ersten Schnitt von Wiesen (Guntern et al. 2013).<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Bewirtschaftungsschemata Kapfer zg 96 dpi.jpg<br />
| text = Bewirtschaftungsschema der drei wichtigsten Wiesentypen der alten Dreizelgenwirtschaft. Quelle: Kapfer, A. (2010): Beitrag zur Geschichte des Grünlands Mitteleuropas im Hinblick auf den Arten- und Biotopschutz. Darstellung im Kontext der landwirtschaftlichen Bodennutzungssysteme. In: Naturschutz und Landschaftsplanung 42 (5), S. 133–140.<br />
}}<br />
<br />
<br /><br />
<table border="0", style="font-size:108%"> <br />
<tr> <br />
<td> '''Die ökologischen Auswirkungen und die Anwendung des Etzens (Frühjahrsvorweide) (Quelle: Bosshard 2015b)''' <br /> Etzen war bis ins 18./19. Jh. die übliche erste Nutzung von Mähwiesen. Heute wird die Vorweide dagegen vor allem im Berggebiet in den intensiver genutzten Wiesentypen noch regelmässig praktiziert. Etzen bewirkt langfristig einen Nährstoffentzug, die Wüchsigkeit einer Wiese wird vermindert und dadurch, dass kurzfristig Licht in den Bestand eingebracht wird, werden empfindlichere Pflanzen artenreicher Wiesen gefördert. Die längere bewirtschaftungsfreie Phase zwischen der Frühjahrsweide und dem nächsten Nutzungszeitpunkt durch Mahd führt zu einem deutlich schmackhafteren, gehaltvolleren (da eiweissreicheren) Heuaufwuchs, so dass Etzen auch aus futterbaulicher und wirtschaftlicher Sicht von Interesse sein dürfte. <br />
Das kurze, schonende Überweiden einer Wiese im Frühjahr führt zu einem strukturierteren Pflanzenbestand, einem längerdauernden Blütenangebot und einem späteren Heuschnitt und gewisse Tierarten (Tagfalter, Heuschrecken und wiesenbrütende Vogelarten) können davon profitieren (SHL 2008). Aus praktischen Gründen (logistischer Aufwand) kommt das Etzen nur für eine Minderheit von Grünlandflächen überhaupt in Frage und ist für BFF-Flächen bspw. im Rahmen von Vernetzungsprojekten realisierbar, sofern die kantonalen Vernetzungsrichtlinien dies vorsehen und begründen.</td> <br />
</tr> <br />
</table><br />
<br /><br />
<br />
Unter diesem historischen Blickwinkel ist die Entstehung der Artenvielfalt in Wiesen zu betrachten (Poschlod 2011): Die Artenzusammensetzung der Flachlandmähwiesen, wie sie sich in der heutigen Form präsentiert, ist wahrscheinlich erst etwa 300 Jahre alt; der namengebende Glatthafer (''Arrhenatherum elatius'') wurde erst Anfang des 18. Jahrhunderts eingeführt (d.h. ein durch Auswahl-Zucht verbesserter Ökotyp aus Südfrankreich). Möglicherweise ist die namengebende Art der Berg-Mähwiesen, der Goldhafer (''Trisetum flavescens'') ebenfalls erst zu dieser Zeit eingeführt worden. Fast alle Pflanzenarten des Wieslandes scheinen aus der autochthonen Flora zu stammen (bspw. aus lichten Stellen von Wäldern, aus Schotterflächen der Auen, aus den Randregionen der Hochmoore etc.). Verschiedene Futterpflanzen des Wieslandes sind (gezielt oder unabsichtlich) eingeführt worden und schon früh begann der Mensch, mit gezielten Einsaaten den Ertrag zu steigern.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Bewirtschaftungstypen Kapfer zg 1280 768.png<br />
| text = Übersicht zur Genese der Bewirtschaftungstypen des Grünlands Mitteleuropas. Quelle: Kapfer, A. (2010): Beitrag zur Geschichte des Grünlands Mitteleuropas im Hinblick auf den Arten- und Biotopschutz. Darstellung im Kontext der landwirtschaftlichen Bodennutzungssysteme. In: Naturschutz und Landschaftsplanung 42 (5), S. 133–140.<br />
}}<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* Zusammenfassende Betrachtungen und nähere Ausführungen zur Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des Grünlands liefern [http://www.dr-kapfer.de/index.php/download.html Kapfer (2010a, 2010b)], [https://pudi.lubw.de/detailseite/-/publication/90005 Poschlod (2011)] und Bosshard (2016).<br />
* Auch das [http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D13861.php Historische Lexikon der Schweiz] bietet zu verschiedenen Themen (Düngung, Futtermittel, Bewässerung, Wiesen, Weiden) informative Artikel.<br />
<br />
==Quantitativer und qualitativer Zustand und deren Veränderung==<br />
Das Grünland hat sich mit den technischen Möglichkeiten in der Landwirtschaft (Mechanisierung, Düngereinsatz) und den Flurbereinigungen der letzten Jahrzehnte stark verändert worden und verändert sich immer noch.<br />
<br />
Die [[Media:Tabelle Grünland Auszug Flächenbedarf.pdf|Tabelle]] gibt einen Überblick über die Ausdehnung und quantitative Veränderung der Schweizer Grünlandlebensräume. Quelle: «Guntern et al. (2013): Flächenbedarf für die Erhaltung der Biodiversität und der Ökosystemleistungen in der Schweiz», S. 96. Weitere Grünflächen befinden sich im Siedlungsgebiet.<br/><br />
<small>LN = Landwirtschaftliche Nutzfläche, SöG = Sömmerungsgebiet, BFF = Biodiversitätsförderfläche</small> <br />
{| class="wikitable" <br />
|-<br />
! style="width: 25%"| Lebensraum<br />
! style="width: 10%"| Zeit<br />
!colspan="2"|Ausdehnung [ha]<br />
! style="width: 25%"| Bemerkung, Quelle<br />
|- style="vertical-align:top;"<br />
| Wiesen und Weiden auf der LN (ohne SöG, Kunstwiesen) davon:<br/>- Extensiv genutzte BFF-Wiesen <br/>- Wenig intensiv genutzte BFF-Wiesen<br />
| 2011<br />
|colspan="2"|610’732 <br/><br/><br/>66‘056 <br/>22‘919<br />
| (BLW 2012) <br/>Wobei mit Qualität gemäss ÖQV: <br/>- Weiden, Waldweiden: 5'384 ha <br/>- Wiesen (inkl. Streuflächen): 28'864 ha<br />
|-<br />
| Sömmerungsgebiet <sup>1</sup> (SöG)<br />
| 2011<br />
|colspan="2"|505'385 (12% der CH)<br />
| Gemäss (Walter et al. 2013)<br />
|-<br />
|rowspan="2"|Trockenwiesen und –weiden (TWW)<br />
| 1900<br />
|colspan="2"|760‘000 (bis 900‘000)<br />
| (Eggenberg et al. 2001; Lachat et al. 2010b), Flächenverlust von 90-99% von TWW in den Regionen und 95% in der Schweiz. <sup>2</sup><br />
|-<br />
| 2010<br />
|colspan="2"|37‘011<br />
| <br />
|- style="vertical-align:top;"<br />
| Potenziell wertvolles Grasland auf der LN oder im SöG (ohne TWW, Moore Modell basierend auf der Steigung und der Höhe über Meer an den Fundorten von UZL-Ziel- und Leitarten.<br />
| 2012 <br/>Total: <br/>TZ: <br/>HZ: <br/>BZI: <br/>BZII: <br/>BZII: <br/>BZIV: <br/>SöG:<br />
| style="width: 20%"| [ha] <br/>231’688 <br/>3797 <br/>354 <br/>2'023 <br/>6943 <br/>9223 <br/>10'984 <br/>198'364<br />
| style="width: 20%"| [%] <br/> <br/>0.78 <br/>0.25 <br/>1.71 <br/>4.52 <br/>11.06 <br/>22.72 <br/>39.25<br />
| (Walter et al. 2013) <br/> <br/>TZ = Talzone <br/>HZ = Hügelzone <br/>BZ = Bergzone <br/> <br/>Grünland macht nahezu 100% des SöG sowie der LN in den BZIV und BZIII aus.<br />
|-<br />
|rowspan="2"|Fromentalwiesen auf der LN<br />
| 1950<br />
|colspan="2"|Abgesehen von TWW, Dauerweiden, Streuwiesen, Äckern nahezu alles<br />
| (Bosshard & Stähli 2012): genauere Angaben in Erarbeitung für Schlussbericht der laufenden Studie.<br />
|-<br />
| 2011<br />
|colspan="2"|3-8%<br />
| (Bosshard & Stähli 2012), wobei davon ca. 20% mit der Artenzusammensetzung von intensiv genutzten Fromentalwiesen der 1950er Jahre und max. 5% mit guter Qualität (pers. Mitteilung A. Bosshard) <br/>-> Rückgang von vermutlich > 90% und nahezu 100% für artenreiche Bestände (Bosshard 1998)<br />
|}<br />
<small><br />
<sup>1</sup> Gemäss Arealstatistik nahm die Alpwirtschaftliche Nutzfläche von 1979/85 bis 1992/97 von 555'662 um 3.2 % auf 537'802 ha ab. Ein weiterer Rückgang wurde bis 2004/09 festgestellt.<br />
</small> <br/><br />
<small><br />
<sup>2</sup> Schätzungsweise weitere Abnahme von 25-30% zw. 1995-2005 (Leibundgut 2007 zitiert in Graf & Korner 2011). Grössenordnungen in diesem Bereich sind im Wallis und Engadin durch Fallstudien bestätigt.<br />
</small><br />
<br />
<br/><br />
Ein Vergleich mit der Grünland-Situation in Deutschland zeigt: Ein mit der Schweiz (Tieflagen) vergleichbarer Anteil von rund 13% der Gesamtfläche (CH 14.7%) wird als landwirtschaftliches Grünland genutzt, der Grossteil davon ebenfalls intensiv (Boch et al. 2016).<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = Nutzung LN BFS 2018 96 dpi.png<br />
| text = Wie sich die landwirtschaftliche Nutzfläche der Schweiz auf die verschiedenen Nutzungstypen aufteilt. Quelle: BFS 2018, Die Schweiz in 21 Infografiken.<br />
}}<br />
<br />
Im Zeitraum von 1990 bis 2009 hat sich die Grünlandfläche in Deutschland um 875‘000 ha verringert. Zwischen 2003 und 2012 betrug der absolute Verlust des Dauergrünlands ca. 5%. In der Schweiz machen Landwirtschafts- und Alpwirtschaftsflächen zusammen mehr als einen Drittel der Gesamtfläche aus; zwischen 1985 und 2009 sind 85‘000 ha davon verlorengegangen, was der Grösse des Kantons Jura entspricht (BFS 2018). Die Fromentalwiesen, bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts der häufigste und zugleich produktivste Wiesentyp auf den guten Böden der tieferen Lagen Mitteleuropas, sind innerhalb weniger Jahrzehnte weitestgehend verschwunden. Damit einher ging eine qualitative Verschlechterung: ein Vergleich zwischen 1950 und 2009 zeigt, dass die damalig «intensiv» genutzten Wiesen in der Regel QII-Qualität hatten, heute hingegen in den noch vorhandenen Fromental-Vergleichswiesen nur noch ein Drittel diese Qualitätsanforderung erreicht («Fromentalwiesenprojekt», Bosshard 2016). Unter den besonders wertvollen Lebensräumen ging die Fläche der Trockenwiesen und -weiden zwischen 1900 und 2010 um 95% zurück.<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = TWW Zuerich Umweltbericht zg.png<br />
| text = Abnahme artenreicher Wiesen im Kanton Zürich. Quelle: Baudirektion Kanton Zürich (2008), Umweltbericht 2008.<br />
}}<br />
<br />
Im Schweizer Berggebiet nahm die Entwicklung des Futterbaus und der Wiesen und Weiden einen anderen Weg als im Mittelland: Erschwernislagen (steile oder schlecht erschlossene, meist mit vielen Kleinstrukturen durchsetzte Flächen) wurden zunehmend in Weiden umgenutzt oder ganz aus der Nutzung entlassen und ein Grossteil davon ist in der Folge verbuscht und verwaldet. Insgesamt hat die Waldfläche in den vergangenen 150 Jahren auf Kosten von Wiesen- und Weideflächen je nach Region um 30-100% zugenommen. Heute liegt der überwiegende Teil des artenreichen Wieslandes der Schweiz in solchen Erschwernislagen ab Bergzone I; besonders hoch ist dieser Anteil im Sömmerungsgebiet. Allerdings nehmen diese Flächen sowohl durch Nutzungsaufgabe als auch durch Intensivierung laufend ab (Bosshard 2016).<br />
<br />
Der Anteil BFF mit Qualitätsstufe II steigt stetig an; das Ziel eines 40%-Anteils wurde 2017 erstmals erreicht. Der Anteil im Talgebiet ist mit 28% jedoch immer noch tief (BLW 2018). Seit 2014 werden ebenfalls Beiträge für artenreiche Grün- und Streueflächen im Sömmerungsgebiet ausgerichtet; der Anteil dieser Flächen mit Qualitätsstufe II betrug 2017 217‘496 ha.<br />
<br />
{| class="wikitable" <br />
|- <br />
|colspan="5"| '''Übersicht über die Flächenanteile BFF mit QII-Qualität (in Hektaren) (Quelle: Agrarbericht BLW 2019)'''<br />
|-<br />
! BFF QII-Typ<br />
! style="text-align:right;" | Talregion<br />
! style="text-align:right;" | Hügelregion<br />
! style="text-align:right;" | Bergregion<br />
! style="text-align:right;" | Total<br />
|-<br />
| Extensiv genutzte Wiesen<br />
| style="text-align:right;" | 11495<br />
| style="text-align:right;" | 7395<br />
| style="text-align:right;" | 17411<br />
| style="text-align:right;" | 36301<br />
|-<br />
| Wenig intensiv genutzte Wiesen<br />
| style="text-align:right;" | 130<br />
| style="text-align:right;" | 411<br />
| style="text-align:right;" | 3220<br />
| style="text-align:right;" | 3761<br />
|-<br />
| extensiv genutzte Weiden und Waldweiden<br />
| style="text-align:right;" | 1468<br />
| style="text-align:right;" | 2830<br />
| style="text-align:right;" | 14759<br />
| style="text-align:right;" | 19057<br />
|-<br />
| artenreiche Grün- und Streuflächen im Sömmerungsgebiet<br />
| <br />
| <br />
| <br />
| style="text-align:right;" | 223509<br />
|}<br />
<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Entwicklung BFF Q2 2001 2016.png<br />
| text = Entwicklung (in Hektaren) der angemeldeten artenreichen Wiesen und Weiden (BFF mit Qualitätsstufe II) zwischen 2001 – 2016 (Quelle: Daten BLW).<br />
}}<br />
<br />
Die qualitativen Veränderungen in Wiesen und Weiden betreffen das allgemeine Nährstoffniveau, welches enorm gestiegen ist und das Verschwinden des früher verbreiteten Mosaiks von unterschiedlich genutzten Flächen (Schmid et al. 2007). Weitere qualitative Veränderungen der letzten Jahrzehnte beschreibt Bosshard (2016): Die Schlagkraft hat sich vervielfacht mit früherem Schnitt, viel höherer Nutzungsfrequenz und der zeitgleichen Nutzung viel grösserer Flächen. Die Erträge sind um ca. 60-80% gestiegen. Kleinstrukturen und Kulturlandschaftselemente sind verschwunden. Die schwereren Maschinen haben eine problematische Bodenverdichtung zur Folge und insbesondere für die Fauna destruktive Ernteverfahren (Rotationsmähwerke, Futteraufbereiter, Silagetechnik) nehmen zu. Heute wird vorwiegend Güllewirtschaft (rasch verfügbare Nährstoffe) statt der früher üblichen Festmistwirtschaft betrieben und durch den Wechsel von der Dürrfutterbereitung (Heu) zur Silage liegt der Nutzungszeitpunkt des ersten Aufwuchses heute früher im Jahr, es sind mehr Nutzungen pro Jahr möglich, die Ernte verläuft rascher und die Pflanzen können weniger absamen. Meliorationen, das Zusammenlegen von Parzellen und das Verschwinden von extensiven Parzellengrenzen bewirken ebenfalls grosse Veränderungen. Ein nächster Schritt steht mit der zukünftigen Automatisierung der Bewirtschaftung bevor. Anschaulich illustriert [https://www.pronatura.ch/de/wiesen-und-weiden Pro Natura anhand von Beispielen] die Entwicklung ehemals artenreicher Wiesen in artenarme Fettwiesen.<br />
<br />
Die ökologischen Auswirkungen der oben beschriebenen Veränderungen sind mannigfaltig: beispielsweise führt die Intensivierung der Graslandkultivierung und die früheren Schnittzeitpunkte zu einer Abnahme der Samenbank im Boden (Klimkowska et al. 2007). Die früheren Schnittzeitpunkte führen zur Überlappung mit der Brutsaison bodenbrütender Vögel; durch Mahd werden die Nester mechanisch zerstört oder sind für Prädatoren nach dem Schnitt leichter zugänglich oder die Futterverfügbarkeit wird während einer kritischen Phase der Nestlinge dezimiert (Britschgi et al. 2006). Einzelflächen wie auch die Gesamtfläche ökologisch wertvoller Wiesen und Weiden sind zu klein und zu stark fragmentiert. Kleine Grünlandflächen sind besonders empfindlich gegenüber negativer Randeffekte (z.B. Eindringen anderer Arten) und ökologischer Drift. Die durchschnittliche Grösse der TWW von nationaler Bedeutung beträgt heute 4.7 ha und im Sömmerungsgebiet 10.5 ha (Guntern et al. 2013): eine Wiederbesiedlung durch Tagfalter, Hummeln und Reptilien ist möglich, wenn die Flächen nicht weiter als 1-3 km voneinander entfernt sind. Charakteristische Heuschrecken und Laufkäfer dagegen überwinden selten Distanzen von über 100 m.<br />
<br />
'''Nährstoffversorgung im Grünland''' <br/><br />
Stickstoff ein elementarer Baustein aller Lebewesen; Pflanzen nehmen ihn über die Wurzeln in der Form von Ammonium oder Nitrat auf. Pflanzenverfügbarer Stickstoff ist natürlicherweise in den meisten Böden Mangelware – in den letzten Jahrzehnten gelangten jedoch riesige Mengen von Stickstoffverbindungen als Mineraldünger, Gülle oder aus Verbrennungsprozessen direkt oder indirekt über die Luft in die Böden. Der natürliche atmosphärische Eintrag von biologisch aktivem Stickstoff beträgt lediglich 0.5 – 2 kg/ha. Heute gelangt durchschnittlich 16 kg/ha Stickstoff über die Luft in den Boden, was in etwa der ausgebrachten Menge für mittel intensiv genutzten Wiesen entspricht. Peter (2011) weist darauf hin, dass bei drei der vier umweltrelevanten Stickstoffformen (Ammoniak, Nitrat und Lachgas) die Landwirtschaft gesamtschweizerisch gesehen die Haupt Emittentin ist. So müssten beim Ammoniak beispielsweise die Emissionen aus der Landwirtschaft annähernd halbiert werden, damit eine substanziell schädigende Wirkung in sensiblen Ökosystemen verhindert werden könnte. Für artenreiche Wiesen (kollin und montan) liegt der kritische Eintragswert bei 10-30 kg N pro Hektar und Jahr (Guntern 2016a). Entsprechend sind bspw. 49% der Trockenwiesen von den negativen Auswirkungen des atmosphärischen Stickstoffeintrags betroffen; die kritischen Eintragswerte (critical loads) werden in vielen Lebensräumen z.T. massiv überschritten (BAFU 2017). In Wiesen führt dies zu einer Bodenversauerung, zu einer starken Abnahme der Pflanzendiversität und zur Dominanz einiger weniger Grasarten und ist mitverantwortlich für die extreme Artenverarmung im Wiesland insbesondere in den Tieflagen (Bosshard 2016). Heutige Bestände sind im Vergleich zu früher wüchsiger und dichter.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Stickstoffbilanz 2015 BFS 2.png<br />
| text = Die Stickstoffbilanz in den Landwirtschaftsflächen (inkl. Alpweiden) zeigt langfristig betrachtet zwar einen rückläufigen Überschuss, dennoch resultierte 2015 ein Überschuss von 60 kg/ha (1990er-Jahre > 80 kg/ha). Quelle: Landwirtschaft und Ernährung, Taschenstatistik BFS 2018)<br />
}}<br />
<br />
Auch Phosphor ist einer der Hauptnährstoffe der Pflanzen und wird in der Landwirtschaft als Düngemittel eingesetzt. In den letzten zehn Jahren belief sich der Phosphorüberschuss auf rund 400 t/Jahr.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = phosphorbilanz 2018 de zg.png<br />
| text = Phosphorbilanz der Landwirtschaftsflächen. Phosphormengen, die in landwirtschaftliche Böden gelangen bzw. ihnen entzogen werden. Quelle: BFS – Umweltgesamtrechnung (2020)<br />
}}<br />
<br />
Im intensiv genutzten Grasland werden ausserdem steigende Zink- und Kupfereinträge beobachtet, welche aus dem Hofdünger (Gülle und Mist) bzw. aus den Futtermitteln stammen (Gubler et al. 2015). Aufgrund der hohen landwirtschaftlichen Nutzungsintensität kann auch im Grünland davon ausgegangen werden, dass vielerorts das Bodenleben dadurch beeinträchtigt wird.<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* BAFU (2017): [https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/biodiversitaet/uz-umwelt-zustand/biodiversitaet-schweiz-zustand-entwicklung.pdf.download.pdf/UZ-1630-D_2017-06-20.pdf Zustand und Entwicklung Biodiversität Schweiz]<br />
* Guntern et al. (2013): [http://www.ngzh.ch/media/pdf/Flaechenbedarf.pdf Flächenbedarf für die Erhaltung der Biodiversität und der Ökosystemleistungen in der Schweiz]<br />
* BAFU (2017): [https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/boden/uz-umwelt-zustand/boden-schweiz.pdf.download.pdf/UZ-1721-D_Boden2017.pdf Boden in der Schweiz. Zustand und Entwicklung. Stand 2017] <br />
* BFS (2018): [https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kataloge-datenbanken/publikationen/uebersichtsdarstellungen/taschenstatistik-schweiz.html Taschenstatistiken] <br />
* BLW: [https://www.agrarbericht.ch/de Agrarbericht]<br />
<br />
==Zustand und Entwicklung der Artengemeinschaften des Grünlands==<br />
Bei einer Vergleichsuntersuchung fanden Schlup et al. (2013) im extensiv bewirtschafteten Grünland (Kammgrasweide, Fromental- und Goldhaferwiese, Halbtrockenrasen) eine höhere Artenzahl an Gefässpflanzen als im durchschnittlichen Grünland der Schweiz. Ausserdem kamen im extensiven Grünland deutlich mehr Kenn- und Charakterarten sowie gefährdete Arten vor. Spezialisiertere Grünlandarten werden zunehmend von Generalisten verdrängt und es findet eine Trivialisierung statt.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = TWW Kennarten de zs.png<br />
| text = Die Tabelle zeigt, wie wichtig besonders wertvolle Lebensräume für den Erhalt von vielen Tiergruppen sind. Quelle: Hotspot 18, Forum Biodiversität Schweiz 2008)<br />
}}<br />
<br />
Demnach weist ein beträchtlicher Teil der Arten eine erhöhte Bindung zu Trockenwiesen und -weiden auf.<br />
Lebensraumverlust und -degradierung haben auf die Biodiversität im Grünland einen negativen Einfluss, wie die folgende Darstellung aus dem Biodiversitätsmonitoring Schweiz zeigt (BAFU):<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Indikatoren de zs.png<br />
| text = Vielfalt von Artengemeinschaften in Wiesen und Weiden - Index* von 0 (einheitlich) bis 100 (vielfältig), aller paarweisen Vergleiche der Stichprobenflächen, in Prozent. *Mittelwerte über einen Zeitraum von jeweils fünf Jahren. Quelle: BAFU: Biodiversitäts-Monitoring Schweiz BDM 2018<br />
}}<br />
<br />
Die Artenvielfalt ist seit Mitte der 2000er Jahre insgesamt zurückgegangen und deutet auf eine gesamtschweizerische Vereinheitlichung der Wiesen und Weiden hin, was einem Verlust der Biodiversität gleichkommt. Jedoch ist der Verlust der Artengemeinschaften in diesen Lebensräumen schon seit mindestens einigen Jahrzehnten im Gang: In den letzten 120 Jahren hat sich die durchschnittliche Pflanzenartenvielfalt auf 81 Wiesen fast halbiert (Schlup et al. 2013). Generell wird festgestellt, dass v.a. häufig vorkommende Arten zugenommen haben, welche keine besonderen Ansprüche an ihren Lebensraum stellen. Spezialisierte Grünlandarten werden zunehmend von Generalisten verdrängt, was zu einer Trivialisierung der Wiesen und Weiden führt.<br />
<br />
Auch die meisten Vogelarten, welche auf Äckern, Wiesen und Weiden brüten, sind aufgrund der hohen landwirtschaftlichen Nutzungsintensität im Rückgang begriffen: Der schweizerische Index der für das Kulturland typischen Brutvögel (46 UZL-Arten) hat seit 1990 um fast 30% abgenommen, der europäische Agrarvogelindex seit 1980 um über 50% (BLW 2017, Becker et al. 2014). Auch die Bergidylle ist zunehmend bedroht: ein Langzeitvergleich der Vogelwarte zeigt, dass im Engadin innerhalb von 22 Jahren der Anteil an wenig intensiv genutzten und artenreichen Wiesen von 32 auf 27% gesunken und die Brutbestände von Feldlerche, Baumpieper und Braunkehlchen um 44-61% gesunken sind (Korner et al. 2017). Den blütenbesuchenden Insekten wird durch den Rückgang des reichen Blüten- und Nektarangebots die Nahrungsgrundlage entzogen. Wesche et al. (2014) stellten bei Heuschrecken und Wanzen in Auen und Trockenwiesen innert 50 Jahren einen dramatischen Einbruch der Individuenzahlen (>60%) bei teils konstanten, teils zunehmenden Artenzahlen fest. Die botanische Zusammensetzung von Fromentalwiesen zeigt im Vergleich zu den 1950er Jahren eine durchschnittliche Abnahme der Artenzahl von rund 30% bei einer ebenfalls deutlichen Qualitätseinbusse (Bosshard 2015c).<br />
<br />
Im Rahmen des Monitoringprogramms ALL-EMA werden der Zustand und die Veränderung von Arten und Lebensräumen der Umweltziele Landwirtschaft in der offenen Agrarlandschaft Schweiz erfasst und die Biodiversitätsförderflächen beurteilt. Eine erste umfassende Auswertung zum Zustand der Biodiversität ist 2020 vorgesehen.<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* [https://www.agroscope.admin.ch/agroscope/de/home/themen/umwelt-ressourcen/monitoring-analytik/all-ema.html ALL-EMA]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/zustand/indikatoren.html Vielfalt von Artengemeinschaften in Wiesen und Weiden (BAFU)]<br />
* [https://www.biodiversitymonitoring.ch/index.php/de/ Biodiversitätsmonitoring Schweiz]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/biodiversitaet/uw-umwelt-wissen/umweltziele_landwirtschaftstatusbericht.pdf.download.pdf/umweltziele_landwirtschaftstatusbericht.pdf BAFU & BLW (2016): Umweltziele Landwirtschaft UZL.]<br />
<br />
=Gefährdung und Gefährdungsursachen=<br />
43% der unter dem Begriff „Grünland“ zusammengefassten Lebensraumtypen gelten als gefährdet. Die wertvollsten Flächen der Trockenwiesen und -weiden sind in einem Inventar (TWW) bezeichnet - seit 1900 sind rund 95% der TWW in der Schweiz verschwunden.<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = Gefaehrdungskat Grünland de.png<br />
| text = Einstufung der 30 Lebensraumtypen des Grünlandes gemäss Roter Liste.<br />
}}<br />
<br />
Gefährdungsursachen und wichtige Treiber sind (Delarze et al. 2015, Bosshard 2016, Becker et al. 2014):<br />
* Der Verlust an Grünland-Lebensräumen durch Nutzungsaufgabe in Grenzertragslagen und nachfolgender Sukzession, durch Umwandlung von Grünland in Ackerland oder Kunstwiesen und durch den Siedlungs- und Strassenbau. Als Folge der Lebensraumverluste sind verbleibende Habitate oft zu klein und/oder von Isolation bedroht. Bis Fragmentierung und Randeffekte zum Verlust von Arten führen, kann es Jahrzehnte dauern; man spricht deshalb auch von der sogenannten Aussterbeschuld. Im Sömmerungsgebiet verschwinden mittel-wertvolle Flächen. Das aktuelle Instrument der BFF gibt im Sömmerungsgebiet keine Kriterien zur Bewirtschaftung vor. Es gibt Hinweise, dass die Kartierung der TWW nicht vollständig ist. Es besteht die Gefahr, dass wertvolle Flächen durch Intensivierung, falsche Nutzung oder Nutzungsaufgabe verloren gehen.<br />
* Intensivierung, moderne oder ungeeignete Bewirtschaftung sowie Nährstoffeinträge: Der Strukturwandel in der Landwirtschaft und die damit verbundene Intensivierung hat vielfache Auswirkungen auch auf das Grünland. Düngung und Zufütterung in der Viehhaltung haben vervielfachte Nährstoffeinträge und die Eutrophierung des Bodens zur Folge. Durch das Düngen werden viele Grünlandarten, insbesondere Kräuter, verdrängt und die Artenvielfalt nimmt in der Folge ab, weil wenige Arten dank dieser zugeführten Nährstoffe schnell wachsen, rasch Biomasse aufbauen und den Boden für den Aufwuchs anderer Pflanzen beschatten (Gerowitt et al. 2013). Die Intensivierung umfasst ausserdem die frühere Nutzung der Bestände zur Erzielung hoher Futterqualität (für die Hochleistungs-Milchkühe) und eine generell erhöhte Schlagkraft (mit schweren Maschinen), häufigere Nutzungen, den Einsatz von Pestiziden, Flurbereinigungen und Strukturverlust sowie kulturtechnische Massnahmen zur Entwässerung, Kalkung oder Bewässerung der Flächen. Des Weiteren werden Flächen eingeebnet bzw. unter Einsatz von bspw. Forstmulchern intensiviert. Vorgegebene Schnittzeitpunkte bewirken eine Monotonisierung der Landschaft sowie ein zeitgleiches Wegfallen von Nahrungsquellen. All diese Faktoren sowie die Aufgabe bestimmter Nutzungsformen führen zu einer Vereinheitlichung der Lebensräume. <br />
* Der Klimawandel stellt für den Wandel der Biodiversität und Ökosysteme einen bedeutenden Faktor dar (Guntern 2016b): insbesondere spielen der Temperaturanstieg sowie Veränderungen im hydrologischen Regime eine Rolle. Höhere Temperaturen und zunehmende Niederschlagsmengen führen bei gleichmässiger Bodendurchfeuchtung zu einer zunehmend schnelleren Wuchsleistung des Grünlands. Aus dem Biodiversitätsmonitoring ergeben sich Hinweise, dass im Mittelland bestimmte Lebensräume einerseits wärmer, andererseits auch trockener werden (BDM-Facts Nr. 4, BAFU 2012).<br />
* Auch invasive, gebietsfremde Arten können auf die heimische Biodiversität nachteilig wirken. V.a. folgende Arten bereiten bisher grossflächig Probleme im extensiv genutzten Wiesland: das Einjährige Berufkraut (''Erigeron annuus''), die beiden Goldrutenarten (''Solidago canadensis'' und ''S. serotina'', v.a. im unternutzten oder spät gemähten, feuchten bis wechselfeuchten Wiesland) sowie das Schmalblättrige Kreuzkraut (''Senecio inaequidens''). Weitere Neophyten mit invasivem Ausbreitungspotenzial werden auf der Neophyten-Watch-List geführt. Die (bemerkenswerte) Resistenz gegenüber neu eingebrachten Arten scheint ein Charakteristikum des mitteleuropäischen Wieslands zu sein (Bosshard 2016).<br />
* Je nach Lebensraumtyp und Lage des Grünlandes stellen auch Freizeitaktivitäten bzw. Erholungsnutzung Gefährdungsfaktoren dar. In Deutschland sind insbesondere auch der Anbau von Energiepflanzen (Biogasproduktion, Raps für Kraftstoffproduktion) sowie die Agrophotovoltaik mögliche Gefährdungstreiber.<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = rationelle Mahd as 96 dpi.jpg<br />
| text = Rationelle Erntemaschinen töten und verletzten viele Tiere.<br />
}}<br />
<br />
Nachfolgend werden einige ausgewählte Gefährdungsfaktoren näher beleuchtet.<br />
<br />
'''Unternutzung und Nutzungsaufgabe''': <br/><br />
Eine extensive Bewirtschaftung wird in Gebieten mit ungünstigen Produktionsbedingungen (Hangneigung, Bodenstruktur) immer weniger rentabel. In den letzten dreissig Jahren bewegten sich die Veränderungen in der Nutzungsform im Alpenraum stets in Richtung eines geringeren Bewirtschaftungsaufwands: von der Schnitt- zur Weidenutzung und von der Beweidung zur Verbrachung (Leitgruppe NFP 48 2007). Eine Unternutzung oder eine gänzliche Aufgabe der Bewirtschaftung führen kurzfristig zu Verbrachungserscheinungen, mittelfristig zu Verbuschung und Einwaldung. Wenn die Biomasse nicht weggeführt wird, tritt im Laufe der Jahre zunehmend Lichtmangel v.a. für die dichte, bodennahe Schicht in Form von sogenanntem Streuefilz auf. Gerade seltene und gefährdete Arten verschwinden oft zuerst und werden durch Generalisten ersetzt, bevor die Bewaldung einsetzt (Bosshard 2016). Im günstigsten Fall kann bereits nach 20 Jahren auf einer früheren Magerwiese oder -weide ein Wald stehen. In sehr magerem Wiesland führt die Nutzungsaufgabe und Verbrachung jedoch nicht zu einem Artenverlust, da die Wüchsigkeit für das Ausbilden eines Streuefilzes nicht ausreicht oder dieser rasch wieder abgebaut wird (bspw. durch Wind). Die natürliche Wiederbewaldung in Grenzertragslagen wird als Ausdruck eines grundlegenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels interpretiert, bei dem der Rückgang der Armut und die Zunahme des Wohlstands eine grosse Rolle spielen (Leitgruppe NFP 48 2007). Durch die abnehmende Verfügbarkeit von Arbeitskräften sind auch pflegerische Arbeiten der Bewirtschaftung gefährdet: damit eine möglichst langfristige Produktivität des Kulturbiotops sichergestellt werden kann, sind Pflegearbeiten wie Frühjahrssäuberung, exaktes Mähen, Abrechen des Schnittguts usw. notwendig, damit die «Saatbett-Bereitung» bzw. das Vorhandensein von Keimstellen gesichert ist.<br />
<br />
'''Steinfräsen''': <br/><br />
Steinfräsen zerkleinern Steine und Felsen, zermalmen und brechen den Boden auf, beseitigen Kleinstrukturen und Unebenheiten im Gelände. Diese irreparable Zerstörung der natürlichen Vegetation und der Kleinstrukturvielfalt ist u.a. für den Verlust von Baumpieper und Feldlerche im jurassischen Brutgebiet mitverantwortlich. Im Jura werden seit den 1990er-Jahren Steinfräsen teilweise grossflächig eingesetzt, um die wertvollen Kleinstrukturen zu eliminieren und ganze Flächen zu planieren. Die Gesetzeslage ist kantonal unterschiedlich (SO, JU, VD nicht erlaubt, NE & BE teilweise erlaubt) und trotz Verbot sind unbewilligte Fälle bekannt (Apolloni et al. 2017). Steinfräsen werden auch in höheren Lagen der Alpen regelmässig eingesetzt. Sie stellen eine so grosse Gefahr für die Biodiversität dar, dass sie verboten gehören.<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* Delarze et al. (2016): [https://www.infoflora.ch/de/lebensraeume/rote-liste.html Rote Liste der Lebensräume der Schweiz]<br />
* Trockenwiesen und -weiden der Schweiz (TWW) [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/fachinformationen/oekologische-infrastruktur/biotope-von-nationaler-bedeutung/trockenwiesen-und--weiden.html Inventar, Vollzugshilfe und Merkblätter, Fallstudien]<br />
* [https://www.wsl.ch/de/biotopschutz-schweiz.html Wirkungskontrolle Biotopschutz Schweiz]<br />
<br />
=Rechtsgrundlagen =<br />
* [https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19983407/index.html Landwirtschaftsgesetz (LwG)]<br />
* [https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19983381/index.html Landwirtschaftliche Begriffsverordnung (LBV)]<br />
* [https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20130216/index.html Direktzahlungsverordnung (DZV)]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/oekologischer-leistungsnachweis.html Ökologischer Leistungsnachweis (ÖLN) gemäss DZV, Übersicht zu den einzelnen Artikeln]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/biodiversitaetsbeitraege.html Übersicht über die Biodiversitätsbeiträge pro BFF-Typ und Qualitätsstufe]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/biodiversitaetsbeitraege/qualitaetsbeitrag.html Weitere Ausführungen zu den BFF-Qualitätsbeiträgen (QI und QII)]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/biodiversitaetsbeitraege/vernetzungsbeitrag.html Weitere Ausführungen zu den Vernetzungsbeiträgen]<br />
* Die rechtliche Grundlage für den nationalen Schutz der Trockenwiesen und -weiden bildet das [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/fachinformationen/massnahmen-zur-erhaltung-und-foerderung-der-biodiversitaet/oekologische-infrastruktur/biotope-von-nationaler-bedeutung/trockenwiesen-und--weiden.html Inventar über die Trockenwiesen und -weiden mit den entsprechenden Verordnungen und Vollzugshilfen].<br />
<br />
=Praxisrelevante Wissenslücken =<br />
Nachfolgend sind wichtige Themen aufgeführt, zu welchen (teilweise) Wissenslücken bestehen:<br />
* Vorkommen und Verbreitung ökologisch wertvoller Grünlandflächen im Sömmerungsgebiet, flächendeckende Inventarisierung<br />
* Wissenschaftliche Grundlagen zum Düngungsbedarf von Fromental- und Goldhaferwiesen im Hinblick auf die botanische Vielfalt fehlen, Praxisversuche sind wünschenswert.<br />
* Es gibt kaum systematische Erfahrungen zum Etzen in Zusammenhang mit der Biodiversitätsförderung im artenreichen Wiesland, übergeordnete Erfolgskontrollen sind erwünscht.<br />
* Phänologisch basierte Schnittzeitpunkte<br />
* Einfluss von Heubläser-Einsätzen auf die Biodiversität, insbesondere die Fauna (Richner et al. 2014 beleuchten den Einfluss auf die Vegetation)<br />
* Auswirkungen der Bewirtschaftung auf die Fauna über alle Mäh- und Nachbereitungsgeräte hinweg unter vergleichbaren Bedingungen untersuchen. Verhalten der Populationen auf mehrschürigen Wiesen im Jahresverlauf.<br />
* Angaben zu Ausmass und Verbreitung von Bodenverdichtungen<br />
<br />
=Literatur=<br />
Die Publikationen zum Grünland sind äusserst umfangreich. Wir stellen Ihnen die gesamte [[Media:Dokumentation Grünland Literatur.pdf|Liste an verwendeter Literatur]] zur Verfügung.<br />
<br />
= Weitere Kapitel zum Grünland=<br />
* [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland Einleitung und Zusammenfassung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie Praxisrelevante Ökologie]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung Erhalt und Aufwertung durch optimierte Bewirtschaftung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat Aufwertung und Neuschaffung durch Direktbegrünung und Ansaat]<br />
<!--* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisbeispiele Praxisbeispiele]--><br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || [https://www.faunatur.ch/portr%C3%A4t/ Karin Loeffel]|| [https://www.faunatur.ch/ faunatur]<br />
|-<br />
| Review|| Andreas Bosshard || [http://www.agraroekologie.ch/ueber-uns/team/ Ö+L GmbH] <br />
|-<br />
| || Jean-Yves Humbert || [https://www.cb.iee.unibe.ch/about_us/pd_dr_humbert_jean_yves/index_eng.html Universität Bern, Conservation Biology]<br />
|-<br />
| || Heiri Schiess || <br />
|-<br />
| || André Stapfer || <br />
|-<br />
| || Markus Staub || [https://www.poel.ch/ Projekte Ökologie Landwirtschaft] <br />
|-<br />
| || Gaby Volkart || [http://www.ateliernature.ch/atena/francais.php atena]<br />
|-<br />
|}<br />
<br /></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Gr%C3%BCnland/Grundlagen&diff=4720
Grünland/Grundlagen
2023-03-12T14:04:57Z
<p>VB2: </p>
<hr />
<div>[[fr:Milieux prairiaux/Informations de base]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Fromentalwiese ABosshard zg 96 dpi.JPG<br />
| text = Die Fromentalwiesen sind innerhalb weniger Jahrzehnte weitestgehend verschwunden.<br />
}}<br />
<br />
=Sukzession und Bedeutung des Grünlands=<br />
Mit wenigen Ausnahmen ist Grünland keine natürliche Vegetation - bleibt eine Nutzung aus, folgt der Verlauf der meisten Grünland-Lebensraumtypen der natürlichen Sukzession. Maag et al. (2001) zeigen die verschiedenen Sukzessionsverläufe für unterschiedliche Standorte. Dabei hat jede Stufe der Sukzession beispielsweise eines Trockenrasens bis hin zum Wald ihren ökologischen Wert; die Artenvielfalt kann durch ein Nebeneinander verschiedener Sukzessionsstadien erhöht werden (Diacon et al. 2011). Die unterschiedlichen Stadien der Verbrachung und Verbuschung weisen willkommene Rückzugsgebiete und Nahrungsreservoirs für Reptilien, Spinnen und viele Insekten dar. Insbesondere jüngere Brachen können floristisch und faunistisch äusserst wertvoll sein; langfristig ist dagegen die Artenvielfalt in Dauerbrachen gefährdet (Dipner & Volkart 2010). <br />
<!-- Abbildung weglassen, weil nicht in guter Qualität zur Verfügung; Alternative: Foto einwachsender Wiese. In der folgenden Abbildung sind die Phasen der Verbuschung nicht mehr bewirtschafteter Halbtrockenrasen dargestellt (Quelle: Briemle et al. 1993):--><br />
<br />
Die Bedeutung des Grünlandes ist vielfältig und eine grosse Bandbreite von allgemeinen, nicht nur an das Grünland gebundene Ökosystemleistungen sind auch mit diesen Lebensräumen verbunden, wie produktive Erzeugnisse, genetische Ressourcen von Futterpflanzen, Bestäubungsleistungen, Erosionsvermeidung, kulturelle Leistungen, Speicherung von Kohlenstoff (Guntern et al. 2013). Ebenfalls relevant sind die mit dem Grünland verbundenen ästhetisch-landschaftlichen Aspekte bspw. im Hinblick auf die touristische Nutzung oder die Erholungsfunktion. Aus landwirtschaftlicher Sicht ist die Bedeutung des Grünlandes als Stätte der Futterproduktion zentral. Entsprechend sind Wiesen und Weiden für die landwirtschaftliche Nutzung im Laufe der vergangenen Jahrzehnte „optimiert“ worden. Beispielsweise stellen die Hochleistungsrassen in der Milchwirtschaft hohe Ansprüche an den Futterwert des Grünlandes: im jüngeren Aufwuchs ist der Rohfasergehalt niedriger und die Anteile an Rohprotein und Mineralstoffen höher. Entsprechend sind der Energiegehalt und die Verdaulichkeit des Futters besser. Damit sind die Anforderungen der Hochleistungsmilchwirtschaft mit dem Erhalt des artenreichen Grünlands nicht vereinbar (Gerowitt et al. 2011); landwirtschaftlich intensiv genutzte Wiesen haben kaum einen ökologischen Wert verglichen mit artenreichem Grünland.<br />
<br />
=Typologie des Grünlands=<br />
Je nachdem, worauf der Fokus liegt, kann das Grünland in Unterkategorien aufgeteilt werden; man kann vegetationskundliche, ökologische oder auch futterbauliche Kriterien anwenden.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Haber de zg.png<br />
| text = Haber (2014) gliedert das Grünland i.w.S. wie oben dargestellt (Abbildung leicht verändert).<br />
}}<br />
<br />
Dietl & Grünig (in Oppermann & Gujer 2003, S. 60) gliedern die artenreichen (Mäh-)Wiesen der Schweiz nach Wasser- und Nährstoffhaushalt in 19 Wiesentypen auf. Ihre tabellarische Übersicht zeigt für die jeweiligen Wiesentypen kennzeichnende Artengruppen und -kombinationen. Für den gedüngten Bereich wurde die obengenannte Systematik weiterentwickelt und [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie#Lebensr.C3.A4ume_des_Gr.C3.BCnlands Bosshard (2016) unterscheidet in der Folge für das gedüngte Wiesland neun Typen].<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = bosshard Genese de.png<br />
| text = Genese und Höhenverbreitung der gedüngten Wiesentypen. <br/> Quelle: Bosshard, A., 2016. Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas. Mit besonderer Berücksichtigung der Fromentalwiesen und des standortgemässen Futterbaus, Bristol-Schriftenreihe Band 50. Haupt Verlag, Bern. © Andreas Bosshard<br />
}}<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* Vereinfachter dichotomer Bestimmungsschlüssel zur Identifikation von Fromental- und Goldhaferwiesen in Bosshard (2016, S. 188).<br />
* [http://www.agraroekologie.ch/SchluesselGeduengteNaturwiesen.xls Bestimmungsschlüssel für die Wiesentypen des gedüngten Naturwieslands der Schweiz]<br />
* [https://ira.agroscope.ch/de-CH/publication/46127 Bestimmungsschlüssel für Lebensräume der offenen Kulturlandschaft] (Buholzer et al. 2015)<br />
* Die [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/kartierung-und-bewertung-trockenwiesen.html Kartier- und Bewertungsmethode zur Erarbeitung des Inventars der Trockenwiesen und -weiden] ist im Technischen Bericht ausgeführt (Eggenberg et al. 2001)<br />
* [https://www.infoflora.ch/de/lebensraeume/typoch/4-grnland-naturrasen-wiesen-und-weiden.html Klassifikation der Grünlandlebensräume nach Delarze et al. (2015)]<br />
<br />
=Zustand und Entwicklung des Grünlands in der Schweiz=<br />
==Entstehung von Grünland==<br />
Grünland ist in Mitteleuropa vor 8000 Jahren durch Waldrodung zur Ackernutzung entstanden. Die anschliessend nicht mehr für den Ackerbau genutzten Flächen begrünten sich und wurden als Viehweiden genutzt. Wo Wiesland in prähistorischer Zeit vorkam, ist weitgehend ungewiss und wird in Bosshard (2016) kurz ausgeführt.<br />
<br />
Kapfer (2010a, 2010b) und Bosshard (2016) beleuchten die Entstehungsgeschichte und die historische Wies- und Weidelandnutzung und stellen sie in Vergleich mit heutigen Nutzungsformen: Während vieler hundert Jahre war das Wiesland in das Produktionssystem der auf Getreidebau ausgerichteten Dreizelgenwirtschaft ausgerichtet. Der Heu- und Emdschnitt führte zusammen mit den geringen Mistgaben (rund um den Hof herum) und der historisch üblichen Frühjahrsvorweide (Etzen) zu einer langfristigen Ausmagerung der Böden mit entsprechenden Folgen für die Vegetation. Reine Mähwiesen haben sich grossflächig erst im 19. Jahrhundert entwickelt, vorher waren alle Wiesen auch beweidet (Frühjahrs- oder Herbstweide). Nach dem Etzen erfolgte der Heuschnitt später und die Wiesenpflanzen konnten ihre individuelle Entwicklung bis zur Samenreife und dem Ausstreuen der Samen vollständig abschliessen. Die heutige erste Hauptnutzung auf den Mager- und Fromentalwiesen beim Heuschnitt entsprach historisch der zweiten Nutzung. Früher orientierte man sich für den Beginn und das Ende bestimmter Bewirtschaftungsgänge an Heiligen-Tagen. Diese Orientierungszeitpunkte wurden jedoch je nach Jahresverlauf bspw. für den Mahdbeginn auch flexibel gehandhabt. Die Ernte einzelner Flächen erstreckte sich über mehrere Wochen hinweg. Das Heu der Schnittwiesen wurde auf der Fläche getrocknet, wodurch eine erfolgreiche generative Vermehrung gefördert wurde (Poschlod 2011). Im Laufe der Zeit führten neue Ernteverfahren, Bewässerungsmassnahmen und neu auch die phänologischen Veränderungen aufgrund des Klimawandels zu einem früheren ersten Schnitt von Wiesen (Guntern et al. 2013).<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Bewirtschaftungsschemata Kapfer zg 96 dpi.jpg<br />
| text = Bewirtschaftungsschema der drei wichtigsten Wiesentypen der alten Dreizelgenwirtschaft. Quelle: Kapfer, A. (2010): Beitrag zur Geschichte des Grünlands Mitteleuropas im Hinblick auf den Arten- und Biotopschutz. Darstellung im Kontext der landwirtschaftlichen Bodennutzungssysteme. In: Naturschutz und Landschaftsplanung 42 (5), S. 133–140.<br />
}}<br />
<br />
<br /><br />
<table border="0", style="font-size:108%"> <br />
<tr> <br />
<td> '''Die ökologischen Auswirkungen und die Anwendung des Etzens (Frühjahrsvorweide) (Quelle: Bosshard 2015b)''' <br /> Etzen war bis ins 18./19. Jh. die übliche erste Nutzung von Mähwiesen. Heute wird die Vorweide dagegen vor allem im Berggebiet in den intensiver genutzten Wiesentypen noch regelmässig praktiziert. Etzen bewirkt langfristig einen Nährstoffentzug, die Wüchsigkeit einer Wiese wird vermindert und dadurch, dass kurzfristig Licht in den Bestand eingebracht wird, werden empfindlichere Pflanzen artenreicher Wiesen gefördert. Die längere bewirtschaftungsfreie Phase zwischen der Frühjahrsweide und dem nächsten Nutzungszeitpunkt durch Mahd führt zu einem deutlich schmackhafteren, gehaltvolleren (da eiweissreicheren) Heuaufwuchs, so dass Etzen auch aus futterbaulicher und wirtschaftlicher Sicht von Interesse sein dürfte. <br />
Das kurze, schonende Überweiden einer Wiese im Frühjahr führt zu einem strukturierteren Pflanzenbestand, einem längerdauernden Blütenangebot und einem späteren Heuschnitt und gewisse Tierarten (Tagfalter, Heuschrecken und wiesenbrütende Vogelarten) können davon profitieren (SHL 2008). Aus praktischen Gründen (logistischer Aufwand) kommt das Etzen nur für eine Minderheit von Grünlandflächen überhaupt in Frage und ist für BFF-Flächen bspw. im Rahmen von Vernetzungsprojekten realisierbar, sofern die kantonalen Vernetzungsrichtlinien dies vorsehen und begründen.</td> <br />
</tr> <br />
</table><br />
<br /><br />
<br />
Unter diesem historischen Blickwinkel ist die Entstehung der Artenvielfalt in Wiesen zu betrachten (Poschlod 2011): Die Artenzusammensetzung der Flachlandmähwiesen, wie sie sich in der heutigen Form präsentiert, ist wahrscheinlich erst etwa 300 Jahre alt; der namengebende Glatthafer (''Arrhenatherum elatius'') wurde erst Anfang des 18. Jahrhunderts eingeführt (d.h. ein durch Auswahl-Zucht verbesserter Ökotyp aus Südfrankreich). Möglicherweise ist die namengebende Art der Berg-Mähwiesen, der Goldhafer (''Trisetum flavescens'') ebenfalls erst zu dieser Zeit eingeführt worden. Fast alle Pflanzenarten des Wieslandes scheinen aus der autochthonen Flora zu stammen (bspw. aus lichten Stellen von Wäldern, aus Schotterflächen der Auen, aus den Randregionen der Hochmoore etc.). Verschiedene Futterpflanzen des Wieslandes sind (gezielt oder unabsichtlich) eingeführt worden und schon früh begann der Mensch, mit gezielten Einsaaten den Ertrag zu steigern.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Bewirtschaftungstypen Kapfer zg 1280 768.png<br />
| text = Übersicht zur Genese der Bewirtschaftungstypen des Grünlands Mitteleuropas. Quelle: Kapfer, A. (2010): Beitrag zur Geschichte des Grünlands Mitteleuropas im Hinblick auf den Arten- und Biotopschutz. Darstellung im Kontext der landwirtschaftlichen Bodennutzungssysteme. In: Naturschutz und Landschaftsplanung 42 (5), S. 133–140.<br />
}}<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* Zusammenfassende Betrachtungen und nähere Ausführungen zur Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des Grünlands liefern [http://www.dr-kapfer.de/index.php/download.html Kapfer (2010a, 2010b)], [https://pudi.lubw.de/detailseite/-/publication/90005 Poschlod (2011)] und Bosshard (2016).<br />
* Auch das [http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D13861.php Historische Lexikon der Schweiz] bietet zu verschiedenen Themen (Düngung, Futtermittel, Bewässerung, Wiesen, Weiden) informative Artikel.<br />
<br />
==Quantitativer und qualitativer Zustand und deren Veränderung==<br />
Das Grünland hat sich mit den technischen Möglichkeiten in der Landwirtschaft (Mechanisierung, Düngereinsatz) und den Flurbereinigungen der letzten Jahrzehnte stark verändert worden und verändert sich immer noch.<br />
<br />
Die [[Media:Tabelle Grünland Auszug Flächenbedarf.pdf|Tabelle]] gibt einen Überblick über die Ausdehnung und quantitative Veränderung der Schweizer Grünlandlebensräume. Quelle: «Guntern et al. (2013): Flächenbedarf für die Erhaltung der Biodiversität und der Ökosystemleistungen in der Schweiz», S. 96. Weitere Grünflächen befinden sich im Siedlungsgebiet.<br/><br />
<small>LN = Landwirtschaftliche Nutzfläche, SöG = Sömmerungsgebiet, BFF = Biodiversitätsförderfläche</small> <br />
{| class="wikitable" <br />
|-<br />
! style="width: 25%"| Lebensraum<br />
! style="width: 10%"| Zeit<br />
!colspan="2"|Ausdehnung [ha]<br />
! style="width: 25%"| Bemerkung, Quelle<br />
|- style="vertical-align:top;"<br />
| Wiesen und Weiden auf der LN (ohne SöG, Kunstwiesen) davon:<br/>- Extensiv genutzte BFF-Wiesen <br/>- Wenig intensiv genutzte BFF-Wiesen<br />
| 2011<br />
|colspan="2"|610’732 <br/><br/><br/>66‘056 <br/>22‘919<br />
| (BLW 2012) <br/>Wobei mit Qualität gemäss ÖQV: <br/>- Weiden, Waldweiden: 5'384 ha <br/>- Wiesen (inkl. Streuflächen): 28'864 ha<br />
|-<br />
| Sömmerungsgebiet <sup>1</sup> (SöG)<br />
| 2011<br />
|colspan="2"|505'385 (12% der CH)<br />
| Gemäss (Walter et al. 2013)<br />
|-<br />
|rowspan="2"|Trockenwiesen und –weiden (TWW)<br />
| 1900<br />
|colspan="2"|760‘000 (bis 900‘000)<br />
| (Eggenberg et al. 2001; Lachat et al. 2010b), Flächenverlust von 90-99% von TWW in den Regionen und 95% in der Schweiz. <sup>2</sup><br />
|-<br />
| 2010<br />
|colspan="2"|37‘011<br />
| <br />
|- style="vertical-align:top;"<br />
| Potenziell wertvolles Grasland auf der LN oder im SöG (ohne TWW, Moore Modell basierend auf der Steigung und der Höhe über Meer an den Fundorten von UZL-Ziel- und Leitarten.<br />
| 2012 <br/>Total: <br/>TZ: <br/>HZ: <br/>BZI: <br/>BZII: <br/>BZII: <br/>BZIV: <br/>SöG:<br />
| style="width: 20%"| [ha] <br/>231’688 <br/>3797 <br/>354 <br/>2'023 <br/>6943 <br/>9223 <br/>10'984 <br/>198'364<br />
| style="width: 20%"| [%] <br/> <br/>0.78 <br/>0.25 <br/>1.71 <br/>4.52 <br/>11.06 <br/>22.72 <br/>39.25<br />
| (Walter et al. 2013) <br/> <br/>TZ = Talzone <br/>HZ = Hügelzone <br/>BZ = Bergzone <br/> <br/>Grünland macht nahezu 100% des SöG sowie der LN in den BZIV und BZIII aus.<br />
|-<br />
|rowspan="2"|Fromentalwiesen auf der LN<br />
| 1950<br />
|colspan="2"|Abgesehen von TWW, Dauerweiden, Streuwiesen, Äckern nahezu alles<br />
| (Bosshard & Stähli 2012): genauere Angaben in Erarbeitung für Schlussbericht der laufenden Studie.<br />
|-<br />
| 2011<br />
|colspan="2"|3-8%<br />
| (Bosshard & Stähli 2012), wobei davon ca. 20% mit der Artenzusammensetzung von intensiv genutzten Fromentalwiesen der 1950er Jahre und max. 5% mit guter Qualität (pers. Mitteilung A. Bosshard) <br/>-> Rückgang von vermutlich > 90% und nahezu 100% für artenreiche Bestände (Bosshard 1998)<br />
|}<br />
<small><br />
<sup>1</sup> Gemäss Arealstatistik nahm die Alpwirtschaftliche Nutzfläche von 1979/85 bis 1992/97 von 555'662 um 3.2 % auf 537'802 ha ab. Ein weiterer Rückgang wurde bis 2004/09 festgestellt.<br />
</small> <br/><br />
<small><br />
<sup>2</sup> Schätzungsweise weitere Abnahme von 25-30% zw. 1995-2005 (Leibundgut 2007 zitiert in Graf & Korner 2011). Grössenordnungen in diesem Bereich sind im Wallis und Engadin durch Fallstudien bestätigt.<br />
</small><br />
<br />
<br/><br />
Ein Vergleich mit der Grünland-Situation in Deutschland zeigt: Ein mit der Schweiz (Tieflagen) vergleichbarer Anteil von rund 13% der Gesamtfläche (CH 14.7%) wird als landwirtschaftliches Grünland genutzt, der Grossteil davon ebenfalls intensiv (Boch et al. 2016).<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = Nutzung LN BFS 2018 96 dpi.png<br />
| text = Wie sich die landwirtschaftliche Nutzfläche der Schweiz auf die verschiedenen Nutzungstypen aufteilt. Quelle: BFS 2018, Die Schweiz in 21 Infografiken.<br />
}}<br />
<br />
Im Zeitraum von 1990 bis 2009 hat sich die Grünlandfläche in Deutschland um 875‘000 ha verringert. Zwischen 2003 und 2012 betrug der absolute Verlust des Dauergrünlands ca. 5%. In der Schweiz machen Landwirtschafts- und Alpwirtschaftsflächen zusammen mehr als einen Drittel der Gesamtfläche aus; zwischen 1985 und 2009 sind 85‘000 ha davon verlorengegangen, was der Grösse des Kantons Jura entspricht (BFS 2018). Die Fromentalwiesen, bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts der häufigste und zugleich produktivste Wiesentyp auf den guten Böden der tieferen Lagen Mitteleuropas, sind innerhalb weniger Jahrzehnte weitestgehend verschwunden. Damit einher ging eine qualitative Verschlechterung: ein Vergleich zwischen 1950 und 2009 zeigt, dass die damalig «intensiv» genutzten Wiesen in der Regel QII-Qualität hatten, heute hingegen in den noch vorhandenen Fromental-Vergleichswiesen nur noch ein Drittel diese Qualitätsanforderung erreicht («Fromentalwiesenprojekt», Bosshard 2016). Unter den besonders wertvollen Lebensräumen ging die Fläche der Trockenwiesen und -weiden zwischen 1900 und 2010 um 95% zurück.<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = TWW Zuerich Umweltbericht zg.png<br />
| text = Abnahme artenreicher Wiesen im Kanton Zürich. Quelle: Baudirektion Kanton Zürich (2008), Umweltbericht 2008.<br />
}}<br />
<br />
Im Schweizer Berggebiet nahm die Entwicklung des Futterbaus und der Wiesen und Weiden einen anderen Weg als im Mittelland: Erschwernislagen (steile oder schlecht erschlossene, meist mit vielen Kleinstrukturen durchsetzte Flächen) wurden zunehmend in Weiden umgenutzt oder ganz aus der Nutzung entlassen und ein Grossteil davon ist in der Folge verbuscht und verwaldet. Insgesamt hat die Waldfläche in den vergangenen 150 Jahren auf Kosten von Wiesen- und Weideflächen je nach Region um 30-100% zugenommen. Heute liegt der überwiegende Teil des artenreichen Wieslandes der Schweiz in solchen Erschwernislagen ab Bergzone I; besonders hoch ist dieser Anteil im Sömmerungsgebiet. Allerdings nehmen diese Flächen sowohl durch Nutzungsaufgabe als auch durch Intensivierung laufend ab (Bosshard 2016).<br />
<br />
Der Anteil BFF mit Qualitätsstufe II steigt stetig an; das Ziel eines 40%-Anteils wurde 2017 erstmals erreicht. Der Anteil im Talgebiet ist mit 28% jedoch immer noch tief (BLW 2018). Seit 2014 werden ebenfalls Beiträge für artenreiche Grün- und Streueflächen im Sömmerungsgebiet ausgerichtet; der Anteil dieser Flächen mit Qualitätsstufe II betrug 2017 217‘496 ha.<br />
<br />
{| class="wikitable" <br />
|- <br />
|colspan="5"| '''Übersicht über die Flächenanteile BFF mit QII-Qualität (in Hektaren) (Quelle: Agrarbericht BLW 2019)'''<br />
|-<br />
! BFF QII-Typ<br />
! style="text-align:right;" | Talregion<br />
! style="text-align:right;" | Hügelregion<br />
! style="text-align:right;" | Bergregion<br />
! style="text-align:right;" | Total<br />
|-<br />
| Extensiv genutzte Wiesen<br />
| style="text-align:right;" | 11495<br />
| style="text-align:right;" | 7395<br />
| style="text-align:right;" | 17411<br />
| style="text-align:right;" | 36301<br />
|-<br />
| Wenig intensiv genutzte Wiesen<br />
| style="text-align:right;" | 130<br />
| style="text-align:right;" | 411<br />
| style="text-align:right;" | 3220<br />
| style="text-align:right;" | 3761<br />
|-<br />
| extensiv genutzte Weiden und Waldweiden<br />
| style="text-align:right;" | 1468<br />
| style="text-align:right;" | 2830<br />
| style="text-align:right;" | 14759<br />
| style="text-align:right;" | 19057<br />
|-<br />
| artenreiche Grün- und Streuflächen im Sömmerungsgebiet<br />
| <br />
| <br />
| <br />
| style="text-align:right;" | 223509<br />
|}<br />
<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Entwicklung BFF Q2 2001 2016.png<br />
| text = Entwicklung (in Hektaren) der angemeldeten artenreichen Wiesen und Weiden (BFF mit Qualitätsstufe II) zwischen 2001 – 2016 (Quelle: Daten BLW).<br />
}}<br />
<br />
Die qualitativen Veränderungen in Wiesen und Weiden betreffen das allgemeine Nährstoffniveau, welches enorm gestiegen ist und das Verschwinden des früher verbreiteten Mosaiks von unterschiedlich genutzten Flächen (Schmid et al. 2007). Weitere qualitative Veränderungen der letzten Jahrzehnte beschreibt Bosshard (2016): Die Schlagkraft hat sich vervielfacht mit früherem Schnitt, viel höherer Nutzungsfrequenz und der zeitgleichen Nutzung viel grösserer Flächen. Die Erträge sind um ca. 60-80% gestiegen. Kleinstrukturen und Kulturlandschaftselemente sind verschwunden. Die schwereren Maschinen haben eine problematische Bodenverdichtung zur Folge und insbesondere für die Fauna destruktive Ernteverfahren (Rotationsmähwerke, Futteraufbereiter, Silagetechnik) nehmen zu. Heute wird vorwiegend Güllewirtschaft (rasch verfügbare Nährstoffe) statt der früher üblichen Festmistwirtschaft betrieben und durch den Wechsel von der Dürrfutterbereitung (Heu) zur Silage liegt der Nutzungszeitpunkt des ersten Aufwuchses heute früher im Jahr, es sind mehr Nutzungen pro Jahr möglich, die Ernte verläuft rascher und die Pflanzen können weniger absamen. Meliorationen, das Zusammenlegen von Parzellen und das Verschwinden von extensiven Parzellengrenzen bewirken ebenfalls grosse Veränderungen. Ein nächster Schritt steht mit der zukünftigen Automatisierung der Bewirtschaftung bevor. Anschaulich illustriert [https://www.pronatura.ch/de/wiesen-und-weiden Pro Natura anhand von Beispielen] die Entwicklung ehemals artenreicher Wiesen in artenarme Fettwiesen.<br />
<br />
Die ökologischen Auswirkungen der oben beschriebenen Veränderungen sind mannigfaltig: beispielsweise führt die Intensivierung der Graslandkultivierung und die früheren Schnittzeitpunkte zu einer Abnahme der Samenbank im Boden (Klimkowska et al. 2007). Die früheren Schnittzeitpunkte führen zur Überlappung mit der Brutsaison bodenbrütender Vögel; durch Mahd werden die Nester mechanisch zerstört oder sind für Prädatoren nach dem Schnitt leichter zugänglich oder die Futterverfügbarkeit wird während einer kritischen Phase der Nestlinge dezimiert (Britschgi et al. 2006). Einzelflächen wie auch die Gesamtfläche ökologisch wertvoller Wiesen und Weiden sind zu klein und zu stark fragmentiert. Kleine Grünlandflächen sind besonders empfindlich gegenüber negativer Randeffekte (z.B. Eindringen anderer Arten) und ökologischer Drift. Die durchschnittliche Grösse der TWW von nationaler Bedeutung beträgt heute 4.7 ha und im Sömmerungsgebiet 10.5 ha (Guntern et al. 2013): eine Wiederbesiedlung durch Tagfalter, Hummeln und Reptilien ist möglich, wenn die Flächen nicht weiter als 1-3 km voneinander entfernt sind. Charakteristische Heuschrecken und Laufkäfer dagegen überwinden selten Distanzen von über 100 m.<br />
<br />
'''Nährstoffversorgung im Grünland''' <br/><br />
Stickstoff ein elementarer Baustein aller Lebewesen; Pflanzen nehmen ihn über die Wurzeln in der Form von Ammonium oder Nitrat auf. Pflanzenverfügbarer Stickstoff ist natürlicherweise in den meisten Böden Mangelware – in den letzten Jahrzehnten gelangten jedoch riesige Mengen von Stickstoffverbindungen als Mineraldünger, Gülle oder aus Verbrennungsprozessen direkt oder indirekt über die Luft in die Böden. Der natürliche atmosphärische Eintrag von biologisch aktivem Stickstoff beträgt lediglich 0.5 – 2 kg/ha. Heute gelangt durchschnittlich 16 kg/ha Stickstoff über die Luft in den Boden, was in etwa der ausgebrachten Menge für mittel intensiv genutzten Wiesen entspricht. Peter (2011) weist darauf hin, dass bei drei der vier umweltrelevanten Stickstoffformen (Ammoniak, Nitrat und Lachgas) die Landwirtschaft gesamtschweizerisch gesehen die Haupt Emittentin ist. So müssten beim Ammoniak beispielsweise die Emissionen aus der Landwirtschaft annähernd halbiert werden, damit eine substanziell schädigende Wirkung in sensiblen Ökosystemen verhindert werden könnte. Für artenreiche Wiesen (kollin und montan) liegt der kritische Eintragswert bei 10-30 kg N pro Hektar und Jahr (Guntern 2016a). Entsprechend sind bspw. 49% der Trockenwiesen von den negativen Auswirkungen des atmosphärischen Stickstoffeintrags betroffen; die kritischen Eintragswerte (critical loads) werden in vielen Lebensräumen z.T. massiv überschritten (BAFU 2017). In Wiesen führt dies zu einer Bodenversauerung, zu einer starken Abnahme der Pflanzendiversität und zur Dominanz einiger weniger Grasarten und ist mitverantwortlich für die extreme Artenverarmung im Wiesland insbesondere in den Tieflagen (Bosshard 2016). Heutige Bestände sind im Vergleich zu früher wüchsiger und dichter.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Stickstoffbilanz 2015 BFS 2.png<br />
| text = Die Stickstoffbilanz in den Landwirtschaftsflächen (inkl. Alpweiden) zeigt langfristig betrachtet zwar einen rückläufigen Überschuss, dennoch resultierte 2015 ein Überschuss von 60 kg/ha (1990er-Jahre > 80 kg/ha). Quelle: Landwirtschaft und Ernährung, Taschenstatistik BFS 2018)<br />
}}<br />
<br />
Auch Phosphor ist einer der Hauptnährstoffe der Pflanzen und wird in der Landwirtschaft als Düngemittel eingesetzt. In den letzten zehn Jahren belief sich der Phosphorüberschuss auf rund 400 t/Jahr.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = phosphorbilanz 2018 de zg.png<br />
| text = Phosphorbilanz der Landwirtschaftsflächen. Phosphormengen, die in landwirtschaftliche Böden gelangen bzw. ihnen entzogen werden. Quelle: BFS – Umweltgesamtrechnung (2020)<br />
}}<br />
<br />
Im intensiv genutzten Grasland werden ausserdem steigende Zink- und Kupfereinträge beobachtet, welche aus dem Hofdünger (Gülle und Mist) bzw. aus den Futtermitteln stammen (Gubler et al. 2015). Aufgrund der hohen landwirtschaftlichen Nutzungsintensität kann auch im Grünland davon ausgegangen werden, dass vielerorts das Bodenleben dadurch beeinträchtigt wird.<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* BAFU (2017): [https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/biodiversitaet/uz-umwelt-zustand/biodiversitaet-schweiz-zustand-entwicklung.pdf.download.pdf/UZ-1630-D_2017-06-20.pdf Zustand und Entwicklung Biodiversität Schweiz]<br />
* Guntern et al. (2013): [http://www.ngzh.ch/media/pdf/Flaechenbedarf.pdf Flächenbedarf für die Erhaltung der Biodiversität und der Ökosystemleistungen in der Schweiz]<br />
* BAFU (2017): [https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/boden/uz-umwelt-zustand/boden-schweiz.pdf.download.pdf/UZ-1721-D_Boden2017.pdf Boden in der Schweiz. Zustand und Entwicklung. Stand 2017] <br />
* BFS (2018): [https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kataloge-datenbanken/publikationen/uebersichtsdarstellungen/taschenstatistik-schweiz.html Taschenstatistiken] <br />
* BLW: [https://www.agrarbericht.ch/de Agrarbericht]<br />
<br />
==Zustand und Entwicklung der Artengemeinschaften des Grünlands==<br />
Bei einer Vergleichsuntersuchung fanden Schlup et al. (2013) im extensiv bewirtschafteten Grünland (Kammgrasweide, Fromental- und Goldhaferwiese, Halbtrockenrasen) eine höhere Artenzahl an Gefässpflanzen als im durchschnittlichen Grünland der Schweiz. Ausserdem kamen im extensiven Grünland deutlich mehr Kenn- und Charakterarten sowie gefährdete Arten vor. Spezialisiertere Grünlandarten werden zunehmend von Generalisten verdrängt und es findet eine Trivialisierung statt.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = TWW Kennarten de zs.png<br />
| text = Die Tabelle zeigt, wie wichtig besonders wertvolle Lebensräume für den Erhalt von vielen Tiergruppen sind. Quelle: Hotspot 18, Forum Biodiversität Schweiz 2008)<br />
}}<br />
<br />
Demnach weist ein beträchtlicher Teil der Arten eine erhöhte Bindung zu Trockenwiesen und -weiden auf.<br />
Lebensraumverlust und -degradierung haben auf die Biodiversität im Grünland einen negativen Einfluss, wie die folgende Darstellung aus dem Biodiversitätsmonitoring Schweiz zeigt (BAFU):<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Indikatoren de zs.png<br />
| text = Vielfalt von Artengemeinschaften in Wiesen und Weiden - Index* von 0 (einheitlich) bis 100 (vielfältig), aller paarweisen Vergleiche der Stichprobenflächen, in Prozent. *Mittelwerte über einen Zeitraum von jeweils fünf Jahren. Quelle: BAFU: Biodiversitäts-Monitoring Schweiz BDM 2018<br />
}}<br />
<br />
Die Artenvielfalt ist seit Mitte der 2000er Jahre insgesamt zurückgegangen und deutet auf eine gesamtschweizerische Vereinheitlichung der Wiesen und Weiden hin, was einem Verlust der Biodiversität gleichkommt. Jedoch ist der Verlust der Artengemeinschaften in diesen Lebensräumen schon seit mindestens einigen Jahrzehnten im Gang: In den letzten 120 Jahren hat sich die durchschnittliche Pflanzenartenvielfalt auf 81 Wiesen fast halbiert (Schlup et al. 2013). Generell wird festgestellt, dass v.a. häufig vorkommende Arten zugenommen haben, welche keine besonderen Ansprüche an ihren Lebensraum stellen. Spezialisierte Grünlandarten werden zunehmend von Generalisten verdrängt, was zu einer Trivialisierung der Wiesen und Weiden führt.<br />
<br />
Auch die meisten Vogelarten, welche auf Äckern, Wiesen und Weiden brüten, sind aufgrund der hohen landwirtschaftlichen Nutzungsintensität im Rückgang begriffen: Der schweizerische Index der für das Kulturland typischen Brutvögel (46 UZL-Arten) hat seit 1990 um fast 30% abgenommen, der europäische Agrarvogelindex seit 1980 um über 50% (BLW 2017, Becker et al. 2014). Auch die Bergidylle ist zunehmend bedroht: ein Langzeitvergleich der Vogelwarte zeigt, dass im Engadin innerhalb von 22 Jahren der Anteil an wenig intensiv genutzten und artenreichen Wiesen von 32 auf 27% gesunken und die Brutbestände von Feldlerche, Baumpieper und Braunkehlchen um 44-61% gesunken sind (Korner et al. 2017). Den blütenbesuchenden Insekten wird durch den Rückgang des reichen Blüten- und Nektarangebots die Nahrungsgrundlage entzogen. Wesche et al. (2014) stellten bei Heuschrecken und Wanzen in Auen und Trockenwiesen innert 50 Jahren einen dramatischen Einbruch der Individuenzahlen (>60%) bei teils konstanten, teils zunehmenden Artenzahlen fest. Die botanische Zusammensetzung von Fromentalwiesen zeigt im Vergleich zu den 1950er Jahren eine durchschnittliche Abnahme der Artenzahl von rund 30% bei einer ebenfalls deutlichen Qualitätseinbusse (Bosshard 2015c).<br />
<br />
Im Rahmen des Monitoringprogramms ALL-EMA werden der Zustand und die Veränderung von Arten und Lebensräumen der Umweltziele Landwirtschaft in der offenen Agrarlandschaft Schweiz erfasst und die Biodiversitätsförderflächen beurteilt. Eine erste umfassende Auswertung zum Zustand der Biodiversität ist 2020 vorgesehen.<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* [https://www.agroscope.admin.ch/agroscope/de/home/themen/umwelt-ressourcen/monitoring-analytik/all-ema.html ALL-EMA]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/zustand/indikatoren.html Vielfalt von Artengemeinschaften in Wiesen und Weiden (BAFU)]<br />
* [https://www.biodiversitymonitoring.ch/index.php/de/ Biodiversitätsmonitoring Schweiz]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/biodiversitaet/uw-umwelt-wissen/umweltziele_landwirtschaftstatusbericht.pdf.download.pdf/umweltziele_landwirtschaftstatusbericht.pdf BAFU & BLW (2016): Umweltziele Landwirtschaft UZL.]<br />
<br />
=Gefährdung und Gefährdungsursachen=<br />
43% der unter dem Begriff „Grünland“ zusammengefassten Lebensraumtypen gelten als gefährdet. Die wertvollsten Flächen der Trockenwiesen und -weiden sind in einem Inventar (TWW) bezeichnet - seit 1900 sind rund 95% der TWW in der Schweiz verschwunden.<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = Gefaehrdungskat Grünland de.png<br />
| text = Einstufung der 30 Lebensraumtypen des Grünlandes gemäss Roter Liste.<br />
}}<br />
<br />
Gefährdungsursachen und wichtige Treiber sind (Delarze et al. 2015, Bosshard 2016, Becker et al. 2014):<br />
* Der Verlust an Grünland-Lebensräumen durch Nutzungsaufgabe in Grenzertragslagen und nachfolgender Sukzession, durch Umwandlung von Grünland in Ackerland oder Kunstwiesen und durch den Siedlungs- und Strassenbau. Als Folge der Lebensraumverluste sind verbleibende Habitate oft zu klein und/oder von Isolation bedroht. Bis Fragmentierung und Randeffekte zum Verlust von Arten führen, kann es Jahrzehnte dauern; man spricht deshalb auch von der sogenannten Aussterbeschuld. Im Sömmerungsgebiet verschwinden mittel-wertvolle Flächen. Das aktuelle Instrument der BFF gibt im Sömmerungsgebiet keine Kriterien zur Bewirtschaftung vor. Es gibt Hinweise, dass die Kartierung der TWW nicht vollständig ist. Es besteht die Gefahr, dass wertvolle Flächen durch Intensivierung, falsche Nutzung oder Nutzungsaufgabe verloren gehen.<br />
* Intensivierung, moderne oder ungeeignete Bewirtschaftung sowie Nährstoffeinträge: Der Strukturwandel in der Landwirtschaft und die damit verbundene Intensivierung hat vielfache Auswirkungen auch auf das Grünland. Düngung und Zufütterung in der Viehhaltung haben vervielfachte Nährstoffeinträge und die Eutrophierung des Bodens zur Folge. Durch das Düngen werden viele Grünlandarten, insbesondere Kräuter, verdrängt und die Artenvielfalt nimmt in der Folge ab, weil wenige Arten dank dieser zugeführten Nährstoffe schnell wachsen, rasch Biomasse aufbauen und den Boden für den Aufwuchs anderer Pflanzen beschatten (Gerowitt et al. 2013). Die Intensivierung umfasst ausserdem die frühere Nutzung der Bestände zur Erzielung hoher Futterqualität (für die Hochleistungs-Milchkühe) und eine generell erhöhte Schlagkraft (mit schweren Maschinen), häufigere Nutzungen, den Einsatz von Pestiziden, Flurbereinigungen und Strukturverlust sowie kulturtechnische Massnahmen zur Entwässerung, Kalkung oder Bewässerung der Flächen. Des Weiteren werden Flächen eingeebnet bzw. unter Einsatz von bspw. Forstmulchern intensiviert. Vorgegebene Schnittzeitpunkte bewirken eine Monotonisierung der Landschaft sowie ein zeitgleiches Wegfallen von Nahrungsquellen. All diese Faktoren sowie die Aufgabe bestimmter Nutzungsformen führen zu einer Vereinheitlichung der Lebensräume. <br />
* Der Klimawandel stellt für den Wandel der Biodiversität und Ökosysteme einen bedeutenden Faktor dar (Guntern 2016b): insbesondere spielen der Temperaturanstieg sowie Veränderungen im hydrologischen Regime eine Rolle. Höhere Temperaturen und zunehmende Niederschlagsmengen führen bei gleichmässiger Bodendurchfeuchtung zu einer zunehmend schnelleren Wuchsleistung des Grünlands. Aus dem Biodiversitätsmonitoring ergeben sich Hinweise, dass im Mittelland bestimmte Lebensräume einerseits wärmer, andererseits auch trockener werden (BDM-Facts Nr. 4, BAFU 2012).<br />
* Auch invasive, gebietsfremde Arten können auf die heimische Biodiversität nachteilig wirken. V.a. folgende Arten bereiten bisher grossflächig Probleme im extensiv genutzten Wiesland: das Einjährige Berufkraut (''Erigeron annuus''), die beiden Goldrutenarten (''Solidago canadensis'' und ''S. serotina'', v.a. im unternutzten oder spät gemähten, feuchten bis wechselfeuchten Wiesland) sowie das Schmalblättrige Kreuzkraut (''Senecio inaequidens''). Weitere Neophyten mit invasivem Ausbreitungspotenzial werden auf der Neophyten-Watch-List geführt. Die (bemerkenswerte) Resistenz gegenüber neu eingebrachten Arten scheint ein Charakteristikum des mitteleuropäischen Wieslands zu sein (Bosshard 2016).<br />
* Je nach Lebensraumtyp und Lage des Grünlandes stellen auch Freizeitaktivitäten bzw. Erholungsnutzung Gefährdungsfaktoren dar. In Deutschland sind insbesondere auch der Anbau von Energiepflanzen (Biogasproduktion, Raps für Kraftstoffproduktion) sowie die Agrophotovoltaik mögliche Gefährdungstreiber.<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = rationelle Mahd as 96 dpi.jpg<br />
| text = Rationelle Erntemaschinen töten und verletzten viele Tiere.<br />
}}<br />
<br />
Nachfolgend werden einige ausgewählte Gefährdungsfaktoren näher beleuchtet.<br />
<br />
'''Unternutzung und Nutzungsaufgabe''': <br/><br />
Eine extensive Bewirtschaftung wird in Gebieten mit ungünstigen Produktionsbedingungen (Hangneigung, Bodenstruktur) immer weniger rentabel. In den letzten dreissig Jahren bewegten sich die Veränderungen in der Nutzungsform im Alpenraum stets in Richtung eines geringeren Bewirtschaftungsaufwands: von der Schnitt- zur Weidenutzung und von der Beweidung zur Verbrachung (Leitgruppe NFP 48 2007). Eine Unternutzung oder eine gänzliche Aufgabe der Bewirtschaftung führen kurzfristig zu Verbrachungserscheinungen, mittelfristig zu Verbuschung und Einwaldung. Wenn die Biomasse nicht weggeführt wird, tritt im Laufe der Jahre zunehmend Lichtmangel v.a. für die dichte, bodennahe Schicht in Form von sogenanntem Streuefilz auf. Gerade seltene und gefährdete Arten verschwinden oft zuerst und werden durch Generalisten ersetzt, bevor die Bewaldung einsetzt (Bosshard 2016). Im günstigsten Fall kann bereits nach 20 Jahren auf einer früheren Magerwiese oder -weide ein Wald stehen. In sehr magerem Wiesland führt die Nutzungsaufgabe und Verbrachung jedoch nicht zu einem Artenverlust, da die Wüchsigkeit für das Ausbilden eines Streuefilzes nicht ausreicht oder dieser rasch wieder abgebaut wird (bspw. durch Wind). Die natürliche Wiederbewaldung in Grenzertragslagen wird als Ausdruck eines grundlegenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels interpretiert, bei dem der Rückgang der Armut und die Zunahme des Wohlstands eine grosse Rolle spielen (Leitgruppe NFP 48 2007). Durch die abnehmende Verfügbarkeit von Arbeitskräften sind auch pflegerische Arbeiten der Bewirtschaftung gefährdet: damit eine möglichst langfristige Produktivität des Kulturbiotops sichergestellt werden kann, sind Pflegearbeiten wie Frühjahrssäuberung, exaktes Mähen, Abrechen des Schnittguts usw. notwendig, damit die «Saatbett-Bereitung» bzw. das Vorhandensein von Keimstellen gesichert ist.<br />
<br />
'''Steinfräsen''': <br/><br />
Steinfräsen zerkleinern Steine und Felsen, zermalmen und brechen den Boden auf, beseitigen Kleinstrukturen und Unebenheiten im Gelände. Diese irreparable Zerstörung der natürlichen Vegetation und der Kleinstrukturvielfalt ist u.a. für den Verlust von Baumpieper und Feldlerche im jurassischen Brutgebiet mitverantwortlich. Im Jura werden seit den 1990er-Jahren Steinfräsen teilweise grossflächig eingesetzt, um die wertvollen Kleinstrukturen zu eliminieren und ganze Flächen zu planieren. Die Gesetzeslage ist kantonal unterschiedlich (SO, JU, VD nicht erlaubt, NE & BE teilweise erlaubt) und trotz Verbot sind unbewilligte Fälle bekannt (Apolloni et al. 2017). Steinfräsen werden auch in höheren Lagen der Alpen regelmässig eingesetzt. Sie stellen eine so grosse Gefahr für die Biodiversität dar, dass sie verboten gehören.<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* Delarze et al. (2016): [https://www.infoflora.ch/de/lebensraeume/rote-liste.html Rote Liste der Lebensräume der Schweiz]<br />
* Trockenwiesen und -weiden der Schweiz (TWW) [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/fachinformationen/massnahmen-zur-erhaltung-und-foerderung-der-biodiversitaet/oekologische-infrastruktur/biotope-von-nationaler-bedeutung/trockenwiesen-und--weiden.html Inventar, Vollzugshilfe und Merkblätter, Fallstudien]<br />
* [https://www.wsl.ch/de/biotopschutz-schweiz.html Wirkungskontrolle Biotopschutz Schweiz]<br />
<br />
=Rechtsgrundlagen =<br />
* [https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19983407/index.html Landwirtschaftsgesetz (LwG)]<br />
* [https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19983381/index.html Landwirtschaftliche Begriffsverordnung (LBV)]<br />
* [https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20130216/index.html Direktzahlungsverordnung (DZV)]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/oekologischer-leistungsnachweis.html Ökologischer Leistungsnachweis (ÖLN) gemäss DZV, Übersicht zu den einzelnen Artikeln]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/biodiversitaetsbeitraege.html Übersicht über die Biodiversitätsbeiträge pro BFF-Typ und Qualitätsstufe]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/biodiversitaetsbeitraege/qualitaetsbeitrag.html Weitere Ausführungen zu den BFF-Qualitätsbeiträgen (QI und QII)]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/biodiversitaetsbeitraege/vernetzungsbeitrag.html Weitere Ausführungen zu den Vernetzungsbeiträgen]<br />
* Die rechtliche Grundlage für den nationalen Schutz der Trockenwiesen und -weiden bildet das [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/fachinformationen/massnahmen-zur-erhaltung-und-foerderung-der-biodiversitaet/oekologische-infrastruktur/biotope-von-nationaler-bedeutung/trockenwiesen-und--weiden.html Inventar über die Trockenwiesen und -weiden mit den entsprechenden Verordnungen und Vollzugshilfen].<br />
<br />
=Praxisrelevante Wissenslücken =<br />
Nachfolgend sind wichtige Themen aufgeführt, zu welchen (teilweise) Wissenslücken bestehen:<br />
* Vorkommen und Verbreitung ökologisch wertvoller Grünlandflächen im Sömmerungsgebiet, flächendeckende Inventarisierung<br />
* Wissenschaftliche Grundlagen zum Düngungsbedarf von Fromental- und Goldhaferwiesen im Hinblick auf die botanische Vielfalt fehlen, Praxisversuche sind wünschenswert.<br />
* Es gibt kaum systematische Erfahrungen zum Etzen in Zusammenhang mit der Biodiversitätsförderung im artenreichen Wiesland, übergeordnete Erfolgskontrollen sind erwünscht.<br />
* Phänologisch basierte Schnittzeitpunkte<br />
* Einfluss von Heubläser-Einsätzen auf die Biodiversität, insbesondere die Fauna (Richner et al. 2014 beleuchten den Einfluss auf die Vegetation)<br />
* Auswirkungen der Bewirtschaftung auf die Fauna über alle Mäh- und Nachbereitungsgeräte hinweg unter vergleichbaren Bedingungen untersuchen. Verhalten der Populationen auf mehrschürigen Wiesen im Jahresverlauf.<br />
* Angaben zu Ausmass und Verbreitung von Bodenverdichtungen<br />
<br />
=Literatur=<br />
Die Publikationen zum Grünland sind äusserst umfangreich. Wir stellen Ihnen die gesamte [[Media:Dokumentation Grünland Literatur.pdf|Liste an verwendeter Literatur]] zur Verfügung.<br />
<br />
= Weitere Kapitel zum Grünland=<br />
* [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland Einleitung und Zusammenfassung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie Praxisrelevante Ökologie]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung Erhalt und Aufwertung durch optimierte Bewirtschaftung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat Aufwertung und Neuschaffung durch Direktbegrünung und Ansaat]<br />
<!--* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisbeispiele Praxisbeispiele]--><br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || [https://www.faunatur.ch/portr%C3%A4t/ Karin Loeffel]|| [https://www.faunatur.ch/ faunatur]<br />
|-<br />
| Review|| Andreas Bosshard || [http://www.agraroekologie.ch/ueber-uns/team/ Ö+L GmbH] <br />
|-<br />
| || Jean-Yves Humbert || [https://www.cb.iee.unibe.ch/about_us/pd_dr_humbert_jean_yves/index_eng.html Universität Bern, Conservation Biology]<br />
|-<br />
| || Heiri Schiess || <br />
|-<br />
| || André Stapfer || <br />
|-<br />
| || Markus Staub || [https://www.poel.ch/ Projekte Ökologie Landwirtschaft] <br />
|-<br />
| || Gaby Volkart || [http://www.ateliernature.ch/atena/francais.php atena]<br />
|-<br />
|}<br />
<br /></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Gr%C3%BCnland/Grundlagen&diff=4719
Grünland/Grundlagen
2023-03-12T14:02:20Z
<p>VB2: </p>
<hr />
<div>[[fr:Milieux prairiaux/Informations de base]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Fromentalwiese ABosshard zg 96 dpi.JPG<br />
| text = Die Fromentalwiesen sind innerhalb weniger Jahrzehnte weitestgehend verschwunden.<br />
}}<br />
<br />
=Sukzession und Bedeutung des Grünlands=<br />
Mit wenigen Ausnahmen ist Grünland keine natürliche Vegetation - bleibt eine Nutzung aus, folgt der Verlauf der meisten Grünland-Lebensraumtypen der natürlichen Sukzession. Maag et al. (2001) zeigen die verschiedenen Sukzessionsverläufe für unterschiedliche Standorte. Dabei hat jede Stufe der Sukzession beispielsweise eines Trockenrasens bis hin zum Wald ihren ökologischen Wert; die Artenvielfalt kann durch ein Nebeneinander verschiedener Sukzessionsstadien erhöht werden (Diacon et al. 2011). Die unterschiedlichen Stadien der Verbrachung und Verbuschung weisen willkommene Rückzugsgebiete und Nahrungsreservoirs für Reptilien, Spinnen und viele Insekten dar. Insbesondere jüngere Brachen können floristisch und faunistisch äusserst wertvoll sein; langfristig ist dagegen die Artenvielfalt in Dauerbrachen gefährdet (Dipner & Volkart 2010). <br />
<!-- Abbildung weglassen, weil nicht in guter Qualität zur Verfügung; Alternative: Foto einwachsender Wiese. In der folgenden Abbildung sind die Phasen der Verbuschung nicht mehr bewirtschafteter Halbtrockenrasen dargestellt (Quelle: Briemle et al. 1993):--><br />
<br />
Die Bedeutung des Grünlandes ist vielfältig und eine grosse Bandbreite von allgemeinen, nicht nur an das Grünland gebundene Ökosystemleistungen sind auch mit diesen Lebensräumen verbunden, wie produktive Erzeugnisse, genetische Ressourcen von Futterpflanzen, Bestäubungsleistungen, Erosionsvermeidung, kulturelle Leistungen, Speicherung von Kohlenstoff (Guntern et al. 2013). Ebenfalls relevant sind die mit dem Grünland verbundenen ästhetisch-landschaftlichen Aspekte bspw. im Hinblick auf die touristische Nutzung oder die Erholungsfunktion. Aus landwirtschaftlicher Sicht ist die Bedeutung des Grünlandes als Stätte der Futterproduktion zentral. Entsprechend sind Wiesen und Weiden für die landwirtschaftliche Nutzung im Laufe der vergangenen Jahrzehnte „optimiert“ worden. Beispielsweise stellen die Hochleistungsrassen in der Milchwirtschaft hohe Ansprüche an den Futterwert des Grünlandes: im jüngeren Aufwuchs ist der Rohfasergehalt niedriger und die Anteile an Rohprotein und Mineralstoffen höher. Entsprechend sind der Energiegehalt und die Verdaulichkeit des Futters besser. Damit sind die Anforderungen der Hochleistungsmilchwirtschaft mit dem Erhalt des artenreichen Grünlands nicht vereinbar (Gerowitt et al. 2011); landwirtschaftlich intensiv genutzte Wiesen haben kaum einen ökologischen Wert verglichen mit artenreichem Grünland.<br />
<br />
=Typologie des Grünlands=<br />
Je nachdem, worauf der Fokus liegt, kann das Grünland in Unterkategorien aufgeteilt werden; man kann vegetationskundliche, ökologische oder auch futterbauliche Kriterien anwenden.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Haber de zg.png<br />
| text = Haber (2014) gliedert das Grünland i.w.S. wie oben dargestellt (Abbildung leicht verändert).<br />
}}<br />
<br />
Dietl & Grünig (in Oppermann & Gujer 2003, S. 60) gliedern die artenreichen (Mäh-)Wiesen der Schweiz nach Wasser- und Nährstoffhaushalt in 19 Wiesentypen auf. Ihre tabellarische Übersicht zeigt für die jeweiligen Wiesentypen kennzeichnende Artengruppen und -kombinationen. Für den gedüngten Bereich wurde die obengenannte Systematik weiterentwickelt und [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie#Lebensr.C3.A4ume_des_Gr.C3.BCnlands Bosshard (2016) unterscheidet in der Folge für das gedüngte Wiesland neun Typen].<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = bosshard Genese de.png<br />
| text = Genese und Höhenverbreitung der gedüngten Wiesentypen. <br/> Quelle: Bosshard, A., 2016. Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas. Mit besonderer Berücksichtigung der Fromentalwiesen und des standortgemässen Futterbaus, Bristol-Schriftenreihe Band 50. Haupt Verlag, Bern. © Andreas Bosshard<br />
}}<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* Vereinfachter dichotomer Bestimmungsschlüssel zur Identifikation von Fromental- und Goldhaferwiesen in Bosshard (2016, S. 188).<br />
* [http://www.agraroekologie.ch/SchluesselGeduengteNaturwiesen.xls Bestimmungsschlüssel für die Wiesentypen des gedüngten Naturwieslands der Schweiz]<br />
* [https://ira.agroscope.ch/de-CH/publication/46127 Bestimmungsschlüssel für Lebensräume der offenen Kulturlandschaft] (Buholzer et al. 2015)<br />
* Die [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/kartierung-und-bewertung-trockenwiesen.html Kartier- und Bewertungsmethode zur Erarbeitung des Inventars der Trockenwiesen und -weiden] ist im Technischen Bericht ausgeführt (Eggenberg et al. 2001)<br />
* [https://www.infoflora.ch/de/lebensraeume/typoch/4-grnland-naturrasen-wiesen-und-weiden.html Klassifikation der Grünlandlebensräume nach Delarze et al. (2015)]<br />
<br />
=Zustand und Entwicklung des Grünlands in der Schweiz=<br />
==Entstehung von Grünland==<br />
Grünland ist in Mitteleuropa vor 8000 Jahren durch Waldrodung zur Ackernutzung entstanden. Die anschliessend nicht mehr für den Ackerbau genutzten Flächen begrünten sich und wurden als Viehweiden genutzt. Wo Wiesland in prähistorischer Zeit vorkam, ist weitgehend ungewiss und wird in Bosshard (2016) kurz ausgeführt.<br />
<br />
Kapfer (2010a, 2010b) und Bosshard (2016) beleuchten die Entstehungsgeschichte und die historische Wies- und Weidelandnutzung und stellen sie in Vergleich mit heutigen Nutzungsformen: Während vieler hundert Jahre war das Wiesland in das Produktionssystem der auf Getreidebau ausgerichteten Dreizelgenwirtschaft ausgerichtet. Der Heu- und Emdschnitt führte zusammen mit den geringen Mistgaben (rund um den Hof herum) und der historisch üblichen Frühjahrsvorweide (Etzen) zu einer langfristigen Ausmagerung der Böden mit entsprechenden Folgen für die Vegetation. Reine Mähwiesen haben sich grossflächig erst im 19. Jahrhundert entwickelt, vorher waren alle Wiesen auch beweidet (Frühjahrs- oder Herbstweide). Nach dem Etzen erfolgte der Heuschnitt später und die Wiesenpflanzen konnten ihre individuelle Entwicklung bis zur Samenreife und dem Ausstreuen der Samen vollständig abschliessen. Die heutige erste Hauptnutzung auf den Mager- und Fromentalwiesen beim Heuschnitt entsprach historisch der zweiten Nutzung. Früher orientierte man sich für den Beginn und das Ende bestimmter Bewirtschaftungsgänge an Heiligen-Tagen. Diese Orientierungszeitpunkte wurden jedoch je nach Jahresverlauf bspw. für den Mahdbeginn auch flexibel gehandhabt. Die Ernte einzelner Flächen erstreckte sich über mehrere Wochen hinweg. Das Heu der Schnittwiesen wurde auf der Fläche getrocknet, wodurch eine erfolgreiche generative Vermehrung gefördert wurde (Poschlod 2011). Im Laufe der Zeit führten neue Ernteverfahren, Bewässerungsmassnahmen und neu auch die phänologischen Veränderungen aufgrund des Klimawandels zu einem früheren ersten Schnitt von Wiesen (Guntern et al. 2013).<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Bewirtschaftungsschemata Kapfer zg 96 dpi.jpg<br />
| text = Bewirtschaftungsschema der drei wichtigsten Wiesentypen der alten Dreizelgenwirtschaft. Quelle: Kapfer, A. (2010): Beitrag zur Geschichte des Grünlands Mitteleuropas im Hinblick auf den Arten- und Biotopschutz. Darstellung im Kontext der landwirtschaftlichen Bodennutzungssysteme. In: Naturschutz und Landschaftsplanung 42 (5), S. 133–140.<br />
}}<br />
<br />
<br /><br />
<table border="0", style="font-size:108%"> <br />
<tr> <br />
<td> '''Die ökologischen Auswirkungen und die Anwendung des Etzens (Frühjahrsvorweide) (Quelle: Bosshard 2015b)''' <br /> Etzen war bis ins 18./19. Jh. die übliche erste Nutzung von Mähwiesen. Heute wird die Vorweide dagegen vor allem im Berggebiet in den intensiver genutzten Wiesentypen noch regelmässig praktiziert. Etzen bewirkt langfristig einen Nährstoffentzug, die Wüchsigkeit einer Wiese wird vermindert und dadurch, dass kurzfristig Licht in den Bestand eingebracht wird, werden empfindlichere Pflanzen artenreicher Wiesen gefördert. Die längere bewirtschaftungsfreie Phase zwischen der Frühjahrsweide und dem nächsten Nutzungszeitpunkt durch Mahd führt zu einem deutlich schmackhafteren, gehaltvolleren (da eiweissreicheren) Heuaufwuchs, so dass Etzen auch aus futterbaulicher und wirtschaftlicher Sicht von Interesse sein dürfte. <br />
Das kurze, schonende Überweiden einer Wiese im Frühjahr führt zu einem strukturierteren Pflanzenbestand, einem längerdauernden Blütenangebot und einem späteren Heuschnitt und gewisse Tierarten (Tagfalter, Heuschrecken und wiesenbrütende Vogelarten) können davon profitieren (SHL 2008). Aus praktischen Gründen (logistischer Aufwand) kommt das Etzen nur für eine Minderheit von Grünlandflächen überhaupt in Frage und ist für BFF-Flächen bspw. im Rahmen von Vernetzungsprojekten realisierbar, sofern die kantonalen Vernetzungsrichtlinien dies vorsehen und begründen.</td> <br />
</tr> <br />
</table><br />
<br /><br />
<br />
Unter diesem historischen Blickwinkel ist die Entstehung der Artenvielfalt in Wiesen zu betrachten (Poschlod 2011): Die Artenzusammensetzung der Flachlandmähwiesen, wie sie sich in der heutigen Form präsentiert, ist wahrscheinlich erst etwa 300 Jahre alt; der namengebende Glatthafer (''Arrhenatherum elatius'') wurde erst Anfang des 18. Jahrhunderts eingeführt (d.h. ein durch Auswahl-Zucht verbesserter Ökotyp aus Südfrankreich). Möglicherweise ist die namengebende Art der Berg-Mähwiesen, der Goldhafer (''Trisetum flavescens'') ebenfalls erst zu dieser Zeit eingeführt worden. Fast alle Pflanzenarten des Wieslandes scheinen aus der autochthonen Flora zu stammen (bspw. aus lichten Stellen von Wäldern, aus Schotterflächen der Auen, aus den Randregionen der Hochmoore etc.). Verschiedene Futterpflanzen des Wieslandes sind (gezielt oder unabsichtlich) eingeführt worden und schon früh begann der Mensch, mit gezielten Einsaaten den Ertrag zu steigern.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Bewirtschaftungstypen Kapfer zg 1280 768.png<br />
| text = Übersicht zur Genese der Bewirtschaftungstypen des Grünlands Mitteleuropas. Quelle: Kapfer, A. (2010): Beitrag zur Geschichte des Grünlands Mitteleuropas im Hinblick auf den Arten- und Biotopschutz. Darstellung im Kontext der landwirtschaftlichen Bodennutzungssysteme. In: Naturschutz und Landschaftsplanung 42 (5), S. 133–140.<br />
}}<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* Zusammenfassende Betrachtungen und nähere Ausführungen zur Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des Grünlands liefern [http://www.dr-kapfer.de/index.php/download.html Kapfer (2010a, 2010b)], [https://pudi.lubw.de/detailseite/-/publication/90005 Poschlod (2011)] und Bosshard (2016).<br />
* Auch das [http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D13861.php Historische Lexikon der Schweiz] bietet zu verschiedenen Themen (Düngung, Futtermittel, Bewässerung, Wiesen, Weiden) informative Artikel.<br />
<br />
==Quantitativer und qualitativer Zustand und deren Veränderung==<br />
Das Grünland hat sich mit den technischen Möglichkeiten in der Landwirtschaft (Mechanisierung, Düngereinsatz) und den Flurbereinigungen der letzten Jahrzehnte stark verändert worden und verändert sich immer noch.<br />
<br />
Die [[Media:Tabelle Grünland Auszug Flächenbedarf.pdf|Tabelle]] gibt einen Überblick über die Ausdehnung und quantitative Veränderung der Schweizer Grünlandlebensräume. Quelle: «Guntern et al. (2013): Flächenbedarf für die Erhaltung der Biodiversität und der Ökosystemleistungen in der Schweiz», S. 96. Weitere Grünflächen befinden sich im Siedlungsgebiet.<br/><br />
<small>LN = Landwirtschaftliche Nutzfläche, SöG = Sömmerungsgebiet, BFF = Biodiversitätsförderfläche</small> <br />
{| class="wikitable" <br />
|-<br />
! style="width: 25%"| Lebensraum<br />
! style="width: 10%"| Zeit<br />
!colspan="2"|Ausdehnung [ha]<br />
! style="width: 25%"| Bemerkung, Quelle<br />
|- style="vertical-align:top;"<br />
| Wiesen und Weiden auf der LN (ohne SöG, Kunstwiesen) davon:<br/>- Extensiv genutzte BFF-Wiesen <br/>- Wenig intensiv genutzte BFF-Wiesen<br />
| 2011<br />
|colspan="2"|610’732 <br/><br/><br/>66‘056 <br/>22‘919<br />
| (BLW 2012) <br/>Wobei mit Qualität gemäss ÖQV: <br/>- Weiden, Waldweiden: 5'384 ha <br/>- Wiesen (inkl. Streuflächen): 28'864 ha<br />
|-<br />
| Sömmerungsgebiet <sup>1</sup> (SöG)<br />
| 2011<br />
|colspan="2"|505'385 (12% der CH)<br />
| Gemäss (Walter et al. 2013)<br />
|-<br />
|rowspan="2"|Trockenwiesen und –weiden (TWW)<br />
| 1900<br />
|colspan="2"|760‘000 (bis 900‘000)<br />
| (Eggenberg et al. 2001; Lachat et al. 2010b), Flächenverlust von 90-99% von TWW in den Regionen und 95% in der Schweiz. <sup>2</sup><br />
|-<br />
| 2010<br />
|colspan="2"|37‘011<br />
| <br />
|- style="vertical-align:top;"<br />
| Potenziell wertvolles Grasland auf der LN oder im SöG (ohne TWW, Moore Modell basierend auf der Steigung und der Höhe über Meer an den Fundorten von UZL-Ziel- und Leitarten.<br />
| 2012 <br/>Total: <br/>TZ: <br/>HZ: <br/>BZI: <br/>BZII: <br/>BZII: <br/>BZIV: <br/>SöG:<br />
| style="width: 20%"| [ha] <br/>231’688 <br/>3797 <br/>354 <br/>2'023 <br/>6943 <br/>9223 <br/>10'984 <br/>198'364<br />
| style="width: 20%"| [%] <br/> <br/>0.78 <br/>0.25 <br/>1.71 <br/>4.52 <br/>11.06 <br/>22.72 <br/>39.25<br />
| (Walter et al. 2013) <br/> <br/>TZ = Talzone <br/>HZ = Hügelzone <br/>BZ = Bergzone <br/> <br/>Grünland macht nahezu 100% des SöG sowie der LN in den BZIV und BZIII aus.<br />
|-<br />
|rowspan="2"|Fromentalwiesen auf der LN<br />
| 1950<br />
|colspan="2"|Abgesehen von TWW, Dauerweiden, Streuwiesen, Äckern nahezu alles<br />
| (Bosshard & Stähli 2012): genauere Angaben in Erarbeitung für Schlussbericht der laufenden Studie.<br />
|-<br />
| 2011<br />
|colspan="2"|3-8%<br />
| (Bosshard & Stähli 2012), wobei davon ca. 20% mit der Artenzusammensetzung von intensiv genutzten Fromentalwiesen der 1950er Jahre und max. 5% mit guter Qualität (pers. Mitteilung A. Bosshard) <br/>-> Rückgang von vermutlich > 90% und nahezu 100% für artenreiche Bestände (Bosshard 1998)<br />
|}<br />
<small><br />
<sup>1</sup> Gemäss Arealstatistik nahm die Alpwirtschaftliche Nutzfläche von 1979/85 bis 1992/97 von 555'662 um 3.2 % auf 537'802 ha ab. Ein weiterer Rückgang wurde bis 2004/09 festgestellt.<br />
</small> <br/><br />
<small><br />
<sup>2</sup> Schätzungsweise weitere Abnahme von 25-30% zw. 1995-2005 (Leibundgut 2007 zitiert in Graf & Korner 2011). Grössenordnungen in diesem Bereich sind im Wallis und Engadin durch Fallstudien bestätigt.<br />
</small><br />
<br />
<br/><br />
Ein Vergleich mit der Grünland-Situation in Deutschland zeigt: Ein mit der Schweiz (Tieflagen) vergleichbarer Anteil von rund 13% der Gesamtfläche (CH 14.7%) wird als landwirtschaftliches Grünland genutzt, der Grossteil davon ebenfalls intensiv (Boch et al. 2016).<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = Nutzung LN BFS 2018 96 dpi.png<br />
| text = Wie sich die landwirtschaftliche Nutzfläche der Schweiz auf die verschiedenen Nutzungstypen aufteilt. Quelle: BFS 2018, Die Schweiz in 21 Infografiken.<br />
}}<br />
<br />
Im Zeitraum von 1990 bis 2009 hat sich die Grünlandfläche in Deutschland um 875‘000 ha verringert. Zwischen 2003 und 2012 betrug der absolute Verlust des Dauergrünlands ca. 5%. In der Schweiz machen Landwirtschafts- und Alpwirtschaftsflächen zusammen mehr als einen Drittel der Gesamtfläche aus; zwischen 1985 und 2009 sind 85‘000 ha davon verlorengegangen, was der Grösse des Kantons Jura entspricht (BFS 2018). Die Fromentalwiesen, bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts der häufigste und zugleich produktivste Wiesentyp auf den guten Böden der tieferen Lagen Mitteleuropas, sind innerhalb weniger Jahrzehnte weitestgehend verschwunden. Damit einher ging eine qualitative Verschlechterung: ein Vergleich zwischen 1950 und 2009 zeigt, dass die damalig «intensiv» genutzten Wiesen in der Regel QII-Qualität hatten, heute hingegen in den noch vorhandenen Fromental-Vergleichswiesen nur noch ein Drittel diese Qualitätsanforderung erreicht («Fromentalwiesenprojekt», Bosshard 2016). Unter den besonders wertvollen Lebensräumen ging die Fläche der Trockenwiesen und -weiden zwischen 1900 und 2010 um 95% zurück.<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = TWW Zuerich Umweltbericht zg.png<br />
| text = Abnahme artenreicher Wiesen im Kanton Zürich. Quelle: Baudirektion Kanton Zürich (2008), Umweltbericht 2008.<br />
}}<br />
<br />
Im Schweizer Berggebiet nahm die Entwicklung des Futterbaus und der Wiesen und Weiden einen anderen Weg als im Mittelland: Erschwernislagen (steile oder schlecht erschlossene, meist mit vielen Kleinstrukturen durchsetzte Flächen) wurden zunehmend in Weiden umgenutzt oder ganz aus der Nutzung entlassen und ein Grossteil davon ist in der Folge verbuscht und verwaldet. Insgesamt hat die Waldfläche in den vergangenen 150 Jahren auf Kosten von Wiesen- und Weideflächen je nach Region um 30-100% zugenommen. Heute liegt der überwiegende Teil des artenreichen Wieslandes der Schweiz in solchen Erschwernislagen ab Bergzone I; besonders hoch ist dieser Anteil im Sömmerungsgebiet. Allerdings nehmen diese Flächen sowohl durch Nutzungsaufgabe als auch durch Intensivierung laufend ab (Bosshard 2016).<br />
<br />
Der Anteil BFF mit Qualitätsstufe II steigt stetig an; das Ziel eines 40%-Anteils wurde 2017 erstmals erreicht. Der Anteil im Talgebiet ist mit 28% jedoch immer noch tief (BLW 2018). Seit 2014 werden ebenfalls Beiträge für artenreiche Grün- und Streueflächen im Sömmerungsgebiet ausgerichtet; der Anteil dieser Flächen mit Qualitätsstufe II betrug 2017 217‘496 ha.<br />
<br />
{| class="wikitable" <br />
|- <br />
|colspan="5"| '''Übersicht über die Flächenanteile BFF mit QII-Qualität (in Hektaren) (Quelle: Agrarbericht BLW 2019)'''<br />
|-<br />
! BFF QII-Typ<br />
! style="text-align:right;" | Talregion<br />
! style="text-align:right;" | Hügelregion<br />
! style="text-align:right;" | Bergregion<br />
! style="text-align:right;" | Total<br />
|-<br />
| Extensiv genutzte Wiesen<br />
| style="text-align:right;" | 11495<br />
| style="text-align:right;" | 7395<br />
| style="text-align:right;" | 17411<br />
| style="text-align:right;" | 36301<br />
|-<br />
| Wenig intensiv genutzte Wiesen<br />
| style="text-align:right;" | 130<br />
| style="text-align:right;" | 411<br />
| style="text-align:right;" | 3220<br />
| style="text-align:right;" | 3761<br />
|-<br />
| extensiv genutzte Weiden und Waldweiden<br />
| style="text-align:right;" | 1468<br />
| style="text-align:right;" | 2830<br />
| style="text-align:right;" | 14759<br />
| style="text-align:right;" | 19057<br />
|-<br />
| artenreiche Grün- und Streuflächen im Sömmerungsgebiet<br />
| <br />
| <br />
| <br />
| style="text-align:right;" | 223509<br />
|}<br />
<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Entwicklung BFF Q2 2001 2016.png<br />
| text = Entwicklung (in Hektaren) der angemeldeten artenreichen Wiesen und Weiden (BFF mit Qualitätsstufe II) zwischen 2001 – 2016 (Quelle: Daten BLW).<br />
}}<br />
<br />
Die qualitativen Veränderungen in Wiesen und Weiden betreffen das allgemeine Nährstoffniveau, welches enorm gestiegen ist und das Verschwinden des früher verbreiteten Mosaiks von unterschiedlich genutzten Flächen (Schmid et al. 2007). Weitere qualitative Veränderungen der letzten Jahrzehnte beschreibt Bosshard (2016): Die Schlagkraft hat sich vervielfacht mit früherem Schnitt, viel höherer Nutzungsfrequenz und der zeitgleichen Nutzung viel grösserer Flächen. Die Erträge sind um ca. 60-80% gestiegen. Kleinstrukturen und Kulturlandschaftselemente sind verschwunden. Die schwereren Maschinen haben eine problematische Bodenverdichtung zur Folge und insbesondere für die Fauna destruktive Ernteverfahren (Rotationsmähwerke, Futteraufbereiter, Silagetechnik) nehmen zu. Heute wird vorwiegend Güllewirtschaft (rasch verfügbare Nährstoffe) statt der früher üblichen Festmistwirtschaft betrieben und durch den Wechsel von der Dürrfutterbereitung (Heu) zur Silage liegt der Nutzungszeitpunkt des ersten Aufwuchses heute früher im Jahr, es sind mehr Nutzungen pro Jahr möglich, die Ernte verläuft rascher und die Pflanzen können weniger absamen. Meliorationen, das Zusammenlegen von Parzellen und das Verschwinden von extensiven Parzellengrenzen bewirken ebenfalls grosse Veränderungen. Ein nächster Schritt steht mit der zukünftigen Automatisierung der Bewirtschaftung bevor. Anschaulich illustriert [https://www.pronatura.ch/de/wiesen-und-weiden Pro Natura anhand von Beispielen] die Entwicklung ehemals artenreicher Wiesen in artenarme Fettwiesen.<br />
<br />
Die ökologischen Auswirkungen der oben beschriebenen Veränderungen sind mannigfaltig: beispielsweise führt die Intensivierung der Graslandkultivierung und die früheren Schnittzeitpunkte zu einer Abnahme der Samenbank im Boden (Klimkowska et al. 2007). Die früheren Schnittzeitpunkte führen zur Überlappung mit der Brutsaison bodenbrütender Vögel; durch Mahd werden die Nester mechanisch zerstört oder sind für Prädatoren nach dem Schnitt leichter zugänglich oder die Futterverfügbarkeit wird während einer kritischen Phase der Nestlinge dezimiert (Britschgi et al. 2006). Einzelflächen wie auch die Gesamtfläche ökologisch wertvoller Wiesen und Weiden sind zu klein und zu stark fragmentiert. Kleine Grünlandflächen sind besonders empfindlich gegenüber negativer Randeffekte (z.B. Eindringen anderer Arten) und ökologischer Drift. Die durchschnittliche Grösse der TWW von nationaler Bedeutung beträgt heute 4.7 ha und im Sömmerungsgebiet 10.5 ha (Guntern et al. 2013): eine Wiederbesiedlung durch Tagfalter, Hummeln und Reptilien ist möglich, wenn die Flächen nicht weiter als 1-3 km voneinander entfernt sind. Charakteristische Heuschrecken und Laufkäfer dagegen überwinden selten Distanzen von über 100 m.<br />
<br />
'''Nährstoffversorgung im Grünland''' <br/><br />
Stickstoff ein elementarer Baustein aller Lebewesen; Pflanzen nehmen ihn über die Wurzeln in der Form von Ammonium oder Nitrat auf. Pflanzenverfügbarer Stickstoff ist natürlicherweise in den meisten Böden Mangelware – in den letzten Jahrzehnten gelangten jedoch riesige Mengen von Stickstoffverbindungen als Mineraldünger, Gülle oder aus Verbrennungsprozessen direkt oder indirekt über die Luft in die Böden. Der natürliche atmosphärische Eintrag von biologisch aktivem Stickstoff beträgt lediglich 0.5 – 2 kg/ha. Heute gelangt durchschnittlich 16 kg/ha Stickstoff über die Luft in den Boden, was in etwa der ausgebrachten Menge für mittel intensiv genutzten Wiesen entspricht. Peter (2011) weist darauf hin, dass bei drei der vier umweltrelevanten Stickstoffformen (Ammoniak, Nitrat und Lachgas) die Landwirtschaft gesamtschweizerisch gesehen die Haupt Emittentin ist. So müssten beim Ammoniak beispielsweise die Emissionen aus der Landwirtschaft annähernd halbiert werden, damit eine substanziell schädigende Wirkung in sensiblen Ökosystemen verhindert werden könnte. Für artenreiche Wiesen (kollin und montan) liegt der kritische Eintragswert bei 10-30 kg N pro Hektar und Jahr (Guntern 2016a). Entsprechend sind bspw. 49% der Trockenwiesen von den negativen Auswirkungen des atmosphärischen Stickstoffeintrags betroffen; die kritischen Eintragswerte (critical loads) werden in vielen Lebensräumen z.T. massiv überschritten (BAFU 2017). In Wiesen führt dies zu einer Bodenversauerung, zu einer starken Abnahme der Pflanzendiversität und zur Dominanz einiger weniger Grasarten und ist mitverantwortlich für die extreme Artenverarmung im Wiesland insbesondere in den Tieflagen (Bosshard 2016). Heutige Bestände sind im Vergleich zu früher wüchsiger und dichter.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Stickstoffbilanz 2015 BFS 2.png<br />
| text = Die Stickstoffbilanz in den Landwirtschaftsflächen (inkl. Alpweiden) zeigt langfristig betrachtet zwar einen rückläufigen Überschuss, dennoch resultierte 2015 ein Überschuss von 60 kg/ha (1990er-Jahre > 80 kg/ha). Quelle: Landwirtschaft und Ernährung, Taschenstatistik BFS 2018)<br />
}}<br />
<br />
Auch Phosphor ist einer der Hauptnährstoffe der Pflanzen und wird in der Landwirtschaft als Düngemittel eingesetzt. In den letzten zehn Jahren belief sich der Phosphorüberschuss auf rund 400 t/Jahr.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = phosphorbilanz 2018 de zg.png<br />
| text = Phosphorbilanz der Landwirtschaftsflächen. Phosphormengen, die in landwirtschaftliche Böden gelangen bzw. ihnen entzogen werden. Quelle: BFS – Umweltgesamtrechnung (2020)<br />
}}<br />
<br />
Im intensiv genutzten Grasland werden ausserdem steigende Zink- und Kupfereinträge beobachtet, welche aus dem Hofdünger (Gülle und Mist) bzw. aus den Futtermitteln stammen (Gubler et al. 2015). Aufgrund der hohen landwirtschaftlichen Nutzungsintensität kann auch im Grünland davon ausgegangen werden, dass vielerorts das Bodenleben dadurch beeinträchtigt wird.<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* BAFU (2017): [https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/biodiversitaet/uz-umwelt-zustand/biodiversitaet-schweiz-zustand-entwicklung.pdf.download.pdf/UZ-1630-D_2017-06-20.pdf Zustand und Entwicklung Biodiversität Schweiz]<br />
* Guntern et al. (2013): [http://www.ngzh.ch/media/pdf/Flaechenbedarf.pdf Flächenbedarf für die Erhaltung der Biodiversität und der Ökosystemleistungen in der Schweiz]<br />
* BAFU (2017): [https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/boden/uz-umwelt-zustand/boden-schweiz.pdf.download.pdf/UZ-1721-D_Boden2017.pdf Boden in der Schweiz. Zustand und Entwicklung. Stand 2017] <br />
* BFS (2018): [https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kataloge-datenbanken/publikationen/uebersichtsdarstellungen/taschenstatistik-schweiz.html Taschenstatistiken] <br />
* BLW: [https://www.agrarbericht.ch/de Agrarbericht]<br />
<br />
==Zustand und Entwicklung der Artengemeinschaften des Grünlands==<br />
Bei einer Vergleichsuntersuchung fanden Schlup et al. (2013) im extensiv bewirtschafteten Grünland (Kammgrasweide, Fromental- und Goldhaferwiese, Halbtrockenrasen) eine höhere Artenzahl an Gefässpflanzen als im durchschnittlichen Grünland der Schweiz. Ausserdem kamen im extensiven Grünland deutlich mehr Kenn- und Charakterarten sowie gefährdete Arten vor. Spezialisiertere Grünlandarten werden zunehmend von Generalisten verdrängt und es findet eine Trivialisierung statt.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = TWW Kennarten de zs.png<br />
| text = Die Tabelle zeigt, wie wichtig besonders wertvolle Lebensräume für den Erhalt von vielen Tiergruppen sind. Quelle: Hotspot 18, Forum Biodiversität Schweiz 2008)<br />
}}<br />
<br />
Demnach weist ein beträchtlicher Teil der Arten eine erhöhte Bindung zu Trockenwiesen und -weiden auf.<br />
Lebensraumverlust und -degradierung haben auf die Biodiversität im Grünland einen negativen Einfluss, wie die folgende Darstellung aus dem Biodiversitätsmonitoring Schweiz zeigt (BAFU):<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Indikatoren de zs.png<br />
| text = Vielfalt von Artengemeinschaften in Wiesen und Weiden - Index* von 0 (einheitlich) bis 100 (vielfältig), aller paarweisen Vergleiche der Stichprobenflächen, in Prozent. *Mittelwerte über einen Zeitraum von jeweils fünf Jahren. Quelle: BAFU: Biodiversitäts-Monitoring Schweiz BDM 2018<br />
}}<br />
<br />
Die Artenvielfalt ist seit Mitte der 2000er Jahre insgesamt zurückgegangen und deutet auf eine gesamtschweizerische Vereinheitlichung der Wiesen und Weiden hin, was einem Verlust der Biodiversität gleichkommt. Jedoch ist der Verlust der Artengemeinschaften in diesen Lebensräumen schon seit mindestens einigen Jahrzehnten im Gang: In den letzten 120 Jahren hat sich die durchschnittliche Pflanzenartenvielfalt auf 81 Wiesen fast halbiert (Schlup et al. 2013). Generell wird festgestellt, dass v.a. häufig vorkommende Arten zugenommen haben, welche keine besonderen Ansprüche an ihren Lebensraum stellen. Spezialisierte Grünlandarten werden zunehmend von Generalisten verdrängt, was zu einer Trivialisierung der Wiesen und Weiden führt.<br />
<br />
Auch die meisten Vogelarten, welche auf Äckern, Wiesen und Weiden brüten, sind aufgrund der hohen landwirtschaftlichen Nutzungsintensität im Rückgang begriffen: Der schweizerische Index der für das Kulturland typischen Brutvögel (46 UZL-Arten) hat seit 1990 um fast 30% abgenommen, der europäische Agrarvogelindex seit 1980 um über 50% (BLW 2017, Becker et al. 2014). Auch die Bergidylle ist zunehmend bedroht: ein Langzeitvergleich der Vogelwarte zeigt, dass im Engadin innerhalb von 22 Jahren der Anteil an wenig intensiv genutzten und artenreichen Wiesen von 32 auf 27% gesunken und die Brutbestände von Feldlerche, Baumpieper und Braunkehlchen um 44-61% gesunken sind (Korner et al. 2017). Den blütenbesuchenden Insekten wird durch den Rückgang des reichen Blüten- und Nektarangebots die Nahrungsgrundlage entzogen. Wesche et al. (2014) stellten bei Heuschrecken und Wanzen in Auen und Trockenwiesen innert 50 Jahren einen dramatischen Einbruch der Individuenzahlen (>60%) bei teils konstanten, teils zunehmenden Artenzahlen fest. Die botanische Zusammensetzung von Fromentalwiesen zeigt im Vergleich zu den 1950er Jahren eine durchschnittliche Abnahme der Artenzahl von rund 30% bei einer ebenfalls deutlichen Qualitätseinbusse (Bosshard 2015c).<br />
<br />
Im Rahmen des Monitoringprogramms ALL-EMA werden der Zustand und die Veränderung von Arten und Lebensräumen der Umweltziele Landwirtschaft in der offenen Agrarlandschaft Schweiz erfasst und die Biodiversitätsförderflächen beurteilt. Eine erste umfassende Auswertung zum Zustand der Biodiversität ist 2020 vorgesehen.<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* [https://www.agroscope.admin.ch/agroscope/de/home/themen/umwelt-ressourcen/monitoring-analytik/all-ema.html ALL-EMA]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/zustand/indikatoren.html Vielfalt von Artengemeinschaften in Wiesen und Weiden (BAFU)]<br />
* [http://www.biodiversitymonitoring.ch/de/home.html Biodiversitätsmonitoring Schweiz]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/biodiversitaet/uw-umwelt-wissen/umweltziele_landwirtschaftstatusbericht.pdf.download.pdf/umweltziele_landwirtschaftstatusbericht.pdf BAFU & BLW (2016): Umweltziele Landwirtschaft UZL.]<br />
<br />
=Gefährdung und Gefährdungsursachen=<br />
43% der unter dem Begriff „Grünland“ zusammengefassten Lebensraumtypen gelten als gefährdet. Die wertvollsten Flächen der Trockenwiesen und -weiden sind in einem Inventar (TWW) bezeichnet - seit 1900 sind rund 95% der TWW in der Schweiz verschwunden.<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = Gefaehrdungskat Grünland de.png<br />
| text = Einstufung der 30 Lebensraumtypen des Grünlandes gemäss Roter Liste.<br />
}}<br />
<br />
Gefährdungsursachen und wichtige Treiber sind (Delarze et al. 2015, Bosshard 2016, Becker et al. 2014):<br />
* Der Verlust an Grünland-Lebensräumen durch Nutzungsaufgabe in Grenzertragslagen und nachfolgender Sukzession, durch Umwandlung von Grünland in Ackerland oder Kunstwiesen und durch den Siedlungs- und Strassenbau. Als Folge der Lebensraumverluste sind verbleibende Habitate oft zu klein und/oder von Isolation bedroht. Bis Fragmentierung und Randeffekte zum Verlust von Arten führen, kann es Jahrzehnte dauern; man spricht deshalb auch von der sogenannten Aussterbeschuld. Im Sömmerungsgebiet verschwinden mittel-wertvolle Flächen. Das aktuelle Instrument der BFF gibt im Sömmerungsgebiet keine Kriterien zur Bewirtschaftung vor. Es gibt Hinweise, dass die Kartierung der TWW nicht vollständig ist. Es besteht die Gefahr, dass wertvolle Flächen durch Intensivierung, falsche Nutzung oder Nutzungsaufgabe verloren gehen.<br />
* Intensivierung, moderne oder ungeeignete Bewirtschaftung sowie Nährstoffeinträge: Der Strukturwandel in der Landwirtschaft und die damit verbundene Intensivierung hat vielfache Auswirkungen auch auf das Grünland. Düngung und Zufütterung in der Viehhaltung haben vervielfachte Nährstoffeinträge und die Eutrophierung des Bodens zur Folge. Durch das Düngen werden viele Grünlandarten, insbesondere Kräuter, verdrängt und die Artenvielfalt nimmt in der Folge ab, weil wenige Arten dank dieser zugeführten Nährstoffe schnell wachsen, rasch Biomasse aufbauen und den Boden für den Aufwuchs anderer Pflanzen beschatten (Gerowitt et al. 2013). Die Intensivierung umfasst ausserdem die frühere Nutzung der Bestände zur Erzielung hoher Futterqualität (für die Hochleistungs-Milchkühe) und eine generell erhöhte Schlagkraft (mit schweren Maschinen), häufigere Nutzungen, den Einsatz von Pestiziden, Flurbereinigungen und Strukturverlust sowie kulturtechnische Massnahmen zur Entwässerung, Kalkung oder Bewässerung der Flächen. Des Weiteren werden Flächen eingeebnet bzw. unter Einsatz von bspw. Forstmulchern intensiviert. Vorgegebene Schnittzeitpunkte bewirken eine Monotonisierung der Landschaft sowie ein zeitgleiches Wegfallen von Nahrungsquellen. All diese Faktoren sowie die Aufgabe bestimmter Nutzungsformen führen zu einer Vereinheitlichung der Lebensräume. <br />
* Der Klimawandel stellt für den Wandel der Biodiversität und Ökosysteme einen bedeutenden Faktor dar (Guntern 2016b): insbesondere spielen der Temperaturanstieg sowie Veränderungen im hydrologischen Regime eine Rolle. Höhere Temperaturen und zunehmende Niederschlagsmengen führen bei gleichmässiger Bodendurchfeuchtung zu einer zunehmend schnelleren Wuchsleistung des Grünlands. Aus dem Biodiversitätsmonitoring ergeben sich Hinweise, dass im Mittelland bestimmte Lebensräume einerseits wärmer, andererseits auch trockener werden (BDM-Facts Nr. 4, BAFU 2012).<br />
* Auch invasive, gebietsfremde Arten können auf die heimische Biodiversität nachteilig wirken. V.a. folgende Arten bereiten bisher grossflächig Probleme im extensiv genutzten Wiesland: das Einjährige Berufkraut (''Erigeron annuus''), die beiden Goldrutenarten (''Solidago canadensis'' und ''S. serotina'', v.a. im unternutzten oder spät gemähten, feuchten bis wechselfeuchten Wiesland) sowie das Schmalblättrige Kreuzkraut (''Senecio inaequidens''). Weitere Neophyten mit invasivem Ausbreitungspotenzial werden auf der Neophyten-Watch-List geführt. Die (bemerkenswerte) Resistenz gegenüber neu eingebrachten Arten scheint ein Charakteristikum des mitteleuropäischen Wieslands zu sein (Bosshard 2016).<br />
* Je nach Lebensraumtyp und Lage des Grünlandes stellen auch Freizeitaktivitäten bzw. Erholungsnutzung Gefährdungsfaktoren dar. In Deutschland sind insbesondere auch der Anbau von Energiepflanzen (Biogasproduktion, Raps für Kraftstoffproduktion) sowie die Agrophotovoltaik mögliche Gefährdungstreiber.<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = rationelle Mahd as 96 dpi.jpg<br />
| text = Rationelle Erntemaschinen töten und verletzten viele Tiere.<br />
}}<br />
<br />
Nachfolgend werden einige ausgewählte Gefährdungsfaktoren näher beleuchtet.<br />
<br />
'''Unternutzung und Nutzungsaufgabe''': <br/><br />
Eine extensive Bewirtschaftung wird in Gebieten mit ungünstigen Produktionsbedingungen (Hangneigung, Bodenstruktur) immer weniger rentabel. In den letzten dreissig Jahren bewegten sich die Veränderungen in der Nutzungsform im Alpenraum stets in Richtung eines geringeren Bewirtschaftungsaufwands: von der Schnitt- zur Weidenutzung und von der Beweidung zur Verbrachung (Leitgruppe NFP 48 2007). Eine Unternutzung oder eine gänzliche Aufgabe der Bewirtschaftung führen kurzfristig zu Verbrachungserscheinungen, mittelfristig zu Verbuschung und Einwaldung. Wenn die Biomasse nicht weggeführt wird, tritt im Laufe der Jahre zunehmend Lichtmangel v.a. für die dichte, bodennahe Schicht in Form von sogenanntem Streuefilz auf. Gerade seltene und gefährdete Arten verschwinden oft zuerst und werden durch Generalisten ersetzt, bevor die Bewaldung einsetzt (Bosshard 2016). Im günstigsten Fall kann bereits nach 20 Jahren auf einer früheren Magerwiese oder -weide ein Wald stehen. In sehr magerem Wiesland führt die Nutzungsaufgabe und Verbrachung jedoch nicht zu einem Artenverlust, da die Wüchsigkeit für das Ausbilden eines Streuefilzes nicht ausreicht oder dieser rasch wieder abgebaut wird (bspw. durch Wind). Die natürliche Wiederbewaldung in Grenzertragslagen wird als Ausdruck eines grundlegenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels interpretiert, bei dem der Rückgang der Armut und die Zunahme des Wohlstands eine grosse Rolle spielen (Leitgruppe NFP 48 2007). Durch die abnehmende Verfügbarkeit von Arbeitskräften sind auch pflegerische Arbeiten der Bewirtschaftung gefährdet: damit eine möglichst langfristige Produktivität des Kulturbiotops sichergestellt werden kann, sind Pflegearbeiten wie Frühjahrssäuberung, exaktes Mähen, Abrechen des Schnittguts usw. notwendig, damit die «Saatbett-Bereitung» bzw. das Vorhandensein von Keimstellen gesichert ist.<br />
<br />
'''Steinfräsen''': <br/><br />
Steinfräsen zerkleinern Steine und Felsen, zermalmen und brechen den Boden auf, beseitigen Kleinstrukturen und Unebenheiten im Gelände. Diese irreparable Zerstörung der natürlichen Vegetation und der Kleinstrukturvielfalt ist u.a. für den Verlust von Baumpieper und Feldlerche im jurassischen Brutgebiet mitverantwortlich. Im Jura werden seit den 1990er-Jahren Steinfräsen teilweise grossflächig eingesetzt, um die wertvollen Kleinstrukturen zu eliminieren und ganze Flächen zu planieren. Die Gesetzeslage ist kantonal unterschiedlich (SO, JU, VD nicht erlaubt, NE & BE teilweise erlaubt) und trotz Verbot sind unbewilligte Fälle bekannt (Apolloni et al. 2017). Steinfräsen werden auch in höheren Lagen der Alpen regelmässig eingesetzt. Sie stellen eine so grosse Gefahr für die Biodiversität dar, dass sie verboten gehören.<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* Delarze et al. (2016): [https://www.infoflora.ch/de/lebensraeume/rote-liste.html Rote Liste der Lebensräume der Schweiz]<br />
* Trockenwiesen und -weiden der Schweiz (TWW) [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/fachinformationen/massnahmen-zur-erhaltung-und-foerderung-der-biodiversitaet/oekologische-infrastruktur/biotope-von-nationaler-bedeutung/trockenwiesen-und--weiden.html Inventar, Vollzugshilfe und Merkblätter, Fallstudien]<br />
* [https://www.wsl.ch/de/biotopschutz-schweiz.html Wirkungskontrolle Biotopschutz Schweiz]<br />
<br />
=Rechtsgrundlagen =<br />
* [https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19983407/index.html Landwirtschaftsgesetz (LwG)]<br />
* [https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19983381/index.html Landwirtschaftliche Begriffsverordnung (LBV)]<br />
* [https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20130216/index.html Direktzahlungsverordnung (DZV)]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/oekologischer-leistungsnachweis.html Ökologischer Leistungsnachweis (ÖLN) gemäss DZV, Übersicht zu den einzelnen Artikeln]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/biodiversitaetsbeitraege.html Übersicht über die Biodiversitätsbeiträge pro BFF-Typ und Qualitätsstufe]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/biodiversitaetsbeitraege/qualitaetsbeitrag.html Weitere Ausführungen zu den BFF-Qualitätsbeiträgen (QI und QII)]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/biodiversitaetsbeitraege/vernetzungsbeitrag.html Weitere Ausführungen zu den Vernetzungsbeiträgen]<br />
* Die rechtliche Grundlage für den nationalen Schutz der Trockenwiesen und -weiden bildet das [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/fachinformationen/massnahmen-zur-erhaltung-und-foerderung-der-biodiversitaet/oekologische-infrastruktur/biotope-von-nationaler-bedeutung/trockenwiesen-und--weiden.html Inventar über die Trockenwiesen und -weiden mit den entsprechenden Verordnungen und Vollzugshilfen].<br />
<br />
=Praxisrelevante Wissenslücken =<br />
Nachfolgend sind wichtige Themen aufgeführt, zu welchen (teilweise) Wissenslücken bestehen:<br />
* Vorkommen und Verbreitung ökologisch wertvoller Grünlandflächen im Sömmerungsgebiet, flächendeckende Inventarisierung<br />
* Wissenschaftliche Grundlagen zum Düngungsbedarf von Fromental- und Goldhaferwiesen im Hinblick auf die botanische Vielfalt fehlen, Praxisversuche sind wünschenswert.<br />
* Es gibt kaum systematische Erfahrungen zum Etzen in Zusammenhang mit der Biodiversitätsförderung im artenreichen Wiesland, übergeordnete Erfolgskontrollen sind erwünscht.<br />
* Phänologisch basierte Schnittzeitpunkte<br />
* Einfluss von Heubläser-Einsätzen auf die Biodiversität, insbesondere die Fauna (Richner et al. 2014 beleuchten den Einfluss auf die Vegetation)<br />
* Auswirkungen der Bewirtschaftung auf die Fauna über alle Mäh- und Nachbereitungsgeräte hinweg unter vergleichbaren Bedingungen untersuchen. Verhalten der Populationen auf mehrschürigen Wiesen im Jahresverlauf.<br />
* Angaben zu Ausmass und Verbreitung von Bodenverdichtungen<br />
<br />
=Literatur=<br />
Die Publikationen zum Grünland sind äusserst umfangreich. Wir stellen Ihnen die gesamte [[Media:Dokumentation Grünland Literatur.pdf|Liste an verwendeter Literatur]] zur Verfügung.<br />
<br />
= Weitere Kapitel zum Grünland=<br />
* [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland Einleitung und Zusammenfassung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie Praxisrelevante Ökologie]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung Erhalt und Aufwertung durch optimierte Bewirtschaftung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat Aufwertung und Neuschaffung durch Direktbegrünung und Ansaat]<br />
<!--* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisbeispiele Praxisbeispiele]--><br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || [https://www.faunatur.ch/portr%C3%A4t/ Karin Loeffel]|| [https://www.faunatur.ch/ faunatur]<br />
|-<br />
| Review|| Andreas Bosshard || [http://www.agraroekologie.ch/ueber-uns/team/ Ö+L GmbH] <br />
|-<br />
| || Jean-Yves Humbert || [https://www.cb.iee.unibe.ch/about_us/pd_dr_humbert_jean_yves/index_eng.html Universität Bern, Conservation Biology]<br />
|-<br />
| || Heiri Schiess || <br />
|-<br />
| || André Stapfer || <br />
|-<br />
| || Markus Staub || [https://www.poel.ch/ Projekte Ökologie Landwirtschaft] <br />
|-<br />
| || Gaby Volkart || [http://www.ateliernature.ch/atena/francais.php atena]<br />
|-<br />
|}<br />
<br /></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Gr%C3%BCnland/Grundlagen&diff=4718
Grünland/Grundlagen
2023-03-12T13:58:16Z
<p>VB2: </p>
<hr />
<div>[[fr:Milieux prairiaux/Informations de base]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Fromentalwiese ABosshard zg 96 dpi.JPG<br />
| text = Die Fromentalwiesen sind innerhalb weniger Jahrzehnte weitestgehend verschwunden.<br />
}}<br />
<br />
=Sukzession und Bedeutung des Grünlands=<br />
Mit wenigen Ausnahmen ist Grünland keine natürliche Vegetation - bleibt eine Nutzung aus, folgt der Verlauf der meisten Grünland-Lebensraumtypen der natürlichen Sukzession. Maag et al. (2001) zeigen die verschiedenen Sukzessionsverläufe für unterschiedliche Standorte. Dabei hat jede Stufe der Sukzession beispielsweise eines Trockenrasens bis hin zum Wald ihren ökologischen Wert; die Artenvielfalt kann durch ein Nebeneinander verschiedener Sukzessionsstadien erhöht werden (Diacon et al. 2011). Die unterschiedlichen Stadien der Verbrachung und Verbuschung weisen willkommene Rückzugsgebiete und Nahrungsreservoirs für Reptilien, Spinnen und viele Insekten dar. Insbesondere jüngere Brachen können floristisch und faunistisch äusserst wertvoll sein; langfristig ist dagegen die Artenvielfalt in Dauerbrachen gefährdet (Dipner & Volkart 2010). <br />
<!-- Abbildung weglassen, weil nicht in guter Qualität zur Verfügung; Alternative: Foto einwachsender Wiese. In der folgenden Abbildung sind die Phasen der Verbuschung nicht mehr bewirtschafteter Halbtrockenrasen dargestellt (Quelle: Briemle et al. 1993):--><br />
<br />
Die Bedeutung des Grünlandes ist vielfältig und eine grosse Bandbreite von allgemeinen, nicht nur an das Grünland gebundene Ökosystemleistungen sind auch mit diesen Lebensräumen verbunden, wie produktive Erzeugnisse, genetische Ressourcen von Futterpflanzen, Bestäubungsleistungen, Erosionsvermeidung, kulturelle Leistungen, Speicherung von Kohlenstoff (Guntern et al. 2013). Ebenfalls relevant sind die mit dem Grünland verbundenen ästhetisch-landschaftlichen Aspekte bspw. im Hinblick auf die touristische Nutzung oder die Erholungsfunktion. Aus landwirtschaftlicher Sicht ist die Bedeutung des Grünlandes als Stätte der Futterproduktion zentral. Entsprechend sind Wiesen und Weiden für die landwirtschaftliche Nutzung im Laufe der vergangenen Jahrzehnte „optimiert“ worden. Beispielsweise stellen die Hochleistungsrassen in der Milchwirtschaft hohe Ansprüche an den Futterwert des Grünlandes: im jüngeren Aufwuchs ist der Rohfasergehalt niedriger und die Anteile an Rohprotein und Mineralstoffen höher. Entsprechend sind der Energiegehalt und die Verdaulichkeit des Futters besser. Damit sind die Anforderungen der Hochleistungsmilchwirtschaft mit dem Erhalt des artenreichen Grünlands nicht vereinbar (Gerowitt et al. 2011); landwirtschaftlich intensiv genutzte Wiesen haben kaum einen ökologischen Wert verglichen mit artenreichem Grünland.<br />
<br />
=Typologie des Grünlands=<br />
Je nachdem, worauf der Fokus liegt, kann das Grünland in Unterkategorien aufgeteilt werden; man kann vegetationskundliche, ökologische oder auch futterbauliche Kriterien anwenden.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Haber de zg.png<br />
| text = Haber (2014) gliedert das Grünland i.w.S. wie oben dargestellt (Abbildung leicht verändert).<br />
}}<br />
<br />
Dietl & Grünig (in Oppermann & Gujer 2003, S. 60) gliedern die artenreichen (Mäh-)Wiesen der Schweiz nach Wasser- und Nährstoffhaushalt in 19 Wiesentypen auf. Ihre tabellarische Übersicht zeigt für die jeweiligen Wiesentypen kennzeichnende Artengruppen und -kombinationen. Für den gedüngten Bereich wurde die obengenannte Systematik weiterentwickelt und [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie#Lebensr.C3.A4ume_des_Gr.C3.BCnlands Bosshard (2016) unterscheidet in der Folge für das gedüngte Wiesland neun Typen].<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = bosshard Genese de.png<br />
| text = Genese und Höhenverbreitung der gedüngten Wiesentypen. <br/> Quelle: Bosshard, A., 2016. Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas. Mit besonderer Berücksichtigung der Fromentalwiesen und des standortgemässen Futterbaus, Bristol-Schriftenreihe Band 50. Haupt Verlag, Bern. © Andreas Bosshard<br />
}}<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* Vereinfachter dichotomer Bestimmungsschlüssel zur Identifikation von Fromental- und Goldhaferwiesen in Bosshard (2016, S. 188).<br />
* [http://www.agraroekologie.ch/SchluesselGeduengteNaturwiesen.xls Bestimmungsschlüssel für die Wiesentypen des gedüngten Naturwieslands der Schweiz]<br />
* [https://ira.agroscope.ch/de-CH/publication/46127 Bestimmungsschlüssel für Lebensräume der offenen Kulturlandschaft] (Buholzer et al. 2015)<br />
* Die [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/kartierung-und-bewertung-trockenwiesen.html Kartier- und Bewertungsmethode zur Erarbeitung des Inventars der Trockenwiesen und -weiden] ist im Technischen Bericht ausgeführt (Eggenberg et al. 2001)<br />
* [https://www.infoflora.ch/de/lebensraeume/typoch/4-grnland-naturrasen-wiesen-und-weiden.html Klassifikation der Grünlandlebensräume nach Delarze et al. (2015)]<br />
<br />
=Zustand und Entwicklung des Grünlands in der Schweiz=<br />
==Entstehung von Grünland==<br />
Grünland ist in Mitteleuropa vor 8000 Jahren durch Waldrodung zur Ackernutzung entstanden. Die anschliessend nicht mehr für den Ackerbau genutzten Flächen begrünten sich und wurden als Viehweiden genutzt. Wo Wiesland in prähistorischer Zeit vorkam, ist weitgehend ungewiss und wird in Bosshard (2016) kurz ausgeführt.<br />
<br />
Kapfer (2010a, 2010b) und Bosshard (2016) beleuchten die Entstehungsgeschichte und die historische Wies- und Weidelandnutzung und stellen sie in Vergleich mit heutigen Nutzungsformen: Während vieler hundert Jahre war das Wiesland in das Produktionssystem der auf Getreidebau ausgerichteten Dreizelgenwirtschaft ausgerichtet. Der Heu- und Emdschnitt führte zusammen mit den geringen Mistgaben (rund um den Hof herum) und der historisch üblichen Frühjahrsvorweide (Etzen) zu einer langfristigen Ausmagerung der Böden mit entsprechenden Folgen für die Vegetation. Reine Mähwiesen haben sich grossflächig erst im 19. Jahrhundert entwickelt, vorher waren alle Wiesen auch beweidet (Frühjahrs- oder Herbstweide). Nach dem Etzen erfolgte der Heuschnitt später und die Wiesenpflanzen konnten ihre individuelle Entwicklung bis zur Samenreife und dem Ausstreuen der Samen vollständig abschliessen. Die heutige erste Hauptnutzung auf den Mager- und Fromentalwiesen beim Heuschnitt entsprach historisch der zweiten Nutzung. Früher orientierte man sich für den Beginn und das Ende bestimmter Bewirtschaftungsgänge an Heiligen-Tagen. Diese Orientierungszeitpunkte wurden jedoch je nach Jahresverlauf bspw. für den Mahdbeginn auch flexibel gehandhabt. Die Ernte einzelner Flächen erstreckte sich über mehrere Wochen hinweg. Das Heu der Schnittwiesen wurde auf der Fläche getrocknet, wodurch eine erfolgreiche generative Vermehrung gefördert wurde (Poschlod 2011). Im Laufe der Zeit führten neue Ernteverfahren, Bewässerungsmassnahmen und neu auch die phänologischen Veränderungen aufgrund des Klimawandels zu einem früheren ersten Schnitt von Wiesen (Guntern et al. 2013).<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Bewirtschaftungsschemata Kapfer zg 96 dpi.jpg<br />
| text = Bewirtschaftungsschema der drei wichtigsten Wiesentypen der alten Dreizelgenwirtschaft. Quelle: Kapfer, A. (2010): Beitrag zur Geschichte des Grünlands Mitteleuropas im Hinblick auf den Arten- und Biotopschutz. Darstellung im Kontext der landwirtschaftlichen Bodennutzungssysteme. In: Naturschutz und Landschaftsplanung 42 (5), S. 133–140.<br />
}}<br />
<br />
<br /><br />
<table border="0", style="font-size:108%"> <br />
<tr> <br />
<td> '''Die ökologischen Auswirkungen und die Anwendung des Etzens (Frühjahrsvorweide) (Quelle: Bosshard 2015b)''' <br /> Etzen war bis ins 18./19. Jh. die übliche erste Nutzung von Mähwiesen. Heute wird die Vorweide dagegen vor allem im Berggebiet in den intensiver genutzten Wiesentypen noch regelmässig praktiziert. Etzen bewirkt langfristig einen Nährstoffentzug, die Wüchsigkeit einer Wiese wird vermindert und dadurch, dass kurzfristig Licht in den Bestand eingebracht wird, werden empfindlichere Pflanzen artenreicher Wiesen gefördert. Die längere bewirtschaftungsfreie Phase zwischen der Frühjahrsweide und dem nächsten Nutzungszeitpunkt durch Mahd führt zu einem deutlich schmackhafteren, gehaltvolleren (da eiweissreicheren) Heuaufwuchs, so dass Etzen auch aus futterbaulicher und wirtschaftlicher Sicht von Interesse sein dürfte. <br />
Das kurze, schonende Überweiden einer Wiese im Frühjahr führt zu einem strukturierteren Pflanzenbestand, einem längerdauernden Blütenangebot und einem späteren Heuschnitt und gewisse Tierarten (Tagfalter, Heuschrecken und wiesenbrütende Vogelarten) können davon profitieren (SHL 2008). Aus praktischen Gründen (logistischer Aufwand) kommt das Etzen nur für eine Minderheit von Grünlandflächen überhaupt in Frage und ist für BFF-Flächen bspw. im Rahmen von Vernetzungsprojekten realisierbar, sofern die kantonalen Vernetzungsrichtlinien dies vorsehen und begründen.</td> <br />
</tr> <br />
</table><br />
<br /><br />
<br />
Unter diesem historischen Blickwinkel ist die Entstehung der Artenvielfalt in Wiesen zu betrachten (Poschlod 2011): Die Artenzusammensetzung der Flachlandmähwiesen, wie sie sich in der heutigen Form präsentiert, ist wahrscheinlich erst etwa 300 Jahre alt; der namengebende Glatthafer (''Arrhenatherum elatius'') wurde erst Anfang des 18. Jahrhunderts eingeführt (d.h. ein durch Auswahl-Zucht verbesserter Ökotyp aus Südfrankreich). Möglicherweise ist die namengebende Art der Berg-Mähwiesen, der Goldhafer (''Trisetum flavescens'') ebenfalls erst zu dieser Zeit eingeführt worden. Fast alle Pflanzenarten des Wieslandes scheinen aus der autochthonen Flora zu stammen (bspw. aus lichten Stellen von Wäldern, aus Schotterflächen der Auen, aus den Randregionen der Hochmoore etc.). Verschiedene Futterpflanzen des Wieslandes sind (gezielt oder unabsichtlich) eingeführt worden und schon früh begann der Mensch, mit gezielten Einsaaten den Ertrag zu steigern.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Bewirtschaftungstypen Kapfer zg 1280 768.png<br />
| text = Übersicht zur Genese der Bewirtschaftungstypen des Grünlands Mitteleuropas. Quelle: Kapfer, A. (2010): Beitrag zur Geschichte des Grünlands Mitteleuropas im Hinblick auf den Arten- und Biotopschutz. Darstellung im Kontext der landwirtschaftlichen Bodennutzungssysteme. In: Naturschutz und Landschaftsplanung 42 (5), S. 133–140.<br />
}}<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* Zusammenfassende Betrachtungen und nähere Ausführungen zur Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des Grünlands liefern [http://www.dr-kapfer.de/index.php/download.html Kapfer (2010a, 2010b)], [https://pudi.lubw.de/detailseite/-/publication/90005 Poschlod (2011)] und Bosshard (2016).<br />
* Auch das [http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D13861.php Historische Lexikon der Schweiz] bietet zu verschiedenen Themen (Düngung, Futtermittel, Bewässerung, Wiesen, Weiden) informative Artikel.<br />
<br />
==Quantitativer und qualitativer Zustand und deren Veränderung==<br />
Das Grünland hat sich mit den technischen Möglichkeiten in der Landwirtschaft (Mechanisierung, Düngereinsatz) und den Flurbereinigungen der letzten Jahrzehnte stark verändert worden und verändert sich immer noch.<br />
<br />
Die [[Media:Tabelle Grünland Auszug Flächenbedarf.pdf|Tabelle]] gibt einen Überblick über die Ausdehnung und quantitative Veränderung der Schweizer Grünlandlebensräume. Quelle: «Guntern et al. (2013): Flächenbedarf für die Erhaltung der Biodiversität und der Ökosystemleistungen in der Schweiz», S. 96. Weitere Grünflächen befinden sich im Siedlungsgebiet.<br/><br />
<small>LN = Landwirtschaftliche Nutzfläche, SöG = Sömmerungsgebiet, BFF = Biodiversitätsförderfläche</small> <br />
{| class="wikitable" <br />
|-<br />
! style="width: 25%"| Lebensraum<br />
! style="width: 10%"| Zeit<br />
!colspan="2"|Ausdehnung [ha]<br />
! style="width: 25%"| Bemerkung, Quelle<br />
|- style="vertical-align:top;"<br />
| Wiesen und Weiden auf der LN (ohne SöG, Kunstwiesen) davon:<br/>- Extensiv genutzte BFF-Wiesen <br/>- Wenig intensiv genutzte BFF-Wiesen<br />
| 2011<br />
|colspan="2"|610’732 <br/><br/><br/>66‘056 <br/>22‘919<br />
| (BLW 2012) <br/>Wobei mit Qualität gemäss ÖQV: <br/>- Weiden, Waldweiden: 5'384 ha <br/>- Wiesen (inkl. Streuflächen): 28'864 ha<br />
|-<br />
| Sömmerungsgebiet <sup>1</sup> (SöG)<br />
| 2011<br />
|colspan="2"|505'385 (12% der CH)<br />
| Gemäss (Walter et al. 2013)<br />
|-<br />
|rowspan="2"|Trockenwiesen und –weiden (TWW)<br />
| 1900<br />
|colspan="2"|760‘000 (bis 900‘000)<br />
| (Eggenberg et al. 2001; Lachat et al. 2010b), Flächenverlust von 90-99% von TWW in den Regionen und 95% in der Schweiz. <sup>2</sup><br />
|-<br />
| 2010<br />
|colspan="2"|37‘011<br />
| <br />
|- style="vertical-align:top;"<br />
| Potenziell wertvolles Grasland auf der LN oder im SöG (ohne TWW, Moore Modell basierend auf der Steigung und der Höhe über Meer an den Fundorten von UZL-Ziel- und Leitarten.<br />
| 2012 <br/>Total: <br/>TZ: <br/>HZ: <br/>BZI: <br/>BZII: <br/>BZII: <br/>BZIV: <br/>SöG:<br />
| style="width: 20%"| [ha] <br/>231’688 <br/>3797 <br/>354 <br/>2'023 <br/>6943 <br/>9223 <br/>10'984 <br/>198'364<br />
| style="width: 20%"| [%] <br/> <br/>0.78 <br/>0.25 <br/>1.71 <br/>4.52 <br/>11.06 <br/>22.72 <br/>39.25<br />
| (Walter et al. 2013) <br/> <br/>TZ = Talzone <br/>HZ = Hügelzone <br/>BZ = Bergzone <br/> <br/>Grünland macht nahezu 100% des SöG sowie der LN in den BZIV und BZIII aus.<br />
|-<br />
|rowspan="2"|Fromentalwiesen auf der LN<br />
| 1950<br />
|colspan="2"|Abgesehen von TWW, Dauerweiden, Streuwiesen, Äckern nahezu alles<br />
| (Bosshard & Stähli 2012): genauere Angaben in Erarbeitung für Schlussbericht der laufenden Studie.<br />
|-<br />
| 2011<br />
|colspan="2"|3-8%<br />
| (Bosshard & Stähli 2012), wobei davon ca. 20% mit der Artenzusammensetzung von intensiv genutzten Fromentalwiesen der 1950er Jahre und max. 5% mit guter Qualität (pers. Mitteilung A. Bosshard) <br/>-> Rückgang von vermutlich > 90% und nahezu 100% für artenreiche Bestände (Bosshard 1998)<br />
|}<br />
<small><br />
<sup>1</sup> Gemäss Arealstatistik nahm die Alpwirtschaftliche Nutzfläche von 1979/85 bis 1992/97 von 555'662 um 3.2 % auf 537'802 ha ab. Ein weiterer Rückgang wurde bis 2004/09 festgestellt.<br />
</small> <br/><br />
<small><br />
<sup>2</sup> Schätzungsweise weitere Abnahme von 25-30% zw. 1995-2005 (Leibundgut 2007 zitiert in Graf & Korner 2011). Grössenordnungen in diesem Bereich sind im Wallis und Engadin durch Fallstudien bestätigt.<br />
</small><br />
<br />
<br/><br />
Ein Vergleich mit der Grünland-Situation in Deutschland zeigt: Ein mit der Schweiz (Tieflagen) vergleichbarer Anteil von rund 13% der Gesamtfläche (CH 14.7%) wird als landwirtschaftliches Grünland genutzt, der Grossteil davon ebenfalls intensiv (Boch et al. 2016).<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = Nutzung LN BFS 2018 96 dpi.png<br />
| text = Wie sich die landwirtschaftliche Nutzfläche der Schweiz auf die verschiedenen Nutzungstypen aufteilt. Quelle: BFS 2018, Die Schweiz in 21 Infografiken.<br />
}}<br />
<br />
Im Zeitraum von 1990 bis 2009 hat sich die Grünlandfläche in Deutschland um 875‘000 ha verringert. Zwischen 2003 und 2012 betrug der absolute Verlust des Dauergrünlands ca. 5%. In der Schweiz machen Landwirtschafts- und Alpwirtschaftsflächen zusammen mehr als einen Drittel der Gesamtfläche aus; zwischen 1985 und 2009 sind 85‘000 ha davon verlorengegangen, was der Grösse des Kantons Jura entspricht (BFS 2018). Die Fromentalwiesen, bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts der häufigste und zugleich produktivste Wiesentyp auf den guten Böden der tieferen Lagen Mitteleuropas, sind innerhalb weniger Jahrzehnte weitestgehend verschwunden. Damit einher ging eine qualitative Verschlechterung: ein Vergleich zwischen 1950 und 2009 zeigt, dass die damalig «intensiv» genutzten Wiesen in der Regel QII-Qualität hatten, heute hingegen in den noch vorhandenen Fromental-Vergleichswiesen nur noch ein Drittel diese Qualitätsanforderung erreicht («Fromentalwiesenprojekt», Bosshard 2016). Unter den besonders wertvollen Lebensräumen ging die Fläche der Trockenwiesen und -weiden zwischen 1900 und 2010 um 95% zurück.<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = TWW Zuerich Umweltbericht zg.png<br />
| text = Abnahme artenreicher Wiesen im Kanton Zürich. Quelle: Baudirektion Kanton Zürich (2008), Umweltbericht 2008.<br />
}}<br />
<br />
Im Schweizer Berggebiet nahm die Entwicklung des Futterbaus und der Wiesen und Weiden einen anderen Weg als im Mittelland: Erschwernislagen (steile oder schlecht erschlossene, meist mit vielen Kleinstrukturen durchsetzte Flächen) wurden zunehmend in Weiden umgenutzt oder ganz aus der Nutzung entlassen und ein Grossteil davon ist in der Folge verbuscht und verwaldet. Insgesamt hat die Waldfläche in den vergangenen 150 Jahren auf Kosten von Wiesen- und Weideflächen je nach Region um 30-100% zugenommen. Heute liegt der überwiegende Teil des artenreichen Wieslandes der Schweiz in solchen Erschwernislagen ab Bergzone I; besonders hoch ist dieser Anteil im Sömmerungsgebiet. Allerdings nehmen diese Flächen sowohl durch Nutzungsaufgabe als auch durch Intensivierung laufend ab (Bosshard 2016).<br />
<br />
Der Anteil BFF mit Qualitätsstufe II steigt stetig an; das Ziel eines 40%-Anteils wurde 2017 erstmals erreicht. Der Anteil im Talgebiet ist mit 28% jedoch immer noch tief (BLW 2018). Seit 2014 werden ebenfalls Beiträge für artenreiche Grün- und Streueflächen im Sömmerungsgebiet ausgerichtet; der Anteil dieser Flächen mit Qualitätsstufe II betrug 2017 217‘496 ha.<br />
<br />
{| class="wikitable" <br />
|- <br />
|colspan="5"| '''Übersicht über die Flächenanteile BFF mit QII-Qualität (in Hektaren) (Quelle: Agrarbericht BLW 2019)'''<br />
|-<br />
! BFF QII-Typ<br />
! style="text-align:right;" | Talregion<br />
! style="text-align:right;" | Hügelregion<br />
! style="text-align:right;" | Bergregion<br />
! style="text-align:right;" | Total<br />
|-<br />
| Extensiv genutzte Wiesen<br />
| style="text-align:right;" | 11495<br />
| style="text-align:right;" | 7395<br />
| style="text-align:right;" | 17411<br />
| style="text-align:right;" | 36301<br />
|-<br />
| Wenig intensiv genutzte Wiesen<br />
| style="text-align:right;" | 130<br />
| style="text-align:right;" | 411<br />
| style="text-align:right;" | 3220<br />
| style="text-align:right;" | 3761<br />
|-<br />
| extensiv genutzte Weiden und Waldweiden<br />
| style="text-align:right;" | 1468<br />
| style="text-align:right;" | 2830<br />
| style="text-align:right;" | 14759<br />
| style="text-align:right;" | 19057<br />
|-<br />
| artenreiche Grün- und Streuflächen im Sömmerungsgebiet<br />
| <br />
| <br />
| <br />
| style="text-align:right;" | 223509<br />
|}<br />
<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Entwicklung BFF Q2 2001 2016.png<br />
| text = Entwicklung (in Hektaren) der angemeldeten artenreichen Wiesen und Weiden (BFF mit Qualitätsstufe II) zwischen 2001 – 2016 (Quelle: Daten BLW).<br />
}}<br />
<br />
Die qualitativen Veränderungen in Wiesen und Weiden betreffen das allgemeine Nährstoffniveau, welches enorm gestiegen ist und das Verschwinden des früher verbreiteten Mosaiks von unterschiedlich genutzten Flächen (Schmid et al. 2007). Weitere qualitative Veränderungen der letzten Jahrzehnte beschreibt Bosshard (2016): Die Schlagkraft hat sich vervielfacht mit früherem Schnitt, viel höherer Nutzungsfrequenz und der zeitgleichen Nutzung viel grösserer Flächen. Die Erträge sind um ca. 60-80% gestiegen. Kleinstrukturen und Kulturlandschaftselemente sind verschwunden. Die schwereren Maschinen haben eine problematische Bodenverdichtung zur Folge und insbesondere für die Fauna destruktive Ernteverfahren (Rotationsmähwerke, Futteraufbereiter, Silagetechnik) nehmen zu. Heute wird vorwiegend Güllewirtschaft (rasch verfügbare Nährstoffe) statt der früher üblichen Festmistwirtschaft betrieben und durch den Wechsel von der Dürrfutterbereitung (Heu) zur Silage liegt der Nutzungszeitpunkt des ersten Aufwuchses heute früher im Jahr, es sind mehr Nutzungen pro Jahr möglich, die Ernte verläuft rascher und die Pflanzen können weniger absamen. Meliorationen, das Zusammenlegen von Parzellen und das Verschwinden von extensiven Parzellengrenzen bewirken ebenfalls grosse Veränderungen. Ein nächster Schritt steht mit der zukünftigen Automatisierung der Bewirtschaftung bevor. Anschaulich illustriert [https://www.pronatura.ch/de/wiesen-und-weiden Pro Natura anhand von Beispielen] die Entwicklung ehemals artenreicher Wiesen in artenarme Fettwiesen.<br />
<br />
Die ökologischen Auswirkungen der oben beschriebenen Veränderungen sind mannigfaltig: beispielsweise führt die Intensivierung der Graslandkultivierung und die früheren Schnittzeitpunkte zu einer Abnahme der Samenbank im Boden (Klimkowska et al. 2007). Die früheren Schnittzeitpunkte führen zur Überlappung mit der Brutsaison bodenbrütender Vögel; durch Mahd werden die Nester mechanisch zerstört oder sind für Prädatoren nach dem Schnitt leichter zugänglich oder die Futterverfügbarkeit wird während einer kritischen Phase der Nestlinge dezimiert (Britschgi et al. 2006). Einzelflächen wie auch die Gesamtfläche ökologisch wertvoller Wiesen und Weiden sind zu klein und zu stark fragmentiert. Kleine Grünlandflächen sind besonders empfindlich gegenüber negativer Randeffekte (z.B. Eindringen anderer Arten) und ökologischer Drift. Die durchschnittliche Grösse der TWW von nationaler Bedeutung beträgt heute 4.7 ha und im Sömmerungsgebiet 10.5 ha (Guntern et al. 2013): eine Wiederbesiedlung durch Tagfalter, Hummeln und Reptilien ist möglich, wenn die Flächen nicht weiter als 1-3 km voneinander entfernt sind. Charakteristische Heuschrecken und Laufkäfer dagegen überwinden selten Distanzen von über 100 m.<br />
<br />
'''Nährstoffversorgung im Grünland''' <br/><br />
Stickstoff ein elementarer Baustein aller Lebewesen; Pflanzen nehmen ihn über die Wurzeln in der Form von Ammonium oder Nitrat auf. Pflanzenverfügbarer Stickstoff ist natürlicherweise in den meisten Böden Mangelware – in den letzten Jahrzehnten gelangten jedoch riesige Mengen von Stickstoffverbindungen als Mineraldünger, Gülle oder aus Verbrennungsprozessen direkt oder indirekt über die Luft in die Böden. Der natürliche atmosphärische Eintrag von biologisch aktivem Stickstoff beträgt lediglich 0.5 – 2 kg/ha. Heute gelangt durchschnittlich 16 kg/ha Stickstoff über die Luft in den Boden, was in etwa der ausgebrachten Menge für mittel intensiv genutzten Wiesen entspricht. Peter (2011) weist darauf hin, dass bei drei der vier umweltrelevanten Stickstoffformen (Ammoniak, Nitrat und Lachgas) die Landwirtschaft gesamtschweizerisch gesehen die Haupt Emittentin ist. So müssten beim Ammoniak beispielsweise die Emissionen aus der Landwirtschaft annähernd halbiert werden, damit eine substanziell schädigende Wirkung in sensiblen Ökosystemen verhindert werden könnte. Für artenreiche Wiesen (kollin und montan) liegt der kritische Eintragswert bei 10-30 kg N pro Hektar und Jahr (Guntern 2016a). Entsprechend sind bspw. 49% der Trockenwiesen von den negativen Auswirkungen des atmosphärischen Stickstoffeintrags betroffen; die kritischen Eintragswerte (critical loads) werden in vielen Lebensräumen z.T. massiv überschritten (BAFU 2017). In Wiesen führt dies zu einer Bodenversauerung, zu einer starken Abnahme der Pflanzendiversität und zur Dominanz einiger weniger Grasarten und ist mitverantwortlich für die extreme Artenverarmung im Wiesland insbesondere in den Tieflagen (Bosshard 2016). Heutige Bestände sind im Vergleich zu früher wüchsiger und dichter.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Stickstoffbilanz 2015 BFS 2.png<br />
| text = Die Stickstoffbilanz in den Landwirtschaftsflächen (inkl. Alpweiden) zeigt langfristig betrachtet zwar einen rückläufigen Überschuss, dennoch resultierte 2015 ein Überschuss von 60 kg/ha (1990er-Jahre > 80 kg/ha). Quelle: Landwirtschaft und Ernährung, Taschenstatistik BFS 2018)<br />
}}<br />
<br />
Auch Phosphor ist einer der Hauptnährstoffe der Pflanzen und wird in der Landwirtschaft als Düngemittel eingesetzt. In den letzten zehn Jahren belief sich der Phosphorüberschuss auf rund 400 t/Jahr.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = phosphorbilanz 2018 de zg.png<br />
| text = Phosphorbilanz der Landwirtschaftsflächen. Phosphormengen, die in landwirtschaftliche Böden gelangen bzw. ihnen entzogen werden. Quelle: BFS – Umweltgesamtrechnung (2020)<br />
}}<br />
<br />
Im intensiv genutzten Grasland werden ausserdem steigende Zink- und Kupfereinträge beobachtet, welche aus dem Hofdünger (Gülle und Mist) bzw. aus den Futtermitteln stammen (Gubler et al. 2015). Aufgrund der hohen landwirtschaftlichen Nutzungsintensität kann auch im Grünland davon ausgegangen werden, dass vielerorts das Bodenleben dadurch beeinträchtigt wird.<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* BAFU (2017): [https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/biodiversitaet/uz-umwelt-zustand/biodiversitaet-schweiz-zustand-entwicklung.pdf.download.pdf/UZ-1630-D_2017-06-20.pdf Zustand und Entwicklung Biodiversität Schweiz]<br />
* Guntern et al. (2013): [http://www.ngzh.ch/media/pdf/Flaechenbedarf.pdf Flächenbedarf für die Erhaltung der Biodiversität und der Ökosystemleistungen in der Schweiz]<br />
* BAFU (2017): [https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/boden/uz-umwelt-zustand/boden-schweiz.pdf.download.pdf/UZ-1721-D_Boden2017.pdf Boden in der Schweiz. Zustand und Entwicklung. Stand 2017] <br />
* BFS (2018): [https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kataloge-datenbanken/publikationen/uebersichtsdarstellungen/taschenstatistik-schweiz.html Taschenstatistiken] <br />
* BLW (2019): [https://www.agrarbericht.ch/de Agrarbericht 2019]<br />
<br />
==Zustand und Entwicklung der Artengemeinschaften des Grünlands==<br />
Bei einer Vergleichsuntersuchung fanden Schlup et al. (2013) im extensiv bewirtschafteten Grünland (Kammgrasweide, Fromental- und Goldhaferwiese, Halbtrockenrasen) eine höhere Artenzahl an Gefässpflanzen als im durchschnittlichen Grünland der Schweiz. Ausserdem kamen im extensiven Grünland deutlich mehr Kenn- und Charakterarten sowie gefährdete Arten vor. Spezialisiertere Grünlandarten werden zunehmend von Generalisten verdrängt und es findet eine Trivialisierung statt.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = TWW Kennarten de zs.png<br />
| text = Die Tabelle zeigt, wie wichtig besonders wertvolle Lebensräume für den Erhalt von vielen Tiergruppen sind. Quelle: Hotspot 18, Forum Biodiversität Schweiz 2008)<br />
}}<br />
<br />
Demnach weist ein beträchtlicher Teil der Arten eine erhöhte Bindung zu Trockenwiesen und -weiden auf.<br />
Lebensraumverlust und -degradierung haben auf die Biodiversität im Grünland einen negativen Einfluss, wie die folgende Darstellung aus dem Biodiversitätsmonitoring Schweiz zeigt (BAFU):<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Indikatoren de zs.png<br />
| text = Vielfalt von Artengemeinschaften in Wiesen und Weiden - Index* von 0 (einheitlich) bis 100 (vielfältig), aller paarweisen Vergleiche der Stichprobenflächen, in Prozent. *Mittelwerte über einen Zeitraum von jeweils fünf Jahren. Quelle: BAFU: Biodiversitäts-Monitoring Schweiz BDM 2018<br />
}}<br />
<br />
Die Artenvielfalt ist seit Mitte der 2000er Jahre insgesamt zurückgegangen und deutet auf eine gesamtschweizerische Vereinheitlichung der Wiesen und Weiden hin, was einem Verlust der Biodiversität gleichkommt. Jedoch ist der Verlust der Artengemeinschaften in diesen Lebensräumen schon seit mindestens einigen Jahrzehnten im Gang: In den letzten 120 Jahren hat sich die durchschnittliche Pflanzenartenvielfalt auf 81 Wiesen fast halbiert (Schlup et al. 2013). Generell wird festgestellt, dass v.a. häufig vorkommende Arten zugenommen haben, welche keine besonderen Ansprüche an ihren Lebensraum stellen. Spezialisierte Grünlandarten werden zunehmend von Generalisten verdrängt, was zu einer Trivialisierung der Wiesen und Weiden führt.<br />
<br />
Auch die meisten Vogelarten, welche auf Äckern, Wiesen und Weiden brüten, sind aufgrund der hohen landwirtschaftlichen Nutzungsintensität im Rückgang begriffen: Der schweizerische Index der für das Kulturland typischen Brutvögel (46 UZL-Arten) hat seit 1990 um fast 30% abgenommen, der europäische Agrarvogelindex seit 1980 um über 50% (BLW 2017, Becker et al. 2014). Auch die Bergidylle ist zunehmend bedroht: ein Langzeitvergleich der Vogelwarte zeigt, dass im Engadin innerhalb von 22 Jahren der Anteil an wenig intensiv genutzten und artenreichen Wiesen von 32 auf 27% gesunken und die Brutbestände von Feldlerche, Baumpieper und Braunkehlchen um 44-61% gesunken sind (Korner et al. 2017). Den blütenbesuchenden Insekten wird durch den Rückgang des reichen Blüten- und Nektarangebots die Nahrungsgrundlage entzogen. Wesche et al. (2014) stellten bei Heuschrecken und Wanzen in Auen und Trockenwiesen innert 50 Jahren einen dramatischen Einbruch der Individuenzahlen (>60%) bei teils konstanten, teils zunehmenden Artenzahlen fest. Die botanische Zusammensetzung von Fromentalwiesen zeigt im Vergleich zu den 1950er Jahren eine durchschnittliche Abnahme der Artenzahl von rund 30% bei einer ebenfalls deutlichen Qualitätseinbusse (Bosshard 2015c).<br />
<br />
Im Rahmen des Monitoringprogramms ALL-EMA werden der Zustand und die Veränderung von Arten und Lebensräumen der Umweltziele Landwirtschaft in der offenen Agrarlandschaft Schweiz erfasst und die Biodiversitätsförderflächen beurteilt. Eine erste umfassende Auswertung zum Zustand der Biodiversität ist 2020 vorgesehen.<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* [https://www.agroscope.admin.ch/agroscope/de/home/themen/umwelt-ressourcen/monitoring-analytik/all-ema.html ALL-EMA]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/zustand/indikatoren.html Vielfalt von Artengemeinschaften in Wiesen und Weiden (BAFU)]<br />
* [http://www.biodiversitymonitoring.ch/de/home.html Biodiversitätsmonitoring Schweiz]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/biodiversitaet/uw-umwelt-wissen/umweltziele_landwirtschaftstatusbericht.pdf.download.pdf/umweltziele_landwirtschaftstatusbericht.pdf BAFU & BLW (2016): Umweltziele Landwirtschaft UZL.]<br />
<br />
=Gefährdung und Gefährdungsursachen=<br />
43% der unter dem Begriff „Grünland“ zusammengefassten Lebensraumtypen gelten als gefährdet. Die wertvollsten Flächen der Trockenwiesen und -weiden sind in einem Inventar (TWW) bezeichnet - seit 1900 sind rund 95% der TWW in der Schweiz verschwunden.<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = Gefaehrdungskat Grünland de.png<br />
| text = Einstufung der 30 Lebensraumtypen des Grünlandes gemäss Roter Liste.<br />
}}<br />
<br />
Gefährdungsursachen und wichtige Treiber sind (Delarze et al. 2015, Bosshard 2016, Becker et al. 2014):<br />
* Der Verlust an Grünland-Lebensräumen durch Nutzungsaufgabe in Grenzertragslagen und nachfolgender Sukzession, durch Umwandlung von Grünland in Ackerland oder Kunstwiesen und durch den Siedlungs- und Strassenbau. Als Folge der Lebensraumverluste sind verbleibende Habitate oft zu klein und/oder von Isolation bedroht. Bis Fragmentierung und Randeffekte zum Verlust von Arten führen, kann es Jahrzehnte dauern; man spricht deshalb auch von der sogenannten Aussterbeschuld. Im Sömmerungsgebiet verschwinden mittel-wertvolle Flächen. Das aktuelle Instrument der BFF gibt im Sömmerungsgebiet keine Kriterien zur Bewirtschaftung vor. Es gibt Hinweise, dass die Kartierung der TWW nicht vollständig ist. Es besteht die Gefahr, dass wertvolle Flächen durch Intensivierung, falsche Nutzung oder Nutzungsaufgabe verloren gehen.<br />
* Intensivierung, moderne oder ungeeignete Bewirtschaftung sowie Nährstoffeinträge: Der Strukturwandel in der Landwirtschaft und die damit verbundene Intensivierung hat vielfache Auswirkungen auch auf das Grünland. Düngung und Zufütterung in der Viehhaltung haben vervielfachte Nährstoffeinträge und die Eutrophierung des Bodens zur Folge. Durch das Düngen werden viele Grünlandarten, insbesondere Kräuter, verdrängt und die Artenvielfalt nimmt in der Folge ab, weil wenige Arten dank dieser zugeführten Nährstoffe schnell wachsen, rasch Biomasse aufbauen und den Boden für den Aufwuchs anderer Pflanzen beschatten (Gerowitt et al. 2013). Die Intensivierung umfasst ausserdem die frühere Nutzung der Bestände zur Erzielung hoher Futterqualität (für die Hochleistungs-Milchkühe) und eine generell erhöhte Schlagkraft (mit schweren Maschinen), häufigere Nutzungen, den Einsatz von Pestiziden, Flurbereinigungen und Strukturverlust sowie kulturtechnische Massnahmen zur Entwässerung, Kalkung oder Bewässerung der Flächen. Des Weiteren werden Flächen eingeebnet bzw. unter Einsatz von bspw. Forstmulchern intensiviert. Vorgegebene Schnittzeitpunkte bewirken eine Monotonisierung der Landschaft sowie ein zeitgleiches Wegfallen von Nahrungsquellen. All diese Faktoren sowie die Aufgabe bestimmter Nutzungsformen führen zu einer Vereinheitlichung der Lebensräume. <br />
* Der Klimawandel stellt für den Wandel der Biodiversität und Ökosysteme einen bedeutenden Faktor dar (Guntern 2016b): insbesondere spielen der Temperaturanstieg sowie Veränderungen im hydrologischen Regime eine Rolle. Höhere Temperaturen und zunehmende Niederschlagsmengen führen bei gleichmässiger Bodendurchfeuchtung zu einer zunehmend schnelleren Wuchsleistung des Grünlands. Aus dem Biodiversitätsmonitoring ergeben sich Hinweise, dass im Mittelland bestimmte Lebensräume einerseits wärmer, andererseits auch trockener werden (BDM-Facts Nr. 4, BAFU 2012).<br />
* Auch invasive, gebietsfremde Arten können auf die heimische Biodiversität nachteilig wirken. V.a. folgende Arten bereiten bisher grossflächig Probleme im extensiv genutzten Wiesland: das Einjährige Berufkraut (''Erigeron annuus''), die beiden Goldrutenarten (''Solidago canadensis'' und ''S. serotina'', v.a. im unternutzten oder spät gemähten, feuchten bis wechselfeuchten Wiesland) sowie das Schmalblättrige Kreuzkraut (''Senecio inaequidens''). Weitere Neophyten mit invasivem Ausbreitungspotenzial werden auf der Neophyten-Watch-List geführt. Die (bemerkenswerte) Resistenz gegenüber neu eingebrachten Arten scheint ein Charakteristikum des mitteleuropäischen Wieslands zu sein (Bosshard 2016).<br />
* Je nach Lebensraumtyp und Lage des Grünlandes stellen auch Freizeitaktivitäten bzw. Erholungsnutzung Gefährdungsfaktoren dar. In Deutschland sind insbesondere auch der Anbau von Energiepflanzen (Biogasproduktion, Raps für Kraftstoffproduktion) sowie die Agrophotovoltaik mögliche Gefährdungstreiber.<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = rationelle Mahd as 96 dpi.jpg<br />
| text = Rationelle Erntemaschinen töten und verletzten viele Tiere.<br />
}}<br />
<br />
Nachfolgend werden einige ausgewählte Gefährdungsfaktoren näher beleuchtet.<br />
<br />
'''Unternutzung und Nutzungsaufgabe''': <br/><br />
Eine extensive Bewirtschaftung wird in Gebieten mit ungünstigen Produktionsbedingungen (Hangneigung, Bodenstruktur) immer weniger rentabel. In den letzten dreissig Jahren bewegten sich die Veränderungen in der Nutzungsform im Alpenraum stets in Richtung eines geringeren Bewirtschaftungsaufwands: von der Schnitt- zur Weidenutzung und von der Beweidung zur Verbrachung (Leitgruppe NFP 48 2007). Eine Unternutzung oder eine gänzliche Aufgabe der Bewirtschaftung führen kurzfristig zu Verbrachungserscheinungen, mittelfristig zu Verbuschung und Einwaldung. Wenn die Biomasse nicht weggeführt wird, tritt im Laufe der Jahre zunehmend Lichtmangel v.a. für die dichte, bodennahe Schicht in Form von sogenanntem Streuefilz auf. Gerade seltene und gefährdete Arten verschwinden oft zuerst und werden durch Generalisten ersetzt, bevor die Bewaldung einsetzt (Bosshard 2016). Im günstigsten Fall kann bereits nach 20 Jahren auf einer früheren Magerwiese oder -weide ein Wald stehen. In sehr magerem Wiesland führt die Nutzungsaufgabe und Verbrachung jedoch nicht zu einem Artenverlust, da die Wüchsigkeit für das Ausbilden eines Streuefilzes nicht ausreicht oder dieser rasch wieder abgebaut wird (bspw. durch Wind). Die natürliche Wiederbewaldung in Grenzertragslagen wird als Ausdruck eines grundlegenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels interpretiert, bei dem der Rückgang der Armut und die Zunahme des Wohlstands eine grosse Rolle spielen (Leitgruppe NFP 48 2007). Durch die abnehmende Verfügbarkeit von Arbeitskräften sind auch pflegerische Arbeiten der Bewirtschaftung gefährdet: damit eine möglichst langfristige Produktivität des Kulturbiotops sichergestellt werden kann, sind Pflegearbeiten wie Frühjahrssäuberung, exaktes Mähen, Abrechen des Schnittguts usw. notwendig, damit die «Saatbett-Bereitung» bzw. das Vorhandensein von Keimstellen gesichert ist.<br />
<br />
'''Steinfräsen''': <br/><br />
Steinfräsen zerkleinern Steine und Felsen, zermalmen und brechen den Boden auf, beseitigen Kleinstrukturen und Unebenheiten im Gelände. Diese irreparable Zerstörung der natürlichen Vegetation und der Kleinstrukturvielfalt ist u.a. für den Verlust von Baumpieper und Feldlerche im jurassischen Brutgebiet mitverantwortlich. Im Jura werden seit den 1990er-Jahren Steinfräsen teilweise grossflächig eingesetzt, um die wertvollen Kleinstrukturen zu eliminieren und ganze Flächen zu planieren. Die Gesetzeslage ist kantonal unterschiedlich (SO, JU, VD nicht erlaubt, NE & BE teilweise erlaubt) und trotz Verbot sind unbewilligte Fälle bekannt (Apolloni et al. 2017). Steinfräsen werden auch in höheren Lagen der Alpen regelmässig eingesetzt. Sie stellen eine so grosse Gefahr für die Biodiversität dar, dass sie verboten gehören.<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* Delarze et al. (2016): [https://www.infoflora.ch/de/lebensraeume/rote-liste.html Rote Liste der Lebensräume der Schweiz]<br />
* Trockenwiesen und -weiden der Schweiz (TWW) [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/fachinformationen/massnahmen-zur-erhaltung-und-foerderung-der-biodiversitaet/oekologische-infrastruktur/biotope-von-nationaler-bedeutung/trockenwiesen-und--weiden.html Inventar, Vollzugshilfe und Merkblätter, Fallstudien]<br />
* [https://www.wsl.ch/de/biotopschutz-schweiz.html Wirkungskontrolle Biotopschutz Schweiz]<br />
<br />
=Rechtsgrundlagen =<br />
* [https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19983407/index.html Landwirtschaftsgesetz (LwG)]<br />
* [https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19983381/index.html Landwirtschaftliche Begriffsverordnung (LBV)]<br />
* [https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20130216/index.html Direktzahlungsverordnung (DZV)]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/oekologischer-leistungsnachweis.html Ökologischer Leistungsnachweis (ÖLN) gemäss DZV, Übersicht zu den einzelnen Artikeln]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/biodiversitaetsbeitraege.html Übersicht über die Biodiversitätsbeiträge pro BFF-Typ und Qualitätsstufe]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/biodiversitaetsbeitraege/qualitaetsbeitrag.html Weitere Ausführungen zu den BFF-Qualitätsbeiträgen (QI und QII)]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/biodiversitaetsbeitraege/vernetzungsbeitrag.html Weitere Ausführungen zu den Vernetzungsbeiträgen]<br />
* Die rechtliche Grundlage für den nationalen Schutz der Trockenwiesen und -weiden bildet das [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/fachinformationen/massnahmen-zur-erhaltung-und-foerderung-der-biodiversitaet/oekologische-infrastruktur/biotope-von-nationaler-bedeutung/trockenwiesen-und--weiden.html Inventar über die Trockenwiesen und -weiden mit den entsprechenden Verordnungen und Vollzugshilfen].<br />
<br />
=Praxisrelevante Wissenslücken =<br />
Nachfolgend sind wichtige Themen aufgeführt, zu welchen (teilweise) Wissenslücken bestehen:<br />
* Vorkommen und Verbreitung ökologisch wertvoller Grünlandflächen im Sömmerungsgebiet, flächendeckende Inventarisierung<br />
* Wissenschaftliche Grundlagen zum Düngungsbedarf von Fromental- und Goldhaferwiesen im Hinblick auf die botanische Vielfalt fehlen, Praxisversuche sind wünschenswert.<br />
* Es gibt kaum systematische Erfahrungen zum Etzen in Zusammenhang mit der Biodiversitätsförderung im artenreichen Wiesland, übergeordnete Erfolgskontrollen sind erwünscht.<br />
* Phänologisch basierte Schnittzeitpunkte<br />
* Einfluss von Heubläser-Einsätzen auf die Biodiversität, insbesondere die Fauna (Richner et al. 2014 beleuchten den Einfluss auf die Vegetation)<br />
* Auswirkungen der Bewirtschaftung auf die Fauna über alle Mäh- und Nachbereitungsgeräte hinweg unter vergleichbaren Bedingungen untersuchen. Verhalten der Populationen auf mehrschürigen Wiesen im Jahresverlauf.<br />
* Angaben zu Ausmass und Verbreitung von Bodenverdichtungen<br />
<br />
=Literatur=<br />
Die Publikationen zum Grünland sind äusserst umfangreich. Wir stellen Ihnen die gesamte [[Media:Dokumentation Grünland Literatur.pdf|Liste an verwendeter Literatur]] zur Verfügung.<br />
<br />
= Weitere Kapitel zum Grünland=<br />
* [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland Einleitung und Zusammenfassung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie Praxisrelevante Ökologie]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung Erhalt und Aufwertung durch optimierte Bewirtschaftung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat Aufwertung und Neuschaffung durch Direktbegrünung und Ansaat]<br />
<!--* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisbeispiele Praxisbeispiele]--><br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || [https://www.faunatur.ch/portr%C3%A4t/ Karin Loeffel]|| [https://www.faunatur.ch/ faunatur]<br />
|-<br />
| Review|| Andreas Bosshard || [http://www.agraroekologie.ch/ueber-uns/team/ Ö+L GmbH] <br />
|-<br />
| || Jean-Yves Humbert || [https://www.cb.iee.unibe.ch/about_us/pd_dr_humbert_jean_yves/index_eng.html Universität Bern, Conservation Biology]<br />
|-<br />
| || Heiri Schiess || <br />
|-<br />
| || André Stapfer || <br />
|-<br />
| || Markus Staub || [https://www.poel.ch/ Projekte Ökologie Landwirtschaft] <br />
|-<br />
| || Gaby Volkart || [http://www.ateliernature.ch/atena/francais.php atena]<br />
|-<br />
|}<br />
<br /></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Gr%C3%BCnland/Grundlagen&diff=4717
Grünland/Grundlagen
2023-03-12T13:45:57Z
<p>VB2: </p>
<hr />
<div>[[fr:Milieux prairiaux/Informations de base]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Fromentalwiese ABosshard zg 96 dpi.JPG<br />
| text = Die Fromentalwiesen sind innerhalb weniger Jahrzehnte weitestgehend verschwunden.<br />
}}<br />
<br />
=Sukzession und Bedeutung des Grünlands=<br />
Mit wenigen Ausnahmen ist Grünland keine natürliche Vegetation - bleibt eine Nutzung aus, folgt der Verlauf der meisten Grünland-Lebensraumtypen der natürlichen Sukzession. Maag et al. (2001) zeigen die verschiedenen Sukzessionsverläufe für unterschiedliche Standorte. Dabei hat jede Stufe der Sukzession beispielsweise eines Trockenrasens bis hin zum Wald ihren ökologischen Wert; die Artenvielfalt kann durch ein Nebeneinander verschiedener Sukzessionsstadien erhöht werden (Diacon et al. 2011). Die unterschiedlichen Stadien der Verbrachung und Verbuschung weisen willkommene Rückzugsgebiete und Nahrungsreservoirs für Reptilien, Spinnen und viele Insekten dar. Insbesondere jüngere Brachen können floristisch und faunistisch äusserst wertvoll sein; langfristig ist dagegen die Artenvielfalt in Dauerbrachen gefährdet (Dipner & Volkart 2010). <br />
<!-- Abbildung weglassen, weil nicht in guter Qualität zur Verfügung; Alternative: Foto einwachsender Wiese. In der folgenden Abbildung sind die Phasen der Verbuschung nicht mehr bewirtschafteter Halbtrockenrasen dargestellt (Quelle: Briemle et al. 1993):--><br />
<br />
Die Bedeutung des Grünlandes ist vielfältig und eine grosse Bandbreite von allgemeinen, nicht nur an das Grünland gebundene Ökosystemleistungen sind auch mit diesen Lebensräumen verbunden, wie produktive Erzeugnisse, genetische Ressourcen von Futterpflanzen, Bestäubungsleistungen, Erosionsvermeidung, kulturelle Leistungen, Speicherung von Kohlenstoff (Guntern et al. 2013). Ebenfalls relevant sind die mit dem Grünland verbundenen ästhetisch-landschaftlichen Aspekte bspw. im Hinblick auf die touristische Nutzung oder die Erholungsfunktion. Aus landwirtschaftlicher Sicht ist die Bedeutung des Grünlandes als Stätte der Futterproduktion zentral. Entsprechend sind Wiesen und Weiden für die landwirtschaftliche Nutzung im Laufe der vergangenen Jahrzehnte „optimiert“ worden. Beispielsweise stellen die Hochleistungsrassen in der Milchwirtschaft hohe Ansprüche an den Futterwert des Grünlandes: im jüngeren Aufwuchs ist der Rohfasergehalt niedriger und die Anteile an Rohprotein und Mineralstoffen höher. Entsprechend sind der Energiegehalt und die Verdaulichkeit des Futters besser. Damit sind die Anforderungen der Hochleistungsmilchwirtschaft mit dem Erhalt des artenreichen Grünlands nicht vereinbar (Gerowitt et al. 2011); landwirtschaftlich intensiv genutzte Wiesen haben kaum einen ökologischen Wert verglichen mit artenreichem Grünland.<br />
<br />
=Typologie des Grünlands=<br />
Je nachdem, worauf der Fokus liegt, kann das Grünland in Unterkategorien aufgeteilt werden; man kann vegetationskundliche, ökologische oder auch futterbauliche Kriterien anwenden.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Haber de zg.png<br />
| text = Haber (2014) gliedert das Grünland i.w.S. wie oben dargestellt (Abbildung leicht verändert).<br />
}}<br />
<br />
Dietl & Grünig (in Oppermann & Gujer 2003, S. 60) gliedern die artenreichen (Mäh-)Wiesen der Schweiz nach Wasser- und Nährstoffhaushalt in 19 Wiesentypen auf. Ihre tabellarische Übersicht zeigt für die jeweiligen Wiesentypen kennzeichnende Artengruppen und -kombinationen. Für den gedüngten Bereich wurde die obengenannte Systematik weiterentwickelt und [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie#Lebensr.C3.A4ume_des_Gr.C3.BCnlands Bosshard (2016) unterscheidet in der Folge für das gedüngte Wiesland neun Typen].<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = bosshard Genese de.png<br />
| text = Genese und Höhenverbreitung der gedüngten Wiesentypen. <br/> Quelle: Bosshard, A., 2016. Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas. Mit besonderer Berücksichtigung der Fromentalwiesen und des standortgemässen Futterbaus, Bristol-Schriftenreihe Band 50. Haupt Verlag, Bern. © Andreas Bosshard<br />
}}<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* Vereinfachter dichotomer Bestimmungsschlüssel zur Identifikation von Fromental- und Goldhaferwiesen in Bosshard (2016, S. 188).<br />
* [http://www.agraroekologie.ch/SchluesselGeduengteNaturwiesen.xls Bestimmungsschlüssel für die Wiesentypen des gedüngten Naturwieslands der Schweiz]<br />
* [https://ira.agroscope.ch/de-CH/publication/46127 Bestimmungsschlüssel für Lebensräume der offenen Kulturlandschaft] (Buholzer et al. 2015)<br />
* Die [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/fachinformationen/massnahmen-zur-erhaltung-und-foerderung-der-biodiversitaet/oekologische-infrastruktur/biotope-von-nationaler-bedeutung/trockenwiesen-und--weiden.html Kartier- und Bewertungsmethode zur Erarbeitung des Inventars der Trockenwiesen und -weiden] ist im Technischen Bericht ausgeführt (Eggenberg et al. 2001)<br />
* [https://www.infoflora.ch/de/lebensraeume/typoch/4-grnland-naturrasen-wiesen-und-weiden.html Klassifikation der Grünlandlebensräume nach Delarze et al. (2015)]<br />
<br />
=Zustand und Entwicklung des Grünlands in der Schweiz=<br />
==Entstehung von Grünland==<br />
Grünland ist in Mitteleuropa vor 8000 Jahren durch Waldrodung zur Ackernutzung entstanden. Die anschliessend nicht mehr für den Ackerbau genutzten Flächen begrünten sich und wurden als Viehweiden genutzt. Wo Wiesland in prähistorischer Zeit vorkam, ist weitgehend ungewiss und wird in Bosshard (2016) kurz ausgeführt.<br />
<br />
Kapfer (2010a, 2010b) und Bosshard (2016) beleuchten die Entstehungsgeschichte und die historische Wies- und Weidelandnutzung und stellen sie in Vergleich mit heutigen Nutzungsformen: Während vieler hundert Jahre war das Wiesland in das Produktionssystem der auf Getreidebau ausgerichteten Dreizelgenwirtschaft ausgerichtet. Der Heu- und Emdschnitt führte zusammen mit den geringen Mistgaben (rund um den Hof herum) und der historisch üblichen Frühjahrsvorweide (Etzen) zu einer langfristigen Ausmagerung der Böden mit entsprechenden Folgen für die Vegetation. Reine Mähwiesen haben sich grossflächig erst im 19. Jahrhundert entwickelt, vorher waren alle Wiesen auch beweidet (Frühjahrs- oder Herbstweide). Nach dem Etzen erfolgte der Heuschnitt später und die Wiesenpflanzen konnten ihre individuelle Entwicklung bis zur Samenreife und dem Ausstreuen der Samen vollständig abschliessen. Die heutige erste Hauptnutzung auf den Mager- und Fromentalwiesen beim Heuschnitt entsprach historisch der zweiten Nutzung. Früher orientierte man sich für den Beginn und das Ende bestimmter Bewirtschaftungsgänge an Heiligen-Tagen. Diese Orientierungszeitpunkte wurden jedoch je nach Jahresverlauf bspw. für den Mahdbeginn auch flexibel gehandhabt. Die Ernte einzelner Flächen erstreckte sich über mehrere Wochen hinweg. Das Heu der Schnittwiesen wurde auf der Fläche getrocknet, wodurch eine erfolgreiche generative Vermehrung gefördert wurde (Poschlod 2011). Im Laufe der Zeit führten neue Ernteverfahren, Bewässerungsmassnahmen und neu auch die phänologischen Veränderungen aufgrund des Klimawandels zu einem früheren ersten Schnitt von Wiesen (Guntern et al. 2013).<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Bewirtschaftungsschemata Kapfer zg 96 dpi.jpg<br />
| text = Bewirtschaftungsschema der drei wichtigsten Wiesentypen der alten Dreizelgenwirtschaft. Quelle: Kapfer, A. (2010): Beitrag zur Geschichte des Grünlands Mitteleuropas im Hinblick auf den Arten- und Biotopschutz. Darstellung im Kontext der landwirtschaftlichen Bodennutzungssysteme. In: Naturschutz und Landschaftsplanung 42 (5), S. 133–140.<br />
}}<br />
<br />
<br /><br />
<table border="0", style="font-size:108%"> <br />
<tr> <br />
<td> '''Die ökologischen Auswirkungen und die Anwendung des Etzens (Frühjahrsvorweide) (Quelle: Bosshard 2015b)''' <br /> Etzen war bis ins 18./19. Jh. die übliche erste Nutzung von Mähwiesen. Heute wird die Vorweide dagegen vor allem im Berggebiet in den intensiver genutzten Wiesentypen noch regelmässig praktiziert. Etzen bewirkt langfristig einen Nährstoffentzug, die Wüchsigkeit einer Wiese wird vermindert und dadurch, dass kurzfristig Licht in den Bestand eingebracht wird, werden empfindlichere Pflanzen artenreicher Wiesen gefördert. Die längere bewirtschaftungsfreie Phase zwischen der Frühjahrsweide und dem nächsten Nutzungszeitpunkt durch Mahd führt zu einem deutlich schmackhafteren, gehaltvolleren (da eiweissreicheren) Heuaufwuchs, so dass Etzen auch aus futterbaulicher und wirtschaftlicher Sicht von Interesse sein dürfte. <br />
Das kurze, schonende Überweiden einer Wiese im Frühjahr führt zu einem strukturierteren Pflanzenbestand, einem längerdauernden Blütenangebot und einem späteren Heuschnitt und gewisse Tierarten (Tagfalter, Heuschrecken und wiesenbrütende Vogelarten) können davon profitieren (SHL 2008). Aus praktischen Gründen (logistischer Aufwand) kommt das Etzen nur für eine Minderheit von Grünlandflächen überhaupt in Frage und ist für BFF-Flächen bspw. im Rahmen von Vernetzungsprojekten realisierbar, sofern die kantonalen Vernetzungsrichtlinien dies vorsehen und begründen.</td> <br />
</tr> <br />
</table><br />
<br /><br />
<br />
Unter diesem historischen Blickwinkel ist die Entstehung der Artenvielfalt in Wiesen zu betrachten (Poschlod 2011): Die Artenzusammensetzung der Flachlandmähwiesen, wie sie sich in der heutigen Form präsentiert, ist wahrscheinlich erst etwa 300 Jahre alt; der namengebende Glatthafer (''Arrhenatherum elatius'') wurde erst Anfang des 18. Jahrhunderts eingeführt (d.h. ein durch Auswahl-Zucht verbesserter Ökotyp aus Südfrankreich). Möglicherweise ist die namengebende Art der Berg-Mähwiesen, der Goldhafer (''Trisetum flavescens'') ebenfalls erst zu dieser Zeit eingeführt worden. Fast alle Pflanzenarten des Wieslandes scheinen aus der autochthonen Flora zu stammen (bspw. aus lichten Stellen von Wäldern, aus Schotterflächen der Auen, aus den Randregionen der Hochmoore etc.). Verschiedene Futterpflanzen des Wieslandes sind (gezielt oder unabsichtlich) eingeführt worden und schon früh begann der Mensch, mit gezielten Einsaaten den Ertrag zu steigern.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Bewirtschaftungstypen Kapfer zg 1280 768.png<br />
| text = Übersicht zur Genese der Bewirtschaftungstypen des Grünlands Mitteleuropas. Quelle: Kapfer, A. (2010): Beitrag zur Geschichte des Grünlands Mitteleuropas im Hinblick auf den Arten- und Biotopschutz. Darstellung im Kontext der landwirtschaftlichen Bodennutzungssysteme. In: Naturschutz und Landschaftsplanung 42 (5), S. 133–140.<br />
}}<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* Zusammenfassende Betrachtungen und nähere Ausführungen zur Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des Grünlands liefern [http://www.dr-kapfer.de/index.php/download.html Kapfer (2010a, 2010b)], [https://pudi.lubw.de/detailseite/-/publication/90005 Poschlod (2011)] und Bosshard (2016).<br />
* Auch das [http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D13861.php Historische Lexikon der Schweiz] bietet zu verschiedenen Themen (Düngung, Futtermittel, Bewässerung, Wiesen, Weiden) informative Artikel.<br />
<br />
==Quantitativer und qualitativer Zustand und deren Veränderung==<br />
Das Grünland hat sich mit den technischen Möglichkeiten in der Landwirtschaft (Mechanisierung, Düngereinsatz) und den Flurbereinigungen der letzten Jahrzehnte stark verändert worden und verändert sich immer noch.<br />
<br />
Die [[Media:Tabelle Grünland Auszug Flächenbedarf.pdf|Tabelle]] gibt einen Überblick über die Ausdehnung und quantitative Veränderung der Schweizer Grünlandlebensräume. Quelle: «Guntern et al. (2013): Flächenbedarf für die Erhaltung der Biodiversität und der Ökosystemleistungen in der Schweiz», S. 96. Weitere Grünflächen befinden sich im Siedlungsgebiet.<br/><br />
<small>LN = Landwirtschaftliche Nutzfläche, SöG = Sömmerungsgebiet, BFF = Biodiversitätsförderfläche</small> <br />
{| class="wikitable" <br />
|-<br />
! style="width: 25%"| Lebensraum<br />
! style="width: 10%"| Zeit<br />
!colspan="2"|Ausdehnung [ha]<br />
! style="width: 25%"| Bemerkung, Quelle<br />
|- style="vertical-align:top;"<br />
| Wiesen und Weiden auf der LN (ohne SöG, Kunstwiesen) davon:<br/>- Extensiv genutzte BFF-Wiesen <br/>- Wenig intensiv genutzte BFF-Wiesen<br />
| 2011<br />
|colspan="2"|610’732 <br/><br/><br/>66‘056 <br/>22‘919<br />
| (BLW 2012) <br/>Wobei mit Qualität gemäss ÖQV: <br/>- Weiden, Waldweiden: 5'384 ha <br/>- Wiesen (inkl. Streuflächen): 28'864 ha<br />
|-<br />
| Sömmerungsgebiet <sup>1</sup> (SöG)<br />
| 2011<br />
|colspan="2"|505'385 (12% der CH)<br />
| Gemäss (Walter et al. 2013)<br />
|-<br />
|rowspan="2"|Trockenwiesen und –weiden (TWW)<br />
| 1900<br />
|colspan="2"|760‘000 (bis 900‘000)<br />
| (Eggenberg et al. 2001; Lachat et al. 2010b), Flächenverlust von 90-99% von TWW in den Regionen und 95% in der Schweiz. <sup>2</sup><br />
|-<br />
| 2010<br />
|colspan="2"|37‘011<br />
| <br />
|- style="vertical-align:top;"<br />
| Potenziell wertvolles Grasland auf der LN oder im SöG (ohne TWW, Moore Modell basierend auf der Steigung und der Höhe über Meer an den Fundorten von UZL-Ziel- und Leitarten.<br />
| 2012 <br/>Total: <br/>TZ: <br/>HZ: <br/>BZI: <br/>BZII: <br/>BZII: <br/>BZIV: <br/>SöG:<br />
| style="width: 20%"| [ha] <br/>231’688 <br/>3797 <br/>354 <br/>2'023 <br/>6943 <br/>9223 <br/>10'984 <br/>198'364<br />
| style="width: 20%"| [%] <br/> <br/>0.78 <br/>0.25 <br/>1.71 <br/>4.52 <br/>11.06 <br/>22.72 <br/>39.25<br />
| (Walter et al. 2013) <br/> <br/>TZ = Talzone <br/>HZ = Hügelzone <br/>BZ = Bergzone <br/> <br/>Grünland macht nahezu 100% des SöG sowie der LN in den BZIV und BZIII aus.<br />
|-<br />
|rowspan="2"|Fromentalwiesen auf der LN<br />
| 1950<br />
|colspan="2"|Abgesehen von TWW, Dauerweiden, Streuwiesen, Äckern nahezu alles<br />
| (Bosshard & Stähli 2012): genauere Angaben in Erarbeitung für Schlussbericht der laufenden Studie.<br />
|-<br />
| 2011<br />
|colspan="2"|3-8%<br />
| (Bosshard & Stähli 2012), wobei davon ca. 20% mit der Artenzusammensetzung von intensiv genutzten Fromentalwiesen der 1950er Jahre und max. 5% mit guter Qualität (pers. Mitteilung A. Bosshard) <br/>-> Rückgang von vermutlich > 90% und nahezu 100% für artenreiche Bestände (Bosshard 1998)<br />
|}<br />
<small><br />
<sup>1</sup> Gemäss Arealstatistik nahm die Alpwirtschaftliche Nutzfläche von 1979/85 bis 1992/97 von 555'662 um 3.2 % auf 537'802 ha ab. Ein weiterer Rückgang wurde bis 2004/09 festgestellt.<br />
</small> <br/><br />
<small><br />
<sup>2</sup> Schätzungsweise weitere Abnahme von 25-30% zw. 1995-2005 (Leibundgut 2007 zitiert in Graf & Korner 2011). Grössenordnungen in diesem Bereich sind im Wallis und Engadin durch Fallstudien bestätigt.<br />
</small><br />
<br />
<br/><br />
Ein Vergleich mit der Grünland-Situation in Deutschland zeigt: Ein mit der Schweiz (Tieflagen) vergleichbarer Anteil von rund 13% der Gesamtfläche (CH 14.7%) wird als landwirtschaftliches Grünland genutzt, der Grossteil davon ebenfalls intensiv (Boch et al. 2016).<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = Nutzung LN BFS 2018 96 dpi.png<br />
| text = Wie sich die landwirtschaftliche Nutzfläche der Schweiz auf die verschiedenen Nutzungstypen aufteilt. Quelle: BFS 2018, Die Schweiz in 21 Infografiken.<br />
}}<br />
<br />
Im Zeitraum von 1990 bis 2009 hat sich die Grünlandfläche in Deutschland um 875‘000 ha verringert. Zwischen 2003 und 2012 betrug der absolute Verlust des Dauergrünlands ca. 5%. In der Schweiz machen Landwirtschafts- und Alpwirtschaftsflächen zusammen mehr als einen Drittel der Gesamtfläche aus; zwischen 1985 und 2009 sind 85‘000 ha davon verlorengegangen, was der Grösse des Kantons Jura entspricht (BFS 2018). Die Fromentalwiesen, bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts der häufigste und zugleich produktivste Wiesentyp auf den guten Böden der tieferen Lagen Mitteleuropas, sind innerhalb weniger Jahrzehnte weitestgehend verschwunden. Damit einher ging eine qualitative Verschlechterung: ein Vergleich zwischen 1950 und 2009 zeigt, dass die damalig «intensiv» genutzten Wiesen in der Regel QII-Qualität hatten, heute hingegen in den noch vorhandenen Fromental-Vergleichswiesen nur noch ein Drittel diese Qualitätsanforderung erreicht («Fromentalwiesenprojekt», Bosshard 2016). Unter den besonders wertvollen Lebensräumen ging die Fläche der Trockenwiesen und -weiden zwischen 1900 und 2010 um 95% zurück.<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = TWW Zuerich Umweltbericht zg.png<br />
| text = Abnahme artenreicher Wiesen im Kanton Zürich. Quelle: Baudirektion Kanton Zürich (2008), Umweltbericht 2008.<br />
}}<br />
<br />
Im Schweizer Berggebiet nahm die Entwicklung des Futterbaus und der Wiesen und Weiden einen anderen Weg als im Mittelland: Erschwernislagen (steile oder schlecht erschlossene, meist mit vielen Kleinstrukturen durchsetzte Flächen) wurden zunehmend in Weiden umgenutzt oder ganz aus der Nutzung entlassen und ein Grossteil davon ist in der Folge verbuscht und verwaldet. Insgesamt hat die Waldfläche in den vergangenen 150 Jahren auf Kosten von Wiesen- und Weideflächen je nach Region um 30-100% zugenommen. Heute liegt der überwiegende Teil des artenreichen Wieslandes der Schweiz in solchen Erschwernislagen ab Bergzone I; besonders hoch ist dieser Anteil im Sömmerungsgebiet. Allerdings nehmen diese Flächen sowohl durch Nutzungsaufgabe als auch durch Intensivierung laufend ab (Bosshard 2016).<br />
<br />
Der Anteil BFF mit Qualitätsstufe II steigt stetig an; das Ziel eines 40%-Anteils wurde 2017 erstmals erreicht. Der Anteil im Talgebiet ist mit 28% jedoch immer noch tief (BLW 2018). Seit 2014 werden ebenfalls Beiträge für artenreiche Grün- und Streueflächen im Sömmerungsgebiet ausgerichtet; der Anteil dieser Flächen mit Qualitätsstufe II betrug 2017 217‘496 ha.<br />
<br />
{| class="wikitable" <br />
|- <br />
|colspan="5"| '''Übersicht über die Flächenanteile BFF mit QII-Qualität (in Hektaren) (Quelle: Agrarbericht BLW 2019)'''<br />
|-<br />
! BFF QII-Typ<br />
! style="text-align:right;" | Talregion<br />
! style="text-align:right;" | Hügelregion<br />
! style="text-align:right;" | Bergregion<br />
! style="text-align:right;" | Total<br />
|-<br />
| Extensiv genutzte Wiesen<br />
| style="text-align:right;" | 11495<br />
| style="text-align:right;" | 7395<br />
| style="text-align:right;" | 17411<br />
| style="text-align:right;" | 36301<br />
|-<br />
| Wenig intensiv genutzte Wiesen<br />
| style="text-align:right;" | 130<br />
| style="text-align:right;" | 411<br />
| style="text-align:right;" | 3220<br />
| style="text-align:right;" | 3761<br />
|-<br />
| extensiv genutzte Weiden und Waldweiden<br />
| style="text-align:right;" | 1468<br />
| style="text-align:right;" | 2830<br />
| style="text-align:right;" | 14759<br />
| style="text-align:right;" | 19057<br />
|-<br />
| artenreiche Grün- und Streuflächen im Sömmerungsgebiet<br />
| <br />
| <br />
| <br />
| style="text-align:right;" | 223509<br />
|}<br />
<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Entwicklung BFF Q2 2001 2016.png<br />
| text = Entwicklung (in Hektaren) der angemeldeten artenreichen Wiesen und Weiden (BFF mit Qualitätsstufe II) zwischen 2001 – 2016 (Quelle: Daten BLW).<br />
}}<br />
<br />
Die qualitativen Veränderungen in Wiesen und Weiden betreffen das allgemeine Nährstoffniveau, welches enorm gestiegen ist und das Verschwinden des früher verbreiteten Mosaiks von unterschiedlich genutzten Flächen (Schmid et al. 2007). Weitere qualitative Veränderungen der letzten Jahrzehnte beschreibt Bosshard (2016): Die Schlagkraft hat sich vervielfacht mit früherem Schnitt, viel höherer Nutzungsfrequenz und der zeitgleichen Nutzung viel grösserer Flächen. Die Erträge sind um ca. 60-80% gestiegen. Kleinstrukturen und Kulturlandschaftselemente sind verschwunden. Die schwereren Maschinen haben eine problematische Bodenverdichtung zur Folge und insbesondere für die Fauna destruktive Ernteverfahren (Rotationsmähwerke, Futteraufbereiter, Silagetechnik) nehmen zu. Heute wird vorwiegend Güllewirtschaft (rasch verfügbare Nährstoffe) statt der früher üblichen Festmistwirtschaft betrieben und durch den Wechsel von der Dürrfutterbereitung (Heu) zur Silage liegt der Nutzungszeitpunkt des ersten Aufwuchses heute früher im Jahr, es sind mehr Nutzungen pro Jahr möglich, die Ernte verläuft rascher und die Pflanzen können weniger absamen. Meliorationen, das Zusammenlegen von Parzellen und das Verschwinden von extensiven Parzellengrenzen bewirken ebenfalls grosse Veränderungen. Ein nächster Schritt steht mit der zukünftigen Automatisierung der Bewirtschaftung bevor. Anschaulich illustriert [https://www.pronatura.ch/de/wiesen-und-weiden Pro Natura anhand von Beispielen] die Entwicklung ehemals artenreicher Wiesen in artenarme Fettwiesen.<br />
<br />
Die ökologischen Auswirkungen der oben beschriebenen Veränderungen sind mannigfaltig: beispielsweise führt die Intensivierung der Graslandkultivierung und die früheren Schnittzeitpunkte zu einer Abnahme der Samenbank im Boden (Klimkowska et al. 2007). Die früheren Schnittzeitpunkte führen zur Überlappung mit der Brutsaison bodenbrütender Vögel; durch Mahd werden die Nester mechanisch zerstört oder sind für Prädatoren nach dem Schnitt leichter zugänglich oder die Futterverfügbarkeit wird während einer kritischen Phase der Nestlinge dezimiert (Britschgi et al. 2006). Einzelflächen wie auch die Gesamtfläche ökologisch wertvoller Wiesen und Weiden sind zu klein und zu stark fragmentiert. Kleine Grünlandflächen sind besonders empfindlich gegenüber negativer Randeffekte (z.B. Eindringen anderer Arten) und ökologischer Drift. Die durchschnittliche Grösse der TWW von nationaler Bedeutung beträgt heute 4.7 ha und im Sömmerungsgebiet 10.5 ha (Guntern et al. 2013): eine Wiederbesiedlung durch Tagfalter, Hummeln und Reptilien ist möglich, wenn die Flächen nicht weiter als 1-3 km voneinander entfernt sind. Charakteristische Heuschrecken und Laufkäfer dagegen überwinden selten Distanzen von über 100 m.<br />
<br />
'''Nährstoffversorgung im Grünland''' <br/><br />
Stickstoff ein elementarer Baustein aller Lebewesen; Pflanzen nehmen ihn über die Wurzeln in der Form von Ammonium oder Nitrat auf. Pflanzenverfügbarer Stickstoff ist natürlicherweise in den meisten Böden Mangelware – in den letzten Jahrzehnten gelangten jedoch riesige Mengen von Stickstoffverbindungen als Mineraldünger, Gülle oder aus Verbrennungsprozessen direkt oder indirekt über die Luft in die Böden. Der natürliche atmosphärische Eintrag von biologisch aktivem Stickstoff beträgt lediglich 0.5 – 2 kg/ha. Heute gelangt durchschnittlich 16 kg/ha Stickstoff über die Luft in den Boden, was in etwa der ausgebrachten Menge für mittel intensiv genutzten Wiesen entspricht. Peter (2011) weist darauf hin, dass bei drei der vier umweltrelevanten Stickstoffformen (Ammoniak, Nitrat und Lachgas) die Landwirtschaft gesamtschweizerisch gesehen die Haupt Emittentin ist. So müssten beim Ammoniak beispielsweise die Emissionen aus der Landwirtschaft annähernd halbiert werden, damit eine substanziell schädigende Wirkung in sensiblen Ökosystemen verhindert werden könnte. Für artenreiche Wiesen (kollin und montan) liegt der kritische Eintragswert bei 10-30 kg N pro Hektar und Jahr (Guntern 2016a). Entsprechend sind bspw. 49% der Trockenwiesen von den negativen Auswirkungen des atmosphärischen Stickstoffeintrags betroffen; die kritischen Eintragswerte (critical loads) werden in vielen Lebensräumen z.T. massiv überschritten (BAFU 2017). In Wiesen führt dies zu einer Bodenversauerung, zu einer starken Abnahme der Pflanzendiversität und zur Dominanz einiger weniger Grasarten und ist mitverantwortlich für die extreme Artenverarmung im Wiesland insbesondere in den Tieflagen (Bosshard 2016). Heutige Bestände sind im Vergleich zu früher wüchsiger und dichter.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Stickstoffbilanz 2015 BFS 2.png<br />
| text = Die Stickstoffbilanz in den Landwirtschaftsflächen (inkl. Alpweiden) zeigt langfristig betrachtet zwar einen rückläufigen Überschuss, dennoch resultierte 2015 ein Überschuss von 60 kg/ha (1990er-Jahre > 80 kg/ha). Quelle: Landwirtschaft und Ernährung, Taschenstatistik BFS 2018)<br />
}}<br />
<br />
Auch Phosphor ist einer der Hauptnährstoffe der Pflanzen und wird in der Landwirtschaft als Düngemittel eingesetzt. In den letzten zehn Jahren belief sich der Phosphorüberschuss auf rund 400 t/Jahr.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = phosphorbilanz 2018 de zg.png<br />
| text = Phosphorbilanz der Landwirtschaftsflächen. Phosphormengen, die in landwirtschaftliche Böden gelangen bzw. ihnen entzogen werden. Quelle: BFS – Umweltgesamtrechnung (2020)<br />
}}<br />
<br />
Im intensiv genutzten Grasland werden ausserdem steigende Zink- und Kupfereinträge beobachtet, welche aus dem Hofdünger (Gülle und Mist) bzw. aus den Futtermitteln stammen (Gubler et al. 2015). Aufgrund der hohen landwirtschaftlichen Nutzungsintensität kann auch im Grünland davon ausgegangen werden, dass vielerorts das Bodenleben dadurch beeinträchtigt wird.<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* BAFU (2017): [https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/biodiversitaet/uz-umwelt-zustand/biodiversitaet-schweiz-zustand-entwicklung.pdf.download.pdf/UZ-1630-D_2017-06-20.pdf Zustand und Entwicklung Biodiversität Schweiz]<br />
* Guntern et al. (2013): [http://www.ngzh.ch/media/pdf/Flaechenbedarf.pdf Flächenbedarf für die Erhaltung der Biodiversität und der Ökosystemleistungen in der Schweiz]<br />
* BAFU (2017): [https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/boden/uz-umwelt-zustand/boden-schweiz.pdf.download.pdf/UZ-1721-D_Boden2017.pdf Boden in der Schweiz. Zustand und Entwicklung. Stand 2017] <br />
* BFS (2018): [https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kataloge-datenbanken/publikationen/uebersichtsdarstellungen/taschenstatistik-schweiz.html Taschenstatistiken] <br />
* BLW (2019): [https://www.agrarbericht.ch/de Agrarbericht 2019]<br />
<br />
==Zustand und Entwicklung der Artengemeinschaften des Grünlands==<br />
Bei einer Vergleichsuntersuchung fanden Schlup et al. (2013) im extensiv bewirtschafteten Grünland (Kammgrasweide, Fromental- und Goldhaferwiese, Halbtrockenrasen) eine höhere Artenzahl an Gefässpflanzen als im durchschnittlichen Grünland der Schweiz. Ausserdem kamen im extensiven Grünland deutlich mehr Kenn- und Charakterarten sowie gefährdete Arten vor. Spezialisiertere Grünlandarten werden zunehmend von Generalisten verdrängt und es findet eine Trivialisierung statt.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = TWW Kennarten de zs.png<br />
| text = Die Tabelle zeigt, wie wichtig besonders wertvolle Lebensräume für den Erhalt von vielen Tiergruppen sind. Quelle: Hotspot 18, Forum Biodiversität Schweiz 2008)<br />
}}<br />
<br />
Demnach weist ein beträchtlicher Teil der Arten eine erhöhte Bindung zu Trockenwiesen und -weiden auf.<br />
Lebensraumverlust und -degradierung haben auf die Biodiversität im Grünland einen negativen Einfluss, wie die folgende Darstellung aus dem Biodiversitätsmonitoring Schweiz zeigt (BAFU):<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Indikatoren de zs.png<br />
| text = Vielfalt von Artengemeinschaften in Wiesen und Weiden - Index* von 0 (einheitlich) bis 100 (vielfältig), aller paarweisen Vergleiche der Stichprobenflächen, in Prozent. *Mittelwerte über einen Zeitraum von jeweils fünf Jahren. Quelle: BAFU: Biodiversitäts-Monitoring Schweiz BDM 2018<br />
}}<br />
<br />
Die Artenvielfalt ist seit Mitte der 2000er Jahre insgesamt zurückgegangen und deutet auf eine gesamtschweizerische Vereinheitlichung der Wiesen und Weiden hin, was einem Verlust der Biodiversität gleichkommt. Jedoch ist der Verlust der Artengemeinschaften in diesen Lebensräumen schon seit mindestens einigen Jahrzehnten im Gang: In den letzten 120 Jahren hat sich die durchschnittliche Pflanzenartenvielfalt auf 81 Wiesen fast halbiert (Schlup et al. 2013). Generell wird festgestellt, dass v.a. häufig vorkommende Arten zugenommen haben, welche keine besonderen Ansprüche an ihren Lebensraum stellen. Spezialisierte Grünlandarten werden zunehmend von Generalisten verdrängt, was zu einer Trivialisierung der Wiesen und Weiden führt.<br />
<br />
Auch die meisten Vogelarten, welche auf Äckern, Wiesen und Weiden brüten, sind aufgrund der hohen landwirtschaftlichen Nutzungsintensität im Rückgang begriffen: Der schweizerische Index der für das Kulturland typischen Brutvögel (46 UZL-Arten) hat seit 1990 um fast 30% abgenommen, der europäische Agrarvogelindex seit 1980 um über 50% (BLW 2017, Becker et al. 2014). Auch die Bergidylle ist zunehmend bedroht: ein Langzeitvergleich der Vogelwarte zeigt, dass im Engadin innerhalb von 22 Jahren der Anteil an wenig intensiv genutzten und artenreichen Wiesen von 32 auf 27% gesunken und die Brutbestände von Feldlerche, Baumpieper und Braunkehlchen um 44-61% gesunken sind (Korner et al. 2017). Den blütenbesuchenden Insekten wird durch den Rückgang des reichen Blüten- und Nektarangebots die Nahrungsgrundlage entzogen. Wesche et al. (2014) stellten bei Heuschrecken und Wanzen in Auen und Trockenwiesen innert 50 Jahren einen dramatischen Einbruch der Individuenzahlen (>60%) bei teils konstanten, teils zunehmenden Artenzahlen fest. Die botanische Zusammensetzung von Fromentalwiesen zeigt im Vergleich zu den 1950er Jahren eine durchschnittliche Abnahme der Artenzahl von rund 30% bei einer ebenfalls deutlichen Qualitätseinbusse (Bosshard 2015c).<br />
<br />
Im Rahmen des Monitoringprogramms ALL-EMA werden der Zustand und die Veränderung von Arten und Lebensräumen der Umweltziele Landwirtschaft in der offenen Agrarlandschaft Schweiz erfasst und die Biodiversitätsförderflächen beurteilt. Eine erste umfassende Auswertung zum Zustand der Biodiversität ist 2020 vorgesehen.<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* [https://www.agroscope.admin.ch/agroscope/de/home/themen/umwelt-ressourcen/monitoring-analytik/all-ema.html ALL-EMA]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/zustand/indikatoren.html Vielfalt von Artengemeinschaften in Wiesen und Weiden (BAFU)]<br />
* [http://www.biodiversitymonitoring.ch/de/home.html Biodiversitätsmonitoring Schweiz]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/biodiversitaet/uw-umwelt-wissen/umweltziele_landwirtschaftstatusbericht.pdf.download.pdf/umweltziele_landwirtschaftstatusbericht.pdf BAFU & BLW (2016): Umweltziele Landwirtschaft UZL.]<br />
<br />
=Gefährdung und Gefährdungsursachen=<br />
43% der unter dem Begriff „Grünland“ zusammengefassten Lebensraumtypen gelten als gefährdet. Die wertvollsten Flächen der Trockenwiesen und -weiden sind in einem Inventar (TWW) bezeichnet - seit 1900 sind rund 95% der TWW in der Schweiz verschwunden.<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = Gefaehrdungskat Grünland de.png<br />
| text = Einstufung der 30 Lebensraumtypen des Grünlandes gemäss Roter Liste.<br />
}}<br />
<br />
Gefährdungsursachen und wichtige Treiber sind (Delarze et al. 2015, Bosshard 2016, Becker et al. 2014):<br />
* Der Verlust an Grünland-Lebensräumen durch Nutzungsaufgabe in Grenzertragslagen und nachfolgender Sukzession, durch Umwandlung von Grünland in Ackerland oder Kunstwiesen und durch den Siedlungs- und Strassenbau. Als Folge der Lebensraumverluste sind verbleibende Habitate oft zu klein und/oder von Isolation bedroht. Bis Fragmentierung und Randeffekte zum Verlust von Arten führen, kann es Jahrzehnte dauern; man spricht deshalb auch von der sogenannten Aussterbeschuld. Im Sömmerungsgebiet verschwinden mittel-wertvolle Flächen. Das aktuelle Instrument der BFF gibt im Sömmerungsgebiet keine Kriterien zur Bewirtschaftung vor. Es gibt Hinweise, dass die Kartierung der TWW nicht vollständig ist. Es besteht die Gefahr, dass wertvolle Flächen durch Intensivierung, falsche Nutzung oder Nutzungsaufgabe verloren gehen.<br />
* Intensivierung, moderne oder ungeeignete Bewirtschaftung sowie Nährstoffeinträge: Der Strukturwandel in der Landwirtschaft und die damit verbundene Intensivierung hat vielfache Auswirkungen auch auf das Grünland. Düngung und Zufütterung in der Viehhaltung haben vervielfachte Nährstoffeinträge und die Eutrophierung des Bodens zur Folge. Durch das Düngen werden viele Grünlandarten, insbesondere Kräuter, verdrängt und die Artenvielfalt nimmt in der Folge ab, weil wenige Arten dank dieser zugeführten Nährstoffe schnell wachsen, rasch Biomasse aufbauen und den Boden für den Aufwuchs anderer Pflanzen beschatten (Gerowitt et al. 2013). Die Intensivierung umfasst ausserdem die frühere Nutzung der Bestände zur Erzielung hoher Futterqualität (für die Hochleistungs-Milchkühe) und eine generell erhöhte Schlagkraft (mit schweren Maschinen), häufigere Nutzungen, den Einsatz von Pestiziden, Flurbereinigungen und Strukturverlust sowie kulturtechnische Massnahmen zur Entwässerung, Kalkung oder Bewässerung der Flächen. Des Weiteren werden Flächen eingeebnet bzw. unter Einsatz von bspw. Forstmulchern intensiviert. Vorgegebene Schnittzeitpunkte bewirken eine Monotonisierung der Landschaft sowie ein zeitgleiches Wegfallen von Nahrungsquellen. All diese Faktoren sowie die Aufgabe bestimmter Nutzungsformen führen zu einer Vereinheitlichung der Lebensräume. <br />
* Der Klimawandel stellt für den Wandel der Biodiversität und Ökosysteme einen bedeutenden Faktor dar (Guntern 2016b): insbesondere spielen der Temperaturanstieg sowie Veränderungen im hydrologischen Regime eine Rolle. Höhere Temperaturen und zunehmende Niederschlagsmengen führen bei gleichmässiger Bodendurchfeuchtung zu einer zunehmend schnelleren Wuchsleistung des Grünlands. Aus dem Biodiversitätsmonitoring ergeben sich Hinweise, dass im Mittelland bestimmte Lebensräume einerseits wärmer, andererseits auch trockener werden (BDM-Facts Nr. 4, BAFU 2012).<br />
* Auch invasive, gebietsfremde Arten können auf die heimische Biodiversität nachteilig wirken. V.a. folgende Arten bereiten bisher grossflächig Probleme im extensiv genutzten Wiesland: das Einjährige Berufkraut (''Erigeron annuus''), die beiden Goldrutenarten (''Solidago canadensis'' und ''S. serotina'', v.a. im unternutzten oder spät gemähten, feuchten bis wechselfeuchten Wiesland) sowie das Schmalblättrige Kreuzkraut (''Senecio inaequidens''). Weitere Neophyten mit invasivem Ausbreitungspotenzial werden auf der Neophyten-Watch-List geführt. Die (bemerkenswerte) Resistenz gegenüber neu eingebrachten Arten scheint ein Charakteristikum des mitteleuropäischen Wieslands zu sein (Bosshard 2016).<br />
* Je nach Lebensraumtyp und Lage des Grünlandes stellen auch Freizeitaktivitäten bzw. Erholungsnutzung Gefährdungsfaktoren dar. In Deutschland sind insbesondere auch der Anbau von Energiepflanzen (Biogasproduktion, Raps für Kraftstoffproduktion) sowie die Agrophotovoltaik mögliche Gefährdungstreiber.<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = rationelle Mahd as 96 dpi.jpg<br />
| text = Rationelle Erntemaschinen töten und verletzten viele Tiere.<br />
}}<br />
<br />
Nachfolgend werden einige ausgewählte Gefährdungsfaktoren näher beleuchtet.<br />
<br />
'''Unternutzung und Nutzungsaufgabe''': <br/><br />
Eine extensive Bewirtschaftung wird in Gebieten mit ungünstigen Produktionsbedingungen (Hangneigung, Bodenstruktur) immer weniger rentabel. In den letzten dreissig Jahren bewegten sich die Veränderungen in der Nutzungsform im Alpenraum stets in Richtung eines geringeren Bewirtschaftungsaufwands: von der Schnitt- zur Weidenutzung und von der Beweidung zur Verbrachung (Leitgruppe NFP 48 2007). Eine Unternutzung oder eine gänzliche Aufgabe der Bewirtschaftung führen kurzfristig zu Verbrachungserscheinungen, mittelfristig zu Verbuschung und Einwaldung. Wenn die Biomasse nicht weggeführt wird, tritt im Laufe der Jahre zunehmend Lichtmangel v.a. für die dichte, bodennahe Schicht in Form von sogenanntem Streuefilz auf. Gerade seltene und gefährdete Arten verschwinden oft zuerst und werden durch Generalisten ersetzt, bevor die Bewaldung einsetzt (Bosshard 2016). Im günstigsten Fall kann bereits nach 20 Jahren auf einer früheren Magerwiese oder -weide ein Wald stehen. In sehr magerem Wiesland führt die Nutzungsaufgabe und Verbrachung jedoch nicht zu einem Artenverlust, da die Wüchsigkeit für das Ausbilden eines Streuefilzes nicht ausreicht oder dieser rasch wieder abgebaut wird (bspw. durch Wind). Die natürliche Wiederbewaldung in Grenzertragslagen wird als Ausdruck eines grundlegenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels interpretiert, bei dem der Rückgang der Armut und die Zunahme des Wohlstands eine grosse Rolle spielen (Leitgruppe NFP 48 2007). Durch die abnehmende Verfügbarkeit von Arbeitskräften sind auch pflegerische Arbeiten der Bewirtschaftung gefährdet: damit eine möglichst langfristige Produktivität des Kulturbiotops sichergestellt werden kann, sind Pflegearbeiten wie Frühjahrssäuberung, exaktes Mähen, Abrechen des Schnittguts usw. notwendig, damit die «Saatbett-Bereitung» bzw. das Vorhandensein von Keimstellen gesichert ist.<br />
<br />
'''Steinfräsen''': <br/><br />
Steinfräsen zerkleinern Steine und Felsen, zermalmen und brechen den Boden auf, beseitigen Kleinstrukturen und Unebenheiten im Gelände. Diese irreparable Zerstörung der natürlichen Vegetation und der Kleinstrukturvielfalt ist u.a. für den Verlust von Baumpieper und Feldlerche im jurassischen Brutgebiet mitverantwortlich. Im Jura werden seit den 1990er-Jahren Steinfräsen teilweise grossflächig eingesetzt, um die wertvollen Kleinstrukturen zu eliminieren und ganze Flächen zu planieren. Die Gesetzeslage ist kantonal unterschiedlich (SO, JU, VD nicht erlaubt, NE & BE teilweise erlaubt) und trotz Verbot sind unbewilligte Fälle bekannt (Apolloni et al. 2017). Steinfräsen werden auch in höheren Lagen der Alpen regelmässig eingesetzt. Sie stellen eine so grosse Gefahr für die Biodiversität dar, dass sie verboten gehören.<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* Delarze et al. (2016): [https://www.infoflora.ch/de/lebensraeume/rote-liste.html Rote Liste der Lebensräume der Schweiz]<br />
* Trockenwiesen und -weiden der Schweiz (TWW) [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/fachinformationen/massnahmen-zur-erhaltung-und-foerderung-der-biodiversitaet/oekologische-infrastruktur/biotope-von-nationaler-bedeutung/trockenwiesen-und--weiden.html Inventar, Vollzugshilfe und Merkblätter, Fallstudien]<br />
* [https://www.wsl.ch/de/biotopschutz-schweiz.html Wirkungskontrolle Biotopschutz Schweiz]<br />
<br />
=Rechtsgrundlagen =<br />
* [https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19983407/index.html Landwirtschaftsgesetz (LwG)]<br />
* [https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19983381/index.html Landwirtschaftliche Begriffsverordnung (LBV)]<br />
* [https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20130216/index.html Direktzahlungsverordnung (DZV)]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/oekologischer-leistungsnachweis.html Ökologischer Leistungsnachweis (ÖLN) gemäss DZV, Übersicht zu den einzelnen Artikeln]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/biodiversitaetsbeitraege.html Übersicht über die Biodiversitätsbeiträge pro BFF-Typ und Qualitätsstufe]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/biodiversitaetsbeitraege/qualitaetsbeitrag.html Weitere Ausführungen zu den BFF-Qualitätsbeiträgen (QI und QII)]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/biodiversitaetsbeitraege/vernetzungsbeitrag.html Weitere Ausführungen zu den Vernetzungsbeiträgen]<br />
* Die rechtliche Grundlage für den nationalen Schutz der Trockenwiesen und -weiden bildet das [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/fachinformationen/massnahmen-zur-erhaltung-und-foerderung-der-biodiversitaet/oekologische-infrastruktur/biotope-von-nationaler-bedeutung/trockenwiesen-und--weiden.html Inventar über die Trockenwiesen und -weiden mit den entsprechenden Verordnungen und Vollzugshilfen].<br />
<br />
=Praxisrelevante Wissenslücken =<br />
Nachfolgend sind wichtige Themen aufgeführt, zu welchen (teilweise) Wissenslücken bestehen:<br />
* Vorkommen und Verbreitung ökologisch wertvoller Grünlandflächen im Sömmerungsgebiet, flächendeckende Inventarisierung<br />
* Wissenschaftliche Grundlagen zum Düngungsbedarf von Fromental- und Goldhaferwiesen im Hinblick auf die botanische Vielfalt fehlen, Praxisversuche sind wünschenswert.<br />
* Es gibt kaum systematische Erfahrungen zum Etzen in Zusammenhang mit der Biodiversitätsförderung im artenreichen Wiesland, übergeordnete Erfolgskontrollen sind erwünscht.<br />
* Phänologisch basierte Schnittzeitpunkte<br />
* Einfluss von Heubläser-Einsätzen auf die Biodiversität, insbesondere die Fauna (Richner et al. 2014 beleuchten den Einfluss auf die Vegetation)<br />
* Auswirkungen der Bewirtschaftung auf die Fauna über alle Mäh- und Nachbereitungsgeräte hinweg unter vergleichbaren Bedingungen untersuchen. Verhalten der Populationen auf mehrschürigen Wiesen im Jahresverlauf.<br />
* Angaben zu Ausmass und Verbreitung von Bodenverdichtungen<br />
<br />
=Literatur=<br />
Die Publikationen zum Grünland sind äusserst umfangreich. Wir stellen Ihnen die gesamte [[Media:Dokumentation Grünland Literatur.pdf|Liste an verwendeter Literatur]] zur Verfügung.<br />
<br />
= Weitere Kapitel zum Grünland=<br />
* [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland Einleitung und Zusammenfassung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie Praxisrelevante Ökologie]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung Erhalt und Aufwertung durch optimierte Bewirtschaftung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat Aufwertung und Neuschaffung durch Direktbegrünung und Ansaat]<br />
<!--* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisbeispiele Praxisbeispiele]--><br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || [https://www.faunatur.ch/portr%C3%A4t/ Karin Loeffel]|| [https://www.faunatur.ch/ faunatur]<br />
|-<br />
| Review|| Andreas Bosshard || [http://www.agraroekologie.ch/ueber-uns/team/ Ö+L GmbH] <br />
|-<br />
| || Jean-Yves Humbert || [https://www.cb.iee.unibe.ch/about_us/pd_dr_humbert_jean_yves/index_eng.html Universität Bern, Conservation Biology]<br />
|-<br />
| || Heiri Schiess || <br />
|-<br />
| || André Stapfer || <br />
|-<br />
| || Markus Staub || [https://www.poel.ch/ Projekte Ökologie Landwirtschaft] <br />
|-<br />
| || Gaby Volkart || [http://www.ateliernature.ch/atena/francais.php atena]<br />
|-<br />
|}<br />
<br /></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat&diff=4716
Grünland/Aufwertung und Neuschaffung durch Direktbegrünung und Ansaat
2023-03-05T18:02:04Z
<p>VB2: /* Anwendung und Bezug von Blumenwiesen-Standardsaatgut */</p>
<hr />
<div>[[fr:Milieux prairiaux/Revalorisation et création de prairies riches en espèces par enherbement direct et ensemencement]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Mahd Spenderfläche 1 96 dpi.JPG<br />
| text = Ein monotoner Bestand lässt sich mit verschiedenen Methoden innert relativ kurzer Zeit in eine blüten- und artenreiche Wiese umwandeln. In diesem Artikel werden die verschiedenen Verfahren für die Aufwertung von Wiesen vorgestellt. Das Foto zeigt die Mahd einer Spenderfläche früh am Morgen bei feuchter Vegetation.<br />
}}<br />
{{TOC limit|3}}<br />
<br />
=Einleitung=<br />
Die Neuanlage oder Wiederherstellung artenreicher Wiesen ist eine der wirksamsten Massnahmen zur Förderung der Artenvielfalt. Eine artenreiche Wiese kann 30 bis über 60 Pflanzenarten auf einem einzigen Quadratmeter aufweisen.<sup>1</sup> Weltweit können in keinem anderen Ökosystem oder Lebensraum so viele Pflanzenarten auf so kleinen Flächen zusammen existieren. Und eine ökologische Faustregel besagt, dass pro etablierter Pflanzenart 10 Tierarten vorkommen. <br />
Schon auf wenigen Quadratmetern kann also bei einer Neuschaffung einer artenreichen Wiese enorm viel für die Biodiversität getan werden. Der Artikel beschreibt, mit welchen Methoden artenreiches Wiesland neu geschaffen werden kann, welche Vor- und Nachteile die verschiedenen Methoden haben, und auf welchen Standorten welche mehr oder weniger artenreichen Wiesentypen realistischerweise angestrebt werden können. Die Ausführungen richten sich primär an Praktiker, die bei ihrer Tätigkeit aber nicht nur nach Rezept handeln, sondern auch die ökologischen Zusammenhänge verstehen möchten. <br />
<br />
<small><br />
<sup>1</sup> während in intensiv genutzten Wiesen oder Rasenflächen als Vergleich höchstens ein gutes Dutzend Arten vorkommen.<br />
</small><br />
<br />
<!--vorläufig weglassen: == Sich verändernde Ziele und Fragestellungen ==<br />
Die Neuschaffung und Aufwertung von artenreichen Wiesen kam erst in den 1990er Jahren in grösserem Ausmass auf. Die agrarpolitischen Diskussionen um die enorme Zerstörung der Biodiversität durch die immer intensivere Landwirtschaft führte zur Suche nach Alternativen. Erstmals wurde in den 1990er Jahren in der Schweiz ein Mindestanteil an naturnahen Flächen für jeden Landwirtschaftsbetrieb vorgeschrieben, und es entstanden Bemühungen, die in einigen Teilen der Schweiz praktisch verschwundenen, ehemals fast flächendeckend vorhandenen artenreichen Wiesen mit Ansaaten wieder zurück in die landwirtschaftlich genutzte Kulturlandschaft zu bringen. Aber auch in Naturschutzgebieten, bei Verkehrsprojekten oder im Siedlungsgebiet wurde zunehmend artenreiches Wiesland neu geschaffen. Entscheidend war dabei, dass entsprechende hochwertige, artenreiche Saatgutmischungen zumindest für trockenere Standorte nun auf dem Markt erhältlich waren. <br />
Wie der Artikel in einem kurzen historischen Abriss beschreibt, hat sich seit den ersten systematischen Versuchen mit artenreichen Wiesenansaaten in den 1980er und 1990er-Jahren viel verändert. Bis heute kommt laufend neues Wissen dazu, werden neue Ansaatmethoden entwickelt oder kommen neue Saatgutmischungen und -verfahren auf den Markt. Gleichzeitig haben sich das Bewusstsein, die Prioritäten und die Zielsetzungen bei der Neuschaffung artenreichen Wieslandes immer wieder verändert. <br />
Seit wenigen Jahren wird beispielsweise nicht nur auf die eingebrachten Pflanzenarten, sondern auch auf die genetische Vielfalt innerhalb der Arten geachtet. Zunehmend wird deshalb heute in der Schweiz und der EU die Verwendung lokaler oder regionaler Ökotypen gefordert und sogar in neuen Rechtserlassen vorgeschrieben. Wurde früher fast ausschliesslich Standardsaatgut verwendet, gab dieser Bewusstseinswandel der Anwendung von Direktbegrünungsverfahren starken Auftrieb.--><br />
<br />
==Standardsaatgut und Direktbegrünung – eine Begriffsklärung==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = ArtenreichesAutochthSaatgut_Ernte_aus_eBeetle 96 dpi.jpg<br />
| text = Artenreiches, autochthones Saatgut<br />
}}<br />
Im Zusammenhang mit der Förderung und Schaffung artenreicher Wiesen werden einige nicht allgemeinverständliche Fachbegriffe verwendet. Die wichtigsten sollen hier kurz erläutert werden – zumal einige noch „jung“ sind und ihre Anwendung deshalb oft nicht einheitlich erfolgt, was Verwirrung stiften kann.<br />
<br />
'''Bezeichnung von Saatguttypen und Saatgutherkünften''' <br/><br />
Das bis vor wenigen Jahren übliche Saatgut für die Ansaat artenreicher Wiesen war '''''Standard'''saatgut''. Bei Standardsaatgut wird jede einzelne Art in Reinkultur zur Gewinnung von Samen angebaut und das geerntete Saatgut dann nach einer bestimmten Rezeptur zusammengemischt. Man spricht deshalb auch von ''Vermehrungssaatgut''. Das Ursprungssaatgut stammt entweder von Wildpflanzen (sog. ''Basissaatgut''), oder es werden Zucht- bzw. Handelssorten verwendet.<br/><br />
Wenn eine Saatgutmischung ganz aus Arten besteht, deren Basissaatgut von besammelten Wildpflanzen einer bestimmten Region stammt und das Saatgut anschliessend in derselben Region vertrieben wird, wird vor allem in Deutschland von '''''Regio'''saatgut'' gesprochen. <br/><br />
Dem Standardsaatgut stehen die sogenannten '''''Direktbegrünungsverfahren''''' gegenüber. Dabei wird das Saatgut direkt auf geeigneten Spenderwiesen als Samengemisch geerntet und ohne Zwischenvermehrung auf die Ansaat- oder Empfängerfläche übertragen. Die Methode wird deshalb auch als „Wiesenkopierverfahren“ bezeichnet. Dabei kommen verschiedene Ernte- und Übertragungsmethoden zur Anwendung wie Mahdgutübertragung, der Mähdrusch oder die Sodenversetzung. In Abgrenzung zum Regiosaatgut wird das Saatgut aus Direktbegrünungsverfahren '''''autochthones''''' (oder manchmal auch '''lokales''') Saatgut genannt. <br/><br />
Diese Begriffsdefinitionen werden in den deutschsprachigen Ländern allerdings noch nicht überall einheitlich verwendet. So wird teilweise auch autochthones Saatgut als Regiosaatgut bezeichnet, oder Direktbegrünung wird teilweise nicht als Überbegriff, sondern synonym mit Mahdgutübertragung gebraucht. Heugrassaat wird auch als synonymer Ausdruck für Direktbegrünung, Ökotypensaatgut für Regiosaatgut, oder Handelssaatgut bzw. Regelsaatgut für Standardsaatgut verwendet. <br/><br />
'''Weitere wichtige Fachbegriffe''', die in diesem Artikel genannt werden, sind jeweils im Text näher erläutert, oder ihre Bedeutung erschliesst sich ohne weitere Erläuterung aus dem Zusammenhang.<br />
<br />
=Neuanlage artenreicher Wiesen: Kurzer historischer Rückblick auf eine dynamische Entwicklung=<br />
Artenreiches Wiesland aus Naturschutzgründen neu zu schaffen wurde erstmals in den 1960er Jahren in grösserem Stil praktiziert. (vgl. Bosshard & Klötzli 2003 <sup>2</sup>). Dabei war das Interesse ganz auf nährstoffarme Standorte in Schutzgebieten gerichtet. Als Methoden dienten eine natürliche Besiedlung mit Arten aus der Umgebung, aber auch Mahdgutübertragungen, Pflanzungen oder Sodenversetzungen kamen damals bereits zur Anwendung. Käufliche Saatgutmischungen mit den gewünschten einheimischen Arten existierten damals keine. Die verfügbaren Mischungen stammten alle aus dem Ausland. Sie enthielten nicht-einheimische Arten und sogar Zuchtsorten, die im Widerspruch standen zu den naturschützerischen Zielen.<br />
<br />
<small><br />
<sup>2</sup> Bosshard A. & F. Klötzli 2003: Restoration Ecology. In: Bastian O. & U. Steinhardt (Hrsg.): Development and Perspectives in Landscape Ecology: conceptions, methods, application. Kluwer. ISBN 1-4020-0919-4.<br />
</small><br />
<br />
== Erfolg durch neue Saatgutmischungen==<br />
Erst Ende der 1980er Jahre gab der Naturschutz seinen fast ausschliesslichen Fokus auf Schutzgebiete auf und erkannte, dass die Biodiversität nur erhalten werden kann, wenn Naturschutzmassnahmen vermehrt flächenwirksam etabliert, d.h. auch ausserhalb von Naturreservaten neue artenreiche Flächen geschaffen werden können. Damit rückte die landwirtschaftlich genutzte Kulturlandschaft und somit auch nährstoffreichere Flächen ins Zentrum von Aufwertungsbemühungen. <br />
Da im Kulturland in den tieferen Lagen kaum noch artenreichere Biotope existierten, wurden in verschiedenen Teilen der Schweiz und in anderen Ländern Europas Projekte lanciert, welche in Zusammenarbeit mit Landwirtschaftsbetrieben ökologische Aufwertungen planten und realisierten. Eines dieser Projekte war „Landwirtschaft und Naturschutz aus Bauernhand“ <sup>3</sup>. Politisch und institutionell breit abgestützt, entwickelte und testete das Pilotprojekt Anfang der 1990er Jahre auf neun Landwirtschaftsbetrieben im Kanton Zürich Massnahmen für eine zukünftige Agrarpolitik.<br />
<br />
<small><br />
<sup>3</sup> Landwirtschaft und Naturschutz aus Bauernhand. Schlussbericht des CH91-Pilotprojektes auf 9 Bauernhöfen im Kanton Zürich 1989-1991. Zürcher Vogelschutz, Zürcher Naturschutzbund, WWF Sektion Zürich und Zürcher Bauernverband, Zürich. 58 S.<br />
</small><br />
<br />
<br />
==Artenvielfalt auch auf nährstoffreichen Böden möglich?==<br />
Unter diesen Massnahmen waren auch erste Versuche, bei denen damals neu verfügbares Saatgut mit verschiedenen Arten blumenreicher Wiesen ausgetestet wurde. Denn bereits damals war aufgrund vieler Untersuchungen klar, dass die Samen der meisten Wiesenarten nur kurzfristig im Boden überleben<!-- Link auf Pflanzenartikel, wenn dort Infos zu Lebensdauer von Samen ergänzt worden ist -->. Das heisst, dass eine intensive Nutzung über drei oder vier Jahren bereits genügte, um die Pflanzenarten artenreicher Wiesen zum Verschwinden zu bringen. Eine Wieder-Extensivierung der Nutzung bringt sie – auch nach jahrelangem Warten – alleine nicht zurück. Vielmehr müssen sie jeweils neu eingebracht, sprich angesät werden. <br/><br />
Allerdings war völlig unklar, ob sich die eingebrachten Arten auf den nährstoffreichen Böden überhaupt etablieren können. Zumindest widersprach dies der damals vertretenen ökologischen Lehre. Nichtsdestotrotz entwickelten sich bei den Versuchsansaaten des Zürcher Pilotprojektes auf vorher intensiv genutzten Ackerflächen im zweiten Jahr tatsächlich niederwüchsige, artenreiche, an Magerwiesen erinnernde Wiesenbestände. <br/><br />
Dieser unerwartete Erfolg gab Anlass zu einer Dissertation. Auf zahlreichen Landwirtschaftsbetrieben in der Ostschweiz wurden auf über einem Dutzend Hektar unzählige Versuchsflächen mit verschiedenen Mischungsvarianten von Wiesenkräutern, -leguminosen und -gräsern angelegt (Bosshard 1999 <sup>4</sup>). Die ersten Versuche führten allerdings zu instabilen Pflanzenbeständen, die nach wenigen erfolgreichen Jahren vergrasten und den Grossteil der eingesäten Arten wieder verloren. Durch Verbesserungen in der Artenzusammensetzung, insbesondere der Gräserkomponente, gelang es schliesslich, auch auf vorher intensiv genutzten Böden langfristig stabile Blumenwiesenbestände zu etablieren. Als Resultat der Dissertation wurden vier Mischungsvarianten empfohlen, die heute als ''Salvia'', ''Humida'', ''Broma'' und ''Montagna'' auf dem Schweizer Markt breit etabliert sind und mit denen mittlerweile Hunderte, wenn nicht Tausende von Hektaren artenreicher Wiesen angesät worden sind und weiterhin angesät werden, vor allem in der Landwirtschaft, aber auch zunehmend im Siedlungsbereich.<br />
<br />
<small><br />
<sup>4</sup> Bosshard A. 1999: Renaturierung artenreicher Wiesen auf nährstoffreichen Böden. Ein Beitrag zur Optimierung der ökologischen Aufwertung der Kulturlandschaft und zum Verständnis mesischer Wiesen-Ökosysteme. Dissertationes Botanicae Band 303 Stuttgart. 201 S. [https://www.research-collection.ethz.ch/handle/20.500.11850/143994 Online-version]<br />
</small><br />
<br />
==Breites Saatgutangebot, erfolgreiche Mischungen==<br />
Dass dies überhaupt möglich war, ist der engagierten Pionierarbeit verschiedener Saatgutfirmen zu verdanken, die ab Mitte der 1990er Jahre in der Schweiz ein immer breiteres Spektrum an typischen Wiesenblumenarten Schweizerischer Herkunft für die neuen Mischungen verfügbar machten. Seit einigen Jahren besteht nun auch bei den Wiesengräsern ein breites Angebot an einheimischen Ökotypen für diese Mischungen.<br />
Die Erfolgsrate der artenreichen Ansaaten in der Landwirtschaft beträgt mittlerweile über 90% gemessen am botanischen Qualitätsniveau QII (s. folgendes Kapitel). Dabei zeigen umfangreiche Datensätze, dass auf trockeneren Standorten die Artenzahl und der Blumenanteil im Laufe der Jahre eher zunimmt, während an feuchteren oder schattigeren Standorten bei den bestehenden Standard-Blumenwiesenmischungen die gegenteilige Tendenz besteht <sup>5</sup>.<br />
Die hohe Erfolgsrate hängt allerdings nicht nur mit optimiertem Saatgut zusammen, sondern ist gerade im nährstoffreicheren Böden auch stark abhängig von einer korrekten Durchführung der Ansaat (s. Kap. [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Herkunft_des_Saatgutes:_Empfehlungen.2C_Standards_und_rechtliche_Vorgaben "Herkunft des Saatgutes: Empfehlungen, Standards und rechtliche Vorgaben"]. Auch wenn dazu bisher keine systematischen Auswertungen vorliegen, scheinen die Erfolgsraten in Kantonen, bei denen für Wiesenaufwertungen eine Beratung/Begleitung angeboten wird oder obligatorisch ist (z.B. LU, AG, TG), deutlich höher zu liegen als in den übrigen Regionen.<br />
<br />
<small><br />
<sup>5</sup> vgl. Brönnimann & Minloff 2015 sowie bisher unveröffentlichte Monitoringresultate aus verschiedenen Kantonen.<br />
</small><br />
<br />
==Fördersystem für Blumenwiesen in der Schweizer Landwirtschaft==<br />
Der hauptsächliche Treiber der Blumenwiesenansaaten auf Landwirtschaftsflächen ist der finanzielle Anreiz durch das Direktzahlungssystem. Im Zuge der Agrarreform wurden nämlich ab dem Jahr 2001 sogenannte „Öko-Qualitätsbeiträge“ (ab 2014 als sog. Biodiversitätsförderflächen-QII-Beiträge bezeichnet, kurz BFF-QII) eingeführt. Diese werden ausbezahlt, wenn in einer angemeldeten Ökowiese innerhalb einer Aufnahmefläche von 3 m Radius mindestens 6 Pflanzenarten aus einer [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~1547~1/3~410245~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Beitr%C3%A4ge-und-Bedingungen-im-%C3%96koausgleich/Zeigerpflanzen-Wiesen-BFF-Alpennordseite/Deutsch/Print-Papier Liste von rund 45 Zeigerpflanzenarten] nachgewiesen werden. In den letzten Jahren sind diese Qualitätsbeiträge laufend angestiegen, während die „Basis-Biodiversitätsbeiträge“ im gleichen Masse abgenommen haben. Damit stieg die Attraktivität der Ansaaten entsprechend. Bereits nach 1-2 Jahren sind dank den Biodiversitätsbeiträgen die Kosten einer Neuansaat nicht selten amortisiert.<br />
<br />
=Ökologische Bedeutung von Direktbegrünungsverfahren=<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Ansaat_eines_gefrästen_Streifens_mit artenr_autochth_Saatgut 96 dpi.JPG<br />
| text = Ansaat eines gefrästen Streifens mit autochthonem Saatgut.<br />
}}<br />
Die Blumenwiesenmischungen mit Ökotypen aus Schweizer Herkunft wurden bald so zahlreich eingesetzt, dass diese Entwicklung von Seiten der Ökologie und des Naturschutzes zunehmend kritisiert wurde. Denn alle neu angesäten Wiesen sahen landauf landab sehr ähnlich aus, hatten immer fast dieselbe Artenzusammensetzung und basierten alle auf denselben paar wenigen Ökotypen aus dem Ursprungssaatgut der Saatgutfirmen, egal ob die angesäten Wiesen im Wallis, im Seeland, im Randen oder im Bündnerland lagen. Diese Standardisierung steht im Kontrast zur enormen Vielfalt verschiedener Wiesentypen, die sich im Naturwiesland der Schweiz von Region zu Region in Bezug auf ihre typische Artenzusammensetzung stark unterschieden. <br/><br />
Immer mehr Untersuchungen der letzten Jahre wiesen ausserdem darauf hin, dass kleinräumig eine grosse genetische Vielfalt auch innerhalb jeder Pflanzenart besteht. Je grösser die Entfernung und je unterschiedlicher das Klima zwischen zwei Herkunftsregionen ist, umso deutlicher fallen auch die genetischen Unterschiede aus <sup>6</sup>. Dies zeigt sich auch im ökologischen Verhalten. Viele der untersuchten Wiesenarten wuchsen besser, wenn die Pflanzen regionaler Herkunft waren. So lieferten die regionalen Gewächse im Schnitt beispielsweise zehn Prozent mehr Blütenstände als Artgenossen, die aus anderen Gegenden stammten <sup>7</sup>. <br/><br />
Von Tal zu Tal, ja von Wiese zu Wiese bestehen genetische Anpassungen und Unterschiede, sogenannte Ökotypen. Diese innerartliche genetische Vielfalt ist zwar äusserlich oft nur schwer zu erkennen, aber ökologisch von grosser Bedeutung. Denn sie bedeutet eine Anpassung an die unterschiedlichsten Standorts- und Nutzungsbedingungen und ist damit eine wichtige Voraussetzung für die Stabilität von Ökosystemen. So konnten Untersuchungen zeigen, dass der Deckungsgrad höher und damit der Ansaaterfolg besser sind, wenn Ökotypen aus der Region statt Saatgut von weiter entfernt liegenden Gegenden verwendet wird. Im Gegenzug konnten sich weniger unerwünschte, nicht angesäte Arten (z.B. Neophyten) etablieren (Weisshuhn et al. 2012 <sup>8</sup>). Ein deutliches Indiz dafür, dass diese Pflanzen regional angepasst sind. Sie kommen also in der Nähe ihrer ursprünglichen Herkunft besser zurecht. Andere Untersuchungen zeigen, dass die Inzucht von autochthonem Saatgut geringer ist als von Vermehrungssaatgut <sup>9</sup>.<br />
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<small><br />
<sup>6</sup> z.B. Durka, W. et al. (2016): Genetic differentiation within multiple common grassland plants supports seed transfer zones for ecological restoration. – Journal of Applied Ecology 54/1, 116-126. [https://besjournals.onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/1365-2664.12636 PDF].<br />
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<small><br />
<sup>7</sup> Durka W. et al. (2019): Regionales Saatgut von Wiesenpflanzen: genetische Unterschiede, regionale Anpassung und Interaktion mit Insekten. Natur und Landschaft 94/4, 146-153. [https://www.regioflora.ch/de/assets/content/pdf/News/Regionales%20Saatgut%20von%20Wiesenpflanzen.pdf PDF]<br />
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<small><br />
<sup>8</sup> Weisshuhn K., Prati D., Fischer M., Auge H. (2012): Regional adaption improves the performance of grassland plant communities. Basic and Applied Ecology 13/6, 551-559. [https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S1439179112000710 Zusammenfassung]<br />
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<small><br />
<sup>9</sup> Aavik T., Bosshard D., Edwards P., Holderegger R., Billeter R. (2014): Genetische Vielfalt in Wildpflanzen-Samenmischungen. Agrarforschung Schweiz 5 (1): 20–27. [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Aavik_et_al_Agrarfo2014.pdf PDF]<br />
</small><br />
<br />
=Herkunft des Saatgutes: Empfehlungen, Standards und rechtliche Vorgaben=<br />
Um die genetische Vielfalt auf Ökotypenebene zu berücksichtigen, hat bereits 1998 die schweizerische Kommission für die Erhaltung von Wildpflanzen (SKEW), heute Teil von Info Flora, Empfehlungen herausgegeben. Diese verlangen, dass das verwendete Saat- und Pflanzgut für Blumenwiesen aus der gleichen biogeographischen Region wie die Empfänger-Parzelle stammen soll. Bei häufigen, taxonomisch wenig differenzierten Arten sollen die sechs Grossregionen der Schweiz – d. h. Jura, Mittelland, Alpennordflanke, westliche und östliche Zentralalpen und Südalpen – eingehalten werden (siehe Abbildung). Taxonomisch schwierige Arten mit unregelmässiger Verbreitung sollen die elf Kleinregionen einhalten. Ausserdem ist es gemäss den Empfehlungen wichtig, standörtliche und regionale Unterschiede wie Höhenlage, Bodenverhältnisse und Exposition zu berücksichtigen. Nur so entspricht die zu begrünende Fläche den ökologischen Anforderungen der eingebrachten Arten. Die Empfehlungen verlangen auch, dass die gefährdeten Arten nicht in Samenmischungen gehandelt werden. Für diese gelten [https://www.infoflora.ch/de/flora/ansiedlung.html spezifische Richtlinien]. <br/><br />
Die Richtlinien von Info Flora entsprechen dem, was auch in verschiedenen Gesetzen und Verordnungen verlangt wird, insbesondere im Natur- und Heimatschutzgesetz, welches verlangt, die einheimische Tier- und Pflanzenwelt sowie ihre biologische Vielfalt und ihren natürlichen Lebensraum zu schützen <sup>10</sup>. <br/><br />
In der Praxis finden die Richtlinien von Info Flora leider nur sehr begrenzt Berücksichtigung. Die eine Seite des Problems liegt beim Handel. Auch wenn die Saatgutfirmen die Herkünfte kennen und getrennt vermehren, werden sie – aus logistischen Gründen und den damit verbundenen Kosten –leider nicht so gekennzeichnet. Der Nutzer kann damit beim Kauf von Standardsaatgut die Empfehlungen gar nicht so einhalten, weil die Herkünfte in den Handels-Saatgutpackungen vermischt sind. Gewisse Kantone haben für landwirtschaftliche Ansaaten mit Saatgutproduzenten Abmachungen und erhalten spezifische Mischungen von und für ihre Region, die den Lebensräumen angepasst sind – dies ist aber leider die Ausnahme. <br/><br />
Auf der anderen Seite sind die Richtlinien auch bei den Anwendern noch sehr oft nicht angekommen. So wird in der Praxis oft auch dort, wo Saatgut gemäss den Info Flora-Empfehlungen verfügbar wäre, dieses oft nicht berücksichtigt mangels Wissens oder als Folge fehlerhafter Ausschreibungen. Dies ist insbesondere im Verkehrsbereich (Böschungsbegrünungen etc.) der Fall, wo jedes Jahr Hunderte von Hektaren neu begrünt werden.<br />
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{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = biogeografische Regionen CH.png<br />
| text = Die Biogeographischen Regionen der Schweiz: blau = Jura und Randen; hellgrün = Hochrhein- und Genferseegebiet; dunkelgrün = Westliches Mittelland; grün = Östliches Mittelland; hellblau = Voralpen; dunkelblau = Nordalpen; gelb = Westliche Zentralalpen, orange = Östliche Zentralalpen; rot = Südalpen; braun = Südlicher Tessin <br/><br />
(Quelle: Gonseth, Y.; Wohlgemuth, T.; Sansonnes, B.; Buttler, A. (2001): Die biogeographischen Regionen der Schweiz. Erläuterungen und Einteilungsstandard. Umwelt Materialien Nr. 137 Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft Bern. 48 Seiten.).<br />
}} <br />
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Angesichts der grossflächig stattfindenden Uniformierung und Florenverfälschung <sup>11</sup> durch nicht den Richtlinien entsprechenden Saatgutmischungen nahm der Druck zu, vermehrt autochthones Saatgut lokaler Provenienz zu verwenden, wo die Herkunft im Detail nachgewiesen werden kann (vgl. dazu Tab. 1). 2014 wurde die Direktzahlungsverordnung mit einem Passus ergänzt, der für landwirtschaftliche Blumenwiesenansaaten im Rahmen der Verfügbarkeit die Anwendung von Direktbegrünungen vorschreibt (DZV Art. 58 Abs. 8). Deutschland geht noch einen Schritt weiter und verlangt ab 2020 generell bei der Neuanlage von Grasland in der freien Landschaft die Verwendung von gebietseigenem Saatgut (BNatSchG §40).<br/><br />
Dieser Bewusstseinswandel und die damit einhergehende teilweise angepasste Rechtslage gab der Anwendung von Direktbegrünungsverfahren starken Auftrieb. So werden in der Schweiz immer häufiger Mahdgutübertragungen durchgeführt, und dies bei korrekter Anwendung mit durchwegs guten Erfolgen <sup>12</sup>. Da Mahdgutübertragungen v.a. aus logistischen Gründen oft nur beschränkt eingesetzt werden können, wurden in den letzten 10 Jahren verschiedene Ernteverfahren für autochthones Saatgut entwickelt oder weiterentwickelt (s. Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Direktbegr.C3.BCnungsverfahren Direktbegrünungsverfahren]). Damit kann das Saatgut aus den Spenderflächen getrocknet, gereinigt und abgesackt werden. Das Saatgut kann damit in Bezug auf die Ansaattechnik und den Ansaatzeitpunkt genau so flexibel wie Standardsaatgut eingesetzt werden.<br />
<br />
<small><br />
<sup>10</sup> Vgl. die ausführliche Zusammenstellung und Interpretation der rechtlichen Grundlagen im [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Leitfaden_naturgemaesse_Begruenungen_def.pdf Leitfaden für naturgemässe Begrünungen], Seiten 11-15.<br />
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<sup>11</sup> Begriffserklärung und Beispiele siehe Box «Florenverfälschung».<br />
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<sup>12</sup> vgl. Studie <!-- noch nicht beschaffen können: Wolfgang Bischoff/Pro Natura und Studie -->Pro Natura/Ö+L 2017 ([http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2017/05/BerichtAnsaatenArtenreicheWiesenKtAG2014-16.pdf PDF]).<br />
</small><br />
<br />
==Engpass Spenderflächen==<br />
Vor allem im Mittelland und einigen Voralpenregionen sind geeignete Spenderflächen allerdings so rar, dass die Produktion von autochthonem Saatgut den potenziellen Bedarf bei weitem nicht abdecken kann. In diesen Regionen wird Standardsaatgut mit Ökotypen aus diesen Regionen auch in Zukunft ein wichtiger Pfeiler für die Renaturierung von artenreichen Wiesen bleiben – dies umso mehr, da für das Mittelland beim Standardsaatgut auch das grösste Angebot an Arten existiert. Im Berggebiet und auf der Alpensüdseite dagegen besteht sowohl in Anbetracht der sehr unterschiedlichen Standortsbedingungen und Höhenlagen, als auch aufgrund des sehr begrenzten Angebotes von Arten aus den betreffenden biogeographischen Regionen kaum geeignetes Standardsaatgut. Dafür sind in diesen Regionen Spenderflächen meist noch zahlreich verfügbar, so dass hier in Zukunft vorwiegend autochthones Saatgut zum Einsatz kommen dürfte. Von der bisherigen Praxis, in diesen Regionen Mischungen mit Ökotypen aus dem Mittelland zu verwenden, sollten die zuständigen Amtsstellen und weiteren Akteuren wegkommen. <br />
<br />
<br/><br />
<table border="0", style="font-size:108%"> <br />
<tr> <br />
<td> '''Was ist «Florenverfälschung»?''' <br /> Unter Florenverfälschung wird die Beeinträchtigung der einheimischen Pflanzen-Biodiversität durch die Einführung fremder Pflanzenarten oder fremder Ökotypen verstanden. <br/><br />
Schädigende Auswirkungen auf die Biodiversität können von folgenden zwei Prozessen ausgehen:<br/><br />
a) Heimische Arten oder Ökotypen werden durch die eingebrachten Arten oder Ökotypen verdrängt. Bekannt sind die Auswirkungen invasiver Neophyten, also sich aggressiv ausbreitende Pflanzenarten aus anderen Kontinenten wie de Goldruten (''Solidago canadensis'') oder der Japanknöterisch (''Reynoutria japonica''). Auch einheimische Arten können invasiv sein, z. B. Schilf (''Phragmites australis'') oder Klappertopf (''Rhinanthus alectorolophus''). Ein Beispiel für eine Ökotypen-Invasion stellt der europäische Schilfrohr-Ökotyp in Amerika dar, der dortige Populationen weitgehend verdrängt hat (vgl. Kowarik 2003).<br/><br />
b) Die vorhandenen lokalheimischen Ökotypen kreuzen sich mit den eingebrachten Ökotypen und verlieren dadurch ihre spezifischen, zum Teil ausgeprägten physiologischen und ökologischen Anpassungen an die lokalen Bedingungen (Klima, Standort, Bewirtschaftung). Mit der Einkreuzung verschwindet auch der betreffende Ökotyp als Bestandteil der Biodiversität. <br />
<br />
Der Prozess b) dürfte viel bedeutsamer sein als a), ist aber gleichzeitig viel schwieriger zu beobachten und nachzuweisen. Beide Prozesse haben nicht auf die Flora, sondern ebenso auf die Tierwelt negative Auswirkungen.<br />
<br />
Quelle: [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Leitfaden_naturgemaesse_Begruenungen_def.pdf Bosshard, A., Mayer, P., Mosimann, A., 2015. Leitfaden für naturgemässe Begrünungen in der Schweiz. S. 21.]</td> <br />
</tr> <br />
</table><br />
<br /><br />
<br />
Die Verfügbarkeit von Ökotypensaatgut regionaler Herkunft (Regiosaatgut) war ein grundlegender Fortschritt gegenüber dem früher aus dem Ausland importierten „Billigsaatgut“, das nicht nur Ökotypen aus vielen anderen Ländern enthielt, sondern teilweise sogar Zuchtformen oder auch Arten, die gar nicht in der Schweiz heimisch waren. Ein Beispiel war der Wiesenknopf (''Sanguisorba muricata''), der dem heimischen Kleinen Wiesenknopf (''Sanguisorba minor'') sehr ähnlich sieht. Andere Beispiele sind Rotklee (''Trifolium pratense'') und Hornklee (''Lotus corniculatus'') oder Fromental (Glatthafer) (''Arrhenaterum elatius''), bei denen noch bis vor wenigen Jahren regelmässig Zuchtformen verwendet wurden.<br />
<br />
=Wo lassen sich welche artenreichen Wiesentypen neu anlegen?=<br />
Artenreiche Wiesen können praktisch überall neu angelegt werden, vorausgesetzt Ansaatmethode und Saatgut sind sachgemäss auf den Standort und die zukünftige Nutzung abgestimmt. Je nach Standort und Nutzung entstehen dabei unterschiedliche Wiesentypen mit einer unterschiedlichen Artenzusammensetzung und Artenvielfalt. <br/><br />
Die wichtigsten Anwendungsbereiche für die Neuanlage artenreicher Wiesen sind Naturschutzgebiete, ehemaliges Ackerland, bisher intensiv genutzte verarmte Wiesen im Landwirtschaftsgebiet, Hochwasserschutzdämme und Gewässerräume, Böschungen von Verkehrswegen, Rasenflächen in Gärten oder Parks, neu geschaffene Umgebungen von Siedlungen, aber auch kleinflächige Objekte wie Verkehrsinseln oder kleine Gartenbereiche. <br/><br />
Besonders artenreich werden Wiesen auf relativ nährstoffarmen Standorten mit extensiver Nutzung, das heisst auf Flächen, die nicht gedüngt und nur ein- bis höchstens zweimal pro Jahr gemäht werden (Abb. 2). Bei erhöhtem Nährstoffgehalt und etwas häufigerer Mahd nimmt die Artenzahl zunehmend ab. Doch auch auf ehemals intensiv genutzten, nährstoffreichen Böden können bei sachgemässer Ausführung und Bewirtschaftung blumenreiche Wiesentypen langfristig erfolgreich angelegt werden. Sogar in Rasenflächen, die bis zu sechsmal jährlich gemäht werden, können sich viele attraktive und für Insekten wertvolle Blumenarten wie Salbei, Margerite, Brunelle, Thymian etc. langfristig halten. <br/><br />
Bei sehr nährstoffarmen Verhältnissen (z.B. Rohböden)<!--Link auf Pionierflächen, wenn vorhanden--> ist die Artenzahl und die Blühfreudigkeit der Wiesentypen etwas geringer, dafür lassen sich unter solchen Standorten besser gefährdete Arten ansiedeln. <br/><br />
Die Standortansprache, also die Beurteilung, welcher artenreiche Wiesentyp an einem gegebenen Ort angelegt werden kann, ist entscheidend für den späteren Erfolg. Doch die Standortbeurteilung bereitet oft Mühe. Es lohnt sich deshalb, für diesen ersten ausschlaggebenden Schritt eine erfahrene Fachperson beizuziehen. Sie kann für den individuellen Fall die wichtigsten Hinweise zum anzustrebenden Wiesentyp, zur richtigen Bodenvorbereitung, zur Ansaatmethode, zum geeigneten Saatgut und zu den Anforderungen an Bewirtschaftung und Pflege geben.<br />
<br />
== Die wichtigsten Wiesentypen und ihre Standorte für die Neuanlage artenreicher Wiesen==<br />
Im Wesentlichen sind folgende fünf [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie#Lebensr.C3.A4ume_des_Gr.C3.BCnlands Wiesentypen] für die Neuanlage artenreicher Wiesen bis in eine Höhenlage von maximal 1000 m ü. M. relevant (siehe [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen#Typologie_des_Gr.C3.BCnlands Kapitel «Typologie des Grünlands»]). Die Reihenfolge in der nachfolgenden Abbildung richtet sich nach einem Gradienten von trocken bis feucht und von nährstoffarm bis mässig nährstoffreich.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Wiesentypen Neuanlage de.png<br />
| text = Ökogramm mit den wichtigsten Wiesentypen, die für eine Neuanlage artenreicher Wiesen in Frage kommen. Wo es sehr trocken ist, ist die Verfügbarkeit von Nährstoffen stark eingeschränkt, weshalb es keine Wiesentypen in der Ecke oben rechts gibt.<br />
}}<br />
<br />
1. '''Trockenrasen'''<sup>13</sup> (''Xerobromion''): Dieser Wiesentyp bildet sich nur auf sehr sonnigen, heissen Standorten mit sehr mageren Böden aus (z.B. Rohböden wie Kies- oder Sandflächen). Trockenrasen sind lückig, sehr artenreich, aber oft etwas weniger blühfreudig als die Halbtrockenrasen. Trockenrasen werden oft nur jedes zweite Jahr gemäht, so dass auch verholzte niedrige Sträucher wie verschiedene Ginsterarten aufkommen können. <br/><br />
2. '''Trespen-Halbtrockenrasen'''<sup>13</sup> (''Mesobrometum''): Verbreiteter, blumen- und artenreicher Wiesentyp an sonnigen, nährstoffarmen, (zumindest schwach) humusierten Standorten. Wird jährlich im Juli geheut und im Herbst je nach Wüchsigkeit noch ein zweites Mal gemäht. Charakterarten sind das bestandesbildende Gras Aufrechte Trespe (''Bromus erectus'') und bei den Kräutern z.B. Thymian (''Thymus'' sp.), Esparsette (''Onobrychis viciifolia''), Salbei (''Salvia pratensis'') und bei schwacher Nutzung Dost (''Eupatorium cannabinum'') und Hauhechel (''Ononis'' sp.). <br/><br />
3. '''Fromentalwiese trockene Ausprägung''' (''Arrhenatheretum salvietosum''): Ziemlich artenreiche, sehr blütenreiche Wiese, die in der Regel in der zweiten Junihälfte geheut wird und danach noch 1-2 weitere Emdschnitte benötigt. Sie bildet sich auf humusreicheren, vormals oft intensiv gedüngten Böden an sonnigen Lagen aus. Charakterarten sind Salbei (''Salvia pratensis''), Wiesenbocksbart (''Tragopogon pratensis'') oder Margerite (''Leucanthemum vulgare''). <br/><br />
3a. '''"Blumenrasen"''': Auf Fromentalwiesenstandorten, also auf humusreicheren, gut mit Nährstoffen versorgten Böden auf mittleren oder trockeneren Standorten bilden sich bei sehr häufiger Mahd Rasen im gartenbaulichen Sinne aus. Wird ein Rasen alle 1-2 Wochen gemäht, überleben nur wenige Pflanzenarten, vor allem ausläufertreibende, niederwüchsige Gräser und einige Klee- und Kräuterarten. Wird die Schnittfrequenz auf maximal 5-6 Schnitte pro Jahr reduziert und die Düngung eingestellt, haben viele Arten der Fromentalwiesen und teilweise auch der Trespen-Halbtrockenrasen eine Chance, sich zu etablieren und zu reproduzieren. Dieser «Wiesentyp» wird in der Regel Blumenrasen genannt und findet zunehmend Verbreitung im Siedlungsbereich. <br/><br />
4. '''Fromentalwiesen frische Ausprägung''' (''Arrhenatheretum cirsietosum oleracei''): Ziemlich arten- und blütenreiche Wiese. Bewirtschaftung/Pflege wie bei (3). Sie bildet sich auf humusreicheren, vormals oft intensiv gedüngten Böden an schattigeren und/oder frischen bis feuchten Standorten aus. Charakterarten sind Kuckuckslichtnelke (''Lychnis floc-cuculi'') und Kohldistel (''Cirsium oleraceum''). An schattigen oder feuchten Standorten bilden sich bei sehr extensiver Nutzung (Mahd alle 2 Jahre oder jährlich im Spätherbst) Hochstaudensäume (''Filipendulion'', 4b) mit farbenprächtigen Arten wie Mädesüss (''Filipendula ulmaria''), Gilbweiderich (''Lysimachia vulgaris'') oder Blutweiderich (''Lythrum salicaria'') aus.<br/><br />
5. '''Streuwiesen''' <!---Link auf Feuchtgebiete wenn vorhanden-->(''Molinion'', ''Caricetum davallianae'' u.a.): Magere, feuchte bis vernässte Standorte sind für Wiesenneuanlagen eher selten und werden vor allem bei Naturschutzprojekten gezielt geschaffen mittels baulichen Massnahmen, z.B. bei Wiedervernässungen oder bei der [https://biodivers.ch/de/index.php/Stillgew%C3%A4sser/Bau_von_Gew%C3%A4ssern Schaffung von Weihern]. Unter diesen Standortbedingungen bilden sich niederwüchsige, teilweise sehr artenreiche Streuwiesentypen aus, die in der Regel einmal jährlich im Spät-herbst gemäht werden.<br/><br />
<br />
<small><br />
<sup>13</sup> «Rasen» wird hier in pflanzensoziologischer Terminologie verwendet und bedeutet «niederwüchsige Vegetation aus Kräutern».<br />
</small><br />
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{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = artenhaeufigkeiten wiesen de.png<br />
| text = Zusammenhang zwischen Nutzungsintensität, Ertrag und Vielfalt (Artendichte) an Pflanzenarten in Naturwiesen, schematisch; Orientierungswerte für Wiesen trockener und mesischer Standorte der kollinen bis montanen Stufe der Schweiz. Düngung und Nutzungshäufigkeit nehmen von links nach rechts zu. TS = Trockensubstanz. Der mit 1 bezeichnete Bereich entspricht in den tieferen Lagen den Trespen-Halbtrockenrasen, 2 den Fromentalwiesen. Quelle: Bosshard, A., 2016. Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas: Mit besonderer Berücksichtigung der Fromentalwiesen und des standortgemässen Futterbaus, Bristol-Schriftenreihe. Haupt Verlag, Bern. (ergänzt)<br />
}}<br />
<br />
=Standort- und Vegetationsbeurteilung=<br />
Eine grundlegende Voraussetzung für den Erfolg von artenreichen Wiesenansaaten '''ist die korrekte Standortbeurteilung'''<sup>14</sup> '''sowie die Beurteilung der vorhandenen Vegetation'''. Diese beiden Schritte bestimmen, ob und welche Massnahmen für eine Ansaat getroffen und welches Saatgut für eine erfolgreiche Durchführung gewählt werden soll, aber auch, wo eine Ansaat am meisten Sinn macht, sofern mehrere Varianten zur Verfügung stehen.<br />
<br />
<small><br />
<sup>14</sup> bzw. die künstliche Schaffung entsprechender Standortbedingungen beispielsweise mittels Bodenabtrag/Bodenaufschüttung, vgl. Kapitel [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Aufwertung_durch_Aushagerung «Aufwertung durch Aushagerung»]<br />
</small><br />
<br />
==Wo es keine Ansaaten braucht, sondern Geduld und angepasste Pflege genügen==<br />
Auf Flächen, auf denen bereits einzelne Blumen der gewünschten Arten vorhanden sind, kann unabhängig von einer Standortdiagnose oft auf eine Ansaat verzichtet werden. So weisen artenarme Naturwiesen, auch wenn sie intensiv bewirtschaftet werden, oft noch Reste von Zielarten auf, beispielsweise in Randbereichen oder an flachgründigen Stellen. Zudem sind Naturwiesen <sup>15</sup> generell deshalb wertvoll, weil die verbliebenen Arten noch aus alten, lokalen Ökotypen bestehen, so dass beim Umbruch von alten Naturwiesen generell grosse Zurückhaltung geübt werden sollte. Sie können nach und nach durch ein Ausbleiben der Düngung und ein reduzierte Mahdfrequenz – meist genügt ein zweimaliger Heuschnitt pro Jahr – wieder artenreicher werden. <br/><br />
Auch in alten Rasenflächen, die über längere Zeit nicht gedüngt wurden, wächst vereinzelt oft noch eine erstaunliche Vielfalt an Wiesenblumen wie Margeriten, Hornklee oder Salbei. Kommen solche Arten noch regelmässig vor, genügt es, den Mährhythmus stark zu reduzieren (auf maximal 6 Schnitte pro Jahr), und eine mehr oder weniger artenreiche Blumenwiese kehrt in wenigen Jahren von selbst zurück. <br/><br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = Weg_artenreicheWiese_de.png<br />
| text = Um zu klären, ob eine Ansaat nötig ist oder Abwarten vielmehr genügt, bietet das Agridea-Merkblatt [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~1425~1/3~410250~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Naturnahe-Lebensr%C3%A4ume-im-Wiesland/Der-Weg-zu-artenreichen-Wiesen/Deutsch/Print-Papier "Der Weg zur artenreichen Wiese"] eine gute Entscheidungshilfe.<br />
}}<br />
<br />
<small><br />
<sup>15</sup> Naturwiesen sind Wiesen, die seit mindestens 30 Jahren nicht mehr umgebrochen und neu angesät worden sind.<br />
</small><br />
<br />
==Botanische Aufwertung von verarmten Naturwiesen mittels Einsaaten==<br />
Ist eine Wiese beispielsweise durch intensive Nutzung einmal botanisch verarmt und weist auch keine Relikte der angestrebten Pflanzengesellschaft mehr auf, kommt die Pflanzenvielfalt auch bei wieder extensiverer Nutzung selbst nach Jahrzehnten oft nicht von selbst zurück. Dies zeigen viele Untersuchungen (z.B. Bosshard 1999, Kiehl 2010 <sup>16</sup>). Zum einen breiten sich die meisten Wiesenarten nur langsam aus, zum anderen verhindert die bestehende Grasnarbe die Etablierung neuer Pflanzenarten wirkungsvoll und ein Samenvorrat der meisten erhofften Wiesenarten fehlt, da die Samen der meisten Wiesenarten nur wenige Jahre im Boden überleben.<br />
<br />
Soll ein verarmter Wiesenbestand also wieder mit Arten angereichert werden, bleibt nichts anderes übrig, als die fehlenden Arten mit geeigneten Massnahmen wieder einzubringen <sup>17</sup>. Dabei existieren grundsätzlich drei Möglichkeiten – wobei eine angepasste Nutzung (keine Düngung, geeignetes Schnittregime u.a.) immer vorausgesetzt wird: <br />
# '''Übersaatmethode''': Alte, vergraste und blumenarme Naturwiesen, die bezüglich der Grasartenzusammensetzung aber noch einigermassen den Fromentalwiesen im engeren Sinne entsprechen, sollten nicht umgebrochen/gefräst und angesät werden. Eine Aufwertung mit einer einfachen Übersaat in den bestehenden Bestand, wie dies in intensiver genutzten Wiesen mit Futterbaumischungen gemacht wird, funktioniert mit Wiesenblumensaatgut nicht. Dagegen gibt es zwei etwas aufwändigere Übersaatmethoden, die ohne Umbruch funktionieren. Zum einen lassen sich Wiesenblumenarten ansiedeln, indem über mehrere Jahre hinweg gesammeltes Saatgut ausgewählter Arten der Umgebung gezielt oberflächlich auf Blössen (Narbenschäden, Maushaufen, gezielt verursachte Öffnungen etc.) ausgebracht wird. Die andere Möglichkeit besteht darin, über mehrere Jahre das frische Erntegut von blumenreichen Heuwiesen (Fromentalwiesen) auf der aufzuwertenden Fläche zu trocknen. Die ausfallenden Samen führen nach einigen Jahren zu einer deutlichen Zunahme der Arten- und Blumenvielfalt. Voraussetzung ist allerdings, dass eine geeignete Heuwiese als Spenderwiese auf dem Betrieb oder in der Nachbarschaft vorhanden ist. Mit diesen beiden Methoden wird die bestehende Pflanzen-/Boden-Garnitur und -Struktur nicht unnötig zerstört und die noch vorhandenen Ökotypen der bestehenden Naturwiese bleiben erhalten. Allerdings brauchen sie viel Geduld, sind ziemlich aufwändig und gelingen nur auf Standorten mit eher tiefem Nährstoffniveau.<br />
# '''Streifensaat'''. Diese Methode ist einfacher und sicherer und erlaubt es ebenfalls, die gewünschten Arten wieder in den Bestand zu bringen, ohne dass die ganze bestehende Naturwiese eliminiert werden muss. Dazu werden in einem Abstand von 15-20 m Streifen von 3-6 m Breite mit einer zapfwellengetriebenen Egge (z.B. Kreiselegge) oder auch einer Gartenfräse in die bestehende Wiese gefräst. Meist ist eine mindestens 3-malige Wiederholung im Abstand von ca. 2 Wochen nötig, bis die alte Vegetation vollständig abgestorben ist. Im Frühling können die vegetationsfreien, gut abgesetzten Streifen mit geeignetem Saatgut oder einer Direktbegrünung angesät. Je breiter die Streifen sind, desto eher lassen sich Schäden durch Schnecken reduzieren. Von den angesäten Streifen aus können dann die dort etablierten Arten nach und nach in den umliegenden Bestand auswandern, sofern Bodenheu gemacht und das Heu mit dem Kreiselheuer über die Fläche verteilt wird. <br />
# '''Ganzflächige Ansaat''': Ist der Ausgangsbestand keine erhaltenswerte Naturwiese, empfiehlt es sich, die bestehende Wiesenvegetation ganzflächig durch Pflügen und anschliessendes Eggen, oder allein durch mehrmaliges Eggen mit einer zapfwellengetriebenen Kreiselegge (oder ähnlichem Gerät), vollständig zu entfernen. Details zu einer erfolgreichen Saatbettbereitung und Ansaat siehe Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Standort-_und_Vegetationsbeurteilung «Standort- und Vegetationsbeurteilung»].<br />
<br />
<small><br />
<sup>16</sup> Plant species introduction in ecological restoration: Possibilities and limitations. Basic and Applied Ecology 11/4, 281-284<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>17</sup> vgl. dazu insbesondere [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~1425~1/3~410250~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Naturnahe-Lebensr%C3%A4ume-im-Wiesland/Der-Weg-zu-artenreichen-Wiesen/Deutsch/Print-Papier Agridea-Merkblatt «Der Weg zu artenreichen Wiesen»] sowie Huguenin-Elin et al. 2012<br />
</small><br />
<br />
==Welche Flächen eignen sich (nicht) für Neuansaaten?==<br />
Mittels Ansaaten können auf fast jedem Standort (Boden, Exposition, Höhenlage etc.) artenreiche, stabile Wiesen erfolgreich wieder etabliert werden – vorausgesetzt, es werden die richtigen Arten und Ökotypen fachgerecht angesät und die anschliessende Pflege erfolgt dem Pflanzenbestand angepasst.<br />
<br />
'''Generell gilt''': Auf mageren sonnigen Standorten können sich mehr Pflanzen- und Tierarten und auch seltenere Arten entwickeln als auf nährstoffreicheren oder schattigeren Flächen. Auf sehr armen trockenen Böden nimmt die Artenvielfalt natürlicherweise wieder ab ([https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Die_wichtigsten_Wiesentypen_und_ihre_Standorte_f.C3.BCr_die_Neuanlage_artenreicher_Wiesen siehe Abbildung zu Artenreichtum]), und die Ansaat gestaltet sich oft schwierig, insbesondere auf kiesigen Rohböden mit geringem oder fehlendem Feinkornanteil (Sand, Schluff, Ton).<!-- nicht veröffentlichen wegen Empfehlung Humusierung: Südexponierte oder schattige Lagen verschärfen die Situation noch. Besteht Erosionsgefahr, ist bei reinen Kiesflächen die Beimischung eines geringen Humusanteils zu empfehlen, damit sich eine geschlossene Pflanzendecke entwickeln kann.--><br />
<br />
'''Weniger geeignet bzw. schwierig für die Neuansaat artenreicher Wiesen sind''': <br />
* '''Schattige Standorte'''. Solche sind von Natur aus meist arten- und blumenärmer als Wiesen an besonnten Lagen. Zudem können Schnecken den Keimlingen, vor allem der Wiesenblumen, an solchen Standorten besonders zusetzen. Dieser teilweise unterschätzte Faktor wird noch verschärft, wenn die Ansaatflächen an solchen Standorten klein oder schmal sind und deshalb von den Schnecken vom Rand her leichter aufgesucht werden können. Tipp: Anzusäende Flächen, die von bestehenden Wiesen oder Gehölzen umgeben sind, sollten nicht schmaler als 6 m und kleiner als eine Are (10x10m) sein.<br />
* '''Entwässerte Moorböden'''. Auf solchen Böden werden durch den Abbau des Torfs so viele Nährstoffe freigesetzt, dass rasch wenige Arten zur Dominanz gelangen und die meisten der angesäten Arten verdrängen. Unter dieser (seltenen) Voraussetzung lohnen sich artenreiche Ansaaten in der Regel nicht. Ökologisch aufgewertet werden können sie jedoch mit einer Vernässung<!--Link auf Feuchtgebiete-->.<br />
* '''«Verunkrautete“ Flächen»''': Auf Standorten, die vorher mit Stumpfblättrigem Ampfer («Blacke», (''Rumex obtusifolius'')) verunkrautet waren, ist Vorsicht geboten. Blackensamen bleiben viele Jahrzehnte keimfähig im Boden. Auch wenn auf einer Fläche vor der Ansaat keine Blacken sichtbar sind, können Blackensamen beim Pflügen oder auch Eggen von Wiesland aus einer früheren Verunkrautung in grosser Zahl keimen. Die Bekämpfung dieser Problemart kann sehr aufwändig sein <sup>18</sup>. Als weitere Problemarten sind Ackerkratzdisteln und einige wenige invasive Neophyten zu nennen, insbesondere Goldruten und einjähriges Berufskraut. Was die genannte, ausläufertreibende Distelart anbelangt, deren Blüten übrigens für Bienen und Schmetterlinge sehr attraktiv sind, verschwindet sie bei regelmässiger Mahd meist von selbst wieder. Die genannten Neophyten dagegen sollten von Beginn weg konsequent eliminiert („gezupft“) werden. Praktisch alle anderen Pflanzenarten, die landläufig als Unkraut bezeichnet werden, sind bei einer fachgerechten Pflege kein Problem für die gewünschte Entwicklung des Wiesenbestandes. Das gilt insbesondere für die im Ansaatjahr oft massenweise auftretenden einjährigen Ackerbeikräuter wie Gänsefuss (''Chenopodium'' sp.) oder Ackerhirsen (''Echinochloa crus-galli'', ''Setaria spp.'', ''Panicum spp.''). Sie verschwinden alle bereits im zweiten Jahr nach der Ansaat von selbst.<br />
<br />
<small><br />
<sup>18</sup> Der Umgang mit Flächen, die einen hohen Blackendruck aufweisen, kann hier nicht weiter vertieft werden.<br />
</small><br />
<br />
==Standortbeeinflussung==<br />
Besteht in einem Ansaatprojekt die Möglichkeit, die Bodeneigenschaften zu beeinflussen, können folgende Massnahmen ins Auge gefasst werden, um – in der Regel – nährstoffärmere Bedingungen zu schaffen (Reihenfolge mit abnehmender Wirksamkeit und abnehmenden Kosten): <br />
# Oberbodenabtrag (meist A-Horizont, ggf. auch B-Horizont),<br />
# Aufschüttung eines nährstoffarmen Substrates auf oder Einarbeitung desselben in den bestehenden Boden – meist Kies oder Sand – wobei es für die Aufschüttung meist eine Schicht von mindestens 30 cm braucht, <br />
# Ausmagerung, beispielsweise durch die Kultur eines Starkzehrers wie Mais oder Raygras. Die Wirksamkeit dieser Methode ist allerdings umstritten. Eine deutlich stärkere Reduktion verfügbarer Nährstoffe wird allein dadurch erreicht, indem vor der Ansaat der Boden möglichst nicht mehr gewendet oder bewegt wird (Verhinderung der oxidativen Nährstoffmobilisation, s. Bosshard 1999). Dies ist auf wenig verunkrauteten Ackerflächen möglich, indem die Ansaat ohne Bodenbearbeitung direkt in die Stoppelbrache erfolgt.<br />
<br />
Ebenso besteht überall dort, wo der Boden neu aufgesetzt wird wie z.B. bei Bauprojekten, die Möglichkeit, den Boden so zu „designen“, dass er standörtlich der Zielvegetation am besten entspricht.<br />
<br />
Weitere Standortfaktoren können beispielsweise durch die Gestaltung des Geländes (Exposition, Grundwassereinfluss etc.) oder durch Reduktion von Schatteneinflüssen (Waldrandstufung, zurückschneiden von Hecken etc.) zugunsten der angestrebten Wiesentyps gezielt beeinflusst werden.<br />
<br />
<br />
Tabelle: Vereinfachter Entscheidungsbaum für die Wahl der geeigneten Ansaat in Lagen unterhalb 1000 m ü. M. (Quelle: In Anlehnung an Bosshard 2000, [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2017/08/Wiesenrenaturierung_NuL_2000.pdf Blumenreiche Heuwiesen aus Ackerland und Intensiv-Wiesen. Eine Anleitung zur Renaturierung in der landwirtschaftlichen Praxis. Naturschutz und Landschaftsplanung 32/6, 161-171]. Zur Bestimmung der Wiesentypen siehe [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen#Typologie_des_Gr.C3.BCnlands Kapitel «Typologie des Grünlands]<br />
<br />
{| class="wikitable" <br />
|-<br />
! colspan="2"|Typ <br />
! Beschreibung<br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | '''1a'''<br />
| Boden eher bis sehr tiefgründig, bisher mittel bis sehr intensiv genutzt (oder Phosphor über 100 ppM), mit ausgeglichenem Wasserhaushalt: -> Zielvegetation typische Fromentalwiese (Arrhenatheretum). Details siehe Text.<br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;"| '''1b'''<br />
| Boden flachgründig oder durchlässig (kiesig, sandig) oder Standort sehr trocken oder nährstoffarm aufgrund bestehender Vegetation (Ertrag < 30 dt/J); an sonniger Lage: <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | 1b1<br />
| Boden kalkhaltig oder pH >6: -> Zielvegetation typische Trespen-Halbtrockenrasen (Mesobrometum). Zur Wahl der Ansaat siehe Text.<br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | 1b2<br />
| weitgehend fehlender Kalkgehalt bzw. pH <6: -> Zielvegetation Rotschwingel-Straussgraswiese (Festuca-Agrostion), ev. Borstgrasrasen (ab 600 m ü. M. (Nardion)); Direktbegrünung, kein geeignetes Standardsaatgut verfügbar. <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | '''1c'''<br />
| Wie 1b, aber schattige Lage: <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | 1c1<br />
| Eher trockener Standort (vorwiegend Nordexposition, Beschattung durch Waldrand u.ä.): -> Zielvegetation Rotschwingel-Straussgraswiese (Saatgut s. 1c1), <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | 1c2<br />
| wie 1c1, aber bei Niederschlägen >1200 mm/J und mind. leichtem Bodenkalkgehalt bzw. pH >6: -> Rotschwingel-Straussgraswiese (s. 1c1) oder magere Variante einer feuchten Fromentalwiese mittels Direktbegrünung oder Standardsaatgut Humida. <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | '''1d'''<br />
|Boden zur Vernässung neigend (wechseltrocken):<br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | 1d1<br />
| Boden eher tiefgründig und/oder eher nährstoffreich: -> Zielvegetation frische Fromentalwiese, Saatgut über Direktbegrünung oder mit Standardsaatgut Humida <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | 1d2 <br />
| Boden mager oder flachgründig: -> Streuwiesengesellschaften durch Direktbegrünungsverfahren (kein geeignetes Standardsaatgut auf dem Markt). Pflanzensoziologische Detailabklärungen nötig zur Wahl geeigneter Spenderflächen (Molinion, Caricion u.a.) <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | '''1e'''<br />
| Boden vernässt bzw. wechselnass: Wie 1d2.<br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | '''1f'''<br />
| Rohboden: -> Zielvegetation: Ruderalflora oder lückiger Trespenrasen (s. Text); je nach Situation auf Ansaat verzichten, Ansaat einer Ruderalflora-Mischung, oder (sofern Boden kalkhaltig) Direktbegrünung mit Trespen-Halbtrockenrasen (Mesobrometum) bzw. Trockenrasen (Xerobrometum) sofern verfügbar. Kleinflächen: Anpflanzung von Einzelpflanzen prüfen. <br />
|}<br />
<br />
=Saatgut: Richtige Artenzusammensetzung, richtige Herkunft=<br />
Standörtliche/geographische Herkunft, Qualität und Zusammensetzung des Saatgutes sind eine ausschlaggebende Voraussetzung für den Erfolg bei einer Neuanlage oder Wiederherstellung artenreicher Wiesen. Auch im Hinblick auf die Biodiversität spielen die Zusammensetzung und Herkunft des Saatgutes eine zentrale Rolle.<br />
<br />
In diesem Kapitel werden die verschiedenen Saatguttypen mit ihren Vor- und Nachteilen sowie die vorhandenen Anbieter in der Schweiz beschrieben. Eine einfache erste Entscheidungshilfe, wo welcher Saatguttyp am besten geeignet ist, liefert die Entscheidungsmatrix (siehe Tabelle unten). Weiterführende Informationen zu den einzelnen Saatguttypen und ihren Anwendungsmöglichkeiten enthält der [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Leitfaden_naturgemaesse_Begruenungen_def.pdf Leitfaden für naturgemässe Begrünungen, Kap. 6 (s. 39 ff.)].<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = tab bossh de.png<br />
| text = '''Entscheidungsmatrix für die Saatgutwahl bei Begrünungen in der Schweiz'''. Eine Saatgutwahl nach dieser Matrix ist konform mit dem Natur- und Heimatschutzgesetz sowie mit der Biodiversitätskonvention. Die zuerst genannten Verfahren sind aus ökologischer Sicht vorzuziehen. Angaben in Klammern: Verfügbarkeit des Saatgutes je nach Region eingeschränkt. '''A''' = Autochthones Saatgut oder Pflanzenmaterial (ausgebracht über Heugrassaat, Sodenverpflanzung oder ähnliche Verfahren), '''W''' = Wildpflanzensaatgut (Regio-Saatgut), '''Z''' = Regel-Handelssaatgut. <br/><br />
Quelle: Leitfaden für naturgemässe Begrünungen in der Schweiz - Mit besonderer Berücksichtigung der Biodiversität, Bosshard A., Mayer P., Mosimann A., 2015 <br />
}}<br />
<br />
==Direktbegrünungsverfahren==<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = direktbegruenungsverfahren de.png<br />
| text = Vergleich der Begrünungsverfahren. Quelle: Bosshard, A., Mayer, P., Mosimann, A., 2015. Leitfaden für naturgemässe Begrünungen in der Schweiz. Mit besonderer Berücksichtigung der Biodiversität. Ö+L Ökologie und Landschaft GmbH.<br />
}}<br />
<br />
Direktbegrünungsverfahren sind für die Erhaltung der Biodiversität in der Regel deutlich besser als der Einsatz von [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Standardsaatgut_und_Direktbegr.C3.BCnung_.E2.80.93_eine_Begriffskl.C3.A4rung Standardsaatgut]. Bei Ansaaten auf Flächen mit Naturschutzcharakter sollten generell Direktbegrünungen, also Mahdgutübertragung oder autochthones Saatgut aus dem Sack, eingesetzt werden und nur im Ausnahmefall (z. B. für extensive Vernetzungsflächen, die nicht direkt Naturschutzflächen sind) Standardsaatgut.<br />
<br />
Die Ansaatmethode der Direktbegrünung bzw. mit sog. autochthonem Saatgut wird oft als Wiesenkopierverfahren bezeichnet. Statt einzelne Arten zu vermehren, in Monokulturen anzubauen und dann als definierte Mischungen auf den Markt zu bringen, werden die Samen, welche in artenreichen Wiesen, den sogenannten '''Spenderflächen''', jedes Jahr produziert werden, direkt, ohne Zwischenvermehrung, genutzt. Die Ansaat dieser Samen auf die '''Ansaat- oder Empfängerfläche''' sollte möglichst in engem räumlichem Umkreis, im Idealfall lokal, d.h. im Umkreis von beispielsweise 15 km, erfolgen. Deshalb wird auch von lokalem Saatgut gesprochen <sup>19</sup>.<br />
<br />
Ebenso wichtig wie dieses Prinzip '''«Aus der Region für die Region»''' ist das Prinzip '''Standortäquivalenz''': Spenderfläche und Ansaatfläche müssen sich standörtlich, also bezogen auf den Bodentyp, die Höhenlage, die Exposition, die Nutzung/Pflege etc., so weit als möglich entsprechen (vgl. dazu die Entscheidungshilfe von [https://www.regioflora.ch/de/startseite-de/ Regio Flora]).<br />
<br />
Direktbegrünungsverfahren wurden in den letzten Jahren in der Schweiz, aber auch im Ausland <sup>20</sup> stark weiterentwickelt und verbessert und funktionieren mittlerweile bei fachgemässer Ausführung zuverlässig und erfolgreich.<br />
<br />
Heute wird von einigen Firmen autochthones Saatgut für die meisten Teile der Schweiz angeboten <sup>21</sup>. Die von Pro Natura initiierte und zusammen mit Info Flora, AGRIDEA und verschiedenen Kantonen aufgebaute Plattform [https://www.regioflora.ch/de/startseite-de/ Regio Flora] beschreibt die Methoden von Direktbegrünungen, gibt ausführliche Literaturhinweise und enthält auch eine Zusammenstellung von verschieden Samenanbietern und Fachpersonen. RegioFlora unterhält auch eine – derzeit allerdings je nach Region noch lückenhafte – [https://www.regioflora.ch/app/de/index.html Spenderflächendatenbank], die Nutzern helfen soll, eine geeignete Spenderfläche für eine Direktbegrünung zu finden.<br />
<br />
Entscheidend für Direktbegrünungsverfahren ist eine gute Zusammenarbeit mit den Besitzern und vor allem den Bewirtschaftern der Spenderflächen. Denn dank ihnen ist die gesuchte Artenvielfalt in diesen Flächen noch vorhanden. Die Nutzung einer Wiese als Spenderfläche bedeutet für die Bewirtschafter oft eine besondere Wertschätzung. Ihnen diese Wertschätzung bei einer Nutzung entgegenzubringen genügt aber nicht. Für die Erlaubnis, eine Ernte durchführen zu können, ist eine Entschädigung, die über den anfallenden Mehraufwand hinausgeht, angemessen.<br />
<br />
<small><br />
<sup>19</sup> Anmerkung: Bei der Sodenversetzung, die ebenfalls zu den Direktbegrünungsverfahren gezählt wird, gilt dasselbe, wobei anstelle von Samen ganze Vegetationsstücke inkl. der obersten Bodenschicht übertragen werden.<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>20</sup> Siehe ausführliche Literaturliste z.B. bei [https://www.regioflora.ch Regio Flora] und [https://www.holosem.ch/ HoloSem].<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>21</sup> Umfangreiche Informationen zum aktuellen Angebot auf [https://floretia.ch/ Floretia], wo neben autochthonem auch das Angebot von regionalem Vermehrungssaatgut aufgelistet ist. <br />
</small><br />
<br />
==Die verschiedenen Direktbegrünungsverfahren im Detail==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = agridea_verfahren_de_400dpi.png<br />
| text = Die neben der Mahdgutübertragung weiteren Methoden im Vergleich. Quelle: "Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft" (Hrsg.: Agridea, 2015)<br />
}}<br />
<br />
===Mahdgutübertragung===<br />
Die Spenderfläche wird zum Zeitpunkt der optimalen Samenreife der meisten Arten (Teigreife) in feuchtem Zustand gemäht <sup>22</sup> und das ganze Material auf die Ansaatfläche übertragen, meist etwa im Umfang 1:1. Die Praxis der Mahdgutübertragung wird im Merkblatt [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~2591~1/3~410210~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Naturnahe-Lebensr%C3%A4ume-im-Wiesland/Direktbegr%C3%BCnung-artenreicher-Wiesen-in-der-Landwirtschaft/Deutsch/Print-Papier «Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft» (Agridea 2015)] detailliert beschrieben (s. auch [https://www.youtube.com/watch?v=IsI8ivNB9u0 FiBL-Infofilm]). Der Vorteil dieser Methode liegt in ihrer Durchführung mit Geräten, die auf jedem Landwirtschaftsbetrieb existieren, und den relativ geringen Kosten, wenn der Landwirt die Arbeiten selber durchführen kann. Zudem werden so auch Kleintierarten und Moose auf die Ansaatfläche übertragen, und die Mahdgutauflage schafft einen ersten Erosionsschutz und verbessert die Keimungsbedingungen.<br />
<br />
Nachteile sind eine oft schwierige Logistik, ein relativ grosser Zeitaufwand und vor allem, dass das Ausbringen des Mahdgutes sogleich nach der Ernte im Sommer durchgeführt werden muss. Zum einen ist Sommer als Ansaatzeitpunkt oft nicht optimal, zum anderen stehen viele Flächen, beispielsweise bei Bauprojekten, nicht genau dann zur Ansaat bereit, wenn das Erntegut anfällt und ausgebracht werden muss. Ein weiterer Nachteil ist, dass verschiedene Erntezeitpunkte und verschiedene Spenderflächen nur beschränkt und mit stark erhöhtem Aufwand kombiniert werden können.<br />
<br />
<small><br />
<sup>22</sup> Ideal ist eine Mahd mit Messerbalken oder mit Sense. Es können aber je nach Verfügbarkeit und Zugänglichkeit der Fläche auch Saugmulcher eingesetzt werden, die in einem Arbeitsgang das Mähgut mähen und einsaugen. Dabei wird aber ein Grossteil der Kleintierfauna getötet, der erwähnte Vorteil einer Übertragung von Tieren fällt damit weg.<br />
</small><br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Mahdgutuebertragung 96 dpi.jpg<br />
| text = Mahdgutübertragung<br />
}}<br />
<br />
===Wiesendrusch===<br />
Das Saatgut wird auf der Spenderfläche mit einem Mähdrescher mit spezieller Einstellung geerntet. Die Methode funktioniert allerdings nur auf flachem Gelände, während die meisten nicht angesäten und damit für Direktbegrünungen in Frage kommenden Spenderflächen an Hängen liegen. Zudem werden einzelne Arten technisch kaum erfasst. Vorteile liegen in der relativ grossen Flächenleistung. Zudem kann das Saatgut verschiedener Wiesen und Erntezeitpunkte mit geringem Aufwand gemischt und das Saatgut bis 2 oder 3 Jahre (je nach Lagerung) nach der Ernte zu einem beliebigen Zeitpunkt ausgesät werden. In der Schweiz liegen erst wenige Erfahrungen mit dieser Methode vor, vor allem durch Untersuchungen der landwirtschaftlichen Fachhochschule HAFL in Zollikofen bei Bern. Als erste Firma bietet Regiosaat.ch seit 2019 autochthones Saatgut aus Wiesendrusch auf dem Markt an.<br />
<br />
Eine Abwandlung des Wiesendruschs stellt der Heudrusch® dar, eine von Joe Engelhardt in Deutschland entwickelte und praktizierte Methode, bei der das feuchte Erntegut wie bei der Mahdgutübertragung geerntet wird, dann aber statt direkt übertragen mit einer speziellen Infrastruktur getrocknet und ausgedroschen wird.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Ernte_mit_Maehdrescher 96 dpi.jpg<br />
| text = Sammeln von Saatgut mit dem Mähdrescher.<br />
}}<br />
<br />
===Seedbrushing===<br />
Bei dieser Methode werden die Samen mit speziellen Bürstenmaschinen aus dem stehenden Pflanzenbestand geerntet. Die Methode ist weniger schlagkräftig als der Wiesendrusch, es können aber mit den Geräten der neuesten Generation auch steile, vernässte oder topographisch schwierige Spenderflächen beerntet werden. Zudem erlaubt die Methode je nach verwendetem Gerät eine sehr individuelle Nutzung, indem einzelne Arten spezifisch beerntet oder auch ausgeschlossen werden. Bei zu dichten oder zu hohen Beständen sind der Methode aber Grenzen gesetzt, beispielsweise bei nährstoffreicheren Fromentalwiesen oder Hochstaudenfluren. Wie beim Wiesendrusch können verschiedene Spenderflächen und Erntezeitpunkte mit geringem Aufwand kombiniert und so die Artenzusammensetzung des Saatgutes optimiert werden <sup>23</sup>. Ebenso ist der Ansaatzeitpunkt flexibel. Die Methode wird in der Schweiz derzeit nur von [http://www.agraroekologie.ch/ Ö+L] angeboten. Die Firma hat dazu ein eigenes Gerät, den [http://www.holosem.ch/ebeetle/angebot/ eBeetle], entwickelt.<br />
<br />
<small><br />
<sup>23</sup> Dies gilt selbstredend nur dann, wenn alle kombinierten Spenderflächen aus derselben Kleinregion und von demselben Wiesentyp vergleichbarer Standorte stammen.<br />
</small><br />
<br />
===Weitere Verfahren===<br />
Neben den drei erwähnten Hauptmethoden gibt es weitere, allerdings deutlich weniger schlagkräftige und damit nur kleinflächig anwendbare oder die obigen Verfahren ergänzende Methoden der Direktbegrünung. Dazu gehören:<br />
<br />
'''Sammeln von Hand''' <br/><br />
Natürlich können die gewünschten Arten in den Spenderflächen auch von Hand geerntet werden. Dies erlaubt zwar eine sehr gezielte und individuelle Beerntung einzelner Arten zum optimalen Reifezeitpunkt der Samen (die je nach Art in der Regel bei der Teigreife einsetzt), ist aber sehr zeitaufwändig und nur für kleine Flächen realistisch. Handernte kann allerdings zur Ergänzung beispielsweise von Wiesendrusch oder von Mahdgutübertragungen eine wichtige Rolle spielen, indem Samen von Pflanzenarten damit effizient ergänzt werden können, die aus verschiedenen Gründen (Reifezeitpunkt, nur sehr vereinzeltes Vorkommen etc.) nicht übertragen bzw. maschinell nicht geerntet werden.<br />
'''Sammeln mit tragbaren Kleingeräten''' <br/><br />
Es existieren auf dem Markt Sauger und andere tragbare Techniken, mit denen das Saatgut aus dem stehenden Bestand der Spenderwiese geerntet werden kann. Diese Methoden sind aber nur wenig schlagkräftig und ebenfalls nur für kleine Flächen geeignet. Gegenüber einer Handernte bieten sie nur in speziellen Fällen wirklich Vorteile. In der Schweiz werden solche Geräte nur sehr punktuell angewendet.<br />
<br />
'''Heublumen''' <br/><br />
Diese Methode war bis Mitte des letzten Jahrhunderts das übliche Verfahren bei der Verbesserung oder Neuanlage von Wiesen. Dabei wird der Samenausfall aus dem Heustock gesammelt und direkt ausgesät. Da bis in die 1950er Jahre fast nur artenreiche Wiesen existierten (Bosshard 2016 <sup>24</sup>), hat diese Methode damals ausgezeichnet funktioniert. Heute bestehen Heublumen vor allem aus Samen von artenarmen Fett- und Intensivwiesen und beinhalten oft viele unerwünschte Arten wie Blacken oder Disteln, so dass von dieser Methode in aller Regel dringend abgeraten werden muss.<br />
<br />
'''Sodenversetzung''' <br/><br />
In denjenigen Fällen, wo ein artenreicher Wiesenbestand zerstört und nachher wiederhergestellt werden soll, eignet sich die Methode der Sodenversetzung bzw. Sodenschüttung besonders gut. Dabei wird die Ursprungsvegetation mit dem Bagger als grosse Rasenziegel gelagert und nach dem Bau wieder auf die zu begrünende Fläche aufgetragen. Am meisten Erfahrungen mit dem Verfahren bestehen im Kanton Graubünden, wo vor allem beim Strassenbau und bei Meliorationsprojekten die Sodenversetzung heute zur hauptsächlich angewandten Methode gehört.<br />
<br />
'''Spontanbegrünung''' <br/><br />
Überall dort, wo noch artenreiche Flächen mit den Zielarten in der näheren Umgebung vorhanden oder in der Samenbank des Bodens zu erwarten sind, kommt auch eine Spontanbegrünung in Betracht. Bei dieser Methode wird nichts angesät, sondern einfach gewartet, bis sich die passenden Arten von selbst wieder etablieren. Die Methode kann vor allem im Berggebiet empfohlen werden, sofern nur kleine bzw. wenige Meter breite Flächen zu begrünen sind und sofern in der unmittelbaren Umgebung noch artenreiche Wiesen vorhanden sind (Distanz <20 m).<br />
<br />
<small><br />
<sup>24</sup> Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas. Bosshard A. 2016. Haupt-Verlag, Bern. 265 S. [https://issuu.com/haupt/docs/9783258079738 Inhaltsübersicht, Zusammenfassung und Leseprobe S. 1-34]. <br />
</small><br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Saatguternte_Mesobr_mit_eBeetle 96 dpi.jpg<br />
| text = Saatguternte mit dem eBeetle.<br />
}}<br />
<br />
==Hohe Anforderungen an die Planung==<br />
Bei den Methoden «Mahdgutübertragung» bis «Sammeln von Hand» ist eine sorgfältige Planung essentiell. Da die Ernte nur im lokalen Rahmen erfolgt, ist oft kein geeignetes Saatgut an Lager, sondern dieses wird, v.a. bei grösserem Bedarf, spezifisch «on demand» produziert. D.h. es muss bis spätestens im Mai klar sein, welcher Saatgutbedarf für welche Lokalitäten und Standortbedingungen besteht. Wenn also im Frühjahr, dem optimalen Aussaatzeitpunkt, angesät werden soll, muss die Ernte bereits im Sommer des Vorjahres erfolgt sein.<br />
<br />
==Weitere Informationen zu den Direktbegrünungsverfahren ==<br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~2591~1/3~410250~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Naturnahe-Lebensr%C3%A4ume-im-Wiesland/Direktbegr%C3%BCnung-artenreicher-Wiesen-in-der-Landwirtschaft/Deutsch/Print-Papier Agridea-Wegleitung «Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft» (2015)]<br />
* [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Leitfaden_naturgemaesse_Begruenungen_def.pdf «Leitfaden für naturgemässe Begrünungen»]<br />
* Kirmer A., Krautzer B., Scotton M., Tischew S. (Hrsg.) 2012: Praxishandbuch zur Samengewinnung und Renaturierung von artenreichem Grünland. Lehr- und Forschungszentrum Raumberg-Gumpenstein.<br />
* [https://www.regioflora.ch/de/startseite-de/ Regio Flora, Förderung der regionalen Vielfalt im Grünland]<br />
* [http://www.holosem.ch/ HoloSem®]<br />
* [https://www.regiosaat.ch/ regiosaat.ch]<br />
* [https://www.conservationevidence.com/actions/133 Conservation Evidence] (englische Seite mit vielen wissenschaftlichen Hintergrundinformationen aus verschiedenen Studien)<br />
<br />
==Anwendung und Bezug von Blumenwiesen-Standardsaatgut==<br />
In Regionen, in denen zu wenig qualitativ hochwertige Spenderflächen existieren, oder wo aus anderen Gründen keine Direktbegrünungen möglich sind, ist artenreiches Wiesenblumensaatgut mit Ökotypen aus der betreffenden Biogeographischen Region (s. Abb. 1) eine gute Alternative.<br />
<br />
In der Schweiz bieten folgende Firmen geprüftes Blumenwiesen-Standardsaatgut an: [https://www.ufasamen.ch/ Ufa], [https://www.hauenstein.ch/de/ Hauenstein], [http://www.sativa-rheinau.ch/ Sativa] und [https://www.ericschweizer.ch/ Schweizer Samen]. Das grösste Angebot haben Ufa und Hauenstein, Saatgut in Bio-Qualität bietet Sativa. Einige der angebotenen Mischungen wechseln fast jährlich, und es ist entsprechend zu empfehlen, jeweils aktuell die Web-Informationsseiten oder die reich bebilderten Prospekte der betreffenden Firmen zu konsultieren, um die für den jeweiligen Anwendungszweck am besten geeignete Blumenwiesenmischung zu bestimmen.<br />
<br />
Beim Kauf ist unbedingt darauf zu achten, aus welcher biogeographischen Region das Saatgut stammt. Die Angabe, dass das Saatgut aus Schweizer Ökotypen besteht, genügt nicht, weil solches Saatgut oft ein Gemisch aus Herkünften verschiedener biogeographischer Regionen ist. Noch immer sind verbreitet Mischungen auf dem Markt, bei denen nur der Wiesenblumenanteil aus einheimischen Ökotypen besteht, während der Gräseranteil, der oft weit über 90% des Saatgutanteils ausmacht, nicht spezifiziert ist und dann in der Regel aus dem Ausland stammt und nicht selten auch Zuchtsorten enthält. Solches Saatgut ist deutlich kostengünstiger, aber aus den in der [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Einleitung Einleitung] erläuterten Gründen nicht zu empfehlen bzw. je nach Anwendungsbereich nicht rechtskonform.<br />
<br />
Von den meisten artenreichen Mischungen besteht nur Saatgut mit Ökotypen aus der Biogeographischen Region Mittelland. Solches Saatgut sollte nicht im Jura, im Berggebiet oder in der Südschweiz ausgebracht werden. In diesen Regionen kommt für die meisten Anwendungszwecke mangels eines entsprechenden Standardsaatgutangebotes nur autochthones Saatgut in Frage.<br />
<br />
Einige wenige Kantone (z.B. [https://lawa.lu.ch/-/media/LAWA/Dokumente/Landwirtschaft/Biodiversitaetsfoerderflaechen/Merkblaetter/MB_Blumenwiese_Neuansaat.pdf LU] und [https://www.ag.ch/de/verwaltung/dfr/landwirtschaft/programm-labiola/aus-der-praxis?dc=8ede2663-6ddc-4778-bdec-29b103efb775_de AG]) haben für den Landwirtschaftsbereich in Zusammenarbeit mit dem Handel kantonal angepasste Blumenwiesenmischungen entwickelt. Diese weichen teilweise in der Artenzusammensetzung leicht ab von den gängigen Mischungen, teilweise stammt das Basissaatgut einzelner Arten aus dem betreffenden Kanton. Der Bezug erfolgt teils über den Handel, teils über den Kanton bzw. von ihm beauftragte Stellen.<br />
<br />
== Qualitätssicherung ==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Bosshard_NEAT_Amit_HoloSem_Saatgut_angesaet_zg 96 dpi.jpg<br />
| text = Gemäss HoloSem-Standard frisch angesäte Böschung.<br />
}}<br />
Die im Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Herkunft_des_Saatgutes:_Empfehlungen.2C_Standards_und_rechtliche_Vorgaben «Herkunft des Saatgutes»] erwähnten Empfehlungen von Info Flora und RegioFlora, im Hinblick auf die Auswahl des Basissaatgutes bzw. der Spenderflächen und die räumliche Ausbreitung des Saatgutes, betreffen sowohl Standardsaatgut wie Direktbegrünungen.<br />
<br />
Was das Standardsaatgut anbelangt einigten sich die Schweizer Saatgutfirmen in einem mehrjährigen Prozess in den 1990er Jahren zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft für den Futterbau und der Forschungsanstalt Reckenholz auf eine Vereinbarung, welche die Empfehlungen von Info Flora (damals SKEW) berücksichtigt. Die Samenfirmen erklärten sich bereit, nur einheimische CH-Ökotypen für Blumenwiesenmischungen zu verwenden, den Forschungsanstalten die für die Ernte vorgesehenen Felder mit den geforderten Angaben (z.B. Herkunft des Ursprungssaatgutes, Parzellengrösse) zu melden, und die Vermehrungen stichprobenweise durch die Forschungsanstalten überprüfen zu lassen. Allerdings wird diese Vereinbarung nur für den Wiesenblumenzusatz des Saatgutes eingehalten, der Gräseranteil stammt v.a. bei Mischungen, die im Verkehrsbau verwendet werden, bis heute noch häufig aus ungeprüftem Saatgut aus dem Ausland.<br />
<br />
Für Direktbegrünungen existiert neben den Empfehlungen von Info Flora/RegioFlora ein von der Branche selber entwickelter Qualitätsstandard [http://www.holosem.ch/begruenungen/holosem-standard/ HoloSem]. Dieser existiert seit 2014 und definiert, welche standörtlichen und qualitativen Anforderungen bei der Ernte des Saatgutes zu berücksichtigen sind, definiert eine maximale Distanz der Verbreitung des autochthonen Saatguts von 15 km aus, wobei zusätzlich die biogeographische Region der Standort, die Höhenlage u.a. mitberücksichtigt werden müssen. Zudem bestehen Anforderungen zur Dokumentation, zur Spenderflächenauswahl u.a. Der Standard wird zunehmend für Ausschreibungen genutzt, um eine einheitliche Mindestqualität von Direktbegrünungen sicherzustellen.<br />
<br />
Ebenso wichtig und zielführend wie ein Standard sind für eine fachgemässe Ausführung v.a. von Mahdgutübertragungen in der Landwirtschaft eine gute Begleitung und Beratung der jeweils beteiligten Akteure, beispielsweise der Bewirtschafter der Flächen, welche die Mahdgutübertragung auch selber durchführen können. Eine fachliche Beratung kann den Erfolg und die Qualität der so angesäten Flächen wesentlich verbessern. Das zeigt sich beispielsweise im Kanton Aargau, wo interessierten Landwirten eine solche Beratung kostenlos zur Verfügung steht und wo der Erfolg der Mahdgutübertragungen mit einem Monitoring überprüft wird. Eine wertvolle Hilfe für die korrekte Ausführung von Mahdgutübertragungen bietet auch die Internetseite regioflora.ch, wo umfangreiche Informationen leicht verständlich aufgearbeitet sind.<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = wichtigste Begruenungsverfahren de.png<br />
| text = Übersicht über die wichtigsten Begrünungsverfahren und ihre optimalen Ausführungszeitpunkte, bezogen auf Lagen bis ca. 1000 m ü.M. In der angegebenen Literatur hat es auf Seite 31 eine Tabelle, die auch auf höher gelegene Flächen eingeht. [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Leitfaden_naturgemaesse_Begruenungen_def.pdf Quelle: Bosshard, A., Mayer, P., Mosimann, A., 2015. Leitfaden für naturgemässe Begrünungen in der Schweiz. Mit besonderer Berücksichtigung der Biodiversität. Ö+L Ökologie und Landschaft GmbH].<br />
}}<br />
<br />
=Praktische Durchführung von Ansaat und anschliessender Pflege artenreicher Wiesen=<br />
Artenreiches Saatgut ist zu kostbar, um es nicht optimal einzusetzen. Denn auch das beste Saatgut führt nur bei einer fachgerecht durchgeführten Ansaat und Pflege/Bewirtschaftung zum Erfolg.<br />
<br />
==Saatbettvorbereitung==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Empfängerfläche 5 96 dpi.JPG<br />
| text = Dieses Saatbett wurde zur Vorbereitung geackert und anschliessend in Zeitabständen von etwa drei Wochen mehrmals geeggt.<br />
}}<br />
Ein vegetationsfreies, gut abgesetztes, feinkrümeliges Saatbett ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Ansaat.<br />
Der Boden kann durch Pflügen oder mehrmaliges Eggen vegetationsfrei gemacht werden, in speziellen Fällen auch durch Abdecken mit schwarzer Gärtnerfolie; Abspritzen mit Herbiziden ist nicht zu empfehlen. Einsaaten (Übersaaten) in bestehende Wiesen ohne Entfernen des alten Wiesenbestandes führen nur mit hohem Aufwand zum Erfolg (siehe [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Botanische_Aufwertung_von_verarmten_Naturwiesen_mittels_Einsaaten «Übersaatmethode»]!<br />
<br />
„Gut abgesetzter Boden“ heisst: Die letzte tiefere Bodenbearbeitung (Pflügen, Eggen, Aufbringen einer Bodenschicht) liegt mindestens drei bis vier Wochen vor der Ansaat. Grund: Ist der Boden bei der Ansaat zu locker, fehlt der sogenannte Bodenschluss, und die jungen Keimlinge laufen Gefahr, nicht richtig wurzeln zu können; zudem ist die Wasserzufuhr aus dem Unterboden mangelhaft, was bei Trockenperioden zu grossen Ausfällen führen kann.<br />
Unmittelbar vor der Saat darf der Boden falls nötig („Unkrautkur“) nur noch sehr flach (ca. 3 cm tief) geeggt oder gefräst werden.<br />
<br />
==Saatzeitpunkt==<br />
Die Ansaaten sollten, wenn immer möglich, im April oder Mai erfolgen. Dies gilt nicht für Mahdgutübertragungen, die bei optimaler Reife der Spenderflächen durchgeführt werden müssen, also in der Regel im Juni oder Juli. Spätere Ansaaten können durch Trocken- und Hitzeperioden empfindlich beeinträchtigt werden (v.a. die Gräser). Bei Herbstansaaten sind die Verluste über den Winter ebenfalls meist beträchtlich (insbesondere der Kräuter/Wiesenblumen). Können Ansaaten, z.B. aus Gründen des Erosionsschutzes, nicht im April oder Mai erfolgen, bietet sich der Einsatz von Zwischen- und Deckfrüchten an. Eine Beratung von Fachpersonen ist dabei zu empfehlen.<br />
<br />
==Saat==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Hydrosaat mit autochthonem Saatgut 96 dpi.JPG<br />
| text = Hydrosaat mit autochthonem Saatgut.<br />
}}<br />
Die angegebene Saatmenge wird je nach Situation und Ausrüstung von Hand oder mit geeigneten Maschinen (Hydroseeder, Sämaschine, Düngerstreuer etc.) oberflächlich ausgebracht. Saatgut nicht in den Boden einarbeiten! Bei kleineren Flächen empfiehlt sich eine Handsaat, wobei je die Hälfte des Saatgutes kreuzweise (d.h. zuerst von links nach rechts, dann von hinten nach vorne) ausgebracht wird, um eine gleichmässige Saat sicherzustellen. Auf lockeren Böden (z.B. Landwirtschaftsflächen) muss unmittelbar nach der Saat gewalzt werden. Geeignet sind Gliederwalzen (z.B. Cambridgewalze). Kleine Flächen können auch „angeklopft“ oder „angestampft“ werden.<br />
<br />
==Nachsaatpflege im Ansaatjahr==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Mahdgutuebertr_Keimungsphase mit ebenfalls uebertragener Trockenwiesenschnecke 96 dpi.jpg<br />
| text = Mit der Mahdgutübertragung wurden aus der Trockenwiese Schnecken miteingebracht.<br />
}}<br />
Fast alle Pflanzen artenreicher Wiesen keimen erst einige Wochen nach der Ansaat und entwickeln sich auch danach nur sehr langsam. Die „Unkräuter“ dagegen keimen meist sofort nach der letzten Bewegung des Bodens und legen dann sofort mit Wachstum los. Vor allem auf humosen Böden können einjährige Pflanzen aus der bodenbürtigen Samenbank schon nach kurzer Zeit völlig überhandnehmen.<br />
<br />
Jetzt heisst es '''Ruhe bewahren''', denn dies ist normal und beeinträchtigt die spätere Entwicklung der Wiese in keiner Weise. Wichtig ist jedoch, dass nicht zu lange mit dem sogenannten Pflegeschnitt zugewartet wird, damit die Keimlinge der angesäten Arten nicht unter einer dicken Pflanzendecke aufgrund von Lichtmangel absterben.<br />
<br />
'''Faustregel''': Sobald der Boden nach der Ansaat stellenweise so stark mit „Unkraut“ bedeckt ist, dass er nicht mehr sichtbar ist, sollte ein Pflegeschnitt durchgeführt werden:<br />
* Hoch mähen (5-10 cm).<br />
* Das Mähgut muss abgeführt werden.<br />
* Eventuell muss der Pflegeschnitt im Ansaatjahr ein zweites Mal durchgeführt werden, wenn sich die einjährigen Arten nochmals rasch entwickeln. <br />
* Auch wenn vorher kein Pflegeschnitt nötig war: Im Herbst vor dem Einwintern, idealerweise in der ersten Septemberhälfte, sollte ein Pflegeschnitt gemacht werden.<br />
<br />
Wichtig ist, im Herbst nochmals einen Blick auf den Bestand zu werfen: '''Die Vegetation sollte nicht höher als fausthoch in den Winter gehen''', damit die jungen Pflänzchen nicht mit einer vom Schnee zusammengedrückten „Vegetationsmatte“ zugedeckt werden. Meist ist deshalb vor dem Einwintern, idealerweise in der ersten Septemberhälfte, zumindest der erste, oder aber einfach der letzte von 2 Pflegeschnitten angesagt.<br />
<br />
Entwickeln sich Blacken (''Rumex obtusifolius'') oder invasive Neophyten, empfiehlt es sich, diese bereits im Ansaatjahr zu zupfen oder auszustechen. Bei allem anderen „Unkraut“ hilft Jäten nichts, im Gegenteil, der Schaden wäre grösser als der Nutzen, der Pflegeschnitt reicht vollauf.<br />
<br />
Oft wird vergessen: Im Ansaatjahr ist von den angesäten Arten noch so gut wie nichts zu sehen, und es ist nur schwer zu beurteilen, ob eine Ansaat gelungen ist oder nicht. Im Jahr der Ansaat sollten also keine vorschnellen Urteile über das Gelingen gefällt werden.<br />
<br />
==Bewirtschaftung/Pflege in den Nachfolgejahren==<br />
Erst im Jahr nach der Ansaat lässt sich erkennen, ob sich die Saat gut entwickelt, und das Gesicht der zukünftigen Wiese beginnt sich nach und nach zu zeigen. Es dauert aber je nach Standort und angesäten Arten meist nochmals ein Jahr oder mehr, bis sich alle Pflanzen richtig etabliert haben und sich ein stabiler Pflanzenbestand entwickelt hat.<br />
Wie bei einem guten Wein ist bei der Neuansaat artenreicher Wiesen also Geduld angesagt! '''Gut Ding will Weile haben.'''<br />
<br />
Doch bereits jetzt, im Jahr nach der Ansaat, kann zur regulären Pflege/Nutzung mit jährlich ein bis zwei Mähschnitten übergegangen werden. Die Mahd muss unbedingt dem angestrebten Pflanzenbestand und damit den angesäten Arten angepasst sein. Generelle Empfehlungen sind hier schwierig. Folgendes lässt sich aber allgemein festhalten (siehe auch [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimale_Mahdnutzung Kapitel «Erhalt und Aufwertung durch optimale Mahdnutzung»]):<br />
* Mehr als zwei Mähschnitte sind bei ungedüngten Wiesen in keinem Fall nötig, sondern schaden der Artenvielfalt und verursachen darüber hinaus unnötig Aufwand, Kosten und Ressourcenverbrauch.<br />
* Die Mahd sollte in der Regel rund 1-2 Wochen nach der Hauptblüte der Wiese durchgeführt werden, damit ein Absamen möglich ist. In vielen Fällen liegt der optimale erste Schnittzeitpunkt in den tieferen Lagen in der zweiten Juni- oder in der ersten Julihälfte.<br />
* Wo keine Vorgaben für den ersten Schnittzeitpunkt bestehen (z.B. bei Ökoflächen in der Landwirtschaft), ist eine jährliche Variation des Schnittregimes für die Artenvielfalt förderlich (mal eher früh, mal eher spät mähen etc.).<br />
* Bei der Mahd immer kleine Reste stehen lassen, damit sich dort Tiere in die verbleibenden Strukturen zurückziehen und sich spät blühende Arten noch bis zur Samenreife entwickeln können. Am besten ist es, bei jedem Schnitt 10% der Fläche in Form von Rückzugsstreifen ungemäht zu lassen, jedes Mal wieder an einem anderen Ort. Empfehlenswert ist auch eine gestaffelte Mahd (kleinflächig unterschiedliche Schnittzeitpunkte mit mindestens 3 Wochen Intervall), wo dies vom Aufwand her möglich ist.<br />
* Wenn möglich nach der Mahd Bodenheu bereiten, d.h. das Gras am Ort an 2-3 niederschlagsfreien Tage trocknen, damit die Pflanzensamen ausreifen und ausfallen können.<br />
* Das Mähgut ist auf jeden Fall abzuführen. Mulchen vermindert in der Regel die Pflanzenartenvielfalt rasch.<br />
* Entwickeln sich Stumpfblättriger Ampfer („Blacken“) oder invasive Neophyten wie amerikanische Goldruten oder Einjähriges Berufskraut, müssen diese regelmässig und möglichst von Beginn an gejätet werden. Je früher und konsequenter man damit beginnt, desto mehr Arbeit lässt sich längerfristig sparen.<br />
<br />
Wer diese Empfehlungen befolgt, kann schon nach 1-2 Jahren mit einer farbenprächtigen Blumenwiese rechnen.<br />
<br />
Wenn die Biodiversität nach erfolgreicher Ansaat noch wirksamer gefördert werden soll, ist zu empfehlen, die Blumenwiese mit Strukturen<!--Link auf Kleinstrukturen, wenn aufgeschaltet--> wie Asthaufen, einer Trockenmauer, Kiesflächen<!--Link auf Pionierflächen, wenn aufgeschaltet-->, einem kleinen [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Stillgew%C3%A4sser Teich], einer [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Hecke Hecke] oder Einzelbäumen weiter aufzuwerten (siehe auch [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Allgemeine_Massnahmen Allgemeine Massnahmen]).<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* [http://www.holosem.ch/localseed/richtig-ansaeen/ HoloSem<sup>®</sup>]<br />
<br />
=Information und Motivation für eine anspruchsvolle Verbundaufgabe=<br />
Bei Wiesenaufwertungen und artenreichen Grünlandansaaten die richtige Methode zur richtigen Zeit am richtigen Standort zu wählen, um so die Biodiversität optimal fördern zu können, ist anspruchsvoll und nicht selten auch mit Zusatzaufwand und Hindernissen verbunden. Das lassen die bisherigen Ausführungen nicht übersehen.<br />
<br />
Entsprechend wichtig ist es, die vielen Akteure auf den verschiedenen Stufen der Entscheidungsprozesse immer wieder auf die Wichtigkeit und die Chancen von Wiesenaufwertungen aufmerksam zu machen und sie über die verschiedenen Möglichkeiten und die Vor- und Nachteile der verfügbaren Methoden zu informieren und weiterzubilden.<br />
<br />
Die Informations- und Motivationsaufgabe ist umso grösser, als sehr unterschiedliche Akteure letztlich daran beteiligt sind, wo welche Aufwertungen wie realisiert werden (oder auch nicht realisiert werden). Landschaftsarchitekten, Gartenarchitekten, Umweltbaubegleiter, Umweltverantwortliche, bodenkundliche Begleitplaner, Begrüner, Bauherren, Ökobüros, verschiedenste Amtsstellen von der Gemeinde bis zum Bund, Schulen, Weiterbildungsinstitutionen etc. etc. – und nicht zuletzt Landwirtinnen und Landwirte: Sie alle entscheiden regelmässig mit, was draussen in der Landschaft vor unserer Haustüre passiert. Es ist zu wünschen, dass das vorliegende Informationsangebot (vom Verein biodivers) dazu beiträgt, dass diese Herausforderung in Zukunft noch besser zu meistern, damit die unzähligen Chancen von Naturaufwertungen noch gezielter genutzt werden können als bisher.<br />
<br />
=Weiterführende Literatur=<br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~1425~1/3~410250~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Naturnahe-Lebensr%C3%A4ume-im-Wiesland/Der-Weg-zu-artenreichen-Wiesen/Deutsch/Print-Papier Der Weg zu artenreichen Wiesen. Agridea-Merkblatt, 2010.]<br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~2591~1/3~410250~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Naturnahe-Lebensr%C3%A4ume-im-Wiesland/Direktbegr%C3%BCnung-artenreicher-Wiesen-in-der-Landwirtschaft/Deutsch/Print-Papier Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft. Leitfaden für die Praxis zum Einsatz von regionalem Saatgut in Biodiversitätsförderflächen, Agridea, 2015.]<br />
* [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Leitfaden_naturgemaesse_Begruenungen_def.pdf Leitfaden für naturgemässe Begrünungen in der Schweiz. Mit besonderer Berücksichtigung der Biodiversität, Bosshard et al. 2015]<br />
* [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Guideline_restoration_deutsch.pdf Leitfaden zur Renaturierung von artenreichem Grünland. SALVERE 2012]<br />
* [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2017/08/Wiesenrenaturierung_NuL_2000.pdf Blumenreiche Heuwiesen aus Ackerland und Intensiv-Wiesen. Eine Anleitung zur Renaturierung in der landwirtschaftlichen Praxis. Naturschutz und Landschaftsplanung 32/6 (2000), 161-171.]<br />
* Gürke, J., Hrsg.: Pro Natura, 2014. Blumenwiesen anlegen und pflegen, Pro Natura Praxis Nr. 21.<br />
* Kirmer A., Krautzer B., Scotton M., Tischew S. (Hrsg.) 2012: Praxishandbuch zur Samengewinnung und Renaturierung von artenreichem Grünland. Lehr- und Forschungszentrum Raumberg-Gumpenstein.<br />
* Kiehl K., Kirmer A., Shaw N., Tischew S. (Hrsg.) 2014: Guidelines for Native Seed Production and Grassland Restoration. Cambridge Scholars Publishing<br />
* Brönnimann D. und Minloff L., 2015: Entwicklung von angesäten extensiven Wiesen im Naturnetz Pfannenstil. Bachelorarbeit<br />
* Zemp-Lori N., 2016: Besiedlung angesäter extensiver Wiesen durch Tagfalter im Naturnetz Pfannenstil. Bachelorarbeit<br />
* [https://www.research-collection.ethz.ch/handle/20.500.11850/143994 Renaturierung artenreicher Wiesen auf nährstoffreichen Böden. Ein Beitrag zur Optimierung der ökologischen Aufwertung der Kulturlandschaft und zum Verständnis mesischer Wiesen-Ökosysteme. Dissertationes Botanicae Band 303, Stuttgart 1999.]<br />
* [https://www.agraroekologie.ch/wp-content/uploads/2016/10/NuL07-10_Mueller_Bosshard.pdf Altgrasstreifen fördern Heuschrecken in Ökowiesen – Eine Möglichkeit zur Strukturverbesserung im Mähgrünland. Naturschutz und Landschaftsplanung 42 (7), 2010, 212-217.]<br />
* Grün Stadt Zürich, Fachbereich Naturschutz, 2010. Pflegeverfahren. Ein Leitfaden zur Erhaltung und Aufwertung wertvoller Naturflächen, Leitfaden. Zürich.<br />
* [http://www.holosem.ch/begruenungen/fachunterlagen/ Weitere Literatur siehe HoloSem / Fachunterlagen]<br />
<br />
Zu Aufwand und Kosten der beschriebenen Massnahmen enthalten folgende Unterlagen Informationen und Hilfeleistungen:<br />
* Saatgutkataloge und Webseiten der genannten [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Anwendung_und_Bezug_von_Blumenwiesen-Standardsaatgut Anbieter] von Standard- und autochthonem Saatgut<br />
* Normpositionenkataloge (nur käuflich erwerblich)<br />
<br />
Zu Aufwand und Kosten der beschriebenen Massnahmen enthalten folgende Unterlagen Informationen und Hilfeleistungen:<br />
* Saatgutkataloge und Webseiten der [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Anwendung_und_Bezug_von_Blumenwiesen-Standardsaatgut genannten Anbieter] von Standard- und autochthonem Saatgut<br />
* Normpositionenkataloge (nur käuflich erwerblich)<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = WiesenhausMatzingen_auchHaeuser_eignen_sich_fuer_artenreiche_Wiesen 96 dpi.jpg<br />
| text = Auch Häuser eignen sich für artenreiche Wiesen.<br />
}}<br />
<br />
= Weitere Kapitel zum Grünland =<br />
* [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland#Einleitung Einleitung und Zusammenfassung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie Praxisrelevante Ökologie]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung Erhalt und Aufwertung durch optimierte Bewirtschaftung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen Grundlagen]<br />
<!--* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisbeispiele Praxisbeispiele]--><br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || Andreas Bosshard|| [http://www.agraroekologie.ch/ueber-uns/team/ Ö+L GmbH]<br />
|-<br />
| Unter Mitwirkung von || Regula Benz|| <br />
|-<br />
| || Jean-Yves Humbert|| [https://www.cb.iee.unibe.ch/about_us/pd_dr_humbert_jean_yves/index_eng.html Universität Bern, Conservation Biology]<br />
|-<br />
| || Andrea Lips || [https://www.pronatura.ch/de Pro Natura]<br />
|-<br />
| || Winu Schüpbach|| [https://www.quadragmbh.ch/ quadra gmbh] <br />
|-<br />
|}<br />
<br /><br />
<br /></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat&diff=4715
Grünland/Aufwertung und Neuschaffung durch Direktbegrünung und Ansaat
2023-03-05T17:53:12Z
<p>VB2: /* Weitere Informationen zu den Direktbegrünungsverfahren */</p>
<hr />
<div>[[fr:Milieux prairiaux/Revalorisation et création de prairies riches en espèces par enherbement direct et ensemencement]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Mahd Spenderfläche 1 96 dpi.JPG<br />
| text = Ein monotoner Bestand lässt sich mit verschiedenen Methoden innert relativ kurzer Zeit in eine blüten- und artenreiche Wiese umwandeln. In diesem Artikel werden die verschiedenen Verfahren für die Aufwertung von Wiesen vorgestellt. Das Foto zeigt die Mahd einer Spenderfläche früh am Morgen bei feuchter Vegetation.<br />
}}<br />
{{TOC limit|3}}<br />
<br />
=Einleitung=<br />
Die Neuanlage oder Wiederherstellung artenreicher Wiesen ist eine der wirksamsten Massnahmen zur Förderung der Artenvielfalt. Eine artenreiche Wiese kann 30 bis über 60 Pflanzenarten auf einem einzigen Quadratmeter aufweisen.<sup>1</sup> Weltweit können in keinem anderen Ökosystem oder Lebensraum so viele Pflanzenarten auf so kleinen Flächen zusammen existieren. Und eine ökologische Faustregel besagt, dass pro etablierter Pflanzenart 10 Tierarten vorkommen. <br />
Schon auf wenigen Quadratmetern kann also bei einer Neuschaffung einer artenreichen Wiese enorm viel für die Biodiversität getan werden. Der Artikel beschreibt, mit welchen Methoden artenreiches Wiesland neu geschaffen werden kann, welche Vor- und Nachteile die verschiedenen Methoden haben, und auf welchen Standorten welche mehr oder weniger artenreichen Wiesentypen realistischerweise angestrebt werden können. Die Ausführungen richten sich primär an Praktiker, die bei ihrer Tätigkeit aber nicht nur nach Rezept handeln, sondern auch die ökologischen Zusammenhänge verstehen möchten. <br />
<br />
<small><br />
<sup>1</sup> während in intensiv genutzten Wiesen oder Rasenflächen als Vergleich höchstens ein gutes Dutzend Arten vorkommen.<br />
</small><br />
<br />
<!--vorläufig weglassen: == Sich verändernde Ziele und Fragestellungen ==<br />
Die Neuschaffung und Aufwertung von artenreichen Wiesen kam erst in den 1990er Jahren in grösserem Ausmass auf. Die agrarpolitischen Diskussionen um die enorme Zerstörung der Biodiversität durch die immer intensivere Landwirtschaft führte zur Suche nach Alternativen. Erstmals wurde in den 1990er Jahren in der Schweiz ein Mindestanteil an naturnahen Flächen für jeden Landwirtschaftsbetrieb vorgeschrieben, und es entstanden Bemühungen, die in einigen Teilen der Schweiz praktisch verschwundenen, ehemals fast flächendeckend vorhandenen artenreichen Wiesen mit Ansaaten wieder zurück in die landwirtschaftlich genutzte Kulturlandschaft zu bringen. Aber auch in Naturschutzgebieten, bei Verkehrsprojekten oder im Siedlungsgebiet wurde zunehmend artenreiches Wiesland neu geschaffen. Entscheidend war dabei, dass entsprechende hochwertige, artenreiche Saatgutmischungen zumindest für trockenere Standorte nun auf dem Markt erhältlich waren. <br />
Wie der Artikel in einem kurzen historischen Abriss beschreibt, hat sich seit den ersten systematischen Versuchen mit artenreichen Wiesenansaaten in den 1980er und 1990er-Jahren viel verändert. Bis heute kommt laufend neues Wissen dazu, werden neue Ansaatmethoden entwickelt oder kommen neue Saatgutmischungen und -verfahren auf den Markt. Gleichzeitig haben sich das Bewusstsein, die Prioritäten und die Zielsetzungen bei der Neuschaffung artenreichen Wieslandes immer wieder verändert. <br />
Seit wenigen Jahren wird beispielsweise nicht nur auf die eingebrachten Pflanzenarten, sondern auch auf die genetische Vielfalt innerhalb der Arten geachtet. Zunehmend wird deshalb heute in der Schweiz und der EU die Verwendung lokaler oder regionaler Ökotypen gefordert und sogar in neuen Rechtserlassen vorgeschrieben. Wurde früher fast ausschliesslich Standardsaatgut verwendet, gab dieser Bewusstseinswandel der Anwendung von Direktbegrünungsverfahren starken Auftrieb.--><br />
<br />
==Standardsaatgut und Direktbegrünung – eine Begriffsklärung==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = ArtenreichesAutochthSaatgut_Ernte_aus_eBeetle 96 dpi.jpg<br />
| text = Artenreiches, autochthones Saatgut<br />
}}<br />
Im Zusammenhang mit der Förderung und Schaffung artenreicher Wiesen werden einige nicht allgemeinverständliche Fachbegriffe verwendet. Die wichtigsten sollen hier kurz erläutert werden – zumal einige noch „jung“ sind und ihre Anwendung deshalb oft nicht einheitlich erfolgt, was Verwirrung stiften kann.<br />
<br />
'''Bezeichnung von Saatguttypen und Saatgutherkünften''' <br/><br />
Das bis vor wenigen Jahren übliche Saatgut für die Ansaat artenreicher Wiesen war '''''Standard'''saatgut''. Bei Standardsaatgut wird jede einzelne Art in Reinkultur zur Gewinnung von Samen angebaut und das geerntete Saatgut dann nach einer bestimmten Rezeptur zusammengemischt. Man spricht deshalb auch von ''Vermehrungssaatgut''. Das Ursprungssaatgut stammt entweder von Wildpflanzen (sog. ''Basissaatgut''), oder es werden Zucht- bzw. Handelssorten verwendet.<br/><br />
Wenn eine Saatgutmischung ganz aus Arten besteht, deren Basissaatgut von besammelten Wildpflanzen einer bestimmten Region stammt und das Saatgut anschliessend in derselben Region vertrieben wird, wird vor allem in Deutschland von '''''Regio'''saatgut'' gesprochen. <br/><br />
Dem Standardsaatgut stehen die sogenannten '''''Direktbegrünungsverfahren''''' gegenüber. Dabei wird das Saatgut direkt auf geeigneten Spenderwiesen als Samengemisch geerntet und ohne Zwischenvermehrung auf die Ansaat- oder Empfängerfläche übertragen. Die Methode wird deshalb auch als „Wiesenkopierverfahren“ bezeichnet. Dabei kommen verschiedene Ernte- und Übertragungsmethoden zur Anwendung wie Mahdgutübertragung, der Mähdrusch oder die Sodenversetzung. In Abgrenzung zum Regiosaatgut wird das Saatgut aus Direktbegrünungsverfahren '''''autochthones''''' (oder manchmal auch '''lokales''') Saatgut genannt. <br/><br />
Diese Begriffsdefinitionen werden in den deutschsprachigen Ländern allerdings noch nicht überall einheitlich verwendet. So wird teilweise auch autochthones Saatgut als Regiosaatgut bezeichnet, oder Direktbegrünung wird teilweise nicht als Überbegriff, sondern synonym mit Mahdgutübertragung gebraucht. Heugrassaat wird auch als synonymer Ausdruck für Direktbegrünung, Ökotypensaatgut für Regiosaatgut, oder Handelssaatgut bzw. Regelsaatgut für Standardsaatgut verwendet. <br/><br />
'''Weitere wichtige Fachbegriffe''', die in diesem Artikel genannt werden, sind jeweils im Text näher erläutert, oder ihre Bedeutung erschliesst sich ohne weitere Erläuterung aus dem Zusammenhang.<br />
<br />
=Neuanlage artenreicher Wiesen: Kurzer historischer Rückblick auf eine dynamische Entwicklung=<br />
Artenreiches Wiesland aus Naturschutzgründen neu zu schaffen wurde erstmals in den 1960er Jahren in grösserem Stil praktiziert. (vgl. Bosshard & Klötzli 2003 <sup>2</sup>). Dabei war das Interesse ganz auf nährstoffarme Standorte in Schutzgebieten gerichtet. Als Methoden dienten eine natürliche Besiedlung mit Arten aus der Umgebung, aber auch Mahdgutübertragungen, Pflanzungen oder Sodenversetzungen kamen damals bereits zur Anwendung. Käufliche Saatgutmischungen mit den gewünschten einheimischen Arten existierten damals keine. Die verfügbaren Mischungen stammten alle aus dem Ausland. Sie enthielten nicht-einheimische Arten und sogar Zuchtsorten, die im Widerspruch standen zu den naturschützerischen Zielen.<br />
<br />
<small><br />
<sup>2</sup> Bosshard A. & F. Klötzli 2003: Restoration Ecology. In: Bastian O. & U. Steinhardt (Hrsg.): Development and Perspectives in Landscape Ecology: conceptions, methods, application. Kluwer. ISBN 1-4020-0919-4.<br />
</small><br />
<br />
== Erfolg durch neue Saatgutmischungen==<br />
Erst Ende der 1980er Jahre gab der Naturschutz seinen fast ausschliesslichen Fokus auf Schutzgebiete auf und erkannte, dass die Biodiversität nur erhalten werden kann, wenn Naturschutzmassnahmen vermehrt flächenwirksam etabliert, d.h. auch ausserhalb von Naturreservaten neue artenreiche Flächen geschaffen werden können. Damit rückte die landwirtschaftlich genutzte Kulturlandschaft und somit auch nährstoffreichere Flächen ins Zentrum von Aufwertungsbemühungen. <br />
Da im Kulturland in den tieferen Lagen kaum noch artenreichere Biotope existierten, wurden in verschiedenen Teilen der Schweiz und in anderen Ländern Europas Projekte lanciert, welche in Zusammenarbeit mit Landwirtschaftsbetrieben ökologische Aufwertungen planten und realisierten. Eines dieser Projekte war „Landwirtschaft und Naturschutz aus Bauernhand“ <sup>3</sup>. Politisch und institutionell breit abgestützt, entwickelte und testete das Pilotprojekt Anfang der 1990er Jahre auf neun Landwirtschaftsbetrieben im Kanton Zürich Massnahmen für eine zukünftige Agrarpolitik.<br />
<br />
<small><br />
<sup>3</sup> Landwirtschaft und Naturschutz aus Bauernhand. Schlussbericht des CH91-Pilotprojektes auf 9 Bauernhöfen im Kanton Zürich 1989-1991. Zürcher Vogelschutz, Zürcher Naturschutzbund, WWF Sektion Zürich und Zürcher Bauernverband, Zürich. 58 S.<br />
</small><br />
<br />
<br />
==Artenvielfalt auch auf nährstoffreichen Böden möglich?==<br />
Unter diesen Massnahmen waren auch erste Versuche, bei denen damals neu verfügbares Saatgut mit verschiedenen Arten blumenreicher Wiesen ausgetestet wurde. Denn bereits damals war aufgrund vieler Untersuchungen klar, dass die Samen der meisten Wiesenarten nur kurzfristig im Boden überleben<!-- Link auf Pflanzenartikel, wenn dort Infos zu Lebensdauer von Samen ergänzt worden ist -->. Das heisst, dass eine intensive Nutzung über drei oder vier Jahren bereits genügte, um die Pflanzenarten artenreicher Wiesen zum Verschwinden zu bringen. Eine Wieder-Extensivierung der Nutzung bringt sie – auch nach jahrelangem Warten – alleine nicht zurück. Vielmehr müssen sie jeweils neu eingebracht, sprich angesät werden. <br/><br />
Allerdings war völlig unklar, ob sich die eingebrachten Arten auf den nährstoffreichen Böden überhaupt etablieren können. Zumindest widersprach dies der damals vertretenen ökologischen Lehre. Nichtsdestotrotz entwickelten sich bei den Versuchsansaaten des Zürcher Pilotprojektes auf vorher intensiv genutzten Ackerflächen im zweiten Jahr tatsächlich niederwüchsige, artenreiche, an Magerwiesen erinnernde Wiesenbestände. <br/><br />
Dieser unerwartete Erfolg gab Anlass zu einer Dissertation. Auf zahlreichen Landwirtschaftsbetrieben in der Ostschweiz wurden auf über einem Dutzend Hektar unzählige Versuchsflächen mit verschiedenen Mischungsvarianten von Wiesenkräutern, -leguminosen und -gräsern angelegt (Bosshard 1999 <sup>4</sup>). Die ersten Versuche führten allerdings zu instabilen Pflanzenbeständen, die nach wenigen erfolgreichen Jahren vergrasten und den Grossteil der eingesäten Arten wieder verloren. Durch Verbesserungen in der Artenzusammensetzung, insbesondere der Gräserkomponente, gelang es schliesslich, auch auf vorher intensiv genutzten Böden langfristig stabile Blumenwiesenbestände zu etablieren. Als Resultat der Dissertation wurden vier Mischungsvarianten empfohlen, die heute als ''Salvia'', ''Humida'', ''Broma'' und ''Montagna'' auf dem Schweizer Markt breit etabliert sind und mit denen mittlerweile Hunderte, wenn nicht Tausende von Hektaren artenreicher Wiesen angesät worden sind und weiterhin angesät werden, vor allem in der Landwirtschaft, aber auch zunehmend im Siedlungsbereich.<br />
<br />
<small><br />
<sup>4</sup> Bosshard A. 1999: Renaturierung artenreicher Wiesen auf nährstoffreichen Böden. Ein Beitrag zur Optimierung der ökologischen Aufwertung der Kulturlandschaft und zum Verständnis mesischer Wiesen-Ökosysteme. Dissertationes Botanicae Band 303 Stuttgart. 201 S. [https://www.research-collection.ethz.ch/handle/20.500.11850/143994 Online-version]<br />
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<br />
==Breites Saatgutangebot, erfolgreiche Mischungen==<br />
Dass dies überhaupt möglich war, ist der engagierten Pionierarbeit verschiedener Saatgutfirmen zu verdanken, die ab Mitte der 1990er Jahre in der Schweiz ein immer breiteres Spektrum an typischen Wiesenblumenarten Schweizerischer Herkunft für die neuen Mischungen verfügbar machten. Seit einigen Jahren besteht nun auch bei den Wiesengräsern ein breites Angebot an einheimischen Ökotypen für diese Mischungen.<br />
Die Erfolgsrate der artenreichen Ansaaten in der Landwirtschaft beträgt mittlerweile über 90% gemessen am botanischen Qualitätsniveau QII (s. folgendes Kapitel). Dabei zeigen umfangreiche Datensätze, dass auf trockeneren Standorten die Artenzahl und der Blumenanteil im Laufe der Jahre eher zunimmt, während an feuchteren oder schattigeren Standorten bei den bestehenden Standard-Blumenwiesenmischungen die gegenteilige Tendenz besteht <sup>5</sup>.<br />
Die hohe Erfolgsrate hängt allerdings nicht nur mit optimiertem Saatgut zusammen, sondern ist gerade im nährstoffreicheren Böden auch stark abhängig von einer korrekten Durchführung der Ansaat (s. Kap. [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Herkunft_des_Saatgutes:_Empfehlungen.2C_Standards_und_rechtliche_Vorgaben "Herkunft des Saatgutes: Empfehlungen, Standards und rechtliche Vorgaben"]. Auch wenn dazu bisher keine systematischen Auswertungen vorliegen, scheinen die Erfolgsraten in Kantonen, bei denen für Wiesenaufwertungen eine Beratung/Begleitung angeboten wird oder obligatorisch ist (z.B. LU, AG, TG), deutlich höher zu liegen als in den übrigen Regionen.<br />
<br />
<small><br />
<sup>5</sup> vgl. Brönnimann & Minloff 2015 sowie bisher unveröffentlichte Monitoringresultate aus verschiedenen Kantonen.<br />
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<br />
==Fördersystem für Blumenwiesen in der Schweizer Landwirtschaft==<br />
Der hauptsächliche Treiber der Blumenwiesenansaaten auf Landwirtschaftsflächen ist der finanzielle Anreiz durch das Direktzahlungssystem. Im Zuge der Agrarreform wurden nämlich ab dem Jahr 2001 sogenannte „Öko-Qualitätsbeiträge“ (ab 2014 als sog. Biodiversitätsförderflächen-QII-Beiträge bezeichnet, kurz BFF-QII) eingeführt. Diese werden ausbezahlt, wenn in einer angemeldeten Ökowiese innerhalb einer Aufnahmefläche von 3 m Radius mindestens 6 Pflanzenarten aus einer [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~1547~1/3~410245~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Beitr%C3%A4ge-und-Bedingungen-im-%C3%96koausgleich/Zeigerpflanzen-Wiesen-BFF-Alpennordseite/Deutsch/Print-Papier Liste von rund 45 Zeigerpflanzenarten] nachgewiesen werden. In den letzten Jahren sind diese Qualitätsbeiträge laufend angestiegen, während die „Basis-Biodiversitätsbeiträge“ im gleichen Masse abgenommen haben. Damit stieg die Attraktivität der Ansaaten entsprechend. Bereits nach 1-2 Jahren sind dank den Biodiversitätsbeiträgen die Kosten einer Neuansaat nicht selten amortisiert.<br />
<br />
=Ökologische Bedeutung von Direktbegrünungsverfahren=<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Ansaat_eines_gefrästen_Streifens_mit artenr_autochth_Saatgut 96 dpi.JPG<br />
| text = Ansaat eines gefrästen Streifens mit autochthonem Saatgut.<br />
}}<br />
Die Blumenwiesenmischungen mit Ökotypen aus Schweizer Herkunft wurden bald so zahlreich eingesetzt, dass diese Entwicklung von Seiten der Ökologie und des Naturschutzes zunehmend kritisiert wurde. Denn alle neu angesäten Wiesen sahen landauf landab sehr ähnlich aus, hatten immer fast dieselbe Artenzusammensetzung und basierten alle auf denselben paar wenigen Ökotypen aus dem Ursprungssaatgut der Saatgutfirmen, egal ob die angesäten Wiesen im Wallis, im Seeland, im Randen oder im Bündnerland lagen. Diese Standardisierung steht im Kontrast zur enormen Vielfalt verschiedener Wiesentypen, die sich im Naturwiesland der Schweiz von Region zu Region in Bezug auf ihre typische Artenzusammensetzung stark unterschieden. <br/><br />
Immer mehr Untersuchungen der letzten Jahre wiesen ausserdem darauf hin, dass kleinräumig eine grosse genetische Vielfalt auch innerhalb jeder Pflanzenart besteht. Je grösser die Entfernung und je unterschiedlicher das Klima zwischen zwei Herkunftsregionen ist, umso deutlicher fallen auch die genetischen Unterschiede aus <sup>6</sup>. Dies zeigt sich auch im ökologischen Verhalten. Viele der untersuchten Wiesenarten wuchsen besser, wenn die Pflanzen regionaler Herkunft waren. So lieferten die regionalen Gewächse im Schnitt beispielsweise zehn Prozent mehr Blütenstände als Artgenossen, die aus anderen Gegenden stammten <sup>7</sup>. <br/><br />
Von Tal zu Tal, ja von Wiese zu Wiese bestehen genetische Anpassungen und Unterschiede, sogenannte Ökotypen. Diese innerartliche genetische Vielfalt ist zwar äusserlich oft nur schwer zu erkennen, aber ökologisch von grosser Bedeutung. Denn sie bedeutet eine Anpassung an die unterschiedlichsten Standorts- und Nutzungsbedingungen und ist damit eine wichtige Voraussetzung für die Stabilität von Ökosystemen. So konnten Untersuchungen zeigen, dass der Deckungsgrad höher und damit der Ansaaterfolg besser sind, wenn Ökotypen aus der Region statt Saatgut von weiter entfernt liegenden Gegenden verwendet wird. Im Gegenzug konnten sich weniger unerwünschte, nicht angesäte Arten (z.B. Neophyten) etablieren (Weisshuhn et al. 2012 <sup>8</sup>). Ein deutliches Indiz dafür, dass diese Pflanzen regional angepasst sind. Sie kommen also in der Nähe ihrer ursprünglichen Herkunft besser zurecht. Andere Untersuchungen zeigen, dass die Inzucht von autochthonem Saatgut geringer ist als von Vermehrungssaatgut <sup>9</sup>.<br />
<br />
<small><br />
<sup>6</sup> z.B. Durka, W. et al. (2016): Genetic differentiation within multiple common grassland plants supports seed transfer zones for ecological restoration. – Journal of Applied Ecology 54/1, 116-126. [https://besjournals.onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/1365-2664.12636 PDF].<br />
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<small><br />
<sup>7</sup> Durka W. et al. (2019): Regionales Saatgut von Wiesenpflanzen: genetische Unterschiede, regionale Anpassung und Interaktion mit Insekten. Natur und Landschaft 94/4, 146-153. [https://www.regioflora.ch/de/assets/content/pdf/News/Regionales%20Saatgut%20von%20Wiesenpflanzen.pdf PDF]<br />
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<small><br />
<sup>8</sup> Weisshuhn K., Prati D., Fischer M., Auge H. (2012): Regional adaption improves the performance of grassland plant communities. Basic and Applied Ecology 13/6, 551-559. [https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S1439179112000710 Zusammenfassung]<br />
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<br />
<small><br />
<sup>9</sup> Aavik T., Bosshard D., Edwards P., Holderegger R., Billeter R. (2014): Genetische Vielfalt in Wildpflanzen-Samenmischungen. Agrarforschung Schweiz 5 (1): 20–27. [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Aavik_et_al_Agrarfo2014.pdf PDF]<br />
</small><br />
<br />
=Herkunft des Saatgutes: Empfehlungen, Standards und rechtliche Vorgaben=<br />
Um die genetische Vielfalt auf Ökotypenebene zu berücksichtigen, hat bereits 1998 die schweizerische Kommission für die Erhaltung von Wildpflanzen (SKEW), heute Teil von Info Flora, Empfehlungen herausgegeben. Diese verlangen, dass das verwendete Saat- und Pflanzgut für Blumenwiesen aus der gleichen biogeographischen Region wie die Empfänger-Parzelle stammen soll. Bei häufigen, taxonomisch wenig differenzierten Arten sollen die sechs Grossregionen der Schweiz – d. h. Jura, Mittelland, Alpennordflanke, westliche und östliche Zentralalpen und Südalpen – eingehalten werden (siehe Abbildung). Taxonomisch schwierige Arten mit unregelmässiger Verbreitung sollen die elf Kleinregionen einhalten. Ausserdem ist es gemäss den Empfehlungen wichtig, standörtliche und regionale Unterschiede wie Höhenlage, Bodenverhältnisse und Exposition zu berücksichtigen. Nur so entspricht die zu begrünende Fläche den ökologischen Anforderungen der eingebrachten Arten. Die Empfehlungen verlangen auch, dass die gefährdeten Arten nicht in Samenmischungen gehandelt werden. Für diese gelten [https://www.infoflora.ch/de/flora/ansiedlung.html spezifische Richtlinien]. <br/><br />
Die Richtlinien von Info Flora entsprechen dem, was auch in verschiedenen Gesetzen und Verordnungen verlangt wird, insbesondere im Natur- und Heimatschutzgesetz, welches verlangt, die einheimische Tier- und Pflanzenwelt sowie ihre biologische Vielfalt und ihren natürlichen Lebensraum zu schützen <sup>10</sup>. <br/><br />
In der Praxis finden die Richtlinien von Info Flora leider nur sehr begrenzt Berücksichtigung. Die eine Seite des Problems liegt beim Handel. Auch wenn die Saatgutfirmen die Herkünfte kennen und getrennt vermehren, werden sie – aus logistischen Gründen und den damit verbundenen Kosten –leider nicht so gekennzeichnet. Der Nutzer kann damit beim Kauf von Standardsaatgut die Empfehlungen gar nicht so einhalten, weil die Herkünfte in den Handels-Saatgutpackungen vermischt sind. Gewisse Kantone haben für landwirtschaftliche Ansaaten mit Saatgutproduzenten Abmachungen und erhalten spezifische Mischungen von und für ihre Region, die den Lebensräumen angepasst sind – dies ist aber leider die Ausnahme. <br/><br />
Auf der anderen Seite sind die Richtlinien auch bei den Anwendern noch sehr oft nicht angekommen. So wird in der Praxis oft auch dort, wo Saatgut gemäss den Info Flora-Empfehlungen verfügbar wäre, dieses oft nicht berücksichtigt mangels Wissens oder als Folge fehlerhafter Ausschreibungen. Dies ist insbesondere im Verkehrsbereich (Böschungsbegrünungen etc.) der Fall, wo jedes Jahr Hunderte von Hektaren neu begrünt werden.<br />
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{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = biogeografische Regionen CH.png<br />
| text = Die Biogeographischen Regionen der Schweiz: blau = Jura und Randen; hellgrün = Hochrhein- und Genferseegebiet; dunkelgrün = Westliches Mittelland; grün = Östliches Mittelland; hellblau = Voralpen; dunkelblau = Nordalpen; gelb = Westliche Zentralalpen, orange = Östliche Zentralalpen; rot = Südalpen; braun = Südlicher Tessin <br/><br />
(Quelle: Gonseth, Y.; Wohlgemuth, T.; Sansonnes, B.; Buttler, A. (2001): Die biogeographischen Regionen der Schweiz. Erläuterungen und Einteilungsstandard. Umwelt Materialien Nr. 137 Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft Bern. 48 Seiten.).<br />
}} <br />
<br />
Angesichts der grossflächig stattfindenden Uniformierung und Florenverfälschung <sup>11</sup> durch nicht den Richtlinien entsprechenden Saatgutmischungen nahm der Druck zu, vermehrt autochthones Saatgut lokaler Provenienz zu verwenden, wo die Herkunft im Detail nachgewiesen werden kann (vgl. dazu Tab. 1). 2014 wurde die Direktzahlungsverordnung mit einem Passus ergänzt, der für landwirtschaftliche Blumenwiesenansaaten im Rahmen der Verfügbarkeit die Anwendung von Direktbegrünungen vorschreibt (DZV Art. 58 Abs. 8). Deutschland geht noch einen Schritt weiter und verlangt ab 2020 generell bei der Neuanlage von Grasland in der freien Landschaft die Verwendung von gebietseigenem Saatgut (BNatSchG §40).<br/><br />
Dieser Bewusstseinswandel und die damit einhergehende teilweise angepasste Rechtslage gab der Anwendung von Direktbegrünungsverfahren starken Auftrieb. So werden in der Schweiz immer häufiger Mahdgutübertragungen durchgeführt, und dies bei korrekter Anwendung mit durchwegs guten Erfolgen <sup>12</sup>. Da Mahdgutübertragungen v.a. aus logistischen Gründen oft nur beschränkt eingesetzt werden können, wurden in den letzten 10 Jahren verschiedene Ernteverfahren für autochthones Saatgut entwickelt oder weiterentwickelt (s. Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Direktbegr.C3.BCnungsverfahren Direktbegrünungsverfahren]). Damit kann das Saatgut aus den Spenderflächen getrocknet, gereinigt und abgesackt werden. Das Saatgut kann damit in Bezug auf die Ansaattechnik und den Ansaatzeitpunkt genau so flexibel wie Standardsaatgut eingesetzt werden.<br />
<br />
<small><br />
<sup>10</sup> Vgl. die ausführliche Zusammenstellung und Interpretation der rechtlichen Grundlagen im [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Leitfaden_naturgemaesse_Begruenungen_def.pdf Leitfaden für naturgemässe Begrünungen], Seiten 11-15.<br />
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<br />
<small><br />
<sup>11</sup> Begriffserklärung und Beispiele siehe Box «Florenverfälschung».<br />
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<br />
<small><br />
<sup>12</sup> vgl. Studie <!-- noch nicht beschaffen können: Wolfgang Bischoff/Pro Natura und Studie -->Pro Natura/Ö+L 2017 ([http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2017/05/BerichtAnsaatenArtenreicheWiesenKtAG2014-16.pdf PDF]).<br />
</small><br />
<br />
==Engpass Spenderflächen==<br />
Vor allem im Mittelland und einigen Voralpenregionen sind geeignete Spenderflächen allerdings so rar, dass die Produktion von autochthonem Saatgut den potenziellen Bedarf bei weitem nicht abdecken kann. In diesen Regionen wird Standardsaatgut mit Ökotypen aus diesen Regionen auch in Zukunft ein wichtiger Pfeiler für die Renaturierung von artenreichen Wiesen bleiben – dies umso mehr, da für das Mittelland beim Standardsaatgut auch das grösste Angebot an Arten existiert. Im Berggebiet und auf der Alpensüdseite dagegen besteht sowohl in Anbetracht der sehr unterschiedlichen Standortsbedingungen und Höhenlagen, als auch aufgrund des sehr begrenzten Angebotes von Arten aus den betreffenden biogeographischen Regionen kaum geeignetes Standardsaatgut. Dafür sind in diesen Regionen Spenderflächen meist noch zahlreich verfügbar, so dass hier in Zukunft vorwiegend autochthones Saatgut zum Einsatz kommen dürfte. Von der bisherigen Praxis, in diesen Regionen Mischungen mit Ökotypen aus dem Mittelland zu verwenden, sollten die zuständigen Amtsstellen und weiteren Akteuren wegkommen. <br />
<br />
<br/><br />
<table border="0", style="font-size:108%"> <br />
<tr> <br />
<td> '''Was ist «Florenverfälschung»?''' <br /> Unter Florenverfälschung wird die Beeinträchtigung der einheimischen Pflanzen-Biodiversität durch die Einführung fremder Pflanzenarten oder fremder Ökotypen verstanden. <br/><br />
Schädigende Auswirkungen auf die Biodiversität können von folgenden zwei Prozessen ausgehen:<br/><br />
a) Heimische Arten oder Ökotypen werden durch die eingebrachten Arten oder Ökotypen verdrängt. Bekannt sind die Auswirkungen invasiver Neophyten, also sich aggressiv ausbreitende Pflanzenarten aus anderen Kontinenten wie de Goldruten (''Solidago canadensis'') oder der Japanknöterisch (''Reynoutria japonica''). Auch einheimische Arten können invasiv sein, z. B. Schilf (''Phragmites australis'') oder Klappertopf (''Rhinanthus alectorolophus''). Ein Beispiel für eine Ökotypen-Invasion stellt der europäische Schilfrohr-Ökotyp in Amerika dar, der dortige Populationen weitgehend verdrängt hat (vgl. Kowarik 2003).<br/><br />
b) Die vorhandenen lokalheimischen Ökotypen kreuzen sich mit den eingebrachten Ökotypen und verlieren dadurch ihre spezifischen, zum Teil ausgeprägten physiologischen und ökologischen Anpassungen an die lokalen Bedingungen (Klima, Standort, Bewirtschaftung). Mit der Einkreuzung verschwindet auch der betreffende Ökotyp als Bestandteil der Biodiversität. <br />
<br />
Der Prozess b) dürfte viel bedeutsamer sein als a), ist aber gleichzeitig viel schwieriger zu beobachten und nachzuweisen. Beide Prozesse haben nicht auf die Flora, sondern ebenso auf die Tierwelt negative Auswirkungen.<br />
<br />
Quelle: [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Leitfaden_naturgemaesse_Begruenungen_def.pdf Bosshard, A., Mayer, P., Mosimann, A., 2015. Leitfaden für naturgemässe Begrünungen in der Schweiz. S. 21.]</td> <br />
</tr> <br />
</table><br />
<br /><br />
<br />
Die Verfügbarkeit von Ökotypensaatgut regionaler Herkunft (Regiosaatgut) war ein grundlegender Fortschritt gegenüber dem früher aus dem Ausland importierten „Billigsaatgut“, das nicht nur Ökotypen aus vielen anderen Ländern enthielt, sondern teilweise sogar Zuchtformen oder auch Arten, die gar nicht in der Schweiz heimisch waren. Ein Beispiel war der Wiesenknopf (''Sanguisorba muricata''), der dem heimischen Kleinen Wiesenknopf (''Sanguisorba minor'') sehr ähnlich sieht. Andere Beispiele sind Rotklee (''Trifolium pratense'') und Hornklee (''Lotus corniculatus'') oder Fromental (Glatthafer) (''Arrhenaterum elatius''), bei denen noch bis vor wenigen Jahren regelmässig Zuchtformen verwendet wurden.<br />
<br />
=Wo lassen sich welche artenreichen Wiesentypen neu anlegen?=<br />
Artenreiche Wiesen können praktisch überall neu angelegt werden, vorausgesetzt Ansaatmethode und Saatgut sind sachgemäss auf den Standort und die zukünftige Nutzung abgestimmt. Je nach Standort und Nutzung entstehen dabei unterschiedliche Wiesentypen mit einer unterschiedlichen Artenzusammensetzung und Artenvielfalt. <br/><br />
Die wichtigsten Anwendungsbereiche für die Neuanlage artenreicher Wiesen sind Naturschutzgebiete, ehemaliges Ackerland, bisher intensiv genutzte verarmte Wiesen im Landwirtschaftsgebiet, Hochwasserschutzdämme und Gewässerräume, Böschungen von Verkehrswegen, Rasenflächen in Gärten oder Parks, neu geschaffene Umgebungen von Siedlungen, aber auch kleinflächige Objekte wie Verkehrsinseln oder kleine Gartenbereiche. <br/><br />
Besonders artenreich werden Wiesen auf relativ nährstoffarmen Standorten mit extensiver Nutzung, das heisst auf Flächen, die nicht gedüngt und nur ein- bis höchstens zweimal pro Jahr gemäht werden (Abb. 2). Bei erhöhtem Nährstoffgehalt und etwas häufigerer Mahd nimmt die Artenzahl zunehmend ab. Doch auch auf ehemals intensiv genutzten, nährstoffreichen Böden können bei sachgemässer Ausführung und Bewirtschaftung blumenreiche Wiesentypen langfristig erfolgreich angelegt werden. Sogar in Rasenflächen, die bis zu sechsmal jährlich gemäht werden, können sich viele attraktive und für Insekten wertvolle Blumenarten wie Salbei, Margerite, Brunelle, Thymian etc. langfristig halten. <br/><br />
Bei sehr nährstoffarmen Verhältnissen (z.B. Rohböden)<!--Link auf Pionierflächen, wenn vorhanden--> ist die Artenzahl und die Blühfreudigkeit der Wiesentypen etwas geringer, dafür lassen sich unter solchen Standorten besser gefährdete Arten ansiedeln. <br/><br />
Die Standortansprache, also die Beurteilung, welcher artenreiche Wiesentyp an einem gegebenen Ort angelegt werden kann, ist entscheidend für den späteren Erfolg. Doch die Standortbeurteilung bereitet oft Mühe. Es lohnt sich deshalb, für diesen ersten ausschlaggebenden Schritt eine erfahrene Fachperson beizuziehen. Sie kann für den individuellen Fall die wichtigsten Hinweise zum anzustrebenden Wiesentyp, zur richtigen Bodenvorbereitung, zur Ansaatmethode, zum geeigneten Saatgut und zu den Anforderungen an Bewirtschaftung und Pflege geben.<br />
<br />
== Die wichtigsten Wiesentypen und ihre Standorte für die Neuanlage artenreicher Wiesen==<br />
Im Wesentlichen sind folgende fünf [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie#Lebensr.C3.A4ume_des_Gr.C3.BCnlands Wiesentypen] für die Neuanlage artenreicher Wiesen bis in eine Höhenlage von maximal 1000 m ü. M. relevant (siehe [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen#Typologie_des_Gr.C3.BCnlands Kapitel «Typologie des Grünlands»]). Die Reihenfolge in der nachfolgenden Abbildung richtet sich nach einem Gradienten von trocken bis feucht und von nährstoffarm bis mässig nährstoffreich.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Wiesentypen Neuanlage de.png<br />
| text = Ökogramm mit den wichtigsten Wiesentypen, die für eine Neuanlage artenreicher Wiesen in Frage kommen. Wo es sehr trocken ist, ist die Verfügbarkeit von Nährstoffen stark eingeschränkt, weshalb es keine Wiesentypen in der Ecke oben rechts gibt.<br />
}}<br />
<br />
1. '''Trockenrasen'''<sup>13</sup> (''Xerobromion''): Dieser Wiesentyp bildet sich nur auf sehr sonnigen, heissen Standorten mit sehr mageren Böden aus (z.B. Rohböden wie Kies- oder Sandflächen). Trockenrasen sind lückig, sehr artenreich, aber oft etwas weniger blühfreudig als die Halbtrockenrasen. Trockenrasen werden oft nur jedes zweite Jahr gemäht, so dass auch verholzte niedrige Sträucher wie verschiedene Ginsterarten aufkommen können. <br/><br />
2. '''Trespen-Halbtrockenrasen'''<sup>13</sup> (''Mesobrometum''): Verbreiteter, blumen- und artenreicher Wiesentyp an sonnigen, nährstoffarmen, (zumindest schwach) humusierten Standorten. Wird jährlich im Juli geheut und im Herbst je nach Wüchsigkeit noch ein zweites Mal gemäht. Charakterarten sind das bestandesbildende Gras Aufrechte Trespe (''Bromus erectus'') und bei den Kräutern z.B. Thymian (''Thymus'' sp.), Esparsette (''Onobrychis viciifolia''), Salbei (''Salvia pratensis'') und bei schwacher Nutzung Dost (''Eupatorium cannabinum'') und Hauhechel (''Ononis'' sp.). <br/><br />
3. '''Fromentalwiese trockene Ausprägung''' (''Arrhenatheretum salvietosum''): Ziemlich artenreiche, sehr blütenreiche Wiese, die in der Regel in der zweiten Junihälfte geheut wird und danach noch 1-2 weitere Emdschnitte benötigt. Sie bildet sich auf humusreicheren, vormals oft intensiv gedüngten Böden an sonnigen Lagen aus. Charakterarten sind Salbei (''Salvia pratensis''), Wiesenbocksbart (''Tragopogon pratensis'') oder Margerite (''Leucanthemum vulgare''). <br/><br />
3a. '''"Blumenrasen"''': Auf Fromentalwiesenstandorten, also auf humusreicheren, gut mit Nährstoffen versorgten Böden auf mittleren oder trockeneren Standorten bilden sich bei sehr häufiger Mahd Rasen im gartenbaulichen Sinne aus. Wird ein Rasen alle 1-2 Wochen gemäht, überleben nur wenige Pflanzenarten, vor allem ausläufertreibende, niederwüchsige Gräser und einige Klee- und Kräuterarten. Wird die Schnittfrequenz auf maximal 5-6 Schnitte pro Jahr reduziert und die Düngung eingestellt, haben viele Arten der Fromentalwiesen und teilweise auch der Trespen-Halbtrockenrasen eine Chance, sich zu etablieren und zu reproduzieren. Dieser «Wiesentyp» wird in der Regel Blumenrasen genannt und findet zunehmend Verbreitung im Siedlungsbereich. <br/><br />
4. '''Fromentalwiesen frische Ausprägung''' (''Arrhenatheretum cirsietosum oleracei''): Ziemlich arten- und blütenreiche Wiese. Bewirtschaftung/Pflege wie bei (3). Sie bildet sich auf humusreicheren, vormals oft intensiv gedüngten Böden an schattigeren und/oder frischen bis feuchten Standorten aus. Charakterarten sind Kuckuckslichtnelke (''Lychnis floc-cuculi'') und Kohldistel (''Cirsium oleraceum''). An schattigen oder feuchten Standorten bilden sich bei sehr extensiver Nutzung (Mahd alle 2 Jahre oder jährlich im Spätherbst) Hochstaudensäume (''Filipendulion'', 4b) mit farbenprächtigen Arten wie Mädesüss (''Filipendula ulmaria''), Gilbweiderich (''Lysimachia vulgaris'') oder Blutweiderich (''Lythrum salicaria'') aus.<br/><br />
5. '''Streuwiesen''' <!---Link auf Feuchtgebiete wenn vorhanden-->(''Molinion'', ''Caricetum davallianae'' u.a.): Magere, feuchte bis vernässte Standorte sind für Wiesenneuanlagen eher selten und werden vor allem bei Naturschutzprojekten gezielt geschaffen mittels baulichen Massnahmen, z.B. bei Wiedervernässungen oder bei der [https://biodivers.ch/de/index.php/Stillgew%C3%A4sser/Bau_von_Gew%C3%A4ssern Schaffung von Weihern]. Unter diesen Standortbedingungen bilden sich niederwüchsige, teilweise sehr artenreiche Streuwiesentypen aus, die in der Regel einmal jährlich im Spät-herbst gemäht werden.<br/><br />
<br />
<small><br />
<sup>13</sup> «Rasen» wird hier in pflanzensoziologischer Terminologie verwendet und bedeutet «niederwüchsige Vegetation aus Kräutern».<br />
</small><br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = artenhaeufigkeiten wiesen de.png<br />
| text = Zusammenhang zwischen Nutzungsintensität, Ertrag und Vielfalt (Artendichte) an Pflanzenarten in Naturwiesen, schematisch; Orientierungswerte für Wiesen trockener und mesischer Standorte der kollinen bis montanen Stufe der Schweiz. Düngung und Nutzungshäufigkeit nehmen von links nach rechts zu. TS = Trockensubstanz. Der mit 1 bezeichnete Bereich entspricht in den tieferen Lagen den Trespen-Halbtrockenrasen, 2 den Fromentalwiesen. Quelle: Bosshard, A., 2016. Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas: Mit besonderer Berücksichtigung der Fromentalwiesen und des standortgemässen Futterbaus, Bristol-Schriftenreihe. Haupt Verlag, Bern. (ergänzt)<br />
}}<br />
<br />
=Standort- und Vegetationsbeurteilung=<br />
Eine grundlegende Voraussetzung für den Erfolg von artenreichen Wiesenansaaten '''ist die korrekte Standortbeurteilung'''<sup>14</sup> '''sowie die Beurteilung der vorhandenen Vegetation'''. Diese beiden Schritte bestimmen, ob und welche Massnahmen für eine Ansaat getroffen und welches Saatgut für eine erfolgreiche Durchführung gewählt werden soll, aber auch, wo eine Ansaat am meisten Sinn macht, sofern mehrere Varianten zur Verfügung stehen.<br />
<br />
<small><br />
<sup>14</sup> bzw. die künstliche Schaffung entsprechender Standortbedingungen beispielsweise mittels Bodenabtrag/Bodenaufschüttung, vgl. Kapitel [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Aufwertung_durch_Aushagerung «Aufwertung durch Aushagerung»]<br />
</small><br />
<br />
==Wo es keine Ansaaten braucht, sondern Geduld und angepasste Pflege genügen==<br />
Auf Flächen, auf denen bereits einzelne Blumen der gewünschten Arten vorhanden sind, kann unabhängig von einer Standortdiagnose oft auf eine Ansaat verzichtet werden. So weisen artenarme Naturwiesen, auch wenn sie intensiv bewirtschaftet werden, oft noch Reste von Zielarten auf, beispielsweise in Randbereichen oder an flachgründigen Stellen. Zudem sind Naturwiesen <sup>15</sup> generell deshalb wertvoll, weil die verbliebenen Arten noch aus alten, lokalen Ökotypen bestehen, so dass beim Umbruch von alten Naturwiesen generell grosse Zurückhaltung geübt werden sollte. Sie können nach und nach durch ein Ausbleiben der Düngung und ein reduzierte Mahdfrequenz – meist genügt ein zweimaliger Heuschnitt pro Jahr – wieder artenreicher werden. <br/><br />
Auch in alten Rasenflächen, die über längere Zeit nicht gedüngt wurden, wächst vereinzelt oft noch eine erstaunliche Vielfalt an Wiesenblumen wie Margeriten, Hornklee oder Salbei. Kommen solche Arten noch regelmässig vor, genügt es, den Mährhythmus stark zu reduzieren (auf maximal 6 Schnitte pro Jahr), und eine mehr oder weniger artenreiche Blumenwiese kehrt in wenigen Jahren von selbst zurück. <br/><br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = Weg_artenreicheWiese_de.png<br />
| text = Um zu klären, ob eine Ansaat nötig ist oder Abwarten vielmehr genügt, bietet das Agridea-Merkblatt [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~1425~1/3~410250~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Naturnahe-Lebensr%C3%A4ume-im-Wiesland/Der-Weg-zu-artenreichen-Wiesen/Deutsch/Print-Papier "Der Weg zur artenreichen Wiese"] eine gute Entscheidungshilfe.<br />
}}<br />
<br />
<small><br />
<sup>15</sup> Naturwiesen sind Wiesen, die seit mindestens 30 Jahren nicht mehr umgebrochen und neu angesät worden sind.<br />
</small><br />
<br />
==Botanische Aufwertung von verarmten Naturwiesen mittels Einsaaten==<br />
Ist eine Wiese beispielsweise durch intensive Nutzung einmal botanisch verarmt und weist auch keine Relikte der angestrebten Pflanzengesellschaft mehr auf, kommt die Pflanzenvielfalt auch bei wieder extensiverer Nutzung selbst nach Jahrzehnten oft nicht von selbst zurück. Dies zeigen viele Untersuchungen (z.B. Bosshard 1999, Kiehl 2010 <sup>16</sup>). Zum einen breiten sich die meisten Wiesenarten nur langsam aus, zum anderen verhindert die bestehende Grasnarbe die Etablierung neuer Pflanzenarten wirkungsvoll und ein Samenvorrat der meisten erhofften Wiesenarten fehlt, da die Samen der meisten Wiesenarten nur wenige Jahre im Boden überleben.<br />
<br />
Soll ein verarmter Wiesenbestand also wieder mit Arten angereichert werden, bleibt nichts anderes übrig, als die fehlenden Arten mit geeigneten Massnahmen wieder einzubringen <sup>17</sup>. Dabei existieren grundsätzlich drei Möglichkeiten – wobei eine angepasste Nutzung (keine Düngung, geeignetes Schnittregime u.a.) immer vorausgesetzt wird: <br />
# '''Übersaatmethode''': Alte, vergraste und blumenarme Naturwiesen, die bezüglich der Grasartenzusammensetzung aber noch einigermassen den Fromentalwiesen im engeren Sinne entsprechen, sollten nicht umgebrochen/gefräst und angesät werden. Eine Aufwertung mit einer einfachen Übersaat in den bestehenden Bestand, wie dies in intensiver genutzten Wiesen mit Futterbaumischungen gemacht wird, funktioniert mit Wiesenblumensaatgut nicht. Dagegen gibt es zwei etwas aufwändigere Übersaatmethoden, die ohne Umbruch funktionieren. Zum einen lassen sich Wiesenblumenarten ansiedeln, indem über mehrere Jahre hinweg gesammeltes Saatgut ausgewählter Arten der Umgebung gezielt oberflächlich auf Blössen (Narbenschäden, Maushaufen, gezielt verursachte Öffnungen etc.) ausgebracht wird. Die andere Möglichkeit besteht darin, über mehrere Jahre das frische Erntegut von blumenreichen Heuwiesen (Fromentalwiesen) auf der aufzuwertenden Fläche zu trocknen. Die ausfallenden Samen führen nach einigen Jahren zu einer deutlichen Zunahme der Arten- und Blumenvielfalt. Voraussetzung ist allerdings, dass eine geeignete Heuwiese als Spenderwiese auf dem Betrieb oder in der Nachbarschaft vorhanden ist. Mit diesen beiden Methoden wird die bestehende Pflanzen-/Boden-Garnitur und -Struktur nicht unnötig zerstört und die noch vorhandenen Ökotypen der bestehenden Naturwiese bleiben erhalten. Allerdings brauchen sie viel Geduld, sind ziemlich aufwändig und gelingen nur auf Standorten mit eher tiefem Nährstoffniveau.<br />
# '''Streifensaat'''. Diese Methode ist einfacher und sicherer und erlaubt es ebenfalls, die gewünschten Arten wieder in den Bestand zu bringen, ohne dass die ganze bestehende Naturwiese eliminiert werden muss. Dazu werden in einem Abstand von 15-20 m Streifen von 3-6 m Breite mit einer zapfwellengetriebenen Egge (z.B. Kreiselegge) oder auch einer Gartenfräse in die bestehende Wiese gefräst. Meist ist eine mindestens 3-malige Wiederholung im Abstand von ca. 2 Wochen nötig, bis die alte Vegetation vollständig abgestorben ist. Im Frühling können die vegetationsfreien, gut abgesetzten Streifen mit geeignetem Saatgut oder einer Direktbegrünung angesät. Je breiter die Streifen sind, desto eher lassen sich Schäden durch Schnecken reduzieren. Von den angesäten Streifen aus können dann die dort etablierten Arten nach und nach in den umliegenden Bestand auswandern, sofern Bodenheu gemacht und das Heu mit dem Kreiselheuer über die Fläche verteilt wird. <br />
# '''Ganzflächige Ansaat''': Ist der Ausgangsbestand keine erhaltenswerte Naturwiese, empfiehlt es sich, die bestehende Wiesenvegetation ganzflächig durch Pflügen und anschliessendes Eggen, oder allein durch mehrmaliges Eggen mit einer zapfwellengetriebenen Kreiselegge (oder ähnlichem Gerät), vollständig zu entfernen. Details zu einer erfolgreichen Saatbettbereitung und Ansaat siehe Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Standort-_und_Vegetationsbeurteilung «Standort- und Vegetationsbeurteilung»].<br />
<br />
<small><br />
<sup>16</sup> Plant species introduction in ecological restoration: Possibilities and limitations. Basic and Applied Ecology 11/4, 281-284<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>17</sup> vgl. dazu insbesondere [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~1425~1/3~410250~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Naturnahe-Lebensr%C3%A4ume-im-Wiesland/Der-Weg-zu-artenreichen-Wiesen/Deutsch/Print-Papier Agridea-Merkblatt «Der Weg zu artenreichen Wiesen»] sowie Huguenin-Elin et al. 2012<br />
</small><br />
<br />
==Welche Flächen eignen sich (nicht) für Neuansaaten?==<br />
Mittels Ansaaten können auf fast jedem Standort (Boden, Exposition, Höhenlage etc.) artenreiche, stabile Wiesen erfolgreich wieder etabliert werden – vorausgesetzt, es werden die richtigen Arten und Ökotypen fachgerecht angesät und die anschliessende Pflege erfolgt dem Pflanzenbestand angepasst.<br />
<br />
'''Generell gilt''': Auf mageren sonnigen Standorten können sich mehr Pflanzen- und Tierarten und auch seltenere Arten entwickeln als auf nährstoffreicheren oder schattigeren Flächen. Auf sehr armen trockenen Böden nimmt die Artenvielfalt natürlicherweise wieder ab ([https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Die_wichtigsten_Wiesentypen_und_ihre_Standorte_f.C3.BCr_die_Neuanlage_artenreicher_Wiesen siehe Abbildung zu Artenreichtum]), und die Ansaat gestaltet sich oft schwierig, insbesondere auf kiesigen Rohböden mit geringem oder fehlendem Feinkornanteil (Sand, Schluff, Ton).<!-- nicht veröffentlichen wegen Empfehlung Humusierung: Südexponierte oder schattige Lagen verschärfen die Situation noch. Besteht Erosionsgefahr, ist bei reinen Kiesflächen die Beimischung eines geringen Humusanteils zu empfehlen, damit sich eine geschlossene Pflanzendecke entwickeln kann.--><br />
<br />
'''Weniger geeignet bzw. schwierig für die Neuansaat artenreicher Wiesen sind''': <br />
* '''Schattige Standorte'''. Solche sind von Natur aus meist arten- und blumenärmer als Wiesen an besonnten Lagen. Zudem können Schnecken den Keimlingen, vor allem der Wiesenblumen, an solchen Standorten besonders zusetzen. Dieser teilweise unterschätzte Faktor wird noch verschärft, wenn die Ansaatflächen an solchen Standorten klein oder schmal sind und deshalb von den Schnecken vom Rand her leichter aufgesucht werden können. Tipp: Anzusäende Flächen, die von bestehenden Wiesen oder Gehölzen umgeben sind, sollten nicht schmaler als 6 m und kleiner als eine Are (10x10m) sein.<br />
* '''Entwässerte Moorböden'''. Auf solchen Böden werden durch den Abbau des Torfs so viele Nährstoffe freigesetzt, dass rasch wenige Arten zur Dominanz gelangen und die meisten der angesäten Arten verdrängen. Unter dieser (seltenen) Voraussetzung lohnen sich artenreiche Ansaaten in der Regel nicht. Ökologisch aufgewertet werden können sie jedoch mit einer Vernässung<!--Link auf Feuchtgebiete-->.<br />
* '''«Verunkrautete“ Flächen»''': Auf Standorten, die vorher mit Stumpfblättrigem Ampfer («Blacke», (''Rumex obtusifolius'')) verunkrautet waren, ist Vorsicht geboten. Blackensamen bleiben viele Jahrzehnte keimfähig im Boden. Auch wenn auf einer Fläche vor der Ansaat keine Blacken sichtbar sind, können Blackensamen beim Pflügen oder auch Eggen von Wiesland aus einer früheren Verunkrautung in grosser Zahl keimen. Die Bekämpfung dieser Problemart kann sehr aufwändig sein <sup>18</sup>. Als weitere Problemarten sind Ackerkratzdisteln und einige wenige invasive Neophyten zu nennen, insbesondere Goldruten und einjähriges Berufskraut. Was die genannte, ausläufertreibende Distelart anbelangt, deren Blüten übrigens für Bienen und Schmetterlinge sehr attraktiv sind, verschwindet sie bei regelmässiger Mahd meist von selbst wieder. Die genannten Neophyten dagegen sollten von Beginn weg konsequent eliminiert („gezupft“) werden. Praktisch alle anderen Pflanzenarten, die landläufig als Unkraut bezeichnet werden, sind bei einer fachgerechten Pflege kein Problem für die gewünschte Entwicklung des Wiesenbestandes. Das gilt insbesondere für die im Ansaatjahr oft massenweise auftretenden einjährigen Ackerbeikräuter wie Gänsefuss (''Chenopodium'' sp.) oder Ackerhirsen (''Echinochloa crus-galli'', ''Setaria spp.'', ''Panicum spp.''). Sie verschwinden alle bereits im zweiten Jahr nach der Ansaat von selbst.<br />
<br />
<small><br />
<sup>18</sup> Der Umgang mit Flächen, die einen hohen Blackendruck aufweisen, kann hier nicht weiter vertieft werden.<br />
</small><br />
<br />
==Standortbeeinflussung==<br />
Besteht in einem Ansaatprojekt die Möglichkeit, die Bodeneigenschaften zu beeinflussen, können folgende Massnahmen ins Auge gefasst werden, um – in der Regel – nährstoffärmere Bedingungen zu schaffen (Reihenfolge mit abnehmender Wirksamkeit und abnehmenden Kosten): <br />
# Oberbodenabtrag (meist A-Horizont, ggf. auch B-Horizont),<br />
# Aufschüttung eines nährstoffarmen Substrates auf oder Einarbeitung desselben in den bestehenden Boden – meist Kies oder Sand – wobei es für die Aufschüttung meist eine Schicht von mindestens 30 cm braucht, <br />
# Ausmagerung, beispielsweise durch die Kultur eines Starkzehrers wie Mais oder Raygras. Die Wirksamkeit dieser Methode ist allerdings umstritten. Eine deutlich stärkere Reduktion verfügbarer Nährstoffe wird allein dadurch erreicht, indem vor der Ansaat der Boden möglichst nicht mehr gewendet oder bewegt wird (Verhinderung der oxidativen Nährstoffmobilisation, s. Bosshard 1999). Dies ist auf wenig verunkrauteten Ackerflächen möglich, indem die Ansaat ohne Bodenbearbeitung direkt in die Stoppelbrache erfolgt.<br />
<br />
Ebenso besteht überall dort, wo der Boden neu aufgesetzt wird wie z.B. bei Bauprojekten, die Möglichkeit, den Boden so zu „designen“, dass er standörtlich der Zielvegetation am besten entspricht.<br />
<br />
Weitere Standortfaktoren können beispielsweise durch die Gestaltung des Geländes (Exposition, Grundwassereinfluss etc.) oder durch Reduktion von Schatteneinflüssen (Waldrandstufung, zurückschneiden von Hecken etc.) zugunsten der angestrebten Wiesentyps gezielt beeinflusst werden.<br />
<br />
<br />
Tabelle: Vereinfachter Entscheidungsbaum für die Wahl der geeigneten Ansaat in Lagen unterhalb 1000 m ü. M. (Quelle: In Anlehnung an Bosshard 2000, [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2017/08/Wiesenrenaturierung_NuL_2000.pdf Blumenreiche Heuwiesen aus Ackerland und Intensiv-Wiesen. Eine Anleitung zur Renaturierung in der landwirtschaftlichen Praxis. Naturschutz und Landschaftsplanung 32/6, 161-171]. Zur Bestimmung der Wiesentypen siehe [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen#Typologie_des_Gr.C3.BCnlands Kapitel «Typologie des Grünlands]<br />
<br />
{| class="wikitable" <br />
|-<br />
! colspan="2"|Typ <br />
! Beschreibung<br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | '''1a'''<br />
| Boden eher bis sehr tiefgründig, bisher mittel bis sehr intensiv genutzt (oder Phosphor über 100 ppM), mit ausgeglichenem Wasserhaushalt: -> Zielvegetation typische Fromentalwiese (Arrhenatheretum). Details siehe Text.<br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;"| '''1b'''<br />
| Boden flachgründig oder durchlässig (kiesig, sandig) oder Standort sehr trocken oder nährstoffarm aufgrund bestehender Vegetation (Ertrag < 30 dt/J); an sonniger Lage: <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | 1b1<br />
| Boden kalkhaltig oder pH >6: -> Zielvegetation typische Trespen-Halbtrockenrasen (Mesobrometum). Zur Wahl der Ansaat siehe Text.<br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | 1b2<br />
| weitgehend fehlender Kalkgehalt bzw. pH <6: -> Zielvegetation Rotschwingel-Straussgraswiese (Festuca-Agrostion), ev. Borstgrasrasen (ab 600 m ü. M. (Nardion)); Direktbegrünung, kein geeignetes Standardsaatgut verfügbar. <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | '''1c'''<br />
| Wie 1b, aber schattige Lage: <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | 1c1<br />
| Eher trockener Standort (vorwiegend Nordexposition, Beschattung durch Waldrand u.ä.): -> Zielvegetation Rotschwingel-Straussgraswiese (Saatgut s. 1c1), <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | 1c2<br />
| wie 1c1, aber bei Niederschlägen >1200 mm/J und mind. leichtem Bodenkalkgehalt bzw. pH >6: -> Rotschwingel-Straussgraswiese (s. 1c1) oder magere Variante einer feuchten Fromentalwiese mittels Direktbegrünung oder Standardsaatgut Humida. <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | '''1d'''<br />
|Boden zur Vernässung neigend (wechseltrocken):<br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | 1d1<br />
| Boden eher tiefgründig und/oder eher nährstoffreich: -> Zielvegetation frische Fromentalwiese, Saatgut über Direktbegrünung oder mit Standardsaatgut Humida <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | 1d2 <br />
| Boden mager oder flachgründig: -> Streuwiesengesellschaften durch Direktbegrünungsverfahren (kein geeignetes Standardsaatgut auf dem Markt). Pflanzensoziologische Detailabklärungen nötig zur Wahl geeigneter Spenderflächen (Molinion, Caricion u.a.) <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | '''1e'''<br />
| Boden vernässt bzw. wechselnass: Wie 1d2.<br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | '''1f'''<br />
| Rohboden: -> Zielvegetation: Ruderalflora oder lückiger Trespenrasen (s. Text); je nach Situation auf Ansaat verzichten, Ansaat einer Ruderalflora-Mischung, oder (sofern Boden kalkhaltig) Direktbegrünung mit Trespen-Halbtrockenrasen (Mesobrometum) bzw. Trockenrasen (Xerobrometum) sofern verfügbar. Kleinflächen: Anpflanzung von Einzelpflanzen prüfen. <br />
|}<br />
<br />
=Saatgut: Richtige Artenzusammensetzung, richtige Herkunft=<br />
Standörtliche/geographische Herkunft, Qualität und Zusammensetzung des Saatgutes sind eine ausschlaggebende Voraussetzung für den Erfolg bei einer Neuanlage oder Wiederherstellung artenreicher Wiesen. Auch im Hinblick auf die Biodiversität spielen die Zusammensetzung und Herkunft des Saatgutes eine zentrale Rolle.<br />
<br />
In diesem Kapitel werden die verschiedenen Saatguttypen mit ihren Vor- und Nachteilen sowie die vorhandenen Anbieter in der Schweiz beschrieben. Eine einfache erste Entscheidungshilfe, wo welcher Saatguttyp am besten geeignet ist, liefert die Entscheidungsmatrix (siehe Tabelle unten). Weiterführende Informationen zu den einzelnen Saatguttypen und ihren Anwendungsmöglichkeiten enthält der [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Leitfaden_naturgemaesse_Begruenungen_def.pdf Leitfaden für naturgemässe Begrünungen, Kap. 6 (s. 39 ff.)].<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = tab bossh de.png<br />
| text = '''Entscheidungsmatrix für die Saatgutwahl bei Begrünungen in der Schweiz'''. Eine Saatgutwahl nach dieser Matrix ist konform mit dem Natur- und Heimatschutzgesetz sowie mit der Biodiversitätskonvention. Die zuerst genannten Verfahren sind aus ökologischer Sicht vorzuziehen. Angaben in Klammern: Verfügbarkeit des Saatgutes je nach Region eingeschränkt. '''A''' = Autochthones Saatgut oder Pflanzenmaterial (ausgebracht über Heugrassaat, Sodenverpflanzung oder ähnliche Verfahren), '''W''' = Wildpflanzensaatgut (Regio-Saatgut), '''Z''' = Regel-Handelssaatgut. <br/><br />
Quelle: Leitfaden für naturgemässe Begrünungen in der Schweiz - Mit besonderer Berücksichtigung der Biodiversität, Bosshard A., Mayer P., Mosimann A., 2015 <br />
}}<br />
<br />
==Direktbegrünungsverfahren==<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = direktbegruenungsverfahren de.png<br />
| text = Vergleich der Begrünungsverfahren. Quelle: Bosshard, A., Mayer, P., Mosimann, A., 2015. Leitfaden für naturgemässe Begrünungen in der Schweiz. Mit besonderer Berücksichtigung der Biodiversität. Ö+L Ökologie und Landschaft GmbH.<br />
}}<br />
<br />
Direktbegrünungsverfahren sind für die Erhaltung der Biodiversität in der Regel deutlich besser als der Einsatz von [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Standardsaatgut_und_Direktbegr.C3.BCnung_.E2.80.93_eine_Begriffskl.C3.A4rung Standardsaatgut]. Bei Ansaaten auf Flächen mit Naturschutzcharakter sollten generell Direktbegrünungen, also Mahdgutübertragung oder autochthones Saatgut aus dem Sack, eingesetzt werden und nur im Ausnahmefall (z. B. für extensive Vernetzungsflächen, die nicht direkt Naturschutzflächen sind) Standardsaatgut.<br />
<br />
Die Ansaatmethode der Direktbegrünung bzw. mit sog. autochthonem Saatgut wird oft als Wiesenkopierverfahren bezeichnet. Statt einzelne Arten zu vermehren, in Monokulturen anzubauen und dann als definierte Mischungen auf den Markt zu bringen, werden die Samen, welche in artenreichen Wiesen, den sogenannten '''Spenderflächen''', jedes Jahr produziert werden, direkt, ohne Zwischenvermehrung, genutzt. Die Ansaat dieser Samen auf die '''Ansaat- oder Empfängerfläche''' sollte möglichst in engem räumlichem Umkreis, im Idealfall lokal, d.h. im Umkreis von beispielsweise 15 km, erfolgen. Deshalb wird auch von lokalem Saatgut gesprochen <sup>19</sup>.<br />
<br />
Ebenso wichtig wie dieses Prinzip '''«Aus der Region für die Region»''' ist das Prinzip '''Standortäquivalenz''': Spenderfläche und Ansaatfläche müssen sich standörtlich, also bezogen auf den Bodentyp, die Höhenlage, die Exposition, die Nutzung/Pflege etc., so weit als möglich entsprechen (vgl. dazu die Entscheidungshilfe von [https://www.regioflora.ch/de/startseite-de/ Regio Flora]).<br />
<br />
Direktbegrünungsverfahren wurden in den letzten Jahren in der Schweiz, aber auch im Ausland <sup>20</sup> stark weiterentwickelt und verbessert und funktionieren mittlerweile bei fachgemässer Ausführung zuverlässig und erfolgreich.<br />
<br />
Heute wird von einigen Firmen autochthones Saatgut für die meisten Teile der Schweiz angeboten <sup>21</sup>. Die von Pro Natura initiierte und zusammen mit Info Flora, AGRIDEA und verschiedenen Kantonen aufgebaute Plattform [https://www.regioflora.ch/de/startseite-de/ Regio Flora] beschreibt die Methoden von Direktbegrünungen, gibt ausführliche Literaturhinweise und enthält auch eine Zusammenstellung von verschieden Samenanbietern und Fachpersonen. RegioFlora unterhält auch eine – derzeit allerdings je nach Region noch lückenhafte – [https://www.regioflora.ch/app/de/index.html Spenderflächendatenbank], die Nutzern helfen soll, eine geeignete Spenderfläche für eine Direktbegrünung zu finden.<br />
<br />
Entscheidend für Direktbegrünungsverfahren ist eine gute Zusammenarbeit mit den Besitzern und vor allem den Bewirtschaftern der Spenderflächen. Denn dank ihnen ist die gesuchte Artenvielfalt in diesen Flächen noch vorhanden. Die Nutzung einer Wiese als Spenderfläche bedeutet für die Bewirtschafter oft eine besondere Wertschätzung. Ihnen diese Wertschätzung bei einer Nutzung entgegenzubringen genügt aber nicht. Für die Erlaubnis, eine Ernte durchführen zu können, ist eine Entschädigung, die über den anfallenden Mehraufwand hinausgeht, angemessen.<br />
<br />
<small><br />
<sup>19</sup> Anmerkung: Bei der Sodenversetzung, die ebenfalls zu den Direktbegrünungsverfahren gezählt wird, gilt dasselbe, wobei anstelle von Samen ganze Vegetationsstücke inkl. der obersten Bodenschicht übertragen werden.<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>20</sup> Siehe ausführliche Literaturliste z.B. bei [https://www.regioflora.ch Regio Flora] und [https://www.holosem.ch/ HoloSem].<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>21</sup> Umfangreiche Informationen zum aktuellen Angebot auf [https://floretia.ch/ Floretia], wo neben autochthonem auch das Angebot von regionalem Vermehrungssaatgut aufgelistet ist. <br />
</small><br />
<br />
==Die verschiedenen Direktbegrünungsverfahren im Detail==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = agridea_verfahren_de_400dpi.png<br />
| text = Die neben der Mahdgutübertragung weiteren Methoden im Vergleich. Quelle: "Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft" (Hrsg.: Agridea, 2015)<br />
}}<br />
<br />
===Mahdgutübertragung===<br />
Die Spenderfläche wird zum Zeitpunkt der optimalen Samenreife der meisten Arten (Teigreife) in feuchtem Zustand gemäht <sup>22</sup> und das ganze Material auf die Ansaatfläche übertragen, meist etwa im Umfang 1:1. Die Praxis der Mahdgutübertragung wird im Merkblatt [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~2591~1/3~410210~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Naturnahe-Lebensr%C3%A4ume-im-Wiesland/Direktbegr%C3%BCnung-artenreicher-Wiesen-in-der-Landwirtschaft/Deutsch/Print-Papier «Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft» (Agridea 2015)] detailliert beschrieben (s. auch [https://www.youtube.com/watch?v=IsI8ivNB9u0 FiBL-Infofilm]). Der Vorteil dieser Methode liegt in ihrer Durchführung mit Geräten, die auf jedem Landwirtschaftsbetrieb existieren, und den relativ geringen Kosten, wenn der Landwirt die Arbeiten selber durchführen kann. Zudem werden so auch Kleintierarten und Moose auf die Ansaatfläche übertragen, und die Mahdgutauflage schafft einen ersten Erosionsschutz und verbessert die Keimungsbedingungen.<br />
<br />
Nachteile sind eine oft schwierige Logistik, ein relativ grosser Zeitaufwand und vor allem, dass das Ausbringen des Mahdgutes sogleich nach der Ernte im Sommer durchgeführt werden muss. Zum einen ist Sommer als Ansaatzeitpunkt oft nicht optimal, zum anderen stehen viele Flächen, beispielsweise bei Bauprojekten, nicht genau dann zur Ansaat bereit, wenn das Erntegut anfällt und ausgebracht werden muss. Ein weiterer Nachteil ist, dass verschiedene Erntezeitpunkte und verschiedene Spenderflächen nur beschränkt und mit stark erhöhtem Aufwand kombiniert werden können.<br />
<br />
<small><br />
<sup>22</sup> Ideal ist eine Mahd mit Messerbalken oder mit Sense. Es können aber je nach Verfügbarkeit und Zugänglichkeit der Fläche auch Saugmulcher eingesetzt werden, die in einem Arbeitsgang das Mähgut mähen und einsaugen. Dabei wird aber ein Grossteil der Kleintierfauna getötet, der erwähnte Vorteil einer Übertragung von Tieren fällt damit weg.<br />
</small><br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Mahdgutuebertragung 96 dpi.jpg<br />
| text = Mahdgutübertragung<br />
}}<br />
<br />
===Wiesendrusch===<br />
Das Saatgut wird auf der Spenderfläche mit einem Mähdrescher mit spezieller Einstellung geerntet. Die Methode funktioniert allerdings nur auf flachem Gelände, während die meisten nicht angesäten und damit für Direktbegrünungen in Frage kommenden Spenderflächen an Hängen liegen. Zudem werden einzelne Arten technisch kaum erfasst. Vorteile liegen in der relativ grossen Flächenleistung. Zudem kann das Saatgut verschiedener Wiesen und Erntezeitpunkte mit geringem Aufwand gemischt und das Saatgut bis 2 oder 3 Jahre (je nach Lagerung) nach der Ernte zu einem beliebigen Zeitpunkt ausgesät werden. In der Schweiz liegen erst wenige Erfahrungen mit dieser Methode vor, vor allem durch Untersuchungen der landwirtschaftlichen Fachhochschule HAFL in Zollikofen bei Bern. Als erste Firma bietet Regiosaat.ch seit 2019 autochthones Saatgut aus Wiesendrusch auf dem Markt an.<br />
<br />
Eine Abwandlung des Wiesendruschs stellt der Heudrusch® dar, eine von Joe Engelhardt in Deutschland entwickelte und praktizierte Methode, bei der das feuchte Erntegut wie bei der Mahdgutübertragung geerntet wird, dann aber statt direkt übertragen mit einer speziellen Infrastruktur getrocknet und ausgedroschen wird.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Ernte_mit_Maehdrescher 96 dpi.jpg<br />
| text = Sammeln von Saatgut mit dem Mähdrescher.<br />
}}<br />
<br />
===Seedbrushing===<br />
Bei dieser Methode werden die Samen mit speziellen Bürstenmaschinen aus dem stehenden Pflanzenbestand geerntet. Die Methode ist weniger schlagkräftig als der Wiesendrusch, es können aber mit den Geräten der neuesten Generation auch steile, vernässte oder topographisch schwierige Spenderflächen beerntet werden. Zudem erlaubt die Methode je nach verwendetem Gerät eine sehr individuelle Nutzung, indem einzelne Arten spezifisch beerntet oder auch ausgeschlossen werden. Bei zu dichten oder zu hohen Beständen sind der Methode aber Grenzen gesetzt, beispielsweise bei nährstoffreicheren Fromentalwiesen oder Hochstaudenfluren. Wie beim Wiesendrusch können verschiedene Spenderflächen und Erntezeitpunkte mit geringem Aufwand kombiniert und so die Artenzusammensetzung des Saatgutes optimiert werden <sup>23</sup>. Ebenso ist der Ansaatzeitpunkt flexibel. Die Methode wird in der Schweiz derzeit nur von [http://www.agraroekologie.ch/ Ö+L] angeboten. Die Firma hat dazu ein eigenes Gerät, den [http://www.holosem.ch/ebeetle/angebot/ eBeetle], entwickelt.<br />
<br />
<small><br />
<sup>23</sup> Dies gilt selbstredend nur dann, wenn alle kombinierten Spenderflächen aus derselben Kleinregion und von demselben Wiesentyp vergleichbarer Standorte stammen.<br />
</small><br />
<br />
===Weitere Verfahren===<br />
Neben den drei erwähnten Hauptmethoden gibt es weitere, allerdings deutlich weniger schlagkräftige und damit nur kleinflächig anwendbare oder die obigen Verfahren ergänzende Methoden der Direktbegrünung. Dazu gehören:<br />
<br />
'''Sammeln von Hand''' <br/><br />
Natürlich können die gewünschten Arten in den Spenderflächen auch von Hand geerntet werden. Dies erlaubt zwar eine sehr gezielte und individuelle Beerntung einzelner Arten zum optimalen Reifezeitpunkt der Samen (die je nach Art in der Regel bei der Teigreife einsetzt), ist aber sehr zeitaufwändig und nur für kleine Flächen realistisch. Handernte kann allerdings zur Ergänzung beispielsweise von Wiesendrusch oder von Mahdgutübertragungen eine wichtige Rolle spielen, indem Samen von Pflanzenarten damit effizient ergänzt werden können, die aus verschiedenen Gründen (Reifezeitpunkt, nur sehr vereinzeltes Vorkommen etc.) nicht übertragen bzw. maschinell nicht geerntet werden.<br />
'''Sammeln mit tragbaren Kleingeräten''' <br/><br />
Es existieren auf dem Markt Sauger und andere tragbare Techniken, mit denen das Saatgut aus dem stehenden Bestand der Spenderwiese geerntet werden kann. Diese Methoden sind aber nur wenig schlagkräftig und ebenfalls nur für kleine Flächen geeignet. Gegenüber einer Handernte bieten sie nur in speziellen Fällen wirklich Vorteile. In der Schweiz werden solche Geräte nur sehr punktuell angewendet.<br />
<br />
'''Heublumen''' <br/><br />
Diese Methode war bis Mitte des letzten Jahrhunderts das übliche Verfahren bei der Verbesserung oder Neuanlage von Wiesen. Dabei wird der Samenausfall aus dem Heustock gesammelt und direkt ausgesät. Da bis in die 1950er Jahre fast nur artenreiche Wiesen existierten (Bosshard 2016 <sup>24</sup>), hat diese Methode damals ausgezeichnet funktioniert. Heute bestehen Heublumen vor allem aus Samen von artenarmen Fett- und Intensivwiesen und beinhalten oft viele unerwünschte Arten wie Blacken oder Disteln, so dass von dieser Methode in aller Regel dringend abgeraten werden muss.<br />
<br />
'''Sodenversetzung''' <br/><br />
In denjenigen Fällen, wo ein artenreicher Wiesenbestand zerstört und nachher wiederhergestellt werden soll, eignet sich die Methode der Sodenversetzung bzw. Sodenschüttung besonders gut. Dabei wird die Ursprungsvegetation mit dem Bagger als grosse Rasenziegel gelagert und nach dem Bau wieder auf die zu begrünende Fläche aufgetragen. Am meisten Erfahrungen mit dem Verfahren bestehen im Kanton Graubünden, wo vor allem beim Strassenbau und bei Meliorationsprojekten die Sodenversetzung heute zur hauptsächlich angewandten Methode gehört.<br />
<br />
'''Spontanbegrünung''' <br/><br />
Überall dort, wo noch artenreiche Flächen mit den Zielarten in der näheren Umgebung vorhanden oder in der Samenbank des Bodens zu erwarten sind, kommt auch eine Spontanbegrünung in Betracht. Bei dieser Methode wird nichts angesät, sondern einfach gewartet, bis sich die passenden Arten von selbst wieder etablieren. Die Methode kann vor allem im Berggebiet empfohlen werden, sofern nur kleine bzw. wenige Meter breite Flächen zu begrünen sind und sofern in der unmittelbaren Umgebung noch artenreiche Wiesen vorhanden sind (Distanz <20 m).<br />
<br />
<small><br />
<sup>24</sup> Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas. Bosshard A. 2016. Haupt-Verlag, Bern. 265 S. [https://issuu.com/haupt/docs/9783258079738 Inhaltsübersicht, Zusammenfassung und Leseprobe S. 1-34]. <br />
</small><br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Saatguternte_Mesobr_mit_eBeetle 96 dpi.jpg<br />
| text = Saatguternte mit dem eBeetle.<br />
}}<br />
<br />
==Hohe Anforderungen an die Planung==<br />
Bei den Methoden «Mahdgutübertragung» bis «Sammeln von Hand» ist eine sorgfältige Planung essentiell. Da die Ernte nur im lokalen Rahmen erfolgt, ist oft kein geeignetes Saatgut an Lager, sondern dieses wird, v.a. bei grösserem Bedarf, spezifisch «on demand» produziert. D.h. es muss bis spätestens im Mai klar sein, welcher Saatgutbedarf für welche Lokalitäten und Standortbedingungen besteht. Wenn also im Frühjahr, dem optimalen Aussaatzeitpunkt, angesät werden soll, muss die Ernte bereits im Sommer des Vorjahres erfolgt sein.<br />
<br />
==Weitere Informationen zu den Direktbegrünungsverfahren ==<br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~2591~1/3~410250~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Naturnahe-Lebensr%C3%A4ume-im-Wiesland/Direktbegr%C3%BCnung-artenreicher-Wiesen-in-der-Landwirtschaft/Deutsch/Print-Papier Agridea-Wegleitung «Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft» (2015)]<br />
* [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Leitfaden_naturgemaesse_Begruenungen_def.pdf «Leitfaden für naturgemässe Begrünungen»]<br />
* Kirmer A., Krautzer B., Scotton M., Tischew S. (Hrsg.) 2012: Praxishandbuch zur Samengewinnung und Renaturierung von artenreichem Grünland. Lehr- und Forschungszentrum Raumberg-Gumpenstein.<br />
* [https://www.regioflora.ch/de/startseite-de/ Regio Flora, Förderung der regionalen Vielfalt im Grünland]<br />
* [http://www.holosem.ch/ HoloSem®]<br />
* [https://www.regiosaat.ch/ regiosaat.ch]<br />
* [https://www.conservationevidence.com/actions/133 Conservation Evidence] (englische Seite mit vielen wissenschaftlichen Hintergrundinformationen aus verschiedenen Studien)<br />
<br />
==Anwendung und Bezug von Blumenwiesen-Standardsaatgut==<br />
In Regionen, in denen zu wenig qualitativ hochwertige Spenderflächen existieren, oder wo aus anderen Gründen keine Direktbegrünungen möglich sind, ist artenreiches Wiesenblumensaatgut mit Ökotypen aus der betreffenden Biogeographischen Region (s. Abb. 1) eine gute Alternative.<br />
<br />
In der Schweiz bieten folgende Firmen geprüftes Blumenwiesen-Standardsaatgut an: [https://www.ufasamen.ch/ Ufa], [https://www.hauenstein.ch/de/ Hauenstein], [http://www.sativa-rheinau.ch/ Sativa] und [https://www.ericschweizer.ch/ Schweizer Samen]. Das grösste Angebot haben Ufa und Hauenstein, Saatgut in Bio-Qualität bietet Sativa. Einige der angebotenen Mischungen wechseln fast jährlich, und es ist entsprechend zu empfehlen, jeweils aktuell die Web-Informationsseiten oder die reich bebilderten Prospekte der betreffenden Firmen zu konsultieren, um die für den jeweiligen Anwendungszweck am besten geeignete Blumenwiesenmischung zu bestimmen.<br />
<br />
Beim Kauf ist unbedingt darauf zu achten, aus welcher biogeographischen Region das Saatgut stammt. Die Angabe, dass das Saatgut aus Schweizer Ökotypen besteht, genügt nicht, weil solches Saatgut oft ein Gemisch aus Herkünften verschiedener biogeographischer Regionen ist. Noch immer sind verbreitet Mischungen auf dem Markt, bei denen nur der Wiesenblumenanteil aus einheimischen Ökotypen besteht, während der Gräseranteil, der oft weit über 90% des Saatgutanteils ausmacht, nicht spezifiziert ist und dann in der Regel aus dem Ausland stammt und nicht selten auch Zuchtsorten enthält. Solches Saatgut ist deutlich kostengünstiger, aber aus den in der [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Einleitung Einleitung] erläuterten Gründen nicht zu empfehlen bzw. je nach Anwendungsbereich nicht rechtskonform.<br />
<br />
Von den meisten artenreichen Mischungen besteht nur Saatgut mit Ökotypen aus der Biogeographischen Region Mittelland. Solches Saatgut sollte nicht im Jura, im Berggebiet oder in der Südschweiz ausgebracht werden. In diesen Regionen kommt für die meisten Anwendungszwecke mangels eines entsprechenden Standardsaatgutangebotes nur autochthones Saatgut in Frage.<br />
<br />
Einige wenige Kantone (z.B. [https://lawa.lu.ch/-/media/LAWA/Dokumente/Landwirtschaft/Biodiversitaetsfoerderflaechen/Merkblaetter/MB_Blumenwiese_Neuansaat.pdf LU] und [https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/dfr/dokumente_3/landwirtschaft_2/umweltprojekte/naturnahe_landwirtschaft_1/merkblaetter_labiola/20_Labiola_MB_Saat_und_Pflanzug_okt16.pdf AG]) haben für den Landwirtschaftsbereich in Zusammenarbeit mit dem Handel kantonal angepasste Blumenwiesenmischungen entwickelt. Diese weichen teilweise in der Artenzusammensetzung leicht ab von den gängigen Mischungen, teilweise stammt das Basissaatgut einzelner Arten aus dem betreffenden Kanton. Der Bezug erfolgt teils über den Handel, teils über den Kanton bzw. von ihm beauftragte Stellen.<br />
<br />
== Qualitätssicherung ==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Bosshard_NEAT_Amit_HoloSem_Saatgut_angesaet_zg 96 dpi.jpg<br />
| text = Gemäss HoloSem-Standard frisch angesäte Böschung.<br />
}}<br />
Die im Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Herkunft_des_Saatgutes:_Empfehlungen.2C_Standards_und_rechtliche_Vorgaben «Herkunft des Saatgutes»] erwähnten Empfehlungen von Info Flora und RegioFlora, im Hinblick auf die Auswahl des Basissaatgutes bzw. der Spenderflächen und die räumliche Ausbreitung des Saatgutes, betreffen sowohl Standardsaatgut wie Direktbegrünungen.<br />
<br />
Was das Standardsaatgut anbelangt einigten sich die Schweizer Saatgutfirmen in einem mehrjährigen Prozess in den 1990er Jahren zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft für den Futterbau und der Forschungsanstalt Reckenholz auf eine Vereinbarung, welche die Empfehlungen von Info Flora (damals SKEW) berücksichtigt. Die Samenfirmen erklärten sich bereit, nur einheimische CH-Ökotypen für Blumenwiesenmischungen zu verwenden, den Forschungsanstalten die für die Ernte vorgesehenen Felder mit den geforderten Angaben (z.B. Herkunft des Ursprungssaatgutes, Parzellengrösse) zu melden, und die Vermehrungen stichprobenweise durch die Forschungsanstalten überprüfen zu lassen. Allerdings wird diese Vereinbarung nur für den Wiesenblumenzusatz des Saatgutes eingehalten, der Gräseranteil stammt v.a. bei Mischungen, die im Verkehrsbau verwendet werden, bis heute noch häufig aus ungeprüftem Saatgut aus dem Ausland.<br />
<br />
Für Direktbegrünungen existiert neben den Empfehlungen von Info Flora/RegioFlora ein von der Branche selber entwickelter Qualitätsstandard [http://www.holosem.ch/begruenungen/holosem-standard/ HoloSem]. Dieser existiert seit 2014 und definiert, welche standörtlichen und qualitativen Anforderungen bei der Ernte des Saatgutes zu berücksichtigen sind, definiert eine maximale Distanz der Verbreitung des autochthonen Saatguts von 15 km aus, wobei zusätzlich die biogeographische Region der Standort, die Höhenlage u.a. mitberücksichtigt werden müssen. Zudem bestehen Anforderungen zur Dokumentation, zur Spenderflächenauswahl u.a. Der Standard wird zunehmend für Ausschreibungen genutzt, um eine einheitliche Mindestqualität von Direktbegrünungen sicherzustellen.<br />
<br />
Ebenso wichtig und zielführend wie ein Standard sind für eine fachgemässe Ausführung v.a. von Mahdgutübertragungen in der Landwirtschaft eine gute Begleitung und Beratung der jeweils beteiligten Akteure, beispielsweise der Bewirtschafter der Flächen, welche die Mahdgutübertragung auch selber durchführen können. Eine fachliche Beratung kann den Erfolg und die Qualität der so angesäten Flächen wesentlich verbessern. Das zeigt sich beispielsweise im Kanton Aargau, wo interessierten Landwirten eine solche Beratung kostenlos zur Verfügung steht und wo der Erfolg der Mahdgutübertragungen mit einem Monitoring überprüft wird. Eine wertvolle Hilfe für die korrekte Ausführung von Mahdgutübertragungen bietet auch die Internetseite regioflora.ch, wo umfangreiche Informationen leicht verständlich aufgearbeitet sind.<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = wichtigste Begruenungsverfahren de.png<br />
| text = Übersicht über die wichtigsten Begrünungsverfahren und ihre optimalen Ausführungszeitpunkte, bezogen auf Lagen bis ca. 1000 m ü.M. In der angegebenen Literatur hat es auf Seite 31 eine Tabelle, die auch auf höher gelegene Flächen eingeht. [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Leitfaden_naturgemaesse_Begruenungen_def.pdf Quelle: Bosshard, A., Mayer, P., Mosimann, A., 2015. Leitfaden für naturgemässe Begrünungen in der Schweiz. Mit besonderer Berücksichtigung der Biodiversität. Ö+L Ökologie und Landschaft GmbH].<br />
}}<br />
<br />
=Praktische Durchführung von Ansaat und anschliessender Pflege artenreicher Wiesen=<br />
Artenreiches Saatgut ist zu kostbar, um es nicht optimal einzusetzen. Denn auch das beste Saatgut führt nur bei einer fachgerecht durchgeführten Ansaat und Pflege/Bewirtschaftung zum Erfolg.<br />
<br />
==Saatbettvorbereitung==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Empfängerfläche 5 96 dpi.JPG<br />
| text = Dieses Saatbett wurde zur Vorbereitung geackert und anschliessend in Zeitabständen von etwa drei Wochen mehrmals geeggt.<br />
}}<br />
Ein vegetationsfreies, gut abgesetztes, feinkrümeliges Saatbett ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Ansaat.<br />
Der Boden kann durch Pflügen oder mehrmaliges Eggen vegetationsfrei gemacht werden, in speziellen Fällen auch durch Abdecken mit schwarzer Gärtnerfolie; Abspritzen mit Herbiziden ist nicht zu empfehlen. Einsaaten (Übersaaten) in bestehende Wiesen ohne Entfernen des alten Wiesenbestandes führen nur mit hohem Aufwand zum Erfolg (siehe [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Botanische_Aufwertung_von_verarmten_Naturwiesen_mittels_Einsaaten «Übersaatmethode»]!<br />
<br />
„Gut abgesetzter Boden“ heisst: Die letzte tiefere Bodenbearbeitung (Pflügen, Eggen, Aufbringen einer Bodenschicht) liegt mindestens drei bis vier Wochen vor der Ansaat. Grund: Ist der Boden bei der Ansaat zu locker, fehlt der sogenannte Bodenschluss, und die jungen Keimlinge laufen Gefahr, nicht richtig wurzeln zu können; zudem ist die Wasserzufuhr aus dem Unterboden mangelhaft, was bei Trockenperioden zu grossen Ausfällen führen kann.<br />
Unmittelbar vor der Saat darf der Boden falls nötig („Unkrautkur“) nur noch sehr flach (ca. 3 cm tief) geeggt oder gefräst werden.<br />
<br />
==Saatzeitpunkt==<br />
Die Ansaaten sollten, wenn immer möglich, im April oder Mai erfolgen. Dies gilt nicht für Mahdgutübertragungen, die bei optimaler Reife der Spenderflächen durchgeführt werden müssen, also in der Regel im Juni oder Juli. Spätere Ansaaten können durch Trocken- und Hitzeperioden empfindlich beeinträchtigt werden (v.a. die Gräser). Bei Herbstansaaten sind die Verluste über den Winter ebenfalls meist beträchtlich (insbesondere der Kräuter/Wiesenblumen). Können Ansaaten, z.B. aus Gründen des Erosionsschutzes, nicht im April oder Mai erfolgen, bietet sich der Einsatz von Zwischen- und Deckfrüchten an. Eine Beratung von Fachpersonen ist dabei zu empfehlen.<br />
<br />
==Saat==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Hydrosaat mit autochthonem Saatgut 96 dpi.JPG<br />
| text = Hydrosaat mit autochthonem Saatgut.<br />
}}<br />
Die angegebene Saatmenge wird je nach Situation und Ausrüstung von Hand oder mit geeigneten Maschinen (Hydroseeder, Sämaschine, Düngerstreuer etc.) oberflächlich ausgebracht. Saatgut nicht in den Boden einarbeiten! Bei kleineren Flächen empfiehlt sich eine Handsaat, wobei je die Hälfte des Saatgutes kreuzweise (d.h. zuerst von links nach rechts, dann von hinten nach vorne) ausgebracht wird, um eine gleichmässige Saat sicherzustellen. Auf lockeren Böden (z.B. Landwirtschaftsflächen) muss unmittelbar nach der Saat gewalzt werden. Geeignet sind Gliederwalzen (z.B. Cambridgewalze). Kleine Flächen können auch „angeklopft“ oder „angestampft“ werden.<br />
<br />
==Nachsaatpflege im Ansaatjahr==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Mahdgutuebertr_Keimungsphase mit ebenfalls uebertragener Trockenwiesenschnecke 96 dpi.jpg<br />
| text = Mit der Mahdgutübertragung wurden aus der Trockenwiese Schnecken miteingebracht.<br />
}}<br />
Fast alle Pflanzen artenreicher Wiesen keimen erst einige Wochen nach der Ansaat und entwickeln sich auch danach nur sehr langsam. Die „Unkräuter“ dagegen keimen meist sofort nach der letzten Bewegung des Bodens und legen dann sofort mit Wachstum los. Vor allem auf humosen Böden können einjährige Pflanzen aus der bodenbürtigen Samenbank schon nach kurzer Zeit völlig überhandnehmen.<br />
<br />
Jetzt heisst es '''Ruhe bewahren''', denn dies ist normal und beeinträchtigt die spätere Entwicklung der Wiese in keiner Weise. Wichtig ist jedoch, dass nicht zu lange mit dem sogenannten Pflegeschnitt zugewartet wird, damit die Keimlinge der angesäten Arten nicht unter einer dicken Pflanzendecke aufgrund von Lichtmangel absterben.<br />
<br />
'''Faustregel''': Sobald der Boden nach der Ansaat stellenweise so stark mit „Unkraut“ bedeckt ist, dass er nicht mehr sichtbar ist, sollte ein Pflegeschnitt durchgeführt werden:<br />
* Hoch mähen (5-10 cm).<br />
* Das Mähgut muss abgeführt werden.<br />
* Eventuell muss der Pflegeschnitt im Ansaatjahr ein zweites Mal durchgeführt werden, wenn sich die einjährigen Arten nochmals rasch entwickeln. <br />
* Auch wenn vorher kein Pflegeschnitt nötig war: Im Herbst vor dem Einwintern, idealerweise in der ersten Septemberhälfte, sollte ein Pflegeschnitt gemacht werden.<br />
<br />
Wichtig ist, im Herbst nochmals einen Blick auf den Bestand zu werfen: '''Die Vegetation sollte nicht höher als fausthoch in den Winter gehen''', damit die jungen Pflänzchen nicht mit einer vom Schnee zusammengedrückten „Vegetationsmatte“ zugedeckt werden. Meist ist deshalb vor dem Einwintern, idealerweise in der ersten Septemberhälfte, zumindest der erste, oder aber einfach der letzte von 2 Pflegeschnitten angesagt.<br />
<br />
Entwickeln sich Blacken (''Rumex obtusifolius'') oder invasive Neophyten, empfiehlt es sich, diese bereits im Ansaatjahr zu zupfen oder auszustechen. Bei allem anderen „Unkraut“ hilft Jäten nichts, im Gegenteil, der Schaden wäre grösser als der Nutzen, der Pflegeschnitt reicht vollauf.<br />
<br />
Oft wird vergessen: Im Ansaatjahr ist von den angesäten Arten noch so gut wie nichts zu sehen, und es ist nur schwer zu beurteilen, ob eine Ansaat gelungen ist oder nicht. Im Jahr der Ansaat sollten also keine vorschnellen Urteile über das Gelingen gefällt werden.<br />
<br />
==Bewirtschaftung/Pflege in den Nachfolgejahren==<br />
Erst im Jahr nach der Ansaat lässt sich erkennen, ob sich die Saat gut entwickelt, und das Gesicht der zukünftigen Wiese beginnt sich nach und nach zu zeigen. Es dauert aber je nach Standort und angesäten Arten meist nochmals ein Jahr oder mehr, bis sich alle Pflanzen richtig etabliert haben und sich ein stabiler Pflanzenbestand entwickelt hat.<br />
Wie bei einem guten Wein ist bei der Neuansaat artenreicher Wiesen also Geduld angesagt! '''Gut Ding will Weile haben.'''<br />
<br />
Doch bereits jetzt, im Jahr nach der Ansaat, kann zur regulären Pflege/Nutzung mit jährlich ein bis zwei Mähschnitten übergegangen werden. Die Mahd muss unbedingt dem angestrebten Pflanzenbestand und damit den angesäten Arten angepasst sein. Generelle Empfehlungen sind hier schwierig. Folgendes lässt sich aber allgemein festhalten (siehe auch [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimale_Mahdnutzung Kapitel «Erhalt und Aufwertung durch optimale Mahdnutzung»]):<br />
* Mehr als zwei Mähschnitte sind bei ungedüngten Wiesen in keinem Fall nötig, sondern schaden der Artenvielfalt und verursachen darüber hinaus unnötig Aufwand, Kosten und Ressourcenverbrauch.<br />
* Die Mahd sollte in der Regel rund 1-2 Wochen nach der Hauptblüte der Wiese durchgeführt werden, damit ein Absamen möglich ist. In vielen Fällen liegt der optimale erste Schnittzeitpunkt in den tieferen Lagen in der zweiten Juni- oder in der ersten Julihälfte.<br />
* Wo keine Vorgaben für den ersten Schnittzeitpunkt bestehen (z.B. bei Ökoflächen in der Landwirtschaft), ist eine jährliche Variation des Schnittregimes für die Artenvielfalt förderlich (mal eher früh, mal eher spät mähen etc.).<br />
* Bei der Mahd immer kleine Reste stehen lassen, damit sich dort Tiere in die verbleibenden Strukturen zurückziehen und sich spät blühende Arten noch bis zur Samenreife entwickeln können. Am besten ist es, bei jedem Schnitt 10% der Fläche in Form von Rückzugsstreifen ungemäht zu lassen, jedes Mal wieder an einem anderen Ort. Empfehlenswert ist auch eine gestaffelte Mahd (kleinflächig unterschiedliche Schnittzeitpunkte mit mindestens 3 Wochen Intervall), wo dies vom Aufwand her möglich ist.<br />
* Wenn möglich nach der Mahd Bodenheu bereiten, d.h. das Gras am Ort an 2-3 niederschlagsfreien Tage trocknen, damit die Pflanzensamen ausreifen und ausfallen können.<br />
* Das Mähgut ist auf jeden Fall abzuführen. Mulchen vermindert in der Regel die Pflanzenartenvielfalt rasch.<br />
* Entwickeln sich Stumpfblättriger Ampfer („Blacken“) oder invasive Neophyten wie amerikanische Goldruten oder Einjähriges Berufskraut, müssen diese regelmässig und möglichst von Beginn an gejätet werden. Je früher und konsequenter man damit beginnt, desto mehr Arbeit lässt sich längerfristig sparen.<br />
<br />
Wer diese Empfehlungen befolgt, kann schon nach 1-2 Jahren mit einer farbenprächtigen Blumenwiese rechnen.<br />
<br />
Wenn die Biodiversität nach erfolgreicher Ansaat noch wirksamer gefördert werden soll, ist zu empfehlen, die Blumenwiese mit Strukturen<!--Link auf Kleinstrukturen, wenn aufgeschaltet--> wie Asthaufen, einer Trockenmauer, Kiesflächen<!--Link auf Pionierflächen, wenn aufgeschaltet-->, einem kleinen [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Stillgew%C3%A4sser Teich], einer [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Hecke Hecke] oder Einzelbäumen weiter aufzuwerten (siehe auch [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Allgemeine_Massnahmen Allgemeine Massnahmen]).<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* [http://www.holosem.ch/localseed/richtig-ansaeen/ HoloSem<sup>®</sup>]<br />
<br />
=Information und Motivation für eine anspruchsvolle Verbundaufgabe=<br />
Bei Wiesenaufwertungen und artenreichen Grünlandansaaten die richtige Methode zur richtigen Zeit am richtigen Standort zu wählen, um so die Biodiversität optimal fördern zu können, ist anspruchsvoll und nicht selten auch mit Zusatzaufwand und Hindernissen verbunden. Das lassen die bisherigen Ausführungen nicht übersehen.<br />
<br />
Entsprechend wichtig ist es, die vielen Akteure auf den verschiedenen Stufen der Entscheidungsprozesse immer wieder auf die Wichtigkeit und die Chancen von Wiesenaufwertungen aufmerksam zu machen und sie über die verschiedenen Möglichkeiten und die Vor- und Nachteile der verfügbaren Methoden zu informieren und weiterzubilden.<br />
<br />
Die Informations- und Motivationsaufgabe ist umso grösser, als sehr unterschiedliche Akteure letztlich daran beteiligt sind, wo welche Aufwertungen wie realisiert werden (oder auch nicht realisiert werden). Landschaftsarchitekten, Gartenarchitekten, Umweltbaubegleiter, Umweltverantwortliche, bodenkundliche Begleitplaner, Begrüner, Bauherren, Ökobüros, verschiedenste Amtsstellen von der Gemeinde bis zum Bund, Schulen, Weiterbildungsinstitutionen etc. etc. – und nicht zuletzt Landwirtinnen und Landwirte: Sie alle entscheiden regelmässig mit, was draussen in der Landschaft vor unserer Haustüre passiert. Es ist zu wünschen, dass das vorliegende Informationsangebot (vom Verein biodivers) dazu beiträgt, dass diese Herausforderung in Zukunft noch besser zu meistern, damit die unzähligen Chancen von Naturaufwertungen noch gezielter genutzt werden können als bisher.<br />
<br />
=Weiterführende Literatur=<br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~1425~1/3~410250~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Naturnahe-Lebensr%C3%A4ume-im-Wiesland/Der-Weg-zu-artenreichen-Wiesen/Deutsch/Print-Papier Der Weg zu artenreichen Wiesen. Agridea-Merkblatt, 2010.]<br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~2591~1/3~410250~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Naturnahe-Lebensr%C3%A4ume-im-Wiesland/Direktbegr%C3%BCnung-artenreicher-Wiesen-in-der-Landwirtschaft/Deutsch/Print-Papier Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft. Leitfaden für die Praxis zum Einsatz von regionalem Saatgut in Biodiversitätsförderflächen, Agridea, 2015.]<br />
* [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Leitfaden_naturgemaesse_Begruenungen_def.pdf Leitfaden für naturgemässe Begrünungen in der Schweiz. Mit besonderer Berücksichtigung der Biodiversität, Bosshard et al. 2015]<br />
* [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Guideline_restoration_deutsch.pdf Leitfaden zur Renaturierung von artenreichem Grünland. SALVERE 2012]<br />
* [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2017/08/Wiesenrenaturierung_NuL_2000.pdf Blumenreiche Heuwiesen aus Ackerland und Intensiv-Wiesen. Eine Anleitung zur Renaturierung in der landwirtschaftlichen Praxis. Naturschutz und Landschaftsplanung 32/6 (2000), 161-171.]<br />
* Gürke, J., Hrsg.: Pro Natura, 2014. Blumenwiesen anlegen und pflegen, Pro Natura Praxis Nr. 21.<br />
* Kirmer A., Krautzer B., Scotton M., Tischew S. (Hrsg.) 2012: Praxishandbuch zur Samengewinnung und Renaturierung von artenreichem Grünland. Lehr- und Forschungszentrum Raumberg-Gumpenstein.<br />
* Kiehl K., Kirmer A., Shaw N., Tischew S. (Hrsg.) 2014: Guidelines for Native Seed Production and Grassland Restoration. Cambridge Scholars Publishing<br />
* Brönnimann D. und Minloff L., 2015: Entwicklung von angesäten extensiven Wiesen im Naturnetz Pfannenstil. Bachelorarbeit<br />
* Zemp-Lori N., 2016: Besiedlung angesäter extensiver Wiesen durch Tagfalter im Naturnetz Pfannenstil. Bachelorarbeit<br />
* [https://www.research-collection.ethz.ch/handle/20.500.11850/143994 Renaturierung artenreicher Wiesen auf nährstoffreichen Böden. Ein Beitrag zur Optimierung der ökologischen Aufwertung der Kulturlandschaft und zum Verständnis mesischer Wiesen-Ökosysteme. Dissertationes Botanicae Band 303, Stuttgart 1999.]<br />
* [https://www.agraroekologie.ch/wp-content/uploads/2016/10/NuL07-10_Mueller_Bosshard.pdf Altgrasstreifen fördern Heuschrecken in Ökowiesen – Eine Möglichkeit zur Strukturverbesserung im Mähgrünland. Naturschutz und Landschaftsplanung 42 (7), 2010, 212-217.]<br />
* Grün Stadt Zürich, Fachbereich Naturschutz, 2010. Pflegeverfahren. Ein Leitfaden zur Erhaltung und Aufwertung wertvoller Naturflächen, Leitfaden. Zürich.<br />
* [http://www.holosem.ch/begruenungen/fachunterlagen/ Weitere Literatur siehe HoloSem / Fachunterlagen]<br />
<br />
Zu Aufwand und Kosten der beschriebenen Massnahmen enthalten folgende Unterlagen Informationen und Hilfeleistungen:<br />
* Saatgutkataloge und Webseiten der genannten [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Anwendung_und_Bezug_von_Blumenwiesen-Standardsaatgut Anbieter] von Standard- und autochthonem Saatgut<br />
* Normpositionenkataloge (nur käuflich erwerblich)<br />
<br />
Zu Aufwand und Kosten der beschriebenen Massnahmen enthalten folgende Unterlagen Informationen und Hilfeleistungen:<br />
* Saatgutkataloge und Webseiten der [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Anwendung_und_Bezug_von_Blumenwiesen-Standardsaatgut genannten Anbieter] von Standard- und autochthonem Saatgut<br />
* Normpositionenkataloge (nur käuflich erwerblich)<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = WiesenhausMatzingen_auchHaeuser_eignen_sich_fuer_artenreiche_Wiesen 96 dpi.jpg<br />
| text = Auch Häuser eignen sich für artenreiche Wiesen.<br />
}}<br />
<br />
= Weitere Kapitel zum Grünland =<br />
* [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland#Einleitung Einleitung und Zusammenfassung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie Praxisrelevante Ökologie]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung Erhalt und Aufwertung durch optimierte Bewirtschaftung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen Grundlagen]<br />
<!--* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisbeispiele Praxisbeispiele]--><br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || Andreas Bosshard|| [http://www.agraroekologie.ch/ueber-uns/team/ Ö+L GmbH]<br />
|-<br />
| Unter Mitwirkung von || Regula Benz|| <br />
|-<br />
| || Jean-Yves Humbert|| [https://www.cb.iee.unibe.ch/about_us/pd_dr_humbert_jean_yves/index_eng.html Universität Bern, Conservation Biology]<br />
|-<br />
| || Andrea Lips || [https://www.pronatura.ch/de Pro Natura]<br />
|-<br />
| || Winu Schüpbach|| [https://www.quadragmbh.ch/ quadra gmbh] <br />
|-<br />
|}<br />
<br /><br />
<br /></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat&diff=4714
Grünland/Aufwertung und Neuschaffung durch Direktbegrünung und Ansaat
2023-03-05T17:51:20Z
<p>VB2: /* Weitere Verfahren */</p>
<hr />
<div>[[fr:Milieux prairiaux/Revalorisation et création de prairies riches en espèces par enherbement direct et ensemencement]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Mahd Spenderfläche 1 96 dpi.JPG<br />
| text = Ein monotoner Bestand lässt sich mit verschiedenen Methoden innert relativ kurzer Zeit in eine blüten- und artenreiche Wiese umwandeln. In diesem Artikel werden die verschiedenen Verfahren für die Aufwertung von Wiesen vorgestellt. Das Foto zeigt die Mahd einer Spenderfläche früh am Morgen bei feuchter Vegetation.<br />
}}<br />
{{TOC limit|3}}<br />
<br />
=Einleitung=<br />
Die Neuanlage oder Wiederherstellung artenreicher Wiesen ist eine der wirksamsten Massnahmen zur Förderung der Artenvielfalt. Eine artenreiche Wiese kann 30 bis über 60 Pflanzenarten auf einem einzigen Quadratmeter aufweisen.<sup>1</sup> Weltweit können in keinem anderen Ökosystem oder Lebensraum so viele Pflanzenarten auf so kleinen Flächen zusammen existieren. Und eine ökologische Faustregel besagt, dass pro etablierter Pflanzenart 10 Tierarten vorkommen. <br />
Schon auf wenigen Quadratmetern kann also bei einer Neuschaffung einer artenreichen Wiese enorm viel für die Biodiversität getan werden. Der Artikel beschreibt, mit welchen Methoden artenreiches Wiesland neu geschaffen werden kann, welche Vor- und Nachteile die verschiedenen Methoden haben, und auf welchen Standorten welche mehr oder weniger artenreichen Wiesentypen realistischerweise angestrebt werden können. Die Ausführungen richten sich primär an Praktiker, die bei ihrer Tätigkeit aber nicht nur nach Rezept handeln, sondern auch die ökologischen Zusammenhänge verstehen möchten. <br />
<br />
<small><br />
<sup>1</sup> während in intensiv genutzten Wiesen oder Rasenflächen als Vergleich höchstens ein gutes Dutzend Arten vorkommen.<br />
</small><br />
<br />
<!--vorläufig weglassen: == Sich verändernde Ziele und Fragestellungen ==<br />
Die Neuschaffung und Aufwertung von artenreichen Wiesen kam erst in den 1990er Jahren in grösserem Ausmass auf. Die agrarpolitischen Diskussionen um die enorme Zerstörung der Biodiversität durch die immer intensivere Landwirtschaft führte zur Suche nach Alternativen. Erstmals wurde in den 1990er Jahren in der Schweiz ein Mindestanteil an naturnahen Flächen für jeden Landwirtschaftsbetrieb vorgeschrieben, und es entstanden Bemühungen, die in einigen Teilen der Schweiz praktisch verschwundenen, ehemals fast flächendeckend vorhandenen artenreichen Wiesen mit Ansaaten wieder zurück in die landwirtschaftlich genutzte Kulturlandschaft zu bringen. Aber auch in Naturschutzgebieten, bei Verkehrsprojekten oder im Siedlungsgebiet wurde zunehmend artenreiches Wiesland neu geschaffen. Entscheidend war dabei, dass entsprechende hochwertige, artenreiche Saatgutmischungen zumindest für trockenere Standorte nun auf dem Markt erhältlich waren. <br />
Wie der Artikel in einem kurzen historischen Abriss beschreibt, hat sich seit den ersten systematischen Versuchen mit artenreichen Wiesenansaaten in den 1980er und 1990er-Jahren viel verändert. Bis heute kommt laufend neues Wissen dazu, werden neue Ansaatmethoden entwickelt oder kommen neue Saatgutmischungen und -verfahren auf den Markt. Gleichzeitig haben sich das Bewusstsein, die Prioritäten und die Zielsetzungen bei der Neuschaffung artenreichen Wieslandes immer wieder verändert. <br />
Seit wenigen Jahren wird beispielsweise nicht nur auf die eingebrachten Pflanzenarten, sondern auch auf die genetische Vielfalt innerhalb der Arten geachtet. Zunehmend wird deshalb heute in der Schweiz und der EU die Verwendung lokaler oder regionaler Ökotypen gefordert und sogar in neuen Rechtserlassen vorgeschrieben. Wurde früher fast ausschliesslich Standardsaatgut verwendet, gab dieser Bewusstseinswandel der Anwendung von Direktbegrünungsverfahren starken Auftrieb.--><br />
<br />
==Standardsaatgut und Direktbegrünung – eine Begriffsklärung==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = ArtenreichesAutochthSaatgut_Ernte_aus_eBeetle 96 dpi.jpg<br />
| text = Artenreiches, autochthones Saatgut<br />
}}<br />
Im Zusammenhang mit der Förderung und Schaffung artenreicher Wiesen werden einige nicht allgemeinverständliche Fachbegriffe verwendet. Die wichtigsten sollen hier kurz erläutert werden – zumal einige noch „jung“ sind und ihre Anwendung deshalb oft nicht einheitlich erfolgt, was Verwirrung stiften kann.<br />
<br />
'''Bezeichnung von Saatguttypen und Saatgutherkünften''' <br/><br />
Das bis vor wenigen Jahren übliche Saatgut für die Ansaat artenreicher Wiesen war '''''Standard'''saatgut''. Bei Standardsaatgut wird jede einzelne Art in Reinkultur zur Gewinnung von Samen angebaut und das geerntete Saatgut dann nach einer bestimmten Rezeptur zusammengemischt. Man spricht deshalb auch von ''Vermehrungssaatgut''. Das Ursprungssaatgut stammt entweder von Wildpflanzen (sog. ''Basissaatgut''), oder es werden Zucht- bzw. Handelssorten verwendet.<br/><br />
Wenn eine Saatgutmischung ganz aus Arten besteht, deren Basissaatgut von besammelten Wildpflanzen einer bestimmten Region stammt und das Saatgut anschliessend in derselben Region vertrieben wird, wird vor allem in Deutschland von '''''Regio'''saatgut'' gesprochen. <br/><br />
Dem Standardsaatgut stehen die sogenannten '''''Direktbegrünungsverfahren''''' gegenüber. Dabei wird das Saatgut direkt auf geeigneten Spenderwiesen als Samengemisch geerntet und ohne Zwischenvermehrung auf die Ansaat- oder Empfängerfläche übertragen. Die Methode wird deshalb auch als „Wiesenkopierverfahren“ bezeichnet. Dabei kommen verschiedene Ernte- und Übertragungsmethoden zur Anwendung wie Mahdgutübertragung, der Mähdrusch oder die Sodenversetzung. In Abgrenzung zum Regiosaatgut wird das Saatgut aus Direktbegrünungsverfahren '''''autochthones''''' (oder manchmal auch '''lokales''') Saatgut genannt. <br/><br />
Diese Begriffsdefinitionen werden in den deutschsprachigen Ländern allerdings noch nicht überall einheitlich verwendet. So wird teilweise auch autochthones Saatgut als Regiosaatgut bezeichnet, oder Direktbegrünung wird teilweise nicht als Überbegriff, sondern synonym mit Mahdgutübertragung gebraucht. Heugrassaat wird auch als synonymer Ausdruck für Direktbegrünung, Ökotypensaatgut für Regiosaatgut, oder Handelssaatgut bzw. Regelsaatgut für Standardsaatgut verwendet. <br/><br />
'''Weitere wichtige Fachbegriffe''', die in diesem Artikel genannt werden, sind jeweils im Text näher erläutert, oder ihre Bedeutung erschliesst sich ohne weitere Erläuterung aus dem Zusammenhang.<br />
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=Neuanlage artenreicher Wiesen: Kurzer historischer Rückblick auf eine dynamische Entwicklung=<br />
Artenreiches Wiesland aus Naturschutzgründen neu zu schaffen wurde erstmals in den 1960er Jahren in grösserem Stil praktiziert. (vgl. Bosshard & Klötzli 2003 <sup>2</sup>). Dabei war das Interesse ganz auf nährstoffarme Standorte in Schutzgebieten gerichtet. Als Methoden dienten eine natürliche Besiedlung mit Arten aus der Umgebung, aber auch Mahdgutübertragungen, Pflanzungen oder Sodenversetzungen kamen damals bereits zur Anwendung. Käufliche Saatgutmischungen mit den gewünschten einheimischen Arten existierten damals keine. Die verfügbaren Mischungen stammten alle aus dem Ausland. Sie enthielten nicht-einheimische Arten und sogar Zuchtsorten, die im Widerspruch standen zu den naturschützerischen Zielen.<br />
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<sup>2</sup> Bosshard A. & F. Klötzli 2003: Restoration Ecology. In: Bastian O. & U. Steinhardt (Hrsg.): Development and Perspectives in Landscape Ecology: conceptions, methods, application. Kluwer. ISBN 1-4020-0919-4.<br />
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== Erfolg durch neue Saatgutmischungen==<br />
Erst Ende der 1980er Jahre gab der Naturschutz seinen fast ausschliesslichen Fokus auf Schutzgebiete auf und erkannte, dass die Biodiversität nur erhalten werden kann, wenn Naturschutzmassnahmen vermehrt flächenwirksam etabliert, d.h. auch ausserhalb von Naturreservaten neue artenreiche Flächen geschaffen werden können. Damit rückte die landwirtschaftlich genutzte Kulturlandschaft und somit auch nährstoffreichere Flächen ins Zentrum von Aufwertungsbemühungen. <br />
Da im Kulturland in den tieferen Lagen kaum noch artenreichere Biotope existierten, wurden in verschiedenen Teilen der Schweiz und in anderen Ländern Europas Projekte lanciert, welche in Zusammenarbeit mit Landwirtschaftsbetrieben ökologische Aufwertungen planten und realisierten. Eines dieser Projekte war „Landwirtschaft und Naturschutz aus Bauernhand“ <sup>3</sup>. Politisch und institutionell breit abgestützt, entwickelte und testete das Pilotprojekt Anfang der 1990er Jahre auf neun Landwirtschaftsbetrieben im Kanton Zürich Massnahmen für eine zukünftige Agrarpolitik.<br />
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<sup>3</sup> Landwirtschaft und Naturschutz aus Bauernhand. Schlussbericht des CH91-Pilotprojektes auf 9 Bauernhöfen im Kanton Zürich 1989-1991. Zürcher Vogelschutz, Zürcher Naturschutzbund, WWF Sektion Zürich und Zürcher Bauernverband, Zürich. 58 S.<br />
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==Artenvielfalt auch auf nährstoffreichen Böden möglich?==<br />
Unter diesen Massnahmen waren auch erste Versuche, bei denen damals neu verfügbares Saatgut mit verschiedenen Arten blumenreicher Wiesen ausgetestet wurde. Denn bereits damals war aufgrund vieler Untersuchungen klar, dass die Samen der meisten Wiesenarten nur kurzfristig im Boden überleben<!-- Link auf Pflanzenartikel, wenn dort Infos zu Lebensdauer von Samen ergänzt worden ist -->. Das heisst, dass eine intensive Nutzung über drei oder vier Jahren bereits genügte, um die Pflanzenarten artenreicher Wiesen zum Verschwinden zu bringen. Eine Wieder-Extensivierung der Nutzung bringt sie – auch nach jahrelangem Warten – alleine nicht zurück. Vielmehr müssen sie jeweils neu eingebracht, sprich angesät werden. <br/><br />
Allerdings war völlig unklar, ob sich die eingebrachten Arten auf den nährstoffreichen Böden überhaupt etablieren können. Zumindest widersprach dies der damals vertretenen ökologischen Lehre. Nichtsdestotrotz entwickelten sich bei den Versuchsansaaten des Zürcher Pilotprojektes auf vorher intensiv genutzten Ackerflächen im zweiten Jahr tatsächlich niederwüchsige, artenreiche, an Magerwiesen erinnernde Wiesenbestände. <br/><br />
Dieser unerwartete Erfolg gab Anlass zu einer Dissertation. Auf zahlreichen Landwirtschaftsbetrieben in der Ostschweiz wurden auf über einem Dutzend Hektar unzählige Versuchsflächen mit verschiedenen Mischungsvarianten von Wiesenkräutern, -leguminosen und -gräsern angelegt (Bosshard 1999 <sup>4</sup>). Die ersten Versuche führten allerdings zu instabilen Pflanzenbeständen, die nach wenigen erfolgreichen Jahren vergrasten und den Grossteil der eingesäten Arten wieder verloren. Durch Verbesserungen in der Artenzusammensetzung, insbesondere der Gräserkomponente, gelang es schliesslich, auch auf vorher intensiv genutzten Böden langfristig stabile Blumenwiesenbestände zu etablieren. Als Resultat der Dissertation wurden vier Mischungsvarianten empfohlen, die heute als ''Salvia'', ''Humida'', ''Broma'' und ''Montagna'' auf dem Schweizer Markt breit etabliert sind und mit denen mittlerweile Hunderte, wenn nicht Tausende von Hektaren artenreicher Wiesen angesät worden sind und weiterhin angesät werden, vor allem in der Landwirtschaft, aber auch zunehmend im Siedlungsbereich.<br />
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<sup>4</sup> Bosshard A. 1999: Renaturierung artenreicher Wiesen auf nährstoffreichen Böden. Ein Beitrag zur Optimierung der ökologischen Aufwertung der Kulturlandschaft und zum Verständnis mesischer Wiesen-Ökosysteme. Dissertationes Botanicae Band 303 Stuttgart. 201 S. [https://www.research-collection.ethz.ch/handle/20.500.11850/143994 Online-version]<br />
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==Breites Saatgutangebot, erfolgreiche Mischungen==<br />
Dass dies überhaupt möglich war, ist der engagierten Pionierarbeit verschiedener Saatgutfirmen zu verdanken, die ab Mitte der 1990er Jahre in der Schweiz ein immer breiteres Spektrum an typischen Wiesenblumenarten Schweizerischer Herkunft für die neuen Mischungen verfügbar machten. Seit einigen Jahren besteht nun auch bei den Wiesengräsern ein breites Angebot an einheimischen Ökotypen für diese Mischungen.<br />
Die Erfolgsrate der artenreichen Ansaaten in der Landwirtschaft beträgt mittlerweile über 90% gemessen am botanischen Qualitätsniveau QII (s. folgendes Kapitel). Dabei zeigen umfangreiche Datensätze, dass auf trockeneren Standorten die Artenzahl und der Blumenanteil im Laufe der Jahre eher zunimmt, während an feuchteren oder schattigeren Standorten bei den bestehenden Standard-Blumenwiesenmischungen die gegenteilige Tendenz besteht <sup>5</sup>.<br />
Die hohe Erfolgsrate hängt allerdings nicht nur mit optimiertem Saatgut zusammen, sondern ist gerade im nährstoffreicheren Böden auch stark abhängig von einer korrekten Durchführung der Ansaat (s. Kap. [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Herkunft_des_Saatgutes:_Empfehlungen.2C_Standards_und_rechtliche_Vorgaben "Herkunft des Saatgutes: Empfehlungen, Standards und rechtliche Vorgaben"]. Auch wenn dazu bisher keine systematischen Auswertungen vorliegen, scheinen die Erfolgsraten in Kantonen, bei denen für Wiesenaufwertungen eine Beratung/Begleitung angeboten wird oder obligatorisch ist (z.B. LU, AG, TG), deutlich höher zu liegen als in den übrigen Regionen.<br />
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<sup>5</sup> vgl. Brönnimann & Minloff 2015 sowie bisher unveröffentlichte Monitoringresultate aus verschiedenen Kantonen.<br />
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==Fördersystem für Blumenwiesen in der Schweizer Landwirtschaft==<br />
Der hauptsächliche Treiber der Blumenwiesenansaaten auf Landwirtschaftsflächen ist der finanzielle Anreiz durch das Direktzahlungssystem. Im Zuge der Agrarreform wurden nämlich ab dem Jahr 2001 sogenannte „Öko-Qualitätsbeiträge“ (ab 2014 als sog. Biodiversitätsförderflächen-QII-Beiträge bezeichnet, kurz BFF-QII) eingeführt. Diese werden ausbezahlt, wenn in einer angemeldeten Ökowiese innerhalb einer Aufnahmefläche von 3 m Radius mindestens 6 Pflanzenarten aus einer [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~1547~1/3~410245~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Beitr%C3%A4ge-und-Bedingungen-im-%C3%96koausgleich/Zeigerpflanzen-Wiesen-BFF-Alpennordseite/Deutsch/Print-Papier Liste von rund 45 Zeigerpflanzenarten] nachgewiesen werden. In den letzten Jahren sind diese Qualitätsbeiträge laufend angestiegen, während die „Basis-Biodiversitätsbeiträge“ im gleichen Masse abgenommen haben. Damit stieg die Attraktivität der Ansaaten entsprechend. Bereits nach 1-2 Jahren sind dank den Biodiversitätsbeiträgen die Kosten einer Neuansaat nicht selten amortisiert.<br />
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=Ökologische Bedeutung von Direktbegrünungsverfahren=<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Ansaat_eines_gefrästen_Streifens_mit artenr_autochth_Saatgut 96 dpi.JPG<br />
| text = Ansaat eines gefrästen Streifens mit autochthonem Saatgut.<br />
}}<br />
Die Blumenwiesenmischungen mit Ökotypen aus Schweizer Herkunft wurden bald so zahlreich eingesetzt, dass diese Entwicklung von Seiten der Ökologie und des Naturschutzes zunehmend kritisiert wurde. Denn alle neu angesäten Wiesen sahen landauf landab sehr ähnlich aus, hatten immer fast dieselbe Artenzusammensetzung und basierten alle auf denselben paar wenigen Ökotypen aus dem Ursprungssaatgut der Saatgutfirmen, egal ob die angesäten Wiesen im Wallis, im Seeland, im Randen oder im Bündnerland lagen. Diese Standardisierung steht im Kontrast zur enormen Vielfalt verschiedener Wiesentypen, die sich im Naturwiesland der Schweiz von Region zu Region in Bezug auf ihre typische Artenzusammensetzung stark unterschieden. <br/><br />
Immer mehr Untersuchungen der letzten Jahre wiesen ausserdem darauf hin, dass kleinräumig eine grosse genetische Vielfalt auch innerhalb jeder Pflanzenart besteht. Je grösser die Entfernung und je unterschiedlicher das Klima zwischen zwei Herkunftsregionen ist, umso deutlicher fallen auch die genetischen Unterschiede aus <sup>6</sup>. Dies zeigt sich auch im ökologischen Verhalten. Viele der untersuchten Wiesenarten wuchsen besser, wenn die Pflanzen regionaler Herkunft waren. So lieferten die regionalen Gewächse im Schnitt beispielsweise zehn Prozent mehr Blütenstände als Artgenossen, die aus anderen Gegenden stammten <sup>7</sup>. <br/><br />
Von Tal zu Tal, ja von Wiese zu Wiese bestehen genetische Anpassungen und Unterschiede, sogenannte Ökotypen. Diese innerartliche genetische Vielfalt ist zwar äusserlich oft nur schwer zu erkennen, aber ökologisch von grosser Bedeutung. Denn sie bedeutet eine Anpassung an die unterschiedlichsten Standorts- und Nutzungsbedingungen und ist damit eine wichtige Voraussetzung für die Stabilität von Ökosystemen. So konnten Untersuchungen zeigen, dass der Deckungsgrad höher und damit der Ansaaterfolg besser sind, wenn Ökotypen aus der Region statt Saatgut von weiter entfernt liegenden Gegenden verwendet wird. Im Gegenzug konnten sich weniger unerwünschte, nicht angesäte Arten (z.B. Neophyten) etablieren (Weisshuhn et al. 2012 <sup>8</sup>). Ein deutliches Indiz dafür, dass diese Pflanzen regional angepasst sind. Sie kommen also in der Nähe ihrer ursprünglichen Herkunft besser zurecht. Andere Untersuchungen zeigen, dass die Inzucht von autochthonem Saatgut geringer ist als von Vermehrungssaatgut <sup>9</sup>.<br />
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<sup>6</sup> z.B. Durka, W. et al. (2016): Genetic differentiation within multiple common grassland plants supports seed transfer zones for ecological restoration. – Journal of Applied Ecology 54/1, 116-126. [https://besjournals.onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/1365-2664.12636 PDF].<br />
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<sup>7</sup> Durka W. et al. (2019): Regionales Saatgut von Wiesenpflanzen: genetische Unterschiede, regionale Anpassung und Interaktion mit Insekten. Natur und Landschaft 94/4, 146-153. [https://www.regioflora.ch/de/assets/content/pdf/News/Regionales%20Saatgut%20von%20Wiesenpflanzen.pdf PDF]<br />
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<sup>8</sup> Weisshuhn K., Prati D., Fischer M., Auge H. (2012): Regional adaption improves the performance of grassland plant communities. Basic and Applied Ecology 13/6, 551-559. [https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S1439179112000710 Zusammenfassung]<br />
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<sup>9</sup> Aavik T., Bosshard D., Edwards P., Holderegger R., Billeter R. (2014): Genetische Vielfalt in Wildpflanzen-Samenmischungen. Agrarforschung Schweiz 5 (1): 20–27. [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Aavik_et_al_Agrarfo2014.pdf PDF]<br />
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=Herkunft des Saatgutes: Empfehlungen, Standards und rechtliche Vorgaben=<br />
Um die genetische Vielfalt auf Ökotypenebene zu berücksichtigen, hat bereits 1998 die schweizerische Kommission für die Erhaltung von Wildpflanzen (SKEW), heute Teil von Info Flora, Empfehlungen herausgegeben. Diese verlangen, dass das verwendete Saat- und Pflanzgut für Blumenwiesen aus der gleichen biogeographischen Region wie die Empfänger-Parzelle stammen soll. Bei häufigen, taxonomisch wenig differenzierten Arten sollen die sechs Grossregionen der Schweiz – d. h. Jura, Mittelland, Alpennordflanke, westliche und östliche Zentralalpen und Südalpen – eingehalten werden (siehe Abbildung). Taxonomisch schwierige Arten mit unregelmässiger Verbreitung sollen die elf Kleinregionen einhalten. Ausserdem ist es gemäss den Empfehlungen wichtig, standörtliche und regionale Unterschiede wie Höhenlage, Bodenverhältnisse und Exposition zu berücksichtigen. Nur so entspricht die zu begrünende Fläche den ökologischen Anforderungen der eingebrachten Arten. Die Empfehlungen verlangen auch, dass die gefährdeten Arten nicht in Samenmischungen gehandelt werden. Für diese gelten [https://www.infoflora.ch/de/flora/ansiedlung.html spezifische Richtlinien]. <br/><br />
Die Richtlinien von Info Flora entsprechen dem, was auch in verschiedenen Gesetzen und Verordnungen verlangt wird, insbesondere im Natur- und Heimatschutzgesetz, welches verlangt, die einheimische Tier- und Pflanzenwelt sowie ihre biologische Vielfalt und ihren natürlichen Lebensraum zu schützen <sup>10</sup>. <br/><br />
In der Praxis finden die Richtlinien von Info Flora leider nur sehr begrenzt Berücksichtigung. Die eine Seite des Problems liegt beim Handel. Auch wenn die Saatgutfirmen die Herkünfte kennen und getrennt vermehren, werden sie – aus logistischen Gründen und den damit verbundenen Kosten –leider nicht so gekennzeichnet. Der Nutzer kann damit beim Kauf von Standardsaatgut die Empfehlungen gar nicht so einhalten, weil die Herkünfte in den Handels-Saatgutpackungen vermischt sind. Gewisse Kantone haben für landwirtschaftliche Ansaaten mit Saatgutproduzenten Abmachungen und erhalten spezifische Mischungen von und für ihre Region, die den Lebensräumen angepasst sind – dies ist aber leider die Ausnahme. <br/><br />
Auf der anderen Seite sind die Richtlinien auch bei den Anwendern noch sehr oft nicht angekommen. So wird in der Praxis oft auch dort, wo Saatgut gemäss den Info Flora-Empfehlungen verfügbar wäre, dieses oft nicht berücksichtigt mangels Wissens oder als Folge fehlerhafter Ausschreibungen. Dies ist insbesondere im Verkehrsbereich (Böschungsbegrünungen etc.) der Fall, wo jedes Jahr Hunderte von Hektaren neu begrünt werden.<br />
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{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = biogeografische Regionen CH.png<br />
| text = Die Biogeographischen Regionen der Schweiz: blau = Jura und Randen; hellgrün = Hochrhein- und Genferseegebiet; dunkelgrün = Westliches Mittelland; grün = Östliches Mittelland; hellblau = Voralpen; dunkelblau = Nordalpen; gelb = Westliche Zentralalpen, orange = Östliche Zentralalpen; rot = Südalpen; braun = Südlicher Tessin <br/><br />
(Quelle: Gonseth, Y.; Wohlgemuth, T.; Sansonnes, B.; Buttler, A. (2001): Die biogeographischen Regionen der Schweiz. Erläuterungen und Einteilungsstandard. Umwelt Materialien Nr. 137 Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft Bern. 48 Seiten.).<br />
}} <br />
<br />
Angesichts der grossflächig stattfindenden Uniformierung und Florenverfälschung <sup>11</sup> durch nicht den Richtlinien entsprechenden Saatgutmischungen nahm der Druck zu, vermehrt autochthones Saatgut lokaler Provenienz zu verwenden, wo die Herkunft im Detail nachgewiesen werden kann (vgl. dazu Tab. 1). 2014 wurde die Direktzahlungsverordnung mit einem Passus ergänzt, der für landwirtschaftliche Blumenwiesenansaaten im Rahmen der Verfügbarkeit die Anwendung von Direktbegrünungen vorschreibt (DZV Art. 58 Abs. 8). Deutschland geht noch einen Schritt weiter und verlangt ab 2020 generell bei der Neuanlage von Grasland in der freien Landschaft die Verwendung von gebietseigenem Saatgut (BNatSchG §40).<br/><br />
Dieser Bewusstseinswandel und die damit einhergehende teilweise angepasste Rechtslage gab der Anwendung von Direktbegrünungsverfahren starken Auftrieb. So werden in der Schweiz immer häufiger Mahdgutübertragungen durchgeführt, und dies bei korrekter Anwendung mit durchwegs guten Erfolgen <sup>12</sup>. Da Mahdgutübertragungen v.a. aus logistischen Gründen oft nur beschränkt eingesetzt werden können, wurden in den letzten 10 Jahren verschiedene Ernteverfahren für autochthones Saatgut entwickelt oder weiterentwickelt (s. Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Direktbegr.C3.BCnungsverfahren Direktbegrünungsverfahren]). Damit kann das Saatgut aus den Spenderflächen getrocknet, gereinigt und abgesackt werden. Das Saatgut kann damit in Bezug auf die Ansaattechnik und den Ansaatzeitpunkt genau so flexibel wie Standardsaatgut eingesetzt werden.<br />
<br />
<small><br />
<sup>10</sup> Vgl. die ausführliche Zusammenstellung und Interpretation der rechtlichen Grundlagen im [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Leitfaden_naturgemaesse_Begruenungen_def.pdf Leitfaden für naturgemässe Begrünungen], Seiten 11-15.<br />
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<sup>11</sup> Begriffserklärung und Beispiele siehe Box «Florenverfälschung».<br />
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<sup>12</sup> vgl. Studie <!-- noch nicht beschaffen können: Wolfgang Bischoff/Pro Natura und Studie -->Pro Natura/Ö+L 2017 ([http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2017/05/BerichtAnsaatenArtenreicheWiesenKtAG2014-16.pdf PDF]).<br />
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<br />
==Engpass Spenderflächen==<br />
Vor allem im Mittelland und einigen Voralpenregionen sind geeignete Spenderflächen allerdings so rar, dass die Produktion von autochthonem Saatgut den potenziellen Bedarf bei weitem nicht abdecken kann. In diesen Regionen wird Standardsaatgut mit Ökotypen aus diesen Regionen auch in Zukunft ein wichtiger Pfeiler für die Renaturierung von artenreichen Wiesen bleiben – dies umso mehr, da für das Mittelland beim Standardsaatgut auch das grösste Angebot an Arten existiert. Im Berggebiet und auf der Alpensüdseite dagegen besteht sowohl in Anbetracht der sehr unterschiedlichen Standortsbedingungen und Höhenlagen, als auch aufgrund des sehr begrenzten Angebotes von Arten aus den betreffenden biogeographischen Regionen kaum geeignetes Standardsaatgut. Dafür sind in diesen Regionen Spenderflächen meist noch zahlreich verfügbar, so dass hier in Zukunft vorwiegend autochthones Saatgut zum Einsatz kommen dürfte. Von der bisherigen Praxis, in diesen Regionen Mischungen mit Ökotypen aus dem Mittelland zu verwenden, sollten die zuständigen Amtsstellen und weiteren Akteuren wegkommen. <br />
<br />
<br/><br />
<table border="0", style="font-size:108%"> <br />
<tr> <br />
<td> '''Was ist «Florenverfälschung»?''' <br /> Unter Florenverfälschung wird die Beeinträchtigung der einheimischen Pflanzen-Biodiversität durch die Einführung fremder Pflanzenarten oder fremder Ökotypen verstanden. <br/><br />
Schädigende Auswirkungen auf die Biodiversität können von folgenden zwei Prozessen ausgehen:<br/><br />
a) Heimische Arten oder Ökotypen werden durch die eingebrachten Arten oder Ökotypen verdrängt. Bekannt sind die Auswirkungen invasiver Neophyten, also sich aggressiv ausbreitende Pflanzenarten aus anderen Kontinenten wie de Goldruten (''Solidago canadensis'') oder der Japanknöterisch (''Reynoutria japonica''). Auch einheimische Arten können invasiv sein, z. B. Schilf (''Phragmites australis'') oder Klappertopf (''Rhinanthus alectorolophus''). Ein Beispiel für eine Ökotypen-Invasion stellt der europäische Schilfrohr-Ökotyp in Amerika dar, der dortige Populationen weitgehend verdrängt hat (vgl. Kowarik 2003).<br/><br />
b) Die vorhandenen lokalheimischen Ökotypen kreuzen sich mit den eingebrachten Ökotypen und verlieren dadurch ihre spezifischen, zum Teil ausgeprägten physiologischen und ökologischen Anpassungen an die lokalen Bedingungen (Klima, Standort, Bewirtschaftung). Mit der Einkreuzung verschwindet auch der betreffende Ökotyp als Bestandteil der Biodiversität. <br />
<br />
Der Prozess b) dürfte viel bedeutsamer sein als a), ist aber gleichzeitig viel schwieriger zu beobachten und nachzuweisen. Beide Prozesse haben nicht auf die Flora, sondern ebenso auf die Tierwelt negative Auswirkungen.<br />
<br />
Quelle: [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Leitfaden_naturgemaesse_Begruenungen_def.pdf Bosshard, A., Mayer, P., Mosimann, A., 2015. Leitfaden für naturgemässe Begrünungen in der Schweiz. S. 21.]</td> <br />
</tr> <br />
</table><br />
<br /><br />
<br />
Die Verfügbarkeit von Ökotypensaatgut regionaler Herkunft (Regiosaatgut) war ein grundlegender Fortschritt gegenüber dem früher aus dem Ausland importierten „Billigsaatgut“, das nicht nur Ökotypen aus vielen anderen Ländern enthielt, sondern teilweise sogar Zuchtformen oder auch Arten, die gar nicht in der Schweiz heimisch waren. Ein Beispiel war der Wiesenknopf (''Sanguisorba muricata''), der dem heimischen Kleinen Wiesenknopf (''Sanguisorba minor'') sehr ähnlich sieht. Andere Beispiele sind Rotklee (''Trifolium pratense'') und Hornklee (''Lotus corniculatus'') oder Fromental (Glatthafer) (''Arrhenaterum elatius''), bei denen noch bis vor wenigen Jahren regelmässig Zuchtformen verwendet wurden.<br />
<br />
=Wo lassen sich welche artenreichen Wiesentypen neu anlegen?=<br />
Artenreiche Wiesen können praktisch überall neu angelegt werden, vorausgesetzt Ansaatmethode und Saatgut sind sachgemäss auf den Standort und die zukünftige Nutzung abgestimmt. Je nach Standort und Nutzung entstehen dabei unterschiedliche Wiesentypen mit einer unterschiedlichen Artenzusammensetzung und Artenvielfalt. <br/><br />
Die wichtigsten Anwendungsbereiche für die Neuanlage artenreicher Wiesen sind Naturschutzgebiete, ehemaliges Ackerland, bisher intensiv genutzte verarmte Wiesen im Landwirtschaftsgebiet, Hochwasserschutzdämme und Gewässerräume, Böschungen von Verkehrswegen, Rasenflächen in Gärten oder Parks, neu geschaffene Umgebungen von Siedlungen, aber auch kleinflächige Objekte wie Verkehrsinseln oder kleine Gartenbereiche. <br/><br />
Besonders artenreich werden Wiesen auf relativ nährstoffarmen Standorten mit extensiver Nutzung, das heisst auf Flächen, die nicht gedüngt und nur ein- bis höchstens zweimal pro Jahr gemäht werden (Abb. 2). Bei erhöhtem Nährstoffgehalt und etwas häufigerer Mahd nimmt die Artenzahl zunehmend ab. Doch auch auf ehemals intensiv genutzten, nährstoffreichen Böden können bei sachgemässer Ausführung und Bewirtschaftung blumenreiche Wiesentypen langfristig erfolgreich angelegt werden. Sogar in Rasenflächen, die bis zu sechsmal jährlich gemäht werden, können sich viele attraktive und für Insekten wertvolle Blumenarten wie Salbei, Margerite, Brunelle, Thymian etc. langfristig halten. <br/><br />
Bei sehr nährstoffarmen Verhältnissen (z.B. Rohböden)<!--Link auf Pionierflächen, wenn vorhanden--> ist die Artenzahl und die Blühfreudigkeit der Wiesentypen etwas geringer, dafür lassen sich unter solchen Standorten besser gefährdete Arten ansiedeln. <br/><br />
Die Standortansprache, also die Beurteilung, welcher artenreiche Wiesentyp an einem gegebenen Ort angelegt werden kann, ist entscheidend für den späteren Erfolg. Doch die Standortbeurteilung bereitet oft Mühe. Es lohnt sich deshalb, für diesen ersten ausschlaggebenden Schritt eine erfahrene Fachperson beizuziehen. Sie kann für den individuellen Fall die wichtigsten Hinweise zum anzustrebenden Wiesentyp, zur richtigen Bodenvorbereitung, zur Ansaatmethode, zum geeigneten Saatgut und zu den Anforderungen an Bewirtschaftung und Pflege geben.<br />
<br />
== Die wichtigsten Wiesentypen und ihre Standorte für die Neuanlage artenreicher Wiesen==<br />
Im Wesentlichen sind folgende fünf [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie#Lebensr.C3.A4ume_des_Gr.C3.BCnlands Wiesentypen] für die Neuanlage artenreicher Wiesen bis in eine Höhenlage von maximal 1000 m ü. M. relevant (siehe [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen#Typologie_des_Gr.C3.BCnlands Kapitel «Typologie des Grünlands»]). Die Reihenfolge in der nachfolgenden Abbildung richtet sich nach einem Gradienten von trocken bis feucht und von nährstoffarm bis mässig nährstoffreich.<br />
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{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Wiesentypen Neuanlage de.png<br />
| text = Ökogramm mit den wichtigsten Wiesentypen, die für eine Neuanlage artenreicher Wiesen in Frage kommen. Wo es sehr trocken ist, ist die Verfügbarkeit von Nährstoffen stark eingeschränkt, weshalb es keine Wiesentypen in der Ecke oben rechts gibt.<br />
}}<br />
<br />
1. '''Trockenrasen'''<sup>13</sup> (''Xerobromion''): Dieser Wiesentyp bildet sich nur auf sehr sonnigen, heissen Standorten mit sehr mageren Böden aus (z.B. Rohböden wie Kies- oder Sandflächen). Trockenrasen sind lückig, sehr artenreich, aber oft etwas weniger blühfreudig als die Halbtrockenrasen. Trockenrasen werden oft nur jedes zweite Jahr gemäht, so dass auch verholzte niedrige Sträucher wie verschiedene Ginsterarten aufkommen können. <br/><br />
2. '''Trespen-Halbtrockenrasen'''<sup>13</sup> (''Mesobrometum''): Verbreiteter, blumen- und artenreicher Wiesentyp an sonnigen, nährstoffarmen, (zumindest schwach) humusierten Standorten. Wird jährlich im Juli geheut und im Herbst je nach Wüchsigkeit noch ein zweites Mal gemäht. Charakterarten sind das bestandesbildende Gras Aufrechte Trespe (''Bromus erectus'') und bei den Kräutern z.B. Thymian (''Thymus'' sp.), Esparsette (''Onobrychis viciifolia''), Salbei (''Salvia pratensis'') und bei schwacher Nutzung Dost (''Eupatorium cannabinum'') und Hauhechel (''Ononis'' sp.). <br/><br />
3. '''Fromentalwiese trockene Ausprägung''' (''Arrhenatheretum salvietosum''): Ziemlich artenreiche, sehr blütenreiche Wiese, die in der Regel in der zweiten Junihälfte geheut wird und danach noch 1-2 weitere Emdschnitte benötigt. Sie bildet sich auf humusreicheren, vormals oft intensiv gedüngten Böden an sonnigen Lagen aus. Charakterarten sind Salbei (''Salvia pratensis''), Wiesenbocksbart (''Tragopogon pratensis'') oder Margerite (''Leucanthemum vulgare''). <br/><br />
3a. '''"Blumenrasen"''': Auf Fromentalwiesenstandorten, also auf humusreicheren, gut mit Nährstoffen versorgten Böden auf mittleren oder trockeneren Standorten bilden sich bei sehr häufiger Mahd Rasen im gartenbaulichen Sinne aus. Wird ein Rasen alle 1-2 Wochen gemäht, überleben nur wenige Pflanzenarten, vor allem ausläufertreibende, niederwüchsige Gräser und einige Klee- und Kräuterarten. Wird die Schnittfrequenz auf maximal 5-6 Schnitte pro Jahr reduziert und die Düngung eingestellt, haben viele Arten der Fromentalwiesen und teilweise auch der Trespen-Halbtrockenrasen eine Chance, sich zu etablieren und zu reproduzieren. Dieser «Wiesentyp» wird in der Regel Blumenrasen genannt und findet zunehmend Verbreitung im Siedlungsbereich. <br/><br />
4. '''Fromentalwiesen frische Ausprägung''' (''Arrhenatheretum cirsietosum oleracei''): Ziemlich arten- und blütenreiche Wiese. Bewirtschaftung/Pflege wie bei (3). Sie bildet sich auf humusreicheren, vormals oft intensiv gedüngten Böden an schattigeren und/oder frischen bis feuchten Standorten aus. Charakterarten sind Kuckuckslichtnelke (''Lychnis floc-cuculi'') und Kohldistel (''Cirsium oleraceum''). An schattigen oder feuchten Standorten bilden sich bei sehr extensiver Nutzung (Mahd alle 2 Jahre oder jährlich im Spätherbst) Hochstaudensäume (''Filipendulion'', 4b) mit farbenprächtigen Arten wie Mädesüss (''Filipendula ulmaria''), Gilbweiderich (''Lysimachia vulgaris'') oder Blutweiderich (''Lythrum salicaria'') aus.<br/><br />
5. '''Streuwiesen''' <!---Link auf Feuchtgebiete wenn vorhanden-->(''Molinion'', ''Caricetum davallianae'' u.a.): Magere, feuchte bis vernässte Standorte sind für Wiesenneuanlagen eher selten und werden vor allem bei Naturschutzprojekten gezielt geschaffen mittels baulichen Massnahmen, z.B. bei Wiedervernässungen oder bei der [https://biodivers.ch/de/index.php/Stillgew%C3%A4sser/Bau_von_Gew%C3%A4ssern Schaffung von Weihern]. Unter diesen Standortbedingungen bilden sich niederwüchsige, teilweise sehr artenreiche Streuwiesentypen aus, die in der Regel einmal jährlich im Spät-herbst gemäht werden.<br/><br />
<br />
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<sup>13</sup> «Rasen» wird hier in pflanzensoziologischer Terminologie verwendet und bedeutet «niederwüchsige Vegetation aus Kräutern».<br />
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{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = artenhaeufigkeiten wiesen de.png<br />
| text = Zusammenhang zwischen Nutzungsintensität, Ertrag und Vielfalt (Artendichte) an Pflanzenarten in Naturwiesen, schematisch; Orientierungswerte für Wiesen trockener und mesischer Standorte der kollinen bis montanen Stufe der Schweiz. Düngung und Nutzungshäufigkeit nehmen von links nach rechts zu. TS = Trockensubstanz. Der mit 1 bezeichnete Bereich entspricht in den tieferen Lagen den Trespen-Halbtrockenrasen, 2 den Fromentalwiesen. Quelle: Bosshard, A., 2016. Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas: Mit besonderer Berücksichtigung der Fromentalwiesen und des standortgemässen Futterbaus, Bristol-Schriftenreihe. Haupt Verlag, Bern. (ergänzt)<br />
}}<br />
<br />
=Standort- und Vegetationsbeurteilung=<br />
Eine grundlegende Voraussetzung für den Erfolg von artenreichen Wiesenansaaten '''ist die korrekte Standortbeurteilung'''<sup>14</sup> '''sowie die Beurteilung der vorhandenen Vegetation'''. Diese beiden Schritte bestimmen, ob und welche Massnahmen für eine Ansaat getroffen und welches Saatgut für eine erfolgreiche Durchführung gewählt werden soll, aber auch, wo eine Ansaat am meisten Sinn macht, sofern mehrere Varianten zur Verfügung stehen.<br />
<br />
<small><br />
<sup>14</sup> bzw. die künstliche Schaffung entsprechender Standortbedingungen beispielsweise mittels Bodenabtrag/Bodenaufschüttung, vgl. Kapitel [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Aufwertung_durch_Aushagerung «Aufwertung durch Aushagerung»]<br />
</small><br />
<br />
==Wo es keine Ansaaten braucht, sondern Geduld und angepasste Pflege genügen==<br />
Auf Flächen, auf denen bereits einzelne Blumen der gewünschten Arten vorhanden sind, kann unabhängig von einer Standortdiagnose oft auf eine Ansaat verzichtet werden. So weisen artenarme Naturwiesen, auch wenn sie intensiv bewirtschaftet werden, oft noch Reste von Zielarten auf, beispielsweise in Randbereichen oder an flachgründigen Stellen. Zudem sind Naturwiesen <sup>15</sup> generell deshalb wertvoll, weil die verbliebenen Arten noch aus alten, lokalen Ökotypen bestehen, so dass beim Umbruch von alten Naturwiesen generell grosse Zurückhaltung geübt werden sollte. Sie können nach und nach durch ein Ausbleiben der Düngung und ein reduzierte Mahdfrequenz – meist genügt ein zweimaliger Heuschnitt pro Jahr – wieder artenreicher werden. <br/><br />
Auch in alten Rasenflächen, die über längere Zeit nicht gedüngt wurden, wächst vereinzelt oft noch eine erstaunliche Vielfalt an Wiesenblumen wie Margeriten, Hornklee oder Salbei. Kommen solche Arten noch regelmässig vor, genügt es, den Mährhythmus stark zu reduzieren (auf maximal 6 Schnitte pro Jahr), und eine mehr oder weniger artenreiche Blumenwiese kehrt in wenigen Jahren von selbst zurück. <br/><br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = Weg_artenreicheWiese_de.png<br />
| text = Um zu klären, ob eine Ansaat nötig ist oder Abwarten vielmehr genügt, bietet das Agridea-Merkblatt [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~1425~1/3~410250~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Naturnahe-Lebensr%C3%A4ume-im-Wiesland/Der-Weg-zu-artenreichen-Wiesen/Deutsch/Print-Papier "Der Weg zur artenreichen Wiese"] eine gute Entscheidungshilfe.<br />
}}<br />
<br />
<small><br />
<sup>15</sup> Naturwiesen sind Wiesen, die seit mindestens 30 Jahren nicht mehr umgebrochen und neu angesät worden sind.<br />
</small><br />
<br />
==Botanische Aufwertung von verarmten Naturwiesen mittels Einsaaten==<br />
Ist eine Wiese beispielsweise durch intensive Nutzung einmal botanisch verarmt und weist auch keine Relikte der angestrebten Pflanzengesellschaft mehr auf, kommt die Pflanzenvielfalt auch bei wieder extensiverer Nutzung selbst nach Jahrzehnten oft nicht von selbst zurück. Dies zeigen viele Untersuchungen (z.B. Bosshard 1999, Kiehl 2010 <sup>16</sup>). Zum einen breiten sich die meisten Wiesenarten nur langsam aus, zum anderen verhindert die bestehende Grasnarbe die Etablierung neuer Pflanzenarten wirkungsvoll und ein Samenvorrat der meisten erhofften Wiesenarten fehlt, da die Samen der meisten Wiesenarten nur wenige Jahre im Boden überleben.<br />
<br />
Soll ein verarmter Wiesenbestand also wieder mit Arten angereichert werden, bleibt nichts anderes übrig, als die fehlenden Arten mit geeigneten Massnahmen wieder einzubringen <sup>17</sup>. Dabei existieren grundsätzlich drei Möglichkeiten – wobei eine angepasste Nutzung (keine Düngung, geeignetes Schnittregime u.a.) immer vorausgesetzt wird: <br />
# '''Übersaatmethode''': Alte, vergraste und blumenarme Naturwiesen, die bezüglich der Grasartenzusammensetzung aber noch einigermassen den Fromentalwiesen im engeren Sinne entsprechen, sollten nicht umgebrochen/gefräst und angesät werden. Eine Aufwertung mit einer einfachen Übersaat in den bestehenden Bestand, wie dies in intensiver genutzten Wiesen mit Futterbaumischungen gemacht wird, funktioniert mit Wiesenblumensaatgut nicht. Dagegen gibt es zwei etwas aufwändigere Übersaatmethoden, die ohne Umbruch funktionieren. Zum einen lassen sich Wiesenblumenarten ansiedeln, indem über mehrere Jahre hinweg gesammeltes Saatgut ausgewählter Arten der Umgebung gezielt oberflächlich auf Blössen (Narbenschäden, Maushaufen, gezielt verursachte Öffnungen etc.) ausgebracht wird. Die andere Möglichkeit besteht darin, über mehrere Jahre das frische Erntegut von blumenreichen Heuwiesen (Fromentalwiesen) auf der aufzuwertenden Fläche zu trocknen. Die ausfallenden Samen führen nach einigen Jahren zu einer deutlichen Zunahme der Arten- und Blumenvielfalt. Voraussetzung ist allerdings, dass eine geeignete Heuwiese als Spenderwiese auf dem Betrieb oder in der Nachbarschaft vorhanden ist. Mit diesen beiden Methoden wird die bestehende Pflanzen-/Boden-Garnitur und -Struktur nicht unnötig zerstört und die noch vorhandenen Ökotypen der bestehenden Naturwiese bleiben erhalten. Allerdings brauchen sie viel Geduld, sind ziemlich aufwändig und gelingen nur auf Standorten mit eher tiefem Nährstoffniveau.<br />
# '''Streifensaat'''. Diese Methode ist einfacher und sicherer und erlaubt es ebenfalls, die gewünschten Arten wieder in den Bestand zu bringen, ohne dass die ganze bestehende Naturwiese eliminiert werden muss. Dazu werden in einem Abstand von 15-20 m Streifen von 3-6 m Breite mit einer zapfwellengetriebenen Egge (z.B. Kreiselegge) oder auch einer Gartenfräse in die bestehende Wiese gefräst. Meist ist eine mindestens 3-malige Wiederholung im Abstand von ca. 2 Wochen nötig, bis die alte Vegetation vollständig abgestorben ist. Im Frühling können die vegetationsfreien, gut abgesetzten Streifen mit geeignetem Saatgut oder einer Direktbegrünung angesät. Je breiter die Streifen sind, desto eher lassen sich Schäden durch Schnecken reduzieren. Von den angesäten Streifen aus können dann die dort etablierten Arten nach und nach in den umliegenden Bestand auswandern, sofern Bodenheu gemacht und das Heu mit dem Kreiselheuer über die Fläche verteilt wird. <br />
# '''Ganzflächige Ansaat''': Ist der Ausgangsbestand keine erhaltenswerte Naturwiese, empfiehlt es sich, die bestehende Wiesenvegetation ganzflächig durch Pflügen und anschliessendes Eggen, oder allein durch mehrmaliges Eggen mit einer zapfwellengetriebenen Kreiselegge (oder ähnlichem Gerät), vollständig zu entfernen. Details zu einer erfolgreichen Saatbettbereitung und Ansaat siehe Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Standort-_und_Vegetationsbeurteilung «Standort- und Vegetationsbeurteilung»].<br />
<br />
<small><br />
<sup>16</sup> Plant species introduction in ecological restoration: Possibilities and limitations. Basic and Applied Ecology 11/4, 281-284<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>17</sup> vgl. dazu insbesondere [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~1425~1/3~410250~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Naturnahe-Lebensr%C3%A4ume-im-Wiesland/Der-Weg-zu-artenreichen-Wiesen/Deutsch/Print-Papier Agridea-Merkblatt «Der Weg zu artenreichen Wiesen»] sowie Huguenin-Elin et al. 2012<br />
</small><br />
<br />
==Welche Flächen eignen sich (nicht) für Neuansaaten?==<br />
Mittels Ansaaten können auf fast jedem Standort (Boden, Exposition, Höhenlage etc.) artenreiche, stabile Wiesen erfolgreich wieder etabliert werden – vorausgesetzt, es werden die richtigen Arten und Ökotypen fachgerecht angesät und die anschliessende Pflege erfolgt dem Pflanzenbestand angepasst.<br />
<br />
'''Generell gilt''': Auf mageren sonnigen Standorten können sich mehr Pflanzen- und Tierarten und auch seltenere Arten entwickeln als auf nährstoffreicheren oder schattigeren Flächen. Auf sehr armen trockenen Böden nimmt die Artenvielfalt natürlicherweise wieder ab ([https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Die_wichtigsten_Wiesentypen_und_ihre_Standorte_f.C3.BCr_die_Neuanlage_artenreicher_Wiesen siehe Abbildung zu Artenreichtum]), und die Ansaat gestaltet sich oft schwierig, insbesondere auf kiesigen Rohböden mit geringem oder fehlendem Feinkornanteil (Sand, Schluff, Ton).<!-- nicht veröffentlichen wegen Empfehlung Humusierung: Südexponierte oder schattige Lagen verschärfen die Situation noch. Besteht Erosionsgefahr, ist bei reinen Kiesflächen die Beimischung eines geringen Humusanteils zu empfehlen, damit sich eine geschlossene Pflanzendecke entwickeln kann.--><br />
<br />
'''Weniger geeignet bzw. schwierig für die Neuansaat artenreicher Wiesen sind''': <br />
* '''Schattige Standorte'''. Solche sind von Natur aus meist arten- und blumenärmer als Wiesen an besonnten Lagen. Zudem können Schnecken den Keimlingen, vor allem der Wiesenblumen, an solchen Standorten besonders zusetzen. Dieser teilweise unterschätzte Faktor wird noch verschärft, wenn die Ansaatflächen an solchen Standorten klein oder schmal sind und deshalb von den Schnecken vom Rand her leichter aufgesucht werden können. Tipp: Anzusäende Flächen, die von bestehenden Wiesen oder Gehölzen umgeben sind, sollten nicht schmaler als 6 m und kleiner als eine Are (10x10m) sein.<br />
* '''Entwässerte Moorböden'''. Auf solchen Böden werden durch den Abbau des Torfs so viele Nährstoffe freigesetzt, dass rasch wenige Arten zur Dominanz gelangen und die meisten der angesäten Arten verdrängen. Unter dieser (seltenen) Voraussetzung lohnen sich artenreiche Ansaaten in der Regel nicht. Ökologisch aufgewertet werden können sie jedoch mit einer Vernässung<!--Link auf Feuchtgebiete-->.<br />
* '''«Verunkrautete“ Flächen»''': Auf Standorten, die vorher mit Stumpfblättrigem Ampfer («Blacke», (''Rumex obtusifolius'')) verunkrautet waren, ist Vorsicht geboten. Blackensamen bleiben viele Jahrzehnte keimfähig im Boden. Auch wenn auf einer Fläche vor der Ansaat keine Blacken sichtbar sind, können Blackensamen beim Pflügen oder auch Eggen von Wiesland aus einer früheren Verunkrautung in grosser Zahl keimen. Die Bekämpfung dieser Problemart kann sehr aufwändig sein <sup>18</sup>. Als weitere Problemarten sind Ackerkratzdisteln und einige wenige invasive Neophyten zu nennen, insbesondere Goldruten und einjähriges Berufskraut. Was die genannte, ausläufertreibende Distelart anbelangt, deren Blüten übrigens für Bienen und Schmetterlinge sehr attraktiv sind, verschwindet sie bei regelmässiger Mahd meist von selbst wieder. Die genannten Neophyten dagegen sollten von Beginn weg konsequent eliminiert („gezupft“) werden. Praktisch alle anderen Pflanzenarten, die landläufig als Unkraut bezeichnet werden, sind bei einer fachgerechten Pflege kein Problem für die gewünschte Entwicklung des Wiesenbestandes. Das gilt insbesondere für die im Ansaatjahr oft massenweise auftretenden einjährigen Ackerbeikräuter wie Gänsefuss (''Chenopodium'' sp.) oder Ackerhirsen (''Echinochloa crus-galli'', ''Setaria spp.'', ''Panicum spp.''). Sie verschwinden alle bereits im zweiten Jahr nach der Ansaat von selbst.<br />
<br />
<small><br />
<sup>18</sup> Der Umgang mit Flächen, die einen hohen Blackendruck aufweisen, kann hier nicht weiter vertieft werden.<br />
</small><br />
<br />
==Standortbeeinflussung==<br />
Besteht in einem Ansaatprojekt die Möglichkeit, die Bodeneigenschaften zu beeinflussen, können folgende Massnahmen ins Auge gefasst werden, um – in der Regel – nährstoffärmere Bedingungen zu schaffen (Reihenfolge mit abnehmender Wirksamkeit und abnehmenden Kosten): <br />
# Oberbodenabtrag (meist A-Horizont, ggf. auch B-Horizont),<br />
# Aufschüttung eines nährstoffarmen Substrates auf oder Einarbeitung desselben in den bestehenden Boden – meist Kies oder Sand – wobei es für die Aufschüttung meist eine Schicht von mindestens 30 cm braucht, <br />
# Ausmagerung, beispielsweise durch die Kultur eines Starkzehrers wie Mais oder Raygras. Die Wirksamkeit dieser Methode ist allerdings umstritten. Eine deutlich stärkere Reduktion verfügbarer Nährstoffe wird allein dadurch erreicht, indem vor der Ansaat der Boden möglichst nicht mehr gewendet oder bewegt wird (Verhinderung der oxidativen Nährstoffmobilisation, s. Bosshard 1999). Dies ist auf wenig verunkrauteten Ackerflächen möglich, indem die Ansaat ohne Bodenbearbeitung direkt in die Stoppelbrache erfolgt.<br />
<br />
Ebenso besteht überall dort, wo der Boden neu aufgesetzt wird wie z.B. bei Bauprojekten, die Möglichkeit, den Boden so zu „designen“, dass er standörtlich der Zielvegetation am besten entspricht.<br />
<br />
Weitere Standortfaktoren können beispielsweise durch die Gestaltung des Geländes (Exposition, Grundwassereinfluss etc.) oder durch Reduktion von Schatteneinflüssen (Waldrandstufung, zurückschneiden von Hecken etc.) zugunsten der angestrebten Wiesentyps gezielt beeinflusst werden.<br />
<br />
<br />
Tabelle: Vereinfachter Entscheidungsbaum für die Wahl der geeigneten Ansaat in Lagen unterhalb 1000 m ü. M. (Quelle: In Anlehnung an Bosshard 2000, [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2017/08/Wiesenrenaturierung_NuL_2000.pdf Blumenreiche Heuwiesen aus Ackerland und Intensiv-Wiesen. Eine Anleitung zur Renaturierung in der landwirtschaftlichen Praxis. Naturschutz und Landschaftsplanung 32/6, 161-171]. Zur Bestimmung der Wiesentypen siehe [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen#Typologie_des_Gr.C3.BCnlands Kapitel «Typologie des Grünlands]<br />
<br />
{| class="wikitable" <br />
|-<br />
! colspan="2"|Typ <br />
! Beschreibung<br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | '''1a'''<br />
| Boden eher bis sehr tiefgründig, bisher mittel bis sehr intensiv genutzt (oder Phosphor über 100 ppM), mit ausgeglichenem Wasserhaushalt: -> Zielvegetation typische Fromentalwiese (Arrhenatheretum). Details siehe Text.<br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;"| '''1b'''<br />
| Boden flachgründig oder durchlässig (kiesig, sandig) oder Standort sehr trocken oder nährstoffarm aufgrund bestehender Vegetation (Ertrag < 30 dt/J); an sonniger Lage: <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | 1b1<br />
| Boden kalkhaltig oder pH >6: -> Zielvegetation typische Trespen-Halbtrockenrasen (Mesobrometum). Zur Wahl der Ansaat siehe Text.<br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | 1b2<br />
| weitgehend fehlender Kalkgehalt bzw. pH <6: -> Zielvegetation Rotschwingel-Straussgraswiese (Festuca-Agrostion), ev. Borstgrasrasen (ab 600 m ü. M. (Nardion)); Direktbegrünung, kein geeignetes Standardsaatgut verfügbar. <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | '''1c'''<br />
| Wie 1b, aber schattige Lage: <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | 1c1<br />
| Eher trockener Standort (vorwiegend Nordexposition, Beschattung durch Waldrand u.ä.): -> Zielvegetation Rotschwingel-Straussgraswiese (Saatgut s. 1c1), <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | 1c2<br />
| wie 1c1, aber bei Niederschlägen >1200 mm/J und mind. leichtem Bodenkalkgehalt bzw. pH >6: -> Rotschwingel-Straussgraswiese (s. 1c1) oder magere Variante einer feuchten Fromentalwiese mittels Direktbegrünung oder Standardsaatgut Humida. <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | '''1d'''<br />
|Boden zur Vernässung neigend (wechseltrocken):<br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | 1d1<br />
| Boden eher tiefgründig und/oder eher nährstoffreich: -> Zielvegetation frische Fromentalwiese, Saatgut über Direktbegrünung oder mit Standardsaatgut Humida <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | 1d2 <br />
| Boden mager oder flachgründig: -> Streuwiesengesellschaften durch Direktbegrünungsverfahren (kein geeignetes Standardsaatgut auf dem Markt). Pflanzensoziologische Detailabklärungen nötig zur Wahl geeigneter Spenderflächen (Molinion, Caricion u.a.) <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | '''1e'''<br />
| Boden vernässt bzw. wechselnass: Wie 1d2.<br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | '''1f'''<br />
| Rohboden: -> Zielvegetation: Ruderalflora oder lückiger Trespenrasen (s. Text); je nach Situation auf Ansaat verzichten, Ansaat einer Ruderalflora-Mischung, oder (sofern Boden kalkhaltig) Direktbegrünung mit Trespen-Halbtrockenrasen (Mesobrometum) bzw. Trockenrasen (Xerobrometum) sofern verfügbar. Kleinflächen: Anpflanzung von Einzelpflanzen prüfen. <br />
|}<br />
<br />
=Saatgut: Richtige Artenzusammensetzung, richtige Herkunft=<br />
Standörtliche/geographische Herkunft, Qualität und Zusammensetzung des Saatgutes sind eine ausschlaggebende Voraussetzung für den Erfolg bei einer Neuanlage oder Wiederherstellung artenreicher Wiesen. Auch im Hinblick auf die Biodiversität spielen die Zusammensetzung und Herkunft des Saatgutes eine zentrale Rolle.<br />
<br />
In diesem Kapitel werden die verschiedenen Saatguttypen mit ihren Vor- und Nachteilen sowie die vorhandenen Anbieter in der Schweiz beschrieben. Eine einfache erste Entscheidungshilfe, wo welcher Saatguttyp am besten geeignet ist, liefert die Entscheidungsmatrix (siehe Tabelle unten). Weiterführende Informationen zu den einzelnen Saatguttypen und ihren Anwendungsmöglichkeiten enthält der [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Leitfaden_naturgemaesse_Begruenungen_def.pdf Leitfaden für naturgemässe Begrünungen, Kap. 6 (s. 39 ff.)].<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = tab bossh de.png<br />
| text = '''Entscheidungsmatrix für die Saatgutwahl bei Begrünungen in der Schweiz'''. Eine Saatgutwahl nach dieser Matrix ist konform mit dem Natur- und Heimatschutzgesetz sowie mit der Biodiversitätskonvention. Die zuerst genannten Verfahren sind aus ökologischer Sicht vorzuziehen. Angaben in Klammern: Verfügbarkeit des Saatgutes je nach Region eingeschränkt. '''A''' = Autochthones Saatgut oder Pflanzenmaterial (ausgebracht über Heugrassaat, Sodenverpflanzung oder ähnliche Verfahren), '''W''' = Wildpflanzensaatgut (Regio-Saatgut), '''Z''' = Regel-Handelssaatgut. <br/><br />
Quelle: Leitfaden für naturgemässe Begrünungen in der Schweiz - Mit besonderer Berücksichtigung der Biodiversität, Bosshard A., Mayer P., Mosimann A., 2015 <br />
}}<br />
<br />
==Direktbegrünungsverfahren==<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = direktbegruenungsverfahren de.png<br />
| text = Vergleich der Begrünungsverfahren. Quelle: Bosshard, A., Mayer, P., Mosimann, A., 2015. Leitfaden für naturgemässe Begrünungen in der Schweiz. Mit besonderer Berücksichtigung der Biodiversität. Ö+L Ökologie und Landschaft GmbH.<br />
}}<br />
<br />
Direktbegrünungsverfahren sind für die Erhaltung der Biodiversität in der Regel deutlich besser als der Einsatz von [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Standardsaatgut_und_Direktbegr.C3.BCnung_.E2.80.93_eine_Begriffskl.C3.A4rung Standardsaatgut]. Bei Ansaaten auf Flächen mit Naturschutzcharakter sollten generell Direktbegrünungen, also Mahdgutübertragung oder autochthones Saatgut aus dem Sack, eingesetzt werden und nur im Ausnahmefall (z. B. für extensive Vernetzungsflächen, die nicht direkt Naturschutzflächen sind) Standardsaatgut.<br />
<br />
Die Ansaatmethode der Direktbegrünung bzw. mit sog. autochthonem Saatgut wird oft als Wiesenkopierverfahren bezeichnet. Statt einzelne Arten zu vermehren, in Monokulturen anzubauen und dann als definierte Mischungen auf den Markt zu bringen, werden die Samen, welche in artenreichen Wiesen, den sogenannten '''Spenderflächen''', jedes Jahr produziert werden, direkt, ohne Zwischenvermehrung, genutzt. Die Ansaat dieser Samen auf die '''Ansaat- oder Empfängerfläche''' sollte möglichst in engem räumlichem Umkreis, im Idealfall lokal, d.h. im Umkreis von beispielsweise 15 km, erfolgen. Deshalb wird auch von lokalem Saatgut gesprochen <sup>19</sup>.<br />
<br />
Ebenso wichtig wie dieses Prinzip '''«Aus der Region für die Region»''' ist das Prinzip '''Standortäquivalenz''': Spenderfläche und Ansaatfläche müssen sich standörtlich, also bezogen auf den Bodentyp, die Höhenlage, die Exposition, die Nutzung/Pflege etc., so weit als möglich entsprechen (vgl. dazu die Entscheidungshilfe von [https://www.regioflora.ch/de/startseite-de/ Regio Flora]).<br />
<br />
Direktbegrünungsverfahren wurden in den letzten Jahren in der Schweiz, aber auch im Ausland <sup>20</sup> stark weiterentwickelt und verbessert und funktionieren mittlerweile bei fachgemässer Ausführung zuverlässig und erfolgreich.<br />
<br />
Heute wird von einigen Firmen autochthones Saatgut für die meisten Teile der Schweiz angeboten <sup>21</sup>. Die von Pro Natura initiierte und zusammen mit Info Flora, AGRIDEA und verschiedenen Kantonen aufgebaute Plattform [https://www.regioflora.ch/de/startseite-de/ Regio Flora] beschreibt die Methoden von Direktbegrünungen, gibt ausführliche Literaturhinweise und enthält auch eine Zusammenstellung von verschieden Samenanbietern und Fachpersonen. RegioFlora unterhält auch eine – derzeit allerdings je nach Region noch lückenhafte – [https://www.regioflora.ch/app/de/index.html Spenderflächendatenbank], die Nutzern helfen soll, eine geeignete Spenderfläche für eine Direktbegrünung zu finden.<br />
<br />
Entscheidend für Direktbegrünungsverfahren ist eine gute Zusammenarbeit mit den Besitzern und vor allem den Bewirtschaftern der Spenderflächen. Denn dank ihnen ist die gesuchte Artenvielfalt in diesen Flächen noch vorhanden. Die Nutzung einer Wiese als Spenderfläche bedeutet für die Bewirtschafter oft eine besondere Wertschätzung. Ihnen diese Wertschätzung bei einer Nutzung entgegenzubringen genügt aber nicht. Für die Erlaubnis, eine Ernte durchführen zu können, ist eine Entschädigung, die über den anfallenden Mehraufwand hinausgeht, angemessen.<br />
<br />
<small><br />
<sup>19</sup> Anmerkung: Bei der Sodenversetzung, die ebenfalls zu den Direktbegrünungsverfahren gezählt wird, gilt dasselbe, wobei anstelle von Samen ganze Vegetationsstücke inkl. der obersten Bodenschicht übertragen werden.<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>20</sup> Siehe ausführliche Literaturliste z.B. bei [https://www.regioflora.ch Regio Flora] und [https://www.holosem.ch/ HoloSem].<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>21</sup> Umfangreiche Informationen zum aktuellen Angebot auf [https://floretia.ch/ Floretia], wo neben autochthonem auch das Angebot von regionalem Vermehrungssaatgut aufgelistet ist. <br />
</small><br />
<br />
==Die verschiedenen Direktbegrünungsverfahren im Detail==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = agridea_verfahren_de_400dpi.png<br />
| text = Die neben der Mahdgutübertragung weiteren Methoden im Vergleich. Quelle: "Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft" (Hrsg.: Agridea, 2015)<br />
}}<br />
<br />
===Mahdgutübertragung===<br />
Die Spenderfläche wird zum Zeitpunkt der optimalen Samenreife der meisten Arten (Teigreife) in feuchtem Zustand gemäht <sup>22</sup> und das ganze Material auf die Ansaatfläche übertragen, meist etwa im Umfang 1:1. Die Praxis der Mahdgutübertragung wird im Merkblatt [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~2591~1/3~410210~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Naturnahe-Lebensr%C3%A4ume-im-Wiesland/Direktbegr%C3%BCnung-artenreicher-Wiesen-in-der-Landwirtschaft/Deutsch/Print-Papier «Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft» (Agridea 2015)] detailliert beschrieben (s. auch [https://www.youtube.com/watch?v=IsI8ivNB9u0 FiBL-Infofilm]). Der Vorteil dieser Methode liegt in ihrer Durchführung mit Geräten, die auf jedem Landwirtschaftsbetrieb existieren, und den relativ geringen Kosten, wenn der Landwirt die Arbeiten selber durchführen kann. Zudem werden so auch Kleintierarten und Moose auf die Ansaatfläche übertragen, und die Mahdgutauflage schafft einen ersten Erosionsschutz und verbessert die Keimungsbedingungen.<br />
<br />
Nachteile sind eine oft schwierige Logistik, ein relativ grosser Zeitaufwand und vor allem, dass das Ausbringen des Mahdgutes sogleich nach der Ernte im Sommer durchgeführt werden muss. Zum einen ist Sommer als Ansaatzeitpunkt oft nicht optimal, zum anderen stehen viele Flächen, beispielsweise bei Bauprojekten, nicht genau dann zur Ansaat bereit, wenn das Erntegut anfällt und ausgebracht werden muss. Ein weiterer Nachteil ist, dass verschiedene Erntezeitpunkte und verschiedene Spenderflächen nur beschränkt und mit stark erhöhtem Aufwand kombiniert werden können.<br />
<br />
<small><br />
<sup>22</sup> Ideal ist eine Mahd mit Messerbalken oder mit Sense. Es können aber je nach Verfügbarkeit und Zugänglichkeit der Fläche auch Saugmulcher eingesetzt werden, die in einem Arbeitsgang das Mähgut mähen und einsaugen. Dabei wird aber ein Grossteil der Kleintierfauna getötet, der erwähnte Vorteil einer Übertragung von Tieren fällt damit weg.<br />
</small><br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Mahdgutuebertragung 96 dpi.jpg<br />
| text = Mahdgutübertragung<br />
}}<br />
<br />
===Wiesendrusch===<br />
Das Saatgut wird auf der Spenderfläche mit einem Mähdrescher mit spezieller Einstellung geerntet. Die Methode funktioniert allerdings nur auf flachem Gelände, während die meisten nicht angesäten und damit für Direktbegrünungen in Frage kommenden Spenderflächen an Hängen liegen. Zudem werden einzelne Arten technisch kaum erfasst. Vorteile liegen in der relativ grossen Flächenleistung. Zudem kann das Saatgut verschiedener Wiesen und Erntezeitpunkte mit geringem Aufwand gemischt und das Saatgut bis 2 oder 3 Jahre (je nach Lagerung) nach der Ernte zu einem beliebigen Zeitpunkt ausgesät werden. In der Schweiz liegen erst wenige Erfahrungen mit dieser Methode vor, vor allem durch Untersuchungen der landwirtschaftlichen Fachhochschule HAFL in Zollikofen bei Bern. Als erste Firma bietet Regiosaat.ch seit 2019 autochthones Saatgut aus Wiesendrusch auf dem Markt an.<br />
<br />
Eine Abwandlung des Wiesendruschs stellt der Heudrusch® dar, eine von Joe Engelhardt in Deutschland entwickelte und praktizierte Methode, bei der das feuchte Erntegut wie bei der Mahdgutübertragung geerntet wird, dann aber statt direkt übertragen mit einer speziellen Infrastruktur getrocknet und ausgedroschen wird.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Ernte_mit_Maehdrescher 96 dpi.jpg<br />
| text = Sammeln von Saatgut mit dem Mähdrescher.<br />
}}<br />
<br />
===Seedbrushing===<br />
Bei dieser Methode werden die Samen mit speziellen Bürstenmaschinen aus dem stehenden Pflanzenbestand geerntet. Die Methode ist weniger schlagkräftig als der Wiesendrusch, es können aber mit den Geräten der neuesten Generation auch steile, vernässte oder topographisch schwierige Spenderflächen beerntet werden. Zudem erlaubt die Methode je nach verwendetem Gerät eine sehr individuelle Nutzung, indem einzelne Arten spezifisch beerntet oder auch ausgeschlossen werden. Bei zu dichten oder zu hohen Beständen sind der Methode aber Grenzen gesetzt, beispielsweise bei nährstoffreicheren Fromentalwiesen oder Hochstaudenfluren. Wie beim Wiesendrusch können verschiedene Spenderflächen und Erntezeitpunkte mit geringem Aufwand kombiniert und so die Artenzusammensetzung des Saatgutes optimiert werden <sup>23</sup>. Ebenso ist der Ansaatzeitpunkt flexibel. Die Methode wird in der Schweiz derzeit nur von [http://www.agraroekologie.ch/ Ö+L] angeboten. Die Firma hat dazu ein eigenes Gerät, den [http://www.holosem.ch/ebeetle/angebot/ eBeetle], entwickelt.<br />
<br />
<small><br />
<sup>23</sup> Dies gilt selbstredend nur dann, wenn alle kombinierten Spenderflächen aus derselben Kleinregion und von demselben Wiesentyp vergleichbarer Standorte stammen.<br />
</small><br />
<br />
===Weitere Verfahren===<br />
Neben den drei erwähnten Hauptmethoden gibt es weitere, allerdings deutlich weniger schlagkräftige und damit nur kleinflächig anwendbare oder die obigen Verfahren ergänzende Methoden der Direktbegrünung. Dazu gehören:<br />
<br />
'''Sammeln von Hand''' <br/><br />
Natürlich können die gewünschten Arten in den Spenderflächen auch von Hand geerntet werden. Dies erlaubt zwar eine sehr gezielte und individuelle Beerntung einzelner Arten zum optimalen Reifezeitpunkt der Samen (die je nach Art in der Regel bei der Teigreife einsetzt), ist aber sehr zeitaufwändig und nur für kleine Flächen realistisch. Handernte kann allerdings zur Ergänzung beispielsweise von Wiesendrusch oder von Mahdgutübertragungen eine wichtige Rolle spielen, indem Samen von Pflanzenarten damit effizient ergänzt werden können, die aus verschiedenen Gründen (Reifezeitpunkt, nur sehr vereinzeltes Vorkommen etc.) nicht übertragen bzw. maschinell nicht geerntet werden.<br />
'''Sammeln mit tragbaren Kleingeräten''' <br/><br />
Es existieren auf dem Markt Sauger und andere tragbare Techniken, mit denen das Saatgut aus dem stehenden Bestand der Spenderwiese geerntet werden kann. Diese Methoden sind aber nur wenig schlagkräftig und ebenfalls nur für kleine Flächen geeignet. Gegenüber einer Handernte bieten sie nur in speziellen Fällen wirklich Vorteile. In der Schweiz werden solche Geräte nur sehr punktuell angewendet.<br />
<br />
'''Heublumen''' <br/><br />
Diese Methode war bis Mitte des letzten Jahrhunderts das übliche Verfahren bei der Verbesserung oder Neuanlage von Wiesen. Dabei wird der Samenausfall aus dem Heustock gesammelt und direkt ausgesät. Da bis in die 1950er Jahre fast nur artenreiche Wiesen existierten (Bosshard 2016 <sup>24</sup>), hat diese Methode damals ausgezeichnet funktioniert. Heute bestehen Heublumen vor allem aus Samen von artenarmen Fett- und Intensivwiesen und beinhalten oft viele unerwünschte Arten wie Blacken oder Disteln, so dass von dieser Methode in aller Regel dringend abgeraten werden muss.<br />
<br />
'''Sodenversetzung''' <br/><br />
In denjenigen Fällen, wo ein artenreicher Wiesenbestand zerstört und nachher wiederhergestellt werden soll, eignet sich die Methode der Sodenversetzung bzw. Sodenschüttung besonders gut. Dabei wird die Ursprungsvegetation mit dem Bagger als grosse Rasenziegel gelagert und nach dem Bau wieder auf die zu begrünende Fläche aufgetragen. Am meisten Erfahrungen mit dem Verfahren bestehen im Kanton Graubünden, wo vor allem beim Strassenbau und bei Meliorationsprojekten die Sodenversetzung heute zur hauptsächlich angewandten Methode gehört.<br />
<br />
'''Spontanbegrünung''' <br/><br />
Überall dort, wo noch artenreiche Flächen mit den Zielarten in der näheren Umgebung vorhanden oder in der Samenbank des Bodens zu erwarten sind, kommt auch eine Spontanbegrünung in Betracht. Bei dieser Methode wird nichts angesät, sondern einfach gewartet, bis sich die passenden Arten von selbst wieder etablieren. Die Methode kann vor allem im Berggebiet empfohlen werden, sofern nur kleine bzw. wenige Meter breite Flächen zu begrünen sind und sofern in der unmittelbaren Umgebung noch artenreiche Wiesen vorhanden sind (Distanz <20 m).<br />
<br />
<small><br />
<sup>24</sup> Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas. Bosshard A. 2016. Haupt-Verlag, Bern. 265 S. [https://issuu.com/haupt/docs/9783258079738 Inhaltsübersicht, Zusammenfassung und Leseprobe S. 1-34]. <br />
</small><br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Saatguternte_Mesobr_mit_eBeetle 96 dpi.jpg<br />
| text = Saatguternte mit dem eBeetle.<br />
}}<br />
<br />
==Hohe Anforderungen an die Planung==<br />
Bei den Methoden «Mahdgutübertragung» bis «Sammeln von Hand» ist eine sorgfältige Planung essentiell. Da die Ernte nur im lokalen Rahmen erfolgt, ist oft kein geeignetes Saatgut an Lager, sondern dieses wird, v.a. bei grösserem Bedarf, spezifisch «on demand» produziert. D.h. es muss bis spätestens im Mai klar sein, welcher Saatgutbedarf für welche Lokalitäten und Standortbedingungen besteht. Wenn also im Frühjahr, dem optimalen Aussaatzeitpunkt, angesät werden soll, muss die Ernte bereits im Sommer des Vorjahres erfolgt sein.<br />
<br />
==Weitere Informationen zu den Direktbegrünungsverfahren ==<br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~2591~1/3~410250~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Naturnahe-Lebensr%C3%A4ume-im-Wiesland/Direktbegr%C3%BCnung-artenreicher-Wiesen-in-der-Landwirtschaft/Deutsch/Print-Papier Agridea-Wegleitung «Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft» (2015)]<br />
* [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Leitfaden_naturgemaesse_Begruenungen_def.pdf «Leitfaden für naturgemässe Begrünungen»]<br />
* Kirmer A., Krautzer B., Scotton M., Tischew S. (Hrsg.) 2012: Praxishandbuch zur Samengewinnung und Renaturierung von artenreichem Grünland. Lehr- und Forschungszentrum Raumberg-Gumpenstein.<br />
* [https://www.regioflora.ch/de/startseite-de/ Regio Flora, Förderung der regionalen Vielfalt im Grünland]<br />
* [http://www.holosem.ch/ HoloSem®]<br />
* [https://www.regiosaat.ch/ www.regiosaat.ch]<br />
* [https://www.conservationevidence.com/actions/133 Conservation Evidence] (englische Seite mit vielen wissenschaftlichen Hintergrundinformationen aus verschiedenen Studien)<br />
<br />
==Anwendung und Bezug von Blumenwiesen-Standardsaatgut==<br />
In Regionen, in denen zu wenig qualitativ hochwertige Spenderflächen existieren, oder wo aus anderen Gründen keine Direktbegrünungen möglich sind, ist artenreiches Wiesenblumensaatgut mit Ökotypen aus der betreffenden Biogeographischen Region (s. Abb. 1) eine gute Alternative.<br />
<br />
In der Schweiz bieten folgende Firmen geprüftes Blumenwiesen-Standardsaatgut an: [https://www.ufasamen.ch/ Ufa], [https://www.hauenstein.ch/de/ Hauenstein], [http://www.sativa-rheinau.ch/ Sativa] und [https://www.ericschweizer.ch/ Schweizer Samen]. Das grösste Angebot haben Ufa und Hauenstein, Saatgut in Bio-Qualität bietet Sativa. Einige der angebotenen Mischungen wechseln fast jährlich, und es ist entsprechend zu empfehlen, jeweils aktuell die Web-Informationsseiten oder die reich bebilderten Prospekte der betreffenden Firmen zu konsultieren, um die für den jeweiligen Anwendungszweck am besten geeignete Blumenwiesenmischung zu bestimmen.<br />
<br />
Beim Kauf ist unbedingt darauf zu achten, aus welcher biogeographischen Region das Saatgut stammt. Die Angabe, dass das Saatgut aus Schweizer Ökotypen besteht, genügt nicht, weil solches Saatgut oft ein Gemisch aus Herkünften verschiedener biogeographischer Regionen ist. Noch immer sind verbreitet Mischungen auf dem Markt, bei denen nur der Wiesenblumenanteil aus einheimischen Ökotypen besteht, während der Gräseranteil, der oft weit über 90% des Saatgutanteils ausmacht, nicht spezifiziert ist und dann in der Regel aus dem Ausland stammt und nicht selten auch Zuchtsorten enthält. Solches Saatgut ist deutlich kostengünstiger, aber aus den in der [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Einleitung Einleitung] erläuterten Gründen nicht zu empfehlen bzw. je nach Anwendungsbereich nicht rechtskonform.<br />
<br />
Von den meisten artenreichen Mischungen besteht nur Saatgut mit Ökotypen aus der Biogeographischen Region Mittelland. Solches Saatgut sollte nicht im Jura, im Berggebiet oder in der Südschweiz ausgebracht werden. In diesen Regionen kommt für die meisten Anwendungszwecke mangels eines entsprechenden Standardsaatgutangebotes nur autochthones Saatgut in Frage.<br />
<br />
Einige wenige Kantone (z.B. [https://lawa.lu.ch/-/media/LAWA/Dokumente/Landwirtschaft/Biodiversitaetsfoerderflaechen/Merkblaetter/MB_Blumenwiese_Neuansaat.pdf LU] und [https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/dfr/dokumente_3/landwirtschaft_2/umweltprojekte/naturnahe_landwirtschaft_1/merkblaetter_labiola/20_Labiola_MB_Saat_und_Pflanzug_okt16.pdf AG]) haben für den Landwirtschaftsbereich in Zusammenarbeit mit dem Handel kantonal angepasste Blumenwiesenmischungen entwickelt. Diese weichen teilweise in der Artenzusammensetzung leicht ab von den gängigen Mischungen, teilweise stammt das Basissaatgut einzelner Arten aus dem betreffenden Kanton. Der Bezug erfolgt teils über den Handel, teils über den Kanton bzw. von ihm beauftragte Stellen.<br />
<br />
== Qualitätssicherung ==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Bosshard_NEAT_Amit_HoloSem_Saatgut_angesaet_zg 96 dpi.jpg<br />
| text = Gemäss HoloSem-Standard frisch angesäte Böschung.<br />
}}<br />
Die im Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Herkunft_des_Saatgutes:_Empfehlungen.2C_Standards_und_rechtliche_Vorgaben «Herkunft des Saatgutes»] erwähnten Empfehlungen von Info Flora und RegioFlora, im Hinblick auf die Auswahl des Basissaatgutes bzw. der Spenderflächen und die räumliche Ausbreitung des Saatgutes, betreffen sowohl Standardsaatgut wie Direktbegrünungen.<br />
<br />
Was das Standardsaatgut anbelangt einigten sich die Schweizer Saatgutfirmen in einem mehrjährigen Prozess in den 1990er Jahren zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft für den Futterbau und der Forschungsanstalt Reckenholz auf eine Vereinbarung, welche die Empfehlungen von Info Flora (damals SKEW) berücksichtigt. Die Samenfirmen erklärten sich bereit, nur einheimische CH-Ökotypen für Blumenwiesenmischungen zu verwenden, den Forschungsanstalten die für die Ernte vorgesehenen Felder mit den geforderten Angaben (z.B. Herkunft des Ursprungssaatgutes, Parzellengrösse) zu melden, und die Vermehrungen stichprobenweise durch die Forschungsanstalten überprüfen zu lassen. Allerdings wird diese Vereinbarung nur für den Wiesenblumenzusatz des Saatgutes eingehalten, der Gräseranteil stammt v.a. bei Mischungen, die im Verkehrsbau verwendet werden, bis heute noch häufig aus ungeprüftem Saatgut aus dem Ausland.<br />
<br />
Für Direktbegrünungen existiert neben den Empfehlungen von Info Flora/RegioFlora ein von der Branche selber entwickelter Qualitätsstandard [http://www.holosem.ch/begruenungen/holosem-standard/ HoloSem]. Dieser existiert seit 2014 und definiert, welche standörtlichen und qualitativen Anforderungen bei der Ernte des Saatgutes zu berücksichtigen sind, definiert eine maximale Distanz der Verbreitung des autochthonen Saatguts von 15 km aus, wobei zusätzlich die biogeographische Region der Standort, die Höhenlage u.a. mitberücksichtigt werden müssen. Zudem bestehen Anforderungen zur Dokumentation, zur Spenderflächenauswahl u.a. Der Standard wird zunehmend für Ausschreibungen genutzt, um eine einheitliche Mindestqualität von Direktbegrünungen sicherzustellen.<br />
<br />
Ebenso wichtig und zielführend wie ein Standard sind für eine fachgemässe Ausführung v.a. von Mahdgutübertragungen in der Landwirtschaft eine gute Begleitung und Beratung der jeweils beteiligten Akteure, beispielsweise der Bewirtschafter der Flächen, welche die Mahdgutübertragung auch selber durchführen können. Eine fachliche Beratung kann den Erfolg und die Qualität der so angesäten Flächen wesentlich verbessern. Das zeigt sich beispielsweise im Kanton Aargau, wo interessierten Landwirten eine solche Beratung kostenlos zur Verfügung steht und wo der Erfolg der Mahdgutübertragungen mit einem Monitoring überprüft wird. Eine wertvolle Hilfe für die korrekte Ausführung von Mahdgutübertragungen bietet auch die Internetseite regioflora.ch, wo umfangreiche Informationen leicht verständlich aufgearbeitet sind.<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = wichtigste Begruenungsverfahren de.png<br />
| text = Übersicht über die wichtigsten Begrünungsverfahren und ihre optimalen Ausführungszeitpunkte, bezogen auf Lagen bis ca. 1000 m ü.M. In der angegebenen Literatur hat es auf Seite 31 eine Tabelle, die auch auf höher gelegene Flächen eingeht. [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Leitfaden_naturgemaesse_Begruenungen_def.pdf Quelle: Bosshard, A., Mayer, P., Mosimann, A., 2015. Leitfaden für naturgemässe Begrünungen in der Schweiz. Mit besonderer Berücksichtigung der Biodiversität. Ö+L Ökologie und Landschaft GmbH].<br />
}}<br />
<br />
=Praktische Durchführung von Ansaat und anschliessender Pflege artenreicher Wiesen=<br />
Artenreiches Saatgut ist zu kostbar, um es nicht optimal einzusetzen. Denn auch das beste Saatgut führt nur bei einer fachgerecht durchgeführten Ansaat und Pflege/Bewirtschaftung zum Erfolg.<br />
<br />
==Saatbettvorbereitung==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Empfängerfläche 5 96 dpi.JPG<br />
| text = Dieses Saatbett wurde zur Vorbereitung geackert und anschliessend in Zeitabständen von etwa drei Wochen mehrmals geeggt.<br />
}}<br />
Ein vegetationsfreies, gut abgesetztes, feinkrümeliges Saatbett ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Ansaat.<br />
Der Boden kann durch Pflügen oder mehrmaliges Eggen vegetationsfrei gemacht werden, in speziellen Fällen auch durch Abdecken mit schwarzer Gärtnerfolie; Abspritzen mit Herbiziden ist nicht zu empfehlen. Einsaaten (Übersaaten) in bestehende Wiesen ohne Entfernen des alten Wiesenbestandes führen nur mit hohem Aufwand zum Erfolg (siehe [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Botanische_Aufwertung_von_verarmten_Naturwiesen_mittels_Einsaaten «Übersaatmethode»]!<br />
<br />
„Gut abgesetzter Boden“ heisst: Die letzte tiefere Bodenbearbeitung (Pflügen, Eggen, Aufbringen einer Bodenschicht) liegt mindestens drei bis vier Wochen vor der Ansaat. Grund: Ist der Boden bei der Ansaat zu locker, fehlt der sogenannte Bodenschluss, und die jungen Keimlinge laufen Gefahr, nicht richtig wurzeln zu können; zudem ist die Wasserzufuhr aus dem Unterboden mangelhaft, was bei Trockenperioden zu grossen Ausfällen führen kann.<br />
Unmittelbar vor der Saat darf der Boden falls nötig („Unkrautkur“) nur noch sehr flach (ca. 3 cm tief) geeggt oder gefräst werden.<br />
<br />
==Saatzeitpunkt==<br />
Die Ansaaten sollten, wenn immer möglich, im April oder Mai erfolgen. Dies gilt nicht für Mahdgutübertragungen, die bei optimaler Reife der Spenderflächen durchgeführt werden müssen, also in der Regel im Juni oder Juli. Spätere Ansaaten können durch Trocken- und Hitzeperioden empfindlich beeinträchtigt werden (v.a. die Gräser). Bei Herbstansaaten sind die Verluste über den Winter ebenfalls meist beträchtlich (insbesondere der Kräuter/Wiesenblumen). Können Ansaaten, z.B. aus Gründen des Erosionsschutzes, nicht im April oder Mai erfolgen, bietet sich der Einsatz von Zwischen- und Deckfrüchten an. Eine Beratung von Fachpersonen ist dabei zu empfehlen.<br />
<br />
==Saat==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Hydrosaat mit autochthonem Saatgut 96 dpi.JPG<br />
| text = Hydrosaat mit autochthonem Saatgut.<br />
}}<br />
Die angegebene Saatmenge wird je nach Situation und Ausrüstung von Hand oder mit geeigneten Maschinen (Hydroseeder, Sämaschine, Düngerstreuer etc.) oberflächlich ausgebracht. Saatgut nicht in den Boden einarbeiten! Bei kleineren Flächen empfiehlt sich eine Handsaat, wobei je die Hälfte des Saatgutes kreuzweise (d.h. zuerst von links nach rechts, dann von hinten nach vorne) ausgebracht wird, um eine gleichmässige Saat sicherzustellen. Auf lockeren Böden (z.B. Landwirtschaftsflächen) muss unmittelbar nach der Saat gewalzt werden. Geeignet sind Gliederwalzen (z.B. Cambridgewalze). Kleine Flächen können auch „angeklopft“ oder „angestampft“ werden.<br />
<br />
==Nachsaatpflege im Ansaatjahr==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Mahdgutuebertr_Keimungsphase mit ebenfalls uebertragener Trockenwiesenschnecke 96 dpi.jpg<br />
| text = Mit der Mahdgutübertragung wurden aus der Trockenwiese Schnecken miteingebracht.<br />
}}<br />
Fast alle Pflanzen artenreicher Wiesen keimen erst einige Wochen nach der Ansaat und entwickeln sich auch danach nur sehr langsam. Die „Unkräuter“ dagegen keimen meist sofort nach der letzten Bewegung des Bodens und legen dann sofort mit Wachstum los. Vor allem auf humosen Böden können einjährige Pflanzen aus der bodenbürtigen Samenbank schon nach kurzer Zeit völlig überhandnehmen.<br />
<br />
Jetzt heisst es '''Ruhe bewahren''', denn dies ist normal und beeinträchtigt die spätere Entwicklung der Wiese in keiner Weise. Wichtig ist jedoch, dass nicht zu lange mit dem sogenannten Pflegeschnitt zugewartet wird, damit die Keimlinge der angesäten Arten nicht unter einer dicken Pflanzendecke aufgrund von Lichtmangel absterben.<br />
<br />
'''Faustregel''': Sobald der Boden nach der Ansaat stellenweise so stark mit „Unkraut“ bedeckt ist, dass er nicht mehr sichtbar ist, sollte ein Pflegeschnitt durchgeführt werden:<br />
* Hoch mähen (5-10 cm).<br />
* Das Mähgut muss abgeführt werden.<br />
* Eventuell muss der Pflegeschnitt im Ansaatjahr ein zweites Mal durchgeführt werden, wenn sich die einjährigen Arten nochmals rasch entwickeln. <br />
* Auch wenn vorher kein Pflegeschnitt nötig war: Im Herbst vor dem Einwintern, idealerweise in der ersten Septemberhälfte, sollte ein Pflegeschnitt gemacht werden.<br />
<br />
Wichtig ist, im Herbst nochmals einen Blick auf den Bestand zu werfen: '''Die Vegetation sollte nicht höher als fausthoch in den Winter gehen''', damit die jungen Pflänzchen nicht mit einer vom Schnee zusammengedrückten „Vegetationsmatte“ zugedeckt werden. Meist ist deshalb vor dem Einwintern, idealerweise in der ersten Septemberhälfte, zumindest der erste, oder aber einfach der letzte von 2 Pflegeschnitten angesagt.<br />
<br />
Entwickeln sich Blacken (''Rumex obtusifolius'') oder invasive Neophyten, empfiehlt es sich, diese bereits im Ansaatjahr zu zupfen oder auszustechen. Bei allem anderen „Unkraut“ hilft Jäten nichts, im Gegenteil, der Schaden wäre grösser als der Nutzen, der Pflegeschnitt reicht vollauf.<br />
<br />
Oft wird vergessen: Im Ansaatjahr ist von den angesäten Arten noch so gut wie nichts zu sehen, und es ist nur schwer zu beurteilen, ob eine Ansaat gelungen ist oder nicht. Im Jahr der Ansaat sollten also keine vorschnellen Urteile über das Gelingen gefällt werden.<br />
<br />
==Bewirtschaftung/Pflege in den Nachfolgejahren==<br />
Erst im Jahr nach der Ansaat lässt sich erkennen, ob sich die Saat gut entwickelt, und das Gesicht der zukünftigen Wiese beginnt sich nach und nach zu zeigen. Es dauert aber je nach Standort und angesäten Arten meist nochmals ein Jahr oder mehr, bis sich alle Pflanzen richtig etabliert haben und sich ein stabiler Pflanzenbestand entwickelt hat.<br />
Wie bei einem guten Wein ist bei der Neuansaat artenreicher Wiesen also Geduld angesagt! '''Gut Ding will Weile haben.'''<br />
<br />
Doch bereits jetzt, im Jahr nach der Ansaat, kann zur regulären Pflege/Nutzung mit jährlich ein bis zwei Mähschnitten übergegangen werden. Die Mahd muss unbedingt dem angestrebten Pflanzenbestand und damit den angesäten Arten angepasst sein. Generelle Empfehlungen sind hier schwierig. Folgendes lässt sich aber allgemein festhalten (siehe auch [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimale_Mahdnutzung Kapitel «Erhalt und Aufwertung durch optimale Mahdnutzung»]):<br />
* Mehr als zwei Mähschnitte sind bei ungedüngten Wiesen in keinem Fall nötig, sondern schaden der Artenvielfalt und verursachen darüber hinaus unnötig Aufwand, Kosten und Ressourcenverbrauch.<br />
* Die Mahd sollte in der Regel rund 1-2 Wochen nach der Hauptblüte der Wiese durchgeführt werden, damit ein Absamen möglich ist. In vielen Fällen liegt der optimale erste Schnittzeitpunkt in den tieferen Lagen in der zweiten Juni- oder in der ersten Julihälfte.<br />
* Wo keine Vorgaben für den ersten Schnittzeitpunkt bestehen (z.B. bei Ökoflächen in der Landwirtschaft), ist eine jährliche Variation des Schnittregimes für die Artenvielfalt förderlich (mal eher früh, mal eher spät mähen etc.).<br />
* Bei der Mahd immer kleine Reste stehen lassen, damit sich dort Tiere in die verbleibenden Strukturen zurückziehen und sich spät blühende Arten noch bis zur Samenreife entwickeln können. Am besten ist es, bei jedem Schnitt 10% der Fläche in Form von Rückzugsstreifen ungemäht zu lassen, jedes Mal wieder an einem anderen Ort. Empfehlenswert ist auch eine gestaffelte Mahd (kleinflächig unterschiedliche Schnittzeitpunkte mit mindestens 3 Wochen Intervall), wo dies vom Aufwand her möglich ist.<br />
* Wenn möglich nach der Mahd Bodenheu bereiten, d.h. das Gras am Ort an 2-3 niederschlagsfreien Tage trocknen, damit die Pflanzensamen ausreifen und ausfallen können.<br />
* Das Mähgut ist auf jeden Fall abzuführen. Mulchen vermindert in der Regel die Pflanzenartenvielfalt rasch.<br />
* Entwickeln sich Stumpfblättriger Ampfer („Blacken“) oder invasive Neophyten wie amerikanische Goldruten oder Einjähriges Berufskraut, müssen diese regelmässig und möglichst von Beginn an gejätet werden. Je früher und konsequenter man damit beginnt, desto mehr Arbeit lässt sich längerfristig sparen.<br />
<br />
Wer diese Empfehlungen befolgt, kann schon nach 1-2 Jahren mit einer farbenprächtigen Blumenwiese rechnen.<br />
<br />
Wenn die Biodiversität nach erfolgreicher Ansaat noch wirksamer gefördert werden soll, ist zu empfehlen, die Blumenwiese mit Strukturen<!--Link auf Kleinstrukturen, wenn aufgeschaltet--> wie Asthaufen, einer Trockenmauer, Kiesflächen<!--Link auf Pionierflächen, wenn aufgeschaltet-->, einem kleinen [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Stillgew%C3%A4sser Teich], einer [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Hecke Hecke] oder Einzelbäumen weiter aufzuwerten (siehe auch [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Allgemeine_Massnahmen Allgemeine Massnahmen]).<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* [http://www.holosem.ch/localseed/richtig-ansaeen/ HoloSem<sup>®</sup>]<br />
<br />
=Information und Motivation für eine anspruchsvolle Verbundaufgabe=<br />
Bei Wiesenaufwertungen und artenreichen Grünlandansaaten die richtige Methode zur richtigen Zeit am richtigen Standort zu wählen, um so die Biodiversität optimal fördern zu können, ist anspruchsvoll und nicht selten auch mit Zusatzaufwand und Hindernissen verbunden. Das lassen die bisherigen Ausführungen nicht übersehen.<br />
<br />
Entsprechend wichtig ist es, die vielen Akteure auf den verschiedenen Stufen der Entscheidungsprozesse immer wieder auf die Wichtigkeit und die Chancen von Wiesenaufwertungen aufmerksam zu machen und sie über die verschiedenen Möglichkeiten und die Vor- und Nachteile der verfügbaren Methoden zu informieren und weiterzubilden.<br />
<br />
Die Informations- und Motivationsaufgabe ist umso grösser, als sehr unterschiedliche Akteure letztlich daran beteiligt sind, wo welche Aufwertungen wie realisiert werden (oder auch nicht realisiert werden). Landschaftsarchitekten, Gartenarchitekten, Umweltbaubegleiter, Umweltverantwortliche, bodenkundliche Begleitplaner, Begrüner, Bauherren, Ökobüros, verschiedenste Amtsstellen von der Gemeinde bis zum Bund, Schulen, Weiterbildungsinstitutionen etc. etc. – und nicht zuletzt Landwirtinnen und Landwirte: Sie alle entscheiden regelmässig mit, was draussen in der Landschaft vor unserer Haustüre passiert. Es ist zu wünschen, dass das vorliegende Informationsangebot (vom Verein biodivers) dazu beiträgt, dass diese Herausforderung in Zukunft noch besser zu meistern, damit die unzähligen Chancen von Naturaufwertungen noch gezielter genutzt werden können als bisher.<br />
<br />
=Weiterführende Literatur=<br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~1425~1/3~410250~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Naturnahe-Lebensr%C3%A4ume-im-Wiesland/Der-Weg-zu-artenreichen-Wiesen/Deutsch/Print-Papier Der Weg zu artenreichen Wiesen. Agridea-Merkblatt, 2010.]<br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~2591~1/3~410250~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Naturnahe-Lebensr%C3%A4ume-im-Wiesland/Direktbegr%C3%BCnung-artenreicher-Wiesen-in-der-Landwirtschaft/Deutsch/Print-Papier Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft. Leitfaden für die Praxis zum Einsatz von regionalem Saatgut in Biodiversitätsförderflächen, Agridea, 2015.]<br />
* [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Leitfaden_naturgemaesse_Begruenungen_def.pdf Leitfaden für naturgemässe Begrünungen in der Schweiz. Mit besonderer Berücksichtigung der Biodiversität, Bosshard et al. 2015]<br />
* [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Guideline_restoration_deutsch.pdf Leitfaden zur Renaturierung von artenreichem Grünland. SALVERE 2012]<br />
* [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2017/08/Wiesenrenaturierung_NuL_2000.pdf Blumenreiche Heuwiesen aus Ackerland und Intensiv-Wiesen. Eine Anleitung zur Renaturierung in der landwirtschaftlichen Praxis. Naturschutz und Landschaftsplanung 32/6 (2000), 161-171.]<br />
* Gürke, J., Hrsg.: Pro Natura, 2014. Blumenwiesen anlegen und pflegen, Pro Natura Praxis Nr. 21.<br />
* Kirmer A., Krautzer B., Scotton M., Tischew S. (Hrsg.) 2012: Praxishandbuch zur Samengewinnung und Renaturierung von artenreichem Grünland. Lehr- und Forschungszentrum Raumberg-Gumpenstein.<br />
* Kiehl K., Kirmer A., Shaw N., Tischew S. (Hrsg.) 2014: Guidelines for Native Seed Production and Grassland Restoration. Cambridge Scholars Publishing<br />
* Brönnimann D. und Minloff L., 2015: Entwicklung von angesäten extensiven Wiesen im Naturnetz Pfannenstil. Bachelorarbeit<br />
* Zemp-Lori N., 2016: Besiedlung angesäter extensiver Wiesen durch Tagfalter im Naturnetz Pfannenstil. Bachelorarbeit<br />
* [https://www.research-collection.ethz.ch/handle/20.500.11850/143994 Renaturierung artenreicher Wiesen auf nährstoffreichen Böden. Ein Beitrag zur Optimierung der ökologischen Aufwertung der Kulturlandschaft und zum Verständnis mesischer Wiesen-Ökosysteme. Dissertationes Botanicae Band 303, Stuttgart 1999.]<br />
* [https://www.agraroekologie.ch/wp-content/uploads/2016/10/NuL07-10_Mueller_Bosshard.pdf Altgrasstreifen fördern Heuschrecken in Ökowiesen – Eine Möglichkeit zur Strukturverbesserung im Mähgrünland. Naturschutz und Landschaftsplanung 42 (7), 2010, 212-217.]<br />
* Grün Stadt Zürich, Fachbereich Naturschutz, 2010. Pflegeverfahren. Ein Leitfaden zur Erhaltung und Aufwertung wertvoller Naturflächen, Leitfaden. Zürich.<br />
* [http://www.holosem.ch/begruenungen/fachunterlagen/ Weitere Literatur siehe HoloSem / Fachunterlagen]<br />
<br />
Zu Aufwand und Kosten der beschriebenen Massnahmen enthalten folgende Unterlagen Informationen und Hilfeleistungen:<br />
* Saatgutkataloge und Webseiten der genannten [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Anwendung_und_Bezug_von_Blumenwiesen-Standardsaatgut Anbieter] von Standard- und autochthonem Saatgut<br />
* Normpositionenkataloge (nur käuflich erwerblich)<br />
<br />
Zu Aufwand und Kosten der beschriebenen Massnahmen enthalten folgende Unterlagen Informationen und Hilfeleistungen:<br />
* Saatgutkataloge und Webseiten der [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Anwendung_und_Bezug_von_Blumenwiesen-Standardsaatgut genannten Anbieter] von Standard- und autochthonem Saatgut<br />
* Normpositionenkataloge (nur käuflich erwerblich)<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = WiesenhausMatzingen_auchHaeuser_eignen_sich_fuer_artenreiche_Wiesen 96 dpi.jpg<br />
| text = Auch Häuser eignen sich für artenreiche Wiesen.<br />
}}<br />
<br />
= Weitere Kapitel zum Grünland =<br />
* [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland#Einleitung Einleitung und Zusammenfassung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie Praxisrelevante Ökologie]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung Erhalt und Aufwertung durch optimierte Bewirtschaftung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen Grundlagen]<br />
<!--* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisbeispiele Praxisbeispiele]--><br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || Andreas Bosshard|| [http://www.agraroekologie.ch/ueber-uns/team/ Ö+L GmbH]<br />
|-<br />
| Unter Mitwirkung von || Regula Benz|| <br />
|-<br />
| || Jean-Yves Humbert|| [https://www.cb.iee.unibe.ch/about_us/pd_dr_humbert_jean_yves/index_eng.html Universität Bern, Conservation Biology]<br />
|-<br />
| || Andrea Lips || [https://www.pronatura.ch/de Pro Natura]<br />
|-<br />
| || Winu Schüpbach|| [https://www.quadragmbh.ch/ quadra gmbh] <br />
|-<br />
|}<br />
<br /><br />
<br /></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat&diff=4713
Grünland/Aufwertung und Neuschaffung durch Direktbegrünung und Ansaat
2023-03-05T17:47:20Z
<p>VB2: </p>
<hr />
<div>[[fr:Milieux prairiaux/Revalorisation et création de prairies riches en espèces par enherbement direct et ensemencement]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Mahd Spenderfläche 1 96 dpi.JPG<br />
| text = Ein monotoner Bestand lässt sich mit verschiedenen Methoden innert relativ kurzer Zeit in eine blüten- und artenreiche Wiese umwandeln. In diesem Artikel werden die verschiedenen Verfahren für die Aufwertung von Wiesen vorgestellt. Das Foto zeigt die Mahd einer Spenderfläche früh am Morgen bei feuchter Vegetation.<br />
}}<br />
{{TOC limit|3}}<br />
<br />
=Einleitung=<br />
Die Neuanlage oder Wiederherstellung artenreicher Wiesen ist eine der wirksamsten Massnahmen zur Förderung der Artenvielfalt. Eine artenreiche Wiese kann 30 bis über 60 Pflanzenarten auf einem einzigen Quadratmeter aufweisen.<sup>1</sup> Weltweit können in keinem anderen Ökosystem oder Lebensraum so viele Pflanzenarten auf so kleinen Flächen zusammen existieren. Und eine ökologische Faustregel besagt, dass pro etablierter Pflanzenart 10 Tierarten vorkommen. <br />
Schon auf wenigen Quadratmetern kann also bei einer Neuschaffung einer artenreichen Wiese enorm viel für die Biodiversität getan werden. Der Artikel beschreibt, mit welchen Methoden artenreiches Wiesland neu geschaffen werden kann, welche Vor- und Nachteile die verschiedenen Methoden haben, und auf welchen Standorten welche mehr oder weniger artenreichen Wiesentypen realistischerweise angestrebt werden können. Die Ausführungen richten sich primär an Praktiker, die bei ihrer Tätigkeit aber nicht nur nach Rezept handeln, sondern auch die ökologischen Zusammenhänge verstehen möchten. <br />
<br />
<small><br />
<sup>1</sup> während in intensiv genutzten Wiesen oder Rasenflächen als Vergleich höchstens ein gutes Dutzend Arten vorkommen.<br />
</small><br />
<br />
<!--vorläufig weglassen: == Sich verändernde Ziele und Fragestellungen ==<br />
Die Neuschaffung und Aufwertung von artenreichen Wiesen kam erst in den 1990er Jahren in grösserem Ausmass auf. Die agrarpolitischen Diskussionen um die enorme Zerstörung der Biodiversität durch die immer intensivere Landwirtschaft führte zur Suche nach Alternativen. Erstmals wurde in den 1990er Jahren in der Schweiz ein Mindestanteil an naturnahen Flächen für jeden Landwirtschaftsbetrieb vorgeschrieben, und es entstanden Bemühungen, die in einigen Teilen der Schweiz praktisch verschwundenen, ehemals fast flächendeckend vorhandenen artenreichen Wiesen mit Ansaaten wieder zurück in die landwirtschaftlich genutzte Kulturlandschaft zu bringen. Aber auch in Naturschutzgebieten, bei Verkehrsprojekten oder im Siedlungsgebiet wurde zunehmend artenreiches Wiesland neu geschaffen. Entscheidend war dabei, dass entsprechende hochwertige, artenreiche Saatgutmischungen zumindest für trockenere Standorte nun auf dem Markt erhältlich waren. <br />
Wie der Artikel in einem kurzen historischen Abriss beschreibt, hat sich seit den ersten systematischen Versuchen mit artenreichen Wiesenansaaten in den 1980er und 1990er-Jahren viel verändert. Bis heute kommt laufend neues Wissen dazu, werden neue Ansaatmethoden entwickelt oder kommen neue Saatgutmischungen und -verfahren auf den Markt. Gleichzeitig haben sich das Bewusstsein, die Prioritäten und die Zielsetzungen bei der Neuschaffung artenreichen Wieslandes immer wieder verändert. <br />
Seit wenigen Jahren wird beispielsweise nicht nur auf die eingebrachten Pflanzenarten, sondern auch auf die genetische Vielfalt innerhalb der Arten geachtet. Zunehmend wird deshalb heute in der Schweiz und der EU die Verwendung lokaler oder regionaler Ökotypen gefordert und sogar in neuen Rechtserlassen vorgeschrieben. Wurde früher fast ausschliesslich Standardsaatgut verwendet, gab dieser Bewusstseinswandel der Anwendung von Direktbegrünungsverfahren starken Auftrieb.--><br />
<br />
==Standardsaatgut und Direktbegrünung – eine Begriffsklärung==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = ArtenreichesAutochthSaatgut_Ernte_aus_eBeetle 96 dpi.jpg<br />
| text = Artenreiches, autochthones Saatgut<br />
}}<br />
Im Zusammenhang mit der Förderung und Schaffung artenreicher Wiesen werden einige nicht allgemeinverständliche Fachbegriffe verwendet. Die wichtigsten sollen hier kurz erläutert werden – zumal einige noch „jung“ sind und ihre Anwendung deshalb oft nicht einheitlich erfolgt, was Verwirrung stiften kann.<br />
<br />
'''Bezeichnung von Saatguttypen und Saatgutherkünften''' <br/><br />
Das bis vor wenigen Jahren übliche Saatgut für die Ansaat artenreicher Wiesen war '''''Standard'''saatgut''. Bei Standardsaatgut wird jede einzelne Art in Reinkultur zur Gewinnung von Samen angebaut und das geerntete Saatgut dann nach einer bestimmten Rezeptur zusammengemischt. Man spricht deshalb auch von ''Vermehrungssaatgut''. Das Ursprungssaatgut stammt entweder von Wildpflanzen (sog. ''Basissaatgut''), oder es werden Zucht- bzw. Handelssorten verwendet.<br/><br />
Wenn eine Saatgutmischung ganz aus Arten besteht, deren Basissaatgut von besammelten Wildpflanzen einer bestimmten Region stammt und das Saatgut anschliessend in derselben Region vertrieben wird, wird vor allem in Deutschland von '''''Regio'''saatgut'' gesprochen. <br/><br />
Dem Standardsaatgut stehen die sogenannten '''''Direktbegrünungsverfahren''''' gegenüber. Dabei wird das Saatgut direkt auf geeigneten Spenderwiesen als Samengemisch geerntet und ohne Zwischenvermehrung auf die Ansaat- oder Empfängerfläche übertragen. Die Methode wird deshalb auch als „Wiesenkopierverfahren“ bezeichnet. Dabei kommen verschiedene Ernte- und Übertragungsmethoden zur Anwendung wie Mahdgutübertragung, der Mähdrusch oder die Sodenversetzung. In Abgrenzung zum Regiosaatgut wird das Saatgut aus Direktbegrünungsverfahren '''''autochthones''''' (oder manchmal auch '''lokales''') Saatgut genannt. <br/><br />
Diese Begriffsdefinitionen werden in den deutschsprachigen Ländern allerdings noch nicht überall einheitlich verwendet. So wird teilweise auch autochthones Saatgut als Regiosaatgut bezeichnet, oder Direktbegrünung wird teilweise nicht als Überbegriff, sondern synonym mit Mahdgutübertragung gebraucht. Heugrassaat wird auch als synonymer Ausdruck für Direktbegrünung, Ökotypensaatgut für Regiosaatgut, oder Handelssaatgut bzw. Regelsaatgut für Standardsaatgut verwendet. <br/><br />
'''Weitere wichtige Fachbegriffe''', die in diesem Artikel genannt werden, sind jeweils im Text näher erläutert, oder ihre Bedeutung erschliesst sich ohne weitere Erläuterung aus dem Zusammenhang.<br />
<br />
=Neuanlage artenreicher Wiesen: Kurzer historischer Rückblick auf eine dynamische Entwicklung=<br />
Artenreiches Wiesland aus Naturschutzgründen neu zu schaffen wurde erstmals in den 1960er Jahren in grösserem Stil praktiziert. (vgl. Bosshard & Klötzli 2003 <sup>2</sup>). Dabei war das Interesse ganz auf nährstoffarme Standorte in Schutzgebieten gerichtet. Als Methoden dienten eine natürliche Besiedlung mit Arten aus der Umgebung, aber auch Mahdgutübertragungen, Pflanzungen oder Sodenversetzungen kamen damals bereits zur Anwendung. Käufliche Saatgutmischungen mit den gewünschten einheimischen Arten existierten damals keine. Die verfügbaren Mischungen stammten alle aus dem Ausland. Sie enthielten nicht-einheimische Arten und sogar Zuchtsorten, die im Widerspruch standen zu den naturschützerischen Zielen.<br />
<br />
<small><br />
<sup>2</sup> Bosshard A. & F. Klötzli 2003: Restoration Ecology. In: Bastian O. & U. Steinhardt (Hrsg.): Development and Perspectives in Landscape Ecology: conceptions, methods, application. Kluwer. ISBN 1-4020-0919-4.<br />
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<br />
== Erfolg durch neue Saatgutmischungen==<br />
Erst Ende der 1980er Jahre gab der Naturschutz seinen fast ausschliesslichen Fokus auf Schutzgebiete auf und erkannte, dass die Biodiversität nur erhalten werden kann, wenn Naturschutzmassnahmen vermehrt flächenwirksam etabliert, d.h. auch ausserhalb von Naturreservaten neue artenreiche Flächen geschaffen werden können. Damit rückte die landwirtschaftlich genutzte Kulturlandschaft und somit auch nährstoffreichere Flächen ins Zentrum von Aufwertungsbemühungen. <br />
Da im Kulturland in den tieferen Lagen kaum noch artenreichere Biotope existierten, wurden in verschiedenen Teilen der Schweiz und in anderen Ländern Europas Projekte lanciert, welche in Zusammenarbeit mit Landwirtschaftsbetrieben ökologische Aufwertungen planten und realisierten. Eines dieser Projekte war „Landwirtschaft und Naturschutz aus Bauernhand“ <sup>3</sup>. Politisch und institutionell breit abgestützt, entwickelte und testete das Pilotprojekt Anfang der 1990er Jahre auf neun Landwirtschaftsbetrieben im Kanton Zürich Massnahmen für eine zukünftige Agrarpolitik.<br />
<br />
<small><br />
<sup>3</sup> Landwirtschaft und Naturschutz aus Bauernhand. Schlussbericht des CH91-Pilotprojektes auf 9 Bauernhöfen im Kanton Zürich 1989-1991. Zürcher Vogelschutz, Zürcher Naturschutzbund, WWF Sektion Zürich und Zürcher Bauernverband, Zürich. 58 S.<br />
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<br />
==Artenvielfalt auch auf nährstoffreichen Böden möglich?==<br />
Unter diesen Massnahmen waren auch erste Versuche, bei denen damals neu verfügbares Saatgut mit verschiedenen Arten blumenreicher Wiesen ausgetestet wurde. Denn bereits damals war aufgrund vieler Untersuchungen klar, dass die Samen der meisten Wiesenarten nur kurzfristig im Boden überleben<!-- Link auf Pflanzenartikel, wenn dort Infos zu Lebensdauer von Samen ergänzt worden ist -->. Das heisst, dass eine intensive Nutzung über drei oder vier Jahren bereits genügte, um die Pflanzenarten artenreicher Wiesen zum Verschwinden zu bringen. Eine Wieder-Extensivierung der Nutzung bringt sie – auch nach jahrelangem Warten – alleine nicht zurück. Vielmehr müssen sie jeweils neu eingebracht, sprich angesät werden. <br/><br />
Allerdings war völlig unklar, ob sich die eingebrachten Arten auf den nährstoffreichen Böden überhaupt etablieren können. Zumindest widersprach dies der damals vertretenen ökologischen Lehre. Nichtsdestotrotz entwickelten sich bei den Versuchsansaaten des Zürcher Pilotprojektes auf vorher intensiv genutzten Ackerflächen im zweiten Jahr tatsächlich niederwüchsige, artenreiche, an Magerwiesen erinnernde Wiesenbestände. <br/><br />
Dieser unerwartete Erfolg gab Anlass zu einer Dissertation. Auf zahlreichen Landwirtschaftsbetrieben in der Ostschweiz wurden auf über einem Dutzend Hektar unzählige Versuchsflächen mit verschiedenen Mischungsvarianten von Wiesenkräutern, -leguminosen und -gräsern angelegt (Bosshard 1999 <sup>4</sup>). Die ersten Versuche führten allerdings zu instabilen Pflanzenbeständen, die nach wenigen erfolgreichen Jahren vergrasten und den Grossteil der eingesäten Arten wieder verloren. Durch Verbesserungen in der Artenzusammensetzung, insbesondere der Gräserkomponente, gelang es schliesslich, auch auf vorher intensiv genutzten Böden langfristig stabile Blumenwiesenbestände zu etablieren. Als Resultat der Dissertation wurden vier Mischungsvarianten empfohlen, die heute als ''Salvia'', ''Humida'', ''Broma'' und ''Montagna'' auf dem Schweizer Markt breit etabliert sind und mit denen mittlerweile Hunderte, wenn nicht Tausende von Hektaren artenreicher Wiesen angesät worden sind und weiterhin angesät werden, vor allem in der Landwirtschaft, aber auch zunehmend im Siedlungsbereich.<br />
<br />
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<sup>4</sup> Bosshard A. 1999: Renaturierung artenreicher Wiesen auf nährstoffreichen Böden. Ein Beitrag zur Optimierung der ökologischen Aufwertung der Kulturlandschaft und zum Verständnis mesischer Wiesen-Ökosysteme. Dissertationes Botanicae Band 303 Stuttgart. 201 S. [https://www.research-collection.ethz.ch/handle/20.500.11850/143994 Online-version]<br />
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==Breites Saatgutangebot, erfolgreiche Mischungen==<br />
Dass dies überhaupt möglich war, ist der engagierten Pionierarbeit verschiedener Saatgutfirmen zu verdanken, die ab Mitte der 1990er Jahre in der Schweiz ein immer breiteres Spektrum an typischen Wiesenblumenarten Schweizerischer Herkunft für die neuen Mischungen verfügbar machten. Seit einigen Jahren besteht nun auch bei den Wiesengräsern ein breites Angebot an einheimischen Ökotypen für diese Mischungen.<br />
Die Erfolgsrate der artenreichen Ansaaten in der Landwirtschaft beträgt mittlerweile über 90% gemessen am botanischen Qualitätsniveau QII (s. folgendes Kapitel). Dabei zeigen umfangreiche Datensätze, dass auf trockeneren Standorten die Artenzahl und der Blumenanteil im Laufe der Jahre eher zunimmt, während an feuchteren oder schattigeren Standorten bei den bestehenden Standard-Blumenwiesenmischungen die gegenteilige Tendenz besteht <sup>5</sup>.<br />
Die hohe Erfolgsrate hängt allerdings nicht nur mit optimiertem Saatgut zusammen, sondern ist gerade im nährstoffreicheren Böden auch stark abhängig von einer korrekten Durchführung der Ansaat (s. Kap. [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Herkunft_des_Saatgutes:_Empfehlungen.2C_Standards_und_rechtliche_Vorgaben "Herkunft des Saatgutes: Empfehlungen, Standards und rechtliche Vorgaben"]. Auch wenn dazu bisher keine systematischen Auswertungen vorliegen, scheinen die Erfolgsraten in Kantonen, bei denen für Wiesenaufwertungen eine Beratung/Begleitung angeboten wird oder obligatorisch ist (z.B. LU, AG, TG), deutlich höher zu liegen als in den übrigen Regionen.<br />
<br />
<small><br />
<sup>5</sup> vgl. Brönnimann & Minloff 2015 sowie bisher unveröffentlichte Monitoringresultate aus verschiedenen Kantonen.<br />
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==Fördersystem für Blumenwiesen in der Schweizer Landwirtschaft==<br />
Der hauptsächliche Treiber der Blumenwiesenansaaten auf Landwirtschaftsflächen ist der finanzielle Anreiz durch das Direktzahlungssystem. Im Zuge der Agrarreform wurden nämlich ab dem Jahr 2001 sogenannte „Öko-Qualitätsbeiträge“ (ab 2014 als sog. Biodiversitätsförderflächen-QII-Beiträge bezeichnet, kurz BFF-QII) eingeführt. Diese werden ausbezahlt, wenn in einer angemeldeten Ökowiese innerhalb einer Aufnahmefläche von 3 m Radius mindestens 6 Pflanzenarten aus einer [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~1547~1/3~410245~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Beitr%C3%A4ge-und-Bedingungen-im-%C3%96koausgleich/Zeigerpflanzen-Wiesen-BFF-Alpennordseite/Deutsch/Print-Papier Liste von rund 45 Zeigerpflanzenarten] nachgewiesen werden. In den letzten Jahren sind diese Qualitätsbeiträge laufend angestiegen, während die „Basis-Biodiversitätsbeiträge“ im gleichen Masse abgenommen haben. Damit stieg die Attraktivität der Ansaaten entsprechend. Bereits nach 1-2 Jahren sind dank den Biodiversitätsbeiträgen die Kosten einer Neuansaat nicht selten amortisiert.<br />
<br />
=Ökologische Bedeutung von Direktbegrünungsverfahren=<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Ansaat_eines_gefrästen_Streifens_mit artenr_autochth_Saatgut 96 dpi.JPG<br />
| text = Ansaat eines gefrästen Streifens mit autochthonem Saatgut.<br />
}}<br />
Die Blumenwiesenmischungen mit Ökotypen aus Schweizer Herkunft wurden bald so zahlreich eingesetzt, dass diese Entwicklung von Seiten der Ökologie und des Naturschutzes zunehmend kritisiert wurde. Denn alle neu angesäten Wiesen sahen landauf landab sehr ähnlich aus, hatten immer fast dieselbe Artenzusammensetzung und basierten alle auf denselben paar wenigen Ökotypen aus dem Ursprungssaatgut der Saatgutfirmen, egal ob die angesäten Wiesen im Wallis, im Seeland, im Randen oder im Bündnerland lagen. Diese Standardisierung steht im Kontrast zur enormen Vielfalt verschiedener Wiesentypen, die sich im Naturwiesland der Schweiz von Region zu Region in Bezug auf ihre typische Artenzusammensetzung stark unterschieden. <br/><br />
Immer mehr Untersuchungen der letzten Jahre wiesen ausserdem darauf hin, dass kleinräumig eine grosse genetische Vielfalt auch innerhalb jeder Pflanzenart besteht. Je grösser die Entfernung und je unterschiedlicher das Klima zwischen zwei Herkunftsregionen ist, umso deutlicher fallen auch die genetischen Unterschiede aus <sup>6</sup>. Dies zeigt sich auch im ökologischen Verhalten. Viele der untersuchten Wiesenarten wuchsen besser, wenn die Pflanzen regionaler Herkunft waren. So lieferten die regionalen Gewächse im Schnitt beispielsweise zehn Prozent mehr Blütenstände als Artgenossen, die aus anderen Gegenden stammten <sup>7</sup>. <br/><br />
Von Tal zu Tal, ja von Wiese zu Wiese bestehen genetische Anpassungen und Unterschiede, sogenannte Ökotypen. Diese innerartliche genetische Vielfalt ist zwar äusserlich oft nur schwer zu erkennen, aber ökologisch von grosser Bedeutung. Denn sie bedeutet eine Anpassung an die unterschiedlichsten Standorts- und Nutzungsbedingungen und ist damit eine wichtige Voraussetzung für die Stabilität von Ökosystemen. So konnten Untersuchungen zeigen, dass der Deckungsgrad höher und damit der Ansaaterfolg besser sind, wenn Ökotypen aus der Region statt Saatgut von weiter entfernt liegenden Gegenden verwendet wird. Im Gegenzug konnten sich weniger unerwünschte, nicht angesäte Arten (z.B. Neophyten) etablieren (Weisshuhn et al. 2012 <sup>8</sup>). Ein deutliches Indiz dafür, dass diese Pflanzen regional angepasst sind. Sie kommen also in der Nähe ihrer ursprünglichen Herkunft besser zurecht. Andere Untersuchungen zeigen, dass die Inzucht von autochthonem Saatgut geringer ist als von Vermehrungssaatgut <sup>9</sup>.<br />
<br />
<small><br />
<sup>6</sup> z.B. Durka, W. et al. (2016): Genetic differentiation within multiple common grassland plants supports seed transfer zones for ecological restoration. – Journal of Applied Ecology 54/1, 116-126. [https://besjournals.onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/1365-2664.12636 PDF].<br />
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<small><br />
<sup>7</sup> Durka W. et al. (2019): Regionales Saatgut von Wiesenpflanzen: genetische Unterschiede, regionale Anpassung und Interaktion mit Insekten. Natur und Landschaft 94/4, 146-153. [https://www.regioflora.ch/de/assets/content/pdf/News/Regionales%20Saatgut%20von%20Wiesenpflanzen.pdf PDF]<br />
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<small><br />
<sup>8</sup> Weisshuhn K., Prati D., Fischer M., Auge H. (2012): Regional adaption improves the performance of grassland plant communities. Basic and Applied Ecology 13/6, 551-559. [https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S1439179112000710 Zusammenfassung]<br />
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<br />
<small><br />
<sup>9</sup> Aavik T., Bosshard D., Edwards P., Holderegger R., Billeter R. (2014): Genetische Vielfalt in Wildpflanzen-Samenmischungen. Agrarforschung Schweiz 5 (1): 20–27. [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Aavik_et_al_Agrarfo2014.pdf PDF]<br />
</small><br />
<br />
=Herkunft des Saatgutes: Empfehlungen, Standards und rechtliche Vorgaben=<br />
Um die genetische Vielfalt auf Ökotypenebene zu berücksichtigen, hat bereits 1998 die schweizerische Kommission für die Erhaltung von Wildpflanzen (SKEW), heute Teil von Info Flora, Empfehlungen herausgegeben. Diese verlangen, dass das verwendete Saat- und Pflanzgut für Blumenwiesen aus der gleichen biogeographischen Region wie die Empfänger-Parzelle stammen soll. Bei häufigen, taxonomisch wenig differenzierten Arten sollen die sechs Grossregionen der Schweiz – d. h. Jura, Mittelland, Alpennordflanke, westliche und östliche Zentralalpen und Südalpen – eingehalten werden (siehe Abbildung). Taxonomisch schwierige Arten mit unregelmässiger Verbreitung sollen die elf Kleinregionen einhalten. Ausserdem ist es gemäss den Empfehlungen wichtig, standörtliche und regionale Unterschiede wie Höhenlage, Bodenverhältnisse und Exposition zu berücksichtigen. Nur so entspricht die zu begrünende Fläche den ökologischen Anforderungen der eingebrachten Arten. Die Empfehlungen verlangen auch, dass die gefährdeten Arten nicht in Samenmischungen gehandelt werden. Für diese gelten [https://www.infoflora.ch/de/flora/ansiedlung.html spezifische Richtlinien]. <br/><br />
Die Richtlinien von Info Flora entsprechen dem, was auch in verschiedenen Gesetzen und Verordnungen verlangt wird, insbesondere im Natur- und Heimatschutzgesetz, welches verlangt, die einheimische Tier- und Pflanzenwelt sowie ihre biologische Vielfalt und ihren natürlichen Lebensraum zu schützen <sup>10</sup>. <br/><br />
In der Praxis finden die Richtlinien von Info Flora leider nur sehr begrenzt Berücksichtigung. Die eine Seite des Problems liegt beim Handel. Auch wenn die Saatgutfirmen die Herkünfte kennen und getrennt vermehren, werden sie – aus logistischen Gründen und den damit verbundenen Kosten –leider nicht so gekennzeichnet. Der Nutzer kann damit beim Kauf von Standardsaatgut die Empfehlungen gar nicht so einhalten, weil die Herkünfte in den Handels-Saatgutpackungen vermischt sind. Gewisse Kantone haben für landwirtschaftliche Ansaaten mit Saatgutproduzenten Abmachungen und erhalten spezifische Mischungen von und für ihre Region, die den Lebensräumen angepasst sind – dies ist aber leider die Ausnahme. <br/><br />
Auf der anderen Seite sind die Richtlinien auch bei den Anwendern noch sehr oft nicht angekommen. So wird in der Praxis oft auch dort, wo Saatgut gemäss den Info Flora-Empfehlungen verfügbar wäre, dieses oft nicht berücksichtigt mangels Wissens oder als Folge fehlerhafter Ausschreibungen. Dies ist insbesondere im Verkehrsbereich (Böschungsbegrünungen etc.) der Fall, wo jedes Jahr Hunderte von Hektaren neu begrünt werden.<br />
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{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = biogeografische Regionen CH.png<br />
| text = Die Biogeographischen Regionen der Schweiz: blau = Jura und Randen; hellgrün = Hochrhein- und Genferseegebiet; dunkelgrün = Westliches Mittelland; grün = Östliches Mittelland; hellblau = Voralpen; dunkelblau = Nordalpen; gelb = Westliche Zentralalpen, orange = Östliche Zentralalpen; rot = Südalpen; braun = Südlicher Tessin <br/><br />
(Quelle: Gonseth, Y.; Wohlgemuth, T.; Sansonnes, B.; Buttler, A. (2001): Die biogeographischen Regionen der Schweiz. Erläuterungen und Einteilungsstandard. Umwelt Materialien Nr. 137 Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft Bern. 48 Seiten.).<br />
}} <br />
<br />
Angesichts der grossflächig stattfindenden Uniformierung und Florenverfälschung <sup>11</sup> durch nicht den Richtlinien entsprechenden Saatgutmischungen nahm der Druck zu, vermehrt autochthones Saatgut lokaler Provenienz zu verwenden, wo die Herkunft im Detail nachgewiesen werden kann (vgl. dazu Tab. 1). 2014 wurde die Direktzahlungsverordnung mit einem Passus ergänzt, der für landwirtschaftliche Blumenwiesenansaaten im Rahmen der Verfügbarkeit die Anwendung von Direktbegrünungen vorschreibt (DZV Art. 58 Abs. 8). Deutschland geht noch einen Schritt weiter und verlangt ab 2020 generell bei der Neuanlage von Grasland in der freien Landschaft die Verwendung von gebietseigenem Saatgut (BNatSchG §40).<br/><br />
Dieser Bewusstseinswandel und die damit einhergehende teilweise angepasste Rechtslage gab der Anwendung von Direktbegrünungsverfahren starken Auftrieb. So werden in der Schweiz immer häufiger Mahdgutübertragungen durchgeführt, und dies bei korrekter Anwendung mit durchwegs guten Erfolgen <sup>12</sup>. Da Mahdgutübertragungen v.a. aus logistischen Gründen oft nur beschränkt eingesetzt werden können, wurden in den letzten 10 Jahren verschiedene Ernteverfahren für autochthones Saatgut entwickelt oder weiterentwickelt (s. Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Direktbegr.C3.BCnungsverfahren Direktbegrünungsverfahren]). Damit kann das Saatgut aus den Spenderflächen getrocknet, gereinigt und abgesackt werden. Das Saatgut kann damit in Bezug auf die Ansaattechnik und den Ansaatzeitpunkt genau so flexibel wie Standardsaatgut eingesetzt werden.<br />
<br />
<small><br />
<sup>10</sup> Vgl. die ausführliche Zusammenstellung und Interpretation der rechtlichen Grundlagen im [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Leitfaden_naturgemaesse_Begruenungen_def.pdf Leitfaden für naturgemässe Begrünungen], Seiten 11-15.<br />
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<br />
<small><br />
<sup>11</sup> Begriffserklärung und Beispiele siehe Box «Florenverfälschung».<br />
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<small><br />
<sup>12</sup> vgl. Studie <!-- noch nicht beschaffen können: Wolfgang Bischoff/Pro Natura und Studie -->Pro Natura/Ö+L 2017 ([http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2017/05/BerichtAnsaatenArtenreicheWiesenKtAG2014-16.pdf PDF]).<br />
</small><br />
<br />
==Engpass Spenderflächen==<br />
Vor allem im Mittelland und einigen Voralpenregionen sind geeignete Spenderflächen allerdings so rar, dass die Produktion von autochthonem Saatgut den potenziellen Bedarf bei weitem nicht abdecken kann. In diesen Regionen wird Standardsaatgut mit Ökotypen aus diesen Regionen auch in Zukunft ein wichtiger Pfeiler für die Renaturierung von artenreichen Wiesen bleiben – dies umso mehr, da für das Mittelland beim Standardsaatgut auch das grösste Angebot an Arten existiert. Im Berggebiet und auf der Alpensüdseite dagegen besteht sowohl in Anbetracht der sehr unterschiedlichen Standortsbedingungen und Höhenlagen, als auch aufgrund des sehr begrenzten Angebotes von Arten aus den betreffenden biogeographischen Regionen kaum geeignetes Standardsaatgut. Dafür sind in diesen Regionen Spenderflächen meist noch zahlreich verfügbar, so dass hier in Zukunft vorwiegend autochthones Saatgut zum Einsatz kommen dürfte. Von der bisherigen Praxis, in diesen Regionen Mischungen mit Ökotypen aus dem Mittelland zu verwenden, sollten die zuständigen Amtsstellen und weiteren Akteuren wegkommen. <br />
<br />
<br/><br />
<table border="0", style="font-size:108%"> <br />
<tr> <br />
<td> '''Was ist «Florenverfälschung»?''' <br /> Unter Florenverfälschung wird die Beeinträchtigung der einheimischen Pflanzen-Biodiversität durch die Einführung fremder Pflanzenarten oder fremder Ökotypen verstanden. <br/><br />
Schädigende Auswirkungen auf die Biodiversität können von folgenden zwei Prozessen ausgehen:<br/><br />
a) Heimische Arten oder Ökotypen werden durch die eingebrachten Arten oder Ökotypen verdrängt. Bekannt sind die Auswirkungen invasiver Neophyten, also sich aggressiv ausbreitende Pflanzenarten aus anderen Kontinenten wie de Goldruten (''Solidago canadensis'') oder der Japanknöterisch (''Reynoutria japonica''). Auch einheimische Arten können invasiv sein, z. B. Schilf (''Phragmites australis'') oder Klappertopf (''Rhinanthus alectorolophus''). Ein Beispiel für eine Ökotypen-Invasion stellt der europäische Schilfrohr-Ökotyp in Amerika dar, der dortige Populationen weitgehend verdrängt hat (vgl. Kowarik 2003).<br/><br />
b) Die vorhandenen lokalheimischen Ökotypen kreuzen sich mit den eingebrachten Ökotypen und verlieren dadurch ihre spezifischen, zum Teil ausgeprägten physiologischen und ökologischen Anpassungen an die lokalen Bedingungen (Klima, Standort, Bewirtschaftung). Mit der Einkreuzung verschwindet auch der betreffende Ökotyp als Bestandteil der Biodiversität. <br />
<br />
Der Prozess b) dürfte viel bedeutsamer sein als a), ist aber gleichzeitig viel schwieriger zu beobachten und nachzuweisen. Beide Prozesse haben nicht auf die Flora, sondern ebenso auf die Tierwelt negative Auswirkungen.<br />
<br />
Quelle: [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Leitfaden_naturgemaesse_Begruenungen_def.pdf Bosshard, A., Mayer, P., Mosimann, A., 2015. Leitfaden für naturgemässe Begrünungen in der Schweiz. S. 21.]</td> <br />
</tr> <br />
</table><br />
<br /><br />
<br />
Die Verfügbarkeit von Ökotypensaatgut regionaler Herkunft (Regiosaatgut) war ein grundlegender Fortschritt gegenüber dem früher aus dem Ausland importierten „Billigsaatgut“, das nicht nur Ökotypen aus vielen anderen Ländern enthielt, sondern teilweise sogar Zuchtformen oder auch Arten, die gar nicht in der Schweiz heimisch waren. Ein Beispiel war der Wiesenknopf (''Sanguisorba muricata''), der dem heimischen Kleinen Wiesenknopf (''Sanguisorba minor'') sehr ähnlich sieht. Andere Beispiele sind Rotklee (''Trifolium pratense'') und Hornklee (''Lotus corniculatus'') oder Fromental (Glatthafer) (''Arrhenaterum elatius''), bei denen noch bis vor wenigen Jahren regelmässig Zuchtformen verwendet wurden.<br />
<br />
=Wo lassen sich welche artenreichen Wiesentypen neu anlegen?=<br />
Artenreiche Wiesen können praktisch überall neu angelegt werden, vorausgesetzt Ansaatmethode und Saatgut sind sachgemäss auf den Standort und die zukünftige Nutzung abgestimmt. Je nach Standort und Nutzung entstehen dabei unterschiedliche Wiesentypen mit einer unterschiedlichen Artenzusammensetzung und Artenvielfalt. <br/><br />
Die wichtigsten Anwendungsbereiche für die Neuanlage artenreicher Wiesen sind Naturschutzgebiete, ehemaliges Ackerland, bisher intensiv genutzte verarmte Wiesen im Landwirtschaftsgebiet, Hochwasserschutzdämme und Gewässerräume, Böschungen von Verkehrswegen, Rasenflächen in Gärten oder Parks, neu geschaffene Umgebungen von Siedlungen, aber auch kleinflächige Objekte wie Verkehrsinseln oder kleine Gartenbereiche. <br/><br />
Besonders artenreich werden Wiesen auf relativ nährstoffarmen Standorten mit extensiver Nutzung, das heisst auf Flächen, die nicht gedüngt und nur ein- bis höchstens zweimal pro Jahr gemäht werden (Abb. 2). Bei erhöhtem Nährstoffgehalt und etwas häufigerer Mahd nimmt die Artenzahl zunehmend ab. Doch auch auf ehemals intensiv genutzten, nährstoffreichen Böden können bei sachgemässer Ausführung und Bewirtschaftung blumenreiche Wiesentypen langfristig erfolgreich angelegt werden. Sogar in Rasenflächen, die bis zu sechsmal jährlich gemäht werden, können sich viele attraktive und für Insekten wertvolle Blumenarten wie Salbei, Margerite, Brunelle, Thymian etc. langfristig halten. <br/><br />
Bei sehr nährstoffarmen Verhältnissen (z.B. Rohböden)<!--Link auf Pionierflächen, wenn vorhanden--> ist die Artenzahl und die Blühfreudigkeit der Wiesentypen etwas geringer, dafür lassen sich unter solchen Standorten besser gefährdete Arten ansiedeln. <br/><br />
Die Standortansprache, also die Beurteilung, welcher artenreiche Wiesentyp an einem gegebenen Ort angelegt werden kann, ist entscheidend für den späteren Erfolg. Doch die Standortbeurteilung bereitet oft Mühe. Es lohnt sich deshalb, für diesen ersten ausschlaggebenden Schritt eine erfahrene Fachperson beizuziehen. Sie kann für den individuellen Fall die wichtigsten Hinweise zum anzustrebenden Wiesentyp, zur richtigen Bodenvorbereitung, zur Ansaatmethode, zum geeigneten Saatgut und zu den Anforderungen an Bewirtschaftung und Pflege geben.<br />
<br />
== Die wichtigsten Wiesentypen und ihre Standorte für die Neuanlage artenreicher Wiesen==<br />
Im Wesentlichen sind folgende fünf [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie#Lebensr.C3.A4ume_des_Gr.C3.BCnlands Wiesentypen] für die Neuanlage artenreicher Wiesen bis in eine Höhenlage von maximal 1000 m ü. M. relevant (siehe [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen#Typologie_des_Gr.C3.BCnlands Kapitel «Typologie des Grünlands»]). Die Reihenfolge in der nachfolgenden Abbildung richtet sich nach einem Gradienten von trocken bis feucht und von nährstoffarm bis mässig nährstoffreich.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Wiesentypen Neuanlage de.png<br />
| text = Ökogramm mit den wichtigsten Wiesentypen, die für eine Neuanlage artenreicher Wiesen in Frage kommen. Wo es sehr trocken ist, ist die Verfügbarkeit von Nährstoffen stark eingeschränkt, weshalb es keine Wiesentypen in der Ecke oben rechts gibt.<br />
}}<br />
<br />
1. '''Trockenrasen'''<sup>13</sup> (''Xerobromion''): Dieser Wiesentyp bildet sich nur auf sehr sonnigen, heissen Standorten mit sehr mageren Böden aus (z.B. Rohböden wie Kies- oder Sandflächen). Trockenrasen sind lückig, sehr artenreich, aber oft etwas weniger blühfreudig als die Halbtrockenrasen. Trockenrasen werden oft nur jedes zweite Jahr gemäht, so dass auch verholzte niedrige Sträucher wie verschiedene Ginsterarten aufkommen können. <br/><br />
2. '''Trespen-Halbtrockenrasen'''<sup>13</sup> (''Mesobrometum''): Verbreiteter, blumen- und artenreicher Wiesentyp an sonnigen, nährstoffarmen, (zumindest schwach) humusierten Standorten. Wird jährlich im Juli geheut und im Herbst je nach Wüchsigkeit noch ein zweites Mal gemäht. Charakterarten sind das bestandesbildende Gras Aufrechte Trespe (''Bromus erectus'') und bei den Kräutern z.B. Thymian (''Thymus'' sp.), Esparsette (''Onobrychis viciifolia''), Salbei (''Salvia pratensis'') und bei schwacher Nutzung Dost (''Eupatorium cannabinum'') und Hauhechel (''Ononis'' sp.). <br/><br />
3. '''Fromentalwiese trockene Ausprägung''' (''Arrhenatheretum salvietosum''): Ziemlich artenreiche, sehr blütenreiche Wiese, die in der Regel in der zweiten Junihälfte geheut wird und danach noch 1-2 weitere Emdschnitte benötigt. Sie bildet sich auf humusreicheren, vormals oft intensiv gedüngten Böden an sonnigen Lagen aus. Charakterarten sind Salbei (''Salvia pratensis''), Wiesenbocksbart (''Tragopogon pratensis'') oder Margerite (''Leucanthemum vulgare''). <br/><br />
3a. '''"Blumenrasen"''': Auf Fromentalwiesenstandorten, also auf humusreicheren, gut mit Nährstoffen versorgten Böden auf mittleren oder trockeneren Standorten bilden sich bei sehr häufiger Mahd Rasen im gartenbaulichen Sinne aus. Wird ein Rasen alle 1-2 Wochen gemäht, überleben nur wenige Pflanzenarten, vor allem ausläufertreibende, niederwüchsige Gräser und einige Klee- und Kräuterarten. Wird die Schnittfrequenz auf maximal 5-6 Schnitte pro Jahr reduziert und die Düngung eingestellt, haben viele Arten der Fromentalwiesen und teilweise auch der Trespen-Halbtrockenrasen eine Chance, sich zu etablieren und zu reproduzieren. Dieser «Wiesentyp» wird in der Regel Blumenrasen genannt und findet zunehmend Verbreitung im Siedlungsbereich. <br/><br />
4. '''Fromentalwiesen frische Ausprägung''' (''Arrhenatheretum cirsietosum oleracei''): Ziemlich arten- und blütenreiche Wiese. Bewirtschaftung/Pflege wie bei (3). Sie bildet sich auf humusreicheren, vormals oft intensiv gedüngten Böden an schattigeren und/oder frischen bis feuchten Standorten aus. Charakterarten sind Kuckuckslichtnelke (''Lychnis floc-cuculi'') und Kohldistel (''Cirsium oleraceum''). An schattigen oder feuchten Standorten bilden sich bei sehr extensiver Nutzung (Mahd alle 2 Jahre oder jährlich im Spätherbst) Hochstaudensäume (''Filipendulion'', 4b) mit farbenprächtigen Arten wie Mädesüss (''Filipendula ulmaria''), Gilbweiderich (''Lysimachia vulgaris'') oder Blutweiderich (''Lythrum salicaria'') aus.<br/><br />
5. '''Streuwiesen''' <!---Link auf Feuchtgebiete wenn vorhanden-->(''Molinion'', ''Caricetum davallianae'' u.a.): Magere, feuchte bis vernässte Standorte sind für Wiesenneuanlagen eher selten und werden vor allem bei Naturschutzprojekten gezielt geschaffen mittels baulichen Massnahmen, z.B. bei Wiedervernässungen oder bei der [https://biodivers.ch/de/index.php/Stillgew%C3%A4sser/Bau_von_Gew%C3%A4ssern Schaffung von Weihern]. Unter diesen Standortbedingungen bilden sich niederwüchsige, teilweise sehr artenreiche Streuwiesentypen aus, die in der Regel einmal jährlich im Spät-herbst gemäht werden.<br/><br />
<br />
<small><br />
<sup>13</sup> «Rasen» wird hier in pflanzensoziologischer Terminologie verwendet und bedeutet «niederwüchsige Vegetation aus Kräutern».<br />
</small><br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = artenhaeufigkeiten wiesen de.png<br />
| text = Zusammenhang zwischen Nutzungsintensität, Ertrag und Vielfalt (Artendichte) an Pflanzenarten in Naturwiesen, schematisch; Orientierungswerte für Wiesen trockener und mesischer Standorte der kollinen bis montanen Stufe der Schweiz. Düngung und Nutzungshäufigkeit nehmen von links nach rechts zu. TS = Trockensubstanz. Der mit 1 bezeichnete Bereich entspricht in den tieferen Lagen den Trespen-Halbtrockenrasen, 2 den Fromentalwiesen. Quelle: Bosshard, A., 2016. Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas: Mit besonderer Berücksichtigung der Fromentalwiesen und des standortgemässen Futterbaus, Bristol-Schriftenreihe. Haupt Verlag, Bern. (ergänzt)<br />
}}<br />
<br />
=Standort- und Vegetationsbeurteilung=<br />
Eine grundlegende Voraussetzung für den Erfolg von artenreichen Wiesenansaaten '''ist die korrekte Standortbeurteilung'''<sup>14</sup> '''sowie die Beurteilung der vorhandenen Vegetation'''. Diese beiden Schritte bestimmen, ob und welche Massnahmen für eine Ansaat getroffen und welches Saatgut für eine erfolgreiche Durchführung gewählt werden soll, aber auch, wo eine Ansaat am meisten Sinn macht, sofern mehrere Varianten zur Verfügung stehen.<br />
<br />
<small><br />
<sup>14</sup> bzw. die künstliche Schaffung entsprechender Standortbedingungen beispielsweise mittels Bodenabtrag/Bodenaufschüttung, vgl. Kapitel [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Aufwertung_durch_Aushagerung «Aufwertung durch Aushagerung»]<br />
</small><br />
<br />
==Wo es keine Ansaaten braucht, sondern Geduld und angepasste Pflege genügen==<br />
Auf Flächen, auf denen bereits einzelne Blumen der gewünschten Arten vorhanden sind, kann unabhängig von einer Standortdiagnose oft auf eine Ansaat verzichtet werden. So weisen artenarme Naturwiesen, auch wenn sie intensiv bewirtschaftet werden, oft noch Reste von Zielarten auf, beispielsweise in Randbereichen oder an flachgründigen Stellen. Zudem sind Naturwiesen <sup>15</sup> generell deshalb wertvoll, weil die verbliebenen Arten noch aus alten, lokalen Ökotypen bestehen, so dass beim Umbruch von alten Naturwiesen generell grosse Zurückhaltung geübt werden sollte. Sie können nach und nach durch ein Ausbleiben der Düngung und ein reduzierte Mahdfrequenz – meist genügt ein zweimaliger Heuschnitt pro Jahr – wieder artenreicher werden. <br/><br />
Auch in alten Rasenflächen, die über längere Zeit nicht gedüngt wurden, wächst vereinzelt oft noch eine erstaunliche Vielfalt an Wiesenblumen wie Margeriten, Hornklee oder Salbei. Kommen solche Arten noch regelmässig vor, genügt es, den Mährhythmus stark zu reduzieren (auf maximal 6 Schnitte pro Jahr), und eine mehr oder weniger artenreiche Blumenwiese kehrt in wenigen Jahren von selbst zurück. <br/><br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = Weg_artenreicheWiese_de.png<br />
| text = Um zu klären, ob eine Ansaat nötig ist oder Abwarten vielmehr genügt, bietet das Agridea-Merkblatt [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~1425~1/3~410250~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Naturnahe-Lebensr%C3%A4ume-im-Wiesland/Der-Weg-zu-artenreichen-Wiesen/Deutsch/Print-Papier "Der Weg zur artenreichen Wiese"] eine gute Entscheidungshilfe.<br />
}}<br />
<br />
<small><br />
<sup>15</sup> Naturwiesen sind Wiesen, die seit mindestens 30 Jahren nicht mehr umgebrochen und neu angesät worden sind.<br />
</small><br />
<br />
==Botanische Aufwertung von verarmten Naturwiesen mittels Einsaaten==<br />
Ist eine Wiese beispielsweise durch intensive Nutzung einmal botanisch verarmt und weist auch keine Relikte der angestrebten Pflanzengesellschaft mehr auf, kommt die Pflanzenvielfalt auch bei wieder extensiverer Nutzung selbst nach Jahrzehnten oft nicht von selbst zurück. Dies zeigen viele Untersuchungen (z.B. Bosshard 1999, Kiehl 2010 <sup>16</sup>). Zum einen breiten sich die meisten Wiesenarten nur langsam aus, zum anderen verhindert die bestehende Grasnarbe die Etablierung neuer Pflanzenarten wirkungsvoll und ein Samenvorrat der meisten erhofften Wiesenarten fehlt, da die Samen der meisten Wiesenarten nur wenige Jahre im Boden überleben.<br />
<br />
Soll ein verarmter Wiesenbestand also wieder mit Arten angereichert werden, bleibt nichts anderes übrig, als die fehlenden Arten mit geeigneten Massnahmen wieder einzubringen <sup>17</sup>. Dabei existieren grundsätzlich drei Möglichkeiten – wobei eine angepasste Nutzung (keine Düngung, geeignetes Schnittregime u.a.) immer vorausgesetzt wird: <br />
# '''Übersaatmethode''': Alte, vergraste und blumenarme Naturwiesen, die bezüglich der Grasartenzusammensetzung aber noch einigermassen den Fromentalwiesen im engeren Sinne entsprechen, sollten nicht umgebrochen/gefräst und angesät werden. Eine Aufwertung mit einer einfachen Übersaat in den bestehenden Bestand, wie dies in intensiver genutzten Wiesen mit Futterbaumischungen gemacht wird, funktioniert mit Wiesenblumensaatgut nicht. Dagegen gibt es zwei etwas aufwändigere Übersaatmethoden, die ohne Umbruch funktionieren. Zum einen lassen sich Wiesenblumenarten ansiedeln, indem über mehrere Jahre hinweg gesammeltes Saatgut ausgewählter Arten der Umgebung gezielt oberflächlich auf Blössen (Narbenschäden, Maushaufen, gezielt verursachte Öffnungen etc.) ausgebracht wird. Die andere Möglichkeit besteht darin, über mehrere Jahre das frische Erntegut von blumenreichen Heuwiesen (Fromentalwiesen) auf der aufzuwertenden Fläche zu trocknen. Die ausfallenden Samen führen nach einigen Jahren zu einer deutlichen Zunahme der Arten- und Blumenvielfalt. Voraussetzung ist allerdings, dass eine geeignete Heuwiese als Spenderwiese auf dem Betrieb oder in der Nachbarschaft vorhanden ist. Mit diesen beiden Methoden wird die bestehende Pflanzen-/Boden-Garnitur und -Struktur nicht unnötig zerstört und die noch vorhandenen Ökotypen der bestehenden Naturwiese bleiben erhalten. Allerdings brauchen sie viel Geduld, sind ziemlich aufwändig und gelingen nur auf Standorten mit eher tiefem Nährstoffniveau.<br />
# '''Streifensaat'''. Diese Methode ist einfacher und sicherer und erlaubt es ebenfalls, die gewünschten Arten wieder in den Bestand zu bringen, ohne dass die ganze bestehende Naturwiese eliminiert werden muss. Dazu werden in einem Abstand von 15-20 m Streifen von 3-6 m Breite mit einer zapfwellengetriebenen Egge (z.B. Kreiselegge) oder auch einer Gartenfräse in die bestehende Wiese gefräst. Meist ist eine mindestens 3-malige Wiederholung im Abstand von ca. 2 Wochen nötig, bis die alte Vegetation vollständig abgestorben ist. Im Frühling können die vegetationsfreien, gut abgesetzten Streifen mit geeignetem Saatgut oder einer Direktbegrünung angesät. Je breiter die Streifen sind, desto eher lassen sich Schäden durch Schnecken reduzieren. Von den angesäten Streifen aus können dann die dort etablierten Arten nach und nach in den umliegenden Bestand auswandern, sofern Bodenheu gemacht und das Heu mit dem Kreiselheuer über die Fläche verteilt wird. <br />
# '''Ganzflächige Ansaat''': Ist der Ausgangsbestand keine erhaltenswerte Naturwiese, empfiehlt es sich, die bestehende Wiesenvegetation ganzflächig durch Pflügen und anschliessendes Eggen, oder allein durch mehrmaliges Eggen mit einer zapfwellengetriebenen Kreiselegge (oder ähnlichem Gerät), vollständig zu entfernen. Details zu einer erfolgreichen Saatbettbereitung und Ansaat siehe Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Standort-_und_Vegetationsbeurteilung «Standort- und Vegetationsbeurteilung»].<br />
<br />
<small><br />
<sup>16</sup> Plant species introduction in ecological restoration: Possibilities and limitations. Basic and Applied Ecology 11/4, 281-284<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>17</sup> vgl. dazu insbesondere [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~1425~1/3~410250~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Naturnahe-Lebensr%C3%A4ume-im-Wiesland/Der-Weg-zu-artenreichen-Wiesen/Deutsch/Print-Papier Agridea-Merkblatt «Der Weg zu artenreichen Wiesen»] sowie Huguenin-Elin et al. 2012<br />
</small><br />
<br />
==Welche Flächen eignen sich (nicht) für Neuansaaten?==<br />
Mittels Ansaaten können auf fast jedem Standort (Boden, Exposition, Höhenlage etc.) artenreiche, stabile Wiesen erfolgreich wieder etabliert werden – vorausgesetzt, es werden die richtigen Arten und Ökotypen fachgerecht angesät und die anschliessende Pflege erfolgt dem Pflanzenbestand angepasst.<br />
<br />
'''Generell gilt''': Auf mageren sonnigen Standorten können sich mehr Pflanzen- und Tierarten und auch seltenere Arten entwickeln als auf nährstoffreicheren oder schattigeren Flächen. Auf sehr armen trockenen Böden nimmt die Artenvielfalt natürlicherweise wieder ab ([https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Die_wichtigsten_Wiesentypen_und_ihre_Standorte_f.C3.BCr_die_Neuanlage_artenreicher_Wiesen siehe Abbildung zu Artenreichtum]), und die Ansaat gestaltet sich oft schwierig, insbesondere auf kiesigen Rohböden mit geringem oder fehlendem Feinkornanteil (Sand, Schluff, Ton).<!-- nicht veröffentlichen wegen Empfehlung Humusierung: Südexponierte oder schattige Lagen verschärfen die Situation noch. Besteht Erosionsgefahr, ist bei reinen Kiesflächen die Beimischung eines geringen Humusanteils zu empfehlen, damit sich eine geschlossene Pflanzendecke entwickeln kann.--><br />
<br />
'''Weniger geeignet bzw. schwierig für die Neuansaat artenreicher Wiesen sind''': <br />
* '''Schattige Standorte'''. Solche sind von Natur aus meist arten- und blumenärmer als Wiesen an besonnten Lagen. Zudem können Schnecken den Keimlingen, vor allem der Wiesenblumen, an solchen Standorten besonders zusetzen. Dieser teilweise unterschätzte Faktor wird noch verschärft, wenn die Ansaatflächen an solchen Standorten klein oder schmal sind und deshalb von den Schnecken vom Rand her leichter aufgesucht werden können. Tipp: Anzusäende Flächen, die von bestehenden Wiesen oder Gehölzen umgeben sind, sollten nicht schmaler als 6 m und kleiner als eine Are (10x10m) sein.<br />
* '''Entwässerte Moorböden'''. Auf solchen Böden werden durch den Abbau des Torfs so viele Nährstoffe freigesetzt, dass rasch wenige Arten zur Dominanz gelangen und die meisten der angesäten Arten verdrängen. Unter dieser (seltenen) Voraussetzung lohnen sich artenreiche Ansaaten in der Regel nicht. Ökologisch aufgewertet werden können sie jedoch mit einer Vernässung<!--Link auf Feuchtgebiete-->.<br />
* '''«Verunkrautete“ Flächen»''': Auf Standorten, die vorher mit Stumpfblättrigem Ampfer («Blacke», (''Rumex obtusifolius'')) verunkrautet waren, ist Vorsicht geboten. Blackensamen bleiben viele Jahrzehnte keimfähig im Boden. Auch wenn auf einer Fläche vor der Ansaat keine Blacken sichtbar sind, können Blackensamen beim Pflügen oder auch Eggen von Wiesland aus einer früheren Verunkrautung in grosser Zahl keimen. Die Bekämpfung dieser Problemart kann sehr aufwändig sein <sup>18</sup>. Als weitere Problemarten sind Ackerkratzdisteln und einige wenige invasive Neophyten zu nennen, insbesondere Goldruten und einjähriges Berufskraut. Was die genannte, ausläufertreibende Distelart anbelangt, deren Blüten übrigens für Bienen und Schmetterlinge sehr attraktiv sind, verschwindet sie bei regelmässiger Mahd meist von selbst wieder. Die genannten Neophyten dagegen sollten von Beginn weg konsequent eliminiert („gezupft“) werden. Praktisch alle anderen Pflanzenarten, die landläufig als Unkraut bezeichnet werden, sind bei einer fachgerechten Pflege kein Problem für die gewünschte Entwicklung des Wiesenbestandes. Das gilt insbesondere für die im Ansaatjahr oft massenweise auftretenden einjährigen Ackerbeikräuter wie Gänsefuss (''Chenopodium'' sp.) oder Ackerhirsen (''Echinochloa crus-galli'', ''Setaria spp.'', ''Panicum spp.''). Sie verschwinden alle bereits im zweiten Jahr nach der Ansaat von selbst.<br />
<br />
<small><br />
<sup>18</sup> Der Umgang mit Flächen, die einen hohen Blackendruck aufweisen, kann hier nicht weiter vertieft werden.<br />
</small><br />
<br />
==Standortbeeinflussung==<br />
Besteht in einem Ansaatprojekt die Möglichkeit, die Bodeneigenschaften zu beeinflussen, können folgende Massnahmen ins Auge gefasst werden, um – in der Regel – nährstoffärmere Bedingungen zu schaffen (Reihenfolge mit abnehmender Wirksamkeit und abnehmenden Kosten): <br />
# Oberbodenabtrag (meist A-Horizont, ggf. auch B-Horizont),<br />
# Aufschüttung eines nährstoffarmen Substrates auf oder Einarbeitung desselben in den bestehenden Boden – meist Kies oder Sand – wobei es für die Aufschüttung meist eine Schicht von mindestens 30 cm braucht, <br />
# Ausmagerung, beispielsweise durch die Kultur eines Starkzehrers wie Mais oder Raygras. Die Wirksamkeit dieser Methode ist allerdings umstritten. Eine deutlich stärkere Reduktion verfügbarer Nährstoffe wird allein dadurch erreicht, indem vor der Ansaat der Boden möglichst nicht mehr gewendet oder bewegt wird (Verhinderung der oxidativen Nährstoffmobilisation, s. Bosshard 1999). Dies ist auf wenig verunkrauteten Ackerflächen möglich, indem die Ansaat ohne Bodenbearbeitung direkt in die Stoppelbrache erfolgt.<br />
<br />
Ebenso besteht überall dort, wo der Boden neu aufgesetzt wird wie z.B. bei Bauprojekten, die Möglichkeit, den Boden so zu „designen“, dass er standörtlich der Zielvegetation am besten entspricht.<br />
<br />
Weitere Standortfaktoren können beispielsweise durch die Gestaltung des Geländes (Exposition, Grundwassereinfluss etc.) oder durch Reduktion von Schatteneinflüssen (Waldrandstufung, zurückschneiden von Hecken etc.) zugunsten der angestrebten Wiesentyps gezielt beeinflusst werden.<br />
<br />
<br />
Tabelle: Vereinfachter Entscheidungsbaum für die Wahl der geeigneten Ansaat in Lagen unterhalb 1000 m ü. M. (Quelle: In Anlehnung an Bosshard 2000, [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2017/08/Wiesenrenaturierung_NuL_2000.pdf Blumenreiche Heuwiesen aus Ackerland und Intensiv-Wiesen. Eine Anleitung zur Renaturierung in der landwirtschaftlichen Praxis. Naturschutz und Landschaftsplanung 32/6, 161-171]. Zur Bestimmung der Wiesentypen siehe [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen#Typologie_des_Gr.C3.BCnlands Kapitel «Typologie des Grünlands]<br />
<br />
{| class="wikitable" <br />
|-<br />
! colspan="2"|Typ <br />
! Beschreibung<br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | '''1a'''<br />
| Boden eher bis sehr tiefgründig, bisher mittel bis sehr intensiv genutzt (oder Phosphor über 100 ppM), mit ausgeglichenem Wasserhaushalt: -> Zielvegetation typische Fromentalwiese (Arrhenatheretum). Details siehe Text.<br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;"| '''1b'''<br />
| Boden flachgründig oder durchlässig (kiesig, sandig) oder Standort sehr trocken oder nährstoffarm aufgrund bestehender Vegetation (Ertrag < 30 dt/J); an sonniger Lage: <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | 1b1<br />
| Boden kalkhaltig oder pH >6: -> Zielvegetation typische Trespen-Halbtrockenrasen (Mesobrometum). Zur Wahl der Ansaat siehe Text.<br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | 1b2<br />
| weitgehend fehlender Kalkgehalt bzw. pH <6: -> Zielvegetation Rotschwingel-Straussgraswiese (Festuca-Agrostion), ev. Borstgrasrasen (ab 600 m ü. M. (Nardion)); Direktbegrünung, kein geeignetes Standardsaatgut verfügbar. <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | '''1c'''<br />
| Wie 1b, aber schattige Lage: <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | 1c1<br />
| Eher trockener Standort (vorwiegend Nordexposition, Beschattung durch Waldrand u.ä.): -> Zielvegetation Rotschwingel-Straussgraswiese (Saatgut s. 1c1), <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | 1c2<br />
| wie 1c1, aber bei Niederschlägen >1200 mm/J und mind. leichtem Bodenkalkgehalt bzw. pH >6: -> Rotschwingel-Straussgraswiese (s. 1c1) oder magere Variante einer feuchten Fromentalwiese mittels Direktbegrünung oder Standardsaatgut Humida. <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | '''1d'''<br />
|Boden zur Vernässung neigend (wechseltrocken):<br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | 1d1<br />
| Boden eher tiefgründig und/oder eher nährstoffreich: -> Zielvegetation frische Fromentalwiese, Saatgut über Direktbegrünung oder mit Standardsaatgut Humida <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | 1d2 <br />
| Boden mager oder flachgründig: -> Streuwiesengesellschaften durch Direktbegrünungsverfahren (kein geeignetes Standardsaatgut auf dem Markt). Pflanzensoziologische Detailabklärungen nötig zur Wahl geeigneter Spenderflächen (Molinion, Caricion u.a.) <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | '''1e'''<br />
| Boden vernässt bzw. wechselnass: Wie 1d2.<br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | '''1f'''<br />
| Rohboden: -> Zielvegetation: Ruderalflora oder lückiger Trespenrasen (s. Text); je nach Situation auf Ansaat verzichten, Ansaat einer Ruderalflora-Mischung, oder (sofern Boden kalkhaltig) Direktbegrünung mit Trespen-Halbtrockenrasen (Mesobrometum) bzw. Trockenrasen (Xerobrometum) sofern verfügbar. Kleinflächen: Anpflanzung von Einzelpflanzen prüfen. <br />
|}<br />
<br />
=Saatgut: Richtige Artenzusammensetzung, richtige Herkunft=<br />
Standörtliche/geographische Herkunft, Qualität und Zusammensetzung des Saatgutes sind eine ausschlaggebende Voraussetzung für den Erfolg bei einer Neuanlage oder Wiederherstellung artenreicher Wiesen. Auch im Hinblick auf die Biodiversität spielen die Zusammensetzung und Herkunft des Saatgutes eine zentrale Rolle.<br />
<br />
In diesem Kapitel werden die verschiedenen Saatguttypen mit ihren Vor- und Nachteilen sowie die vorhandenen Anbieter in der Schweiz beschrieben. Eine einfache erste Entscheidungshilfe, wo welcher Saatguttyp am besten geeignet ist, liefert die Entscheidungsmatrix (siehe Tabelle unten). Weiterführende Informationen zu den einzelnen Saatguttypen und ihren Anwendungsmöglichkeiten enthält der [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Leitfaden_naturgemaesse_Begruenungen_def.pdf Leitfaden für naturgemässe Begrünungen, Kap. 6 (s. 39 ff.)].<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = tab bossh de.png<br />
| text = '''Entscheidungsmatrix für die Saatgutwahl bei Begrünungen in der Schweiz'''. Eine Saatgutwahl nach dieser Matrix ist konform mit dem Natur- und Heimatschutzgesetz sowie mit der Biodiversitätskonvention. Die zuerst genannten Verfahren sind aus ökologischer Sicht vorzuziehen. Angaben in Klammern: Verfügbarkeit des Saatgutes je nach Region eingeschränkt. '''A''' = Autochthones Saatgut oder Pflanzenmaterial (ausgebracht über Heugrassaat, Sodenverpflanzung oder ähnliche Verfahren), '''W''' = Wildpflanzensaatgut (Regio-Saatgut), '''Z''' = Regel-Handelssaatgut. <br/><br />
Quelle: Leitfaden für naturgemässe Begrünungen in der Schweiz - Mit besonderer Berücksichtigung der Biodiversität, Bosshard A., Mayer P., Mosimann A., 2015 <br />
}}<br />
<br />
==Direktbegrünungsverfahren==<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = direktbegruenungsverfahren de.png<br />
| text = Vergleich der Begrünungsverfahren. Quelle: Bosshard, A., Mayer, P., Mosimann, A., 2015. Leitfaden für naturgemässe Begrünungen in der Schweiz. Mit besonderer Berücksichtigung der Biodiversität. Ö+L Ökologie und Landschaft GmbH.<br />
}}<br />
<br />
Direktbegrünungsverfahren sind für die Erhaltung der Biodiversität in der Regel deutlich besser als der Einsatz von [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Standardsaatgut_und_Direktbegr.C3.BCnung_.E2.80.93_eine_Begriffskl.C3.A4rung Standardsaatgut]. Bei Ansaaten auf Flächen mit Naturschutzcharakter sollten generell Direktbegrünungen, also Mahdgutübertragung oder autochthones Saatgut aus dem Sack, eingesetzt werden und nur im Ausnahmefall (z. B. für extensive Vernetzungsflächen, die nicht direkt Naturschutzflächen sind) Standardsaatgut.<br />
<br />
Die Ansaatmethode der Direktbegrünung bzw. mit sog. autochthonem Saatgut wird oft als Wiesenkopierverfahren bezeichnet. Statt einzelne Arten zu vermehren, in Monokulturen anzubauen und dann als definierte Mischungen auf den Markt zu bringen, werden die Samen, welche in artenreichen Wiesen, den sogenannten '''Spenderflächen''', jedes Jahr produziert werden, direkt, ohne Zwischenvermehrung, genutzt. Die Ansaat dieser Samen auf die '''Ansaat- oder Empfängerfläche''' sollte möglichst in engem räumlichem Umkreis, im Idealfall lokal, d.h. im Umkreis von beispielsweise 15 km, erfolgen. Deshalb wird auch von lokalem Saatgut gesprochen <sup>19</sup>.<br />
<br />
Ebenso wichtig wie dieses Prinzip '''«Aus der Region für die Region»''' ist das Prinzip '''Standortäquivalenz''': Spenderfläche und Ansaatfläche müssen sich standörtlich, also bezogen auf den Bodentyp, die Höhenlage, die Exposition, die Nutzung/Pflege etc., so weit als möglich entsprechen (vgl. dazu die Entscheidungshilfe von [https://www.regioflora.ch/de/startseite-de/ Regio Flora]).<br />
<br />
Direktbegrünungsverfahren wurden in den letzten Jahren in der Schweiz, aber auch im Ausland <sup>20</sup> stark weiterentwickelt und verbessert und funktionieren mittlerweile bei fachgemässer Ausführung zuverlässig und erfolgreich.<br />
<br />
Heute wird von einigen Firmen autochthones Saatgut für die meisten Teile der Schweiz angeboten <sup>21</sup>. Die von Pro Natura initiierte und zusammen mit Info Flora, AGRIDEA und verschiedenen Kantonen aufgebaute Plattform [https://www.regioflora.ch/de/startseite-de/ Regio Flora] beschreibt die Methoden von Direktbegrünungen, gibt ausführliche Literaturhinweise und enthält auch eine Zusammenstellung von verschieden Samenanbietern und Fachpersonen. RegioFlora unterhält auch eine – derzeit allerdings je nach Region noch lückenhafte – [https://www.regioflora.ch/app/de/index.html Spenderflächendatenbank], die Nutzern helfen soll, eine geeignete Spenderfläche für eine Direktbegrünung zu finden.<br />
<br />
Entscheidend für Direktbegrünungsverfahren ist eine gute Zusammenarbeit mit den Besitzern und vor allem den Bewirtschaftern der Spenderflächen. Denn dank ihnen ist die gesuchte Artenvielfalt in diesen Flächen noch vorhanden. Die Nutzung einer Wiese als Spenderfläche bedeutet für die Bewirtschafter oft eine besondere Wertschätzung. Ihnen diese Wertschätzung bei einer Nutzung entgegenzubringen genügt aber nicht. Für die Erlaubnis, eine Ernte durchführen zu können, ist eine Entschädigung, die über den anfallenden Mehraufwand hinausgeht, angemessen.<br />
<br />
<small><br />
<sup>19</sup> Anmerkung: Bei der Sodenversetzung, die ebenfalls zu den Direktbegrünungsverfahren gezählt wird, gilt dasselbe, wobei anstelle von Samen ganze Vegetationsstücke inkl. der obersten Bodenschicht übertragen werden.<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>20</sup> Siehe ausführliche Literaturliste z.B. bei [https://www.regioflora.ch Regio Flora] und [https://www.holosem.ch/ HoloSem].<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>21</sup> Umfangreiche Informationen zum aktuellen Angebot auf [https://floretia.ch/ Floretia], wo neben autochthonem auch das Angebot von regionalem Vermehrungssaatgut aufgelistet ist. <br />
</small><br />
<br />
==Die verschiedenen Direktbegrünungsverfahren im Detail==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = agridea_verfahren_de_400dpi.png<br />
| text = Die neben der Mahdgutübertragung weiteren Methoden im Vergleich. Quelle: "Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft" (Hrsg.: Agridea, 2015)<br />
}}<br />
<br />
===Mahdgutübertragung===<br />
Die Spenderfläche wird zum Zeitpunkt der optimalen Samenreife der meisten Arten (Teigreife) in feuchtem Zustand gemäht <sup>22</sup> und das ganze Material auf die Ansaatfläche übertragen, meist etwa im Umfang 1:1. Die Praxis der Mahdgutübertragung wird im Merkblatt [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~2591~1/3~410210~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Naturnahe-Lebensr%C3%A4ume-im-Wiesland/Direktbegr%C3%BCnung-artenreicher-Wiesen-in-der-Landwirtschaft/Deutsch/Print-Papier «Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft» (Agridea 2015)] detailliert beschrieben (s. auch [https://www.youtube.com/watch?v=IsI8ivNB9u0 FiBL-Infofilm]). Der Vorteil dieser Methode liegt in ihrer Durchführung mit Geräten, die auf jedem Landwirtschaftsbetrieb existieren, und den relativ geringen Kosten, wenn der Landwirt die Arbeiten selber durchführen kann. Zudem werden so auch Kleintierarten und Moose auf die Ansaatfläche übertragen, und die Mahdgutauflage schafft einen ersten Erosionsschutz und verbessert die Keimungsbedingungen.<br />
<br />
Nachteile sind eine oft schwierige Logistik, ein relativ grosser Zeitaufwand und vor allem, dass das Ausbringen des Mahdgutes sogleich nach der Ernte im Sommer durchgeführt werden muss. Zum einen ist Sommer als Ansaatzeitpunkt oft nicht optimal, zum anderen stehen viele Flächen, beispielsweise bei Bauprojekten, nicht genau dann zur Ansaat bereit, wenn das Erntegut anfällt und ausgebracht werden muss. Ein weiterer Nachteil ist, dass verschiedene Erntezeitpunkte und verschiedene Spenderflächen nur beschränkt und mit stark erhöhtem Aufwand kombiniert werden können.<br />
<br />
<small><br />
<sup>22</sup> Ideal ist eine Mahd mit Messerbalken oder mit Sense. Es können aber je nach Verfügbarkeit und Zugänglichkeit der Fläche auch Saugmulcher eingesetzt werden, die in einem Arbeitsgang das Mähgut mähen und einsaugen. Dabei wird aber ein Grossteil der Kleintierfauna getötet, der erwähnte Vorteil einer Übertragung von Tieren fällt damit weg.<br />
</small><br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Mahdgutuebertragung 96 dpi.jpg<br />
| text = Mahdgutübertragung<br />
}}<br />
<br />
===Wiesendrusch===<br />
Das Saatgut wird auf der Spenderfläche mit einem Mähdrescher mit spezieller Einstellung geerntet. Die Methode funktioniert allerdings nur auf flachem Gelände, während die meisten nicht angesäten und damit für Direktbegrünungen in Frage kommenden Spenderflächen an Hängen liegen. Zudem werden einzelne Arten technisch kaum erfasst. Vorteile liegen in der relativ grossen Flächenleistung. Zudem kann das Saatgut verschiedener Wiesen und Erntezeitpunkte mit geringem Aufwand gemischt und das Saatgut bis 2 oder 3 Jahre (je nach Lagerung) nach der Ernte zu einem beliebigen Zeitpunkt ausgesät werden. In der Schweiz liegen erst wenige Erfahrungen mit dieser Methode vor, vor allem durch Untersuchungen der landwirtschaftlichen Fachhochschule HAFL in Zollikofen bei Bern. Als erste Firma bietet Regiosaat.ch seit 2019 autochthones Saatgut aus Wiesendrusch auf dem Markt an.<br />
<br />
Eine Abwandlung des Wiesendruschs stellt der Heudrusch® dar, eine von Joe Engelhardt in Deutschland entwickelte und praktizierte Methode, bei der das feuchte Erntegut wie bei der Mahdgutübertragung geerntet wird, dann aber statt direkt übertragen mit einer speziellen Infrastruktur getrocknet und ausgedroschen wird.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Ernte_mit_Maehdrescher 96 dpi.jpg<br />
| text = Sammeln von Saatgut mit dem Mähdrescher.<br />
}}<br />
<br />
===Seedbrushing===<br />
Bei dieser Methode werden die Samen mit speziellen Bürstenmaschinen aus dem stehenden Pflanzenbestand geerntet. Die Methode ist weniger schlagkräftig als der Wiesendrusch, es können aber mit den Geräten der neuesten Generation auch steile, vernässte oder topographisch schwierige Spenderflächen beerntet werden. Zudem erlaubt die Methode je nach verwendetem Gerät eine sehr individuelle Nutzung, indem einzelne Arten spezifisch beerntet oder auch ausgeschlossen werden. Bei zu dichten oder zu hohen Beständen sind der Methode aber Grenzen gesetzt, beispielsweise bei nährstoffreicheren Fromentalwiesen oder Hochstaudenfluren. Wie beim Wiesendrusch können verschiedene Spenderflächen und Erntezeitpunkte mit geringem Aufwand kombiniert und so die Artenzusammensetzung des Saatgutes optimiert werden <sup>23</sup>. Ebenso ist der Ansaatzeitpunkt flexibel. Die Methode wird in der Schweiz derzeit nur von [http://www.agraroekologie.ch/ Ö+L] angeboten. Die Firma hat dazu ein eigenes Gerät, den [http://www.holosem.ch/ebeetle/angebot/ eBeetle], entwickelt.<br />
<br />
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<sup>23</sup> Dies gilt selbstredend nur dann, wenn alle kombinierten Spenderflächen aus derselben Kleinregion und von demselben Wiesentyp vergleichbarer Standorte stammen.<br />
</small><br />
<br />
===Weitere Verfahren===<br />
Neben den drei erwähnten Hauptmethoden gibt es weitere, allerdings deutlich weniger schlagkräftige und damit nur kleinflächig anwendbare oder die obigen Verfahren ergänzende Methoden der Direktbegrünung. Dazu gehören:<br />
<br />
'''Sammeln von Hand''' <br/><br />
Natürlich können die gewünschten Arten in den Spenderflächen auch von Hand geerntet werden. Dies erlaubt zwar eine sehr gezielte und individuelle Beerntung einzelner Arten zum optimalen Reifezeitpunkt der Samen (die je nach Art in der Regel bei der Teigreife einsetzt), ist aber sehr zeitaufwändig und nur für kleine Flächen realistisch. Handernte kann allerdings zur Ergänzung beispielsweise von Wiesendrusch oder von Mahdgutübertragungen eine wichtige Rolle spielen, indem Samen von Pflanzenarten damit effizient ergänzt werden können, die aus verschiedenen Gründen (Reifezeitpunkt, nur sehr vereinzeltes Vorkommen etc.) nicht übertragen bzw. maschinell nicht geerntet werden.<br />
'''Sammeln mit tragbaren Kleingeräten''' <br/><br />
Es existieren auf dem Markt Sauger und andere tragbare Techniken, mit denen das Saatgut aus dem stehenden Bestand der Spenderwiese geerntet werden kann. Diese Methoden sind aber nur wenig schlagkräftig und ebenfalls nur für kleine Flächen geeignet. Gegenüber einer Handernte bieten sie nur in speziellen Fällen wirklich Vorteile. In der Schweiz werden solche Geräte nur sehr punktuell angewendet.<br />
<br />
'''Heublumen''' <br/><br />
Diese Methode war bis Mitte des letzten Jahrhunderts das übliche Verfahren bei der Verbesserung oder Neuanlage von Wiesen. Dabei wird der Samenausfall aus dem Heustock gesammelt und direkt ausgesät. Da bis in die 1950er Jahre fast nur artenreiche Wiesen existierten (Bosshard 2016 <sup>24</sup>), hat diese Methode damals ausgezeichnet funktioniert. Heute bestehen Heublumen vor allem aus Samen von artenarmen Fett- und Intensivwiesen und beinhalten oft viele unerwünschte Arten wie Blacken oder Disteln, so dass von dieser Methode in aller Regel dringend abgeraten werden muss.<br />
<br />
'''Sodenversetzung''' <br/><br />
In denjenigen Fällen, wo ein artenreicher Wiesenbestand zerstört und nachher wiederhergestellt werden soll, eignet sich die Methode der Sodenversetzung bzw. Sodenschüttung besonders gut. Dabei wird die Ursprungsvegetation mit dem Bagger als grosse Rasenziegel gelagert und nach dem Bau wieder auf die zu begrünende Fläche aufgetragen. Am meisten Erfahrungen mit dem Verfahren bestehen im Kanton Graubünden, wo vor allem beim Strassenbau und bei Meliorationsprojekten die Sodenversetzung heute zur hauptsächlich angewandten Methode gehört.<br />
<br />
'''Spontanbegrünung''' <br/><br />
Überall dort, wo noch artenreiche Flächen mit den Zielarten in der näheren Umgebung vorhanden oder in der Samenbank des Bodens zu erwarten sind, kommt auch eine Spontanbegrünung in Betracht. Bei dieser Methode wird nichts angesät, sondern einfach gewartet, bis sich die passenden Arten von selbst wieder etablieren. Die Methode kann vor allem im Berggebiet empfohlen werden, sofern nur kleine bzw. wenige Meter breite Flächen zu begrünen sind und sofern in der unmittelbaren Umgebung noch artenreiche Wiesen vorhanden sind (Distanz <20 m).<br />
<br />
<small><br />
<sup>24</sup> Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas. Bosshard A. 2016. Haupt-Verlag, Bern. 265 S. [https://issuu.com/haupt/docs/9783258079738Inhaltsübersicht, Zusammenfassung und Leseprobe S. 1-34]. <br />
</small><br />
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{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Saatguternte_Mesobr_mit_eBeetle 96 dpi.jpg<br />
| text = Saatguternte mit dem eBeetle.<br />
}}<br />
<br />
==Hohe Anforderungen an die Planung==<br />
Bei den Methoden «Mahdgutübertragung» bis «Sammeln von Hand» ist eine sorgfältige Planung essentiell. Da die Ernte nur im lokalen Rahmen erfolgt, ist oft kein geeignetes Saatgut an Lager, sondern dieses wird, v.a. bei grösserem Bedarf, spezifisch «on demand» produziert. D.h. es muss bis spätestens im Mai klar sein, welcher Saatgutbedarf für welche Lokalitäten und Standortbedingungen besteht. Wenn also im Frühjahr, dem optimalen Aussaatzeitpunkt, angesät werden soll, muss die Ernte bereits im Sommer des Vorjahres erfolgt sein.<br />
<br />
==Weitere Informationen zu den Direktbegrünungsverfahren ==<br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~2591~1/3~410250~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Naturnahe-Lebensr%C3%A4ume-im-Wiesland/Direktbegr%C3%BCnung-artenreicher-Wiesen-in-der-Landwirtschaft/Deutsch/Print-Papier Agridea-Wegleitung «Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft» (2015)]<br />
* [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Leitfaden_naturgemaesse_Begruenungen_def.pdf «Leitfaden für naturgemässe Begrünungen»]<br />
* Kirmer A., Krautzer B., Scotton M., Tischew S. (Hrsg.) 2012: Praxishandbuch zur Samengewinnung und Renaturierung von artenreichem Grünland. Lehr- und Forschungszentrum Raumberg-Gumpenstein.<br />
* [https://www.regioflora.ch/de/startseite-de/ Regio Flora, Förderung der regionalen Vielfalt im Grünland]<br />
* [http://www.holosem.ch/ HoloSem®]<br />
* [https://www.regiosaat.ch/ www.regiosaat.ch]<br />
* [https://www.conservationevidence.com/actions/133 Conservation Evidence] (englische Seite mit vielen wissenschaftlichen Hintergrundinformationen aus verschiedenen Studien)<br />
<br />
==Anwendung und Bezug von Blumenwiesen-Standardsaatgut==<br />
In Regionen, in denen zu wenig qualitativ hochwertige Spenderflächen existieren, oder wo aus anderen Gründen keine Direktbegrünungen möglich sind, ist artenreiches Wiesenblumensaatgut mit Ökotypen aus der betreffenden Biogeographischen Region (s. Abb. 1) eine gute Alternative.<br />
<br />
In der Schweiz bieten folgende Firmen geprüftes Blumenwiesen-Standardsaatgut an: [https://www.ufasamen.ch/ Ufa], [https://www.hauenstein.ch/de/ Hauenstein], [http://www.sativa-rheinau.ch/ Sativa] und [https://www.ericschweizer.ch/ Schweizer Samen]. Das grösste Angebot haben Ufa und Hauenstein, Saatgut in Bio-Qualität bietet Sativa. Einige der angebotenen Mischungen wechseln fast jährlich, und es ist entsprechend zu empfehlen, jeweils aktuell die Web-Informationsseiten oder die reich bebilderten Prospekte der betreffenden Firmen zu konsultieren, um die für den jeweiligen Anwendungszweck am besten geeignete Blumenwiesenmischung zu bestimmen.<br />
<br />
Beim Kauf ist unbedingt darauf zu achten, aus welcher biogeographischen Region das Saatgut stammt. Die Angabe, dass das Saatgut aus Schweizer Ökotypen besteht, genügt nicht, weil solches Saatgut oft ein Gemisch aus Herkünften verschiedener biogeographischer Regionen ist. Noch immer sind verbreitet Mischungen auf dem Markt, bei denen nur der Wiesenblumenanteil aus einheimischen Ökotypen besteht, während der Gräseranteil, der oft weit über 90% des Saatgutanteils ausmacht, nicht spezifiziert ist und dann in der Regel aus dem Ausland stammt und nicht selten auch Zuchtsorten enthält. Solches Saatgut ist deutlich kostengünstiger, aber aus den in der [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Einleitung Einleitung] erläuterten Gründen nicht zu empfehlen bzw. je nach Anwendungsbereich nicht rechtskonform.<br />
<br />
Von den meisten artenreichen Mischungen besteht nur Saatgut mit Ökotypen aus der Biogeographischen Region Mittelland. Solches Saatgut sollte nicht im Jura, im Berggebiet oder in der Südschweiz ausgebracht werden. In diesen Regionen kommt für die meisten Anwendungszwecke mangels eines entsprechenden Standardsaatgutangebotes nur autochthones Saatgut in Frage.<br />
<br />
Einige wenige Kantone (z.B. [https://lawa.lu.ch/-/media/LAWA/Dokumente/Landwirtschaft/Biodiversitaetsfoerderflaechen/Merkblaetter/MB_Blumenwiese_Neuansaat.pdf LU] und [https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/dfr/dokumente_3/landwirtschaft_2/umweltprojekte/naturnahe_landwirtschaft_1/merkblaetter_labiola/20_Labiola_MB_Saat_und_Pflanzug_okt16.pdf AG]) haben für den Landwirtschaftsbereich in Zusammenarbeit mit dem Handel kantonal angepasste Blumenwiesenmischungen entwickelt. Diese weichen teilweise in der Artenzusammensetzung leicht ab von den gängigen Mischungen, teilweise stammt das Basissaatgut einzelner Arten aus dem betreffenden Kanton. Der Bezug erfolgt teils über den Handel, teils über den Kanton bzw. von ihm beauftragte Stellen.<br />
<br />
== Qualitätssicherung ==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Bosshard_NEAT_Amit_HoloSem_Saatgut_angesaet_zg 96 dpi.jpg<br />
| text = Gemäss HoloSem-Standard frisch angesäte Böschung.<br />
}}<br />
Die im Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Herkunft_des_Saatgutes:_Empfehlungen.2C_Standards_und_rechtliche_Vorgaben «Herkunft des Saatgutes»] erwähnten Empfehlungen von Info Flora und RegioFlora, im Hinblick auf die Auswahl des Basissaatgutes bzw. der Spenderflächen und die räumliche Ausbreitung des Saatgutes, betreffen sowohl Standardsaatgut wie Direktbegrünungen.<br />
<br />
Was das Standardsaatgut anbelangt einigten sich die Schweizer Saatgutfirmen in einem mehrjährigen Prozess in den 1990er Jahren zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft für den Futterbau und der Forschungsanstalt Reckenholz auf eine Vereinbarung, welche die Empfehlungen von Info Flora (damals SKEW) berücksichtigt. Die Samenfirmen erklärten sich bereit, nur einheimische CH-Ökotypen für Blumenwiesenmischungen zu verwenden, den Forschungsanstalten die für die Ernte vorgesehenen Felder mit den geforderten Angaben (z.B. Herkunft des Ursprungssaatgutes, Parzellengrösse) zu melden, und die Vermehrungen stichprobenweise durch die Forschungsanstalten überprüfen zu lassen. Allerdings wird diese Vereinbarung nur für den Wiesenblumenzusatz des Saatgutes eingehalten, der Gräseranteil stammt v.a. bei Mischungen, die im Verkehrsbau verwendet werden, bis heute noch häufig aus ungeprüftem Saatgut aus dem Ausland.<br />
<br />
Für Direktbegrünungen existiert neben den Empfehlungen von Info Flora/RegioFlora ein von der Branche selber entwickelter Qualitätsstandard [http://www.holosem.ch/begruenungen/holosem-standard/ HoloSem]. Dieser existiert seit 2014 und definiert, welche standörtlichen und qualitativen Anforderungen bei der Ernte des Saatgutes zu berücksichtigen sind, definiert eine maximale Distanz der Verbreitung des autochthonen Saatguts von 15 km aus, wobei zusätzlich die biogeographische Region der Standort, die Höhenlage u.a. mitberücksichtigt werden müssen. Zudem bestehen Anforderungen zur Dokumentation, zur Spenderflächenauswahl u.a. Der Standard wird zunehmend für Ausschreibungen genutzt, um eine einheitliche Mindestqualität von Direktbegrünungen sicherzustellen.<br />
<br />
Ebenso wichtig und zielführend wie ein Standard sind für eine fachgemässe Ausführung v.a. von Mahdgutübertragungen in der Landwirtschaft eine gute Begleitung und Beratung der jeweils beteiligten Akteure, beispielsweise der Bewirtschafter der Flächen, welche die Mahdgutübertragung auch selber durchführen können. Eine fachliche Beratung kann den Erfolg und die Qualität der so angesäten Flächen wesentlich verbessern. Das zeigt sich beispielsweise im Kanton Aargau, wo interessierten Landwirten eine solche Beratung kostenlos zur Verfügung steht und wo der Erfolg der Mahdgutübertragungen mit einem Monitoring überprüft wird. Eine wertvolle Hilfe für die korrekte Ausführung von Mahdgutübertragungen bietet auch die Internetseite regioflora.ch, wo umfangreiche Informationen leicht verständlich aufgearbeitet sind.<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = wichtigste Begruenungsverfahren de.png<br />
| text = Übersicht über die wichtigsten Begrünungsverfahren und ihre optimalen Ausführungszeitpunkte, bezogen auf Lagen bis ca. 1000 m ü.M. In der angegebenen Literatur hat es auf Seite 31 eine Tabelle, die auch auf höher gelegene Flächen eingeht. [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Leitfaden_naturgemaesse_Begruenungen_def.pdf Quelle: Bosshard, A., Mayer, P., Mosimann, A., 2015. Leitfaden für naturgemässe Begrünungen in der Schweiz. Mit besonderer Berücksichtigung der Biodiversität. Ö+L Ökologie und Landschaft GmbH].<br />
}}<br />
<br />
=Praktische Durchführung von Ansaat und anschliessender Pflege artenreicher Wiesen=<br />
Artenreiches Saatgut ist zu kostbar, um es nicht optimal einzusetzen. Denn auch das beste Saatgut führt nur bei einer fachgerecht durchgeführten Ansaat und Pflege/Bewirtschaftung zum Erfolg.<br />
<br />
==Saatbettvorbereitung==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Empfängerfläche 5 96 dpi.JPG<br />
| text = Dieses Saatbett wurde zur Vorbereitung geackert und anschliessend in Zeitabständen von etwa drei Wochen mehrmals geeggt.<br />
}}<br />
Ein vegetationsfreies, gut abgesetztes, feinkrümeliges Saatbett ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Ansaat.<br />
Der Boden kann durch Pflügen oder mehrmaliges Eggen vegetationsfrei gemacht werden, in speziellen Fällen auch durch Abdecken mit schwarzer Gärtnerfolie; Abspritzen mit Herbiziden ist nicht zu empfehlen. Einsaaten (Übersaaten) in bestehende Wiesen ohne Entfernen des alten Wiesenbestandes führen nur mit hohem Aufwand zum Erfolg (siehe [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Botanische_Aufwertung_von_verarmten_Naturwiesen_mittels_Einsaaten «Übersaatmethode»]!<br />
<br />
„Gut abgesetzter Boden“ heisst: Die letzte tiefere Bodenbearbeitung (Pflügen, Eggen, Aufbringen einer Bodenschicht) liegt mindestens drei bis vier Wochen vor der Ansaat. Grund: Ist der Boden bei der Ansaat zu locker, fehlt der sogenannte Bodenschluss, und die jungen Keimlinge laufen Gefahr, nicht richtig wurzeln zu können; zudem ist die Wasserzufuhr aus dem Unterboden mangelhaft, was bei Trockenperioden zu grossen Ausfällen führen kann.<br />
Unmittelbar vor der Saat darf der Boden falls nötig („Unkrautkur“) nur noch sehr flach (ca. 3 cm tief) geeggt oder gefräst werden.<br />
<br />
==Saatzeitpunkt==<br />
Die Ansaaten sollten, wenn immer möglich, im April oder Mai erfolgen. Dies gilt nicht für Mahdgutübertragungen, die bei optimaler Reife der Spenderflächen durchgeführt werden müssen, also in der Regel im Juni oder Juli. Spätere Ansaaten können durch Trocken- und Hitzeperioden empfindlich beeinträchtigt werden (v.a. die Gräser). Bei Herbstansaaten sind die Verluste über den Winter ebenfalls meist beträchtlich (insbesondere der Kräuter/Wiesenblumen). Können Ansaaten, z.B. aus Gründen des Erosionsschutzes, nicht im April oder Mai erfolgen, bietet sich der Einsatz von Zwischen- und Deckfrüchten an. Eine Beratung von Fachpersonen ist dabei zu empfehlen.<br />
<br />
==Saat==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Hydrosaat mit autochthonem Saatgut 96 dpi.JPG<br />
| text = Hydrosaat mit autochthonem Saatgut.<br />
}}<br />
Die angegebene Saatmenge wird je nach Situation und Ausrüstung von Hand oder mit geeigneten Maschinen (Hydroseeder, Sämaschine, Düngerstreuer etc.) oberflächlich ausgebracht. Saatgut nicht in den Boden einarbeiten! Bei kleineren Flächen empfiehlt sich eine Handsaat, wobei je die Hälfte des Saatgutes kreuzweise (d.h. zuerst von links nach rechts, dann von hinten nach vorne) ausgebracht wird, um eine gleichmässige Saat sicherzustellen. Auf lockeren Böden (z.B. Landwirtschaftsflächen) muss unmittelbar nach der Saat gewalzt werden. Geeignet sind Gliederwalzen (z.B. Cambridgewalze). Kleine Flächen können auch „angeklopft“ oder „angestampft“ werden.<br />
<br />
==Nachsaatpflege im Ansaatjahr==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Mahdgutuebertr_Keimungsphase mit ebenfalls uebertragener Trockenwiesenschnecke 96 dpi.jpg<br />
| text = Mit der Mahdgutübertragung wurden aus der Trockenwiese Schnecken miteingebracht.<br />
}}<br />
Fast alle Pflanzen artenreicher Wiesen keimen erst einige Wochen nach der Ansaat und entwickeln sich auch danach nur sehr langsam. Die „Unkräuter“ dagegen keimen meist sofort nach der letzten Bewegung des Bodens und legen dann sofort mit Wachstum los. Vor allem auf humosen Böden können einjährige Pflanzen aus der bodenbürtigen Samenbank schon nach kurzer Zeit völlig überhandnehmen.<br />
<br />
Jetzt heisst es '''Ruhe bewahren''', denn dies ist normal und beeinträchtigt die spätere Entwicklung der Wiese in keiner Weise. Wichtig ist jedoch, dass nicht zu lange mit dem sogenannten Pflegeschnitt zugewartet wird, damit die Keimlinge der angesäten Arten nicht unter einer dicken Pflanzendecke aufgrund von Lichtmangel absterben.<br />
<br />
'''Faustregel''': Sobald der Boden nach der Ansaat stellenweise so stark mit „Unkraut“ bedeckt ist, dass er nicht mehr sichtbar ist, sollte ein Pflegeschnitt durchgeführt werden:<br />
* Hoch mähen (5-10 cm).<br />
* Das Mähgut muss abgeführt werden.<br />
* Eventuell muss der Pflegeschnitt im Ansaatjahr ein zweites Mal durchgeführt werden, wenn sich die einjährigen Arten nochmals rasch entwickeln. <br />
* Auch wenn vorher kein Pflegeschnitt nötig war: Im Herbst vor dem Einwintern, idealerweise in der ersten Septemberhälfte, sollte ein Pflegeschnitt gemacht werden.<br />
<br />
Wichtig ist, im Herbst nochmals einen Blick auf den Bestand zu werfen: '''Die Vegetation sollte nicht höher als fausthoch in den Winter gehen''', damit die jungen Pflänzchen nicht mit einer vom Schnee zusammengedrückten „Vegetationsmatte“ zugedeckt werden. Meist ist deshalb vor dem Einwintern, idealerweise in der ersten Septemberhälfte, zumindest der erste, oder aber einfach der letzte von 2 Pflegeschnitten angesagt.<br />
<br />
Entwickeln sich Blacken (''Rumex obtusifolius'') oder invasive Neophyten, empfiehlt es sich, diese bereits im Ansaatjahr zu zupfen oder auszustechen. Bei allem anderen „Unkraut“ hilft Jäten nichts, im Gegenteil, der Schaden wäre grösser als der Nutzen, der Pflegeschnitt reicht vollauf.<br />
<br />
Oft wird vergessen: Im Ansaatjahr ist von den angesäten Arten noch so gut wie nichts zu sehen, und es ist nur schwer zu beurteilen, ob eine Ansaat gelungen ist oder nicht. Im Jahr der Ansaat sollten also keine vorschnellen Urteile über das Gelingen gefällt werden.<br />
<br />
==Bewirtschaftung/Pflege in den Nachfolgejahren==<br />
Erst im Jahr nach der Ansaat lässt sich erkennen, ob sich die Saat gut entwickelt, und das Gesicht der zukünftigen Wiese beginnt sich nach und nach zu zeigen. Es dauert aber je nach Standort und angesäten Arten meist nochmals ein Jahr oder mehr, bis sich alle Pflanzen richtig etabliert haben und sich ein stabiler Pflanzenbestand entwickelt hat.<br />
Wie bei einem guten Wein ist bei der Neuansaat artenreicher Wiesen also Geduld angesagt! '''Gut Ding will Weile haben.'''<br />
<br />
Doch bereits jetzt, im Jahr nach der Ansaat, kann zur regulären Pflege/Nutzung mit jährlich ein bis zwei Mähschnitten übergegangen werden. Die Mahd muss unbedingt dem angestrebten Pflanzenbestand und damit den angesäten Arten angepasst sein. Generelle Empfehlungen sind hier schwierig. Folgendes lässt sich aber allgemein festhalten (siehe auch [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimale_Mahdnutzung Kapitel «Erhalt und Aufwertung durch optimale Mahdnutzung»]):<br />
* Mehr als zwei Mähschnitte sind bei ungedüngten Wiesen in keinem Fall nötig, sondern schaden der Artenvielfalt und verursachen darüber hinaus unnötig Aufwand, Kosten und Ressourcenverbrauch.<br />
* Die Mahd sollte in der Regel rund 1-2 Wochen nach der Hauptblüte der Wiese durchgeführt werden, damit ein Absamen möglich ist. In vielen Fällen liegt der optimale erste Schnittzeitpunkt in den tieferen Lagen in der zweiten Juni- oder in der ersten Julihälfte.<br />
* Wo keine Vorgaben für den ersten Schnittzeitpunkt bestehen (z.B. bei Ökoflächen in der Landwirtschaft), ist eine jährliche Variation des Schnittregimes für die Artenvielfalt förderlich (mal eher früh, mal eher spät mähen etc.).<br />
* Bei der Mahd immer kleine Reste stehen lassen, damit sich dort Tiere in die verbleibenden Strukturen zurückziehen und sich spät blühende Arten noch bis zur Samenreife entwickeln können. Am besten ist es, bei jedem Schnitt 10% der Fläche in Form von Rückzugsstreifen ungemäht zu lassen, jedes Mal wieder an einem anderen Ort. Empfehlenswert ist auch eine gestaffelte Mahd (kleinflächig unterschiedliche Schnittzeitpunkte mit mindestens 3 Wochen Intervall), wo dies vom Aufwand her möglich ist.<br />
* Wenn möglich nach der Mahd Bodenheu bereiten, d.h. das Gras am Ort an 2-3 niederschlagsfreien Tage trocknen, damit die Pflanzensamen ausreifen und ausfallen können.<br />
* Das Mähgut ist auf jeden Fall abzuführen. Mulchen vermindert in der Regel die Pflanzenartenvielfalt rasch.<br />
* Entwickeln sich Stumpfblättriger Ampfer („Blacken“) oder invasive Neophyten wie amerikanische Goldruten oder Einjähriges Berufskraut, müssen diese regelmässig und möglichst von Beginn an gejätet werden. Je früher und konsequenter man damit beginnt, desto mehr Arbeit lässt sich längerfristig sparen.<br />
<br />
Wer diese Empfehlungen befolgt, kann schon nach 1-2 Jahren mit einer farbenprächtigen Blumenwiese rechnen.<br />
<br />
Wenn die Biodiversität nach erfolgreicher Ansaat noch wirksamer gefördert werden soll, ist zu empfehlen, die Blumenwiese mit Strukturen<!--Link auf Kleinstrukturen, wenn aufgeschaltet--> wie Asthaufen, einer Trockenmauer, Kiesflächen<!--Link auf Pionierflächen, wenn aufgeschaltet-->, einem kleinen [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Stillgew%C3%A4sser Teich], einer [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Hecke Hecke] oder Einzelbäumen weiter aufzuwerten (siehe auch [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Allgemeine_Massnahmen Allgemeine Massnahmen]).<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* [http://www.holosem.ch/localseed/richtig-ansaeen/ HoloSem<sup>®</sup>]<br />
<br />
=Information und Motivation für eine anspruchsvolle Verbundaufgabe=<br />
Bei Wiesenaufwertungen und artenreichen Grünlandansaaten die richtige Methode zur richtigen Zeit am richtigen Standort zu wählen, um so die Biodiversität optimal fördern zu können, ist anspruchsvoll und nicht selten auch mit Zusatzaufwand und Hindernissen verbunden. Das lassen die bisherigen Ausführungen nicht übersehen.<br />
<br />
Entsprechend wichtig ist es, die vielen Akteure auf den verschiedenen Stufen der Entscheidungsprozesse immer wieder auf die Wichtigkeit und die Chancen von Wiesenaufwertungen aufmerksam zu machen und sie über die verschiedenen Möglichkeiten und die Vor- und Nachteile der verfügbaren Methoden zu informieren und weiterzubilden.<br />
<br />
Die Informations- und Motivationsaufgabe ist umso grösser, als sehr unterschiedliche Akteure letztlich daran beteiligt sind, wo welche Aufwertungen wie realisiert werden (oder auch nicht realisiert werden). Landschaftsarchitekten, Gartenarchitekten, Umweltbaubegleiter, Umweltverantwortliche, bodenkundliche Begleitplaner, Begrüner, Bauherren, Ökobüros, verschiedenste Amtsstellen von der Gemeinde bis zum Bund, Schulen, Weiterbildungsinstitutionen etc. etc. – und nicht zuletzt Landwirtinnen und Landwirte: Sie alle entscheiden regelmässig mit, was draussen in der Landschaft vor unserer Haustüre passiert. Es ist zu wünschen, dass das vorliegende Informationsangebot (vom Verein biodivers) dazu beiträgt, dass diese Herausforderung in Zukunft noch besser zu meistern, damit die unzähligen Chancen von Naturaufwertungen noch gezielter genutzt werden können als bisher.<br />
<br />
=Weiterführende Literatur=<br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~1425~1/3~410250~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Naturnahe-Lebensr%C3%A4ume-im-Wiesland/Der-Weg-zu-artenreichen-Wiesen/Deutsch/Print-Papier Der Weg zu artenreichen Wiesen. Agridea-Merkblatt, 2010.]<br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~2591~1/3~410250~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Naturnahe-Lebensr%C3%A4ume-im-Wiesland/Direktbegr%C3%BCnung-artenreicher-Wiesen-in-der-Landwirtschaft/Deutsch/Print-Papier Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft. Leitfaden für die Praxis zum Einsatz von regionalem Saatgut in Biodiversitätsförderflächen, Agridea, 2015.]<br />
* [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Leitfaden_naturgemaesse_Begruenungen_def.pdf Leitfaden für naturgemässe Begrünungen in der Schweiz. Mit besonderer Berücksichtigung der Biodiversität, Bosshard et al. 2015]<br />
* [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Guideline_restoration_deutsch.pdf Leitfaden zur Renaturierung von artenreichem Grünland. SALVERE 2012]<br />
* [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2017/08/Wiesenrenaturierung_NuL_2000.pdf Blumenreiche Heuwiesen aus Ackerland und Intensiv-Wiesen. Eine Anleitung zur Renaturierung in der landwirtschaftlichen Praxis. Naturschutz und Landschaftsplanung 32/6 (2000), 161-171.]<br />
* Gürke, J., Hrsg.: Pro Natura, 2014. Blumenwiesen anlegen und pflegen, Pro Natura Praxis Nr. 21.<br />
* Kirmer A., Krautzer B., Scotton M., Tischew S. (Hrsg.) 2012: Praxishandbuch zur Samengewinnung und Renaturierung von artenreichem Grünland. Lehr- und Forschungszentrum Raumberg-Gumpenstein.<br />
* Kiehl K., Kirmer A., Shaw N., Tischew S. (Hrsg.) 2014: Guidelines for Native Seed Production and Grassland Restoration. Cambridge Scholars Publishing<br />
* Brönnimann D. und Minloff L., 2015: Entwicklung von angesäten extensiven Wiesen im Naturnetz Pfannenstil. Bachelorarbeit<br />
* Zemp-Lori N., 2016: Besiedlung angesäter extensiver Wiesen durch Tagfalter im Naturnetz Pfannenstil. Bachelorarbeit<br />
* [https://www.research-collection.ethz.ch/handle/20.500.11850/143994 Renaturierung artenreicher Wiesen auf nährstoffreichen Böden. Ein Beitrag zur Optimierung der ökologischen Aufwertung der Kulturlandschaft und zum Verständnis mesischer Wiesen-Ökosysteme. Dissertationes Botanicae Band 303, Stuttgart 1999.]<br />
* [https://www.agraroekologie.ch/wp-content/uploads/2016/10/NuL07-10_Mueller_Bosshard.pdf Altgrasstreifen fördern Heuschrecken in Ökowiesen – Eine Möglichkeit zur Strukturverbesserung im Mähgrünland. Naturschutz und Landschaftsplanung 42 (7), 2010, 212-217.]<br />
* Grün Stadt Zürich, Fachbereich Naturschutz, 2010. Pflegeverfahren. Ein Leitfaden zur Erhaltung und Aufwertung wertvoller Naturflächen, Leitfaden. Zürich.<br />
* [http://www.holosem.ch/begruenungen/fachunterlagen/ Weitere Literatur siehe HoloSem / Fachunterlagen]<br />
<br />
Zu Aufwand und Kosten der beschriebenen Massnahmen enthalten folgende Unterlagen Informationen und Hilfeleistungen:<br />
* Saatgutkataloge und Webseiten der genannten [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Anwendung_und_Bezug_von_Blumenwiesen-Standardsaatgut Anbieter] von Standard- und autochthonem Saatgut<br />
* Normpositionenkataloge (nur käuflich erwerblich)<br />
<br />
Zu Aufwand und Kosten der beschriebenen Massnahmen enthalten folgende Unterlagen Informationen und Hilfeleistungen:<br />
* Saatgutkataloge und Webseiten der [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Anwendung_und_Bezug_von_Blumenwiesen-Standardsaatgut genannten Anbieter] von Standard- und autochthonem Saatgut<br />
* Normpositionenkataloge (nur käuflich erwerblich)<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = WiesenhausMatzingen_auchHaeuser_eignen_sich_fuer_artenreiche_Wiesen 96 dpi.jpg<br />
| text = Auch Häuser eignen sich für artenreiche Wiesen.<br />
}}<br />
<br />
= Weitere Kapitel zum Grünland =<br />
* [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland#Einleitung Einleitung und Zusammenfassung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie Praxisrelevante Ökologie]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung Erhalt und Aufwertung durch optimierte Bewirtschaftung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen Grundlagen]<br />
<!--* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisbeispiele Praxisbeispiele]--><br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || Andreas Bosshard|| [http://www.agraroekologie.ch/ueber-uns/team/ Ö+L GmbH]<br />
|-<br />
| Unter Mitwirkung von || Regula Benz|| <br />
|-<br />
| || Jean-Yves Humbert|| [https://www.cb.iee.unibe.ch/about_us/pd_dr_humbert_jean_yves/index_eng.html Universität Bern, Conservation Biology]<br />
|-<br />
| || Andrea Lips || [https://www.pronatura.ch/de Pro Natura]<br />
|-<br />
| || Winu Schüpbach|| [https://www.quadragmbh.ch/ quadra gmbh] <br />
|-<br />
|}<br />
<br /><br />
<br /></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat&diff=4712
Grünland/Aufwertung und Neuschaffung durch Direktbegrünung und Ansaat
2023-03-05T17:41:54Z
<p>VB2: /* Direktbegrünungsverfahren */</p>
<hr />
<div>[[fr:Milieux prairiaux/Revalorisation et création de prairies riches en espèces par enherbement direct et ensemencement]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Mahd Spenderfläche 1 96 dpi.JPG<br />
| text = Ein monotoner Bestand lässt sich mit verschiedenen Methoden innert relativ kurzer Zeit in eine blüten- und artenreiche Wiese umwandeln. In diesem Artikel werden die verschiedenen Verfahren für die Aufwertung von Wiesen vorgestellt. Das Foto zeigt die Mahd einer Spenderfläche früh am Morgen bei feuchter Vegetation.<br />
}}<br />
{{TOC limit|3}}<br />
<br />
=Einleitung=<br />
Die Neuanlage oder Wiederherstellung artenreicher Wiesen ist eine der wirksamsten Massnahmen zur Förderung der Artenvielfalt. Eine artenreiche Wiese kann 30 bis über 60 Pflanzenarten auf einem einzigen Quadratmeter aufweisen.<sup>1</sup> Weltweit können in keinem anderen Ökosystem oder Lebensraum so viele Pflanzenarten auf so kleinen Flächen zusammen existieren. Und eine ökologische Faustregel besagt, dass pro etablierter Pflanzenart 10 Tierarten vorkommen. <br />
Schon auf wenigen Quadratmetern kann also bei einer Neuschaffung einer artenreichen Wiese enorm viel für die Biodiversität getan werden. Der Artikel beschreibt, mit welchen Methoden artenreiches Wiesland neu geschaffen werden kann, welche Vor- und Nachteile die verschiedenen Methoden haben, und auf welchen Standorten welche mehr oder weniger artenreichen Wiesentypen realistischerweise angestrebt werden können. Die Ausführungen richten sich primär an Praktiker, die bei ihrer Tätigkeit aber nicht nur nach Rezept handeln, sondern auch die ökologischen Zusammenhänge verstehen möchten. <br />
<br />
<small><br />
<sup>1</sup> während in intensiv genutzten Wiesen oder Rasenflächen als Vergleich höchstens ein gutes Dutzend Arten vorkommen.<br />
</small><br />
<br />
<!--vorläufig weglassen: == Sich verändernde Ziele und Fragestellungen ==<br />
Die Neuschaffung und Aufwertung von artenreichen Wiesen kam erst in den 1990er Jahren in grösserem Ausmass auf. Die agrarpolitischen Diskussionen um die enorme Zerstörung der Biodiversität durch die immer intensivere Landwirtschaft führte zur Suche nach Alternativen. Erstmals wurde in den 1990er Jahren in der Schweiz ein Mindestanteil an naturnahen Flächen für jeden Landwirtschaftsbetrieb vorgeschrieben, und es entstanden Bemühungen, die in einigen Teilen der Schweiz praktisch verschwundenen, ehemals fast flächendeckend vorhandenen artenreichen Wiesen mit Ansaaten wieder zurück in die landwirtschaftlich genutzte Kulturlandschaft zu bringen. Aber auch in Naturschutzgebieten, bei Verkehrsprojekten oder im Siedlungsgebiet wurde zunehmend artenreiches Wiesland neu geschaffen. Entscheidend war dabei, dass entsprechende hochwertige, artenreiche Saatgutmischungen zumindest für trockenere Standorte nun auf dem Markt erhältlich waren. <br />
Wie der Artikel in einem kurzen historischen Abriss beschreibt, hat sich seit den ersten systematischen Versuchen mit artenreichen Wiesenansaaten in den 1980er und 1990er-Jahren viel verändert. Bis heute kommt laufend neues Wissen dazu, werden neue Ansaatmethoden entwickelt oder kommen neue Saatgutmischungen und -verfahren auf den Markt. Gleichzeitig haben sich das Bewusstsein, die Prioritäten und die Zielsetzungen bei der Neuschaffung artenreichen Wieslandes immer wieder verändert. <br />
Seit wenigen Jahren wird beispielsweise nicht nur auf die eingebrachten Pflanzenarten, sondern auch auf die genetische Vielfalt innerhalb der Arten geachtet. Zunehmend wird deshalb heute in der Schweiz und der EU die Verwendung lokaler oder regionaler Ökotypen gefordert und sogar in neuen Rechtserlassen vorgeschrieben. Wurde früher fast ausschliesslich Standardsaatgut verwendet, gab dieser Bewusstseinswandel der Anwendung von Direktbegrünungsverfahren starken Auftrieb.--><br />
<br />
==Standardsaatgut und Direktbegrünung – eine Begriffsklärung==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = ArtenreichesAutochthSaatgut_Ernte_aus_eBeetle 96 dpi.jpg<br />
| text = Artenreiches, autochthones Saatgut<br />
}}<br />
Im Zusammenhang mit der Förderung und Schaffung artenreicher Wiesen werden einige nicht allgemeinverständliche Fachbegriffe verwendet. Die wichtigsten sollen hier kurz erläutert werden – zumal einige noch „jung“ sind und ihre Anwendung deshalb oft nicht einheitlich erfolgt, was Verwirrung stiften kann.<br />
<br />
'''Bezeichnung von Saatguttypen und Saatgutherkünften''' <br/><br />
Das bis vor wenigen Jahren übliche Saatgut für die Ansaat artenreicher Wiesen war '''''Standard'''saatgut''. Bei Standardsaatgut wird jede einzelne Art in Reinkultur zur Gewinnung von Samen angebaut und das geerntete Saatgut dann nach einer bestimmten Rezeptur zusammengemischt. Man spricht deshalb auch von ''Vermehrungssaatgut''. Das Ursprungssaatgut stammt entweder von Wildpflanzen (sog. ''Basissaatgut''), oder es werden Zucht- bzw. Handelssorten verwendet.<br/><br />
Wenn eine Saatgutmischung ganz aus Arten besteht, deren Basissaatgut von besammelten Wildpflanzen einer bestimmten Region stammt und das Saatgut anschliessend in derselben Region vertrieben wird, wird vor allem in Deutschland von '''''Regio'''saatgut'' gesprochen. <br/><br />
Dem Standardsaatgut stehen die sogenannten '''''Direktbegrünungsverfahren''''' gegenüber. Dabei wird das Saatgut direkt auf geeigneten Spenderwiesen als Samengemisch geerntet und ohne Zwischenvermehrung auf die Ansaat- oder Empfängerfläche übertragen. Die Methode wird deshalb auch als „Wiesenkopierverfahren“ bezeichnet. Dabei kommen verschiedene Ernte- und Übertragungsmethoden zur Anwendung wie Mahdgutübertragung, der Mähdrusch oder die Sodenversetzung. In Abgrenzung zum Regiosaatgut wird das Saatgut aus Direktbegrünungsverfahren '''''autochthones''''' (oder manchmal auch '''lokales''') Saatgut genannt. <br/><br />
Diese Begriffsdefinitionen werden in den deutschsprachigen Ländern allerdings noch nicht überall einheitlich verwendet. So wird teilweise auch autochthones Saatgut als Regiosaatgut bezeichnet, oder Direktbegrünung wird teilweise nicht als Überbegriff, sondern synonym mit Mahdgutübertragung gebraucht. Heugrassaat wird auch als synonymer Ausdruck für Direktbegrünung, Ökotypensaatgut für Regiosaatgut, oder Handelssaatgut bzw. Regelsaatgut für Standardsaatgut verwendet. <br/><br />
'''Weitere wichtige Fachbegriffe''', die in diesem Artikel genannt werden, sind jeweils im Text näher erläutert, oder ihre Bedeutung erschliesst sich ohne weitere Erläuterung aus dem Zusammenhang.<br />
<br />
=Neuanlage artenreicher Wiesen: Kurzer historischer Rückblick auf eine dynamische Entwicklung=<br />
Artenreiches Wiesland aus Naturschutzgründen neu zu schaffen wurde erstmals in den 1960er Jahren in grösserem Stil praktiziert. (vgl. Bosshard & Klötzli 2003 <sup>2</sup>). Dabei war das Interesse ganz auf nährstoffarme Standorte in Schutzgebieten gerichtet. Als Methoden dienten eine natürliche Besiedlung mit Arten aus der Umgebung, aber auch Mahdgutübertragungen, Pflanzungen oder Sodenversetzungen kamen damals bereits zur Anwendung. Käufliche Saatgutmischungen mit den gewünschten einheimischen Arten existierten damals keine. Die verfügbaren Mischungen stammten alle aus dem Ausland. Sie enthielten nicht-einheimische Arten und sogar Zuchtsorten, die im Widerspruch standen zu den naturschützerischen Zielen.<br />
<br />
<small><br />
<sup>2</sup> Bosshard A. & F. Klötzli 2003: Restoration Ecology. In: Bastian O. & U. Steinhardt (Hrsg.): Development and Perspectives in Landscape Ecology: conceptions, methods, application. Kluwer. ISBN 1-4020-0919-4.<br />
</small><br />
<br />
== Erfolg durch neue Saatgutmischungen==<br />
Erst Ende der 1980er Jahre gab der Naturschutz seinen fast ausschliesslichen Fokus auf Schutzgebiete auf und erkannte, dass die Biodiversität nur erhalten werden kann, wenn Naturschutzmassnahmen vermehrt flächenwirksam etabliert, d.h. auch ausserhalb von Naturreservaten neue artenreiche Flächen geschaffen werden können. Damit rückte die landwirtschaftlich genutzte Kulturlandschaft und somit auch nährstoffreichere Flächen ins Zentrum von Aufwertungsbemühungen. <br />
Da im Kulturland in den tieferen Lagen kaum noch artenreichere Biotope existierten, wurden in verschiedenen Teilen der Schweiz und in anderen Ländern Europas Projekte lanciert, welche in Zusammenarbeit mit Landwirtschaftsbetrieben ökologische Aufwertungen planten und realisierten. Eines dieser Projekte war „Landwirtschaft und Naturschutz aus Bauernhand“ <sup>3</sup>. Politisch und institutionell breit abgestützt, entwickelte und testete das Pilotprojekt Anfang der 1990er Jahre auf neun Landwirtschaftsbetrieben im Kanton Zürich Massnahmen für eine zukünftige Agrarpolitik.<br />
<br />
<small><br />
<sup>3</sup> Landwirtschaft und Naturschutz aus Bauernhand. Schlussbericht des CH91-Pilotprojektes auf 9 Bauernhöfen im Kanton Zürich 1989-1991. Zürcher Vogelschutz, Zürcher Naturschutzbund, WWF Sektion Zürich und Zürcher Bauernverband, Zürich. 58 S.<br />
</small><br />
<br />
<br />
==Artenvielfalt auch auf nährstoffreichen Böden möglich?==<br />
Unter diesen Massnahmen waren auch erste Versuche, bei denen damals neu verfügbares Saatgut mit verschiedenen Arten blumenreicher Wiesen ausgetestet wurde. Denn bereits damals war aufgrund vieler Untersuchungen klar, dass die Samen der meisten Wiesenarten nur kurzfristig im Boden überleben<!-- Link auf Pflanzenartikel, wenn dort Infos zu Lebensdauer von Samen ergänzt worden ist -->. Das heisst, dass eine intensive Nutzung über drei oder vier Jahren bereits genügte, um die Pflanzenarten artenreicher Wiesen zum Verschwinden zu bringen. Eine Wieder-Extensivierung der Nutzung bringt sie – auch nach jahrelangem Warten – alleine nicht zurück. Vielmehr müssen sie jeweils neu eingebracht, sprich angesät werden. <br/><br />
Allerdings war völlig unklar, ob sich die eingebrachten Arten auf den nährstoffreichen Böden überhaupt etablieren können. Zumindest widersprach dies der damals vertretenen ökologischen Lehre. Nichtsdestotrotz entwickelten sich bei den Versuchsansaaten des Zürcher Pilotprojektes auf vorher intensiv genutzten Ackerflächen im zweiten Jahr tatsächlich niederwüchsige, artenreiche, an Magerwiesen erinnernde Wiesenbestände. <br/><br />
Dieser unerwartete Erfolg gab Anlass zu einer Dissertation. Auf zahlreichen Landwirtschaftsbetrieben in der Ostschweiz wurden auf über einem Dutzend Hektar unzählige Versuchsflächen mit verschiedenen Mischungsvarianten von Wiesenkräutern, -leguminosen und -gräsern angelegt (Bosshard 1999 <sup>4</sup>). Die ersten Versuche führten allerdings zu instabilen Pflanzenbeständen, die nach wenigen erfolgreichen Jahren vergrasten und den Grossteil der eingesäten Arten wieder verloren. Durch Verbesserungen in der Artenzusammensetzung, insbesondere der Gräserkomponente, gelang es schliesslich, auch auf vorher intensiv genutzten Böden langfristig stabile Blumenwiesenbestände zu etablieren. Als Resultat der Dissertation wurden vier Mischungsvarianten empfohlen, die heute als ''Salvia'', ''Humida'', ''Broma'' und ''Montagna'' auf dem Schweizer Markt breit etabliert sind und mit denen mittlerweile Hunderte, wenn nicht Tausende von Hektaren artenreicher Wiesen angesät worden sind und weiterhin angesät werden, vor allem in der Landwirtschaft, aber auch zunehmend im Siedlungsbereich.<br />
<br />
<small><br />
<sup>4</sup> Bosshard A. 1999: Renaturierung artenreicher Wiesen auf nährstoffreichen Böden. Ein Beitrag zur Optimierung der ökologischen Aufwertung der Kulturlandschaft und zum Verständnis mesischer Wiesen-Ökosysteme. Dissertationes Botanicae Band 303 Stuttgart. 201 S. [https://www.research-collection.ethz.ch/handle/20.500.11850/143994 Online-version]<br />
</small><br />
<br />
==Breites Saatgutangebot, erfolgreiche Mischungen==<br />
Dass dies überhaupt möglich war, ist der engagierten Pionierarbeit verschiedener Saatgutfirmen zu verdanken, die ab Mitte der 1990er Jahre in der Schweiz ein immer breiteres Spektrum an typischen Wiesenblumenarten Schweizerischer Herkunft für die neuen Mischungen verfügbar machten. Seit einigen Jahren besteht nun auch bei den Wiesengräsern ein breites Angebot an einheimischen Ökotypen für diese Mischungen.<br />
Die Erfolgsrate der artenreichen Ansaaten in der Landwirtschaft beträgt mittlerweile über 90% gemessen am botanischen Qualitätsniveau QII (s. folgendes Kapitel). Dabei zeigen umfangreiche Datensätze, dass auf trockeneren Standorten die Artenzahl und der Blumenanteil im Laufe der Jahre eher zunimmt, während an feuchteren oder schattigeren Standorten bei den bestehenden Standard-Blumenwiesenmischungen die gegenteilige Tendenz besteht <sup>5</sup>.<br />
Die hohe Erfolgsrate hängt allerdings nicht nur mit optimiertem Saatgut zusammen, sondern ist gerade im nährstoffreicheren Böden auch stark abhängig von einer korrekten Durchführung der Ansaat (s. Kap. [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Herkunft_des_Saatgutes:_Empfehlungen.2C_Standards_und_rechtliche_Vorgaben "Herkunft des Saatgutes: Empfehlungen, Standards und rechtliche Vorgaben"]. Auch wenn dazu bisher keine systematischen Auswertungen vorliegen, scheinen die Erfolgsraten in Kantonen, bei denen für Wiesenaufwertungen eine Beratung/Begleitung angeboten wird oder obligatorisch ist (z.B. LU, AG, TG), deutlich höher zu liegen als in den übrigen Regionen.<br />
<br />
<small><br />
<sup>5</sup> vgl. Brönnimann & Minloff 2015 sowie bisher unveröffentlichte Monitoringresultate aus verschiedenen Kantonen.<br />
</small><br />
<br />
==Fördersystem für Blumenwiesen in der Schweizer Landwirtschaft==<br />
Der hauptsächliche Treiber der Blumenwiesenansaaten auf Landwirtschaftsflächen ist der finanzielle Anreiz durch das Direktzahlungssystem. Im Zuge der Agrarreform wurden nämlich ab dem Jahr 2001 sogenannte „Öko-Qualitätsbeiträge“ (ab 2014 als sog. Biodiversitätsförderflächen-QII-Beiträge bezeichnet, kurz BFF-QII) eingeführt. Diese werden ausbezahlt, wenn in einer angemeldeten Ökowiese innerhalb einer Aufnahmefläche von 3 m Radius mindestens 6 Pflanzenarten aus einer [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~1547~1/3~410245~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Beitr%C3%A4ge-und-Bedingungen-im-%C3%96koausgleich/Zeigerpflanzen-Wiesen-BFF-Alpennordseite/Deutsch/Print-Papier Liste von rund 45 Zeigerpflanzenarten] nachgewiesen werden. In den letzten Jahren sind diese Qualitätsbeiträge laufend angestiegen, während die „Basis-Biodiversitätsbeiträge“ im gleichen Masse abgenommen haben. Damit stieg die Attraktivität der Ansaaten entsprechend. Bereits nach 1-2 Jahren sind dank den Biodiversitätsbeiträgen die Kosten einer Neuansaat nicht selten amortisiert.<br />
<br />
=Ökologische Bedeutung von Direktbegrünungsverfahren=<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Ansaat_eines_gefrästen_Streifens_mit artenr_autochth_Saatgut 96 dpi.JPG<br />
| text = Ansaat eines gefrästen Streifens mit autochthonem Saatgut.<br />
}}<br />
Die Blumenwiesenmischungen mit Ökotypen aus Schweizer Herkunft wurden bald so zahlreich eingesetzt, dass diese Entwicklung von Seiten der Ökologie und des Naturschutzes zunehmend kritisiert wurde. Denn alle neu angesäten Wiesen sahen landauf landab sehr ähnlich aus, hatten immer fast dieselbe Artenzusammensetzung und basierten alle auf denselben paar wenigen Ökotypen aus dem Ursprungssaatgut der Saatgutfirmen, egal ob die angesäten Wiesen im Wallis, im Seeland, im Randen oder im Bündnerland lagen. Diese Standardisierung steht im Kontrast zur enormen Vielfalt verschiedener Wiesentypen, die sich im Naturwiesland der Schweiz von Region zu Region in Bezug auf ihre typische Artenzusammensetzung stark unterschieden. <br/><br />
Immer mehr Untersuchungen der letzten Jahre wiesen ausserdem darauf hin, dass kleinräumig eine grosse genetische Vielfalt auch innerhalb jeder Pflanzenart besteht. Je grösser die Entfernung und je unterschiedlicher das Klima zwischen zwei Herkunftsregionen ist, umso deutlicher fallen auch die genetischen Unterschiede aus <sup>6</sup>. Dies zeigt sich auch im ökologischen Verhalten. Viele der untersuchten Wiesenarten wuchsen besser, wenn die Pflanzen regionaler Herkunft waren. So lieferten die regionalen Gewächse im Schnitt beispielsweise zehn Prozent mehr Blütenstände als Artgenossen, die aus anderen Gegenden stammten <sup>7</sup>. <br/><br />
Von Tal zu Tal, ja von Wiese zu Wiese bestehen genetische Anpassungen und Unterschiede, sogenannte Ökotypen. Diese innerartliche genetische Vielfalt ist zwar äusserlich oft nur schwer zu erkennen, aber ökologisch von grosser Bedeutung. Denn sie bedeutet eine Anpassung an die unterschiedlichsten Standorts- und Nutzungsbedingungen und ist damit eine wichtige Voraussetzung für die Stabilität von Ökosystemen. So konnten Untersuchungen zeigen, dass der Deckungsgrad höher und damit der Ansaaterfolg besser sind, wenn Ökotypen aus der Region statt Saatgut von weiter entfernt liegenden Gegenden verwendet wird. Im Gegenzug konnten sich weniger unerwünschte, nicht angesäte Arten (z.B. Neophyten) etablieren (Weisshuhn et al. 2012 <sup>8</sup>). Ein deutliches Indiz dafür, dass diese Pflanzen regional angepasst sind. Sie kommen also in der Nähe ihrer ursprünglichen Herkunft besser zurecht. Andere Untersuchungen zeigen, dass die Inzucht von autochthonem Saatgut geringer ist als von Vermehrungssaatgut <sup>9</sup>.<br />
<br />
<small><br />
<sup>6</sup> z.B. Durka, W. et al. (2016): Genetic differentiation within multiple common grassland plants supports seed transfer zones for ecological restoration. – Journal of Applied Ecology 54/1, 116-126. [https://besjournals.onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/1365-2664.12636 PDF].<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>7</sup> Durka W. et al. (2019): Regionales Saatgut von Wiesenpflanzen: genetische Unterschiede, regionale Anpassung und Interaktion mit Insekten. Natur und Landschaft 94/4, 146-153. [https://www.regioflora.ch/de/assets/content/pdf/News/Regionales%20Saatgut%20von%20Wiesenpflanzen.pdf PDF]<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>8</sup> Weisshuhn K., Prati D., Fischer M., Auge H. (2012): Regional adaption improves the performance of grassland plant communities. Basic and Applied Ecology 13/6, 551-559. [https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S1439179112000710 Zusammenfassung]<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>9</sup> Aavik T., Bosshard D., Edwards P., Holderegger R., Billeter R. (2014): Genetische Vielfalt in Wildpflanzen-Samenmischungen. Agrarforschung Schweiz 5 (1): 20–27. [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Aavik_et_al_Agrarfo2014.pdf PDF]<br />
</small><br />
<br />
=Herkunft des Saatgutes: Empfehlungen, Standards und rechtliche Vorgaben=<br />
Um die genetische Vielfalt auf Ökotypenebene zu berücksichtigen, hat bereits 1998 die schweizerische Kommission für die Erhaltung von Wildpflanzen (SKEW), heute Teil von Info Flora, Empfehlungen herausgegeben. Diese verlangen, dass das verwendete Saat- und Pflanzgut für Blumenwiesen aus der gleichen biogeographischen Region wie die Empfänger-Parzelle stammen soll. Bei häufigen, taxonomisch wenig differenzierten Arten sollen die sechs Grossregionen der Schweiz – d. h. Jura, Mittelland, Alpennordflanke, westliche und östliche Zentralalpen und Südalpen – eingehalten werden (siehe Abbildung). Taxonomisch schwierige Arten mit unregelmässiger Verbreitung sollen die elf Kleinregionen einhalten. Ausserdem ist es gemäss den Empfehlungen wichtig, standörtliche und regionale Unterschiede wie Höhenlage, Bodenverhältnisse und Exposition zu berücksichtigen. Nur so entspricht die zu begrünende Fläche den ökologischen Anforderungen der eingebrachten Arten. Die Empfehlungen verlangen auch, dass die gefährdeten Arten nicht in Samenmischungen gehandelt werden. Für diese gelten [https://www.infoflora.ch/de/flora/ansiedlung.html spezifische Richtlinien]. <br/><br />
Die Richtlinien von Info Flora entsprechen dem, was auch in verschiedenen Gesetzen und Verordnungen verlangt wird, insbesondere im Natur- und Heimatschutzgesetz, welches verlangt, die einheimische Tier- und Pflanzenwelt sowie ihre biologische Vielfalt und ihren natürlichen Lebensraum zu schützen <sup>10</sup>. <br/><br />
In der Praxis finden die Richtlinien von Info Flora leider nur sehr begrenzt Berücksichtigung. Die eine Seite des Problems liegt beim Handel. Auch wenn die Saatgutfirmen die Herkünfte kennen und getrennt vermehren, werden sie – aus logistischen Gründen und den damit verbundenen Kosten –leider nicht so gekennzeichnet. Der Nutzer kann damit beim Kauf von Standardsaatgut die Empfehlungen gar nicht so einhalten, weil die Herkünfte in den Handels-Saatgutpackungen vermischt sind. Gewisse Kantone haben für landwirtschaftliche Ansaaten mit Saatgutproduzenten Abmachungen und erhalten spezifische Mischungen von und für ihre Region, die den Lebensräumen angepasst sind – dies ist aber leider die Ausnahme. <br/><br />
Auf der anderen Seite sind die Richtlinien auch bei den Anwendern noch sehr oft nicht angekommen. So wird in der Praxis oft auch dort, wo Saatgut gemäss den Info Flora-Empfehlungen verfügbar wäre, dieses oft nicht berücksichtigt mangels Wissens oder als Folge fehlerhafter Ausschreibungen. Dies ist insbesondere im Verkehrsbereich (Böschungsbegrünungen etc.) der Fall, wo jedes Jahr Hunderte von Hektaren neu begrünt werden.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = biogeografische Regionen CH.png<br />
| text = Die Biogeographischen Regionen der Schweiz: blau = Jura und Randen; hellgrün = Hochrhein- und Genferseegebiet; dunkelgrün = Westliches Mittelland; grün = Östliches Mittelland; hellblau = Voralpen; dunkelblau = Nordalpen; gelb = Westliche Zentralalpen, orange = Östliche Zentralalpen; rot = Südalpen; braun = Südlicher Tessin <br/><br />
(Quelle: Gonseth, Y.; Wohlgemuth, T.; Sansonnes, B.; Buttler, A. (2001): Die biogeographischen Regionen der Schweiz. Erläuterungen und Einteilungsstandard. Umwelt Materialien Nr. 137 Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft Bern. 48 Seiten.).<br />
}} <br />
<br />
Angesichts der grossflächig stattfindenden Uniformierung und Florenverfälschung <sup>11</sup> durch nicht den Richtlinien entsprechenden Saatgutmischungen nahm der Druck zu, vermehrt autochthones Saatgut lokaler Provenienz zu verwenden, wo die Herkunft im Detail nachgewiesen werden kann (vgl. dazu Tab. 1). 2014 wurde die Direktzahlungsverordnung mit einem Passus ergänzt, der für landwirtschaftliche Blumenwiesenansaaten im Rahmen der Verfügbarkeit die Anwendung von Direktbegrünungen vorschreibt (DZV Art. 58 Abs. 8). Deutschland geht noch einen Schritt weiter und verlangt ab 2020 generell bei der Neuanlage von Grasland in der freien Landschaft die Verwendung von gebietseigenem Saatgut (BNatSchG §40).<br/><br />
Dieser Bewusstseinswandel und die damit einhergehende teilweise angepasste Rechtslage gab der Anwendung von Direktbegrünungsverfahren starken Auftrieb. So werden in der Schweiz immer häufiger Mahdgutübertragungen durchgeführt, und dies bei korrekter Anwendung mit durchwegs guten Erfolgen <sup>12</sup>. Da Mahdgutübertragungen v.a. aus logistischen Gründen oft nur beschränkt eingesetzt werden können, wurden in den letzten 10 Jahren verschiedene Ernteverfahren für autochthones Saatgut entwickelt oder weiterentwickelt (s. Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Direktbegr.C3.BCnungsverfahren Direktbegrünungsverfahren]). Damit kann das Saatgut aus den Spenderflächen getrocknet, gereinigt und abgesackt werden. Das Saatgut kann damit in Bezug auf die Ansaattechnik und den Ansaatzeitpunkt genau so flexibel wie Standardsaatgut eingesetzt werden.<br />
<br />
<small><br />
<sup>10</sup> Vgl. die ausführliche Zusammenstellung und Interpretation der rechtlichen Grundlagen im [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Leitfaden_naturgemaesse_Begruenungen_def.pdf Leitfaden für naturgemässe Begrünungen], Seiten 11-15.<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>11</sup> Begriffserklärung und Beispiele siehe Box «Florenverfälschung».<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>12</sup> vgl. Studie <!-- noch nicht beschaffen können: Wolfgang Bischoff/Pro Natura und Studie -->Pro Natura/Ö+L 2017 ([http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2017/05/BerichtAnsaatenArtenreicheWiesenKtAG2014-16.pdf PDF]).<br />
</small><br />
<br />
==Engpass Spenderflächen==<br />
Vor allem im Mittelland und einigen Voralpenregionen sind geeignete Spenderflächen allerdings so rar, dass die Produktion von autochthonem Saatgut den potenziellen Bedarf bei weitem nicht abdecken kann. In diesen Regionen wird Standardsaatgut mit Ökotypen aus diesen Regionen auch in Zukunft ein wichtiger Pfeiler für die Renaturierung von artenreichen Wiesen bleiben – dies umso mehr, da für das Mittelland beim Standardsaatgut auch das grösste Angebot an Arten existiert. Im Berggebiet und auf der Alpensüdseite dagegen besteht sowohl in Anbetracht der sehr unterschiedlichen Standortsbedingungen und Höhenlagen, als auch aufgrund des sehr begrenzten Angebotes von Arten aus den betreffenden biogeographischen Regionen kaum geeignetes Standardsaatgut. Dafür sind in diesen Regionen Spenderflächen meist noch zahlreich verfügbar, so dass hier in Zukunft vorwiegend autochthones Saatgut zum Einsatz kommen dürfte. Von der bisherigen Praxis, in diesen Regionen Mischungen mit Ökotypen aus dem Mittelland zu verwenden, sollten die zuständigen Amtsstellen und weiteren Akteuren wegkommen. <br />
<br />
<br/><br />
<table border="0", style="font-size:108%"> <br />
<tr> <br />
<td> '''Was ist «Florenverfälschung»?''' <br /> Unter Florenverfälschung wird die Beeinträchtigung der einheimischen Pflanzen-Biodiversität durch die Einführung fremder Pflanzenarten oder fremder Ökotypen verstanden. <br/><br />
Schädigende Auswirkungen auf die Biodiversität können von folgenden zwei Prozessen ausgehen:<br/><br />
a) Heimische Arten oder Ökotypen werden durch die eingebrachten Arten oder Ökotypen verdrängt. Bekannt sind die Auswirkungen invasiver Neophyten, also sich aggressiv ausbreitende Pflanzenarten aus anderen Kontinenten wie de Goldruten (''Solidago canadensis'') oder der Japanknöterisch (''Reynoutria japonica''). Auch einheimische Arten können invasiv sein, z. B. Schilf (''Phragmites australis'') oder Klappertopf (''Rhinanthus alectorolophus''). Ein Beispiel für eine Ökotypen-Invasion stellt der europäische Schilfrohr-Ökotyp in Amerika dar, der dortige Populationen weitgehend verdrängt hat (vgl. Kowarik 2003).<br/><br />
b) Die vorhandenen lokalheimischen Ökotypen kreuzen sich mit den eingebrachten Ökotypen und verlieren dadurch ihre spezifischen, zum Teil ausgeprägten physiologischen und ökologischen Anpassungen an die lokalen Bedingungen (Klima, Standort, Bewirtschaftung). Mit der Einkreuzung verschwindet auch der betreffende Ökotyp als Bestandteil der Biodiversität. <br />
<br />
Der Prozess b) dürfte viel bedeutsamer sein als a), ist aber gleichzeitig viel schwieriger zu beobachten und nachzuweisen. Beide Prozesse haben nicht auf die Flora, sondern ebenso auf die Tierwelt negative Auswirkungen.<br />
<br />
Quelle: [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Leitfaden_naturgemaesse_Begruenungen_def.pdf Bosshard, A., Mayer, P., Mosimann, A., 2015. Leitfaden für naturgemässe Begrünungen in der Schweiz. S. 21.]</td> <br />
</tr> <br />
</table><br />
<br /><br />
<br />
Die Verfügbarkeit von Ökotypensaatgut regionaler Herkunft (Regiosaatgut) war ein grundlegender Fortschritt gegenüber dem früher aus dem Ausland importierten „Billigsaatgut“, das nicht nur Ökotypen aus vielen anderen Ländern enthielt, sondern teilweise sogar Zuchtformen oder auch Arten, die gar nicht in der Schweiz heimisch waren. Ein Beispiel war der Wiesenknopf (''Sanguisorba muricata''), der dem heimischen Kleinen Wiesenknopf (''Sanguisorba minor'') sehr ähnlich sieht. Andere Beispiele sind Rotklee (''Trifolium pratense'') und Hornklee (''Lotus corniculatus'') oder Fromental (Glatthafer) (''Arrhenaterum elatius''), bei denen noch bis vor wenigen Jahren regelmässig Zuchtformen verwendet wurden.<br />
<br />
=Wo lassen sich welche artenreichen Wiesentypen neu anlegen?=<br />
Artenreiche Wiesen können praktisch überall neu angelegt werden, vorausgesetzt Ansaatmethode und Saatgut sind sachgemäss auf den Standort und die zukünftige Nutzung abgestimmt. Je nach Standort und Nutzung entstehen dabei unterschiedliche Wiesentypen mit einer unterschiedlichen Artenzusammensetzung und Artenvielfalt. <br/><br />
Die wichtigsten Anwendungsbereiche für die Neuanlage artenreicher Wiesen sind Naturschutzgebiete, ehemaliges Ackerland, bisher intensiv genutzte verarmte Wiesen im Landwirtschaftsgebiet, Hochwasserschutzdämme und Gewässerräume, Böschungen von Verkehrswegen, Rasenflächen in Gärten oder Parks, neu geschaffene Umgebungen von Siedlungen, aber auch kleinflächige Objekte wie Verkehrsinseln oder kleine Gartenbereiche. <br/><br />
Besonders artenreich werden Wiesen auf relativ nährstoffarmen Standorten mit extensiver Nutzung, das heisst auf Flächen, die nicht gedüngt und nur ein- bis höchstens zweimal pro Jahr gemäht werden (Abb. 2). Bei erhöhtem Nährstoffgehalt und etwas häufigerer Mahd nimmt die Artenzahl zunehmend ab. Doch auch auf ehemals intensiv genutzten, nährstoffreichen Böden können bei sachgemässer Ausführung und Bewirtschaftung blumenreiche Wiesentypen langfristig erfolgreich angelegt werden. Sogar in Rasenflächen, die bis zu sechsmal jährlich gemäht werden, können sich viele attraktive und für Insekten wertvolle Blumenarten wie Salbei, Margerite, Brunelle, Thymian etc. langfristig halten. <br/><br />
Bei sehr nährstoffarmen Verhältnissen (z.B. Rohböden)<!--Link auf Pionierflächen, wenn vorhanden--> ist die Artenzahl und die Blühfreudigkeit der Wiesentypen etwas geringer, dafür lassen sich unter solchen Standorten besser gefährdete Arten ansiedeln. <br/><br />
Die Standortansprache, also die Beurteilung, welcher artenreiche Wiesentyp an einem gegebenen Ort angelegt werden kann, ist entscheidend für den späteren Erfolg. Doch die Standortbeurteilung bereitet oft Mühe. Es lohnt sich deshalb, für diesen ersten ausschlaggebenden Schritt eine erfahrene Fachperson beizuziehen. Sie kann für den individuellen Fall die wichtigsten Hinweise zum anzustrebenden Wiesentyp, zur richtigen Bodenvorbereitung, zur Ansaatmethode, zum geeigneten Saatgut und zu den Anforderungen an Bewirtschaftung und Pflege geben.<br />
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== Die wichtigsten Wiesentypen und ihre Standorte für die Neuanlage artenreicher Wiesen==<br />
Im Wesentlichen sind folgende fünf [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie#Lebensr.C3.A4ume_des_Gr.C3.BCnlands Wiesentypen] für die Neuanlage artenreicher Wiesen bis in eine Höhenlage von maximal 1000 m ü. M. relevant (siehe [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen#Typologie_des_Gr.C3.BCnlands Kapitel «Typologie des Grünlands»]). Die Reihenfolge in der nachfolgenden Abbildung richtet sich nach einem Gradienten von trocken bis feucht und von nährstoffarm bis mässig nährstoffreich.<br />
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{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Wiesentypen Neuanlage de.png<br />
| text = Ökogramm mit den wichtigsten Wiesentypen, die für eine Neuanlage artenreicher Wiesen in Frage kommen. Wo es sehr trocken ist, ist die Verfügbarkeit von Nährstoffen stark eingeschränkt, weshalb es keine Wiesentypen in der Ecke oben rechts gibt.<br />
}}<br />
<br />
1. '''Trockenrasen'''<sup>13</sup> (''Xerobromion''): Dieser Wiesentyp bildet sich nur auf sehr sonnigen, heissen Standorten mit sehr mageren Böden aus (z.B. Rohböden wie Kies- oder Sandflächen). Trockenrasen sind lückig, sehr artenreich, aber oft etwas weniger blühfreudig als die Halbtrockenrasen. Trockenrasen werden oft nur jedes zweite Jahr gemäht, so dass auch verholzte niedrige Sträucher wie verschiedene Ginsterarten aufkommen können. <br/><br />
2. '''Trespen-Halbtrockenrasen'''<sup>13</sup> (''Mesobrometum''): Verbreiteter, blumen- und artenreicher Wiesentyp an sonnigen, nährstoffarmen, (zumindest schwach) humusierten Standorten. Wird jährlich im Juli geheut und im Herbst je nach Wüchsigkeit noch ein zweites Mal gemäht. Charakterarten sind das bestandesbildende Gras Aufrechte Trespe (''Bromus erectus'') und bei den Kräutern z.B. Thymian (''Thymus'' sp.), Esparsette (''Onobrychis viciifolia''), Salbei (''Salvia pratensis'') und bei schwacher Nutzung Dost (''Eupatorium cannabinum'') und Hauhechel (''Ononis'' sp.). <br/><br />
3. '''Fromentalwiese trockene Ausprägung''' (''Arrhenatheretum salvietosum''): Ziemlich artenreiche, sehr blütenreiche Wiese, die in der Regel in der zweiten Junihälfte geheut wird und danach noch 1-2 weitere Emdschnitte benötigt. Sie bildet sich auf humusreicheren, vormals oft intensiv gedüngten Böden an sonnigen Lagen aus. Charakterarten sind Salbei (''Salvia pratensis''), Wiesenbocksbart (''Tragopogon pratensis'') oder Margerite (''Leucanthemum vulgare''). <br/><br />
3a. '''"Blumenrasen"''': Auf Fromentalwiesenstandorten, also auf humusreicheren, gut mit Nährstoffen versorgten Böden auf mittleren oder trockeneren Standorten bilden sich bei sehr häufiger Mahd Rasen im gartenbaulichen Sinne aus. Wird ein Rasen alle 1-2 Wochen gemäht, überleben nur wenige Pflanzenarten, vor allem ausläufertreibende, niederwüchsige Gräser und einige Klee- und Kräuterarten. Wird die Schnittfrequenz auf maximal 5-6 Schnitte pro Jahr reduziert und die Düngung eingestellt, haben viele Arten der Fromentalwiesen und teilweise auch der Trespen-Halbtrockenrasen eine Chance, sich zu etablieren und zu reproduzieren. Dieser «Wiesentyp» wird in der Regel Blumenrasen genannt und findet zunehmend Verbreitung im Siedlungsbereich. <br/><br />
4. '''Fromentalwiesen frische Ausprägung''' (''Arrhenatheretum cirsietosum oleracei''): Ziemlich arten- und blütenreiche Wiese. Bewirtschaftung/Pflege wie bei (3). Sie bildet sich auf humusreicheren, vormals oft intensiv gedüngten Böden an schattigeren und/oder frischen bis feuchten Standorten aus. Charakterarten sind Kuckuckslichtnelke (''Lychnis floc-cuculi'') und Kohldistel (''Cirsium oleraceum''). An schattigen oder feuchten Standorten bilden sich bei sehr extensiver Nutzung (Mahd alle 2 Jahre oder jährlich im Spätherbst) Hochstaudensäume (''Filipendulion'', 4b) mit farbenprächtigen Arten wie Mädesüss (''Filipendula ulmaria''), Gilbweiderich (''Lysimachia vulgaris'') oder Blutweiderich (''Lythrum salicaria'') aus.<br/><br />
5. '''Streuwiesen''' <!---Link auf Feuchtgebiete wenn vorhanden-->(''Molinion'', ''Caricetum davallianae'' u.a.): Magere, feuchte bis vernässte Standorte sind für Wiesenneuanlagen eher selten und werden vor allem bei Naturschutzprojekten gezielt geschaffen mittels baulichen Massnahmen, z.B. bei Wiedervernässungen oder bei der [https://biodivers.ch/de/index.php/Stillgew%C3%A4sser/Bau_von_Gew%C3%A4ssern Schaffung von Weihern]. Unter diesen Standortbedingungen bilden sich niederwüchsige, teilweise sehr artenreiche Streuwiesentypen aus, die in der Regel einmal jährlich im Spät-herbst gemäht werden.<br/><br />
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<sup>13</sup> «Rasen» wird hier in pflanzensoziologischer Terminologie verwendet und bedeutet «niederwüchsige Vegetation aus Kräutern».<br />
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{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = artenhaeufigkeiten wiesen de.png<br />
| text = Zusammenhang zwischen Nutzungsintensität, Ertrag und Vielfalt (Artendichte) an Pflanzenarten in Naturwiesen, schematisch; Orientierungswerte für Wiesen trockener und mesischer Standorte der kollinen bis montanen Stufe der Schweiz. Düngung und Nutzungshäufigkeit nehmen von links nach rechts zu. TS = Trockensubstanz. Der mit 1 bezeichnete Bereich entspricht in den tieferen Lagen den Trespen-Halbtrockenrasen, 2 den Fromentalwiesen. Quelle: Bosshard, A., 2016. Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas: Mit besonderer Berücksichtigung der Fromentalwiesen und des standortgemässen Futterbaus, Bristol-Schriftenreihe. Haupt Verlag, Bern. (ergänzt)<br />
}}<br />
<br />
=Standort- und Vegetationsbeurteilung=<br />
Eine grundlegende Voraussetzung für den Erfolg von artenreichen Wiesenansaaten '''ist die korrekte Standortbeurteilung'''<sup>14</sup> '''sowie die Beurteilung der vorhandenen Vegetation'''. Diese beiden Schritte bestimmen, ob und welche Massnahmen für eine Ansaat getroffen und welches Saatgut für eine erfolgreiche Durchführung gewählt werden soll, aber auch, wo eine Ansaat am meisten Sinn macht, sofern mehrere Varianten zur Verfügung stehen.<br />
<br />
<small><br />
<sup>14</sup> bzw. die künstliche Schaffung entsprechender Standortbedingungen beispielsweise mittels Bodenabtrag/Bodenaufschüttung, vgl. Kapitel [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Aufwertung_durch_Aushagerung «Aufwertung durch Aushagerung»]<br />
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<br />
==Wo es keine Ansaaten braucht, sondern Geduld und angepasste Pflege genügen==<br />
Auf Flächen, auf denen bereits einzelne Blumen der gewünschten Arten vorhanden sind, kann unabhängig von einer Standortdiagnose oft auf eine Ansaat verzichtet werden. So weisen artenarme Naturwiesen, auch wenn sie intensiv bewirtschaftet werden, oft noch Reste von Zielarten auf, beispielsweise in Randbereichen oder an flachgründigen Stellen. Zudem sind Naturwiesen <sup>15</sup> generell deshalb wertvoll, weil die verbliebenen Arten noch aus alten, lokalen Ökotypen bestehen, so dass beim Umbruch von alten Naturwiesen generell grosse Zurückhaltung geübt werden sollte. Sie können nach und nach durch ein Ausbleiben der Düngung und ein reduzierte Mahdfrequenz – meist genügt ein zweimaliger Heuschnitt pro Jahr – wieder artenreicher werden. <br/><br />
Auch in alten Rasenflächen, die über längere Zeit nicht gedüngt wurden, wächst vereinzelt oft noch eine erstaunliche Vielfalt an Wiesenblumen wie Margeriten, Hornklee oder Salbei. Kommen solche Arten noch regelmässig vor, genügt es, den Mährhythmus stark zu reduzieren (auf maximal 6 Schnitte pro Jahr), und eine mehr oder weniger artenreiche Blumenwiese kehrt in wenigen Jahren von selbst zurück. <br/><br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = Weg_artenreicheWiese_de.png<br />
| text = Um zu klären, ob eine Ansaat nötig ist oder Abwarten vielmehr genügt, bietet das Agridea-Merkblatt [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~1425~1/3~410250~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Naturnahe-Lebensr%C3%A4ume-im-Wiesland/Der-Weg-zu-artenreichen-Wiesen/Deutsch/Print-Papier "Der Weg zur artenreichen Wiese"] eine gute Entscheidungshilfe.<br />
}}<br />
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<sup>15</sup> Naturwiesen sind Wiesen, die seit mindestens 30 Jahren nicht mehr umgebrochen und neu angesät worden sind.<br />
</small><br />
<br />
==Botanische Aufwertung von verarmten Naturwiesen mittels Einsaaten==<br />
Ist eine Wiese beispielsweise durch intensive Nutzung einmal botanisch verarmt und weist auch keine Relikte der angestrebten Pflanzengesellschaft mehr auf, kommt die Pflanzenvielfalt auch bei wieder extensiverer Nutzung selbst nach Jahrzehnten oft nicht von selbst zurück. Dies zeigen viele Untersuchungen (z.B. Bosshard 1999, Kiehl 2010 <sup>16</sup>). Zum einen breiten sich die meisten Wiesenarten nur langsam aus, zum anderen verhindert die bestehende Grasnarbe die Etablierung neuer Pflanzenarten wirkungsvoll und ein Samenvorrat der meisten erhofften Wiesenarten fehlt, da die Samen der meisten Wiesenarten nur wenige Jahre im Boden überleben.<br />
<br />
Soll ein verarmter Wiesenbestand also wieder mit Arten angereichert werden, bleibt nichts anderes übrig, als die fehlenden Arten mit geeigneten Massnahmen wieder einzubringen <sup>17</sup>. Dabei existieren grundsätzlich drei Möglichkeiten – wobei eine angepasste Nutzung (keine Düngung, geeignetes Schnittregime u.a.) immer vorausgesetzt wird: <br />
# '''Übersaatmethode''': Alte, vergraste und blumenarme Naturwiesen, die bezüglich der Grasartenzusammensetzung aber noch einigermassen den Fromentalwiesen im engeren Sinne entsprechen, sollten nicht umgebrochen/gefräst und angesät werden. Eine Aufwertung mit einer einfachen Übersaat in den bestehenden Bestand, wie dies in intensiver genutzten Wiesen mit Futterbaumischungen gemacht wird, funktioniert mit Wiesenblumensaatgut nicht. Dagegen gibt es zwei etwas aufwändigere Übersaatmethoden, die ohne Umbruch funktionieren. Zum einen lassen sich Wiesenblumenarten ansiedeln, indem über mehrere Jahre hinweg gesammeltes Saatgut ausgewählter Arten der Umgebung gezielt oberflächlich auf Blössen (Narbenschäden, Maushaufen, gezielt verursachte Öffnungen etc.) ausgebracht wird. Die andere Möglichkeit besteht darin, über mehrere Jahre das frische Erntegut von blumenreichen Heuwiesen (Fromentalwiesen) auf der aufzuwertenden Fläche zu trocknen. Die ausfallenden Samen führen nach einigen Jahren zu einer deutlichen Zunahme der Arten- und Blumenvielfalt. Voraussetzung ist allerdings, dass eine geeignete Heuwiese als Spenderwiese auf dem Betrieb oder in der Nachbarschaft vorhanden ist. Mit diesen beiden Methoden wird die bestehende Pflanzen-/Boden-Garnitur und -Struktur nicht unnötig zerstört und die noch vorhandenen Ökotypen der bestehenden Naturwiese bleiben erhalten. Allerdings brauchen sie viel Geduld, sind ziemlich aufwändig und gelingen nur auf Standorten mit eher tiefem Nährstoffniveau.<br />
# '''Streifensaat'''. Diese Methode ist einfacher und sicherer und erlaubt es ebenfalls, die gewünschten Arten wieder in den Bestand zu bringen, ohne dass die ganze bestehende Naturwiese eliminiert werden muss. Dazu werden in einem Abstand von 15-20 m Streifen von 3-6 m Breite mit einer zapfwellengetriebenen Egge (z.B. Kreiselegge) oder auch einer Gartenfräse in die bestehende Wiese gefräst. Meist ist eine mindestens 3-malige Wiederholung im Abstand von ca. 2 Wochen nötig, bis die alte Vegetation vollständig abgestorben ist. Im Frühling können die vegetationsfreien, gut abgesetzten Streifen mit geeignetem Saatgut oder einer Direktbegrünung angesät. Je breiter die Streifen sind, desto eher lassen sich Schäden durch Schnecken reduzieren. Von den angesäten Streifen aus können dann die dort etablierten Arten nach und nach in den umliegenden Bestand auswandern, sofern Bodenheu gemacht und das Heu mit dem Kreiselheuer über die Fläche verteilt wird. <br />
# '''Ganzflächige Ansaat''': Ist der Ausgangsbestand keine erhaltenswerte Naturwiese, empfiehlt es sich, die bestehende Wiesenvegetation ganzflächig durch Pflügen und anschliessendes Eggen, oder allein durch mehrmaliges Eggen mit einer zapfwellengetriebenen Kreiselegge (oder ähnlichem Gerät), vollständig zu entfernen. Details zu einer erfolgreichen Saatbettbereitung und Ansaat siehe Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Standort-_und_Vegetationsbeurteilung «Standort- und Vegetationsbeurteilung»].<br />
<br />
<small><br />
<sup>16</sup> Plant species introduction in ecological restoration: Possibilities and limitations. Basic and Applied Ecology 11/4, 281-284<br />
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<br />
<small><br />
<sup>17</sup> vgl. dazu insbesondere [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~1425~1/3~410250~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Naturnahe-Lebensr%C3%A4ume-im-Wiesland/Der-Weg-zu-artenreichen-Wiesen/Deutsch/Print-Papier Agridea-Merkblatt «Der Weg zu artenreichen Wiesen»] sowie Huguenin-Elin et al. 2012<br />
</small><br />
<br />
==Welche Flächen eignen sich (nicht) für Neuansaaten?==<br />
Mittels Ansaaten können auf fast jedem Standort (Boden, Exposition, Höhenlage etc.) artenreiche, stabile Wiesen erfolgreich wieder etabliert werden – vorausgesetzt, es werden die richtigen Arten und Ökotypen fachgerecht angesät und die anschliessende Pflege erfolgt dem Pflanzenbestand angepasst.<br />
<br />
'''Generell gilt''': Auf mageren sonnigen Standorten können sich mehr Pflanzen- und Tierarten und auch seltenere Arten entwickeln als auf nährstoffreicheren oder schattigeren Flächen. Auf sehr armen trockenen Böden nimmt die Artenvielfalt natürlicherweise wieder ab ([https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Die_wichtigsten_Wiesentypen_und_ihre_Standorte_f.C3.BCr_die_Neuanlage_artenreicher_Wiesen siehe Abbildung zu Artenreichtum]), und die Ansaat gestaltet sich oft schwierig, insbesondere auf kiesigen Rohböden mit geringem oder fehlendem Feinkornanteil (Sand, Schluff, Ton).<!-- nicht veröffentlichen wegen Empfehlung Humusierung: Südexponierte oder schattige Lagen verschärfen die Situation noch. Besteht Erosionsgefahr, ist bei reinen Kiesflächen die Beimischung eines geringen Humusanteils zu empfehlen, damit sich eine geschlossene Pflanzendecke entwickeln kann.--><br />
<br />
'''Weniger geeignet bzw. schwierig für die Neuansaat artenreicher Wiesen sind''': <br />
* '''Schattige Standorte'''. Solche sind von Natur aus meist arten- und blumenärmer als Wiesen an besonnten Lagen. Zudem können Schnecken den Keimlingen, vor allem der Wiesenblumen, an solchen Standorten besonders zusetzen. Dieser teilweise unterschätzte Faktor wird noch verschärft, wenn die Ansaatflächen an solchen Standorten klein oder schmal sind und deshalb von den Schnecken vom Rand her leichter aufgesucht werden können. Tipp: Anzusäende Flächen, die von bestehenden Wiesen oder Gehölzen umgeben sind, sollten nicht schmaler als 6 m und kleiner als eine Are (10x10m) sein.<br />
* '''Entwässerte Moorböden'''. Auf solchen Böden werden durch den Abbau des Torfs so viele Nährstoffe freigesetzt, dass rasch wenige Arten zur Dominanz gelangen und die meisten der angesäten Arten verdrängen. Unter dieser (seltenen) Voraussetzung lohnen sich artenreiche Ansaaten in der Regel nicht. Ökologisch aufgewertet werden können sie jedoch mit einer Vernässung<!--Link auf Feuchtgebiete-->.<br />
* '''«Verunkrautete“ Flächen»''': Auf Standorten, die vorher mit Stumpfblättrigem Ampfer («Blacke», (''Rumex obtusifolius'')) verunkrautet waren, ist Vorsicht geboten. Blackensamen bleiben viele Jahrzehnte keimfähig im Boden. Auch wenn auf einer Fläche vor der Ansaat keine Blacken sichtbar sind, können Blackensamen beim Pflügen oder auch Eggen von Wiesland aus einer früheren Verunkrautung in grosser Zahl keimen. Die Bekämpfung dieser Problemart kann sehr aufwändig sein <sup>18</sup>. Als weitere Problemarten sind Ackerkratzdisteln und einige wenige invasive Neophyten zu nennen, insbesondere Goldruten und einjähriges Berufskraut. Was die genannte, ausläufertreibende Distelart anbelangt, deren Blüten übrigens für Bienen und Schmetterlinge sehr attraktiv sind, verschwindet sie bei regelmässiger Mahd meist von selbst wieder. Die genannten Neophyten dagegen sollten von Beginn weg konsequent eliminiert („gezupft“) werden. Praktisch alle anderen Pflanzenarten, die landläufig als Unkraut bezeichnet werden, sind bei einer fachgerechten Pflege kein Problem für die gewünschte Entwicklung des Wiesenbestandes. Das gilt insbesondere für die im Ansaatjahr oft massenweise auftretenden einjährigen Ackerbeikräuter wie Gänsefuss (''Chenopodium'' sp.) oder Ackerhirsen (''Echinochloa crus-galli'', ''Setaria spp.'', ''Panicum spp.''). Sie verschwinden alle bereits im zweiten Jahr nach der Ansaat von selbst.<br />
<br />
<small><br />
<sup>18</sup> Der Umgang mit Flächen, die einen hohen Blackendruck aufweisen, kann hier nicht weiter vertieft werden.<br />
</small><br />
<br />
==Standortbeeinflussung==<br />
Besteht in einem Ansaatprojekt die Möglichkeit, die Bodeneigenschaften zu beeinflussen, können folgende Massnahmen ins Auge gefasst werden, um – in der Regel – nährstoffärmere Bedingungen zu schaffen (Reihenfolge mit abnehmender Wirksamkeit und abnehmenden Kosten): <br />
# Oberbodenabtrag (meist A-Horizont, ggf. auch B-Horizont),<br />
# Aufschüttung eines nährstoffarmen Substrates auf oder Einarbeitung desselben in den bestehenden Boden – meist Kies oder Sand – wobei es für die Aufschüttung meist eine Schicht von mindestens 30 cm braucht, <br />
# Ausmagerung, beispielsweise durch die Kultur eines Starkzehrers wie Mais oder Raygras. Die Wirksamkeit dieser Methode ist allerdings umstritten. Eine deutlich stärkere Reduktion verfügbarer Nährstoffe wird allein dadurch erreicht, indem vor der Ansaat der Boden möglichst nicht mehr gewendet oder bewegt wird (Verhinderung der oxidativen Nährstoffmobilisation, s. Bosshard 1999). Dies ist auf wenig verunkrauteten Ackerflächen möglich, indem die Ansaat ohne Bodenbearbeitung direkt in die Stoppelbrache erfolgt.<br />
<br />
Ebenso besteht überall dort, wo der Boden neu aufgesetzt wird wie z.B. bei Bauprojekten, die Möglichkeit, den Boden so zu „designen“, dass er standörtlich der Zielvegetation am besten entspricht.<br />
<br />
Weitere Standortfaktoren können beispielsweise durch die Gestaltung des Geländes (Exposition, Grundwassereinfluss etc.) oder durch Reduktion von Schatteneinflüssen (Waldrandstufung, zurückschneiden von Hecken etc.) zugunsten der angestrebten Wiesentyps gezielt beeinflusst werden.<br />
<br />
<br />
Tabelle: Vereinfachter Entscheidungsbaum für die Wahl der geeigneten Ansaat in Lagen unterhalb 1000 m ü. M. (Quelle: In Anlehnung an Bosshard 2000, [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2017/08/Wiesenrenaturierung_NuL_2000.pdf Blumenreiche Heuwiesen aus Ackerland und Intensiv-Wiesen. Eine Anleitung zur Renaturierung in der landwirtschaftlichen Praxis. Naturschutz und Landschaftsplanung 32/6, 161-171]. Zur Bestimmung der Wiesentypen siehe [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen#Typologie_des_Gr.C3.BCnlands Kapitel «Typologie des Grünlands]<br />
<br />
{| class="wikitable" <br />
|-<br />
! colspan="2"|Typ <br />
! Beschreibung<br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | '''1a'''<br />
| Boden eher bis sehr tiefgründig, bisher mittel bis sehr intensiv genutzt (oder Phosphor über 100 ppM), mit ausgeglichenem Wasserhaushalt: -> Zielvegetation typische Fromentalwiese (Arrhenatheretum). Details siehe Text.<br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;"| '''1b'''<br />
| Boden flachgründig oder durchlässig (kiesig, sandig) oder Standort sehr trocken oder nährstoffarm aufgrund bestehender Vegetation (Ertrag < 30 dt/J); an sonniger Lage: <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | 1b1<br />
| Boden kalkhaltig oder pH >6: -> Zielvegetation typische Trespen-Halbtrockenrasen (Mesobrometum). Zur Wahl der Ansaat siehe Text.<br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | 1b2<br />
| weitgehend fehlender Kalkgehalt bzw. pH <6: -> Zielvegetation Rotschwingel-Straussgraswiese (Festuca-Agrostion), ev. Borstgrasrasen (ab 600 m ü. M. (Nardion)); Direktbegrünung, kein geeignetes Standardsaatgut verfügbar. <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | '''1c'''<br />
| Wie 1b, aber schattige Lage: <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | 1c1<br />
| Eher trockener Standort (vorwiegend Nordexposition, Beschattung durch Waldrand u.ä.): -> Zielvegetation Rotschwingel-Straussgraswiese (Saatgut s. 1c1), <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | 1c2<br />
| wie 1c1, aber bei Niederschlägen >1200 mm/J und mind. leichtem Bodenkalkgehalt bzw. pH >6: -> Rotschwingel-Straussgraswiese (s. 1c1) oder magere Variante einer feuchten Fromentalwiese mittels Direktbegrünung oder Standardsaatgut Humida. <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | '''1d'''<br />
|Boden zur Vernässung neigend (wechseltrocken):<br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | 1d1<br />
| Boden eher tiefgründig und/oder eher nährstoffreich: -> Zielvegetation frische Fromentalwiese, Saatgut über Direktbegrünung oder mit Standardsaatgut Humida <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | 1d2 <br />
| Boden mager oder flachgründig: -> Streuwiesengesellschaften durch Direktbegrünungsverfahren (kein geeignetes Standardsaatgut auf dem Markt). Pflanzensoziologische Detailabklärungen nötig zur Wahl geeigneter Spenderflächen (Molinion, Caricion u.a.) <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | '''1e'''<br />
| Boden vernässt bzw. wechselnass: Wie 1d2.<br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | '''1f'''<br />
| Rohboden: -> Zielvegetation: Ruderalflora oder lückiger Trespenrasen (s. Text); je nach Situation auf Ansaat verzichten, Ansaat einer Ruderalflora-Mischung, oder (sofern Boden kalkhaltig) Direktbegrünung mit Trespen-Halbtrockenrasen (Mesobrometum) bzw. Trockenrasen (Xerobrometum) sofern verfügbar. Kleinflächen: Anpflanzung von Einzelpflanzen prüfen. <br />
|}<br />
<br />
=Saatgut: Richtige Artenzusammensetzung, richtige Herkunft=<br />
Standörtliche/geographische Herkunft, Qualität und Zusammensetzung des Saatgutes sind eine ausschlaggebende Voraussetzung für den Erfolg bei einer Neuanlage oder Wiederherstellung artenreicher Wiesen. Auch im Hinblick auf die Biodiversität spielen die Zusammensetzung und Herkunft des Saatgutes eine zentrale Rolle.<br />
<br />
In diesem Kapitel werden die verschiedenen Saatguttypen mit ihren Vor- und Nachteilen sowie die vorhandenen Anbieter in der Schweiz beschrieben. Eine einfache erste Entscheidungshilfe, wo welcher Saatguttyp am besten geeignet ist, liefert die Entscheidungsmatrix (siehe Tabelle unten). Weiterführende Informationen zu den einzelnen Saatguttypen und ihren Anwendungsmöglichkeiten enthält der [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Leitfaden_naturgemaesse_Begruenungen_def.pdf Leitfaden für naturgemässe Begrünungen, Kap. 6 (s. 39 ff.)].<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = tab bossh de.png<br />
| text = '''Entscheidungsmatrix für die Saatgutwahl bei Begrünungen in der Schweiz'''. Eine Saatgutwahl nach dieser Matrix ist konform mit dem Natur- und Heimatschutzgesetz sowie mit der Biodiversitätskonvention. Die zuerst genannten Verfahren sind aus ökologischer Sicht vorzuziehen. Angaben in Klammern: Verfügbarkeit des Saatgutes je nach Region eingeschränkt. '''A''' = Autochthones Saatgut oder Pflanzenmaterial (ausgebracht über Heugrassaat, Sodenverpflanzung oder ähnliche Verfahren), '''W''' = Wildpflanzensaatgut (Regio-Saatgut), '''Z''' = Regel-Handelssaatgut. <br/><br />
Quelle: Leitfaden für naturgemässe Begrünungen in der Schweiz - Mit besonderer Berücksichtigung der Biodiversität, Bosshard A., Mayer P., Mosimann A., 2015 <br />
}}<br />
<br />
==Direktbegrünungsverfahren==<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = direktbegruenungsverfahren de.png<br />
| text = Vergleich der Begrünungsverfahren. Quelle: Bosshard, A., Mayer, P., Mosimann, A., 2015. Leitfaden für naturgemässe Begrünungen in der Schweiz. Mit besonderer Berücksichtigung der Biodiversität. Ö+L Ökologie und Landschaft GmbH.<br />
}}<br />
<br />
Direktbegrünungsverfahren sind für die Erhaltung der Biodiversität in der Regel deutlich besser als der Einsatz von [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Standardsaatgut_und_Direktbegr.C3.BCnung_.E2.80.93_eine_Begriffskl.C3.A4rung Standardsaatgut]. Bei Ansaaten auf Flächen mit Naturschutzcharakter sollten generell Direktbegrünungen, also Mahdgutübertragung oder autochthones Saatgut aus dem Sack, eingesetzt werden und nur im Ausnahmefall (z. B. für extensive Vernetzungsflächen, die nicht direkt Naturschutzflächen sind) Standardsaatgut.<br />
<br />
Die Ansaatmethode der Direktbegrünung bzw. mit sog. autochthonem Saatgut wird oft als Wiesenkopierverfahren bezeichnet. Statt einzelne Arten zu vermehren, in Monokulturen anzubauen und dann als definierte Mischungen auf den Markt zu bringen, werden die Samen, welche in artenreichen Wiesen, den sogenannten '''Spenderflächen''', jedes Jahr produziert werden, direkt, ohne Zwischenvermehrung, genutzt. Die Ansaat dieser Samen auf die '''Ansaat- oder Empfängerfläche''' sollte möglichst in engem räumlichem Umkreis, im Idealfall lokal, d.h. im Umkreis von beispielsweise 15 km, erfolgen. Deshalb wird auch von lokalem Saatgut gesprochen <sup>19</sup>.<br />
<br />
Ebenso wichtig wie dieses Prinzip '''«Aus der Region für die Region»''' ist das Prinzip '''Standortäquivalenz''': Spenderfläche und Ansaatfläche müssen sich standörtlich, also bezogen auf den Bodentyp, die Höhenlage, die Exposition, die Nutzung/Pflege etc., so weit als möglich entsprechen (vgl. dazu die Entscheidungshilfe von [https://www.regioflora.ch/de/startseite-de/ Regio Flora]).<br />
<br />
Direktbegrünungsverfahren wurden in den letzten Jahren in der Schweiz, aber auch im Ausland <sup>20</sup> stark weiterentwickelt und verbessert und funktionieren mittlerweile bei fachgemässer Ausführung zuverlässig und erfolgreich.<br />
<br />
Heute wird von einigen Firmen autochthones Saatgut für die meisten Teile der Schweiz angeboten <sup>21</sup>. Die von Pro Natura initiierte und zusammen mit Info Flora, AGRIDEA und verschiedenen Kantonen aufgebaute Plattform [https://www.regioflora.ch/de/startseite-de/ Regio Flora] beschreibt die Methoden von Direktbegrünungen, gibt ausführliche Literaturhinweise und enthält auch eine Zusammenstellung von verschieden Samenanbietern und Fachpersonen. RegioFlora unterhält auch eine – derzeit allerdings je nach Region noch lückenhafte – [https://www.regioflora.ch/app/de/index.html Spenderflächendatenbank], die Nutzern helfen soll, eine geeignete Spenderfläche für eine Direktbegrünung zu finden.<br />
<br />
Entscheidend für Direktbegrünungsverfahren ist eine gute Zusammenarbeit mit den Besitzern und vor allem den Bewirtschaftern der Spenderflächen. Denn dank ihnen ist die gesuchte Artenvielfalt in diesen Flächen noch vorhanden. Die Nutzung einer Wiese als Spenderfläche bedeutet für die Bewirtschafter oft eine besondere Wertschätzung. Ihnen diese Wertschätzung bei einer Nutzung entgegenzubringen genügt aber nicht. Für die Erlaubnis, eine Ernte durchführen zu können, ist eine Entschädigung, die über den anfallenden Mehraufwand hinausgeht, angemessen.<br />
<br />
<small><br />
<sup>19</sup> Anmerkung: Bei der Sodenversetzung, die ebenfalls zu den Direktbegrünungsverfahren gezählt wird, gilt dasselbe, wobei anstelle von Samen ganze Vegetationsstücke inkl. der obersten Bodenschicht übertragen werden.<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>20</sup> Siehe ausführliche Literaturliste z.B. bei [https://www.regioflora.ch Regio Flora] und [https://www.holosem.ch/ HoloSem].<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>21</sup> Umfangreiche Informationen zum aktuellen Angebot auf [https://floretia.ch/ Floretia], wo neben autochthonem auch das Angebot von regionalem Vermehrungssaatgut aufgelistet ist. <br />
</small><br />
<br />
==Die verschiedenen Direktbegrünungsverfahren im Detail==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = agridea_verfahren_de_400dpi.png<br />
| text = Die neben der Mahdgutübertragung weiteren Methoden im Vergleich. Quelle: "Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft" (Hrsg.: Agridea, 2015)<br />
}}<br />
<br />
===Mahdgutübertragung===<br />
Die Spenderfläche wird zum Zeitpunkt der optimalen Samenreife der meisten Arten (Teigreife) in feuchtem Zustand gemäht <sup>22</sup> und das ganze Material auf die Ansaatfläche übertragen, meist etwa im Umfang 1:1. Die Praxis der Mahdgutübertragung wird im Merkblatt [https://www.agridea.ch/old/de/publikationen/publikationen/pflanzenbau-umwelt-natur-landschaft/naturnahe-lebensraeume-im-wiesland/direktbegruenung-artenreicher-wiesen-in-der-landwirtschaft/ «Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft» (Agridea 2015)] detailliert beschrieben (s. auch [https://www.youtube.com/watch?v=IsI8ivNB9u0 FiBL-Infofilm]). Der Vorteil dieser Methode liegt in ihrer Durchführung mit Geräten, die auf jedem Landwirtschaftsbetrieb existieren, und den relativ geringen Kosten, wenn der Landwirt die Arbeiten selber durchführen kann. Zudem werden so auch Kleintierarten und Moose auf die Ansaatfläche übertragen, und die Mahdgutauflage schafft einen ersten Erosionsschutz und verbessert die Keimungsbedingungen.<br />
<br />
Nachteile sind eine oft schwierige Logistik, ein relativ grosser Zeitaufwand und vor allem, dass das Ausbringen des Mahdgutes sogleich nach der Ernte im Sommer durchgeführt werden muss. Zum einen ist Sommer als Ansaatzeitpunkt oft nicht optimal, zum anderen stehen viele Flächen, beispielsweise bei Bauprojekten, nicht genau dann zur Ansaat bereit, wenn das Erntegut anfällt und ausgebracht werden muss. Ein weiterer Nachteil ist, dass verschiedene Erntezeitpunkte und verschiedene Spenderflächen nur beschränkt und mit stark erhöhtem Aufwand kombiniert werden können.<br />
<br />
<small><br />
<sup>22</sup> Ideal ist eine Mahd mit Messerbalken oder mit Sense. Es können aber je nach Verfügbarkeit und Zugänglichkeit der Fläche auch Saugmulcher eingesetzt werden, die in einem Arbeitsgang das Mähgut mähen und einsaugen. Dabei wird aber ein Grossteil der Kleintierfauna getötet, der erwähnte Vorteil einer Übertragung von Tieren fällt damit weg.<br />
</small><br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Mahdgutuebertragung 96 dpi.jpg<br />
| text = Mahdgutübertragung<br />
}}<br />
<br />
===Wiesendrusch===<br />
Das Saatgut wird auf der Spenderfläche mit einem Mähdrescher mit spezieller Einstellung geerntet. Die Methode funktioniert allerdings nur auf flachem Gelände, während die meisten nicht angesäten und damit für Direktbegrünungen in Frage kommenden Spenderflächen an Hängen liegen. Zudem werden einzelne Arten technisch kaum erfasst. Vorteile liegen in der relativ grossen Flächenleistung. Zudem kann das Saatgut verschiedener Wiesen und Erntezeitpunkte mit geringem Aufwand gemischt und das Saatgut bis 2 oder 3 Jahre (je nach Lagerung) nach der Ernte zu einem beliebigen Zeitpunkt ausgesät werden. In der Schweiz liegen erst wenige Erfahrungen mit dieser Methode vor, vor allem durch Untersuchungen der landwirtschaftlichen Fachhochschule HAFL in Zollikofen bei Bern. Als erste Firma bietet Regiosaat.ch seit 2019 autochthones Saatgut aus Wiesendrusch auf dem Markt an.<br />
<br />
Eine Abwandlung des Wiesendruschs stellt der Heudrusch® dar, eine von Joe Engelhardt in Deutschland entwickelte und praktizierte Methode, bei der das feuchte Erntegut wie bei der Mahdgutübertragung geerntet wird, dann aber statt direkt übertragen mit einer speziellen Infrastruktur getrocknet und ausgedroschen wird.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Ernte_mit_Maehdrescher 96 dpi.jpg<br />
| text = Sammeln von Saatgut mit dem Mähdrescher.<br />
}}<br />
<br />
===Seedbrushing===<br />
Bei dieser Methode werden die Samen mit speziellen Bürstenmaschinen aus dem stehenden Pflanzenbestand geerntet. Die Methode ist weniger schlagkräftig als der Wiesendrusch, es können aber mit den Geräten der neuesten Generation auch steile, vernässte oder topographisch schwierige Spenderflächen beerntet werden. Zudem erlaubt die Methode je nach verwendetem Gerät eine sehr individuelle Nutzung, indem einzelne Arten spezifisch beerntet oder auch ausgeschlossen werden. Bei zu dichten oder zu hohen Beständen sind der Methode aber Grenzen gesetzt, beispielsweise bei nährstoffreicheren Fromentalwiesen oder Hochstaudenfluren. Wie beim Wiesendrusch können verschiedene Spenderflächen und Erntezeitpunkte mit geringem Aufwand kombiniert und so die Artenzusammensetzung des Saatgutes optimiert werden <sup>23</sup>. Ebenso ist der Ansaatzeitpunkt flexibel. Die Methode wird in der Schweiz derzeit nur von [http://www.agraroekologie.ch/ Ö+L] angeboten. Die Firma hat dazu ein eigenes Gerät, den [http://www.holosem.ch/ebeetle/angebot/ eBeetle], entwickelt.<br />
<br />
<small><br />
<sup>23</sup> Dies gilt selbstredend nur dann, wenn alle kombinierten Spenderflächen aus derselben Kleinregion und von demselben Wiesentyp vergleichbarer Standorte stammen.<br />
</small><br />
<br />
===Weitere Verfahren===<br />
Neben den drei erwähnten Hauptmethoden gibt es weitere, allerdings deutlich weniger schlagkräftige und damit nur kleinflächig anwendbare oder die obigen Verfahren ergänzende Methoden der Direktbegrünung. Dazu gehören:<br />
<br />
'''Sammeln von Hand''' <br/><br />
Natürlich können die gewünschten Arten in den Spenderflächen auch von Hand geerntet werden. Dies erlaubt zwar eine sehr gezielte und individuelle Beerntung einzelner Arten zum optimalen Reifezeitpunkt der Samen (die je nach Art in der Regel bei der Teigreife einsetzt), ist aber sehr zeitaufwändig und nur für kleine Flächen realistisch. Handernte kann allerdings zur Ergänzung beispielsweise von Wiesendrusch oder von Mahdgutübertragungen eine wichtige Rolle spielen, indem Samen von Pflanzenarten damit effizient ergänzt werden können, die aus verschiedenen Gründen (Reifezeitpunkt, nur sehr vereinzeltes Vorkommen etc.) nicht übertragen bzw. maschinell nicht geerntet werden.<br />
'''Sammeln mit tragbaren Kleingeräten''' <br/><br />
Es existieren auf dem Markt Sauger und andere tragbare Techniken, mit denen das Saatgut aus dem stehenden Bestand der Spenderwiese geerntet werden kann. Diese Methoden sind aber nur wenig schlagkräftig und ebenfalls nur für kleine Flächen geeignet. Gegenüber einer Handernte bieten sie nur in speziellen Fällen wirklich Vorteile. In der Schweiz werden solche Geräte nur sehr punktuell angewendet.<br />
<br />
'''Heublumen''' <br/><br />
Diese Methode war bis Mitte des letzten Jahrhunderts das übliche Verfahren bei der Verbesserung oder Neuanlage von Wiesen. Dabei wird der Samenausfall aus dem Heustock gesammelt und direkt ausgesät. Da bis in die 1950er Jahre fast nur artenreiche Wiesen existierten (Bosshard 2016 <sup>24</sup>), hat diese Methode damals ausgezeichnet funktioniert. Heute bestehen Heublumen vor allem aus Samen von artenarmen Fett- und Intensivwiesen und beinhalten oft viele unerwünschte Arten wie Blacken oder Disteln, so dass von dieser Methode in aller Regel dringend abgeraten werden muss.<br />
<br />
'''Sodenversetzung''' <br/><br />
In denjenigen Fällen, wo ein artenreicher Wiesenbestand zerstört und nachher wiederhergestellt werden soll, eignet sich die Methode der Sodenversetzung bzw. Sodenschüttung besonders gut. Dabei wird die Ursprungsvegetation mit dem Bagger als grosse Rasenziegel gelagert und nach dem Bau wieder auf die zu begrünende Fläche aufgetragen. Am meisten Erfahrungen mit dem Verfahren bestehen im Kanton Graubünden, wo vor allem beim Strassenbau und bei Meliorationsprojekten die Sodenversetzung heute zur hauptsächlich angewandten Methode gehört.<br />
<br />
'''Spontanbegrünung''' <br/><br />
Überall dort, wo noch artenreiche Flächen mit den Zielarten in der näheren Umgebung vorhanden oder in der Samenbank des Bodens zu erwarten sind, kommt auch eine Spontanbegrünung in Betracht. Bei dieser Methode wird nichts angesät, sondern einfach gewartet, bis sich die passenden Arten von selbst wieder etablieren. Die Methode kann vor allem im Berggebiet empfohlen werden, sofern nur kleine bzw. wenige Meter breite Flächen zu begrünen sind und sofern in der unmittelbaren Umgebung noch artenreiche Wiesen vorhanden sind (Distanz <20 m).<br />
<br />
<small><br />
<sup>24</sup> Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas. Bosshard A. 2016. Haupt-Verlag, Bern. 265 S. [https://issuu.com/haupt/docs/9783258079738Inhaltsübersicht, Zusammenfassung und Leseprobe S. 1-34]. <br />
</small><br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Saatguternte_Mesobr_mit_eBeetle 96 dpi.jpg<br />
| text = Saatguternte mit dem eBeetle.<br />
}}<br />
<br />
==Hohe Anforderungen an die Planung==<br />
Bei den Methoden «Mahdgutübertragung» bis «Sammeln von Hand» ist eine sorgfältige Planung essentiell. Da die Ernte nur im lokalen Rahmen erfolgt, ist oft kein geeignetes Saatgut an Lager, sondern dieses wird, v.a. bei grösserem Bedarf, spezifisch «on demand» produziert. D.h. es muss bis spätestens im Mai klar sein, welcher Saatgutbedarf für welche Lokalitäten und Standortbedingungen besteht. Wenn also im Frühjahr, dem optimalen Aussaatzeitpunkt, angesät werden soll, muss die Ernte bereits im Sommer des Vorjahres erfolgt sein.<br />
<br />
==Weitere Informationen zu den Direktbegrünungsverfahren ==<br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~2591~1/3~410250~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Naturnahe-Lebensr%C3%A4ume-im-Wiesland/Direktbegr%C3%BCnung-artenreicher-Wiesen-in-der-Landwirtschaft/Deutsch/Print-Papier Agridea-Wegleitung «Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft» (2015)]<br />
* [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Leitfaden_naturgemaesse_Begruenungen_def.pdf «Leitfaden für naturgemässe Begrünungen»]<br />
* Kirmer A., Krautzer B., Scotton M., Tischew S. (Hrsg.) 2012: Praxishandbuch zur Samengewinnung und Renaturierung von artenreichem Grünland. Lehr- und Forschungszentrum Raumberg-Gumpenstein.<br />
* [https://www.regioflora.ch/de/startseite-de/ Regio Flora, Förderung der regionalen Vielfalt im Grünland]<br />
* [http://www.holosem.ch/ HoloSem®]<br />
* [https://www.regiosaat.ch/ www.regiosaat.ch]<br />
* [https://www.conservationevidence.com/actions/133 Conservation Evidence] (englische Seite mit vielen wissenschaftlichen Hintergrundinformationen aus verschiedenen Studien)<br />
<br />
==Anwendung und Bezug von Blumenwiesen-Standardsaatgut==<br />
In Regionen, in denen zu wenig qualitativ hochwertige Spenderflächen existieren, oder wo aus anderen Gründen keine Direktbegrünungen möglich sind, ist artenreiches Wiesenblumensaatgut mit Ökotypen aus der betreffenden Biogeographischen Region (s. Abb. 1) eine gute Alternative.<br />
<br />
In der Schweiz bieten folgende Firmen geprüftes Blumenwiesen-Standardsaatgut an: [https://www.ufasamen.ch/ Ufa], [https://www.hauenstein.ch/de/ Hauenstein], [http://www.sativa-rheinau.ch/ Sativa] und [https://www.ericschweizer.ch/ Schweizer Samen]. Das grösste Angebot haben Ufa und Hauenstein, Saatgut in Bio-Qualität bietet Sativa. Einige der angebotenen Mischungen wechseln fast jährlich, und es ist entsprechend zu empfehlen, jeweils aktuell die Web-Informationsseiten oder die reich bebilderten Prospekte der betreffenden Firmen zu konsultieren, um die für den jeweiligen Anwendungszweck am besten geeignete Blumenwiesenmischung zu bestimmen.<br />
<br />
Beim Kauf ist unbedingt darauf zu achten, aus welcher biogeographischen Region das Saatgut stammt. Die Angabe, dass das Saatgut aus Schweizer Ökotypen besteht, genügt nicht, weil solches Saatgut oft ein Gemisch aus Herkünften verschiedener biogeographischer Regionen ist. Noch immer sind verbreitet Mischungen auf dem Markt, bei denen nur der Wiesenblumenanteil aus einheimischen Ökotypen besteht, während der Gräseranteil, der oft weit über 90% des Saatgutanteils ausmacht, nicht spezifiziert ist und dann in der Regel aus dem Ausland stammt und nicht selten auch Zuchtsorten enthält. Solches Saatgut ist deutlich kostengünstiger, aber aus den in der [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Einleitung Einleitung] erläuterten Gründen nicht zu empfehlen bzw. je nach Anwendungsbereich nicht rechtskonform.<br />
<br />
Von den meisten artenreichen Mischungen besteht nur Saatgut mit Ökotypen aus der Biogeographischen Region Mittelland. Solches Saatgut sollte nicht im Jura, im Berggebiet oder in der Südschweiz ausgebracht werden. In diesen Regionen kommt für die meisten Anwendungszwecke mangels eines entsprechenden Standardsaatgutangebotes nur autochthones Saatgut in Frage.<br />
<br />
Einige wenige Kantone (z.B. [https://lawa.lu.ch/-/media/LAWA/Dokumente/Landwirtschaft/Biodiversitaetsfoerderflaechen/Merkblaetter/MB_Blumenwiese_Neuansaat.pdf LU] und [https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/dfr/dokumente_3/landwirtschaft_2/umweltprojekte/naturnahe_landwirtschaft_1/merkblaetter_labiola/20_Labiola_MB_Saat_und_Pflanzug_okt16.pdf AG]) haben für den Landwirtschaftsbereich in Zusammenarbeit mit dem Handel kantonal angepasste Blumenwiesenmischungen entwickelt. Diese weichen teilweise in der Artenzusammensetzung leicht ab von den gängigen Mischungen, teilweise stammt das Basissaatgut einzelner Arten aus dem betreffenden Kanton. Der Bezug erfolgt teils über den Handel, teils über den Kanton bzw. von ihm beauftragte Stellen.<br />
<br />
== Qualitätssicherung ==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Bosshard_NEAT_Amit_HoloSem_Saatgut_angesaet_zg 96 dpi.jpg<br />
| text = Gemäss HoloSem-Standard frisch angesäte Böschung.<br />
}}<br />
Die im Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Herkunft_des_Saatgutes:_Empfehlungen.2C_Standards_und_rechtliche_Vorgaben «Herkunft des Saatgutes»] erwähnten Empfehlungen von Info Flora und RegioFlora, im Hinblick auf die Auswahl des Basissaatgutes bzw. der Spenderflächen und die räumliche Ausbreitung des Saatgutes, betreffen sowohl Standardsaatgut wie Direktbegrünungen.<br />
<br />
Was das Standardsaatgut anbelangt einigten sich die Schweizer Saatgutfirmen in einem mehrjährigen Prozess in den 1990er Jahren zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft für den Futterbau und der Forschungsanstalt Reckenholz auf eine Vereinbarung, welche die Empfehlungen von Info Flora (damals SKEW) berücksichtigt. Die Samenfirmen erklärten sich bereit, nur einheimische CH-Ökotypen für Blumenwiesenmischungen zu verwenden, den Forschungsanstalten die für die Ernte vorgesehenen Felder mit den geforderten Angaben (z.B. Herkunft des Ursprungssaatgutes, Parzellengrösse) zu melden, und die Vermehrungen stichprobenweise durch die Forschungsanstalten überprüfen zu lassen. Allerdings wird diese Vereinbarung nur für den Wiesenblumenzusatz des Saatgutes eingehalten, der Gräseranteil stammt v.a. bei Mischungen, die im Verkehrsbau verwendet werden, bis heute noch häufig aus ungeprüftem Saatgut aus dem Ausland.<br />
<br />
Für Direktbegrünungen existiert neben den Empfehlungen von Info Flora/RegioFlora ein von der Branche selber entwickelter Qualitätsstandard [http://www.holosem.ch/begruenungen/holosem-standard/ HoloSem]. Dieser existiert seit 2014 und definiert, welche standörtlichen und qualitativen Anforderungen bei der Ernte des Saatgutes zu berücksichtigen sind, definiert eine maximale Distanz der Verbreitung des autochthonen Saatguts von 15 km aus, wobei zusätzlich die biogeographische Region der Standort, die Höhenlage u.a. mitberücksichtigt werden müssen. Zudem bestehen Anforderungen zur Dokumentation, zur Spenderflächenauswahl u.a. Der Standard wird zunehmend für Ausschreibungen genutzt, um eine einheitliche Mindestqualität von Direktbegrünungen sicherzustellen.<br />
<br />
Ebenso wichtig und zielführend wie ein Standard sind für eine fachgemässe Ausführung v.a. von Mahdgutübertragungen in der Landwirtschaft eine gute Begleitung und Beratung der jeweils beteiligten Akteure, beispielsweise der Bewirtschafter der Flächen, welche die Mahdgutübertragung auch selber durchführen können. Eine fachliche Beratung kann den Erfolg und die Qualität der so angesäten Flächen wesentlich verbessern. Das zeigt sich beispielsweise im Kanton Aargau, wo interessierten Landwirten eine solche Beratung kostenlos zur Verfügung steht und wo der Erfolg der Mahdgutübertragungen mit einem Monitoring überprüft wird. Eine wertvolle Hilfe für die korrekte Ausführung von Mahdgutübertragungen bietet auch die Internetseite regioflora.ch, wo umfangreiche Informationen leicht verständlich aufgearbeitet sind.<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = wichtigste Begruenungsverfahren de.png<br />
| text = Übersicht über die wichtigsten Begrünungsverfahren und ihre optimalen Ausführungszeitpunkte, bezogen auf Lagen bis ca. 1000 m ü.M. In der angegebenen Literatur hat es auf Seite 31 eine Tabelle, die auch auf höher gelegene Flächen eingeht. [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Leitfaden_naturgemaesse_Begruenungen_def.pdf Quelle: Bosshard, A., Mayer, P., Mosimann, A., 2015. Leitfaden für naturgemässe Begrünungen in der Schweiz. Mit besonderer Berücksichtigung der Biodiversität. Ö+L Ökologie und Landschaft GmbH].<br />
}}<br />
<br />
=Praktische Durchführung von Ansaat und anschliessender Pflege artenreicher Wiesen=<br />
Artenreiches Saatgut ist zu kostbar, um es nicht optimal einzusetzen. Denn auch das beste Saatgut führt nur bei einer fachgerecht durchgeführten Ansaat und Pflege/Bewirtschaftung zum Erfolg.<br />
<br />
==Saatbettvorbereitung==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Empfängerfläche 5 96 dpi.JPG<br />
| text = Dieses Saatbett wurde zur Vorbereitung geackert und anschliessend in Zeitabständen von etwa drei Wochen mehrmals geeggt.<br />
}}<br />
Ein vegetationsfreies, gut abgesetztes, feinkrümeliges Saatbett ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Ansaat.<br />
Der Boden kann durch Pflügen oder mehrmaliges Eggen vegetationsfrei gemacht werden, in speziellen Fällen auch durch Abdecken mit schwarzer Gärtnerfolie; Abspritzen mit Herbiziden ist nicht zu empfehlen. Einsaaten (Übersaaten) in bestehende Wiesen ohne Entfernen des alten Wiesenbestandes führen nur mit hohem Aufwand zum Erfolg (siehe [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Botanische_Aufwertung_von_verarmten_Naturwiesen_mittels_Einsaaten «Übersaatmethode»]!<br />
<br />
„Gut abgesetzter Boden“ heisst: Die letzte tiefere Bodenbearbeitung (Pflügen, Eggen, Aufbringen einer Bodenschicht) liegt mindestens drei bis vier Wochen vor der Ansaat. Grund: Ist der Boden bei der Ansaat zu locker, fehlt der sogenannte Bodenschluss, und die jungen Keimlinge laufen Gefahr, nicht richtig wurzeln zu können; zudem ist die Wasserzufuhr aus dem Unterboden mangelhaft, was bei Trockenperioden zu grossen Ausfällen führen kann.<br />
Unmittelbar vor der Saat darf der Boden falls nötig („Unkrautkur“) nur noch sehr flach (ca. 3 cm tief) geeggt oder gefräst werden.<br />
<br />
==Saatzeitpunkt==<br />
Die Ansaaten sollten, wenn immer möglich, im April oder Mai erfolgen. Dies gilt nicht für Mahdgutübertragungen, die bei optimaler Reife der Spenderflächen durchgeführt werden müssen, also in der Regel im Juni oder Juli. Spätere Ansaaten können durch Trocken- und Hitzeperioden empfindlich beeinträchtigt werden (v.a. die Gräser). Bei Herbstansaaten sind die Verluste über den Winter ebenfalls meist beträchtlich (insbesondere der Kräuter/Wiesenblumen). Können Ansaaten, z.B. aus Gründen des Erosionsschutzes, nicht im April oder Mai erfolgen, bietet sich der Einsatz von Zwischen- und Deckfrüchten an. Eine Beratung von Fachpersonen ist dabei zu empfehlen.<br />
<br />
==Saat==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Hydrosaat mit autochthonem Saatgut 96 dpi.JPG<br />
| text = Hydrosaat mit autochthonem Saatgut.<br />
}}<br />
Die angegebene Saatmenge wird je nach Situation und Ausrüstung von Hand oder mit geeigneten Maschinen (Hydroseeder, Sämaschine, Düngerstreuer etc.) oberflächlich ausgebracht. Saatgut nicht in den Boden einarbeiten! Bei kleineren Flächen empfiehlt sich eine Handsaat, wobei je die Hälfte des Saatgutes kreuzweise (d.h. zuerst von links nach rechts, dann von hinten nach vorne) ausgebracht wird, um eine gleichmässige Saat sicherzustellen. Auf lockeren Böden (z.B. Landwirtschaftsflächen) muss unmittelbar nach der Saat gewalzt werden. Geeignet sind Gliederwalzen (z.B. Cambridgewalze). Kleine Flächen können auch „angeklopft“ oder „angestampft“ werden.<br />
<br />
==Nachsaatpflege im Ansaatjahr==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Mahdgutuebertr_Keimungsphase mit ebenfalls uebertragener Trockenwiesenschnecke 96 dpi.jpg<br />
| text = Mit der Mahdgutübertragung wurden aus der Trockenwiese Schnecken miteingebracht.<br />
}}<br />
Fast alle Pflanzen artenreicher Wiesen keimen erst einige Wochen nach der Ansaat und entwickeln sich auch danach nur sehr langsam. Die „Unkräuter“ dagegen keimen meist sofort nach der letzten Bewegung des Bodens und legen dann sofort mit Wachstum los. Vor allem auf humosen Böden können einjährige Pflanzen aus der bodenbürtigen Samenbank schon nach kurzer Zeit völlig überhandnehmen.<br />
<br />
Jetzt heisst es '''Ruhe bewahren''', denn dies ist normal und beeinträchtigt die spätere Entwicklung der Wiese in keiner Weise. Wichtig ist jedoch, dass nicht zu lange mit dem sogenannten Pflegeschnitt zugewartet wird, damit die Keimlinge der angesäten Arten nicht unter einer dicken Pflanzendecke aufgrund von Lichtmangel absterben.<br />
<br />
'''Faustregel''': Sobald der Boden nach der Ansaat stellenweise so stark mit „Unkraut“ bedeckt ist, dass er nicht mehr sichtbar ist, sollte ein Pflegeschnitt durchgeführt werden:<br />
* Hoch mähen (5-10 cm).<br />
* Das Mähgut muss abgeführt werden.<br />
* Eventuell muss der Pflegeschnitt im Ansaatjahr ein zweites Mal durchgeführt werden, wenn sich die einjährigen Arten nochmals rasch entwickeln. <br />
* Auch wenn vorher kein Pflegeschnitt nötig war: Im Herbst vor dem Einwintern, idealerweise in der ersten Septemberhälfte, sollte ein Pflegeschnitt gemacht werden.<br />
<br />
Wichtig ist, im Herbst nochmals einen Blick auf den Bestand zu werfen: '''Die Vegetation sollte nicht höher als fausthoch in den Winter gehen''', damit die jungen Pflänzchen nicht mit einer vom Schnee zusammengedrückten „Vegetationsmatte“ zugedeckt werden. Meist ist deshalb vor dem Einwintern, idealerweise in der ersten Septemberhälfte, zumindest der erste, oder aber einfach der letzte von 2 Pflegeschnitten angesagt.<br />
<br />
Entwickeln sich Blacken (''Rumex obtusifolius'') oder invasive Neophyten, empfiehlt es sich, diese bereits im Ansaatjahr zu zupfen oder auszustechen. Bei allem anderen „Unkraut“ hilft Jäten nichts, im Gegenteil, der Schaden wäre grösser als der Nutzen, der Pflegeschnitt reicht vollauf.<br />
<br />
Oft wird vergessen: Im Ansaatjahr ist von den angesäten Arten noch so gut wie nichts zu sehen, und es ist nur schwer zu beurteilen, ob eine Ansaat gelungen ist oder nicht. Im Jahr der Ansaat sollten also keine vorschnellen Urteile über das Gelingen gefällt werden.<br />
<br />
==Bewirtschaftung/Pflege in den Nachfolgejahren==<br />
Erst im Jahr nach der Ansaat lässt sich erkennen, ob sich die Saat gut entwickelt, und das Gesicht der zukünftigen Wiese beginnt sich nach und nach zu zeigen. Es dauert aber je nach Standort und angesäten Arten meist nochmals ein Jahr oder mehr, bis sich alle Pflanzen richtig etabliert haben und sich ein stabiler Pflanzenbestand entwickelt hat.<br />
Wie bei einem guten Wein ist bei der Neuansaat artenreicher Wiesen also Geduld angesagt! '''Gut Ding will Weile haben.'''<br />
<br />
Doch bereits jetzt, im Jahr nach der Ansaat, kann zur regulären Pflege/Nutzung mit jährlich ein bis zwei Mähschnitten übergegangen werden. Die Mahd muss unbedingt dem angestrebten Pflanzenbestand und damit den angesäten Arten angepasst sein. Generelle Empfehlungen sind hier schwierig. Folgendes lässt sich aber allgemein festhalten (siehe auch [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimale_Mahdnutzung Kapitel «Erhalt und Aufwertung durch optimale Mahdnutzung»]):<br />
* Mehr als zwei Mähschnitte sind bei ungedüngten Wiesen in keinem Fall nötig, sondern schaden der Artenvielfalt und verursachen darüber hinaus unnötig Aufwand, Kosten und Ressourcenverbrauch.<br />
* Die Mahd sollte in der Regel rund 1-2 Wochen nach der Hauptblüte der Wiese durchgeführt werden, damit ein Absamen möglich ist. In vielen Fällen liegt der optimale erste Schnittzeitpunkt in den tieferen Lagen in der zweiten Juni- oder in der ersten Julihälfte.<br />
* Wo keine Vorgaben für den ersten Schnittzeitpunkt bestehen (z.B. bei Ökoflächen in der Landwirtschaft), ist eine jährliche Variation des Schnittregimes für die Artenvielfalt förderlich (mal eher früh, mal eher spät mähen etc.).<br />
* Bei der Mahd immer kleine Reste stehen lassen, damit sich dort Tiere in die verbleibenden Strukturen zurückziehen und sich spät blühende Arten noch bis zur Samenreife entwickeln können. Am besten ist es, bei jedem Schnitt 10% der Fläche in Form von Rückzugsstreifen ungemäht zu lassen, jedes Mal wieder an einem anderen Ort. Empfehlenswert ist auch eine gestaffelte Mahd (kleinflächig unterschiedliche Schnittzeitpunkte mit mindestens 3 Wochen Intervall), wo dies vom Aufwand her möglich ist.<br />
* Wenn möglich nach der Mahd Bodenheu bereiten, d.h. das Gras am Ort an 2-3 niederschlagsfreien Tage trocknen, damit die Pflanzensamen ausreifen und ausfallen können.<br />
* Das Mähgut ist auf jeden Fall abzuführen. Mulchen vermindert in der Regel die Pflanzenartenvielfalt rasch.<br />
* Entwickeln sich Stumpfblättriger Ampfer („Blacken“) oder invasive Neophyten wie amerikanische Goldruten oder Einjähriges Berufskraut, müssen diese regelmässig und möglichst von Beginn an gejätet werden. Je früher und konsequenter man damit beginnt, desto mehr Arbeit lässt sich längerfristig sparen.<br />
<br />
Wer diese Empfehlungen befolgt, kann schon nach 1-2 Jahren mit einer farbenprächtigen Blumenwiese rechnen.<br />
<br />
Wenn die Biodiversität nach erfolgreicher Ansaat noch wirksamer gefördert werden soll, ist zu empfehlen, die Blumenwiese mit Strukturen<!--Link auf Kleinstrukturen, wenn aufgeschaltet--> wie Asthaufen, einer Trockenmauer, Kiesflächen<!--Link auf Pionierflächen, wenn aufgeschaltet-->, einem kleinen [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Stillgew%C3%A4sser Teich], einer [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Hecke Hecke] oder Einzelbäumen weiter aufzuwerten (siehe auch [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Allgemeine_Massnahmen Allgemeine Massnahmen]).<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* [http://www.holosem.ch/localseed/richtig-ansaeen/ HoloSem<sup>®</sup>]<br />
<br />
=Information und Motivation für eine anspruchsvolle Verbundaufgabe=<br />
Bei Wiesenaufwertungen und artenreichen Grünlandansaaten die richtige Methode zur richtigen Zeit am richtigen Standort zu wählen, um so die Biodiversität optimal fördern zu können, ist anspruchsvoll und nicht selten auch mit Zusatzaufwand und Hindernissen verbunden. Das lassen die bisherigen Ausführungen nicht übersehen.<br />
<br />
Entsprechend wichtig ist es, die vielen Akteure auf den verschiedenen Stufen der Entscheidungsprozesse immer wieder auf die Wichtigkeit und die Chancen von Wiesenaufwertungen aufmerksam zu machen und sie über die verschiedenen Möglichkeiten und die Vor- und Nachteile der verfügbaren Methoden zu informieren und weiterzubilden.<br />
<br />
Die Informations- und Motivationsaufgabe ist umso grösser, als sehr unterschiedliche Akteure letztlich daran beteiligt sind, wo welche Aufwertungen wie realisiert werden (oder auch nicht realisiert werden). Landschaftsarchitekten, Gartenarchitekten, Umweltbaubegleiter, Umweltverantwortliche, bodenkundliche Begleitplaner, Begrüner, Bauherren, Ökobüros, verschiedenste Amtsstellen von der Gemeinde bis zum Bund, Schulen, Weiterbildungsinstitutionen etc. etc. – und nicht zuletzt Landwirtinnen und Landwirte: Sie alle entscheiden regelmässig mit, was draussen in der Landschaft vor unserer Haustüre passiert. Es ist zu wünschen, dass das vorliegende Informationsangebot (vom Verein biodivers) dazu beiträgt, dass diese Herausforderung in Zukunft noch besser zu meistern, damit die unzähligen Chancen von Naturaufwertungen noch gezielter genutzt werden können als bisher.<br />
<br />
=Weiterführende Literatur=<br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~1425~1/3~410250~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Naturnahe-Lebensr%C3%A4ume-im-Wiesland/Der-Weg-zu-artenreichen-Wiesen/Deutsch/Print-Papier Der Weg zu artenreichen Wiesen. Agridea-Merkblatt, 2010.]<br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~2591~1/3~410250~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Naturnahe-Lebensr%C3%A4ume-im-Wiesland/Direktbegr%C3%BCnung-artenreicher-Wiesen-in-der-Landwirtschaft/Deutsch/Print-Papier Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft. Leitfaden für die Praxis zum Einsatz von regionalem Saatgut in Biodiversitätsförderflächen, Agridea, 2015.]<br />
* [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Leitfaden_naturgemaesse_Begruenungen_def.pdf Leitfaden für naturgemässe Begrünungen in der Schweiz. Mit besonderer Berücksichtigung der Biodiversität, Bosshard et al. 2015]<br />
* [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Guideline_restoration_deutsch.pdf Leitfaden zur Renaturierung von artenreichem Grünland. SALVERE 2012]<br />
* [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2017/08/Wiesenrenaturierung_NuL_2000.pdf Blumenreiche Heuwiesen aus Ackerland und Intensiv-Wiesen. Eine Anleitung zur Renaturierung in der landwirtschaftlichen Praxis. Naturschutz und Landschaftsplanung 32/6 (2000), 161-171.]<br />
* Gürke, J., Hrsg.: Pro Natura, 2014. Blumenwiesen anlegen und pflegen, Pro Natura Praxis Nr. 21.<br />
* Kirmer A., Krautzer B., Scotton M., Tischew S. (Hrsg.) 2012: Praxishandbuch zur Samengewinnung und Renaturierung von artenreichem Grünland. Lehr- und Forschungszentrum Raumberg-Gumpenstein.<br />
* Kiehl K., Kirmer A., Shaw N., Tischew S. (Hrsg.) 2014: Guidelines for Native Seed Production and Grassland Restoration. Cambridge Scholars Publishing<br />
* Brönnimann D. und Minloff L., 2015: Entwicklung von angesäten extensiven Wiesen im Naturnetz Pfannenstil. Bachelorarbeit<br />
* Zemp-Lori N., 2016: Besiedlung angesäter extensiver Wiesen durch Tagfalter im Naturnetz Pfannenstil. Bachelorarbeit<br />
* [https://www.research-collection.ethz.ch/handle/20.500.11850/143994 Renaturierung artenreicher Wiesen auf nährstoffreichen Böden. Ein Beitrag zur Optimierung der ökologischen Aufwertung der Kulturlandschaft und zum Verständnis mesischer Wiesen-Ökosysteme. Dissertationes Botanicae Band 303, Stuttgart 1999.]<br />
* [https://www.agraroekologie.ch/wp-content/uploads/2016/10/NuL07-10_Mueller_Bosshard.pdf Altgrasstreifen fördern Heuschrecken in Ökowiesen – Eine Möglichkeit zur Strukturverbesserung im Mähgrünland. Naturschutz und Landschaftsplanung 42 (7), 2010, 212-217.]<br />
* Grün Stadt Zürich, Fachbereich Naturschutz, 2010. Pflegeverfahren. Ein Leitfaden zur Erhaltung und Aufwertung wertvoller Naturflächen, Leitfaden. Zürich.<br />
* [http://www.holosem.ch/begruenungen/fachunterlagen/ Weitere Literatur siehe HoloSem / Fachunterlagen]<br />
<br />
Zu Aufwand und Kosten der beschriebenen Massnahmen enthalten folgende Unterlagen Informationen und Hilfeleistungen:<br />
* Saatgutkataloge und Webseiten der genannten [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Anwendung_und_Bezug_von_Blumenwiesen-Standardsaatgut Anbieter] von Standard- und autochthonem Saatgut<br />
* Normpositionenkataloge (nur käuflich erwerblich)<br />
<br />
Zu Aufwand und Kosten der beschriebenen Massnahmen enthalten folgende Unterlagen Informationen und Hilfeleistungen:<br />
* Saatgutkataloge und Webseiten der [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Anwendung_und_Bezug_von_Blumenwiesen-Standardsaatgut genannten Anbieter] von Standard- und autochthonem Saatgut<br />
* Normpositionenkataloge (nur käuflich erwerblich)<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = WiesenhausMatzingen_auchHaeuser_eignen_sich_fuer_artenreiche_Wiesen 96 dpi.jpg<br />
| text = Auch Häuser eignen sich für artenreiche Wiesen.<br />
}}<br />
<br />
= Weitere Kapitel zum Grünland =<br />
* [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland#Einleitung Einleitung und Zusammenfassung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie Praxisrelevante Ökologie]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung Erhalt und Aufwertung durch optimierte Bewirtschaftung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen Grundlagen]<br />
<!--* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisbeispiele Praxisbeispiele]--><br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || Andreas Bosshard|| [http://www.agraroekologie.ch/ueber-uns/team/ Ö+L GmbH]<br />
|-<br />
| Unter Mitwirkung von || Regula Benz|| <br />
|-<br />
| || Jean-Yves Humbert|| [https://www.cb.iee.unibe.ch/about_us/pd_dr_humbert_jean_yves/index_eng.html Universität Bern, Conservation Biology]<br />
|-<br />
| || Andrea Lips || [https://www.pronatura.ch/de Pro Natura]<br />
|-<br />
| || Winu Schüpbach|| [https://www.quadragmbh.ch/ quadra gmbh] <br />
|-<br />
|}<br />
<br /><br />
<br /></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat&diff=4711
Grünland/Aufwertung und Neuschaffung durch Direktbegrünung und Ansaat
2023-03-05T17:38:58Z
<p>VB2: </p>
<hr />
<div>[[fr:Milieux prairiaux/Revalorisation et création de prairies riches en espèces par enherbement direct et ensemencement]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Mahd Spenderfläche 1 96 dpi.JPG<br />
| text = Ein monotoner Bestand lässt sich mit verschiedenen Methoden innert relativ kurzer Zeit in eine blüten- und artenreiche Wiese umwandeln. In diesem Artikel werden die verschiedenen Verfahren für die Aufwertung von Wiesen vorgestellt. Das Foto zeigt die Mahd einer Spenderfläche früh am Morgen bei feuchter Vegetation.<br />
}}<br />
{{TOC limit|3}}<br />
<br />
=Einleitung=<br />
Die Neuanlage oder Wiederherstellung artenreicher Wiesen ist eine der wirksamsten Massnahmen zur Förderung der Artenvielfalt. Eine artenreiche Wiese kann 30 bis über 60 Pflanzenarten auf einem einzigen Quadratmeter aufweisen.<sup>1</sup> Weltweit können in keinem anderen Ökosystem oder Lebensraum so viele Pflanzenarten auf so kleinen Flächen zusammen existieren. Und eine ökologische Faustregel besagt, dass pro etablierter Pflanzenart 10 Tierarten vorkommen. <br />
Schon auf wenigen Quadratmetern kann also bei einer Neuschaffung einer artenreichen Wiese enorm viel für die Biodiversität getan werden. Der Artikel beschreibt, mit welchen Methoden artenreiches Wiesland neu geschaffen werden kann, welche Vor- und Nachteile die verschiedenen Methoden haben, und auf welchen Standorten welche mehr oder weniger artenreichen Wiesentypen realistischerweise angestrebt werden können. Die Ausführungen richten sich primär an Praktiker, die bei ihrer Tätigkeit aber nicht nur nach Rezept handeln, sondern auch die ökologischen Zusammenhänge verstehen möchten. <br />
<br />
<small><br />
<sup>1</sup> während in intensiv genutzten Wiesen oder Rasenflächen als Vergleich höchstens ein gutes Dutzend Arten vorkommen.<br />
</small><br />
<br />
<!--vorläufig weglassen: == Sich verändernde Ziele und Fragestellungen ==<br />
Die Neuschaffung und Aufwertung von artenreichen Wiesen kam erst in den 1990er Jahren in grösserem Ausmass auf. Die agrarpolitischen Diskussionen um die enorme Zerstörung der Biodiversität durch die immer intensivere Landwirtschaft führte zur Suche nach Alternativen. Erstmals wurde in den 1990er Jahren in der Schweiz ein Mindestanteil an naturnahen Flächen für jeden Landwirtschaftsbetrieb vorgeschrieben, und es entstanden Bemühungen, die in einigen Teilen der Schweiz praktisch verschwundenen, ehemals fast flächendeckend vorhandenen artenreichen Wiesen mit Ansaaten wieder zurück in die landwirtschaftlich genutzte Kulturlandschaft zu bringen. Aber auch in Naturschutzgebieten, bei Verkehrsprojekten oder im Siedlungsgebiet wurde zunehmend artenreiches Wiesland neu geschaffen. Entscheidend war dabei, dass entsprechende hochwertige, artenreiche Saatgutmischungen zumindest für trockenere Standorte nun auf dem Markt erhältlich waren. <br />
Wie der Artikel in einem kurzen historischen Abriss beschreibt, hat sich seit den ersten systematischen Versuchen mit artenreichen Wiesenansaaten in den 1980er und 1990er-Jahren viel verändert. Bis heute kommt laufend neues Wissen dazu, werden neue Ansaatmethoden entwickelt oder kommen neue Saatgutmischungen und -verfahren auf den Markt. Gleichzeitig haben sich das Bewusstsein, die Prioritäten und die Zielsetzungen bei der Neuschaffung artenreichen Wieslandes immer wieder verändert. <br />
Seit wenigen Jahren wird beispielsweise nicht nur auf die eingebrachten Pflanzenarten, sondern auch auf die genetische Vielfalt innerhalb der Arten geachtet. Zunehmend wird deshalb heute in der Schweiz und der EU die Verwendung lokaler oder regionaler Ökotypen gefordert und sogar in neuen Rechtserlassen vorgeschrieben. Wurde früher fast ausschliesslich Standardsaatgut verwendet, gab dieser Bewusstseinswandel der Anwendung von Direktbegrünungsverfahren starken Auftrieb.--><br />
<br />
==Standardsaatgut und Direktbegrünung – eine Begriffsklärung==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = ArtenreichesAutochthSaatgut_Ernte_aus_eBeetle 96 dpi.jpg<br />
| text = Artenreiches, autochthones Saatgut<br />
}}<br />
Im Zusammenhang mit der Förderung und Schaffung artenreicher Wiesen werden einige nicht allgemeinverständliche Fachbegriffe verwendet. Die wichtigsten sollen hier kurz erläutert werden – zumal einige noch „jung“ sind und ihre Anwendung deshalb oft nicht einheitlich erfolgt, was Verwirrung stiften kann.<br />
<br />
'''Bezeichnung von Saatguttypen und Saatgutherkünften''' <br/><br />
Das bis vor wenigen Jahren übliche Saatgut für die Ansaat artenreicher Wiesen war '''''Standard'''saatgut''. Bei Standardsaatgut wird jede einzelne Art in Reinkultur zur Gewinnung von Samen angebaut und das geerntete Saatgut dann nach einer bestimmten Rezeptur zusammengemischt. Man spricht deshalb auch von ''Vermehrungssaatgut''. Das Ursprungssaatgut stammt entweder von Wildpflanzen (sog. ''Basissaatgut''), oder es werden Zucht- bzw. Handelssorten verwendet.<br/><br />
Wenn eine Saatgutmischung ganz aus Arten besteht, deren Basissaatgut von besammelten Wildpflanzen einer bestimmten Region stammt und das Saatgut anschliessend in derselben Region vertrieben wird, wird vor allem in Deutschland von '''''Regio'''saatgut'' gesprochen. <br/><br />
Dem Standardsaatgut stehen die sogenannten '''''Direktbegrünungsverfahren''''' gegenüber. Dabei wird das Saatgut direkt auf geeigneten Spenderwiesen als Samengemisch geerntet und ohne Zwischenvermehrung auf die Ansaat- oder Empfängerfläche übertragen. Die Methode wird deshalb auch als „Wiesenkopierverfahren“ bezeichnet. Dabei kommen verschiedene Ernte- und Übertragungsmethoden zur Anwendung wie Mahdgutübertragung, der Mähdrusch oder die Sodenversetzung. In Abgrenzung zum Regiosaatgut wird das Saatgut aus Direktbegrünungsverfahren '''''autochthones''''' (oder manchmal auch '''lokales''') Saatgut genannt. <br/><br />
Diese Begriffsdefinitionen werden in den deutschsprachigen Ländern allerdings noch nicht überall einheitlich verwendet. So wird teilweise auch autochthones Saatgut als Regiosaatgut bezeichnet, oder Direktbegrünung wird teilweise nicht als Überbegriff, sondern synonym mit Mahdgutübertragung gebraucht. Heugrassaat wird auch als synonymer Ausdruck für Direktbegrünung, Ökotypensaatgut für Regiosaatgut, oder Handelssaatgut bzw. Regelsaatgut für Standardsaatgut verwendet. <br/><br />
'''Weitere wichtige Fachbegriffe''', die in diesem Artikel genannt werden, sind jeweils im Text näher erläutert, oder ihre Bedeutung erschliesst sich ohne weitere Erläuterung aus dem Zusammenhang.<br />
<br />
=Neuanlage artenreicher Wiesen: Kurzer historischer Rückblick auf eine dynamische Entwicklung=<br />
Artenreiches Wiesland aus Naturschutzgründen neu zu schaffen wurde erstmals in den 1960er Jahren in grösserem Stil praktiziert. (vgl. Bosshard & Klötzli 2003 <sup>2</sup>). Dabei war das Interesse ganz auf nährstoffarme Standorte in Schutzgebieten gerichtet. Als Methoden dienten eine natürliche Besiedlung mit Arten aus der Umgebung, aber auch Mahdgutübertragungen, Pflanzungen oder Sodenversetzungen kamen damals bereits zur Anwendung. Käufliche Saatgutmischungen mit den gewünschten einheimischen Arten existierten damals keine. Die verfügbaren Mischungen stammten alle aus dem Ausland. Sie enthielten nicht-einheimische Arten und sogar Zuchtsorten, die im Widerspruch standen zu den naturschützerischen Zielen.<br />
<br />
<small><br />
<sup>2</sup> Bosshard A. & F. Klötzli 2003: Restoration Ecology. In: Bastian O. & U. Steinhardt (Hrsg.): Development and Perspectives in Landscape Ecology: conceptions, methods, application. Kluwer. ISBN 1-4020-0919-4.<br />
</small><br />
<br />
== Erfolg durch neue Saatgutmischungen==<br />
Erst Ende der 1980er Jahre gab der Naturschutz seinen fast ausschliesslichen Fokus auf Schutzgebiete auf und erkannte, dass die Biodiversität nur erhalten werden kann, wenn Naturschutzmassnahmen vermehrt flächenwirksam etabliert, d.h. auch ausserhalb von Naturreservaten neue artenreiche Flächen geschaffen werden können. Damit rückte die landwirtschaftlich genutzte Kulturlandschaft und somit auch nährstoffreichere Flächen ins Zentrum von Aufwertungsbemühungen. <br />
Da im Kulturland in den tieferen Lagen kaum noch artenreichere Biotope existierten, wurden in verschiedenen Teilen der Schweiz und in anderen Ländern Europas Projekte lanciert, welche in Zusammenarbeit mit Landwirtschaftsbetrieben ökologische Aufwertungen planten und realisierten. Eines dieser Projekte war „Landwirtschaft und Naturschutz aus Bauernhand“ <sup>3</sup>. Politisch und institutionell breit abgestützt, entwickelte und testete das Pilotprojekt Anfang der 1990er Jahre auf neun Landwirtschaftsbetrieben im Kanton Zürich Massnahmen für eine zukünftige Agrarpolitik.<br />
<br />
<small><br />
<sup>3</sup> Landwirtschaft und Naturschutz aus Bauernhand. Schlussbericht des CH91-Pilotprojektes auf 9 Bauernhöfen im Kanton Zürich 1989-1991. Zürcher Vogelschutz, Zürcher Naturschutzbund, WWF Sektion Zürich und Zürcher Bauernverband, Zürich. 58 S.<br />
</small><br />
<br />
<br />
==Artenvielfalt auch auf nährstoffreichen Böden möglich?==<br />
Unter diesen Massnahmen waren auch erste Versuche, bei denen damals neu verfügbares Saatgut mit verschiedenen Arten blumenreicher Wiesen ausgetestet wurde. Denn bereits damals war aufgrund vieler Untersuchungen klar, dass die Samen der meisten Wiesenarten nur kurzfristig im Boden überleben<!-- Link auf Pflanzenartikel, wenn dort Infos zu Lebensdauer von Samen ergänzt worden ist -->. Das heisst, dass eine intensive Nutzung über drei oder vier Jahren bereits genügte, um die Pflanzenarten artenreicher Wiesen zum Verschwinden zu bringen. Eine Wieder-Extensivierung der Nutzung bringt sie – auch nach jahrelangem Warten – alleine nicht zurück. Vielmehr müssen sie jeweils neu eingebracht, sprich angesät werden. <br/><br />
Allerdings war völlig unklar, ob sich die eingebrachten Arten auf den nährstoffreichen Böden überhaupt etablieren können. Zumindest widersprach dies der damals vertretenen ökologischen Lehre. Nichtsdestotrotz entwickelten sich bei den Versuchsansaaten des Zürcher Pilotprojektes auf vorher intensiv genutzten Ackerflächen im zweiten Jahr tatsächlich niederwüchsige, artenreiche, an Magerwiesen erinnernde Wiesenbestände. <br/><br />
Dieser unerwartete Erfolg gab Anlass zu einer Dissertation. Auf zahlreichen Landwirtschaftsbetrieben in der Ostschweiz wurden auf über einem Dutzend Hektar unzählige Versuchsflächen mit verschiedenen Mischungsvarianten von Wiesenkräutern, -leguminosen und -gräsern angelegt (Bosshard 1999 <sup>4</sup>). Die ersten Versuche führten allerdings zu instabilen Pflanzenbeständen, die nach wenigen erfolgreichen Jahren vergrasten und den Grossteil der eingesäten Arten wieder verloren. Durch Verbesserungen in der Artenzusammensetzung, insbesondere der Gräserkomponente, gelang es schliesslich, auch auf vorher intensiv genutzten Böden langfristig stabile Blumenwiesenbestände zu etablieren. Als Resultat der Dissertation wurden vier Mischungsvarianten empfohlen, die heute als ''Salvia'', ''Humida'', ''Broma'' und ''Montagna'' auf dem Schweizer Markt breit etabliert sind und mit denen mittlerweile Hunderte, wenn nicht Tausende von Hektaren artenreicher Wiesen angesät worden sind und weiterhin angesät werden, vor allem in der Landwirtschaft, aber auch zunehmend im Siedlungsbereich.<br />
<br />
<small><br />
<sup>4</sup> Bosshard A. 1999: Renaturierung artenreicher Wiesen auf nährstoffreichen Böden. Ein Beitrag zur Optimierung der ökologischen Aufwertung der Kulturlandschaft und zum Verständnis mesischer Wiesen-Ökosysteme. Dissertationes Botanicae Band 303 Stuttgart. 201 S. [https://www.research-collection.ethz.ch/handle/20.500.11850/143994 Online-version]<br />
</small><br />
<br />
==Breites Saatgutangebot, erfolgreiche Mischungen==<br />
Dass dies überhaupt möglich war, ist der engagierten Pionierarbeit verschiedener Saatgutfirmen zu verdanken, die ab Mitte der 1990er Jahre in der Schweiz ein immer breiteres Spektrum an typischen Wiesenblumenarten Schweizerischer Herkunft für die neuen Mischungen verfügbar machten. Seit einigen Jahren besteht nun auch bei den Wiesengräsern ein breites Angebot an einheimischen Ökotypen für diese Mischungen.<br />
Die Erfolgsrate der artenreichen Ansaaten in der Landwirtschaft beträgt mittlerweile über 90% gemessen am botanischen Qualitätsniveau QII (s. folgendes Kapitel). Dabei zeigen umfangreiche Datensätze, dass auf trockeneren Standorten die Artenzahl und der Blumenanteil im Laufe der Jahre eher zunimmt, während an feuchteren oder schattigeren Standorten bei den bestehenden Standard-Blumenwiesenmischungen die gegenteilige Tendenz besteht <sup>5</sup>.<br />
Die hohe Erfolgsrate hängt allerdings nicht nur mit optimiertem Saatgut zusammen, sondern ist gerade im nährstoffreicheren Böden auch stark abhängig von einer korrekten Durchführung der Ansaat (s. Kap. [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Herkunft_des_Saatgutes:_Empfehlungen.2C_Standards_und_rechtliche_Vorgaben "Herkunft des Saatgutes: Empfehlungen, Standards und rechtliche Vorgaben"]. Auch wenn dazu bisher keine systematischen Auswertungen vorliegen, scheinen die Erfolgsraten in Kantonen, bei denen für Wiesenaufwertungen eine Beratung/Begleitung angeboten wird oder obligatorisch ist (z.B. LU, AG, TG), deutlich höher zu liegen als in den übrigen Regionen.<br />
<br />
<small><br />
<sup>5</sup> vgl. Brönnimann & Minloff 2015 sowie bisher unveröffentlichte Monitoringresultate aus verschiedenen Kantonen.<br />
</small><br />
<br />
==Fördersystem für Blumenwiesen in der Schweizer Landwirtschaft==<br />
Der hauptsächliche Treiber der Blumenwiesenansaaten auf Landwirtschaftsflächen ist der finanzielle Anreiz durch das Direktzahlungssystem. Im Zuge der Agrarreform wurden nämlich ab dem Jahr 2001 sogenannte „Öko-Qualitätsbeiträge“ (ab 2014 als sog. Biodiversitätsförderflächen-QII-Beiträge bezeichnet, kurz BFF-QII) eingeführt. Diese werden ausbezahlt, wenn in einer angemeldeten Ökowiese innerhalb einer Aufnahmefläche von 3 m Radius mindestens 6 Pflanzenarten aus einer [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~1547~1/3~410245~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Beitr%C3%A4ge-und-Bedingungen-im-%C3%96koausgleich/Zeigerpflanzen-Wiesen-BFF-Alpennordseite/Deutsch/Print-Papier Liste von rund 45 Zeigerpflanzenarten] nachgewiesen werden. In den letzten Jahren sind diese Qualitätsbeiträge laufend angestiegen, während die „Basis-Biodiversitätsbeiträge“ im gleichen Masse abgenommen haben. Damit stieg die Attraktivität der Ansaaten entsprechend. Bereits nach 1-2 Jahren sind dank den Biodiversitätsbeiträgen die Kosten einer Neuansaat nicht selten amortisiert.<br />
<br />
=Ökologische Bedeutung von Direktbegrünungsverfahren=<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Ansaat_eines_gefrästen_Streifens_mit artenr_autochth_Saatgut 96 dpi.JPG<br />
| text = Ansaat eines gefrästen Streifens mit autochthonem Saatgut.<br />
}}<br />
Die Blumenwiesenmischungen mit Ökotypen aus Schweizer Herkunft wurden bald so zahlreich eingesetzt, dass diese Entwicklung von Seiten der Ökologie und des Naturschutzes zunehmend kritisiert wurde. Denn alle neu angesäten Wiesen sahen landauf landab sehr ähnlich aus, hatten immer fast dieselbe Artenzusammensetzung und basierten alle auf denselben paar wenigen Ökotypen aus dem Ursprungssaatgut der Saatgutfirmen, egal ob die angesäten Wiesen im Wallis, im Seeland, im Randen oder im Bündnerland lagen. Diese Standardisierung steht im Kontrast zur enormen Vielfalt verschiedener Wiesentypen, die sich im Naturwiesland der Schweiz von Region zu Region in Bezug auf ihre typische Artenzusammensetzung stark unterschieden. <br/><br />
Immer mehr Untersuchungen der letzten Jahre wiesen ausserdem darauf hin, dass kleinräumig eine grosse genetische Vielfalt auch innerhalb jeder Pflanzenart besteht. Je grösser die Entfernung und je unterschiedlicher das Klima zwischen zwei Herkunftsregionen ist, umso deutlicher fallen auch die genetischen Unterschiede aus <sup>6</sup>. Dies zeigt sich auch im ökologischen Verhalten. Viele der untersuchten Wiesenarten wuchsen besser, wenn die Pflanzen regionaler Herkunft waren. So lieferten die regionalen Gewächse im Schnitt beispielsweise zehn Prozent mehr Blütenstände als Artgenossen, die aus anderen Gegenden stammten <sup>7</sup>. <br/><br />
Von Tal zu Tal, ja von Wiese zu Wiese bestehen genetische Anpassungen und Unterschiede, sogenannte Ökotypen. Diese innerartliche genetische Vielfalt ist zwar äusserlich oft nur schwer zu erkennen, aber ökologisch von grosser Bedeutung. Denn sie bedeutet eine Anpassung an die unterschiedlichsten Standorts- und Nutzungsbedingungen und ist damit eine wichtige Voraussetzung für die Stabilität von Ökosystemen. So konnten Untersuchungen zeigen, dass der Deckungsgrad höher und damit der Ansaaterfolg besser sind, wenn Ökotypen aus der Region statt Saatgut von weiter entfernt liegenden Gegenden verwendet wird. Im Gegenzug konnten sich weniger unerwünschte, nicht angesäte Arten (z.B. Neophyten) etablieren (Weisshuhn et al. 2012 <sup>8</sup>). Ein deutliches Indiz dafür, dass diese Pflanzen regional angepasst sind. Sie kommen also in der Nähe ihrer ursprünglichen Herkunft besser zurecht. Andere Untersuchungen zeigen, dass die Inzucht von autochthonem Saatgut geringer ist als von Vermehrungssaatgut <sup>9</sup>.<br />
<br />
<small><br />
<sup>6</sup> z.B. Durka, W. et al. (2016): Genetic differentiation within multiple common grassland plants supports seed transfer zones for ecological restoration. – Journal of Applied Ecology 54/1, 116-126. [https://besjournals.onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/1365-2664.12636 PDF].<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>7</sup> Durka W. et al. (2019): Regionales Saatgut von Wiesenpflanzen: genetische Unterschiede, regionale Anpassung und Interaktion mit Insekten. Natur und Landschaft 94/4, 146-153. [https://www.regioflora.ch/de/assets/content/pdf/News/Regionales%20Saatgut%20von%20Wiesenpflanzen.pdf PDF]<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>8</sup> Weisshuhn K., Prati D., Fischer M., Auge H. (2012): Regional adaption improves the performance of grassland plant communities. Basic and Applied Ecology 13/6, 551-559. [https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S1439179112000710 Zusammenfassung]<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>9</sup> Aavik T., Bosshard D., Edwards P., Holderegger R., Billeter R. (2014): Genetische Vielfalt in Wildpflanzen-Samenmischungen. Agrarforschung Schweiz 5 (1): 20–27. [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Aavik_et_al_Agrarfo2014.pdf PDF]<br />
</small><br />
<br />
=Herkunft des Saatgutes: Empfehlungen, Standards und rechtliche Vorgaben=<br />
Um die genetische Vielfalt auf Ökotypenebene zu berücksichtigen, hat bereits 1998 die schweizerische Kommission für die Erhaltung von Wildpflanzen (SKEW), heute Teil von Info Flora, Empfehlungen herausgegeben. Diese verlangen, dass das verwendete Saat- und Pflanzgut für Blumenwiesen aus der gleichen biogeographischen Region wie die Empfänger-Parzelle stammen soll. Bei häufigen, taxonomisch wenig differenzierten Arten sollen die sechs Grossregionen der Schweiz – d. h. Jura, Mittelland, Alpennordflanke, westliche und östliche Zentralalpen und Südalpen – eingehalten werden (siehe Abbildung). Taxonomisch schwierige Arten mit unregelmässiger Verbreitung sollen die elf Kleinregionen einhalten. Ausserdem ist es gemäss den Empfehlungen wichtig, standörtliche und regionale Unterschiede wie Höhenlage, Bodenverhältnisse und Exposition zu berücksichtigen. Nur so entspricht die zu begrünende Fläche den ökologischen Anforderungen der eingebrachten Arten. Die Empfehlungen verlangen auch, dass die gefährdeten Arten nicht in Samenmischungen gehandelt werden. Für diese gelten [https://www.infoflora.ch/de/flora/ansiedlung.html spezifische Richtlinien]. <br/><br />
Die Richtlinien von Info Flora entsprechen dem, was auch in verschiedenen Gesetzen und Verordnungen verlangt wird, insbesondere im Natur- und Heimatschutzgesetz, welches verlangt, die einheimische Tier- und Pflanzenwelt sowie ihre biologische Vielfalt und ihren natürlichen Lebensraum zu schützen <sup>10</sup>. <br/><br />
In der Praxis finden die Richtlinien von Info Flora leider nur sehr begrenzt Berücksichtigung. Die eine Seite des Problems liegt beim Handel. Auch wenn die Saatgutfirmen die Herkünfte kennen und getrennt vermehren, werden sie – aus logistischen Gründen und den damit verbundenen Kosten –leider nicht so gekennzeichnet. Der Nutzer kann damit beim Kauf von Standardsaatgut die Empfehlungen gar nicht so einhalten, weil die Herkünfte in den Handels-Saatgutpackungen vermischt sind. Gewisse Kantone haben für landwirtschaftliche Ansaaten mit Saatgutproduzenten Abmachungen und erhalten spezifische Mischungen von und für ihre Region, die den Lebensräumen angepasst sind – dies ist aber leider die Ausnahme. <br/><br />
Auf der anderen Seite sind die Richtlinien auch bei den Anwendern noch sehr oft nicht angekommen. So wird in der Praxis oft auch dort, wo Saatgut gemäss den Info Flora-Empfehlungen verfügbar wäre, dieses oft nicht berücksichtigt mangels Wissens oder als Folge fehlerhafter Ausschreibungen. Dies ist insbesondere im Verkehrsbereich (Böschungsbegrünungen etc.) der Fall, wo jedes Jahr Hunderte von Hektaren neu begrünt werden.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = biogeografische Regionen CH.png<br />
| text = Die Biogeographischen Regionen der Schweiz: blau = Jura und Randen; hellgrün = Hochrhein- und Genferseegebiet; dunkelgrün = Westliches Mittelland; grün = Östliches Mittelland; hellblau = Voralpen; dunkelblau = Nordalpen; gelb = Westliche Zentralalpen, orange = Östliche Zentralalpen; rot = Südalpen; braun = Südlicher Tessin <br/><br />
(Quelle: Gonseth, Y.; Wohlgemuth, T.; Sansonnes, B.; Buttler, A. (2001): Die biogeographischen Regionen der Schweiz. Erläuterungen und Einteilungsstandard. Umwelt Materialien Nr. 137 Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft Bern. 48 Seiten.).<br />
}} <br />
<br />
Angesichts der grossflächig stattfindenden Uniformierung und Florenverfälschung <sup>11</sup> durch nicht den Richtlinien entsprechenden Saatgutmischungen nahm der Druck zu, vermehrt autochthones Saatgut lokaler Provenienz zu verwenden, wo die Herkunft im Detail nachgewiesen werden kann (vgl. dazu Tab. 1). 2014 wurde die Direktzahlungsverordnung mit einem Passus ergänzt, der für landwirtschaftliche Blumenwiesenansaaten im Rahmen der Verfügbarkeit die Anwendung von Direktbegrünungen vorschreibt (DZV Art. 58 Abs. 8). Deutschland geht noch einen Schritt weiter und verlangt ab 2020 generell bei der Neuanlage von Grasland in der freien Landschaft die Verwendung von gebietseigenem Saatgut (BNatSchG §40).<br/><br />
Dieser Bewusstseinswandel und die damit einhergehende teilweise angepasste Rechtslage gab der Anwendung von Direktbegrünungsverfahren starken Auftrieb. So werden in der Schweiz immer häufiger Mahdgutübertragungen durchgeführt, und dies bei korrekter Anwendung mit durchwegs guten Erfolgen <sup>12</sup>. Da Mahdgutübertragungen v.a. aus logistischen Gründen oft nur beschränkt eingesetzt werden können, wurden in den letzten 10 Jahren verschiedene Ernteverfahren für autochthones Saatgut entwickelt oder weiterentwickelt (s. Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Direktbegr.C3.BCnungsverfahren Direktbegrünungsverfahren]). Damit kann das Saatgut aus den Spenderflächen getrocknet, gereinigt und abgesackt werden. Das Saatgut kann damit in Bezug auf die Ansaattechnik und den Ansaatzeitpunkt genau so flexibel wie Standardsaatgut eingesetzt werden.<br />
<br />
<small><br />
<sup>10</sup> Vgl. die ausführliche Zusammenstellung und Interpretation der rechtlichen Grundlagen im [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Leitfaden_naturgemaesse_Begruenungen_def.pdf Leitfaden für naturgemässe Begrünungen], Seiten 11-15.<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>11</sup> Begriffserklärung und Beispiele siehe Box «Florenverfälschung».<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>12</sup> vgl. Studie <!-- noch nicht beschaffen können: Wolfgang Bischoff/Pro Natura und Studie -->Pro Natura/Ö+L 2017 ([http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2017/05/BerichtAnsaatenArtenreicheWiesenKtAG2014-16.pdf PDF]).<br />
</small><br />
<br />
==Engpass Spenderflächen==<br />
Vor allem im Mittelland und einigen Voralpenregionen sind geeignete Spenderflächen allerdings so rar, dass die Produktion von autochthonem Saatgut den potenziellen Bedarf bei weitem nicht abdecken kann. In diesen Regionen wird Standardsaatgut mit Ökotypen aus diesen Regionen auch in Zukunft ein wichtiger Pfeiler für die Renaturierung von artenreichen Wiesen bleiben – dies umso mehr, da für das Mittelland beim Standardsaatgut auch das grösste Angebot an Arten existiert. Im Berggebiet und auf der Alpensüdseite dagegen besteht sowohl in Anbetracht der sehr unterschiedlichen Standortsbedingungen und Höhenlagen, als auch aufgrund des sehr begrenzten Angebotes von Arten aus den betreffenden biogeographischen Regionen kaum geeignetes Standardsaatgut. Dafür sind in diesen Regionen Spenderflächen meist noch zahlreich verfügbar, so dass hier in Zukunft vorwiegend autochthones Saatgut zum Einsatz kommen dürfte. Von der bisherigen Praxis, in diesen Regionen Mischungen mit Ökotypen aus dem Mittelland zu verwenden, sollten die zuständigen Amtsstellen und weiteren Akteuren wegkommen. <br />
<br />
<br/><br />
<table border="0", style="font-size:108%"> <br />
<tr> <br />
<td> '''Was ist «Florenverfälschung»?''' <br /> Unter Florenverfälschung wird die Beeinträchtigung der einheimischen Pflanzen-Biodiversität durch die Einführung fremder Pflanzenarten oder fremder Ökotypen verstanden. <br/><br />
Schädigende Auswirkungen auf die Biodiversität können von folgenden zwei Prozessen ausgehen:<br/><br />
a) Heimische Arten oder Ökotypen werden durch die eingebrachten Arten oder Ökotypen verdrängt. Bekannt sind die Auswirkungen invasiver Neophyten, also sich aggressiv ausbreitende Pflanzenarten aus anderen Kontinenten wie de Goldruten (''Solidago canadensis'') oder der Japanknöterisch (''Reynoutria japonica''). Auch einheimische Arten können invasiv sein, z. B. Schilf (''Phragmites australis'') oder Klappertopf (''Rhinanthus alectorolophus''). Ein Beispiel für eine Ökotypen-Invasion stellt der europäische Schilfrohr-Ökotyp in Amerika dar, der dortige Populationen weitgehend verdrängt hat (vgl. Kowarik 2003).<br/><br />
b) Die vorhandenen lokalheimischen Ökotypen kreuzen sich mit den eingebrachten Ökotypen und verlieren dadurch ihre spezifischen, zum Teil ausgeprägten physiologischen und ökologischen Anpassungen an die lokalen Bedingungen (Klima, Standort, Bewirtschaftung). Mit der Einkreuzung verschwindet auch der betreffende Ökotyp als Bestandteil der Biodiversität. <br />
<br />
Der Prozess b) dürfte viel bedeutsamer sein als a), ist aber gleichzeitig viel schwieriger zu beobachten und nachzuweisen. Beide Prozesse haben nicht auf die Flora, sondern ebenso auf die Tierwelt negative Auswirkungen.<br />
<br />
Quelle: [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Leitfaden_naturgemaesse_Begruenungen_def.pdf Bosshard, A., Mayer, P., Mosimann, A., 2015. Leitfaden für naturgemässe Begrünungen in der Schweiz. S. 21.]</td> <br />
</tr> <br />
</table><br />
<br /><br />
<br />
Die Verfügbarkeit von Ökotypensaatgut regionaler Herkunft (Regiosaatgut) war ein grundlegender Fortschritt gegenüber dem früher aus dem Ausland importierten „Billigsaatgut“, das nicht nur Ökotypen aus vielen anderen Ländern enthielt, sondern teilweise sogar Zuchtformen oder auch Arten, die gar nicht in der Schweiz heimisch waren. Ein Beispiel war der Wiesenknopf (''Sanguisorba muricata''), der dem heimischen Kleinen Wiesenknopf (''Sanguisorba minor'') sehr ähnlich sieht. Andere Beispiele sind Rotklee (''Trifolium pratense'') und Hornklee (''Lotus corniculatus'') oder Fromental (Glatthafer) (''Arrhenaterum elatius''), bei denen noch bis vor wenigen Jahren regelmässig Zuchtformen verwendet wurden.<br />
<br />
=Wo lassen sich welche artenreichen Wiesentypen neu anlegen?=<br />
Artenreiche Wiesen können praktisch überall neu angelegt werden, vorausgesetzt Ansaatmethode und Saatgut sind sachgemäss auf den Standort und die zukünftige Nutzung abgestimmt. Je nach Standort und Nutzung entstehen dabei unterschiedliche Wiesentypen mit einer unterschiedlichen Artenzusammensetzung und Artenvielfalt. <br/><br />
Die wichtigsten Anwendungsbereiche für die Neuanlage artenreicher Wiesen sind Naturschutzgebiete, ehemaliges Ackerland, bisher intensiv genutzte verarmte Wiesen im Landwirtschaftsgebiet, Hochwasserschutzdämme und Gewässerräume, Böschungen von Verkehrswegen, Rasenflächen in Gärten oder Parks, neu geschaffene Umgebungen von Siedlungen, aber auch kleinflächige Objekte wie Verkehrsinseln oder kleine Gartenbereiche. <br/><br />
Besonders artenreich werden Wiesen auf relativ nährstoffarmen Standorten mit extensiver Nutzung, das heisst auf Flächen, die nicht gedüngt und nur ein- bis höchstens zweimal pro Jahr gemäht werden (Abb. 2). Bei erhöhtem Nährstoffgehalt und etwas häufigerer Mahd nimmt die Artenzahl zunehmend ab. Doch auch auf ehemals intensiv genutzten, nährstoffreichen Böden können bei sachgemässer Ausführung und Bewirtschaftung blumenreiche Wiesentypen langfristig erfolgreich angelegt werden. Sogar in Rasenflächen, die bis zu sechsmal jährlich gemäht werden, können sich viele attraktive und für Insekten wertvolle Blumenarten wie Salbei, Margerite, Brunelle, Thymian etc. langfristig halten. <br/><br />
Bei sehr nährstoffarmen Verhältnissen (z.B. Rohböden)<!--Link auf Pionierflächen, wenn vorhanden--> ist die Artenzahl und die Blühfreudigkeit der Wiesentypen etwas geringer, dafür lassen sich unter solchen Standorten besser gefährdete Arten ansiedeln. <br/><br />
Die Standortansprache, also die Beurteilung, welcher artenreiche Wiesentyp an einem gegebenen Ort angelegt werden kann, ist entscheidend für den späteren Erfolg. Doch die Standortbeurteilung bereitet oft Mühe. Es lohnt sich deshalb, für diesen ersten ausschlaggebenden Schritt eine erfahrene Fachperson beizuziehen. Sie kann für den individuellen Fall die wichtigsten Hinweise zum anzustrebenden Wiesentyp, zur richtigen Bodenvorbereitung, zur Ansaatmethode, zum geeigneten Saatgut und zu den Anforderungen an Bewirtschaftung und Pflege geben.<br />
<br />
== Die wichtigsten Wiesentypen und ihre Standorte für die Neuanlage artenreicher Wiesen==<br />
Im Wesentlichen sind folgende fünf [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie#Lebensr.C3.A4ume_des_Gr.C3.BCnlands Wiesentypen] für die Neuanlage artenreicher Wiesen bis in eine Höhenlage von maximal 1000 m ü. M. relevant (siehe [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen#Typologie_des_Gr.C3.BCnlands Kapitel «Typologie des Grünlands»]). Die Reihenfolge in der nachfolgenden Abbildung richtet sich nach einem Gradienten von trocken bis feucht und von nährstoffarm bis mässig nährstoffreich.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Wiesentypen Neuanlage de.png<br />
| text = Ökogramm mit den wichtigsten Wiesentypen, die für eine Neuanlage artenreicher Wiesen in Frage kommen. Wo es sehr trocken ist, ist die Verfügbarkeit von Nährstoffen stark eingeschränkt, weshalb es keine Wiesentypen in der Ecke oben rechts gibt.<br />
}}<br />
<br />
1. '''Trockenrasen'''<sup>13</sup> (''Xerobromion''): Dieser Wiesentyp bildet sich nur auf sehr sonnigen, heissen Standorten mit sehr mageren Böden aus (z.B. Rohböden wie Kies- oder Sandflächen). Trockenrasen sind lückig, sehr artenreich, aber oft etwas weniger blühfreudig als die Halbtrockenrasen. Trockenrasen werden oft nur jedes zweite Jahr gemäht, so dass auch verholzte niedrige Sträucher wie verschiedene Ginsterarten aufkommen können. <br/><br />
2. '''Trespen-Halbtrockenrasen'''<sup>13</sup> (''Mesobrometum''): Verbreiteter, blumen- und artenreicher Wiesentyp an sonnigen, nährstoffarmen, (zumindest schwach) humusierten Standorten. Wird jährlich im Juli geheut und im Herbst je nach Wüchsigkeit noch ein zweites Mal gemäht. Charakterarten sind das bestandesbildende Gras Aufrechte Trespe (''Bromus erectus'') und bei den Kräutern z.B. Thymian (''Thymus'' sp.), Esparsette (''Onobrychis viciifolia''), Salbei (''Salvia pratensis'') und bei schwacher Nutzung Dost (''Eupatorium cannabinum'') und Hauhechel (''Ononis'' sp.). <br/><br />
3. '''Fromentalwiese trockene Ausprägung''' (''Arrhenatheretum salvietosum''): Ziemlich artenreiche, sehr blütenreiche Wiese, die in der Regel in der zweiten Junihälfte geheut wird und danach noch 1-2 weitere Emdschnitte benötigt. Sie bildet sich auf humusreicheren, vormals oft intensiv gedüngten Böden an sonnigen Lagen aus. Charakterarten sind Salbei (''Salvia pratensis''), Wiesenbocksbart (''Tragopogon pratensis'') oder Margerite (''Leucanthemum vulgare''). <br/><br />
3a. '''"Blumenrasen"''': Auf Fromentalwiesenstandorten, also auf humusreicheren, gut mit Nährstoffen versorgten Böden auf mittleren oder trockeneren Standorten bilden sich bei sehr häufiger Mahd Rasen im gartenbaulichen Sinne aus. Wird ein Rasen alle 1-2 Wochen gemäht, überleben nur wenige Pflanzenarten, vor allem ausläufertreibende, niederwüchsige Gräser und einige Klee- und Kräuterarten. Wird die Schnittfrequenz auf maximal 5-6 Schnitte pro Jahr reduziert und die Düngung eingestellt, haben viele Arten der Fromentalwiesen und teilweise auch der Trespen-Halbtrockenrasen eine Chance, sich zu etablieren und zu reproduzieren. Dieser «Wiesentyp» wird in der Regel Blumenrasen genannt und findet zunehmend Verbreitung im Siedlungsbereich. <br/><br />
4. '''Fromentalwiesen frische Ausprägung''' (''Arrhenatheretum cirsietosum oleracei''): Ziemlich arten- und blütenreiche Wiese. Bewirtschaftung/Pflege wie bei (3). Sie bildet sich auf humusreicheren, vormals oft intensiv gedüngten Böden an schattigeren und/oder frischen bis feuchten Standorten aus. Charakterarten sind Kuckuckslichtnelke (''Lychnis floc-cuculi'') und Kohldistel (''Cirsium oleraceum''). An schattigen oder feuchten Standorten bilden sich bei sehr extensiver Nutzung (Mahd alle 2 Jahre oder jährlich im Spätherbst) Hochstaudensäume (''Filipendulion'', 4b) mit farbenprächtigen Arten wie Mädesüss (''Filipendula ulmaria''), Gilbweiderich (''Lysimachia vulgaris'') oder Blutweiderich (''Lythrum salicaria'') aus.<br/><br />
5. '''Streuwiesen''' <!---Link auf Feuchtgebiete wenn vorhanden-->(''Molinion'', ''Caricetum davallianae'' u.a.): Magere, feuchte bis vernässte Standorte sind für Wiesenneuanlagen eher selten und werden vor allem bei Naturschutzprojekten gezielt geschaffen mittels baulichen Massnahmen, z.B. bei Wiedervernässungen oder bei der [https://biodivers.ch/de/index.php/Stillgew%C3%A4sser/Bau_von_Gew%C3%A4ssern Schaffung von Weihern]. Unter diesen Standortbedingungen bilden sich niederwüchsige, teilweise sehr artenreiche Streuwiesentypen aus, die in der Regel einmal jährlich im Spät-herbst gemäht werden.<br/><br />
<br />
<small><br />
<sup>13</sup> «Rasen» wird hier in pflanzensoziologischer Terminologie verwendet und bedeutet «niederwüchsige Vegetation aus Kräutern».<br />
</small><br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = artenhaeufigkeiten wiesen de.png<br />
| text = Zusammenhang zwischen Nutzungsintensität, Ertrag und Vielfalt (Artendichte) an Pflanzenarten in Naturwiesen, schematisch; Orientierungswerte für Wiesen trockener und mesischer Standorte der kollinen bis montanen Stufe der Schweiz. Düngung und Nutzungshäufigkeit nehmen von links nach rechts zu. TS = Trockensubstanz. Der mit 1 bezeichnete Bereich entspricht in den tieferen Lagen den Trespen-Halbtrockenrasen, 2 den Fromentalwiesen. Quelle: Bosshard, A., 2016. Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas: Mit besonderer Berücksichtigung der Fromentalwiesen und des standortgemässen Futterbaus, Bristol-Schriftenreihe. Haupt Verlag, Bern. (ergänzt)<br />
}}<br />
<br />
=Standort- und Vegetationsbeurteilung=<br />
Eine grundlegende Voraussetzung für den Erfolg von artenreichen Wiesenansaaten '''ist die korrekte Standortbeurteilung'''<sup>14</sup> '''sowie die Beurteilung der vorhandenen Vegetation'''. Diese beiden Schritte bestimmen, ob und welche Massnahmen für eine Ansaat getroffen und welches Saatgut für eine erfolgreiche Durchführung gewählt werden soll, aber auch, wo eine Ansaat am meisten Sinn macht, sofern mehrere Varianten zur Verfügung stehen.<br />
<br />
<small><br />
<sup>14</sup> bzw. die künstliche Schaffung entsprechender Standortbedingungen beispielsweise mittels Bodenabtrag/Bodenaufschüttung, vgl. Kapitel [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Aufwertung_durch_Aushagerung «Aufwertung durch Aushagerung»]<br />
</small><br />
<br />
==Wo es keine Ansaaten braucht, sondern Geduld und angepasste Pflege genügen==<br />
Auf Flächen, auf denen bereits einzelne Blumen der gewünschten Arten vorhanden sind, kann unabhängig von einer Standortdiagnose oft auf eine Ansaat verzichtet werden. So weisen artenarme Naturwiesen, auch wenn sie intensiv bewirtschaftet werden, oft noch Reste von Zielarten auf, beispielsweise in Randbereichen oder an flachgründigen Stellen. Zudem sind Naturwiesen <sup>15</sup> generell deshalb wertvoll, weil die verbliebenen Arten noch aus alten, lokalen Ökotypen bestehen, so dass beim Umbruch von alten Naturwiesen generell grosse Zurückhaltung geübt werden sollte. Sie können nach und nach durch ein Ausbleiben der Düngung und ein reduzierte Mahdfrequenz – meist genügt ein zweimaliger Heuschnitt pro Jahr – wieder artenreicher werden. <br/><br />
Auch in alten Rasenflächen, die über längere Zeit nicht gedüngt wurden, wächst vereinzelt oft noch eine erstaunliche Vielfalt an Wiesenblumen wie Margeriten, Hornklee oder Salbei. Kommen solche Arten noch regelmässig vor, genügt es, den Mährhythmus stark zu reduzieren (auf maximal 6 Schnitte pro Jahr), und eine mehr oder weniger artenreiche Blumenwiese kehrt in wenigen Jahren von selbst zurück. <br/><br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = Weg_artenreicheWiese_de.png<br />
| text = Um zu klären, ob eine Ansaat nötig ist oder Abwarten vielmehr genügt, bietet das Agridea-Merkblatt [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~1425~1/3~410250~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Naturnahe-Lebensr%C3%A4ume-im-Wiesland/Der-Weg-zu-artenreichen-Wiesen/Deutsch/Print-Papier "Der Weg zur artenreichen Wiese"] eine gute Entscheidungshilfe.<br />
}}<br />
<br />
<small><br />
<sup>15</sup> Naturwiesen sind Wiesen, die seit mindestens 30 Jahren nicht mehr umgebrochen und neu angesät worden sind.<br />
</small><br />
<br />
==Botanische Aufwertung von verarmten Naturwiesen mittels Einsaaten==<br />
Ist eine Wiese beispielsweise durch intensive Nutzung einmal botanisch verarmt und weist auch keine Relikte der angestrebten Pflanzengesellschaft mehr auf, kommt die Pflanzenvielfalt auch bei wieder extensiverer Nutzung selbst nach Jahrzehnten oft nicht von selbst zurück. Dies zeigen viele Untersuchungen (z.B. Bosshard 1999, Kiehl 2010 <sup>16</sup>). Zum einen breiten sich die meisten Wiesenarten nur langsam aus, zum anderen verhindert die bestehende Grasnarbe die Etablierung neuer Pflanzenarten wirkungsvoll und ein Samenvorrat der meisten erhofften Wiesenarten fehlt, da die Samen der meisten Wiesenarten nur wenige Jahre im Boden überleben.<br />
<br />
Soll ein verarmter Wiesenbestand also wieder mit Arten angereichert werden, bleibt nichts anderes übrig, als die fehlenden Arten mit geeigneten Massnahmen wieder einzubringen <sup>17</sup>. Dabei existieren grundsätzlich drei Möglichkeiten – wobei eine angepasste Nutzung (keine Düngung, geeignetes Schnittregime u.a.) immer vorausgesetzt wird: <br />
# '''Übersaatmethode''': Alte, vergraste und blumenarme Naturwiesen, die bezüglich der Grasartenzusammensetzung aber noch einigermassen den Fromentalwiesen im engeren Sinne entsprechen, sollten nicht umgebrochen/gefräst und angesät werden. Eine Aufwertung mit einer einfachen Übersaat in den bestehenden Bestand, wie dies in intensiver genutzten Wiesen mit Futterbaumischungen gemacht wird, funktioniert mit Wiesenblumensaatgut nicht. Dagegen gibt es zwei etwas aufwändigere Übersaatmethoden, die ohne Umbruch funktionieren. Zum einen lassen sich Wiesenblumenarten ansiedeln, indem über mehrere Jahre hinweg gesammeltes Saatgut ausgewählter Arten der Umgebung gezielt oberflächlich auf Blössen (Narbenschäden, Maushaufen, gezielt verursachte Öffnungen etc.) ausgebracht wird. Die andere Möglichkeit besteht darin, über mehrere Jahre das frische Erntegut von blumenreichen Heuwiesen (Fromentalwiesen) auf der aufzuwertenden Fläche zu trocknen. Die ausfallenden Samen führen nach einigen Jahren zu einer deutlichen Zunahme der Arten- und Blumenvielfalt. Voraussetzung ist allerdings, dass eine geeignete Heuwiese als Spenderwiese auf dem Betrieb oder in der Nachbarschaft vorhanden ist. Mit diesen beiden Methoden wird die bestehende Pflanzen-/Boden-Garnitur und -Struktur nicht unnötig zerstört und die noch vorhandenen Ökotypen der bestehenden Naturwiese bleiben erhalten. Allerdings brauchen sie viel Geduld, sind ziemlich aufwändig und gelingen nur auf Standorten mit eher tiefem Nährstoffniveau.<br />
# '''Streifensaat'''. Diese Methode ist einfacher und sicherer und erlaubt es ebenfalls, die gewünschten Arten wieder in den Bestand zu bringen, ohne dass die ganze bestehende Naturwiese eliminiert werden muss. Dazu werden in einem Abstand von 15-20 m Streifen von 3-6 m Breite mit einer zapfwellengetriebenen Egge (z.B. Kreiselegge) oder auch einer Gartenfräse in die bestehende Wiese gefräst. Meist ist eine mindestens 3-malige Wiederholung im Abstand von ca. 2 Wochen nötig, bis die alte Vegetation vollständig abgestorben ist. Im Frühling können die vegetationsfreien, gut abgesetzten Streifen mit geeignetem Saatgut oder einer Direktbegrünung angesät. Je breiter die Streifen sind, desto eher lassen sich Schäden durch Schnecken reduzieren. Von den angesäten Streifen aus können dann die dort etablierten Arten nach und nach in den umliegenden Bestand auswandern, sofern Bodenheu gemacht und das Heu mit dem Kreiselheuer über die Fläche verteilt wird. <br />
# '''Ganzflächige Ansaat''': Ist der Ausgangsbestand keine erhaltenswerte Naturwiese, empfiehlt es sich, die bestehende Wiesenvegetation ganzflächig durch Pflügen und anschliessendes Eggen, oder allein durch mehrmaliges Eggen mit einer zapfwellengetriebenen Kreiselegge (oder ähnlichem Gerät), vollständig zu entfernen. Details zu einer erfolgreichen Saatbettbereitung und Ansaat siehe Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Standort-_und_Vegetationsbeurteilung «Standort- und Vegetationsbeurteilung»].<br />
<br />
<small><br />
<sup>16</sup> Plant species introduction in ecological restoration: Possibilities and limitations. Basic and Applied Ecology 11/4, 281-284<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>17</sup> vgl. dazu insbesondere [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~1425~1/3~410250~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Naturnahe-Lebensr%C3%A4ume-im-Wiesland/Der-Weg-zu-artenreichen-Wiesen/Deutsch/Print-Papier Agridea-Merkblatt «Der Weg zu artenreichen Wiesen»] sowie Huguenin-Elin et al. 2012<br />
</small><br />
<br />
==Welche Flächen eignen sich (nicht) für Neuansaaten?==<br />
Mittels Ansaaten können auf fast jedem Standort (Boden, Exposition, Höhenlage etc.) artenreiche, stabile Wiesen erfolgreich wieder etabliert werden – vorausgesetzt, es werden die richtigen Arten und Ökotypen fachgerecht angesät und die anschliessende Pflege erfolgt dem Pflanzenbestand angepasst.<br />
<br />
'''Generell gilt''': Auf mageren sonnigen Standorten können sich mehr Pflanzen- und Tierarten und auch seltenere Arten entwickeln als auf nährstoffreicheren oder schattigeren Flächen. Auf sehr armen trockenen Böden nimmt die Artenvielfalt natürlicherweise wieder ab ([https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Die_wichtigsten_Wiesentypen_und_ihre_Standorte_f.C3.BCr_die_Neuanlage_artenreicher_Wiesen siehe Abbildung zu Artenreichtum]), und die Ansaat gestaltet sich oft schwierig, insbesondere auf kiesigen Rohböden mit geringem oder fehlendem Feinkornanteil (Sand, Schluff, Ton).<!-- nicht veröffentlichen wegen Empfehlung Humusierung: Südexponierte oder schattige Lagen verschärfen die Situation noch. Besteht Erosionsgefahr, ist bei reinen Kiesflächen die Beimischung eines geringen Humusanteils zu empfehlen, damit sich eine geschlossene Pflanzendecke entwickeln kann.--><br />
<br />
'''Weniger geeignet bzw. schwierig für die Neuansaat artenreicher Wiesen sind''': <br />
* '''Schattige Standorte'''. Solche sind von Natur aus meist arten- und blumenärmer als Wiesen an besonnten Lagen. Zudem können Schnecken den Keimlingen, vor allem der Wiesenblumen, an solchen Standorten besonders zusetzen. Dieser teilweise unterschätzte Faktor wird noch verschärft, wenn die Ansaatflächen an solchen Standorten klein oder schmal sind und deshalb von den Schnecken vom Rand her leichter aufgesucht werden können. Tipp: Anzusäende Flächen, die von bestehenden Wiesen oder Gehölzen umgeben sind, sollten nicht schmaler als 6 m und kleiner als eine Are (10x10m) sein.<br />
* '''Entwässerte Moorböden'''. Auf solchen Böden werden durch den Abbau des Torfs so viele Nährstoffe freigesetzt, dass rasch wenige Arten zur Dominanz gelangen und die meisten der angesäten Arten verdrängen. Unter dieser (seltenen) Voraussetzung lohnen sich artenreiche Ansaaten in der Regel nicht. Ökologisch aufgewertet werden können sie jedoch mit einer Vernässung<!--Link auf Feuchtgebiete-->.<br />
* '''«Verunkrautete“ Flächen»''': Auf Standorten, die vorher mit Stumpfblättrigem Ampfer («Blacke», (''Rumex obtusifolius'')) verunkrautet waren, ist Vorsicht geboten. Blackensamen bleiben viele Jahrzehnte keimfähig im Boden. Auch wenn auf einer Fläche vor der Ansaat keine Blacken sichtbar sind, können Blackensamen beim Pflügen oder auch Eggen von Wiesland aus einer früheren Verunkrautung in grosser Zahl keimen. Die Bekämpfung dieser Problemart kann sehr aufwändig sein <sup>18</sup>. Als weitere Problemarten sind Ackerkratzdisteln und einige wenige invasive Neophyten zu nennen, insbesondere Goldruten und einjähriges Berufskraut. Was die genannte, ausläufertreibende Distelart anbelangt, deren Blüten übrigens für Bienen und Schmetterlinge sehr attraktiv sind, verschwindet sie bei regelmässiger Mahd meist von selbst wieder. Die genannten Neophyten dagegen sollten von Beginn weg konsequent eliminiert („gezupft“) werden. Praktisch alle anderen Pflanzenarten, die landläufig als Unkraut bezeichnet werden, sind bei einer fachgerechten Pflege kein Problem für die gewünschte Entwicklung des Wiesenbestandes. Das gilt insbesondere für die im Ansaatjahr oft massenweise auftretenden einjährigen Ackerbeikräuter wie Gänsefuss (''Chenopodium'' sp.) oder Ackerhirsen (''Echinochloa crus-galli'', ''Setaria spp.'', ''Panicum spp.''). Sie verschwinden alle bereits im zweiten Jahr nach der Ansaat von selbst.<br />
<br />
<small><br />
<sup>18</sup> Der Umgang mit Flächen, die einen hohen Blackendruck aufweisen, kann hier nicht weiter vertieft werden.<br />
</small><br />
<br />
==Standortbeeinflussung==<br />
Besteht in einem Ansaatprojekt die Möglichkeit, die Bodeneigenschaften zu beeinflussen, können folgende Massnahmen ins Auge gefasst werden, um – in der Regel – nährstoffärmere Bedingungen zu schaffen (Reihenfolge mit abnehmender Wirksamkeit und abnehmenden Kosten): <br />
# Oberbodenabtrag (meist A-Horizont, ggf. auch B-Horizont),<br />
# Aufschüttung eines nährstoffarmen Substrates auf oder Einarbeitung desselben in den bestehenden Boden – meist Kies oder Sand – wobei es für die Aufschüttung meist eine Schicht von mindestens 30 cm braucht, <br />
# Ausmagerung, beispielsweise durch die Kultur eines Starkzehrers wie Mais oder Raygras. Die Wirksamkeit dieser Methode ist allerdings umstritten. Eine deutlich stärkere Reduktion verfügbarer Nährstoffe wird allein dadurch erreicht, indem vor der Ansaat der Boden möglichst nicht mehr gewendet oder bewegt wird (Verhinderung der oxidativen Nährstoffmobilisation, s. Bosshard 1999). Dies ist auf wenig verunkrauteten Ackerflächen möglich, indem die Ansaat ohne Bodenbearbeitung direkt in die Stoppelbrache erfolgt.<br />
<br />
Ebenso besteht überall dort, wo der Boden neu aufgesetzt wird wie z.B. bei Bauprojekten, die Möglichkeit, den Boden so zu „designen“, dass er standörtlich der Zielvegetation am besten entspricht.<br />
<br />
Weitere Standortfaktoren können beispielsweise durch die Gestaltung des Geländes (Exposition, Grundwassereinfluss etc.) oder durch Reduktion von Schatteneinflüssen (Waldrandstufung, zurückschneiden von Hecken etc.) zugunsten der angestrebten Wiesentyps gezielt beeinflusst werden.<br />
<br />
<br />
Tabelle: Vereinfachter Entscheidungsbaum für die Wahl der geeigneten Ansaat in Lagen unterhalb 1000 m ü. M. (Quelle: In Anlehnung an Bosshard 2000, [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2017/08/Wiesenrenaturierung_NuL_2000.pdf Blumenreiche Heuwiesen aus Ackerland und Intensiv-Wiesen. Eine Anleitung zur Renaturierung in der landwirtschaftlichen Praxis. Naturschutz und Landschaftsplanung 32/6, 161-171]. Zur Bestimmung der Wiesentypen siehe [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen#Typologie_des_Gr.C3.BCnlands Kapitel «Typologie des Grünlands]<br />
<br />
{| class="wikitable" <br />
|-<br />
! colspan="2"|Typ <br />
! Beschreibung<br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | '''1a'''<br />
| Boden eher bis sehr tiefgründig, bisher mittel bis sehr intensiv genutzt (oder Phosphor über 100 ppM), mit ausgeglichenem Wasserhaushalt: -> Zielvegetation typische Fromentalwiese (Arrhenatheretum). Details siehe Text.<br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;"| '''1b'''<br />
| Boden flachgründig oder durchlässig (kiesig, sandig) oder Standort sehr trocken oder nährstoffarm aufgrund bestehender Vegetation (Ertrag < 30 dt/J); an sonniger Lage: <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | 1b1<br />
| Boden kalkhaltig oder pH >6: -> Zielvegetation typische Trespen-Halbtrockenrasen (Mesobrometum). Zur Wahl der Ansaat siehe Text.<br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | 1b2<br />
| weitgehend fehlender Kalkgehalt bzw. pH <6: -> Zielvegetation Rotschwingel-Straussgraswiese (Festuca-Agrostion), ev. Borstgrasrasen (ab 600 m ü. M. (Nardion)); Direktbegrünung, kein geeignetes Standardsaatgut verfügbar. <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | '''1c'''<br />
| Wie 1b, aber schattige Lage: <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | 1c1<br />
| Eher trockener Standort (vorwiegend Nordexposition, Beschattung durch Waldrand u.ä.): -> Zielvegetation Rotschwingel-Straussgraswiese (Saatgut s. 1c1), <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | 1c2<br />
| wie 1c1, aber bei Niederschlägen >1200 mm/J und mind. leichtem Bodenkalkgehalt bzw. pH >6: -> Rotschwingel-Straussgraswiese (s. 1c1) oder magere Variante einer feuchten Fromentalwiese mittels Direktbegrünung oder Standardsaatgut Humida. <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | '''1d'''<br />
|Boden zur Vernässung neigend (wechseltrocken):<br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | 1d1<br />
| Boden eher tiefgründig und/oder eher nährstoffreich: -> Zielvegetation frische Fromentalwiese, Saatgut über Direktbegrünung oder mit Standardsaatgut Humida <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | 1d2 <br />
| Boden mager oder flachgründig: -> Streuwiesengesellschaften durch Direktbegrünungsverfahren (kein geeignetes Standardsaatgut auf dem Markt). Pflanzensoziologische Detailabklärungen nötig zur Wahl geeigneter Spenderflächen (Molinion, Caricion u.a.) <br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | '''1e'''<br />
| Boden vernässt bzw. wechselnass: Wie 1d2.<br />
|-<br />
| colspan="2" style="width:100px; text-align:center;" | '''1f'''<br />
| Rohboden: -> Zielvegetation: Ruderalflora oder lückiger Trespenrasen (s. Text); je nach Situation auf Ansaat verzichten, Ansaat einer Ruderalflora-Mischung, oder (sofern Boden kalkhaltig) Direktbegrünung mit Trespen-Halbtrockenrasen (Mesobrometum) bzw. Trockenrasen (Xerobrometum) sofern verfügbar. Kleinflächen: Anpflanzung von Einzelpflanzen prüfen. <br />
|}<br />
<br />
=Saatgut: Richtige Artenzusammensetzung, richtige Herkunft=<br />
Standörtliche/geographische Herkunft, Qualität und Zusammensetzung des Saatgutes sind eine ausschlaggebende Voraussetzung für den Erfolg bei einer Neuanlage oder Wiederherstellung artenreicher Wiesen. Auch im Hinblick auf die Biodiversität spielen die Zusammensetzung und Herkunft des Saatgutes eine zentrale Rolle.<br />
<br />
In diesem Kapitel werden die verschiedenen Saatguttypen mit ihren Vor- und Nachteilen sowie die vorhandenen Anbieter in der Schweiz beschrieben. Eine einfache erste Entscheidungshilfe, wo welcher Saatguttyp am besten geeignet ist, liefert die Entscheidungsmatrix (siehe Tabelle unten). Weiterführende Informationen zu den einzelnen Saatguttypen und ihren Anwendungsmöglichkeiten enthält der [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Leitfaden_naturgemaesse_Begruenungen_def.pdf Leitfaden für naturgemässe Begrünungen, Kap. 6 (s. 39 ff.)].<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = tab bossh de.png<br />
| text = '''Entscheidungsmatrix für die Saatgutwahl bei Begrünungen in der Schweiz'''. Eine Saatgutwahl nach dieser Matrix ist konform mit dem Natur- und Heimatschutzgesetz sowie mit der Biodiversitätskonvention. Die zuerst genannten Verfahren sind aus ökologischer Sicht vorzuziehen. Angaben in Klammern: Verfügbarkeit des Saatgutes je nach Region eingeschränkt. '''A''' = Autochthones Saatgut oder Pflanzenmaterial (ausgebracht über Heugrassaat, Sodenverpflanzung oder ähnliche Verfahren), '''W''' = Wildpflanzensaatgut (Regio-Saatgut), '''Z''' = Regel-Handelssaatgut. <br/><br />
Quelle: Leitfaden für naturgemässe Begrünungen in der Schweiz - Mit besonderer Berücksichtigung der Biodiversität, Bosshard A., Mayer P., Mosimann A., 2015 <br />
}}<br />
<br />
==Direktbegrünungsverfahren==<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = direktbegruenungsverfahren de.png<br />
| text = Vergleich der Begrünungsverfahren. Quelle: Bosshard, A., Mayer, P., Mosimann, A., 2015. Leitfaden für naturgemässe Begrünungen in der Schweiz. Mit besonderer Berücksichtigung der Biodiversität. Ö+L Ökologie und Landschaft GmbH.<br />
}}<br />
<br />
Direktbegrünungsverfahren sind für die Erhaltung der Biodiversität in der Regel deutlich besser als der Einsatz von [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Standardsaatgut_und_Direktbegr.C3.BCnung_.E2.80.93_eine_Begriffskl.C3.A4rung Standardsaatgut]. Bei Ansaaten auf Flächen mit Naturschutzcharakter sollten generell Direktbegrünungen, also Mahdgutübertragung oder autochthones Saatgut aus dem Sack, eingesetzt werden und nur im Ausnahmefall (z. B. für extensive Vernetzungsflächen, die nicht direkt Naturschutzflächen sind) Standardsaatgut.<br />
<br />
Die Ansaatmethode der Direktbegrünung bzw. mit sog. autochthonem Saatgut wird oft als Wiesenkopierverfahren bezeichnet. Statt einzelne Arten zu vermehren, in Monokulturen anzubauen und dann als definierte Mischungen auf den Markt zu bringen, werden die Samen, welche in artenreichen Wiesen, den sogenannten '''Spenderflächen''', jedes Jahr produziert werden, direkt, ohne Zwischenvermehrung, genutzt. Die Ansaat dieser Samen auf die '''Ansaat- oder Empfängerfläche''' sollte möglichst in engem räumlichem Umkreis, im Idealfall lokal, d.h. im Umkreis von beispielsweise 15 km, erfolgen. Deshalb wird auch von lokalem Saatgut gesprochen <sup>19</sup>.<br />
<br />
Ebenso wichtig wie dieses Prinzip '''«Aus der Region für die Region»''' ist das Prinzip '''Standortäquivalenz''': Spenderfläche und Ansaatfläche müssen sich standörtlich, also bezogen auf den Bodentyp, die Höhenlage, die Exposition, die Nutzung/Pflege etc., so weit als möglich entsprechen (vgl. dazu die Entscheidungshilfe von [https://www.regioflora.ch/de/startseite-de/ Regio Flora]).<br />
<br />
Direktbegrünungsverfahren wurden in den letzten Jahren in der Schweiz, aber auch im Ausland <sup>20</sup> stark weiterentwickelt und verbessert und funktionieren mittlerweile bei fachgemässer Ausführung zuverlässig und erfolgreich.<br />
<br />
Heute wird von einigen Firmen autochthones Saatgut für die meisten Teile der Schweiz angeboten <sup>21</sup>. Die von Pro Natura initiierte und zusammen mit Info Flora, AGRIDEA und verschiedenen Kantonen aufgebaute Plattform [https://www.regioflora.ch/de/startseite-de/ regioflora.ch] beschreibt die Methoden von Direktbegrünungen, gibt ausführliche Literaturhinweise und enthält auch eine Zusammenstellung von verschieden Samenanbietern und Fachpersonen. RegioFlora unterhält auch eine – derzeit allerdings je nach Region noch lückenhafte – [https://www.regioflora.ch/app/de/index.html Spenderflächendatenbank], die Nutzern helfen soll, eine geeignete Spenderfläche für eine Direktbegrünung zu finden.<br />
<br />
Entscheidend für Direktbegrünungsverfahren ist eine gute Zusammenarbeit mit den Besitzern und vor allem den Bewirtschaftern der Spenderflächen. Denn dank ihnen ist die gesuchte Artenvielfalt in diesen Flächen noch vorhanden. Die Nutzung einer Wiese als Spenderfläche bedeutet für die Bewirtschafter oft eine besondere Wertschätzung. Ihnen diese Wertschätzung bei einer Nutzung entgegenzubringen genügt aber nicht. Für die Erlaubnis, eine Ernte durchführen zu können, ist eine Entschädigung, die über den anfallenden Mehraufwand hinausgeht, angemessen.<br />
<br />
<small><br />
<sup>19</sup> Anmerkung: Bei der Sodenversetzung, die ebenfalls zu den Direktbegrünungsverfahren gezählt wird, gilt dasselbe, wobei anstelle von Samen ganze Vegetationsstücke inkl. der obersten Bodenschicht übertragen werden.<br />
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<br />
<small><br />
<sup>20</sup> Siehe ausführliche Literaturliste z.B. bei regioflora.ch und holosem.ch.<br />
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<br />
<small><br />
<sup>21</sup> Umfangreiche Informationen zum aktuellen Angebot auf [https://floretia.ch/ Floretia], wo neben autochthonem auch das Angebot von regionalem Vermehrungssaatgut aufgelistet ist. <br />
</small><br />
<br />
==Die verschiedenen Direktbegrünungsverfahren im Detail==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = agridea_verfahren_de_400dpi.png<br />
| text = Die neben der Mahdgutübertragung weiteren Methoden im Vergleich. Quelle: "Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft" (Hrsg.: Agridea, 2015)<br />
}}<br />
<br />
===Mahdgutübertragung===<br />
Die Spenderfläche wird zum Zeitpunkt der optimalen Samenreife der meisten Arten (Teigreife) in feuchtem Zustand gemäht <sup>22</sup> und das ganze Material auf die Ansaatfläche übertragen, meist etwa im Umfang 1:1. Die Praxis der Mahdgutübertragung wird im Merkblatt [https://www.agridea.ch/old/de/publikationen/publikationen/pflanzenbau-umwelt-natur-landschaft/naturnahe-lebensraeume-im-wiesland/direktbegruenung-artenreicher-wiesen-in-der-landwirtschaft/ «Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft» (Agridea 2015)] detailliert beschrieben (s. auch [https://www.youtube.com/watch?v=IsI8ivNB9u0 FiBL-Infofilm]). Der Vorteil dieser Methode liegt in ihrer Durchführung mit Geräten, die auf jedem Landwirtschaftsbetrieb existieren, und den relativ geringen Kosten, wenn der Landwirt die Arbeiten selber durchführen kann. Zudem werden so auch Kleintierarten und Moose auf die Ansaatfläche übertragen, und die Mahdgutauflage schafft einen ersten Erosionsschutz und verbessert die Keimungsbedingungen.<br />
<br />
Nachteile sind eine oft schwierige Logistik, ein relativ grosser Zeitaufwand und vor allem, dass das Ausbringen des Mahdgutes sogleich nach der Ernte im Sommer durchgeführt werden muss. Zum einen ist Sommer als Ansaatzeitpunkt oft nicht optimal, zum anderen stehen viele Flächen, beispielsweise bei Bauprojekten, nicht genau dann zur Ansaat bereit, wenn das Erntegut anfällt und ausgebracht werden muss. Ein weiterer Nachteil ist, dass verschiedene Erntezeitpunkte und verschiedene Spenderflächen nur beschränkt und mit stark erhöhtem Aufwand kombiniert werden können.<br />
<br />
<small><br />
<sup>22</sup> Ideal ist eine Mahd mit Messerbalken oder mit Sense. Es können aber je nach Verfügbarkeit und Zugänglichkeit der Fläche auch Saugmulcher eingesetzt werden, die in einem Arbeitsgang das Mähgut mähen und einsaugen. Dabei wird aber ein Grossteil der Kleintierfauna getötet, der erwähnte Vorteil einer Übertragung von Tieren fällt damit weg.<br />
</small><br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Mahdgutuebertragung 96 dpi.jpg<br />
| text = Mahdgutübertragung<br />
}}<br />
<br />
===Wiesendrusch===<br />
Das Saatgut wird auf der Spenderfläche mit einem Mähdrescher mit spezieller Einstellung geerntet. Die Methode funktioniert allerdings nur auf flachem Gelände, während die meisten nicht angesäten und damit für Direktbegrünungen in Frage kommenden Spenderflächen an Hängen liegen. Zudem werden einzelne Arten technisch kaum erfasst. Vorteile liegen in der relativ grossen Flächenleistung. Zudem kann das Saatgut verschiedener Wiesen und Erntezeitpunkte mit geringem Aufwand gemischt und das Saatgut bis 2 oder 3 Jahre (je nach Lagerung) nach der Ernte zu einem beliebigen Zeitpunkt ausgesät werden. In der Schweiz liegen erst wenige Erfahrungen mit dieser Methode vor, vor allem durch Untersuchungen der landwirtschaftlichen Fachhochschule HAFL in Zollikofen bei Bern. Als erste Firma bietet Regiosaat.ch seit 2019 autochthones Saatgut aus Wiesendrusch auf dem Markt an.<br />
<br />
Eine Abwandlung des Wiesendruschs stellt der Heudrusch® dar, eine von Joe Engelhardt in Deutschland entwickelte und praktizierte Methode, bei der das feuchte Erntegut wie bei der Mahdgutübertragung geerntet wird, dann aber statt direkt übertragen mit einer speziellen Infrastruktur getrocknet und ausgedroschen wird.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Ernte_mit_Maehdrescher 96 dpi.jpg<br />
| text = Sammeln von Saatgut mit dem Mähdrescher.<br />
}}<br />
<br />
===Seedbrushing===<br />
Bei dieser Methode werden die Samen mit speziellen Bürstenmaschinen aus dem stehenden Pflanzenbestand geerntet. Die Methode ist weniger schlagkräftig als der Wiesendrusch, es können aber mit den Geräten der neuesten Generation auch steile, vernässte oder topographisch schwierige Spenderflächen beerntet werden. Zudem erlaubt die Methode je nach verwendetem Gerät eine sehr individuelle Nutzung, indem einzelne Arten spezifisch beerntet oder auch ausgeschlossen werden. Bei zu dichten oder zu hohen Beständen sind der Methode aber Grenzen gesetzt, beispielsweise bei nährstoffreicheren Fromentalwiesen oder Hochstaudenfluren. Wie beim Wiesendrusch können verschiedene Spenderflächen und Erntezeitpunkte mit geringem Aufwand kombiniert und so die Artenzusammensetzung des Saatgutes optimiert werden <sup>23</sup>. Ebenso ist der Ansaatzeitpunkt flexibel. Die Methode wird in der Schweiz derzeit nur von [http://www.agraroekologie.ch/ Ö+L] angeboten. Die Firma hat dazu ein eigenes Gerät, den [http://www.holosem.ch/ebeetle/angebot/ eBeetle], entwickelt.<br />
<br />
<small><br />
<sup>23</sup> Dies gilt selbstredend nur dann, wenn alle kombinierten Spenderflächen aus derselben Kleinregion und von demselben Wiesentyp vergleichbarer Standorte stammen.<br />
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<br />
===Weitere Verfahren===<br />
Neben den drei erwähnten Hauptmethoden gibt es weitere, allerdings deutlich weniger schlagkräftige und damit nur kleinflächig anwendbare oder die obigen Verfahren ergänzende Methoden der Direktbegrünung. Dazu gehören:<br />
<br />
'''Sammeln von Hand''' <br/><br />
Natürlich können die gewünschten Arten in den Spenderflächen auch von Hand geerntet werden. Dies erlaubt zwar eine sehr gezielte und individuelle Beerntung einzelner Arten zum optimalen Reifezeitpunkt der Samen (die je nach Art in der Regel bei der Teigreife einsetzt), ist aber sehr zeitaufwändig und nur für kleine Flächen realistisch. Handernte kann allerdings zur Ergänzung beispielsweise von Wiesendrusch oder von Mahdgutübertragungen eine wichtige Rolle spielen, indem Samen von Pflanzenarten damit effizient ergänzt werden können, die aus verschiedenen Gründen (Reifezeitpunkt, nur sehr vereinzeltes Vorkommen etc.) nicht übertragen bzw. maschinell nicht geerntet werden.<br />
'''Sammeln mit tragbaren Kleingeräten''' <br/><br />
Es existieren auf dem Markt Sauger und andere tragbare Techniken, mit denen das Saatgut aus dem stehenden Bestand der Spenderwiese geerntet werden kann. Diese Methoden sind aber nur wenig schlagkräftig und ebenfalls nur für kleine Flächen geeignet. Gegenüber einer Handernte bieten sie nur in speziellen Fällen wirklich Vorteile. In der Schweiz werden solche Geräte nur sehr punktuell angewendet.<br />
<br />
'''Heublumen''' <br/><br />
Diese Methode war bis Mitte des letzten Jahrhunderts das übliche Verfahren bei der Verbesserung oder Neuanlage von Wiesen. Dabei wird der Samenausfall aus dem Heustock gesammelt und direkt ausgesät. Da bis in die 1950er Jahre fast nur artenreiche Wiesen existierten (Bosshard 2016 <sup>24</sup>), hat diese Methode damals ausgezeichnet funktioniert. Heute bestehen Heublumen vor allem aus Samen von artenarmen Fett- und Intensivwiesen und beinhalten oft viele unerwünschte Arten wie Blacken oder Disteln, so dass von dieser Methode in aller Regel dringend abgeraten werden muss.<br />
<br />
'''Sodenversetzung''' <br/><br />
In denjenigen Fällen, wo ein artenreicher Wiesenbestand zerstört und nachher wiederhergestellt werden soll, eignet sich die Methode der Sodenversetzung bzw. Sodenschüttung besonders gut. Dabei wird die Ursprungsvegetation mit dem Bagger als grosse Rasenziegel gelagert und nach dem Bau wieder auf die zu begrünende Fläche aufgetragen. Am meisten Erfahrungen mit dem Verfahren bestehen im Kanton Graubünden, wo vor allem beim Strassenbau und bei Meliorationsprojekten die Sodenversetzung heute zur hauptsächlich angewandten Methode gehört.<br />
<br />
'''Spontanbegrünung''' <br/><br />
Überall dort, wo noch artenreiche Flächen mit den Zielarten in der näheren Umgebung vorhanden oder in der Samenbank des Bodens zu erwarten sind, kommt auch eine Spontanbegrünung in Betracht. Bei dieser Methode wird nichts angesät, sondern einfach gewartet, bis sich die passenden Arten von selbst wieder etablieren. Die Methode kann vor allem im Berggebiet empfohlen werden, sofern nur kleine bzw. wenige Meter breite Flächen zu begrünen sind und sofern in der unmittelbaren Umgebung noch artenreiche Wiesen vorhanden sind (Distanz <20 m).<br />
<br />
<small><br />
<sup>24</sup> Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas. Bosshard A. 2016. Haupt-Verlag, Bern. 265 S. [https://issuu.com/haupt/docs/9783258079738Inhaltsübersicht, Zusammenfassung und Leseprobe S. 1-34]. <br />
</small><br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Saatguternte_Mesobr_mit_eBeetle 96 dpi.jpg<br />
| text = Saatguternte mit dem eBeetle.<br />
}}<br />
<br />
==Hohe Anforderungen an die Planung==<br />
Bei den Methoden «Mahdgutübertragung» bis «Sammeln von Hand» ist eine sorgfältige Planung essentiell. Da die Ernte nur im lokalen Rahmen erfolgt, ist oft kein geeignetes Saatgut an Lager, sondern dieses wird, v.a. bei grösserem Bedarf, spezifisch «on demand» produziert. D.h. es muss bis spätestens im Mai klar sein, welcher Saatgutbedarf für welche Lokalitäten und Standortbedingungen besteht. Wenn also im Frühjahr, dem optimalen Aussaatzeitpunkt, angesät werden soll, muss die Ernte bereits im Sommer des Vorjahres erfolgt sein.<br />
<br />
==Weitere Informationen zu den Direktbegrünungsverfahren ==<br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~2591~1/3~410250~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Naturnahe-Lebensr%C3%A4ume-im-Wiesland/Direktbegr%C3%BCnung-artenreicher-Wiesen-in-der-Landwirtschaft/Deutsch/Print-Papier Agridea-Wegleitung «Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft» (2015)]<br />
* [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Leitfaden_naturgemaesse_Begruenungen_def.pdf «Leitfaden für naturgemässe Begrünungen»]<br />
* Kirmer A., Krautzer B., Scotton M., Tischew S. (Hrsg.) 2012: Praxishandbuch zur Samengewinnung und Renaturierung von artenreichem Grünland. Lehr- und Forschungszentrum Raumberg-Gumpenstein.<br />
* [https://www.regioflora.ch/de/startseite-de/ Regio Flora, Förderung der regionalen Vielfalt im Grünland]<br />
* [http://www.holosem.ch/ HoloSem®]<br />
* [https://www.regiosaat.ch/ www.regiosaat.ch]<br />
* [https://www.conservationevidence.com/actions/133 Conservation Evidence] (englische Seite mit vielen wissenschaftlichen Hintergrundinformationen aus verschiedenen Studien)<br />
<br />
==Anwendung und Bezug von Blumenwiesen-Standardsaatgut==<br />
In Regionen, in denen zu wenig qualitativ hochwertige Spenderflächen existieren, oder wo aus anderen Gründen keine Direktbegrünungen möglich sind, ist artenreiches Wiesenblumensaatgut mit Ökotypen aus der betreffenden Biogeographischen Region (s. Abb. 1) eine gute Alternative.<br />
<br />
In der Schweiz bieten folgende Firmen geprüftes Blumenwiesen-Standardsaatgut an: [https://www.ufasamen.ch/ Ufa], [https://www.hauenstein.ch/de/ Hauenstein], [http://www.sativa-rheinau.ch/ Sativa] und [https://www.ericschweizer.ch/ Schweizer Samen]. Das grösste Angebot haben Ufa und Hauenstein, Saatgut in Bio-Qualität bietet Sativa. Einige der angebotenen Mischungen wechseln fast jährlich, und es ist entsprechend zu empfehlen, jeweils aktuell die Web-Informationsseiten oder die reich bebilderten Prospekte der betreffenden Firmen zu konsultieren, um die für den jeweiligen Anwendungszweck am besten geeignete Blumenwiesenmischung zu bestimmen.<br />
<br />
Beim Kauf ist unbedingt darauf zu achten, aus welcher biogeographischen Region das Saatgut stammt. Die Angabe, dass das Saatgut aus Schweizer Ökotypen besteht, genügt nicht, weil solches Saatgut oft ein Gemisch aus Herkünften verschiedener biogeographischer Regionen ist. Noch immer sind verbreitet Mischungen auf dem Markt, bei denen nur der Wiesenblumenanteil aus einheimischen Ökotypen besteht, während der Gräseranteil, der oft weit über 90% des Saatgutanteils ausmacht, nicht spezifiziert ist und dann in der Regel aus dem Ausland stammt und nicht selten auch Zuchtsorten enthält. Solches Saatgut ist deutlich kostengünstiger, aber aus den in der [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Einleitung Einleitung] erläuterten Gründen nicht zu empfehlen bzw. je nach Anwendungsbereich nicht rechtskonform.<br />
<br />
Von den meisten artenreichen Mischungen besteht nur Saatgut mit Ökotypen aus der Biogeographischen Region Mittelland. Solches Saatgut sollte nicht im Jura, im Berggebiet oder in der Südschweiz ausgebracht werden. In diesen Regionen kommt für die meisten Anwendungszwecke mangels eines entsprechenden Standardsaatgutangebotes nur autochthones Saatgut in Frage.<br />
<br />
Einige wenige Kantone (z.B. [https://lawa.lu.ch/-/media/LAWA/Dokumente/Landwirtschaft/Biodiversitaetsfoerderflaechen/Merkblaetter/MB_Blumenwiese_Neuansaat.pdf LU] und [https://www.ag.ch/media/kanton_aargau/dfr/dokumente_3/landwirtschaft_2/umweltprojekte/naturnahe_landwirtschaft_1/merkblaetter_labiola/20_Labiola_MB_Saat_und_Pflanzug_okt16.pdf AG]) haben für den Landwirtschaftsbereich in Zusammenarbeit mit dem Handel kantonal angepasste Blumenwiesenmischungen entwickelt. Diese weichen teilweise in der Artenzusammensetzung leicht ab von den gängigen Mischungen, teilweise stammt das Basissaatgut einzelner Arten aus dem betreffenden Kanton. Der Bezug erfolgt teils über den Handel, teils über den Kanton bzw. von ihm beauftragte Stellen.<br />
<br />
== Qualitätssicherung ==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Bosshard_NEAT_Amit_HoloSem_Saatgut_angesaet_zg 96 dpi.jpg<br />
| text = Gemäss HoloSem-Standard frisch angesäte Böschung.<br />
}}<br />
Die im Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Herkunft_des_Saatgutes:_Empfehlungen.2C_Standards_und_rechtliche_Vorgaben «Herkunft des Saatgutes»] erwähnten Empfehlungen von Info Flora und RegioFlora, im Hinblick auf die Auswahl des Basissaatgutes bzw. der Spenderflächen und die räumliche Ausbreitung des Saatgutes, betreffen sowohl Standardsaatgut wie Direktbegrünungen.<br />
<br />
Was das Standardsaatgut anbelangt einigten sich die Schweizer Saatgutfirmen in einem mehrjährigen Prozess in den 1990er Jahren zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft für den Futterbau und der Forschungsanstalt Reckenholz auf eine Vereinbarung, welche die Empfehlungen von Info Flora (damals SKEW) berücksichtigt. Die Samenfirmen erklärten sich bereit, nur einheimische CH-Ökotypen für Blumenwiesenmischungen zu verwenden, den Forschungsanstalten die für die Ernte vorgesehenen Felder mit den geforderten Angaben (z.B. Herkunft des Ursprungssaatgutes, Parzellengrösse) zu melden, und die Vermehrungen stichprobenweise durch die Forschungsanstalten überprüfen zu lassen. Allerdings wird diese Vereinbarung nur für den Wiesenblumenzusatz des Saatgutes eingehalten, der Gräseranteil stammt v.a. bei Mischungen, die im Verkehrsbau verwendet werden, bis heute noch häufig aus ungeprüftem Saatgut aus dem Ausland.<br />
<br />
Für Direktbegrünungen existiert neben den Empfehlungen von Info Flora/RegioFlora ein von der Branche selber entwickelter Qualitätsstandard [http://www.holosem.ch/begruenungen/holosem-standard/ HoloSem]. Dieser existiert seit 2014 und definiert, welche standörtlichen und qualitativen Anforderungen bei der Ernte des Saatgutes zu berücksichtigen sind, definiert eine maximale Distanz der Verbreitung des autochthonen Saatguts von 15 km aus, wobei zusätzlich die biogeographische Region der Standort, die Höhenlage u.a. mitberücksichtigt werden müssen. Zudem bestehen Anforderungen zur Dokumentation, zur Spenderflächenauswahl u.a. Der Standard wird zunehmend für Ausschreibungen genutzt, um eine einheitliche Mindestqualität von Direktbegrünungen sicherzustellen.<br />
<br />
Ebenso wichtig und zielführend wie ein Standard sind für eine fachgemässe Ausführung v.a. von Mahdgutübertragungen in der Landwirtschaft eine gute Begleitung und Beratung der jeweils beteiligten Akteure, beispielsweise der Bewirtschafter der Flächen, welche die Mahdgutübertragung auch selber durchführen können. Eine fachliche Beratung kann den Erfolg und die Qualität der so angesäten Flächen wesentlich verbessern. Das zeigt sich beispielsweise im Kanton Aargau, wo interessierten Landwirten eine solche Beratung kostenlos zur Verfügung steht und wo der Erfolg der Mahdgutübertragungen mit einem Monitoring überprüft wird. Eine wertvolle Hilfe für die korrekte Ausführung von Mahdgutübertragungen bietet auch die Internetseite regioflora.ch, wo umfangreiche Informationen leicht verständlich aufgearbeitet sind.<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = wichtigste Begruenungsverfahren de.png<br />
| text = Übersicht über die wichtigsten Begrünungsverfahren und ihre optimalen Ausführungszeitpunkte, bezogen auf Lagen bis ca. 1000 m ü.M. In der angegebenen Literatur hat es auf Seite 31 eine Tabelle, die auch auf höher gelegene Flächen eingeht. [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Leitfaden_naturgemaesse_Begruenungen_def.pdf Quelle: Bosshard, A., Mayer, P., Mosimann, A., 2015. Leitfaden für naturgemässe Begrünungen in der Schweiz. Mit besonderer Berücksichtigung der Biodiversität. Ö+L Ökologie und Landschaft GmbH].<br />
}}<br />
<br />
=Praktische Durchführung von Ansaat und anschliessender Pflege artenreicher Wiesen=<br />
Artenreiches Saatgut ist zu kostbar, um es nicht optimal einzusetzen. Denn auch das beste Saatgut führt nur bei einer fachgerecht durchgeführten Ansaat und Pflege/Bewirtschaftung zum Erfolg.<br />
<br />
==Saatbettvorbereitung==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Empfängerfläche 5 96 dpi.JPG<br />
| text = Dieses Saatbett wurde zur Vorbereitung geackert und anschliessend in Zeitabständen von etwa drei Wochen mehrmals geeggt.<br />
}}<br />
Ein vegetationsfreies, gut abgesetztes, feinkrümeliges Saatbett ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Ansaat.<br />
Der Boden kann durch Pflügen oder mehrmaliges Eggen vegetationsfrei gemacht werden, in speziellen Fällen auch durch Abdecken mit schwarzer Gärtnerfolie; Abspritzen mit Herbiziden ist nicht zu empfehlen. Einsaaten (Übersaaten) in bestehende Wiesen ohne Entfernen des alten Wiesenbestandes führen nur mit hohem Aufwand zum Erfolg (siehe [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Botanische_Aufwertung_von_verarmten_Naturwiesen_mittels_Einsaaten «Übersaatmethode»]!<br />
<br />
„Gut abgesetzter Boden“ heisst: Die letzte tiefere Bodenbearbeitung (Pflügen, Eggen, Aufbringen einer Bodenschicht) liegt mindestens drei bis vier Wochen vor der Ansaat. Grund: Ist der Boden bei der Ansaat zu locker, fehlt der sogenannte Bodenschluss, und die jungen Keimlinge laufen Gefahr, nicht richtig wurzeln zu können; zudem ist die Wasserzufuhr aus dem Unterboden mangelhaft, was bei Trockenperioden zu grossen Ausfällen führen kann.<br />
Unmittelbar vor der Saat darf der Boden falls nötig („Unkrautkur“) nur noch sehr flach (ca. 3 cm tief) geeggt oder gefräst werden.<br />
<br />
==Saatzeitpunkt==<br />
Die Ansaaten sollten, wenn immer möglich, im April oder Mai erfolgen. Dies gilt nicht für Mahdgutübertragungen, die bei optimaler Reife der Spenderflächen durchgeführt werden müssen, also in der Regel im Juni oder Juli. Spätere Ansaaten können durch Trocken- und Hitzeperioden empfindlich beeinträchtigt werden (v.a. die Gräser). Bei Herbstansaaten sind die Verluste über den Winter ebenfalls meist beträchtlich (insbesondere der Kräuter/Wiesenblumen). Können Ansaaten, z.B. aus Gründen des Erosionsschutzes, nicht im April oder Mai erfolgen, bietet sich der Einsatz von Zwischen- und Deckfrüchten an. Eine Beratung von Fachpersonen ist dabei zu empfehlen.<br />
<br />
==Saat==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Hydrosaat mit autochthonem Saatgut 96 dpi.JPG<br />
| text = Hydrosaat mit autochthonem Saatgut.<br />
}}<br />
Die angegebene Saatmenge wird je nach Situation und Ausrüstung von Hand oder mit geeigneten Maschinen (Hydroseeder, Sämaschine, Düngerstreuer etc.) oberflächlich ausgebracht. Saatgut nicht in den Boden einarbeiten! Bei kleineren Flächen empfiehlt sich eine Handsaat, wobei je die Hälfte des Saatgutes kreuzweise (d.h. zuerst von links nach rechts, dann von hinten nach vorne) ausgebracht wird, um eine gleichmässige Saat sicherzustellen. Auf lockeren Böden (z.B. Landwirtschaftsflächen) muss unmittelbar nach der Saat gewalzt werden. Geeignet sind Gliederwalzen (z.B. Cambridgewalze). Kleine Flächen können auch „angeklopft“ oder „angestampft“ werden.<br />
<br />
==Nachsaatpflege im Ansaatjahr==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Mahdgutuebertr_Keimungsphase mit ebenfalls uebertragener Trockenwiesenschnecke 96 dpi.jpg<br />
| text = Mit der Mahdgutübertragung wurden aus der Trockenwiese Schnecken miteingebracht.<br />
}}<br />
Fast alle Pflanzen artenreicher Wiesen keimen erst einige Wochen nach der Ansaat und entwickeln sich auch danach nur sehr langsam. Die „Unkräuter“ dagegen keimen meist sofort nach der letzten Bewegung des Bodens und legen dann sofort mit Wachstum los. Vor allem auf humosen Böden können einjährige Pflanzen aus der bodenbürtigen Samenbank schon nach kurzer Zeit völlig überhandnehmen.<br />
<br />
Jetzt heisst es '''Ruhe bewahren''', denn dies ist normal und beeinträchtigt die spätere Entwicklung der Wiese in keiner Weise. Wichtig ist jedoch, dass nicht zu lange mit dem sogenannten Pflegeschnitt zugewartet wird, damit die Keimlinge der angesäten Arten nicht unter einer dicken Pflanzendecke aufgrund von Lichtmangel absterben.<br />
<br />
'''Faustregel''': Sobald der Boden nach der Ansaat stellenweise so stark mit „Unkraut“ bedeckt ist, dass er nicht mehr sichtbar ist, sollte ein Pflegeschnitt durchgeführt werden:<br />
* Hoch mähen (5-10 cm).<br />
* Das Mähgut muss abgeführt werden.<br />
* Eventuell muss der Pflegeschnitt im Ansaatjahr ein zweites Mal durchgeführt werden, wenn sich die einjährigen Arten nochmals rasch entwickeln. <br />
* Auch wenn vorher kein Pflegeschnitt nötig war: Im Herbst vor dem Einwintern, idealerweise in der ersten Septemberhälfte, sollte ein Pflegeschnitt gemacht werden.<br />
<br />
Wichtig ist, im Herbst nochmals einen Blick auf den Bestand zu werfen: '''Die Vegetation sollte nicht höher als fausthoch in den Winter gehen''', damit die jungen Pflänzchen nicht mit einer vom Schnee zusammengedrückten „Vegetationsmatte“ zugedeckt werden. Meist ist deshalb vor dem Einwintern, idealerweise in der ersten Septemberhälfte, zumindest der erste, oder aber einfach der letzte von 2 Pflegeschnitten angesagt.<br />
<br />
Entwickeln sich Blacken (''Rumex obtusifolius'') oder invasive Neophyten, empfiehlt es sich, diese bereits im Ansaatjahr zu zupfen oder auszustechen. Bei allem anderen „Unkraut“ hilft Jäten nichts, im Gegenteil, der Schaden wäre grösser als der Nutzen, der Pflegeschnitt reicht vollauf.<br />
<br />
Oft wird vergessen: Im Ansaatjahr ist von den angesäten Arten noch so gut wie nichts zu sehen, und es ist nur schwer zu beurteilen, ob eine Ansaat gelungen ist oder nicht. Im Jahr der Ansaat sollten also keine vorschnellen Urteile über das Gelingen gefällt werden.<br />
<br />
==Bewirtschaftung/Pflege in den Nachfolgejahren==<br />
Erst im Jahr nach der Ansaat lässt sich erkennen, ob sich die Saat gut entwickelt, und das Gesicht der zukünftigen Wiese beginnt sich nach und nach zu zeigen. Es dauert aber je nach Standort und angesäten Arten meist nochmals ein Jahr oder mehr, bis sich alle Pflanzen richtig etabliert haben und sich ein stabiler Pflanzenbestand entwickelt hat.<br />
Wie bei einem guten Wein ist bei der Neuansaat artenreicher Wiesen also Geduld angesagt! '''Gut Ding will Weile haben.'''<br />
<br />
Doch bereits jetzt, im Jahr nach der Ansaat, kann zur regulären Pflege/Nutzung mit jährlich ein bis zwei Mähschnitten übergegangen werden. Die Mahd muss unbedingt dem angestrebten Pflanzenbestand und damit den angesäten Arten angepasst sein. Generelle Empfehlungen sind hier schwierig. Folgendes lässt sich aber allgemein festhalten (siehe auch [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimale_Mahdnutzung Kapitel «Erhalt und Aufwertung durch optimale Mahdnutzung»]):<br />
* Mehr als zwei Mähschnitte sind bei ungedüngten Wiesen in keinem Fall nötig, sondern schaden der Artenvielfalt und verursachen darüber hinaus unnötig Aufwand, Kosten und Ressourcenverbrauch.<br />
* Die Mahd sollte in der Regel rund 1-2 Wochen nach der Hauptblüte der Wiese durchgeführt werden, damit ein Absamen möglich ist. In vielen Fällen liegt der optimale erste Schnittzeitpunkt in den tieferen Lagen in der zweiten Juni- oder in der ersten Julihälfte.<br />
* Wo keine Vorgaben für den ersten Schnittzeitpunkt bestehen (z.B. bei Ökoflächen in der Landwirtschaft), ist eine jährliche Variation des Schnittregimes für die Artenvielfalt förderlich (mal eher früh, mal eher spät mähen etc.).<br />
* Bei der Mahd immer kleine Reste stehen lassen, damit sich dort Tiere in die verbleibenden Strukturen zurückziehen und sich spät blühende Arten noch bis zur Samenreife entwickeln können. Am besten ist es, bei jedem Schnitt 10% der Fläche in Form von Rückzugsstreifen ungemäht zu lassen, jedes Mal wieder an einem anderen Ort. Empfehlenswert ist auch eine gestaffelte Mahd (kleinflächig unterschiedliche Schnittzeitpunkte mit mindestens 3 Wochen Intervall), wo dies vom Aufwand her möglich ist.<br />
* Wenn möglich nach der Mahd Bodenheu bereiten, d.h. das Gras am Ort an 2-3 niederschlagsfreien Tage trocknen, damit die Pflanzensamen ausreifen und ausfallen können.<br />
* Das Mähgut ist auf jeden Fall abzuführen. Mulchen vermindert in der Regel die Pflanzenartenvielfalt rasch.<br />
* Entwickeln sich Stumpfblättriger Ampfer („Blacken“) oder invasive Neophyten wie amerikanische Goldruten oder Einjähriges Berufskraut, müssen diese regelmässig und möglichst von Beginn an gejätet werden. Je früher und konsequenter man damit beginnt, desto mehr Arbeit lässt sich längerfristig sparen.<br />
<br />
Wer diese Empfehlungen befolgt, kann schon nach 1-2 Jahren mit einer farbenprächtigen Blumenwiese rechnen.<br />
<br />
Wenn die Biodiversität nach erfolgreicher Ansaat noch wirksamer gefördert werden soll, ist zu empfehlen, die Blumenwiese mit Strukturen<!--Link auf Kleinstrukturen, wenn aufgeschaltet--> wie Asthaufen, einer Trockenmauer, Kiesflächen<!--Link auf Pionierflächen, wenn aufgeschaltet-->, einem kleinen [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Stillgew%C3%A4sser Teich], einer [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Hecke Hecke] oder Einzelbäumen weiter aufzuwerten (siehe auch [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Allgemeine_Massnahmen Allgemeine Massnahmen]).<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* [http://www.holosem.ch/localseed/richtig-ansaeen/ HoloSem<sup>®</sup>]<br />
<br />
=Information und Motivation für eine anspruchsvolle Verbundaufgabe=<br />
Bei Wiesenaufwertungen und artenreichen Grünlandansaaten die richtige Methode zur richtigen Zeit am richtigen Standort zu wählen, um so die Biodiversität optimal fördern zu können, ist anspruchsvoll und nicht selten auch mit Zusatzaufwand und Hindernissen verbunden. Das lassen die bisherigen Ausführungen nicht übersehen.<br />
<br />
Entsprechend wichtig ist es, die vielen Akteure auf den verschiedenen Stufen der Entscheidungsprozesse immer wieder auf die Wichtigkeit und die Chancen von Wiesenaufwertungen aufmerksam zu machen und sie über die verschiedenen Möglichkeiten und die Vor- und Nachteile der verfügbaren Methoden zu informieren und weiterzubilden.<br />
<br />
Die Informations- und Motivationsaufgabe ist umso grösser, als sehr unterschiedliche Akteure letztlich daran beteiligt sind, wo welche Aufwertungen wie realisiert werden (oder auch nicht realisiert werden). Landschaftsarchitekten, Gartenarchitekten, Umweltbaubegleiter, Umweltverantwortliche, bodenkundliche Begleitplaner, Begrüner, Bauherren, Ökobüros, verschiedenste Amtsstellen von der Gemeinde bis zum Bund, Schulen, Weiterbildungsinstitutionen etc. etc. – und nicht zuletzt Landwirtinnen und Landwirte: Sie alle entscheiden regelmässig mit, was draussen in der Landschaft vor unserer Haustüre passiert. Es ist zu wünschen, dass das vorliegende Informationsangebot (vom Verein biodivers) dazu beiträgt, dass diese Herausforderung in Zukunft noch besser zu meistern, damit die unzähligen Chancen von Naturaufwertungen noch gezielter genutzt werden können als bisher.<br />
<br />
=Weiterführende Literatur=<br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~1425~1/3~410250~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Naturnahe-Lebensr%C3%A4ume-im-Wiesland/Der-Weg-zu-artenreichen-Wiesen/Deutsch/Print-Papier Der Weg zu artenreichen Wiesen. Agridea-Merkblatt, 2010.]<br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~2591~1/3~410250~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Naturnahe-Lebensr%C3%A4ume-im-Wiesland/Direktbegr%C3%BCnung-artenreicher-Wiesen-in-der-Landwirtschaft/Deutsch/Print-Papier Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft. Leitfaden für die Praxis zum Einsatz von regionalem Saatgut in Biodiversitätsförderflächen, Agridea, 2015.]<br />
* [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Leitfaden_naturgemaesse_Begruenungen_def.pdf Leitfaden für naturgemässe Begrünungen in der Schweiz. Mit besonderer Berücksichtigung der Biodiversität, Bosshard et al. 2015]<br />
* [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2015/11/Guideline_restoration_deutsch.pdf Leitfaden zur Renaturierung von artenreichem Grünland. SALVERE 2012]<br />
* [http://www.holosem.ch/wp-content/uploads/2017/08/Wiesenrenaturierung_NuL_2000.pdf Blumenreiche Heuwiesen aus Ackerland und Intensiv-Wiesen. Eine Anleitung zur Renaturierung in der landwirtschaftlichen Praxis. Naturschutz und Landschaftsplanung 32/6 (2000), 161-171.]<br />
* Gürke, J., Hrsg.: Pro Natura, 2014. Blumenwiesen anlegen und pflegen, Pro Natura Praxis Nr. 21.<br />
* Kirmer A., Krautzer B., Scotton M., Tischew S. (Hrsg.) 2012: Praxishandbuch zur Samengewinnung und Renaturierung von artenreichem Grünland. Lehr- und Forschungszentrum Raumberg-Gumpenstein.<br />
* Kiehl K., Kirmer A., Shaw N., Tischew S. (Hrsg.) 2014: Guidelines for Native Seed Production and Grassland Restoration. Cambridge Scholars Publishing<br />
* Brönnimann D. und Minloff L., 2015: Entwicklung von angesäten extensiven Wiesen im Naturnetz Pfannenstil. Bachelorarbeit<br />
* Zemp-Lori N., 2016: Besiedlung angesäter extensiver Wiesen durch Tagfalter im Naturnetz Pfannenstil. Bachelorarbeit<br />
* [https://www.research-collection.ethz.ch/handle/20.500.11850/143994 Renaturierung artenreicher Wiesen auf nährstoffreichen Böden. Ein Beitrag zur Optimierung der ökologischen Aufwertung der Kulturlandschaft und zum Verständnis mesischer Wiesen-Ökosysteme. Dissertationes Botanicae Band 303, Stuttgart 1999.]<br />
* [https://www.agraroekologie.ch/wp-content/uploads/2016/10/NuL07-10_Mueller_Bosshard.pdf Altgrasstreifen fördern Heuschrecken in Ökowiesen – Eine Möglichkeit zur Strukturverbesserung im Mähgrünland. Naturschutz und Landschaftsplanung 42 (7), 2010, 212-217.]<br />
* Grün Stadt Zürich, Fachbereich Naturschutz, 2010. Pflegeverfahren. Ein Leitfaden zur Erhaltung und Aufwertung wertvoller Naturflächen, Leitfaden. Zürich.<br />
* [http://www.holosem.ch/begruenungen/fachunterlagen/ Weitere Literatur siehe HoloSem / Fachunterlagen]<br />
<br />
Zu Aufwand und Kosten der beschriebenen Massnahmen enthalten folgende Unterlagen Informationen und Hilfeleistungen:<br />
* Saatgutkataloge und Webseiten der genannten [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Anwendung_und_Bezug_von_Blumenwiesen-Standardsaatgut Anbieter] von Standard- und autochthonem Saatgut<br />
* Normpositionenkataloge (nur käuflich erwerblich)<br />
<br />
Zu Aufwand und Kosten der beschriebenen Massnahmen enthalten folgende Unterlagen Informationen und Hilfeleistungen:<br />
* Saatgutkataloge und Webseiten der [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat#Anwendung_und_Bezug_von_Blumenwiesen-Standardsaatgut genannten Anbieter] von Standard- und autochthonem Saatgut<br />
* Normpositionenkataloge (nur käuflich erwerblich)<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = WiesenhausMatzingen_auchHaeuser_eignen_sich_fuer_artenreiche_Wiesen 96 dpi.jpg<br />
| text = Auch Häuser eignen sich für artenreiche Wiesen.<br />
}}<br />
<br />
= Weitere Kapitel zum Grünland =<br />
* [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland#Einleitung Einleitung und Zusammenfassung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie Praxisrelevante Ökologie]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung Erhalt und Aufwertung durch optimierte Bewirtschaftung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen Grundlagen]<br />
<!--* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisbeispiele Praxisbeispiele]--><br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || Andreas Bosshard|| [http://www.agraroekologie.ch/ueber-uns/team/ Ö+L GmbH]<br />
|-<br />
| Unter Mitwirkung von || Regula Benz|| <br />
|-<br />
| || Jean-Yves Humbert|| [https://www.cb.iee.unibe.ch/about_us/pd_dr_humbert_jean_yves/index_eng.html Universität Bern, Conservation Biology]<br />
|-<br />
| || Andrea Lips || [https://www.pronatura.ch/de Pro Natura]<br />
|-<br />
| || Winu Schüpbach|| [https://www.quadragmbh.ch/ quadra gmbh] <br />
|-<br />
|}<br />
<br /><br />
<br /></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie&diff=4710
Grünland/Praxisrelevante Ökologie
2023-03-05T09:48:06Z
<p>VB2: </p>
<hr />
<div>[[fr:Milieux prairiaux/Ecologie utile pour la pratique]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Halbtrockenrasen as 96 dpi.jpg<br />
| text = Die blüten- und blumenreichen Halbtrockenrasen sind stark zurückgegangen und sollen deshalb, wie viele weitere Grünland Lebensräume, gefördert werden.<br />
}}<br />
<br />
=Lebensräume des Grünlands=<br />
Auf die Entstehungsgeschichte und die Entwicklungen des Grünlandes wird im [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen#Entstehung_von_Gr.C3.BCnland "Entstehung von Grünland"] näher eingegangen. Im vorliegenden Artikel wird für die ungedüngten sowie die nicht-anthropogenen Lebensraumtypen des Grünlands die Klassifikation von Delarze et al. (2015) <ref>Delarze, Raymond; Gonseth, Yves; Eggenberg, Stefan; Vust, Mathias (2015): Lebensräume der Schweiz. Ökologie - Gefährdung - Kennarten. 3., vollst. überarb. Aufl. Bern: Ott.</ref> übernommen. Das gedüngte Grünland (Fettwiesen und -weiden) wird gemäss Bosshard (2016) <ref>Bosshard, Andreas (2016): Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas. Mit besonderer Berücksichtigung der Fromentalwiesen und des standortgemässen Futterbaus. Bern: Haupt Verlag (Bristol-Schriftenreihe, Band 50)</ref> eingeteilt. Feuchtgebiete, Moore, Waldlichtungen, Ruderalflächen und Pionierfluren werden in separaten Artikeln auf dieser Webseite abgedeckt. Nicht behandelt werden die Grasbrachen. Da es sich oft um Ruderalgesellschaften handelt, werden sie allenfalls zu einem späteren Zeitpunkt in einem entsprechenden Artikel aufgenommen.<br />
<br />
Untenstehende Tabelle (nach Delarze et al. 2015) zeigt, welche Lebensräume des Bereichs „Grünland“ nach unserer Einschätzung einen Förderbedarf (siehe Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung "Erhalt und Aufwertung durch optimierte Bewirtschaftung"]) (ja/nein) aufweisen. Hergeleitet wurde diese Einschätzung aus den Angaben zum „Zustand in der Schweiz“ und der Förderbarkeit (anthropogene Schaffung möglich). Mit P = Primärlebensraum sind Lebensraumtypen gekennzeichnet, welche nicht auf einen anthropogenen Einfluss angewiesen sind bzw. mit (P), wenn oberhalb der Waldgrenze i.d.R. keine menschliche Nutzung für das Vorkommen der Lebensraumtypen notwendig ist (Quelle: Delarze et al. 2015). Gefährdungsgrad (G): LC = nicht gefährdet, NT = potenziell gefährdet, VU = verletzlich, EN = stark gefährdet. Regenerationsdauer (R): R2 = 5-10 Jahre, R3 = 10-25 Jahre, R4 = 25-50 Jahre, R5 = 50-200 Jahre (Quelle: Delarze et al. 2015). Für Fettwiesen und -weiden (Nr. 4.5, gekennzeichnet mit *) wird im Artikel die Einteilung nach Bosshard (2016) übernommen. k.A. = keine Angaben.<br />
<br />
{| class="wikitable"<br />
! Nr.<br />
! Bezeichnung<br />
! Förderbedarf<br />
! Gefährdung<br />
! Regenerationsdauer<br />
|-<br />
| 4<br />
| Grünland (Naturrasen, Wiesen und Weiden)<br />
| <br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.0<br />
| Kunstrasen<br />
| <br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.0.1<br />
| Kunstwiese auf Fruchtfolgeflächen<br />
| nein<br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.0.2<br />
| Kunstrasen auf Sportplätzen, im Siedlungsraum etc.<br />
| nein<br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.0.3<br />
| Begrünung in Tieflagen (Strassenböschungen etc.)<br />
| nein<br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.0.4<br />
| Begrünung in Hochlagen (Skipisten etc.)<br />
| nein<br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.1<br />
| Pionierfluren auf Felsböden (Felsgrusfluren)<br />
| <br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.1.1<br />
| Wärmeliebende Kalkfels-Pionierflur ''Alysso-Sedion''<br />
| ja, P<br />
| NT<br />
| R4<br />
|-<br />
| 4.1.2<br />
| Kalkfels-Pionierflur des Gebirges (Karstfluren) ''Drabo-Seslerion''<br />
| nein, P<br />
| LC<br />
| R4<br />
|-<br />
| 4.1.3<br />
| Wärmeliebende Silikatfels-Pionierflur ''Sedo-Veronicion''<br />
| ja, P<br />
| VU<br />
| R4<br />
|-<br />
| 4.1.4<br />
| Silikatfelsgrusflur des Gebirges ''Sedo-Scleranthion''<br />
| nein, P<br />
| NT<br />
| R4<br />
|-<br />
| 4.2<br />
| Wärmeliebende Trockenrasen<br />
| <br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.2.1<br />
| Wärmeliebende Trockenrasen (Kontinentaler Trockenrasen, Innerwallis, Graubünden). ''Stipo-Poion'' und ''Cirsio-Brachypodion''<br />
| ja<br />
| VU<br />
| R4<br />
|-<br />
| 4.2.2<br />
| Mitteleuropäische Trockenrasen ''Xerobromion''<br />
| ja<br />
| VU<br />
| R4<br />
|-<br />
| 4.2.3<br />
| Insubrischer Trockenrasen ''Diplachnion''<br />
| (ja)<br />
| EN<br />
| R4<br />
|-<br />
| 4.2.4<br />
| Mitteleuropäischer Halbtrockenrasen ''Mesobromion''<br />
| ja<br />
| VU<br />
| R3<br />
|-<br />
| 4.3<br />
| Gebirgs-Magerrasen<br />
| <br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.3.1<br />
| Blaugrashalde ''Seslerion''<br />
| z.T., (P)<br />
| NT<br />
| R3<br />
|-<br />
| 4.3.2<br />
| Polsterseggenrasen ''Caricion firmae''<br />
| nein, P<br />
| LC<br />
| R5<br />
|-<br />
| 4.3.3<br />
| Rostseggenhalde ''Caricion ferrugineae''<br />
| ja, (P)<br />
| NT<br />
| R3<br />
|-<br />
| 4.3.4<br />
| Windkantenrasen (Nacktriedrasen) ''Elynion''<br />
| nein, P<br />
| LC<br />
| R5<br />
|-<br />
| 4.3.5<br />
| Borstgrasrasen ''Nardion''<br />
| ja, (P)<br />
| LC<br />
| R3<br />
|-<br />
| 4.3.6<br />
| Buntschwingelhalde ''Festucion variae''<br />
| ja, (P)<br />
| NT<br />
| R4<br />
|-<br />
| 4.3.7<br />
| Krummseggenrasen ''Caricion curvulae''<br />
| nein, P<br />
| LC<br />
| R5<br />
|-<br />
| 4.4<br />
| Schneetälchen<br />
| <br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.4.1<br />
| Kalkreiches Schneetälchen ''Arabidion caerulae''<br />
| nein, P<br />
| LC<br />
| R4<br />
|-<br />
| 4.4.2<br />
| Kalkarmes Schneetälchen ''Salicion herbaceae''<br />
| nein, P<br />
| LC<br />
| R4<br />
|-<br />
| 4.5*<br />
| Fettwiesen und -weiden<br />
| <br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.5.1*<br />
| Talfettwiesen (Fromentalwiese) ''Arrhenatherion''<br />
| ja<br />
| LC bis VU<br />
| R2<br />
|-<br />
| 4.5.2*<br />
| Bergfettwiese (Goldhaferwiese) ''Polygono-Trisetion''<br />
| ja<br />
| LC<br />
| R3<br />
|-<br />
| 4.5.3*<br />
| Talfettweide (Kammgrasweide) ''Cynosurion''<br />
| <br />
| LC<br />
| R2<br />
|-<br />
| 4.5.4*<br />
| Bergfettweide (Milchkrautweide) ''Poion alpinae''<br />
| <br />
| LC<br />
| R2<br />
|-<br />
| 4.6<br />
| Grasbrachen<br />
| <br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.6.1<br />
| Queckenbrache ''Convolvulo-Agropyrion''<br />
| (ja)<br />
| VU<br />
| R2<br />
|-<br />
| 4.6.2<br />
| Fiederzwenckenbrache<br />
| k.A.<br />
| k.A.<br />
| k.A.<br />
|-<br />
| 4.6.3<br />
| Fromentalbrache<br />
| k.A.<br />
| k.A.<br />
| k.A.<br />
|-<br />
| 4.6.4<br />
| Pfeifengrasbrache<br />
| k.A.<br />
| k.A.<br />
| k.A.<br />
|-<br />
| 4.6.5<br />
| Reitgrasbrache<br />
| k.A.<br />
| k.A.<br />
| k.A.<br />
|}<br />
<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = bosshard Wieslandtypen geduengt de.png<br />
| text = Einteilung des gedüngten Grünlands (Fettwiesen und -weiden). <br/> ° Zahl entspricht gleichzeitig der üblichen Anzahl Nutzungen pro Jahr (+/–1). <br/> Quelle: Bosshard, A., 2016. Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas. Mit besonderer Berücksichtigung der Fromentalwiesen und des standortgemässen Futterbaus, Bristol-Schriftenreihe Band 50. Haupt Verlag, Bern. © Andreas Bosshard<br />
}}<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
Im Buch „Lebensräume der Schweiz“ (Delarze et al. 2015) sind die Lebensraumgruppen mit Aussehen und Strukturmerkmalen, biologischen Merkmalen und ökologischen Faktoren beschrieben. Faktenblätter charakterisieren die einzelnen Lebensraumtypen hinsichtlich Aussehens und Ökologie, Beziehung zum Menschen, Ansprache und Abgrenzung, Klassifikation, Kennarten, biologische Werte, ökologische Ansprüche und Gefährdungen und Angaben zur Verbreitung.<br />
Im Buch „Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas“ (Bosshard 2016) wird in Kapitel 5 die Typologie der Wiesen hergeleitet und eine neue Gliederung für das gedüngte Wiesland vorgeschlagen und erläutert.<br />
Die Webseite zu den [https://www.infoflora.ch/de/lebensraeume/typoch/klassifikation.html Lebensräumen der Schweiz (TypoCH)] macht Angaben zu dominanten Arten, Charakterarten und weniger strikt an den Lebensraum gebundenen Arten.<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = Wiesentypen.png<br />
| text = Ausgewählte Wiesentypen (von oben links): Halbtrockenrasen, Bergfettwiese, Trockenrasen, Polsterseggenrasen.<br />
}}<br />
<br />
=Prägende Faktoren =<br />
Welche Pflanzen und Tiere in einem Lebensraum vorkommen, ist einerseits abhängig von standörtlichen Faktoren und ökologischen Wechselwirkungen, andererseits ist die Ausprägung der Lebensräume (ausser bei den Primärlebensräumen) im Grünland stark abhängig von der menschlichen Nutzung. Je nach aktueller und historischer Bewirtschaftungsform fällt sie unterschiedlich aus. Die theoretischen Grundlagen vom Zusammenhang der Standortfaktoren Boden, klimatische Bedingungen, Wasser- und Nährstoffhaushalt mit der Vegetation sind im [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Pflanzen Artikel zu den Gefässpflanzen] näher ausgeführt.<br />
Historisch betrachtet ist ein Grossteil der mitteleuropäischen Wiesen aus extensiv genutztem Weideland hervorgegangen. Auf Nicht-Ackerland wurde eine [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Kombination_von_Mahd_und_Beweidung.2C_Fr.C3.BChjahrsvorweide Frühjahrsvorweide] durchgeführt und der nachfolgende Aufwuchs entsprechend erst später im Jahr gemäht. Damit fand eine systemimmanente Aushagerung statt und über eine lange Zeitperiode hinweg war die Nährstoffsituation der die Nutzung limitierende Faktor. Im Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen#Entstehung_von_Gr.C3.BCnland "Entstehung von Grünland"] wird näher auf die historische Entwicklung eingegangen.<br />
Im Lauf der Jahrhunderte haben sich verschiedene Tierarten (wiesenbrütende Vögel, bestimmte Tagfalter) hinsichtlich ihrer Reproduktion optimal in die Bewirtschaftungssysteme der alten Dreizelgenwirtschaft eingepasst. Pflanzen entwickelten genetisch bestimmte Eigenschaften und passten sich an lokale Standort- und Nutzungsbedingungen an: es wurden sogenannte Ökotypen hinsichtlich Blühzeitpunkt, Weide- und Mahd Verträglichkeit, Trockenheitstoleranz etc. ausgebildet.<br />
<br />
Unter den die Vegetationszusammensetzung bestimmenden abiotischen Faktoren sind Bodenzusammensetzung, hydrologische und klimatische Bedingungen prägend. Witterungsextreme wie Sommerdürre, harte, schneearme Winter oder auch starke Frühjahrsfröste wirken sich ebenfalls stark aus: langanhaltende Trockenperioden können zum Absterben und damit zu einer lückigeren Vegetationsdecke mit Offenbodenstellen führen, welche die erfolgreiche Vermehrung über Samen vieler Arten fördern. Des Weiteren bestimmen auch biotische Faktoren die Vegetationszusammensetzung: viele Arten können jahrelang auf einer Fläche in der Samenbank überdauern, ohne oberirdisch in Erscheinung zu treten. Wiesenpflanzen und Habitat Spezialisten von Trockenwiesen und -weiden (TWW) haben jedoch im Vergleich zu weniger spezialisierten Arten tendenziell eher kurzlebige Samen mit einer Keimfähigkeit von 1-3 Jahren (Guntern et al. 2013).<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = bosshard einflussfaktoren de.png<br />
| text = Bosshard (2016) stellt die wesentlichen prägenden abiotischen und biotischen Einflussfaktoren sowie den Einfluss der Bewirtschaftung zur Entstehung und Entwicklung von Wiesland in einer übersichtlichen Grafik dar. <br/> Quelle: Bosshard, A., 2016. Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas. Mit besonderer Berücksichtigung der Fromentalwiesen und des standortgemässen Futterbaus, Bristol-Schriftenreihe Band 50. Haupt Verlag, Bern. © Andreas Bosshard<br />
}}<br />
<br />
=Auswirkungen der Bewirtschaftung=<br />
Art und Intensität der Bewirtschaftung beeinflussen die Artenvielfalt im Grünland stark. Je nach Nutzung und Düngung entstehen Synergien oder Zielkonflikte hinsichtlich Biodiversität: sowohl eine zu intensive als auch eine zu extensive bzw. ausbleibende Nutzung beeinträchtigen die Biodiversität. Profitieren viele Pflanzenarten von der mit der Nutzung (Schnitt, Beweidung) einhergehenden Lichtverfügbarkeit, so wirkt sich eine zunehmende Schnitthäufigkeit negativ aus, indem nur noch wenige Pflanzenarten mit einem häufigen Schnitt umgehen können. Eine hohe floristische und faunistische Vielfalt korreliert in mittleren Lagen mit der Nährstoffarmut von Grünlandlebensräumen (Roth et al. 2013, Schlup et al. 2013).<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = bosshard nutzungsintensitaet de.png<br />
| text = Bosshard (2016) veranschaulicht das Ertragspotenzial von Wiesland in Abhängigkeit von der Nutzungsintensität und der Höhenlage. Quelle: Bosshard, A., 2016. Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas. Mit besonderer Berücksichtigung der Fromentalwiesen und des standortgemässen Futterbaus, Bristol-Schriftenreihe Band 50. Haupt Verlag, Bern. © Andreas Bosshard<br />
}}<br />
<br />
<br />
Nicht nur die intensive Nutzung ist aus Biodiversitätssicht problematisch, sondern auch ein Ausbleiben der Nutzung in Grünlandlebensräumen, welche auf anthropogene Eingriffe für den Fortbestand angewiesen sind. Bleibt die Nutzung aus oder ist sie nicht adäquat, so schreitet die Sukzession mehr oder weniger rasch voran (siehe Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen#Sukzession_und_Bedeutung_des_Gr.C3.BCnlands "Sukzession und Bedeutung des Grünlands"]). Bei falscher oder zu wenig häufiger Nutzung verfilzt die Vegetationsdecke, der Bestand geht zu hoch in den Winter, wodurch weniger Licht auf den Boden gelangt und die Keimung im Frühjahr negativ beeinträchtigt wird. Entsprechend verändert sich die Vegetationszusammensetzung; lichtbedürftigere Arten nehmen ab. Bleibt die Nutzung gänzlich aus, verbuscht und verwaldet ehemals genutztes Grünland unterhalb der alpinen Stufe (ausser Primärlebensräume). Bei diesem Prozess der Verbrachung beginnen Gräser, hochwüchsige Arten und Arten mit hohem Speichervermögen oder unterirdischen Ausläufern zuzunehmen. Die Verwaldung wird bei lückenhaften Beständen, auf produktiven Standorten, beim Vorhandensein von Gehölzen in der Fläche oder angrenzend sowie bei Vorkommen von Gehölzen mit Ausläufern oder leichtfrüchtigen, lichtverträglichen Samen (Bsp. Birken, Pappeln) beschleunigt (Dipner & Volkart 2010).<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Anthyllis Bromus.png<br />
| text = Generell sind Pflanzen mit bodenblattarmen Wuchsformen wie die meisten Gräser (abgebildet ist die Aufrechte Trespe (''Bromus erectus'') häufig schnittempfindlich, wogegen Rosettenpflanzen wie der Wundklee (''Anthyllis vulneraria'') schnitttoleranter sind.<br />
}}<br />
<br />
==Auswirkungen der Mahd auf Flora und Fauna==<br />
Bei Mähwiesen beeinflussen die folgenden Bewirtschaftungsfaktoren die Artenvielfalt (in Abhängigkeit von der Pflanzengesellschaft und der Wüchsigkeit): Nutzungszeitpunkte, Nutzungshäufigkeit und v.a. für die Fauna zusätzlich relevant ist die Art der verwendeten Maschinen und Gerätschaften. Generell sind [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Pflanzen#Lebensformen Pflanzenarten mit bodenblattarmen Wuchsformen meist schnittempfindlich, wogegen Rosettenpflanzen eher profitieren]; auch kleinwüchsige und konkurrenzschwache Arten sind in nährstoffreicherem Wiesland unterhalb der Baumgrenze auf regelmässige Mahd oder Beweidung angewiesen (Dullau et al. 2012). Auf halbtrockenen bis feuchten Böden gelangt im genutzten Grünland die Wuchsform der Hemikryptophyten zur Dominanz. Werden die Bodenverhältnisse trockener, können sich in den Lücken zwischen diesen Horsten und Rosetten kleine Zwergsträucher und einjährige Frühblüher ansiedeln. Auch Zwiebel- und Knollenpflanzen gelingt es bei trockenen und mageren Verhältnissen, sich zu behaupten. Die spezielle Morphologie und Physiologie der Gräser lässt sie im mitteleuropäischen Grünland, welches durch seine regelmässige Störung (Mahd und Frass) gekennzeichnet ist, dominieren: Gräser sind ausgesprochen erneuerungsfähig und besitzen zahllose Erneuerungspunkte in Form von Schossen, Verzweigungen, Ausläufern oder Rhizomen. Ihre Samen keimen leicht und rasch und nach der Keimung gelangen die Gräser rasch wieder zur Blüte und Fruchtbildung (Eggenberg et al. 2001).<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = graeser als ideale pflanzen des gruenlandes de.png<br />
| text = Gräser als ideale Pflanzen des Grünlandes. Quelle: Eggenberg, S., Dalang, T., Dipner, M., Mayer, C., 2001: Kartierung und Bewertung der Trockenwiesen und -weiden von nationaler Bedeutung. Technischer Bericht. Schriftenreihe Umwelt Nr. 325. Hrsg.: Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL), Bern. 252 S.<br />
}}<br />
<br />
In Bezug auf die Auswirkungen der Mahd auf die Fauna wird zwischen direkten (durch den Mahd- und Ernteprozess verursachte Schädigungen der Fauna) und den indirekten (durch die Mahd verursachte Veränderungen des Lebensraumes) Wirkungen unterschieden. Durch die Mäh-, Ernte- und Aufbereitungsgeräte (Mähwerke, Futteraufbereiter, Zetter etc.) werden viele Klein- und Jungtiere bei der Bewirtschaftung verletzt oder getötet. Dieselbe Gefahr geht vom wiederkehrenden Befahren der Flächen mit den Maschinen (schwerere Geräte mit breiterer Bereifung) aus. Die direkt durch die Mahd verursachte Sterblichkeit steigt bei den einzelnen Tierarten mit der Körpergrösse und -empfindlichkeit und sinkt mit zunehmender Mobilität; des Weiteren ist das Ausmass der Verluste abhängig vom Fluchtverhalten und –vermögen, dem Aufenthaltsort zum Eingriffszeitpunkt sowie der Art und den Einstellungen des Mähwerks. Indirekt werden die Kleintiere durch Nahrungsmangel, fehlende Deckung, fehlende Nischen für Fortpflanzung oder Schlafplatz, Zerstörung von Strukturen (bspw. Spinnennetze, Ameisenhaufen) und den Verlust von Mikrohabitaten geschädigt. Jedoch weist eine gemähte Fläche für Arthropoden und gewisse Vögel günstigere thermische und physische Bedingungen (z.B. für die Eiablage und Larval Entwicklung oder einfacheren Zugang zu Futter) auf, was auf längere Sicht einen positiven Effekt auf eine Population haben kann (Braschler et al. 2009). Auch Käfer scheinen vergleichsweise robust auf Schnittregimes zu reagieren, im Gegensatz zu Wanzen, Tagfaltern und Spinnen, auf welche die Mahd einen drastischen negativen Einfluss auf Abundanz und Artenreichtum hat (Humbert 2010).<br />
Beim Abtransport des Mahdguts wird wiederum ein Teil der tierischen Biomasse mitentfernt, wobei die Silage zu deutlich höheren Vernichtungsraten führt als Heuen und Emden. <br />
Die Mahd ist ein notwendiger Eingriff zur Offenhaltung, trägt zu einer vielfältigeren Flora bei und schafft Lebensraum für eine reiche Fauna. Die obengenannten direkten und indirekten Auswirkungen stellen für viele Tierarten jedoch einen gravierenden Eingriff dar und mit zunehmender Schnittfrequenz nimmt die Artenzahl deutlich ab. Arten, welche mehr Generationen pro Jahr haben, sind gegenüber Schnitt weniger empfindlich, als solche mit nur einer Generation, da sie zwischen zwei Schnitten eher einen ganzen Entwicklungszyklus durchlaufen können (Walter et al. 2007). <br />
Wie die Mahd- und Ernteschritte biodiversitätsfreundlich ausgestaltet werden können, wird in Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimale_Mahdnutzung Erhalt und Aufwertung durch optimale Mahdnutzung] ausgeführt.<br />
<br />
==Auswirkungen des Schnittzeitpunktes auf Flora und Fauna==<br />
Der Nutzungszeitpunkt hat einen wesentlichen Einfluss auf die Menge und Qualität des Schnittgutes sowie auf die Zusammensetzung des Pflanzenbestandes. Die meisten Wiesenpflanzen sind in ihrer Phänologie sehr gut an die traditionellen Mahdtermine angepasst, tolerieren einen ersten Schnitt im Juni und kommen regelmässig zur Blüte und auch zur Fruchtreife; es sind dies Arten mit vegetativer Vermehrungsmöglichkeit oder solche, die im zweiten Aufwuchs blühen und Samen produzieren können. Die aktuell üblichen Schnitttermine in Biodiversitätsförderflächen sind der [[Media:Agridea 2023 Biodiversitaetsfoerderung Wegleitung 1200dpi.pdf|Agridea-Broschüre «Biodiversitätsförderung auf dem Landwirtschaftsbetrieb – Wegleitung» (Agridea 2023)]] zu entnehmen. Eine sehr frühzeitige Mahd oder zu häufige Nutzung kann die Regenerationsfähigkeit von Wiesenpflanzen überfordern, was sich meist erst nach einigen Jahren zeigt.<br />
Neben dem Schnittzeitpunkt beeinflusst auch das Nutzungsintervall, ob und welche Arten sich erfolgreich vermehren können: wenn nach der ersten Nutzung die zweite Nutzung frühestens sechs bis acht Wochen später erfolgt, können viele Arten einer zweischürigen Wiese noch zur Fruchtreife gelangen. Wird hingegen der Abstand zwischen den beiden Mahdterminen um zwei oder mehr Wochen verkürzt, kommen innerhalb eines Jahres nur noch ca. die Hälfte der Arten zur Fruchtreife (Poschlod 2011).<br />
Erfolgt die erste Mahd erst nach der Ausbildung reifer Früchte (Samen), gelangen die meisten Arten nicht nochmals ins Blüh- und Fruchtstadium – daher können sich spät gemähte Wiesen langfristig im Hochsommer genauso blütenarm wie Grünlandbrachen präsentieren (in Abhängigkeit von der Vegetationszusammensetzung und den Temperaturbedingungen am entsprechenden Standort). Späte Schnitttermine in nährstoffärmeren Wiesen führen häufig zur einseitigen Vergrasung mit Obergräsern und der Keimhorizont wird lichtärmer, wodurch niedrigwüchsige, konkurrenzschwache Arten verdrängt werden. Für die längerfristige Bestandesentwicklung sind die Veränderungen im ersten Aufwuchs entscheidend. Eine nährstoffreiche Wiese, welche spät, wenig oder gar nicht genutzt wird, hat die Tendenz zur Verunkrautung (Schmid et al. 2007).<br />
Auch für die Fauna entscheiden die Nutzungszeitpunkte darüber, ob die Fortpflanzungszyklen abgeschlossen werden können (Buri et al. 2013, 2014). Die Habitatansprüche und somit auch die Ansprüche an die Mahdzeitpunkte mit erfolgreicher Reproduktionsmöglichkeit sind für jede Art oder Artengruppe wie auch bei den Pflanzen unterschiedlich. So ist für viele Wiesenbrüter ein Sommerschnitt nach der Schlüpfzeit der Jungen vorteilhaft, hingegen werden Spinnen dadurch mehr dezimiert als bei einem Frühjahrs- oder Herbstschnitt. Für Tagfalter und Widderchen führt Poschlod (2011) Ergebnisse aus verschiedenen Studien bezüglich der optimalen Schnittzeitpunkte zusammen. Zwischen zwei Nutzungszeitpunkten sollten aus faunistischer Sicht zehn Wochen Abstand liegen (Walter et al. 2007). Das Vorkommen möglichst verschiedener Nutzungen und Nutzungstermine in einem Gebiet wirkt sich positiv auf die Fortpflanzung vieler Arten und damit die Biodiversität aus.<br />
<br />
<br/><br />
<table border="0", style="font-size:108%"> <br />
<tr> <br />
<td> '''Praxisbeispiel: Auswirkungen verschiedener Schnittverfahren auf die Vegetation von ungedüngten Fromental- und Magerwiesen''' <br /> Agrofutura hat in einem mehrjährigen Versuch verschiedene Schnittregimes auf einer Fromentalwiese und auf einer zweischürigen Magerwiese angewandt. Dabei wurden die Heuschnittzeitpunkte (25.5. / 15.6. / 15.7.) und auf der Magerwiese der Emdschnittzeitpunkt variiert (kein Emdschnitt, frühes Emd Mitte August, spätes Emd Mitte September). Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass beide Wiesentypen gegenüber den Veränderungen des Schnittzeitpunktes sehr resilient sind und auf Vegetationsniveau bisher kaum Veränderungen festgestellt wurden. Allerdings profitierten tendenziell einige spätblühende, grosse Kräuter sowie hochwachsende Gräser von einem späten Schnitt Mitte Juli. Die Emdschnittverfahren führten dagegen im Unterschied zu den Heuschnittverfahren zu klaren Änderungen in der Vegetation: von einem Auslassen des Emdschnitts profitierten v.a. die grosswüchsigen Gräser (''Bromus erectus'', ''Arrhenatherum elatius'') auf Kosten der kleinen Kräuter und der Leguminosen. Das Auslassen des zweiten Schnitts führte also zu einer Vergrasung der Wiese. Ein später Emdschnitt Mitte September führte zur gegenteiligen Entwicklung; eine Vergrasung des Bestandes und die Abnahme der Kräuter wird damit verhindert, kleine Gräser und Seggen sowie Leguminosen nahmen zu. Deutlich war auch der Unterschied zwischen Emdschnittzeitpunkt Mitte August oder Mitte September: je höher die Vegetation im Herbst (also je früher der Emdschnittzeitpunkt liegt), desto weniger Licht erreicht im Frühling den Boden. Geht ein Bestand zu hoch in den Winter, bildet sich ein Grasfilz, der im Frühjahr sehr wenig Licht auf den Boden lässt und die Kräuter am Keimen und Wachsen hindert. Zweischürige Magerwiesen könnten demnach mit einem späten Emdschnitt aufgewertet und das Blütenangebot deutlich erhöht werden – zurzeit ist noch unklar, ob sich die Erkenntnisse auch auf nährstoffreichere Wiesen übertragen lassen. Ein später Emdschnitt scheint für Kräuter klar vorteilhaft zu sein, was insbesondere durch die klimatisch bedingte, immer länger werdende Vegetationsperiode von Bedeutung sein kann (Landolt & Lüthy 2018).</td> <br />
</tr> <br />
</table><br />
<br /><br />
<br />
'''Weitere Informationen''' <br /><br />
* Auswirkungen der Mahd auf die Flora sind im [http://gruenlandleitfaden.offenlandinfo.de/management/massnahmen-und-wirkung/mahd/ Grünlandleitfaden] beschrieben. <br />
* Auswirkungen der Mahd auf die Fauna: Van de Poel & Zehm (2014) haben zur Wirkung der Mahd auf die Wiesenfauna eine Literaturauswertung für den Naturschutz vorgenommen. <br />
* Ergebnisse aus verschiedenen Untersuchungen liefern Walter et al. 2007, Humbert et al. 2009, Humbert et al. 2010, Humbert 2010. <br />
* Im Agridea-Merkblatt von Schiess-Bühler et al. (2011) sind die Auswirkungen der Erntetechniken auf die Artenvielfalt in Wiesen zusammengefasst und Empfehlungen aufgeführt.<br />
<br />
==Auswirkungen der Beweidung==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Beweidung mit Ziegen as 96 dpi.jpg<br />
| text = Mit der "richtigen" Beweidung können Lebensräume und Arten aufgewertet und gefördert werden.<br />
}}<br />
<br />
Einen informativen Überblick zu den Auswirkungen einer durch Beweidung auf Boden, Flora und Fauna gibt der [http://gruenlandleitfaden.offenlandinfo.de/management/massnahmen-und-wirkung/beweidung/ Grünlandleitfaden]. <br /><br />
Wie eine Mahd, wirkt auch eine Beweidung selektiv auf ihre jeweilige Artengemeinschaften. Bei einer höheren Nutzungsfrequenz (mittelintensive Weide) wird die Vegetation durch die Beweidung niedriger gehalten und es gelangt mehr Licht in tiefere Vegetationsschichten. In dieselbe Richtung wirkt der Tritt der Herbivoren und ihr selektiver Frass: lokal werden unterschiedliche Nischen und Keimstellen für Pflanzen geschaffen, die offenen Bodenstellen sind für Arthropoden attraktiv und die dauernd stehende Vegetation bietet ihnen Lebensraum und Winterquartiere. Bosshard (2016) führt in Kapitel 2.4.3 die für die Artenvielfalt besonders relevanten Auswirkungen von Mahd im Vergleich zur Beweidung näher aus. Bis zu einem gewissen minimalen Beweidungsdruck gilt, dass die faunistische Artenvielfalt umso höher ist, je geringer die Beweidungsintensität ist. Strukturen wie Gehölze, Steinhaufen, offene Bodenstellen, Wasserlachen, Quellen, Abbruchkanten sind für die Fauna sehr wichtig (Martin et al. 2018). <br /><br />
Eine [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Erhalt_und_Aufwertung_durch_Beweidung extensive Beweidung] fördert die lokale Heterogenität und die aktive Verbreitung von Pflanzen durch die Weidetiere. Für die Flora sind Art und Intensität einer Beweidung nebst den standörtlichen Gegebenheiten entscheidend: auf einer extensiv beweideten Fläche können sich beweidungsresistente Pflanzenarten wie beispielsweise verholzende, intensiv riechende, giftige, behaarte oder dornige Pflanzen gut halten oder werden sogar gefördert. Auf artenreichen, nährstoffarmen Magerwiesen muss jedoch von einer Beweidung abgeraten werden, da tritt- und frassempfindliche, vor allem ein- bis zweijährige Pflanzenarten zu sehr darunter leiden. Alternativ können Teilflächen mit Vorkommen solcher Arten auch ausgezäunt und besonders gepflegt werden. Generell sollten bisher wertvolle Schnittwiesen keinesfalls beweidet werden. Ausschlaggebend für die Biodiversitätsförderung ist eine dem Standort angepasste Weideführung und -pflege. <br /><br />
Auf Mähwiesen ist wichtig, dass der Bestand nicht zu hoch in den Winter geht: dadurch werden Nährstoffe akkumuliert und der sich bildende Grasfilz beeinflusst die Artenvielfalt negativ. Dem kann mit einer Herbstweide entgegengewirkt werden. Die ökologischen Auswirkungen und die Anwendung einer Frühjahrsvorweide (Etzen) werden im Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen#Entstehung_von_Gr.C3.BCnland Entstehung von Grünland] näher beschrieben. <br /><br />
<br />
Die nachfolgende Abbildung gibt eine schematische Übersicht der verschiedenen Lebensraumqualitäten bei Mahd respektive bei Beweidung (Briemle et al. 2014). Hierbei ist zu beachten, dass auch eine sehr kleinteilige Mahd die entsprechenden Merkmale der Weide annähern kann und auch in Mähwiesen Strukturvielfalt hergestellt werden kann.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = konold briemle de.png<br />
| text = Teilaspekte der Lebensraumqualität unter Mahd und extensiver Beweidung. Quelle: Briemle et al., 2014: Wiesen und Weiden. Kapitel XI-2.8 in Konold, 1999. Handbuch Naturschutz und Landschaftspflege: Kompendium zu Schutz und Entwicklung von Lebensräumen und Landschaften. Wiley-VCH, Weinheim.<br />
}}<br />
<br />
'''Weitere Informationen'''<br />
* Im Bericht „Empfehlungen NHG-Weideverträge" (Martin et al. 2018) werden die wichtigsten Empfehlungen zur Beweidung sowie Beweidungsoptimierung beschrieben, des Weiteren sind die Vorgaben für [https://infohabitat.ch/wp-content/uploads/2019/01/Empfehlungen-NHG-Weidevertrage_180731.pdf BFF-Weiden und die DZV-Vorgaben für Sömmerungsweiden allgemein zusammengefasst].<br />
* Der [https://docplayer.org/24956821-Themenbericht-extensive-weiden.html Themenbericht „Extensive Weiden“ (Schmid 2003)] erläutert praxisnah die ökologische Wirkung der Beweidung, charakterisiert verschiedene Weide-Tierarten (Rindvieh, Pferde, Schafe, Ziegen, Weitere), gibt Auskunft zur Eignung verschiedener Bewirtschaftungsformen und Weidesysteme, zur Eignung und zum Management einer Beweidung in verschiedenen Lebensräumen.<br />
<br />
=Pflanzen und Tiere des Grünlands=<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = Magerwiese Fettwiese.png<br />
| text = "Top und Flop" der Biodiversität: Artenreiche und farbenfrohe Magerwiese und monotone Fettwiese.<br />
}}<br />
<br />
Die Bandbreite zwischen artenreichem und artenarmem Grünland ist riesig. Generell gehört das Grünland mit bis zu 80 Pflanzenarten pro Quadratmeter potenziell zu den artenreichsten Lebensräumen Europas und bildet für viele Pflanzen- und Tierarten das Haupthabitat. Artenreich sind die extensiv genutzten Grünlandlebensräume: mehr als 900 Tier- und Pflanzenarten der Schweiz sind beispielsweise auf die Trockenwiesen und -weiden (TWW) angewiesen und fast die Hälfte dieser Arten ist gefährdet. Am anderen Ende des Spektrums bietet das Intensivgrünland hingegen für die meisten Tier- und Pflanzengruppen keinerlei Lebensraum mehr. Auf landschaftlicher Ebene betrachtet, spielt das Vorhandensein und die Verteilung verschieden genutzter Grünlandlebensräume eine Rolle, ob das Grünland einer Region insgesamt eine hohe Artenvielfalt aufweist oder nicht.<br />
Viele Tierarten und -gruppen sind nicht an bestimmte Vegetationstypen gebunden, sondern benötigen i.d.R. ein Nebeneinander verschiedener Habitatstrukturen (Schmidt 2007). Merkmale für die Habitatbindung können die Strukturierung, die Vernetzung, die Flächengrösse oder die räumliche und zeitliche Dynamik eines Lebensraumes sein. Die ökologischen Grundlagen sind in den Artikeln zu den jeweiligen Artengruppen ausgeführt ([https://www.biodivers.ch/de/index.php/Tagfalter Tagfalter], [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Wildbienen Wildbienen], [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Heuschrecken Heuschrecken]). Tagfalter und Heuschrecken sind Artengruppen mit einem hohen Verbreitungsschwerpunkt in Wiesen und Weiden: unter den Tagfaltern können sich 85%, unter den Heuschrecken 80% der in der Schweiz vorkommenden Arten im Grasland entwickeln. Für beide Artengruppen ist von Bedeutung, dass die extensiven Graslandflächen möglichst gross und miteinander vernetzt sind. Zu kleine Habitatflächen sowie die zunehmende Isolation durch grössere Distanzen zwischen den Flächen wirken sich nachteilig auf die Populationsgrössen von Arten und ihre Überlebensfähigkeit aus. Artenreiches Grünland bietet ausserdem für wiesenbrütende Vogelarten einen Brut- und/oder Nahrungslebensraum.<br />
<br />
In verschiedenen Datenbanken lassen sich die Artvorkommen nach Lebensräumen abfragen:<br />
* Die [https://www.agroscope.admin.ch/agroscope/de/home/themen/umwelt-ressourcen/biodiversitaet-landschaft/biodiversitaetsindikatoren/oeko-fauna-datenbank-auen.html Öko-Fauna-Datenbank] enthält ökologische Informationen zu Arten aus elf verschiedenen Tiergruppen und Angaben zum Trockenwiesen-Kennarten-Status.<br />
* Umweltziele Landwirtschaft (UZL): In der Liste der [https://www.agroscope.admin.ch/agroscope/de/home/themen/umwelt-ressourcen/biodiversitaet-landschaft/oekologischer-ausgleich/umweltziele-landwirtschaft.html UZL-Arten] ist ebenfalls das Vorkommen in Lebensraumtypen (Extensivwiese, Extensivweide) erfasst. <br />
* Die [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Allgemeine_Informationen#Arten Flora indicativa] umfasst ökologische und biologische Eigenschaften von rund 5500 Gefässpflanzen-, 600 Moos- und 200 Flechtenarten der Flora der Schweiz und der Alpen. Die zugehörige [https://www.wsl.ch/de/metanavigation/services-und-produkte/software-websites-und-apps/flora-indicativa.html Datenbank] ermöglicht ebenfalls Abfragen zu den Lebensräumen.<br />
* Die [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Allgemeine_Informationen#Arten Fauna indicativa] erfasst ökologische Präferenzen und biologische Eigenschaften aller in der Schweiz einheimischer Libellen-, Heuschrecken-, Laufkäfer- und Tagfalterarten.<br />
* [https://www.infoflora.ch/de/lebensraeume/phytosuisse.html Klassifikation Phytosuisse]: das Nachschlagewerk mit Kurzbeschrieb zu jeder Pflanzengesellschaft (und Klassifikation nach Delarze et al.) befindet sich noch im Aufbau. Unter den Grünlandlebensraumtypen sind erst Angaben zur Gesellschaft «IV – Gebirgsrasen und Schneetälchen» aufgeschaltet.<br />
* Für die Mähwiesen im Kt. Luzern geben Schmid et al. (2007) Kenn- und Leitarten der Flora und Fauna für verschiedene Wiesentypen an. Für die Lebensräume des Kantons Luzern wurden [https://lawa.lu.ch/Natur/arten/grundlagen/leitarten Leitarten] bezeichnet. <br />
* Im Schlussbericht zum Nationalen ökologischen Netzwerk REN wurden Zeigerarten-Gilden für verschiedene Lebensraumgruppierungen definiert (Berthoud et al. 2004).<br />
* Für das gedüngte Grünland weist der [http://www.agraroekologie.ch/SchluesselGeduengteNaturwiesen.xls Vegetationsschlüssel] Leit- und Charakterarten auf (Bosshard 2016).<br />
* Zahlreiche nützliche Angaben zu Artvorkommen und Negativarten bieten der Kartierbericht sowie die Vollzugshilfe TWW sowie weitere Grundlagen TWW von [https://infohabitat.ch/trockenwiesen-und-weiden/ infohabitat].<br />
<br />
= Weitere Kapitel zum Grünland=<br />
* [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland Einleitung und Zusammenfassung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung Erhalt und Aufwertung durch optimierte Bewirtschaftung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat Aufwertung und Neuschaffung durch Direktbegrünung und Ansaat]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen Grundlagen]<br />
<!--* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisbeispiele Praxisbeispiele]--><br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || [https://www.faunatur.ch/portr%C3%A4t/ Karin Loeffel]|| [https://www.faunatur.ch/ faunatur]<br />
|-<br />
| Review|| Andreas Bosshard || [http://www.agraroekologie.ch/ueber-uns/team/ Ö+L GmbH] <br />
|-<br />
| || Jean-Yves Humbert || [https://www.cb.iee.unibe.ch/about_us/pd_dr_humbert_jean_yves/index_eng.html Universität Bern, Conservation Biology]<br />
|-<br />
| || Heiri Schiess || <br />
|-<br />
| || André Stapfer || <br />
|-<br />
| || Markus Staub || [https://www.poel.ch/ Projekte Ökologie Landwirtschaft] <br />
|-<br />
| || Gaby Volkart || [https://www.ateliernature.ch/de/portrait-deutsch/ atena]<br />
|-<br />
|}<br />
<br /></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie&diff=4709
Grünland/Praxisrelevante Ökologie
2023-03-05T09:42:29Z
<p>VB2: /* Pflanzen und Tiere des Grünlands */</p>
<hr />
<div>[[fr:Milieux prairiaux/Ecologie utile pour la pratique]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Halbtrockenrasen as 96 dpi.jpg<br />
| text = Die blüten- und blumenreichen Halbtrockenrasen sind stark zurückgegangen und sollen deshalb, wie viele weitere Grünland Lebensräume, gefördert werden.<br />
}}<br />
<br />
=Lebensräume des Grünlands=<br />
Auf die Entstehungsgeschichte und die Entwicklungen des Grünlandes wird im [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen#Entstehung_von_Gr.C3.BCnland "Entstehung von Grünland"] näher eingegangen. Im vorliegenden Artikel wird für die ungedüngten sowie die nicht-anthropogenen Lebensraumtypen des Grünlands die Klassifikation von Delarze et al. (2015) <ref>Delarze, Raymond; Gonseth, Yves; Eggenberg, Stefan; Vust, Mathias (2015): Lebensräume der Schweiz. Ökologie - Gefährdung - Kennarten. 3., vollst. überarb. Aufl. Bern: Ott.</ref> übernommen. Das gedüngte Grünland (Fettwiesen und -weiden) wird gemäss Bosshard (2016) <ref>Bosshard, Andreas (2016): Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas. Mit besonderer Berücksichtigung der Fromentalwiesen und des standortgemässen Futterbaus. Bern: Haupt Verlag (Bristol-Schriftenreihe, Band 50)</ref> eingeteilt. Feuchtgebiete, Moore, Waldlichtungen, Ruderalflächen und Pionierfluren werden in separaten Artikeln auf dieser Webseite abgedeckt. Nicht behandelt werden die Grasbrachen. Da es sich oft um Ruderalgesellschaften handelt, werden sie allenfalls zu einem späteren Zeitpunkt in einem entsprechenden Artikel aufgenommen.<br />
<br />
Untenstehende Tabelle (nach Delarze et al. 2015) zeigt, welche Lebensräume des Bereichs „Grünland“ nach unserer Einschätzung einen Förderbedarf (siehe Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung "Erhalt und Aufwertung durch optimierte Bewirtschaftung"]) (ja/nein) aufweisen. Hergeleitet wurde diese Einschätzung aus den Angaben zum „Zustand in der Schweiz“ und der Förderbarkeit (anthropogene Schaffung möglich). Mit P = Primärlebensraum sind Lebensraumtypen gekennzeichnet, welche nicht auf einen anthropogenen Einfluss angewiesen sind bzw. mit (P), wenn oberhalb der Waldgrenze i.d.R. keine menschliche Nutzung für das Vorkommen der Lebensraumtypen notwendig ist (Quelle: Delarze et al. 2015). Gefährdungsgrad (G): LC = nicht gefährdet, NT = potenziell gefährdet, VU = verletzlich, EN = stark gefährdet. Regenerationsdauer (R): R2 = 5-10 Jahre, R3 = 10-25 Jahre, R4 = 25-50 Jahre, R5 = 50-200 Jahre (Quelle: Delarze et al. 2015). Für Fettwiesen und -weiden (Nr. 4.5, gekennzeichnet mit *) wird im Artikel die Einteilung nach Bosshard (2016) übernommen. k.A. = keine Angaben.<br />
<br />
{| class="wikitable"<br />
! Nr.<br />
! Bezeichnung<br />
! Förderbedarf<br />
! Gefährdung<br />
! Regenerationsdauer<br />
|-<br />
| 4<br />
| Grünland (Naturrasen, Wiesen und Weiden)<br />
| <br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.0<br />
| Kunstrasen<br />
| <br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.0.1<br />
| Kunstwiese auf Fruchtfolgeflächen<br />
| nein<br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.0.2<br />
| Kunstrasen auf Sportplätzen, im Siedlungsraum etc.<br />
| nein<br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.0.3<br />
| Begrünung in Tieflagen (Strassenböschungen etc.)<br />
| nein<br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.0.4<br />
| Begrünung in Hochlagen (Skipisten etc.)<br />
| nein<br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.1<br />
| Pionierfluren auf Felsböden (Felsgrusfluren)<br />
| <br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.1.1<br />
| Wärmeliebende Kalkfels-Pionierflur ''Alysso-Sedion''<br />
| ja, P<br />
| NT<br />
| R4<br />
|-<br />
| 4.1.2<br />
| Kalkfels-Pionierflur des Gebirges (Karstfluren) ''Drabo-Seslerion''<br />
| nein, P<br />
| LC<br />
| R4<br />
|-<br />
| 4.1.3<br />
| Wärmeliebende Silikatfels-Pionierflur ''Sedo-Veronicion''<br />
| ja, P<br />
| VU<br />
| R4<br />
|-<br />
| 4.1.4<br />
| Silikatfelsgrusflur des Gebirges ''Sedo-Scleranthion''<br />
| nein, P<br />
| NT<br />
| R4<br />
|-<br />
| 4.2<br />
| Wärmeliebende Trockenrasen<br />
| <br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.2.1<br />
| Wärmeliebende Trockenrasen (Kontinentaler Trockenrasen, Innerwallis, Graubünden). ''Stipo-Poion'' und ''Cirsio-Brachypodion''<br />
| ja<br />
| VU<br />
| R4<br />
|-<br />
| 4.2.2<br />
| Mitteleuropäische Trockenrasen ''Xerobromion''<br />
| ja<br />
| VU<br />
| R4<br />
|-<br />
| 4.2.3<br />
| Insubrischer Trockenrasen ''Diplachnion''<br />
| (ja)<br />
| EN<br />
| R4<br />
|-<br />
| 4.2.4<br />
| Mitteleuropäischer Halbtrockenrasen ''Mesobromion''<br />
| ja<br />
| VU<br />
| R3<br />
|-<br />
| 4.3<br />
| Gebirgs-Magerrasen<br />
| <br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.3.1<br />
| Blaugrashalde ''Seslerion''<br />
| z.T., (P)<br />
| NT<br />
| R3<br />
|-<br />
| 4.3.2<br />
| Polsterseggenrasen ''Caricion firmae''<br />
| nein, P<br />
| LC<br />
| R5<br />
|-<br />
| 4.3.3<br />
| Rostseggenhalde ''Caricion ferrugineae''<br />
| ja, (P)<br />
| NT<br />
| R3<br />
|-<br />
| 4.3.4<br />
| Windkantenrasen (Nacktriedrasen) ''Elynion''<br />
| nein, P<br />
| LC<br />
| R5<br />
|-<br />
| 4.3.5<br />
| Borstgrasrasen ''Nardion''<br />
| ja, (P)<br />
| LC<br />
| R3<br />
|-<br />
| 4.3.6<br />
| Buntschwingelhalde ''Festucion variae''<br />
| ja, (P)<br />
| NT<br />
| R4<br />
|-<br />
| 4.3.7<br />
| Krummseggenrasen ''Caricion curvulae''<br />
| nein, P<br />
| LC<br />
| R5<br />
|-<br />
| 4.4<br />
| Schneetälchen<br />
| <br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.4.1<br />
| Kalkreiches Schneetälchen ''Arabidion caerulae''<br />
| nein, P<br />
| LC<br />
| R4<br />
|-<br />
| 4.4.2<br />
| Kalkarmes Schneetälchen ''Salicion herbaceae''<br />
| nein, P<br />
| LC<br />
| R4<br />
|-<br />
| 4.5*<br />
| Fettwiesen und -weiden<br />
| <br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.5.1*<br />
| Talfettwiesen (Fromentalwiese) ''Arrhenatherion''<br />
| ja<br />
| LC bis VU<br />
| R2<br />
|-<br />
| 4.5.2*<br />
| Bergfettwiese (Goldhaferwiese) ''Polygono-Trisetion''<br />
| ja<br />
| LC<br />
| R3<br />
|-<br />
| 4.5.3*<br />
| Talfettweide (Kammgrasweide) ''Cynosurion''<br />
| <br />
| LC<br />
| R2<br />
|-<br />
| 4.5.4*<br />
| Bergfettweide (Milchkrautweide) ''Poion alpinae''<br />
| <br />
| LC<br />
| R2<br />
|-<br />
| 4.6<br />
| Grasbrachen<br />
| <br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.6.1<br />
| Queckenbrache ''Convolvulo-Agropyrion''<br />
| (ja)<br />
| VU<br />
| R2<br />
|-<br />
| 4.6.2<br />
| Fiederzwenckenbrache<br />
| k.A.<br />
| k.A.<br />
| k.A.<br />
|-<br />
| 4.6.3<br />
| Fromentalbrache<br />
| k.A.<br />
| k.A.<br />
| k.A.<br />
|-<br />
| 4.6.4<br />
| Pfeifengrasbrache<br />
| k.A.<br />
| k.A.<br />
| k.A.<br />
|-<br />
| 4.6.5<br />
| Reitgrasbrache<br />
| k.A.<br />
| k.A.<br />
| k.A.<br />
|}<br />
<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = bosshard Wieslandtypen geduengt de.png<br />
| text = Einteilung des gedüngten Grünlands (Fettwiesen und -weiden). <br/> ° Zahl entspricht gleichzeitig der üblichen Anzahl Nutzungen pro Jahr (+/–1). <br/> Quelle: Bosshard, A., 2016. Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas. Mit besonderer Berücksichtigung der Fromentalwiesen und des standortgemässen Futterbaus, Bristol-Schriftenreihe Band 50. Haupt Verlag, Bern. © Andreas Bosshard<br />
}}<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
Im Buch „Lebensräume der Schweiz“ (Delarze et al. 2015) sind die Lebensraumgruppen mit Aussehen und Strukturmerkmalen, biologischen Merkmalen und ökologischen Faktoren beschrieben. Faktenblätter charakterisieren die einzelnen Lebensraumtypen hinsichtlich Aussehens und Ökologie, Beziehung zum Menschen, Ansprache und Abgrenzung, Klassifikation, Kennarten, biologische Werte, ökologische Ansprüche und Gefährdungen und Angaben zur Verbreitung.<br />
Im Buch „Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas“ (Bosshard 2016) wird in Kapitel 5 die Typologie der Wiesen hergeleitet und eine neue Gliederung für das gedüngte Wiesland vorgeschlagen und erläutert.<br />
Die Webseite zu den [https://www.infoflora.ch/de/lebensraeume/typoch/klassifikation.html Lebensräumen der Schweiz (TypoCH)] macht Angaben zu dominanten Arten, Charakterarten und weniger strikt an den Lebensraum gebundenen Arten.<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = Wiesentypen.png<br />
| text = Ausgewählte Wiesentypen (von oben links): Halbtrockenrasen, Bergfettwiese, Trockenrasen, Polsterseggenrasen.<br />
}}<br />
<br />
=Prägende Faktoren =<br />
Welche Pflanzen und Tiere in einem Lebensraum vorkommen, ist einerseits abhängig von standörtlichen Faktoren und ökologischen Wechselwirkungen, andererseits ist die Ausprägung der Lebensräume (ausser bei den Primärlebensräumen) im Grünland stark abhängig von der menschlichen Nutzung. Je nach aktueller und historischer Bewirtschaftungsform fällt sie unterschiedlich aus. Die theoretischen Grundlagen vom Zusammenhang der Standortfaktoren Boden, klimatische Bedingungen, Wasser- und Nährstoffhaushalt mit der Vegetation sind im [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Pflanzen Artikel zu den Gefässpflanzen] näher ausgeführt.<br />
Historisch betrachtet ist ein Grossteil der mitteleuropäischen Wiesen aus extensiv genutztem Weideland hervorgegangen. Auf Nicht-Ackerland wurde eine [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Kombination_von_Mahd_und_Beweidung.2C_Fr.C3.BChjahrsvorweide Frühjahrsvorweide] durchgeführt und der nachfolgende Aufwuchs entsprechend erst später im Jahr gemäht. Damit fand eine systemimmanente Aushagerung statt und über eine lange Zeitperiode hinweg war die Nährstoffsituation der die Nutzung limitierende Faktor. Im Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen#Entstehung_von_Gr.C3.BCnland "Entstehung von Grünland"] wird näher auf die historische Entwicklung eingegangen.<br />
Im Lauf der Jahrhunderte haben sich verschiedene Tierarten (wiesenbrütende Vögel, bestimmte Tagfalter) hinsichtlich ihrer Reproduktion optimal in die Bewirtschaftungssysteme der alten Dreizelgenwirtschaft eingepasst. Pflanzen entwickelten genetisch bestimmte Eigenschaften und passten sich an lokale Standort- und Nutzungsbedingungen an: es wurden sogenannte Ökotypen hinsichtlich Blühzeitpunkt, Weide- und Mahd Verträglichkeit, Trockenheitstoleranz etc. ausgebildet.<br />
<br />
Unter den die Vegetationszusammensetzung bestimmenden abiotischen Faktoren sind Bodenzusammensetzung, hydrologische und klimatische Bedingungen prägend. Witterungsextreme wie Sommerdürre, harte, schneearme Winter oder auch starke Frühjahrsfröste wirken sich ebenfalls stark aus: langanhaltende Trockenperioden können zum Absterben und damit zu einer lückigeren Vegetationsdecke mit Offenbodenstellen führen, welche die erfolgreiche Vermehrung über Samen vieler Arten fördern. Des Weiteren bestimmen auch biotische Faktoren die Vegetationszusammensetzung: viele Arten können jahrelang auf einer Fläche in der Samenbank überdauern, ohne oberirdisch in Erscheinung zu treten. Wiesenpflanzen und Habitat Spezialisten von Trockenwiesen und -weiden (TWW) haben jedoch im Vergleich zu weniger spezialisierten Arten tendenziell eher kurzlebige Samen mit einer Keimfähigkeit von 1-3 Jahren (Guntern et al. 2013).<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = bosshard einflussfaktoren de.png<br />
| text = Bosshard (2016) stellt die wesentlichen prägenden abiotischen und biotischen Einflussfaktoren sowie den Einfluss der Bewirtschaftung zur Entstehung und Entwicklung von Wiesland in einer übersichtlichen Grafik dar. <br/> Quelle: Bosshard, A., 2016. Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas. Mit besonderer Berücksichtigung der Fromentalwiesen und des standortgemässen Futterbaus, Bristol-Schriftenreihe Band 50. Haupt Verlag, Bern. © Andreas Bosshard<br />
}}<br />
<br />
=Auswirkungen der Bewirtschaftung=<br />
Art und Intensität der Bewirtschaftung beeinflussen die Artenvielfalt im Grünland stark. Je nach Nutzung und Düngung entstehen Synergien oder Zielkonflikte hinsichtlich Biodiversität: sowohl eine zu intensive als auch eine zu extensive bzw. ausbleibende Nutzung beeinträchtigen die Biodiversität. Profitieren viele Pflanzenarten von der mit der Nutzung (Schnitt, Beweidung) einhergehenden Lichtverfügbarkeit, so wirkt sich eine zunehmende Schnitthäufigkeit negativ aus, indem nur noch wenige Pflanzenarten mit einem häufigen Schnitt umgehen können. Eine hohe floristische und faunistische Vielfalt korreliert in mittleren Lagen mit der Nährstoffarmut von Grünlandlebensräumen (Roth et al. 2013, Schlup et al. 2013).<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = bosshard nutzungsintensitaet de.png<br />
| text = Bosshard (2016) veranschaulicht das Ertragspotenzial von Wiesland in Abhängigkeit von der Nutzungsintensität und der Höhenlage. Quelle: Bosshard, A., 2016. Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas. Mit besonderer Berücksichtigung der Fromentalwiesen und des standortgemässen Futterbaus, Bristol-Schriftenreihe Band 50. Haupt Verlag, Bern. © Andreas Bosshard<br />
}}<br />
<br />
<br />
Nicht nur die intensive Nutzung ist aus Biodiversitätssicht problematisch, sondern auch ein Ausbleiben der Nutzung in Grünlandlebensräumen, welche auf anthropogene Eingriffe für den Fortbestand angewiesen sind. Bleibt die Nutzung aus oder ist sie nicht adäquat, so schreitet die Sukzession mehr oder weniger rasch voran (siehe Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen#Sukzession_und_Bedeutung_des_Gr.C3.BCnlands "Sukzession und Bedeutung des Grünlands"]). Bei falscher oder zu wenig häufiger Nutzung verfilzt die Vegetationsdecke, der Bestand geht zu hoch in den Winter, wodurch weniger Licht auf den Boden gelangt und die Keimung im Frühjahr negativ beeinträchtigt wird. Entsprechend verändert sich die Vegetationszusammensetzung; lichtbedürftigere Arten nehmen ab. Bleibt die Nutzung gänzlich aus, verbuscht und verwaldet ehemals genutztes Grünland unterhalb der alpinen Stufe (ausser Primärlebensräume). Bei diesem Prozess der Verbrachung beginnen Gräser, hochwüchsige Arten und Arten mit hohem Speichervermögen oder unterirdischen Ausläufern zuzunehmen. Die Verwaldung wird bei lückenhaften Beständen, auf produktiven Standorten, beim Vorhandensein von Gehölzen in der Fläche oder angrenzend sowie bei Vorkommen von Gehölzen mit Ausläufern oder leichtfrüchtigen, lichtverträglichen Samen (Bsp. Birken, Pappeln) beschleunigt (Dipner & Volkart 2010).<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Anthyllis Bromus.png<br />
| text = Generell sind Pflanzen mit bodenblattarmen Wuchsformen wie die meisten Gräser (abgebildet ist die Aufrechte Trespe (''Bromus erectus'') häufig schnittempfindlich, wogegen Rosettenpflanzen wie der Wundklee (''Anthyllis vulneraria'') schnitttoleranter sind.<br />
}}<br />
<br />
==Auswirkungen der Mahd auf Flora und Fauna==<br />
Bei Mähwiesen beeinflussen die folgenden Bewirtschaftungsfaktoren die Artenvielfalt (in Abhängigkeit von der Pflanzengesellschaft und der Wüchsigkeit): Nutzungszeitpunkte, Nutzungshäufigkeit und v.a. für die Fauna zusätzlich relevant ist die Art der verwendeten Maschinen und Gerätschaften. Generell sind [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Pflanzen#Lebensformen Pflanzenarten mit bodenblattarmen Wuchsformen meist schnittempfindlich, wogegen Rosettenpflanzen eher profitieren]; auch kleinwüchsige und konkurrenzschwache Arten sind in nährstoffreicherem Wiesland unterhalb der Baumgrenze auf regelmässige Mahd oder Beweidung angewiesen (Dullau et al. 2012). Auf halbtrockenen bis feuchten Böden gelangt im genutzten Grünland die Wuchsform der Hemikryptophyten zur Dominanz. Werden die Bodenverhältnisse trockener, können sich in den Lücken zwischen diesen Horsten und Rosetten kleine Zwergsträucher und einjährige Frühblüher ansiedeln. Auch Zwiebel- und Knollenpflanzen gelingt es bei trockenen und mageren Verhältnissen, sich zu behaupten. Die spezielle Morphologie und Physiologie der Gräser lässt sie im mitteleuropäischen Grünland, welches durch seine regelmässige Störung (Mahd und Frass) gekennzeichnet ist, dominieren: Gräser sind ausgesprochen erneuerungsfähig und besitzen zahllose Erneuerungspunkte in Form von Schossen, Verzweigungen, Ausläufern oder Rhizomen. Ihre Samen keimen leicht und rasch und nach der Keimung gelangen die Gräser rasch wieder zur Blüte und Fruchtbildung (Eggenberg et al. 2001).<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = graeser als ideale pflanzen des gruenlandes de.png<br />
| text = Gräser als ideale Pflanzen des Grünlandes. Quelle: Eggenberg, S., Dalang, T., Dipner, M., Mayer, C., 2001: Kartierung und Bewertung der Trockenwiesen und -weiden von nationaler Bedeutung. Technischer Bericht. Schriftenreihe Umwelt Nr. 325. Hrsg.: Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL), Bern. 252 S.<br />
}}<br />
<br />
In Bezug auf die Auswirkungen der Mahd auf die Fauna wird zwischen direkten (durch den Mahd- und Ernteprozess verursachte Schädigungen der Fauna) und den indirekten (durch die Mahd verursachte Veränderungen des Lebensraumes) Wirkungen unterschieden. Durch die Mäh-, Ernte- und Aufbereitungsgeräte (Mähwerke, Futteraufbereiter, Zetter etc.) werden viele Klein- und Jungtiere bei der Bewirtschaftung verletzt oder getötet. Dieselbe Gefahr geht vom wiederkehrenden Befahren der Flächen mit den Maschinen (schwerere Geräte mit breiterer Bereifung) aus. Die direkt durch die Mahd verursachte Sterblichkeit steigt bei den einzelnen Tierarten mit der Körpergrösse und -empfindlichkeit und sinkt mit zunehmender Mobilität; des Weiteren ist das Ausmass der Verluste abhängig vom Fluchtverhalten und –vermögen, dem Aufenthaltsort zum Eingriffszeitpunkt sowie der Art und den Einstellungen des Mähwerks. Indirekt werden die Kleintiere durch Nahrungsmangel, fehlende Deckung, fehlende Nischen für Fortpflanzung oder Schlafplatz, Zerstörung von Strukturen (bspw. Spinnennetze, Ameisenhaufen) und den Verlust von Mikrohabitaten geschädigt. Jedoch weist eine gemähte Fläche für Arthropoden und gewisse Vögel günstigere thermische und physische Bedingungen (z.B. für die Eiablage und Larval Entwicklung oder einfacheren Zugang zu Futter) auf, was auf längere Sicht einen positiven Effekt auf eine Population haben kann (Braschler et al. 2009). Auch Käfer scheinen vergleichsweise robust auf Schnittregimes zu reagieren, im Gegensatz zu Wanzen, Tagfaltern und Spinnen, auf welche die Mahd einen drastischen negativen Einfluss auf Abundanz und Artenreichtum hat (Humbert 2010).<br />
Beim Abtransport des Mahdguts wird wiederum ein Teil der tierischen Biomasse mitentfernt, wobei die Silage zu deutlich höheren Vernichtungsraten führt als Heuen und Emden. <br />
Die Mahd ist ein notwendiger Eingriff zur Offenhaltung, trägt zu einer vielfältigeren Flora bei und schafft Lebensraum für eine reiche Fauna. Die obengenannten direkten und indirekten Auswirkungen stellen für viele Tierarten jedoch einen gravierenden Eingriff dar und mit zunehmender Schnittfrequenz nimmt die Artenzahl deutlich ab. Arten, welche mehr Generationen pro Jahr haben, sind gegenüber Schnitt weniger empfindlich, als solche mit nur einer Generation, da sie zwischen zwei Schnitten eher einen ganzen Entwicklungszyklus durchlaufen können (Walter et al. 2007). <br />
Wie die Mahd- und Ernteschritte biodiversitätsfreundlich ausgestaltet werden können, wird in Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimale_Mahdnutzung Erhalt und Aufwertung durch optimale Mahdnutzung] ausgeführt.<br />
<br />
==Auswirkungen des Schnittzeitpunktes auf Flora und Fauna==<br />
Der Nutzungszeitpunkt hat einen wesentlichen Einfluss auf die Menge und Qualität des Schnittgutes sowie auf die Zusammensetzung des Pflanzenbestandes. Die meisten Wiesenpflanzen sind in ihrer Phänologie sehr gut an die traditionellen Mahdtermine angepasst, tolerieren einen ersten Schnitt im Juni und kommen regelmässig zur Blüte und auch zur Fruchtreife; es sind dies Arten mit vegetativer Vermehrungsmöglichkeit oder solche, die im zweiten Aufwuchs blühen und Samen produzieren können. Die aktuell üblichen Schnitttermine in Biodiversitätsförderflächen sind der [[Media:Agridea 2023 Biodiversitaetsfoerderung Wegleitung 1200dpi.pdf|Agridea-Broschüre «Biodiversitätsförderung auf dem Landwirtschaftsbetrieb – Wegleitung» (Agridea 2023)]] zu entnehmen. Eine sehr frühzeitige Mahd oder zu häufige Nutzung kann die Regenerationsfähigkeit von Wiesenpflanzen überfordern, was sich meist erst nach einigen Jahren zeigt.<br />
Neben dem Schnittzeitpunkt beeinflusst auch das Nutzungsintervall, ob und welche Arten sich erfolgreich vermehren können: wenn nach der ersten Nutzung die zweite Nutzung frühestens sechs bis acht Wochen später erfolgt, können viele Arten einer zweischürigen Wiese noch zur Fruchtreife gelangen. Wird hingegen der Abstand zwischen den beiden Mahdterminen um zwei oder mehr Wochen verkürzt, kommen innerhalb eines Jahres nur noch ca. die Hälfte der Arten zur Fruchtreife (Poschlod 2011).<br />
Erfolgt die erste Mahd erst nach der Ausbildung reifer Früchte (Samen), gelangen die meisten Arten nicht nochmals ins Blüh- und Fruchtstadium – daher können sich spät gemähte Wiesen langfristig im Hochsommer genauso blütenarm wie Grünlandbrachen präsentieren (in Abhängigkeit von der Vegetationszusammensetzung und den Temperaturbedingungen am entsprechenden Standort). Späte Schnitttermine in nährstoffärmeren Wiesen führen häufig zur einseitigen Vergrasung mit Obergräsern und der Keimhorizont wird lichtärmer, wodurch niedrigwüchsige, konkurrenzschwache Arten verdrängt werden. Für die längerfristige Bestandesentwicklung sind die Veränderungen im ersten Aufwuchs entscheidend. Eine nährstoffreiche Wiese, welche spät, wenig oder gar nicht genutzt wird, hat die Tendenz zur Verunkrautung (Schmid et al. 2007).<br />
Auch für die Fauna entscheiden die Nutzungszeitpunkte darüber, ob die Fortpflanzungszyklen abgeschlossen werden können (Buri et al. 2013, 2014). Die Habitatansprüche und somit auch die Ansprüche an die Mahdzeitpunkte mit erfolgreicher Reproduktionsmöglichkeit sind für jede Art oder Artengruppe wie auch bei den Pflanzen unterschiedlich. So ist für viele Wiesenbrüter ein Sommerschnitt nach der Schlüpfzeit der Jungen vorteilhaft, hingegen werden Spinnen dadurch mehr dezimiert als bei einem Frühjahrs- oder Herbstschnitt. Für Tagfalter und Widderchen führt Poschlod (2011) Ergebnisse aus verschiedenen Studien bezüglich der optimalen Schnittzeitpunkte zusammen. Zwischen zwei Nutzungszeitpunkten sollten aus faunistischer Sicht zehn Wochen Abstand liegen (Walter et al. 2007). Das Vorkommen möglichst verschiedener Nutzungen und Nutzungstermine in einem Gebiet wirkt sich positiv auf die Fortpflanzung vieler Arten und damit die Biodiversität aus.<br />
<br />
<br/><br />
<table border="0", style="font-size:108%"> <br />
<tr> <br />
<td> '''Praxisbeispiel: Auswirkungen verschiedener Schnittverfahren auf die Vegetation von ungedüngten Fromental- und Magerwiesen''' <br /> Agrofutura hat in einem mehrjährigen Versuch verschiedene Schnittregimes auf einer Fromentalwiese und auf einer zweischürigen Magerwiese angewandt. Dabei wurden die Heuschnittzeitpunkte (25.5. / 15.6. / 15.7.) und auf der Magerwiese der Emdschnittzeitpunkt variiert (kein Emdschnitt, frühes Emd Mitte August, spätes Emd Mitte September). Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass beide Wiesentypen gegenüber den Veränderungen des Schnittzeitpunktes sehr resilient sind und auf Vegetationsniveau bisher kaum Veränderungen festgestellt wurden. Allerdings profitierten tendenziell einige spätblühende, grosse Kräuter sowie hochwachsende Gräser von einem späten Schnitt Mitte Juli. Die Emdschnittverfahren führten dagegen im Unterschied zu den Heuschnittverfahren zu klaren Änderungen in der Vegetation: von einem Auslassen des Emdschnitts profitierten v.a. die grosswüchsigen Gräser (''Bromus erectus'', ''Arrhenatherum elatius'') auf Kosten der kleinen Kräuter und der Leguminosen. Das Auslassen des zweiten Schnitts führte also zu einer Vergrasung der Wiese. Ein später Emdschnitt Mitte September führte zur gegenteiligen Entwicklung; eine Vergrasung des Bestandes und die Abnahme der Kräuter wird damit verhindert, kleine Gräser und Seggen sowie Leguminosen nahmen zu. Deutlich war auch der Unterschied zwischen Emdschnittzeitpunkt Mitte August oder Mitte September: je höher die Vegetation im Herbst (also je früher der Emdschnittzeitpunkt liegt), desto weniger Licht erreicht im Frühling den Boden. Geht ein Bestand zu hoch in den Winter, bildet sich ein Grasfilz, der im Frühjahr sehr wenig Licht auf den Boden lässt und die Kräuter am Keimen und Wachsen hindert. Zweischürige Magerwiesen könnten demnach mit einem späten Emdschnitt aufgewertet und das Blütenangebot deutlich erhöht werden – zurzeit ist noch unklar, ob sich die Erkenntnisse auch auf nährstoffreichere Wiesen übertragen lassen. Ein später Emdschnitt scheint für Kräuter klar vorteilhaft zu sein, was insbesondere durch die klimatisch bedingte, immer länger werdende Vegetationsperiode von Bedeutung sein kann (Landolt & Lüthy 2018).</td> <br />
</tr> <br />
</table><br />
<br /><br />
<br />
'''Weitere Informationen''' <br /><br />
* Auswirkungen der Mahd auf die Flora sind im [http://gruenlandleitfaden.offenlandinfo.de/management/massnahmen-und-wirkung/mahd/ Grünlandleitfaden] beschrieben. <br />
* Auswirkungen der Mahd auf die Fauna: Van de Poel & Zehm (2014) haben zur Wirkung der Mahd auf die Wiesenfauna eine Literaturauswertung für den Naturschutz vorgenommen. <br />
* Ergebnisse aus verschiedenen Untersuchungen liefern Walter et al. 2007, Humbert et al. 2009, Humbert et al. 2010, Humbert 2010. <br />
* Im Agridea-Merkblatt von Schiess-Bühler et al. (2011) sind die Auswirkungen der Erntetechniken auf die Artenvielfalt in Wiesen zusammengefasst und Empfehlungen aufgeführt.<br />
<br />
==Auswirkungen der Beweidung==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Beweidung mit Ziegen as 96 dpi.jpg<br />
| text = Mit der "richtigen" Beweidung können Lebensräume und Arten aufgewertet und gefördert werden.<br />
}}<br />
<br />
Einen informativen Überblick zu den Auswirkungen einer durch Beweidung auf Boden, Flora und Fauna gibt der [http://gruenlandleitfaden.offenlandinfo.de/management/massnahmen-und-wirkung/beweidung/ Grünlandleitfaden]. <br /><br />
Wie eine Mahd, wirkt auch eine Beweidung selektiv auf ihre jeweilige Artengemeinschaften. Bei einer höheren Nutzungsfrequenz (mittelintensive Weide) wird die Vegetation durch die Beweidung niedriger gehalten und es gelangt mehr Licht in tiefere Vegetationsschichten. In dieselbe Richtung wirkt der Tritt der Herbivoren und ihr selektiver Frass: lokal werden unterschiedliche Nischen und Keimstellen für Pflanzen geschaffen, die offenen Bodenstellen sind für Arthropoden attraktiv und die dauernd stehende Vegetation bietet ihnen Lebensraum und Winterquartiere. Bosshard (2016) führt in Kapitel 2.4.3 die für die Artenvielfalt besonders relevanten Auswirkungen von Mahd im Vergleich zur Beweidung näher aus. Bis zu einem gewissen minimalen Beweidungsdruck gilt, dass die faunistische Artenvielfalt umso höher ist, je geringer die Beweidungsintensität ist. Strukturen wie Gehölze, Steinhaufen, offene Bodenstellen, Wasserlachen, Quellen, Abbruchkanten sind für die Fauna sehr wichtig (Martin et al. 2018). <br /><br />
Eine [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Erhalt_und_Aufwertung_durch_Beweidung extensive Beweidung] fördert die lokale Heterogenität und die aktive Verbreitung von Pflanzen durch die Weidetiere. Für die Flora sind Art und Intensität einer Beweidung nebst den standörtlichen Gegebenheiten entscheidend: auf einer extensiv beweideten Fläche können sich beweidungsresistente Pflanzenarten wie beispielsweise verholzende, intensiv riechende, giftige, behaarte oder dornige Pflanzen gut halten oder werden sogar gefördert. Auf artenreichen, nährstoffarmen Magerwiesen muss jedoch von einer Beweidung abgeraten werden, da tritt- und frassempfindliche, vor allem ein- bis zweijährige Pflanzenarten zu sehr darunter leiden. Alternativ können Teilflächen mit Vorkommen solcher Arten auch ausgezäunt und besonders gepflegt werden. Generell sollten bisher wertvolle Schnittwiesen keinesfalls beweidet werden. Ausschlaggebend für die Biodiversitätsförderung ist eine dem Standort angepasste Weideführung und -pflege. <br /><br />
Auf Mähwiesen ist wichtig, dass der Bestand nicht zu hoch in den Winter geht: dadurch werden Nährstoffe akkumuliert und der sich bildende Grasfilz beeinflusst die Artenvielfalt negativ. Dem kann mit einer Herbstweide entgegengewirkt werden. Die ökologischen Auswirkungen und die Anwendung einer Frühjahrsvorweide (Etzen) werden im Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen#Entstehung_von_Gr.C3.BCnland Entstehung von Grünland] näher beschrieben. <br /><br />
<br />
Die nachfolgende Abbildung gibt eine schematische Übersicht der verschiedenen Lebensraumqualitäten bei Mahd respektive bei Beweidung (Briemle et al. 2014). Hierbei ist zu beachten, dass auch eine sehr kleinteilige Mahd die entsprechenden Merkmale der Weide annähern kann und auch in Mähwiesen Strukturvielfalt hergestellt werden kann.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = konold briemle de.png<br />
| text = Teilaspekte der Lebensraumqualität unter Mahd und extensiver Beweidung. Quelle: Briemle et al., 2014: Wiesen und Weiden. Kapitel XI-2.8 in Konold, 1999. Handbuch Naturschutz und Landschaftspflege: Kompendium zu Schutz und Entwicklung von Lebensräumen und Landschaften. Wiley-VCH, Weinheim.<br />
}}<br />
<br />
'''Weitere Informationen'''<br />
* Im Bericht „Empfehlungen NHG-Weideverträge" (Martin et al. 2018) werden die wichtigsten Empfehlungen zur Beweidung sowie Beweidungsoptimierung beschrieben, des Weiteren sind die Vorgaben für [https://infohabitat.ch/wp-content/uploads/2019/01/Empfehlungen-NHG-Weidevertrage_180731.pdf BFF-Weiden und die DZV-Vorgaben für Sömmerungsweiden allgemein zusammengefasst].<br />
* Der [https://docplayer.org/24956821-Themenbericht-extensive-weiden.html Themenbericht „Extensive Weiden“ (Schmid 2003)] erläutert praxisnah die ökologische Wirkung der Beweidung, charakterisiert verschiedene Weide-Tierarten (Rindvieh, Pferde, Schafe, Ziegen, Weitere), gibt Auskunft zur Eignung verschiedener Bewirtschaftungsformen und Weidesysteme, zur Eignung und zum Management einer Beweidung in verschiedenen Lebensräumen.<br />
<br />
=Pflanzen und Tiere des Grünlands=<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = Magerwiese Fettwiese.png<br />
| text = "Top und Flop" der Biodiversität: Artenreiche und farbenfrohe Magerwiese und monotone Fettwiese.<br />
}}<br />
<br />
Die Bandbreite zwischen artenreichem und artenarmem Grünland ist riesig. Generell gehört das Grünland mit bis zu 80 Pflanzenarten pro Quadratmeter potenziell zu den artenreichsten Lebensräumen Europas und bildet für viele Pflanzen- und Tierarten das Haupthabitat. Artenreich sind die extensiv genutzten Grünlandlebensräume: mehr als 900 Tier- und Pflanzenarten der Schweiz sind beispielsweise auf die Trockenwiesen und -weiden (TWW) angewiesen und fast die Hälfte dieser Arten ist gefährdet. Am anderen Ende des Spektrums bietet das Intensivgrünland hingegen für die meisten Tier- und Pflanzengruppen keinerlei Lebensraum mehr. Auf landschaftlicher Ebene betrachtet, spielt das Vorhandensein und die Verteilung verschieden genutzter Grünlandlebensräume eine Rolle, ob das Grünland einer Region insgesamt eine hohe Artenvielfalt aufweist oder nicht.<br />
Viele Tierarten und -gruppen sind nicht an bestimmte Vegetationstypen gebunden, sondern benötigen i.d.R. ein Nebeneinander verschiedener Habitatstrukturen (Schmidt 2007). Merkmale für die Habitatbindung können die Strukturierung, die Vernetzung, die Flächengrösse oder die räumliche und zeitliche Dynamik eines Lebensraumes sein. Die ökologischen Grundlagen sind in den Artikeln zu den jeweiligen Artengruppen ausgeführt ([https://www.biodivers.ch/de/index.php/Tagfalter Tagfalter], [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Wildbienen Wildbienen], [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Heuschrecken Heuschrecken]). Tagfalter und Heuschrecken sind Artengruppen mit einem hohen Verbreitungsschwerpunkt in Wiesen und Weiden: unter den Tagfaltern können sich 85%, unter den Heuschrecken 80% der in der Schweiz vorkommenden Arten im Grasland entwickeln. Für beide Artengruppen ist von Bedeutung, dass die extensiven Graslandflächen möglichst gross und miteinander vernetzt sind. Zu kleine Habitatflächen sowie die zunehmende Isolation durch grössere Distanzen zwischen den Flächen wirken sich nachteilig auf die Populationsgrössen von Arten und ihre Überlebensfähigkeit aus. Artenreiches Grünland bietet ausserdem für wiesenbrütende Vogelarten einen Brut- und/oder Nahrungslebensraum.<br />
<br />
In verschiedenen Datenbanken lassen sich die Artvorkommen nach Lebensräumen abfragen:<br />
* Die [https://www.agroscope.admin.ch/agroscope/de/home/themen/umwelt-ressourcen/biodiversitaet-landschaft/biodiversitaetsindikatoren/oeko-fauna-datenbank-auen.html Öko-Fauna-Datenbank] enthält ökologische Informationen zu Arten aus elf verschiedenen Tiergruppen und Angaben zum Trockenwiesen-Kennarten-Status.<br />
* Umweltziele Landwirtschaft (UZL): In der Liste der [https://www.agroscope.admin.ch/agroscope/de/home/themen/umwelt-ressourcen/biodiversitaet-landschaft/oekologischer-ausgleich/umweltziele-landwirtschaft.html UZL-Arten] ist ebenfalls das Vorkommen in Lebensraumtypen (Extensivwiese, Extensivweide) erfasst. <br />
* Die [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Allgemeine_Informationen#Arten Flora indicativa] umfasst ökologische und biologische Eigenschaften von rund 5500 Gefässpflanzen-, 600 Moos- und 200 Flechtenarten der Flora der Schweiz und der Alpen. Die zugehörige [https://www.wsl.ch/de/metanavigation/services-und-produkte/software-websites-und-apps/flora-indicativa.html Datenbank] ermöglicht ebenfalls Abfragen zu den Lebensräumen.<br />
* Die [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Allgemeine_Informationen#Arten Fauna indicativa] erfasst ökologische Präferenzen und biologische Eigenschaften aller in der Schweiz einheimischer Libellen-, Heuschrecken-, Laufkäfer- und Tagfalterarten.<br />
* [https://www.infoflora.ch/de/lebensraeume/phytosuisse.html Klassifikation Phytosuisse]: das Nachschlagewerk mit Kurzbeschrieb zu jeder Pflanzengesellschaft (und Klassifikation nach Delarze et al.) befindet sich noch im Aufbau. Unter den Grünlandlebensraumtypen sind erst Angaben zur Gesellschaft «IV – Gebirgsrasen und Schneetälchen» aufgeschaltet.<br />
* Für die Mähwiesen im Kt. Luzern geben Schmid et al. (2007) Kenn- und Leitarten der Flora und Fauna für verschiedene Wiesentypen an. Für die Lebensräume des Kantons Luzern wurden [https://lawa.lu.ch/Natur/arten/grundlagen/leitarten Leitarten] bezeichnet. <br />
* Im Schlussbericht zum Nationalen ökologischen Netzwerk REN wurden Zeigerarten-Gilden für verschiedene Lebensraumgruppierungen definiert (Berthoud et al. 2004).<br />
* Für das gedüngte Grünland weist der [http://www.agraroekologie.ch/SchluesselGeduengteNaturwiesen.xls Vegetationsschlüssel] Leit- und Charakterarten auf (Bosshard 2016).<br />
* Zahlreiche nützliche Angaben zu Artvorkommen und Negativarten bieten der Kartierbericht sowie die Vollzugshilfe TWW sowie weitere Grundlagen TWW von [https://infohabitat.ch/trockenwiesen-und-weiden/ infohabitat].<br />
<br />
= Weitere Kapitel zum Grünland=<br />
* [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland Einleitung und Zusammenfassung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung Erhalt und Aufwertung durch optimierte Bewirtschaftung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat Aufwertung und Neuschaffung durch Direktbegrünung und Ansaat]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen Grundlagen]<br />
<!--* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisbeispiele Praxisbeispiele]--><br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || [https://www.faunatur.ch/portr%C3%A4t/ Karin Loeffel]|| [https://www.faunatur.ch/ faunatur]<br />
|-<br />
| Review|| Andreas Bosshard || [http://www.agraroekologie.ch/ueber-uns/team/ Ö+L GmbH] <br />
|-<br />
| || Jean-Yves Humbert || [https://www.cb.iee.unibe.ch/about_us/pd_dr_humbert_jean_yves/index_eng.html Universität Bern, Conservation Biology]<br />
|-<br />
| || Heiri Schiess || <br />
|-<br />
| || André Stapfer || <br />
|-<br />
| || Markus Staub || [https://www.poel.ch/ Projekte Ökologie Landwirtschaft] <br />
|-<br />
| || Gaby Volkart || [http://www.ateliernature.ch/atena/francais.php atena]<br />
|-<br />
|}<br />
<br /></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie&diff=4708
Grünland/Praxisrelevante Ökologie
2023-03-05T09:38:18Z
<p>VB2: /* Auswirkungen der Beweidung */</p>
<hr />
<div>[[fr:Milieux prairiaux/Ecologie utile pour la pratique]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Halbtrockenrasen as 96 dpi.jpg<br />
| text = Die blüten- und blumenreichen Halbtrockenrasen sind stark zurückgegangen und sollen deshalb, wie viele weitere Grünland Lebensräume, gefördert werden.<br />
}}<br />
<br />
=Lebensräume des Grünlands=<br />
Auf die Entstehungsgeschichte und die Entwicklungen des Grünlandes wird im [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen#Entstehung_von_Gr.C3.BCnland "Entstehung von Grünland"] näher eingegangen. Im vorliegenden Artikel wird für die ungedüngten sowie die nicht-anthropogenen Lebensraumtypen des Grünlands die Klassifikation von Delarze et al. (2015) <ref>Delarze, Raymond; Gonseth, Yves; Eggenberg, Stefan; Vust, Mathias (2015): Lebensräume der Schweiz. Ökologie - Gefährdung - Kennarten. 3., vollst. überarb. Aufl. Bern: Ott.</ref> übernommen. Das gedüngte Grünland (Fettwiesen und -weiden) wird gemäss Bosshard (2016) <ref>Bosshard, Andreas (2016): Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas. Mit besonderer Berücksichtigung der Fromentalwiesen und des standortgemässen Futterbaus. Bern: Haupt Verlag (Bristol-Schriftenreihe, Band 50)</ref> eingeteilt. Feuchtgebiete, Moore, Waldlichtungen, Ruderalflächen und Pionierfluren werden in separaten Artikeln auf dieser Webseite abgedeckt. Nicht behandelt werden die Grasbrachen. Da es sich oft um Ruderalgesellschaften handelt, werden sie allenfalls zu einem späteren Zeitpunkt in einem entsprechenden Artikel aufgenommen.<br />
<br />
Untenstehende Tabelle (nach Delarze et al. 2015) zeigt, welche Lebensräume des Bereichs „Grünland“ nach unserer Einschätzung einen Förderbedarf (siehe Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung "Erhalt und Aufwertung durch optimierte Bewirtschaftung"]) (ja/nein) aufweisen. Hergeleitet wurde diese Einschätzung aus den Angaben zum „Zustand in der Schweiz“ und der Förderbarkeit (anthropogene Schaffung möglich). Mit P = Primärlebensraum sind Lebensraumtypen gekennzeichnet, welche nicht auf einen anthropogenen Einfluss angewiesen sind bzw. mit (P), wenn oberhalb der Waldgrenze i.d.R. keine menschliche Nutzung für das Vorkommen der Lebensraumtypen notwendig ist (Quelle: Delarze et al. 2015). Gefährdungsgrad (G): LC = nicht gefährdet, NT = potenziell gefährdet, VU = verletzlich, EN = stark gefährdet. Regenerationsdauer (R): R2 = 5-10 Jahre, R3 = 10-25 Jahre, R4 = 25-50 Jahre, R5 = 50-200 Jahre (Quelle: Delarze et al. 2015). Für Fettwiesen und -weiden (Nr. 4.5, gekennzeichnet mit *) wird im Artikel die Einteilung nach Bosshard (2016) übernommen. k.A. = keine Angaben.<br />
<br />
{| class="wikitable"<br />
! Nr.<br />
! Bezeichnung<br />
! Förderbedarf<br />
! Gefährdung<br />
! Regenerationsdauer<br />
|-<br />
| 4<br />
| Grünland (Naturrasen, Wiesen und Weiden)<br />
| <br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.0<br />
| Kunstrasen<br />
| <br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.0.1<br />
| Kunstwiese auf Fruchtfolgeflächen<br />
| nein<br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.0.2<br />
| Kunstrasen auf Sportplätzen, im Siedlungsraum etc.<br />
| nein<br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.0.3<br />
| Begrünung in Tieflagen (Strassenböschungen etc.)<br />
| nein<br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.0.4<br />
| Begrünung in Hochlagen (Skipisten etc.)<br />
| nein<br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.1<br />
| Pionierfluren auf Felsböden (Felsgrusfluren)<br />
| <br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.1.1<br />
| Wärmeliebende Kalkfels-Pionierflur ''Alysso-Sedion''<br />
| ja, P<br />
| NT<br />
| R4<br />
|-<br />
| 4.1.2<br />
| Kalkfels-Pionierflur des Gebirges (Karstfluren) ''Drabo-Seslerion''<br />
| nein, P<br />
| LC<br />
| R4<br />
|-<br />
| 4.1.3<br />
| Wärmeliebende Silikatfels-Pionierflur ''Sedo-Veronicion''<br />
| ja, P<br />
| VU<br />
| R4<br />
|-<br />
| 4.1.4<br />
| Silikatfelsgrusflur des Gebirges ''Sedo-Scleranthion''<br />
| nein, P<br />
| NT<br />
| R4<br />
|-<br />
| 4.2<br />
| Wärmeliebende Trockenrasen<br />
| <br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.2.1<br />
| Wärmeliebende Trockenrasen (Kontinentaler Trockenrasen, Innerwallis, Graubünden). ''Stipo-Poion'' und ''Cirsio-Brachypodion''<br />
| ja<br />
| VU<br />
| R4<br />
|-<br />
| 4.2.2<br />
| Mitteleuropäische Trockenrasen ''Xerobromion''<br />
| ja<br />
| VU<br />
| R4<br />
|-<br />
| 4.2.3<br />
| Insubrischer Trockenrasen ''Diplachnion''<br />
| (ja)<br />
| EN<br />
| R4<br />
|-<br />
| 4.2.4<br />
| Mitteleuropäischer Halbtrockenrasen ''Mesobromion''<br />
| ja<br />
| VU<br />
| R3<br />
|-<br />
| 4.3<br />
| Gebirgs-Magerrasen<br />
| <br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.3.1<br />
| Blaugrashalde ''Seslerion''<br />
| z.T., (P)<br />
| NT<br />
| R3<br />
|-<br />
| 4.3.2<br />
| Polsterseggenrasen ''Caricion firmae''<br />
| nein, P<br />
| LC<br />
| R5<br />
|-<br />
| 4.3.3<br />
| Rostseggenhalde ''Caricion ferrugineae''<br />
| ja, (P)<br />
| NT<br />
| R3<br />
|-<br />
| 4.3.4<br />
| Windkantenrasen (Nacktriedrasen) ''Elynion''<br />
| nein, P<br />
| LC<br />
| R5<br />
|-<br />
| 4.3.5<br />
| Borstgrasrasen ''Nardion''<br />
| ja, (P)<br />
| LC<br />
| R3<br />
|-<br />
| 4.3.6<br />
| Buntschwingelhalde ''Festucion variae''<br />
| ja, (P)<br />
| NT<br />
| R4<br />
|-<br />
| 4.3.7<br />
| Krummseggenrasen ''Caricion curvulae''<br />
| nein, P<br />
| LC<br />
| R5<br />
|-<br />
| 4.4<br />
| Schneetälchen<br />
| <br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.4.1<br />
| Kalkreiches Schneetälchen ''Arabidion caerulae''<br />
| nein, P<br />
| LC<br />
| R4<br />
|-<br />
| 4.4.2<br />
| Kalkarmes Schneetälchen ''Salicion herbaceae''<br />
| nein, P<br />
| LC<br />
| R4<br />
|-<br />
| 4.5*<br />
| Fettwiesen und -weiden<br />
| <br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.5.1*<br />
| Talfettwiesen (Fromentalwiese) ''Arrhenatherion''<br />
| ja<br />
| LC bis VU<br />
| R2<br />
|-<br />
| 4.5.2*<br />
| Bergfettwiese (Goldhaferwiese) ''Polygono-Trisetion''<br />
| ja<br />
| LC<br />
| R3<br />
|-<br />
| 4.5.3*<br />
| Talfettweide (Kammgrasweide) ''Cynosurion''<br />
| <br />
| LC<br />
| R2<br />
|-<br />
| 4.5.4*<br />
| Bergfettweide (Milchkrautweide) ''Poion alpinae''<br />
| <br />
| LC<br />
| R2<br />
|-<br />
| 4.6<br />
| Grasbrachen<br />
| <br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.6.1<br />
| Queckenbrache ''Convolvulo-Agropyrion''<br />
| (ja)<br />
| VU<br />
| R2<br />
|-<br />
| 4.6.2<br />
| Fiederzwenckenbrache<br />
| k.A.<br />
| k.A.<br />
| k.A.<br />
|-<br />
| 4.6.3<br />
| Fromentalbrache<br />
| k.A.<br />
| k.A.<br />
| k.A.<br />
|-<br />
| 4.6.4<br />
| Pfeifengrasbrache<br />
| k.A.<br />
| k.A.<br />
| k.A.<br />
|-<br />
| 4.6.5<br />
| Reitgrasbrache<br />
| k.A.<br />
| k.A.<br />
| k.A.<br />
|}<br />
<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = bosshard Wieslandtypen geduengt de.png<br />
| text = Einteilung des gedüngten Grünlands (Fettwiesen und -weiden). <br/> ° Zahl entspricht gleichzeitig der üblichen Anzahl Nutzungen pro Jahr (+/–1). <br/> Quelle: Bosshard, A., 2016. Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas. Mit besonderer Berücksichtigung der Fromentalwiesen und des standortgemässen Futterbaus, Bristol-Schriftenreihe Band 50. Haupt Verlag, Bern. © Andreas Bosshard<br />
}}<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
Im Buch „Lebensräume der Schweiz“ (Delarze et al. 2015) sind die Lebensraumgruppen mit Aussehen und Strukturmerkmalen, biologischen Merkmalen und ökologischen Faktoren beschrieben. Faktenblätter charakterisieren die einzelnen Lebensraumtypen hinsichtlich Aussehens und Ökologie, Beziehung zum Menschen, Ansprache und Abgrenzung, Klassifikation, Kennarten, biologische Werte, ökologische Ansprüche und Gefährdungen und Angaben zur Verbreitung.<br />
Im Buch „Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas“ (Bosshard 2016) wird in Kapitel 5 die Typologie der Wiesen hergeleitet und eine neue Gliederung für das gedüngte Wiesland vorgeschlagen und erläutert.<br />
Die Webseite zu den [https://www.infoflora.ch/de/lebensraeume/typoch/klassifikation.html Lebensräumen der Schweiz (TypoCH)] macht Angaben zu dominanten Arten, Charakterarten und weniger strikt an den Lebensraum gebundenen Arten.<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = Wiesentypen.png<br />
| text = Ausgewählte Wiesentypen (von oben links): Halbtrockenrasen, Bergfettwiese, Trockenrasen, Polsterseggenrasen.<br />
}}<br />
<br />
=Prägende Faktoren =<br />
Welche Pflanzen und Tiere in einem Lebensraum vorkommen, ist einerseits abhängig von standörtlichen Faktoren und ökologischen Wechselwirkungen, andererseits ist die Ausprägung der Lebensräume (ausser bei den Primärlebensräumen) im Grünland stark abhängig von der menschlichen Nutzung. Je nach aktueller und historischer Bewirtschaftungsform fällt sie unterschiedlich aus. Die theoretischen Grundlagen vom Zusammenhang der Standortfaktoren Boden, klimatische Bedingungen, Wasser- und Nährstoffhaushalt mit der Vegetation sind im [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Pflanzen Artikel zu den Gefässpflanzen] näher ausgeführt.<br />
Historisch betrachtet ist ein Grossteil der mitteleuropäischen Wiesen aus extensiv genutztem Weideland hervorgegangen. Auf Nicht-Ackerland wurde eine [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Kombination_von_Mahd_und_Beweidung.2C_Fr.C3.BChjahrsvorweide Frühjahrsvorweide] durchgeführt und der nachfolgende Aufwuchs entsprechend erst später im Jahr gemäht. Damit fand eine systemimmanente Aushagerung statt und über eine lange Zeitperiode hinweg war die Nährstoffsituation der die Nutzung limitierende Faktor. Im Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen#Entstehung_von_Gr.C3.BCnland "Entstehung von Grünland"] wird näher auf die historische Entwicklung eingegangen.<br />
Im Lauf der Jahrhunderte haben sich verschiedene Tierarten (wiesenbrütende Vögel, bestimmte Tagfalter) hinsichtlich ihrer Reproduktion optimal in die Bewirtschaftungssysteme der alten Dreizelgenwirtschaft eingepasst. Pflanzen entwickelten genetisch bestimmte Eigenschaften und passten sich an lokale Standort- und Nutzungsbedingungen an: es wurden sogenannte Ökotypen hinsichtlich Blühzeitpunkt, Weide- und Mahd Verträglichkeit, Trockenheitstoleranz etc. ausgebildet.<br />
<br />
Unter den die Vegetationszusammensetzung bestimmenden abiotischen Faktoren sind Bodenzusammensetzung, hydrologische und klimatische Bedingungen prägend. Witterungsextreme wie Sommerdürre, harte, schneearme Winter oder auch starke Frühjahrsfröste wirken sich ebenfalls stark aus: langanhaltende Trockenperioden können zum Absterben und damit zu einer lückigeren Vegetationsdecke mit Offenbodenstellen führen, welche die erfolgreiche Vermehrung über Samen vieler Arten fördern. Des Weiteren bestimmen auch biotische Faktoren die Vegetationszusammensetzung: viele Arten können jahrelang auf einer Fläche in der Samenbank überdauern, ohne oberirdisch in Erscheinung zu treten. Wiesenpflanzen und Habitat Spezialisten von Trockenwiesen und -weiden (TWW) haben jedoch im Vergleich zu weniger spezialisierten Arten tendenziell eher kurzlebige Samen mit einer Keimfähigkeit von 1-3 Jahren (Guntern et al. 2013).<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = bosshard einflussfaktoren de.png<br />
| text = Bosshard (2016) stellt die wesentlichen prägenden abiotischen und biotischen Einflussfaktoren sowie den Einfluss der Bewirtschaftung zur Entstehung und Entwicklung von Wiesland in einer übersichtlichen Grafik dar. <br/> Quelle: Bosshard, A., 2016. Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas. Mit besonderer Berücksichtigung der Fromentalwiesen und des standortgemässen Futterbaus, Bristol-Schriftenreihe Band 50. Haupt Verlag, Bern. © Andreas Bosshard<br />
}}<br />
<br />
=Auswirkungen der Bewirtschaftung=<br />
Art und Intensität der Bewirtschaftung beeinflussen die Artenvielfalt im Grünland stark. Je nach Nutzung und Düngung entstehen Synergien oder Zielkonflikte hinsichtlich Biodiversität: sowohl eine zu intensive als auch eine zu extensive bzw. ausbleibende Nutzung beeinträchtigen die Biodiversität. Profitieren viele Pflanzenarten von der mit der Nutzung (Schnitt, Beweidung) einhergehenden Lichtverfügbarkeit, so wirkt sich eine zunehmende Schnitthäufigkeit negativ aus, indem nur noch wenige Pflanzenarten mit einem häufigen Schnitt umgehen können. Eine hohe floristische und faunistische Vielfalt korreliert in mittleren Lagen mit der Nährstoffarmut von Grünlandlebensräumen (Roth et al. 2013, Schlup et al. 2013).<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = bosshard nutzungsintensitaet de.png<br />
| text = Bosshard (2016) veranschaulicht das Ertragspotenzial von Wiesland in Abhängigkeit von der Nutzungsintensität und der Höhenlage. Quelle: Bosshard, A., 2016. Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas. Mit besonderer Berücksichtigung der Fromentalwiesen und des standortgemässen Futterbaus, Bristol-Schriftenreihe Band 50. Haupt Verlag, Bern. © Andreas Bosshard<br />
}}<br />
<br />
<br />
Nicht nur die intensive Nutzung ist aus Biodiversitätssicht problematisch, sondern auch ein Ausbleiben der Nutzung in Grünlandlebensräumen, welche auf anthropogene Eingriffe für den Fortbestand angewiesen sind. Bleibt die Nutzung aus oder ist sie nicht adäquat, so schreitet die Sukzession mehr oder weniger rasch voran (siehe Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen#Sukzession_und_Bedeutung_des_Gr.C3.BCnlands "Sukzession und Bedeutung des Grünlands"]). Bei falscher oder zu wenig häufiger Nutzung verfilzt die Vegetationsdecke, der Bestand geht zu hoch in den Winter, wodurch weniger Licht auf den Boden gelangt und die Keimung im Frühjahr negativ beeinträchtigt wird. Entsprechend verändert sich die Vegetationszusammensetzung; lichtbedürftigere Arten nehmen ab. Bleibt die Nutzung gänzlich aus, verbuscht und verwaldet ehemals genutztes Grünland unterhalb der alpinen Stufe (ausser Primärlebensräume). Bei diesem Prozess der Verbrachung beginnen Gräser, hochwüchsige Arten und Arten mit hohem Speichervermögen oder unterirdischen Ausläufern zuzunehmen. Die Verwaldung wird bei lückenhaften Beständen, auf produktiven Standorten, beim Vorhandensein von Gehölzen in der Fläche oder angrenzend sowie bei Vorkommen von Gehölzen mit Ausläufern oder leichtfrüchtigen, lichtverträglichen Samen (Bsp. Birken, Pappeln) beschleunigt (Dipner & Volkart 2010).<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Anthyllis Bromus.png<br />
| text = Generell sind Pflanzen mit bodenblattarmen Wuchsformen wie die meisten Gräser (abgebildet ist die Aufrechte Trespe (''Bromus erectus'') häufig schnittempfindlich, wogegen Rosettenpflanzen wie der Wundklee (''Anthyllis vulneraria'') schnitttoleranter sind.<br />
}}<br />
<br />
==Auswirkungen der Mahd auf Flora und Fauna==<br />
Bei Mähwiesen beeinflussen die folgenden Bewirtschaftungsfaktoren die Artenvielfalt (in Abhängigkeit von der Pflanzengesellschaft und der Wüchsigkeit): Nutzungszeitpunkte, Nutzungshäufigkeit und v.a. für die Fauna zusätzlich relevant ist die Art der verwendeten Maschinen und Gerätschaften. Generell sind [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Pflanzen#Lebensformen Pflanzenarten mit bodenblattarmen Wuchsformen meist schnittempfindlich, wogegen Rosettenpflanzen eher profitieren]; auch kleinwüchsige und konkurrenzschwache Arten sind in nährstoffreicherem Wiesland unterhalb der Baumgrenze auf regelmässige Mahd oder Beweidung angewiesen (Dullau et al. 2012). Auf halbtrockenen bis feuchten Böden gelangt im genutzten Grünland die Wuchsform der Hemikryptophyten zur Dominanz. Werden die Bodenverhältnisse trockener, können sich in den Lücken zwischen diesen Horsten und Rosetten kleine Zwergsträucher und einjährige Frühblüher ansiedeln. Auch Zwiebel- und Knollenpflanzen gelingt es bei trockenen und mageren Verhältnissen, sich zu behaupten. Die spezielle Morphologie und Physiologie der Gräser lässt sie im mitteleuropäischen Grünland, welches durch seine regelmässige Störung (Mahd und Frass) gekennzeichnet ist, dominieren: Gräser sind ausgesprochen erneuerungsfähig und besitzen zahllose Erneuerungspunkte in Form von Schossen, Verzweigungen, Ausläufern oder Rhizomen. Ihre Samen keimen leicht und rasch und nach der Keimung gelangen die Gräser rasch wieder zur Blüte und Fruchtbildung (Eggenberg et al. 2001).<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = graeser als ideale pflanzen des gruenlandes de.png<br />
| text = Gräser als ideale Pflanzen des Grünlandes. Quelle: Eggenberg, S., Dalang, T., Dipner, M., Mayer, C., 2001: Kartierung und Bewertung der Trockenwiesen und -weiden von nationaler Bedeutung. Technischer Bericht. Schriftenreihe Umwelt Nr. 325. Hrsg.: Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL), Bern. 252 S.<br />
}}<br />
<br />
In Bezug auf die Auswirkungen der Mahd auf die Fauna wird zwischen direkten (durch den Mahd- und Ernteprozess verursachte Schädigungen der Fauna) und den indirekten (durch die Mahd verursachte Veränderungen des Lebensraumes) Wirkungen unterschieden. Durch die Mäh-, Ernte- und Aufbereitungsgeräte (Mähwerke, Futteraufbereiter, Zetter etc.) werden viele Klein- und Jungtiere bei der Bewirtschaftung verletzt oder getötet. Dieselbe Gefahr geht vom wiederkehrenden Befahren der Flächen mit den Maschinen (schwerere Geräte mit breiterer Bereifung) aus. Die direkt durch die Mahd verursachte Sterblichkeit steigt bei den einzelnen Tierarten mit der Körpergrösse und -empfindlichkeit und sinkt mit zunehmender Mobilität; des Weiteren ist das Ausmass der Verluste abhängig vom Fluchtverhalten und –vermögen, dem Aufenthaltsort zum Eingriffszeitpunkt sowie der Art und den Einstellungen des Mähwerks. Indirekt werden die Kleintiere durch Nahrungsmangel, fehlende Deckung, fehlende Nischen für Fortpflanzung oder Schlafplatz, Zerstörung von Strukturen (bspw. Spinnennetze, Ameisenhaufen) und den Verlust von Mikrohabitaten geschädigt. Jedoch weist eine gemähte Fläche für Arthropoden und gewisse Vögel günstigere thermische und physische Bedingungen (z.B. für die Eiablage und Larval Entwicklung oder einfacheren Zugang zu Futter) auf, was auf längere Sicht einen positiven Effekt auf eine Population haben kann (Braschler et al. 2009). Auch Käfer scheinen vergleichsweise robust auf Schnittregimes zu reagieren, im Gegensatz zu Wanzen, Tagfaltern und Spinnen, auf welche die Mahd einen drastischen negativen Einfluss auf Abundanz und Artenreichtum hat (Humbert 2010).<br />
Beim Abtransport des Mahdguts wird wiederum ein Teil der tierischen Biomasse mitentfernt, wobei die Silage zu deutlich höheren Vernichtungsraten führt als Heuen und Emden. <br />
Die Mahd ist ein notwendiger Eingriff zur Offenhaltung, trägt zu einer vielfältigeren Flora bei und schafft Lebensraum für eine reiche Fauna. Die obengenannten direkten und indirekten Auswirkungen stellen für viele Tierarten jedoch einen gravierenden Eingriff dar und mit zunehmender Schnittfrequenz nimmt die Artenzahl deutlich ab. Arten, welche mehr Generationen pro Jahr haben, sind gegenüber Schnitt weniger empfindlich, als solche mit nur einer Generation, da sie zwischen zwei Schnitten eher einen ganzen Entwicklungszyklus durchlaufen können (Walter et al. 2007). <br />
Wie die Mahd- und Ernteschritte biodiversitätsfreundlich ausgestaltet werden können, wird in Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimale_Mahdnutzung Erhalt und Aufwertung durch optimale Mahdnutzung] ausgeführt.<br />
<br />
==Auswirkungen des Schnittzeitpunktes auf Flora und Fauna==<br />
Der Nutzungszeitpunkt hat einen wesentlichen Einfluss auf die Menge und Qualität des Schnittgutes sowie auf die Zusammensetzung des Pflanzenbestandes. Die meisten Wiesenpflanzen sind in ihrer Phänologie sehr gut an die traditionellen Mahdtermine angepasst, tolerieren einen ersten Schnitt im Juni und kommen regelmässig zur Blüte und auch zur Fruchtreife; es sind dies Arten mit vegetativer Vermehrungsmöglichkeit oder solche, die im zweiten Aufwuchs blühen und Samen produzieren können. Die aktuell üblichen Schnitttermine in Biodiversitätsförderflächen sind der [[Media:Agridea 2023 Biodiversitaetsfoerderung Wegleitung 1200dpi.pdf|Agridea-Broschüre «Biodiversitätsförderung auf dem Landwirtschaftsbetrieb – Wegleitung» (Agridea 2023)]] zu entnehmen. Eine sehr frühzeitige Mahd oder zu häufige Nutzung kann die Regenerationsfähigkeit von Wiesenpflanzen überfordern, was sich meist erst nach einigen Jahren zeigt.<br />
Neben dem Schnittzeitpunkt beeinflusst auch das Nutzungsintervall, ob und welche Arten sich erfolgreich vermehren können: wenn nach der ersten Nutzung die zweite Nutzung frühestens sechs bis acht Wochen später erfolgt, können viele Arten einer zweischürigen Wiese noch zur Fruchtreife gelangen. Wird hingegen der Abstand zwischen den beiden Mahdterminen um zwei oder mehr Wochen verkürzt, kommen innerhalb eines Jahres nur noch ca. die Hälfte der Arten zur Fruchtreife (Poschlod 2011).<br />
Erfolgt die erste Mahd erst nach der Ausbildung reifer Früchte (Samen), gelangen die meisten Arten nicht nochmals ins Blüh- und Fruchtstadium – daher können sich spät gemähte Wiesen langfristig im Hochsommer genauso blütenarm wie Grünlandbrachen präsentieren (in Abhängigkeit von der Vegetationszusammensetzung und den Temperaturbedingungen am entsprechenden Standort). Späte Schnitttermine in nährstoffärmeren Wiesen führen häufig zur einseitigen Vergrasung mit Obergräsern und der Keimhorizont wird lichtärmer, wodurch niedrigwüchsige, konkurrenzschwache Arten verdrängt werden. Für die längerfristige Bestandesentwicklung sind die Veränderungen im ersten Aufwuchs entscheidend. Eine nährstoffreiche Wiese, welche spät, wenig oder gar nicht genutzt wird, hat die Tendenz zur Verunkrautung (Schmid et al. 2007).<br />
Auch für die Fauna entscheiden die Nutzungszeitpunkte darüber, ob die Fortpflanzungszyklen abgeschlossen werden können (Buri et al. 2013, 2014). Die Habitatansprüche und somit auch die Ansprüche an die Mahdzeitpunkte mit erfolgreicher Reproduktionsmöglichkeit sind für jede Art oder Artengruppe wie auch bei den Pflanzen unterschiedlich. So ist für viele Wiesenbrüter ein Sommerschnitt nach der Schlüpfzeit der Jungen vorteilhaft, hingegen werden Spinnen dadurch mehr dezimiert als bei einem Frühjahrs- oder Herbstschnitt. Für Tagfalter und Widderchen führt Poschlod (2011) Ergebnisse aus verschiedenen Studien bezüglich der optimalen Schnittzeitpunkte zusammen. Zwischen zwei Nutzungszeitpunkten sollten aus faunistischer Sicht zehn Wochen Abstand liegen (Walter et al. 2007). Das Vorkommen möglichst verschiedener Nutzungen und Nutzungstermine in einem Gebiet wirkt sich positiv auf die Fortpflanzung vieler Arten und damit die Biodiversität aus.<br />
<br />
<br/><br />
<table border="0", style="font-size:108%"> <br />
<tr> <br />
<td> '''Praxisbeispiel: Auswirkungen verschiedener Schnittverfahren auf die Vegetation von ungedüngten Fromental- und Magerwiesen''' <br /> Agrofutura hat in einem mehrjährigen Versuch verschiedene Schnittregimes auf einer Fromentalwiese und auf einer zweischürigen Magerwiese angewandt. Dabei wurden die Heuschnittzeitpunkte (25.5. / 15.6. / 15.7.) und auf der Magerwiese der Emdschnittzeitpunkt variiert (kein Emdschnitt, frühes Emd Mitte August, spätes Emd Mitte September). Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass beide Wiesentypen gegenüber den Veränderungen des Schnittzeitpunktes sehr resilient sind und auf Vegetationsniveau bisher kaum Veränderungen festgestellt wurden. Allerdings profitierten tendenziell einige spätblühende, grosse Kräuter sowie hochwachsende Gräser von einem späten Schnitt Mitte Juli. Die Emdschnittverfahren führten dagegen im Unterschied zu den Heuschnittverfahren zu klaren Änderungen in der Vegetation: von einem Auslassen des Emdschnitts profitierten v.a. die grosswüchsigen Gräser (''Bromus erectus'', ''Arrhenatherum elatius'') auf Kosten der kleinen Kräuter und der Leguminosen. Das Auslassen des zweiten Schnitts führte also zu einer Vergrasung der Wiese. Ein später Emdschnitt Mitte September führte zur gegenteiligen Entwicklung; eine Vergrasung des Bestandes und die Abnahme der Kräuter wird damit verhindert, kleine Gräser und Seggen sowie Leguminosen nahmen zu. Deutlich war auch der Unterschied zwischen Emdschnittzeitpunkt Mitte August oder Mitte September: je höher die Vegetation im Herbst (also je früher der Emdschnittzeitpunkt liegt), desto weniger Licht erreicht im Frühling den Boden. Geht ein Bestand zu hoch in den Winter, bildet sich ein Grasfilz, der im Frühjahr sehr wenig Licht auf den Boden lässt und die Kräuter am Keimen und Wachsen hindert. Zweischürige Magerwiesen könnten demnach mit einem späten Emdschnitt aufgewertet und das Blütenangebot deutlich erhöht werden – zurzeit ist noch unklar, ob sich die Erkenntnisse auch auf nährstoffreichere Wiesen übertragen lassen. Ein später Emdschnitt scheint für Kräuter klar vorteilhaft zu sein, was insbesondere durch die klimatisch bedingte, immer länger werdende Vegetationsperiode von Bedeutung sein kann (Landolt & Lüthy 2018).</td> <br />
</tr> <br />
</table><br />
<br /><br />
<br />
'''Weitere Informationen''' <br /><br />
* Auswirkungen der Mahd auf die Flora sind im [http://gruenlandleitfaden.offenlandinfo.de/management/massnahmen-und-wirkung/mahd/ Grünlandleitfaden] beschrieben. <br />
* Auswirkungen der Mahd auf die Fauna: Van de Poel & Zehm (2014) haben zur Wirkung der Mahd auf die Wiesenfauna eine Literaturauswertung für den Naturschutz vorgenommen. <br />
* Ergebnisse aus verschiedenen Untersuchungen liefern Walter et al. 2007, Humbert et al. 2009, Humbert et al. 2010, Humbert 2010. <br />
* Im Agridea-Merkblatt von Schiess-Bühler et al. (2011) sind die Auswirkungen der Erntetechniken auf die Artenvielfalt in Wiesen zusammengefasst und Empfehlungen aufgeführt.<br />
<br />
==Auswirkungen der Beweidung==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Beweidung mit Ziegen as 96 dpi.jpg<br />
| text = Mit der "richtigen" Beweidung können Lebensräume und Arten aufgewertet und gefördert werden.<br />
}}<br />
<br />
Einen informativen Überblick zu den Auswirkungen einer durch Beweidung auf Boden, Flora und Fauna gibt der [http://gruenlandleitfaden.offenlandinfo.de/management/massnahmen-und-wirkung/beweidung/ Grünlandleitfaden]. <br /><br />
Wie eine Mahd, wirkt auch eine Beweidung selektiv auf ihre jeweilige Artengemeinschaften. Bei einer höheren Nutzungsfrequenz (mittelintensive Weide) wird die Vegetation durch die Beweidung niedriger gehalten und es gelangt mehr Licht in tiefere Vegetationsschichten. In dieselbe Richtung wirkt der Tritt der Herbivoren und ihr selektiver Frass: lokal werden unterschiedliche Nischen und Keimstellen für Pflanzen geschaffen, die offenen Bodenstellen sind für Arthropoden attraktiv und die dauernd stehende Vegetation bietet ihnen Lebensraum und Winterquartiere. Bosshard (2016) führt in Kapitel 2.4.3 die für die Artenvielfalt besonders relevanten Auswirkungen von Mahd im Vergleich zur Beweidung näher aus. Bis zu einem gewissen minimalen Beweidungsdruck gilt, dass die faunistische Artenvielfalt umso höher ist, je geringer die Beweidungsintensität ist. Strukturen wie Gehölze, Steinhaufen, offene Bodenstellen, Wasserlachen, Quellen, Abbruchkanten sind für die Fauna sehr wichtig (Martin et al. 2018). <br /><br />
Eine [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Erhalt_und_Aufwertung_durch_Beweidung extensive Beweidung] fördert die lokale Heterogenität und die aktive Verbreitung von Pflanzen durch die Weidetiere. Für die Flora sind Art und Intensität einer Beweidung nebst den standörtlichen Gegebenheiten entscheidend: auf einer extensiv beweideten Fläche können sich beweidungsresistente Pflanzenarten wie beispielsweise verholzende, intensiv riechende, giftige, behaarte oder dornige Pflanzen gut halten oder werden sogar gefördert. Auf artenreichen, nährstoffarmen Magerwiesen muss jedoch von einer Beweidung abgeraten werden, da tritt- und frassempfindliche, vor allem ein- bis zweijährige Pflanzenarten zu sehr darunter leiden. Alternativ können Teilflächen mit Vorkommen solcher Arten auch ausgezäunt und besonders gepflegt werden. Generell sollten bisher wertvolle Schnittwiesen keinesfalls beweidet werden. Ausschlaggebend für die Biodiversitätsförderung ist eine dem Standort angepasste Weideführung und -pflege. <br /><br />
Auf Mähwiesen ist wichtig, dass der Bestand nicht zu hoch in den Winter geht: dadurch werden Nährstoffe akkumuliert und der sich bildende Grasfilz beeinflusst die Artenvielfalt negativ. Dem kann mit einer Herbstweide entgegengewirkt werden. Die ökologischen Auswirkungen und die Anwendung einer Frühjahrsvorweide (Etzen) werden im Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen#Entstehung_von_Gr.C3.BCnland Entstehung von Grünland] näher beschrieben. <br /><br />
<br />
Die nachfolgende Abbildung gibt eine schematische Übersicht der verschiedenen Lebensraumqualitäten bei Mahd respektive bei Beweidung (Briemle et al. 2014). Hierbei ist zu beachten, dass auch eine sehr kleinteilige Mahd die entsprechenden Merkmale der Weide annähern kann und auch in Mähwiesen Strukturvielfalt hergestellt werden kann.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = konold briemle de.png<br />
| text = Teilaspekte der Lebensraumqualität unter Mahd und extensiver Beweidung. Quelle: Briemle et al., 2014: Wiesen und Weiden. Kapitel XI-2.8 in Konold, 1999. Handbuch Naturschutz und Landschaftspflege: Kompendium zu Schutz und Entwicklung von Lebensräumen und Landschaften. Wiley-VCH, Weinheim.<br />
}}<br />
<br />
'''Weitere Informationen'''<br />
* Im Bericht „Empfehlungen NHG-Weideverträge" (Martin et al. 2018) werden die wichtigsten Empfehlungen zur Beweidung sowie Beweidungsoptimierung beschrieben, des Weiteren sind die Vorgaben für [https://infohabitat.ch/wp-content/uploads/2019/01/Empfehlungen-NHG-Weidevertrage_180731.pdf BFF-Weiden und die DZV-Vorgaben für Sömmerungsweiden allgemein zusammengefasst].<br />
* Der [https://docplayer.org/24956821-Themenbericht-extensive-weiden.html Themenbericht „Extensive Weiden“ (Schmid 2003)] erläutert praxisnah die ökologische Wirkung der Beweidung, charakterisiert verschiedene Weide-Tierarten (Rindvieh, Pferde, Schafe, Ziegen, Weitere), gibt Auskunft zur Eignung verschiedener Bewirtschaftungsformen und Weidesysteme, zur Eignung und zum Management einer Beweidung in verschiedenen Lebensräumen.<br />
<br />
=Pflanzen und Tiere des Grünlands=<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = Magerwiese Fettwiese.png<br />
| text = "Top und Flop" der Biodiversität: Artenreiche und farbenfrohe Magerwiese und monotone Fettwiese.<br />
}}<br />
<br />
Die Bandbreite zwischen artenreichem und artenarmem Grünland ist riesig. Generell gehört das Grünland mit bis zu 80 Pflanzenarten pro Quadratmeter potenziell zu den artenreichsten Lebensräumen Europas und bildet für viele Pflanzen- und Tierarten das Haupthabitat. Artenreich sind die extensiv genutzten Grünlandlebensräume: mehr als 900 Tier- und Pflanzenarten der Schweiz sind beispielsweise auf die Trockenwiesen und -weiden (TWW) angewiesen und fast die Hälfte dieser Arten ist gefährdet. Am anderen Ende des Spektrums bietet das Intensivgrünland hingegen für die meisten Tier- und Pflanzengruppen keinerlei Lebensraum mehr. Auf landschaftlicher Ebene betrachtet, spielt das Vorhandensein und die Verteilung verschieden genutzter Grünlandlebensräume eine Rolle, ob das Grünland einer Region insgesamt eine hohe Artenvielfalt aufweist oder nicht.<br />
Viele Tierarten und -gruppen sind nicht an bestimmte Vegetationstypen gebunden, sondern benötigen i.d.R. ein Nebeneinander verschiedener Habitatstrukturen (Schmidt 2007). Merkmale für die Habitatbindung können die Strukturierung, die Vernetzung, die Flächengrösse oder die räumliche und zeitliche Dynamik eines Lebensraumes sein. Die ökologischen Grundlagen sind in den Artikeln zu den jeweiligen Artengruppen ausgeführt ([https://www.biodivers.ch/de/index.php/Tagfalter Tagfalter], [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Wildbienen Wildbienen], [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Heuschrecken Heuschrecken]). Tagfalter und Heuschrecken sind Artengruppen mit einem hohen Verbreitungsschwerpunkt in Wiesen und Weiden: unter den Tagfaltern können sich 85%, unter den Heuschrecken 80% der in der Schweiz vorkommenden Arten im Grasland entwickeln. Für beide Artengruppen ist von Bedeutung, dass die extensiven Graslandflächen möglichst gross und miteinander vernetzt sind. Zu kleine Habitatflächen sowie die zunehmende Isolation durch grössere Distanzen zwischen den Flächen wirken sich nachteilig auf die Populationsgrössen von Arten und ihre Überlebensfähigkeit aus. Artenreiches Grünland bietet ausserdem für wiesenbrütende Vogelarten einen Brut- und/oder Nahrungslebensraum.<br />
<br />
In verschiedenen Datenbanken lassen sich die Artvorkommen nach Lebensräumen abfragen:<br />
* Die [https://www.agroscope.admin.ch/agroscope/de/home/themen/umwelt-ressourcen/biodiversitaet-landschaft/biodiversitaetsindikatoren/oeko-fauna-datenbank-auen.html Öko-Fauna-Datenbank] enthält ökologische Informationen zu Arten aus elf verschiedenen Tiergruppen und Angaben zum Trockenwiesen-Kennarten-Status.<br />
* Umweltziele Landwirtschaft (UZL): In der Liste der [https://www.agroscope.admin.ch/agroscope/de/home/themen/umwelt-ressourcen/biodiversitaet-landschaft/oekologischer-ausgleich/umweltziele-landwirtschaft.html UZL-Arten] ist ebenfalls das Vorkommen in Lebensraumtypen (Extensivwiese, Extensivweide) erfasst. <br />
* Die [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Allgemeine_Informationen#Arten Flora indicativa] umfasst ökologische und biologische Eigenschaften von rund 5500 Gefässpflanzen-, 600 Moos- und 200 Flechtenarten der Flora der Schweiz und der Alpen. Die zugehörige [https://www.wsl.ch/floraindicativa/index_DE Datenbank] ermöglicht ebenfalls Abfragen zu den Lebensräumen.<br />
* Die [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Allgemeine_Informationen#Arten Fauna indicativa] erfasst ökologische Präferenzen und biologische Eigenschaften aller in der Schweiz einheimischer Libellen-, Heuschrecken-, Laufkäfer- und Tagfalterarten.<br />
* [https://www.infoflora.ch/de/lebensraeume/phytosuisse.html Klassifikation Phytosuisse]: das Nachschlagewerk mit Kurzbeschrieb zu jeder Pflanzengesellschaft (und Klassifikation nach Delarze et al.) befindet sich noch im Aufbau. Unter den Grünlandlebensraumtypen sind erst Angaben zur Gesellschaft «IV – Gebirgsrasen und Schneetälchen» aufgeschaltet.<br />
* Für die Mähwiesen im Kt. Luzern geben Schmid et al. (2007) Kenn- und Leitarten der Flora und Fauna für verschiedene Wiesentypen an. Für die Lebensräume des Kantons Luzern wurden [https://lawa.lu.ch/Natur/arten/grundlagen/leitarten Leitarten] bezeichnet. <br />
* Im Schlussbericht zum Nationalen ökologischen Netzwerk REN wurden Zeigerarten-Gilden für verschiedene Lebensraumgruppierungen definiert (Berthoud et al. 2004).<br />
* Für das gedüngte Grünland weist der [http://www.agraroekologie.ch/SchluesselGeduengteNaturwiesen.xls Vegetationsschlüssel] Leit- und Charakterarten auf (Bosshard 2016).<br />
* Zahlreiche nützliche Angaben zu Artvorkommen und Negativarten bieten der Kartierbericht sowie die Vollzugshilfe TWW sowie weitere Grundlagen TWW von [https://infohabitat.ch/trockenwiesen-und-weiden/ infohabitat].<br />
<br />
= Weitere Kapitel zum Grünland=<br />
* [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland Einleitung und Zusammenfassung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung Erhalt und Aufwertung durch optimierte Bewirtschaftung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat Aufwertung und Neuschaffung durch Direktbegrünung und Ansaat]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen Grundlagen]<br />
<!--* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisbeispiele Praxisbeispiele]--><br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || [https://www.faunatur.ch/portr%C3%A4t/ Karin Loeffel]|| [https://www.faunatur.ch/ faunatur]<br />
|-<br />
| Review|| Andreas Bosshard || [http://www.agraroekologie.ch/ueber-uns/team/ Ö+L GmbH] <br />
|-<br />
| || Jean-Yves Humbert || [https://www.cb.iee.unibe.ch/about_us/pd_dr_humbert_jean_yves/index_eng.html Universität Bern, Conservation Biology]<br />
|-<br />
| || Heiri Schiess || <br />
|-<br />
| || André Stapfer || <br />
|-<br />
| || Markus Staub || [https://www.poel.ch/ Projekte Ökologie Landwirtschaft] <br />
|-<br />
| || Gaby Volkart || [http://www.ateliernature.ch/atena/francais.php atena]<br />
|-<br />
|}<br />
<br /></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie&diff=4707
Grünland/Praxisrelevante Ökologie
2023-03-05T09:24:02Z
<p>VB2: </p>
<hr />
<div>[[fr:Milieux prairiaux/Ecologie utile pour la pratique]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Halbtrockenrasen as 96 dpi.jpg<br />
| text = Die blüten- und blumenreichen Halbtrockenrasen sind stark zurückgegangen und sollen deshalb, wie viele weitere Grünland Lebensräume, gefördert werden.<br />
}}<br />
<br />
=Lebensräume des Grünlands=<br />
Auf die Entstehungsgeschichte und die Entwicklungen des Grünlandes wird im [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen#Entstehung_von_Gr.C3.BCnland "Entstehung von Grünland"] näher eingegangen. Im vorliegenden Artikel wird für die ungedüngten sowie die nicht-anthropogenen Lebensraumtypen des Grünlands die Klassifikation von Delarze et al. (2015) <ref>Delarze, Raymond; Gonseth, Yves; Eggenberg, Stefan; Vust, Mathias (2015): Lebensräume der Schweiz. Ökologie - Gefährdung - Kennarten. 3., vollst. überarb. Aufl. Bern: Ott.</ref> übernommen. Das gedüngte Grünland (Fettwiesen und -weiden) wird gemäss Bosshard (2016) <ref>Bosshard, Andreas (2016): Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas. Mit besonderer Berücksichtigung der Fromentalwiesen und des standortgemässen Futterbaus. Bern: Haupt Verlag (Bristol-Schriftenreihe, Band 50)</ref> eingeteilt. Feuchtgebiete, Moore, Waldlichtungen, Ruderalflächen und Pionierfluren werden in separaten Artikeln auf dieser Webseite abgedeckt. Nicht behandelt werden die Grasbrachen. Da es sich oft um Ruderalgesellschaften handelt, werden sie allenfalls zu einem späteren Zeitpunkt in einem entsprechenden Artikel aufgenommen.<br />
<br />
Untenstehende Tabelle (nach Delarze et al. 2015) zeigt, welche Lebensräume des Bereichs „Grünland“ nach unserer Einschätzung einen Förderbedarf (siehe Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung "Erhalt und Aufwertung durch optimierte Bewirtschaftung"]) (ja/nein) aufweisen. Hergeleitet wurde diese Einschätzung aus den Angaben zum „Zustand in der Schweiz“ und der Förderbarkeit (anthropogene Schaffung möglich). Mit P = Primärlebensraum sind Lebensraumtypen gekennzeichnet, welche nicht auf einen anthropogenen Einfluss angewiesen sind bzw. mit (P), wenn oberhalb der Waldgrenze i.d.R. keine menschliche Nutzung für das Vorkommen der Lebensraumtypen notwendig ist (Quelle: Delarze et al. 2015). Gefährdungsgrad (G): LC = nicht gefährdet, NT = potenziell gefährdet, VU = verletzlich, EN = stark gefährdet. Regenerationsdauer (R): R2 = 5-10 Jahre, R3 = 10-25 Jahre, R4 = 25-50 Jahre, R5 = 50-200 Jahre (Quelle: Delarze et al. 2015). Für Fettwiesen und -weiden (Nr. 4.5, gekennzeichnet mit *) wird im Artikel die Einteilung nach Bosshard (2016) übernommen. k.A. = keine Angaben.<br />
<br />
{| class="wikitable"<br />
! Nr.<br />
! Bezeichnung<br />
! Förderbedarf<br />
! Gefährdung<br />
! Regenerationsdauer<br />
|-<br />
| 4<br />
| Grünland (Naturrasen, Wiesen und Weiden)<br />
| <br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.0<br />
| Kunstrasen<br />
| <br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.0.1<br />
| Kunstwiese auf Fruchtfolgeflächen<br />
| nein<br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.0.2<br />
| Kunstrasen auf Sportplätzen, im Siedlungsraum etc.<br />
| nein<br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.0.3<br />
| Begrünung in Tieflagen (Strassenböschungen etc.)<br />
| nein<br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.0.4<br />
| Begrünung in Hochlagen (Skipisten etc.)<br />
| nein<br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.1<br />
| Pionierfluren auf Felsböden (Felsgrusfluren)<br />
| <br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.1.1<br />
| Wärmeliebende Kalkfels-Pionierflur ''Alysso-Sedion''<br />
| ja, P<br />
| NT<br />
| R4<br />
|-<br />
| 4.1.2<br />
| Kalkfels-Pionierflur des Gebirges (Karstfluren) ''Drabo-Seslerion''<br />
| nein, P<br />
| LC<br />
| R4<br />
|-<br />
| 4.1.3<br />
| Wärmeliebende Silikatfels-Pionierflur ''Sedo-Veronicion''<br />
| ja, P<br />
| VU<br />
| R4<br />
|-<br />
| 4.1.4<br />
| Silikatfelsgrusflur des Gebirges ''Sedo-Scleranthion''<br />
| nein, P<br />
| NT<br />
| R4<br />
|-<br />
| 4.2<br />
| Wärmeliebende Trockenrasen<br />
| <br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.2.1<br />
| Wärmeliebende Trockenrasen (Kontinentaler Trockenrasen, Innerwallis, Graubünden). ''Stipo-Poion'' und ''Cirsio-Brachypodion''<br />
| ja<br />
| VU<br />
| R4<br />
|-<br />
| 4.2.2<br />
| Mitteleuropäische Trockenrasen ''Xerobromion''<br />
| ja<br />
| VU<br />
| R4<br />
|-<br />
| 4.2.3<br />
| Insubrischer Trockenrasen ''Diplachnion''<br />
| (ja)<br />
| EN<br />
| R4<br />
|-<br />
| 4.2.4<br />
| Mitteleuropäischer Halbtrockenrasen ''Mesobromion''<br />
| ja<br />
| VU<br />
| R3<br />
|-<br />
| 4.3<br />
| Gebirgs-Magerrasen<br />
| <br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.3.1<br />
| Blaugrashalde ''Seslerion''<br />
| z.T., (P)<br />
| NT<br />
| R3<br />
|-<br />
| 4.3.2<br />
| Polsterseggenrasen ''Caricion firmae''<br />
| nein, P<br />
| LC<br />
| R5<br />
|-<br />
| 4.3.3<br />
| Rostseggenhalde ''Caricion ferrugineae''<br />
| ja, (P)<br />
| NT<br />
| R3<br />
|-<br />
| 4.3.4<br />
| Windkantenrasen (Nacktriedrasen) ''Elynion''<br />
| nein, P<br />
| LC<br />
| R5<br />
|-<br />
| 4.3.5<br />
| Borstgrasrasen ''Nardion''<br />
| ja, (P)<br />
| LC<br />
| R3<br />
|-<br />
| 4.3.6<br />
| Buntschwingelhalde ''Festucion variae''<br />
| ja, (P)<br />
| NT<br />
| R4<br />
|-<br />
| 4.3.7<br />
| Krummseggenrasen ''Caricion curvulae''<br />
| nein, P<br />
| LC<br />
| R5<br />
|-<br />
| 4.4<br />
| Schneetälchen<br />
| <br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.4.1<br />
| Kalkreiches Schneetälchen ''Arabidion caerulae''<br />
| nein, P<br />
| LC<br />
| R4<br />
|-<br />
| 4.4.2<br />
| Kalkarmes Schneetälchen ''Salicion herbaceae''<br />
| nein, P<br />
| LC<br />
| R4<br />
|-<br />
| 4.5*<br />
| Fettwiesen und -weiden<br />
| <br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.5.1*<br />
| Talfettwiesen (Fromentalwiese) ''Arrhenatherion''<br />
| ja<br />
| LC bis VU<br />
| R2<br />
|-<br />
| 4.5.2*<br />
| Bergfettwiese (Goldhaferwiese) ''Polygono-Trisetion''<br />
| ja<br />
| LC<br />
| R3<br />
|-<br />
| 4.5.3*<br />
| Talfettweide (Kammgrasweide) ''Cynosurion''<br />
| <br />
| LC<br />
| R2<br />
|-<br />
| 4.5.4*<br />
| Bergfettweide (Milchkrautweide) ''Poion alpinae''<br />
| <br />
| LC<br />
| R2<br />
|-<br />
| 4.6<br />
| Grasbrachen<br />
| <br />
| <br />
| <br />
|-<br />
| 4.6.1<br />
| Queckenbrache ''Convolvulo-Agropyrion''<br />
| (ja)<br />
| VU<br />
| R2<br />
|-<br />
| 4.6.2<br />
| Fiederzwenckenbrache<br />
| k.A.<br />
| k.A.<br />
| k.A.<br />
|-<br />
| 4.6.3<br />
| Fromentalbrache<br />
| k.A.<br />
| k.A.<br />
| k.A.<br />
|-<br />
| 4.6.4<br />
| Pfeifengrasbrache<br />
| k.A.<br />
| k.A.<br />
| k.A.<br />
|-<br />
| 4.6.5<br />
| Reitgrasbrache<br />
| k.A.<br />
| k.A.<br />
| k.A.<br />
|}<br />
<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = bosshard Wieslandtypen geduengt de.png<br />
| text = Einteilung des gedüngten Grünlands (Fettwiesen und -weiden). <br/> ° Zahl entspricht gleichzeitig der üblichen Anzahl Nutzungen pro Jahr (+/–1). <br/> Quelle: Bosshard, A., 2016. Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas. Mit besonderer Berücksichtigung der Fromentalwiesen und des standortgemässen Futterbaus, Bristol-Schriftenreihe Band 50. Haupt Verlag, Bern. © Andreas Bosshard<br />
}}<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
Im Buch „Lebensräume der Schweiz“ (Delarze et al. 2015) sind die Lebensraumgruppen mit Aussehen und Strukturmerkmalen, biologischen Merkmalen und ökologischen Faktoren beschrieben. Faktenblätter charakterisieren die einzelnen Lebensraumtypen hinsichtlich Aussehens und Ökologie, Beziehung zum Menschen, Ansprache und Abgrenzung, Klassifikation, Kennarten, biologische Werte, ökologische Ansprüche und Gefährdungen und Angaben zur Verbreitung.<br />
Im Buch „Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas“ (Bosshard 2016) wird in Kapitel 5 die Typologie der Wiesen hergeleitet und eine neue Gliederung für das gedüngte Wiesland vorgeschlagen und erläutert.<br />
Die Webseite zu den [https://www.infoflora.ch/de/lebensraeume/typoch/klassifikation.html Lebensräumen der Schweiz (TypoCH)] macht Angaben zu dominanten Arten, Charakterarten und weniger strikt an den Lebensraum gebundenen Arten.<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = Wiesentypen.png<br />
| text = Ausgewählte Wiesentypen (von oben links): Halbtrockenrasen, Bergfettwiese, Trockenrasen, Polsterseggenrasen.<br />
}}<br />
<br />
=Prägende Faktoren =<br />
Welche Pflanzen und Tiere in einem Lebensraum vorkommen, ist einerseits abhängig von standörtlichen Faktoren und ökologischen Wechselwirkungen, andererseits ist die Ausprägung der Lebensräume (ausser bei den Primärlebensräumen) im Grünland stark abhängig von der menschlichen Nutzung. Je nach aktueller und historischer Bewirtschaftungsform fällt sie unterschiedlich aus. Die theoretischen Grundlagen vom Zusammenhang der Standortfaktoren Boden, klimatische Bedingungen, Wasser- und Nährstoffhaushalt mit der Vegetation sind im [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Pflanzen Artikel zu den Gefässpflanzen] näher ausgeführt.<br />
Historisch betrachtet ist ein Grossteil der mitteleuropäischen Wiesen aus extensiv genutztem Weideland hervorgegangen. Auf Nicht-Ackerland wurde eine [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Kombination_von_Mahd_und_Beweidung.2C_Fr.C3.BChjahrsvorweide Frühjahrsvorweide] durchgeführt und der nachfolgende Aufwuchs entsprechend erst später im Jahr gemäht. Damit fand eine systemimmanente Aushagerung statt und über eine lange Zeitperiode hinweg war die Nährstoffsituation der die Nutzung limitierende Faktor. Im Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen#Entstehung_von_Gr.C3.BCnland "Entstehung von Grünland"] wird näher auf die historische Entwicklung eingegangen.<br />
Im Lauf der Jahrhunderte haben sich verschiedene Tierarten (wiesenbrütende Vögel, bestimmte Tagfalter) hinsichtlich ihrer Reproduktion optimal in die Bewirtschaftungssysteme der alten Dreizelgenwirtschaft eingepasst. Pflanzen entwickelten genetisch bestimmte Eigenschaften und passten sich an lokale Standort- und Nutzungsbedingungen an: es wurden sogenannte Ökotypen hinsichtlich Blühzeitpunkt, Weide- und Mahd Verträglichkeit, Trockenheitstoleranz etc. ausgebildet.<br />
<br />
Unter den die Vegetationszusammensetzung bestimmenden abiotischen Faktoren sind Bodenzusammensetzung, hydrologische und klimatische Bedingungen prägend. Witterungsextreme wie Sommerdürre, harte, schneearme Winter oder auch starke Frühjahrsfröste wirken sich ebenfalls stark aus: langanhaltende Trockenperioden können zum Absterben und damit zu einer lückigeren Vegetationsdecke mit Offenbodenstellen führen, welche die erfolgreiche Vermehrung über Samen vieler Arten fördern. Des Weiteren bestimmen auch biotische Faktoren die Vegetationszusammensetzung: viele Arten können jahrelang auf einer Fläche in der Samenbank überdauern, ohne oberirdisch in Erscheinung zu treten. Wiesenpflanzen und Habitat Spezialisten von Trockenwiesen und -weiden (TWW) haben jedoch im Vergleich zu weniger spezialisierten Arten tendenziell eher kurzlebige Samen mit einer Keimfähigkeit von 1-3 Jahren (Guntern et al. 2013).<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = bosshard einflussfaktoren de.png<br />
| text = Bosshard (2016) stellt die wesentlichen prägenden abiotischen und biotischen Einflussfaktoren sowie den Einfluss der Bewirtschaftung zur Entstehung und Entwicklung von Wiesland in einer übersichtlichen Grafik dar. <br/> Quelle: Bosshard, A., 2016. Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas. Mit besonderer Berücksichtigung der Fromentalwiesen und des standortgemässen Futterbaus, Bristol-Schriftenreihe Band 50. Haupt Verlag, Bern. © Andreas Bosshard<br />
}}<br />
<br />
=Auswirkungen der Bewirtschaftung=<br />
Art und Intensität der Bewirtschaftung beeinflussen die Artenvielfalt im Grünland stark. Je nach Nutzung und Düngung entstehen Synergien oder Zielkonflikte hinsichtlich Biodiversität: sowohl eine zu intensive als auch eine zu extensive bzw. ausbleibende Nutzung beeinträchtigen die Biodiversität. Profitieren viele Pflanzenarten von der mit der Nutzung (Schnitt, Beweidung) einhergehenden Lichtverfügbarkeit, so wirkt sich eine zunehmende Schnitthäufigkeit negativ aus, indem nur noch wenige Pflanzenarten mit einem häufigen Schnitt umgehen können. Eine hohe floristische und faunistische Vielfalt korreliert in mittleren Lagen mit der Nährstoffarmut von Grünlandlebensräumen (Roth et al. 2013, Schlup et al. 2013).<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = bosshard nutzungsintensitaet de.png<br />
| text = Bosshard (2016) veranschaulicht das Ertragspotenzial von Wiesland in Abhängigkeit von der Nutzungsintensität und der Höhenlage. Quelle: Bosshard, A., 2016. Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas. Mit besonderer Berücksichtigung der Fromentalwiesen und des standortgemässen Futterbaus, Bristol-Schriftenreihe Band 50. Haupt Verlag, Bern. © Andreas Bosshard<br />
}}<br />
<br />
<br />
Nicht nur die intensive Nutzung ist aus Biodiversitätssicht problematisch, sondern auch ein Ausbleiben der Nutzung in Grünlandlebensräumen, welche auf anthropogene Eingriffe für den Fortbestand angewiesen sind. Bleibt die Nutzung aus oder ist sie nicht adäquat, so schreitet die Sukzession mehr oder weniger rasch voran (siehe Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen#Sukzession_und_Bedeutung_des_Gr.C3.BCnlands "Sukzession und Bedeutung des Grünlands"]). Bei falscher oder zu wenig häufiger Nutzung verfilzt die Vegetationsdecke, der Bestand geht zu hoch in den Winter, wodurch weniger Licht auf den Boden gelangt und die Keimung im Frühjahr negativ beeinträchtigt wird. Entsprechend verändert sich die Vegetationszusammensetzung; lichtbedürftigere Arten nehmen ab. Bleibt die Nutzung gänzlich aus, verbuscht und verwaldet ehemals genutztes Grünland unterhalb der alpinen Stufe (ausser Primärlebensräume). Bei diesem Prozess der Verbrachung beginnen Gräser, hochwüchsige Arten und Arten mit hohem Speichervermögen oder unterirdischen Ausläufern zuzunehmen. Die Verwaldung wird bei lückenhaften Beständen, auf produktiven Standorten, beim Vorhandensein von Gehölzen in der Fläche oder angrenzend sowie bei Vorkommen von Gehölzen mit Ausläufern oder leichtfrüchtigen, lichtverträglichen Samen (Bsp. Birken, Pappeln) beschleunigt (Dipner & Volkart 2010).<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Anthyllis Bromus.png<br />
| text = Generell sind Pflanzen mit bodenblattarmen Wuchsformen wie die meisten Gräser (abgebildet ist die Aufrechte Trespe (''Bromus erectus'') häufig schnittempfindlich, wogegen Rosettenpflanzen wie der Wundklee (''Anthyllis vulneraria'') schnitttoleranter sind.<br />
}}<br />
<br />
==Auswirkungen der Mahd auf Flora und Fauna==<br />
Bei Mähwiesen beeinflussen die folgenden Bewirtschaftungsfaktoren die Artenvielfalt (in Abhängigkeit von der Pflanzengesellschaft und der Wüchsigkeit): Nutzungszeitpunkte, Nutzungshäufigkeit und v.a. für die Fauna zusätzlich relevant ist die Art der verwendeten Maschinen und Gerätschaften. Generell sind [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Pflanzen#Lebensformen Pflanzenarten mit bodenblattarmen Wuchsformen meist schnittempfindlich, wogegen Rosettenpflanzen eher profitieren]; auch kleinwüchsige und konkurrenzschwache Arten sind in nährstoffreicherem Wiesland unterhalb der Baumgrenze auf regelmässige Mahd oder Beweidung angewiesen (Dullau et al. 2012). Auf halbtrockenen bis feuchten Böden gelangt im genutzten Grünland die Wuchsform der Hemikryptophyten zur Dominanz. Werden die Bodenverhältnisse trockener, können sich in den Lücken zwischen diesen Horsten und Rosetten kleine Zwergsträucher und einjährige Frühblüher ansiedeln. Auch Zwiebel- und Knollenpflanzen gelingt es bei trockenen und mageren Verhältnissen, sich zu behaupten. Die spezielle Morphologie und Physiologie der Gräser lässt sie im mitteleuropäischen Grünland, welches durch seine regelmässige Störung (Mahd und Frass) gekennzeichnet ist, dominieren: Gräser sind ausgesprochen erneuerungsfähig und besitzen zahllose Erneuerungspunkte in Form von Schossen, Verzweigungen, Ausläufern oder Rhizomen. Ihre Samen keimen leicht und rasch und nach der Keimung gelangen die Gräser rasch wieder zur Blüte und Fruchtbildung (Eggenberg et al. 2001).<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = graeser als ideale pflanzen des gruenlandes de.png<br />
| text = Gräser als ideale Pflanzen des Grünlandes. Quelle: Eggenberg, S., Dalang, T., Dipner, M., Mayer, C., 2001: Kartierung und Bewertung der Trockenwiesen und -weiden von nationaler Bedeutung. Technischer Bericht. Schriftenreihe Umwelt Nr. 325. Hrsg.: Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL), Bern. 252 S.<br />
}}<br />
<br />
In Bezug auf die Auswirkungen der Mahd auf die Fauna wird zwischen direkten (durch den Mahd- und Ernteprozess verursachte Schädigungen der Fauna) und den indirekten (durch die Mahd verursachte Veränderungen des Lebensraumes) Wirkungen unterschieden. Durch die Mäh-, Ernte- und Aufbereitungsgeräte (Mähwerke, Futteraufbereiter, Zetter etc.) werden viele Klein- und Jungtiere bei der Bewirtschaftung verletzt oder getötet. Dieselbe Gefahr geht vom wiederkehrenden Befahren der Flächen mit den Maschinen (schwerere Geräte mit breiterer Bereifung) aus. Die direkt durch die Mahd verursachte Sterblichkeit steigt bei den einzelnen Tierarten mit der Körpergrösse und -empfindlichkeit und sinkt mit zunehmender Mobilität; des Weiteren ist das Ausmass der Verluste abhängig vom Fluchtverhalten und –vermögen, dem Aufenthaltsort zum Eingriffszeitpunkt sowie der Art und den Einstellungen des Mähwerks. Indirekt werden die Kleintiere durch Nahrungsmangel, fehlende Deckung, fehlende Nischen für Fortpflanzung oder Schlafplatz, Zerstörung von Strukturen (bspw. Spinnennetze, Ameisenhaufen) und den Verlust von Mikrohabitaten geschädigt. Jedoch weist eine gemähte Fläche für Arthropoden und gewisse Vögel günstigere thermische und physische Bedingungen (z.B. für die Eiablage und Larval Entwicklung oder einfacheren Zugang zu Futter) auf, was auf längere Sicht einen positiven Effekt auf eine Population haben kann (Braschler et al. 2009). Auch Käfer scheinen vergleichsweise robust auf Schnittregimes zu reagieren, im Gegensatz zu Wanzen, Tagfaltern und Spinnen, auf welche die Mahd einen drastischen negativen Einfluss auf Abundanz und Artenreichtum hat (Humbert 2010).<br />
Beim Abtransport des Mahdguts wird wiederum ein Teil der tierischen Biomasse mitentfernt, wobei die Silage zu deutlich höheren Vernichtungsraten führt als Heuen und Emden. <br />
Die Mahd ist ein notwendiger Eingriff zur Offenhaltung, trägt zu einer vielfältigeren Flora bei und schafft Lebensraum für eine reiche Fauna. Die obengenannten direkten und indirekten Auswirkungen stellen für viele Tierarten jedoch einen gravierenden Eingriff dar und mit zunehmender Schnittfrequenz nimmt die Artenzahl deutlich ab. Arten, welche mehr Generationen pro Jahr haben, sind gegenüber Schnitt weniger empfindlich, als solche mit nur einer Generation, da sie zwischen zwei Schnitten eher einen ganzen Entwicklungszyklus durchlaufen können (Walter et al. 2007). <br />
Wie die Mahd- und Ernteschritte biodiversitätsfreundlich ausgestaltet werden können, wird in Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimale_Mahdnutzung Erhalt und Aufwertung durch optimale Mahdnutzung] ausgeführt.<br />
<br />
==Auswirkungen des Schnittzeitpunktes auf Flora und Fauna==<br />
Der Nutzungszeitpunkt hat einen wesentlichen Einfluss auf die Menge und Qualität des Schnittgutes sowie auf die Zusammensetzung des Pflanzenbestandes. Die meisten Wiesenpflanzen sind in ihrer Phänologie sehr gut an die traditionellen Mahdtermine angepasst, tolerieren einen ersten Schnitt im Juni und kommen regelmässig zur Blüte und auch zur Fruchtreife; es sind dies Arten mit vegetativer Vermehrungsmöglichkeit oder solche, die im zweiten Aufwuchs blühen und Samen produzieren können. Die aktuell üblichen Schnitttermine in Biodiversitätsförderflächen sind der [[Media:Agridea 2023 Biodiversitaetsfoerderung Wegleitung 1200dpi.pdf|Agridea-Broschüre «Biodiversitätsförderung auf dem Landwirtschaftsbetrieb – Wegleitung» (Agridea 2023)]] zu entnehmen. Eine sehr frühzeitige Mahd oder zu häufige Nutzung kann die Regenerationsfähigkeit von Wiesenpflanzen überfordern, was sich meist erst nach einigen Jahren zeigt.<br />
Neben dem Schnittzeitpunkt beeinflusst auch das Nutzungsintervall, ob und welche Arten sich erfolgreich vermehren können: wenn nach der ersten Nutzung die zweite Nutzung frühestens sechs bis acht Wochen später erfolgt, können viele Arten einer zweischürigen Wiese noch zur Fruchtreife gelangen. Wird hingegen der Abstand zwischen den beiden Mahdterminen um zwei oder mehr Wochen verkürzt, kommen innerhalb eines Jahres nur noch ca. die Hälfte der Arten zur Fruchtreife (Poschlod 2011).<br />
Erfolgt die erste Mahd erst nach der Ausbildung reifer Früchte (Samen), gelangen die meisten Arten nicht nochmals ins Blüh- und Fruchtstadium – daher können sich spät gemähte Wiesen langfristig im Hochsommer genauso blütenarm wie Grünlandbrachen präsentieren (in Abhängigkeit von der Vegetationszusammensetzung und den Temperaturbedingungen am entsprechenden Standort). Späte Schnitttermine in nährstoffärmeren Wiesen führen häufig zur einseitigen Vergrasung mit Obergräsern und der Keimhorizont wird lichtärmer, wodurch niedrigwüchsige, konkurrenzschwache Arten verdrängt werden. Für die längerfristige Bestandesentwicklung sind die Veränderungen im ersten Aufwuchs entscheidend. Eine nährstoffreiche Wiese, welche spät, wenig oder gar nicht genutzt wird, hat die Tendenz zur Verunkrautung (Schmid et al. 2007).<br />
Auch für die Fauna entscheiden die Nutzungszeitpunkte darüber, ob die Fortpflanzungszyklen abgeschlossen werden können (Buri et al. 2013, 2014). Die Habitatansprüche und somit auch die Ansprüche an die Mahdzeitpunkte mit erfolgreicher Reproduktionsmöglichkeit sind für jede Art oder Artengruppe wie auch bei den Pflanzen unterschiedlich. So ist für viele Wiesenbrüter ein Sommerschnitt nach der Schlüpfzeit der Jungen vorteilhaft, hingegen werden Spinnen dadurch mehr dezimiert als bei einem Frühjahrs- oder Herbstschnitt. Für Tagfalter und Widderchen führt Poschlod (2011) Ergebnisse aus verschiedenen Studien bezüglich der optimalen Schnittzeitpunkte zusammen. Zwischen zwei Nutzungszeitpunkten sollten aus faunistischer Sicht zehn Wochen Abstand liegen (Walter et al. 2007). Das Vorkommen möglichst verschiedener Nutzungen und Nutzungstermine in einem Gebiet wirkt sich positiv auf die Fortpflanzung vieler Arten und damit die Biodiversität aus.<br />
<br />
<br/><br />
<table border="0", style="font-size:108%"> <br />
<tr> <br />
<td> '''Praxisbeispiel: Auswirkungen verschiedener Schnittverfahren auf die Vegetation von ungedüngten Fromental- und Magerwiesen''' <br /> Agrofutura hat in einem mehrjährigen Versuch verschiedene Schnittregimes auf einer Fromentalwiese und auf einer zweischürigen Magerwiese angewandt. Dabei wurden die Heuschnittzeitpunkte (25.5. / 15.6. / 15.7.) und auf der Magerwiese der Emdschnittzeitpunkt variiert (kein Emdschnitt, frühes Emd Mitte August, spätes Emd Mitte September). Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass beide Wiesentypen gegenüber den Veränderungen des Schnittzeitpunktes sehr resilient sind und auf Vegetationsniveau bisher kaum Veränderungen festgestellt wurden. Allerdings profitierten tendenziell einige spätblühende, grosse Kräuter sowie hochwachsende Gräser von einem späten Schnitt Mitte Juli. Die Emdschnittverfahren führten dagegen im Unterschied zu den Heuschnittverfahren zu klaren Änderungen in der Vegetation: von einem Auslassen des Emdschnitts profitierten v.a. die grosswüchsigen Gräser (''Bromus erectus'', ''Arrhenatherum elatius'') auf Kosten der kleinen Kräuter und der Leguminosen. Das Auslassen des zweiten Schnitts führte also zu einer Vergrasung der Wiese. Ein später Emdschnitt Mitte September führte zur gegenteiligen Entwicklung; eine Vergrasung des Bestandes und die Abnahme der Kräuter wird damit verhindert, kleine Gräser und Seggen sowie Leguminosen nahmen zu. Deutlich war auch der Unterschied zwischen Emdschnittzeitpunkt Mitte August oder Mitte September: je höher die Vegetation im Herbst (also je früher der Emdschnittzeitpunkt liegt), desto weniger Licht erreicht im Frühling den Boden. Geht ein Bestand zu hoch in den Winter, bildet sich ein Grasfilz, der im Frühjahr sehr wenig Licht auf den Boden lässt und die Kräuter am Keimen und Wachsen hindert. Zweischürige Magerwiesen könnten demnach mit einem späten Emdschnitt aufgewertet und das Blütenangebot deutlich erhöht werden – zurzeit ist noch unklar, ob sich die Erkenntnisse auch auf nährstoffreichere Wiesen übertragen lassen. Ein später Emdschnitt scheint für Kräuter klar vorteilhaft zu sein, was insbesondere durch die klimatisch bedingte, immer länger werdende Vegetationsperiode von Bedeutung sein kann (Landolt & Lüthy 2018).</td> <br />
</tr> <br />
</table><br />
<br /><br />
<br />
'''Weitere Informationen''' <br /><br />
* Auswirkungen der Mahd auf die Flora sind im [http://gruenlandleitfaden.offenlandinfo.de/management/massnahmen-und-wirkung/mahd/ Grünlandleitfaden] beschrieben. <br />
* Auswirkungen der Mahd auf die Fauna: Van de Poel & Zehm (2014) haben zur Wirkung der Mahd auf die Wiesenfauna eine Literaturauswertung für den Naturschutz vorgenommen. <br />
* Ergebnisse aus verschiedenen Untersuchungen liefern Walter et al. 2007, Humbert et al. 2009, Humbert et al. 2010, Humbert 2010. <br />
* Im Agridea-Merkblatt von Schiess-Bühler et al. (2011) sind die Auswirkungen der Erntetechniken auf die Artenvielfalt in Wiesen zusammengefasst und Empfehlungen aufgeführt.<br />
<br />
==Auswirkungen der Beweidung==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Beweidung mit Ziegen as 96 dpi.jpg<br />
| text = Mit der "richtigen" Beweidung können Lebensräume und Arten aufgewertet und gefördert werden.<br />
}}<br />
<br />
Einen informativen Überblick zu den Auswirkungen einer durch Beweidung auf Boden, Flora und Fauna gibt der [http://gruenlandleitfaden.offenlandinfo.de/management/massnahmen-und-wirkung/beweidung/ Grünlandleitfaden]. <br /><br />
Wie eine Mahd, wirkt auch eine Beweidung selektiv auf ihre jeweilige Artengemeinschaften. Bei einer höheren Nutzungsfrequenz (mittelintensive Weide) wird die Vegetation durch die Beweidung niedriger gehalten und es gelangt mehr Licht in tiefere Vegetationsschichten. In dieselbe Richtung wirkt der Tritt der Herbivoren und ihr selektiver Frass: lokal werden unterschiedliche Nischen und Keimstellen für Pflanzen geschaffen, die offenen Bodenstellen sind für Arthropoden attraktiv und die dauernd stehende Vegetation bietet ihnen Lebensraum und Winterquartiere. Bosshard (2016) führt in Kapitel 2.4.3 die für die Artenvielfalt besonders relevanten Auswirkungen von Mahd im Vergleich zur Beweidung näher aus. Bis zu einem gewissen minimalen Beweidungsdruck gilt, dass die faunistische Artenvielfalt umso höher ist, je geringer die Beweidungsintensität ist. Strukturen wie Gehölze, Steinhaufen, offene Bodenstellen, Wasserlachen, Quellen, Abbruchkanten sind für die Fauna sehr wichtig (Martin et al. 2018). <br /><br />
Eine [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Erhalt_und_Aufwertung_durch_Beweidung extensive Beweidung] fördert die lokale Heterogenität und die aktive Verbreitung von Pflanzen durch die Weidetiere. Für die Flora sind Art und Intensität einer Beweidung nebst den standörtlichen Gegebenheiten entscheidend: auf einer extensiv beweideten Fläche können sich beweidungsresistente Pflanzenarten wie beispielsweise verholzende, intensiv riechende, giftige, behaarte oder dornige Pflanzen gut halten oder werden sogar gefördert. Auf artenreichen, nährstoffarmen Magerwiesen muss jedoch von einer Beweidung abgeraten werden, da tritt- und frassempfindliche, vor allem ein- bis zweijährige Pflanzenarten zu sehr darunter leiden. Alternativ können Teilflächen mit Vorkommen solcher Arten auch ausgezäunt und besonders gepflegt werden. Generell sollten bisher wertvolle Schnittwiesen keinesfalls beweidet werden. Ausschlaggebend für die Biodiversitätsförderung ist eine dem Standort angepasste Weideführung und -pflege. <br /><br />
Auf Mähwiesen ist wichtig, dass der Bestand nicht zu hoch in den Winter geht: dadurch werden Nährstoffe akkumuliert und der sich bildende Grasfilz beeinflusst die Artenvielfalt negativ. Dem kann mit einer Herbstweide entgegengewirkt werden. Die ökologischen Auswirkungen und die Anwendung einer Frühjahrsvorweide (Etzen) werden im Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen#Entstehung_von_Gr.C3.BCnland Entstehung von Grünland] näher beschrieben. <br /><br />
<br />
Die nachfolgende Abbildung gibt eine schematische Übersicht der verschiedenen Lebensraumqualitäten bei Mahd respektive bei Beweidung (Briemle et al. 2014). Hierbei ist zu beachten, dass auch eine sehr kleinteilige Mahd die entsprechenden Merkmale der Weide annähern kann und auch in Mähwiesen Strukturvielfalt hergestellt werden kann.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = konold briemle de.png<br />
| text = Teilaspekte der Lebensraumqualität unter Mahd und extensiver Beweidung. Quelle: Briemle et al., 2014: Wiesen und Weiden. Kapitel XI-2.8 in Konold, 1999. Handbuch Naturschutz und Landschaftspflege: Kompendium zu Schutz und Entwicklung von Lebensräumen und Landschaften. Wiley-VCH, Weinheim.<br />
}}<br />
<br />
'''Weitere Informationen'''<br />
* Im Bericht „Empfehlungen NHG-Weideverträge" (Martin et al. 2018) werden die wichtigsten Empfehlungen zur Beweidung sowie Beweidungsoptimierung beschrieben, des Weiteren sind die Vorgaben für [https://infohabitat.ch/wp-content/uploads/2019/01/Empfehlungen-NHG-Weidevertrage_180731.pdf BFF-Weiden und die DZV-Vorgaben für Sömmerungsweiden allgemein zusammengefasst].<br />
* Der [http://www.poel.ch/pdf/Weidebericht_relais.pdf Themenbericht „Extensive Weiden“ (Schmid 2003)] erläutert praxisnah die ökologische Wirkung der Beweidung, charakterisiert verschiedene Weide-Tierarten (Rindvieh, Pferde, Schafe, Ziegen, Weitere), gibt Auskunft zur Eignung verschiedener Bewirtschaftungsformen und Weidesysteme, zur Eignung und zum Management einer Beweidung in verschiedenen Lebensräumen.<br />
<br />
=Pflanzen und Tiere des Grünlands=<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = Magerwiese Fettwiese.png<br />
| text = "Top und Flop" der Biodiversität: Artenreiche und farbenfrohe Magerwiese und monotone Fettwiese.<br />
}}<br />
<br />
Die Bandbreite zwischen artenreichem und artenarmem Grünland ist riesig. Generell gehört das Grünland mit bis zu 80 Pflanzenarten pro Quadratmeter potenziell zu den artenreichsten Lebensräumen Europas und bildet für viele Pflanzen- und Tierarten das Haupthabitat. Artenreich sind die extensiv genutzten Grünlandlebensräume: mehr als 900 Tier- und Pflanzenarten der Schweiz sind beispielsweise auf die Trockenwiesen und -weiden (TWW) angewiesen und fast die Hälfte dieser Arten ist gefährdet. Am anderen Ende des Spektrums bietet das Intensivgrünland hingegen für die meisten Tier- und Pflanzengruppen keinerlei Lebensraum mehr. Auf landschaftlicher Ebene betrachtet, spielt das Vorhandensein und die Verteilung verschieden genutzter Grünlandlebensräume eine Rolle, ob das Grünland einer Region insgesamt eine hohe Artenvielfalt aufweist oder nicht.<br />
Viele Tierarten und -gruppen sind nicht an bestimmte Vegetationstypen gebunden, sondern benötigen i.d.R. ein Nebeneinander verschiedener Habitatstrukturen (Schmidt 2007). Merkmale für die Habitatbindung können die Strukturierung, die Vernetzung, die Flächengrösse oder die räumliche und zeitliche Dynamik eines Lebensraumes sein. Die ökologischen Grundlagen sind in den Artikeln zu den jeweiligen Artengruppen ausgeführt ([https://www.biodivers.ch/de/index.php/Tagfalter Tagfalter], [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Wildbienen Wildbienen], [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Heuschrecken Heuschrecken]). Tagfalter und Heuschrecken sind Artengruppen mit einem hohen Verbreitungsschwerpunkt in Wiesen und Weiden: unter den Tagfaltern können sich 85%, unter den Heuschrecken 80% der in der Schweiz vorkommenden Arten im Grasland entwickeln. Für beide Artengruppen ist von Bedeutung, dass die extensiven Graslandflächen möglichst gross und miteinander vernetzt sind. Zu kleine Habitatflächen sowie die zunehmende Isolation durch grössere Distanzen zwischen den Flächen wirken sich nachteilig auf die Populationsgrössen von Arten und ihre Überlebensfähigkeit aus. Artenreiches Grünland bietet ausserdem für wiesenbrütende Vogelarten einen Brut- und/oder Nahrungslebensraum.<br />
<br />
In verschiedenen Datenbanken lassen sich die Artvorkommen nach Lebensräumen abfragen:<br />
* Die [https://www.agroscope.admin.ch/agroscope/de/home/themen/umwelt-ressourcen/biodiversitaet-landschaft/biodiversitaetsindikatoren/oeko-fauna-datenbank-auen.html Öko-Fauna-Datenbank] enthält ökologische Informationen zu Arten aus elf verschiedenen Tiergruppen und Angaben zum Trockenwiesen-Kennarten-Status.<br />
* Umweltziele Landwirtschaft (UZL): In der Liste der [https://www.agroscope.admin.ch/agroscope/de/home/themen/umwelt-ressourcen/biodiversitaet-landschaft/oekologischer-ausgleich/umweltziele-landwirtschaft.html UZL-Arten] ist ebenfalls das Vorkommen in Lebensraumtypen (Extensivwiese, Extensivweide) erfasst. <br />
* Die [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Allgemeine_Informationen#Arten Flora indicativa] umfasst ökologische und biologische Eigenschaften von rund 5500 Gefässpflanzen-, 600 Moos- und 200 Flechtenarten der Flora der Schweiz und der Alpen. Die zugehörige [https://www.wsl.ch/floraindicativa/index_DE Datenbank] ermöglicht ebenfalls Abfragen zu den Lebensräumen.<br />
* Die [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Allgemeine_Informationen#Arten Fauna indicativa] erfasst ökologische Präferenzen und biologische Eigenschaften aller in der Schweiz einheimischer Libellen-, Heuschrecken-, Laufkäfer- und Tagfalterarten.<br />
* [https://www.infoflora.ch/de/lebensraeume/phytosuisse.html Klassifikation Phytosuisse]: das Nachschlagewerk mit Kurzbeschrieb zu jeder Pflanzengesellschaft (und Klassifikation nach Delarze et al.) befindet sich noch im Aufbau. Unter den Grünlandlebensraumtypen sind erst Angaben zur Gesellschaft «IV – Gebirgsrasen und Schneetälchen» aufgeschaltet.<br />
* Für die Mähwiesen im Kt. Luzern geben Schmid et al. (2007) Kenn- und Leitarten der Flora und Fauna für verschiedene Wiesentypen an. Für die Lebensräume des Kantons Luzern wurden [https://lawa.lu.ch/Natur/arten/grundlagen/leitarten Leitarten] bezeichnet. <br />
* Im Schlussbericht zum Nationalen ökologischen Netzwerk REN wurden Zeigerarten-Gilden für verschiedene Lebensraumgruppierungen definiert (Berthoud et al. 2004).<br />
* Für das gedüngte Grünland weist der [http://www.agraroekologie.ch/SchluesselGeduengteNaturwiesen.xls Vegetationsschlüssel] Leit- und Charakterarten auf (Bosshard 2016).<br />
* Zahlreiche nützliche Angaben zu Artvorkommen und Negativarten bieten der Kartierbericht sowie die Vollzugshilfe TWW sowie weitere Grundlagen TWW von [https://infohabitat.ch/trockenwiesen-und-weiden/ infohabitat].<br />
<br />
= Weitere Kapitel zum Grünland=<br />
* [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland Einleitung und Zusammenfassung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung Erhalt und Aufwertung durch optimierte Bewirtschaftung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat Aufwertung und Neuschaffung durch Direktbegrünung und Ansaat]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen Grundlagen]<br />
<!--* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisbeispiele Praxisbeispiele]--><br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || [https://www.faunatur.ch/portr%C3%A4t/ Karin Loeffel]|| [https://www.faunatur.ch/ faunatur]<br />
|-<br />
| Review|| Andreas Bosshard || [http://www.agraroekologie.ch/ueber-uns/team/ Ö+L GmbH] <br />
|-<br />
| || Jean-Yves Humbert || [https://www.cb.iee.unibe.ch/about_us/pd_dr_humbert_jean_yves/index_eng.html Universität Bern, Conservation Biology]<br />
|-<br />
| || Heiri Schiess || <br />
|-<br />
| || André Stapfer || <br />
|-<br />
| || Markus Staub || [https://www.poel.ch/ Projekte Ökologie Landwirtschaft] <br />
|-<br />
| || Gaby Volkart || [http://www.ateliernature.ch/atena/francais.php atena]<br />
|-<br />
|}<br />
<br /></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Gr%C3%BCnland&diff=4706
Grünland
2023-03-05T09:16:34Z
<p>VB2: /* Einleitung */</p>
<hr />
<div>[[fr:Milieux prairiaux]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = blumenwiese AStapfer zg 96 dpi.jpg<br />
| text = Artenreiche Wiesen beherbergen bis zu 80 Pflanzenarten pro Quadratmeter und bieten Lebensraum für unzählige Tierarten, insbesondere Tagfalter, Heuschrecken und Wildbienen.<br />
}}<br />
<br />
{|<br />
| Text || [https://www.faunatur.ch/portr%C3%A4t/ Karin Loeffel]<br />
|-<br />
| Review || [http://www.agraroekologie.ch/ueber-uns/team/ Andreas Bosshard], [https://www.cb.iee.unibe.ch/about_us/pd_dr_humbert_jean_yves/index_eng.html Jean-Yves Humbert], Heiri Schiess, André Stapfer, [https://www.poel.ch/ Markus Staub] & [https://www.ateliernature.ch/de/team-2/ Gaby Volkart]<br />
|-<br />
| Publikation || Oktober 2020<br />
|}<br />
<br />
= Zusammenfassung =<br />
Blütenreiche, farbenfrohe Blumenwiesen, lautes Heuschreckengezirpe, gaukelnde Tagfalter, vorüberziehende Weidetiere auf strukturreichen Alpweiden – es sind nostalgische Bilder, die wir mit artenreichem Grünland verbinden. Durch die jahrhundertelange Bewirtschaftung von Weiden und Wiesen durch den Menschen ist eine vielfältige Kulturlandschaft mit typischen Pflanzen- und Tiergemeinschaften entstanden. Heute sind jedoch rund zwei Fünftel unserer Grünlandlebensräume gefährdet: Ursachen sind die zu intensive Nutzung einerseits und die ausbleibende Bewirtschaftung andererseits sowie ein allgemein enorm gestiegenes Nährstoffniveau und die durch eine gleichförmige Nutzung monotonisierte Landschaft. Das Biodiversitätspotenzial unserer Grünlandlebensräume ist beträchtlich: Wiesen und Weiden auf der landwirtschaftlichen Nutzfläche umfassen über 600‘000 ha, fast noch einmal so viel Fläche nimmt das Sömmerungsgebiet mit über 500‘000 ha ein – davon wird insgesamt rund ein Fünftel der Fläche als potenziell wertvoll betrachtet.<br />
Welche Massnahmen können wir ergreifen, um im Grünland wieder Lebensräume für eine reichhaltige Flora und Fauna zu schaffen? Worauf ist bei der Umsetzung von biodiversitätsfördernden Tätigkeiten zu achten? In den nachfolgenden Kapiteln stellen wir konkrete, praxisrelevante Informationen sowie spezifische Bewirtschaftungsempfehlungen für einzelne Lebensraumtypen vor und verbinden diese Informationen mit dem notwendigen ökologischen Hintergrundwissen.<br />
Für den Erhalt und die Aufwertung von artenreichem Grünland ist nebst wichtigen allgemeinen Massnahmen - wie das Vernetzen und funktionelle Verbinden von verschiedenen Habitaten oder das Schaffen von Strukturen - eine optimale Bewirtschaftung zentral: hierzu gehören eine variable und dynamische Nutzungsweise, der Einsatz schonender Mahd- und Ernteverfahren und das Verhindern und Vermindern von Nährstoffeinträgen. Zu einem späteren Zeitpunkt werden wir auch Empfehlungen zur Beweidung und zur Offenhaltung von Grünlandlebensräumen sowie zu praktischen Aspekten der Aufwertung und Neuanlage in Form von Direktbegrünungen und Ansaatverfahren (Kapitel in Erarbeitung) bereitstellen.<br />
<br />
= Einleitung =<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = alpine Wiesen und Weiden 96 dpi.JPG<br />
| text = In der Schweiz machen Wiesen und Weiden im Sömmerungsgebiet über 500‘000 Hektaren aus. Über die Qualität dieser Flächen ist zu wenig bekannt.<br />
}}<br />
<br />
Mähwiesen und -weiden machen etwa 70% der landwirtschaftlich genutzten Fläche der Schweiz aus. Durch die jahrhundertelange Bewirtschaftung durch den Menschen entstanden, hat sich eine vielfältige Kulturlandschaft mit Lebensräumen für Pflanzen und Tiere ausgebildet. Die Intensivierung in der Bewirtschaftung, der gestiegene Nährstoffeintrag sowie weitere Gefährdungen haben dazu geführt, dass rund zwei Fünftel der Lebensraumtypen des Grünlands als gefährdet gelten. Die besonders wertvollen Trockenwiesen und -weiden sowie die ehemals verbreiteten, blütenreichen Fromentalwiesen sind in den letzten Jahrzehnten beinahe verschwunden. Entsprechend gross ist der Handlungsbedarf zum Erhalt der noch verbliebenen artenreichen Grünflächen sowie zur Aufwertung und Neuschaffung der für viele Tiere und Pflanzen wichtigen Grünlandlebensräume.<br />
Für die Erarbeitung der Grundlagen und Praxisempfehlungen der folgenden Kapitel wurde in erster Linie deutschsprachige Literatur, v.a. aus der Schweiz, aber auch aus Deutschland konsultiert. Der Fokus liegt auf der Biodiversität. Weitere Aspekte wie bspw. die landwirtschaftliche Produktion sind nicht abgedeckt. Literatur der traditionellen Grünlandforschung ist zwar konsultiert, aber nicht zwingend zitiert worden. Bei der Umsetzung von Aufwertungs- und Fördermassnahmen ist zu beachten, dass allgemeingültige Empfehlungen jeweils im Rahmen der konkreten Projekte zu überprüfen sind.<br />
Der Begriff „Grünland“ umfasst nach ökologischen Kriterien alle dauerhaften Pflanzengesellschaften aus Kräutern und Gräsern, die natürlich (überschwemmte Bereiche von Flussniederungen, Rand von Sumpf- und Moorgebieten, besonders trockene Standorte, oberhalb Baumgrenze) oder durch Nutzung des Menschen (gedüngte und ungedüngte Wiesen und Weiden, Mähwiesen, Feuchtgrünland, Magerrasen, Streuobstwiesen) entstanden sind (Becker et al. 2014). '''Im vorliegenden Artikel wird der Begriff „Grünland“ als Überbegriff für die entsprechenden Lebensraumtypen nach Delarze et al. (2015) verwendet''' <ref>Delarze, Raymond; Gonseth, Yves; Eggenberg, Stefan; Vust, Mathias (2015): Lebensräume der Schweiz. Ökologie - Gefährdung - Kennarten. 3., vollst. überarb. Aufl. Bern: Ott.</ref> und umfasst demnach sowohl [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie#Lebensr.C3.A4ume_des_Gr.C3.BCnlands anthropogen geschaffene, als auch primäre Lebensräume]. In einem separaten Artikel abgehandelt werden die [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Feuchtgebiete Feuchtgebiete]. Eine Übersicht ausgewählter Grünlandbegriffe findet sich in Guntern et al. (2013, S. 96) <ref>Guntern, Jodok; Lachat, T.; Pauli, D.; Fischer, M. (2013): Flächenbedarf für die Erhaltung der Biodiversität und der Ökosystemleistungen in der Schweiz. Bern: Forum Biodiversität Schweiz.</ref>, oder auch auf [https://de.wikipedia.org/wiki/Grünland Wikipedia].<br />
<br />
Die praxisrelevanten Informationen zum Grünland haben wir in folgenden Kapiteln zusammengestellt:<br />
* [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie '''Praxisrelevante Ökologie''']: Hier sind die für das Verständnis und die Umsetzung der Fördermassnahmen relevantesten ökologischen Zusammenhänge erläutert. Es wird erklärt, welche Klassifikation der Lebensraumtypen des Grünlands den folgenden Kapiteln zugrunde liegt, welches die für das Grünland prägende Faktoren sind und die grundlegenden Zusammenhänge zwischen Bewirtschaftung (Mahd, Beweidung) und dem Artengefüge der Flora und Fauna des Grünlandes werden beleuchtet.<br />
* [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung '''Erhalt und Aufwertung durch optimierte Bewirtschaftung''']: dieses Kapitel leitet einerseits auf Ebene der Massnahmen, andererseits auf Ebene der Lebensraumtypen Praxisempfehlungen her. Das Kapitel thematisiert zu Beginn Massnahmen, welche nicht einzelflächenbezogen sind (variable und dynamische Nutzung, Strukturen schaffen, verbliebene Flächen vernetzen). Danach folgen flächenbezogene Empfehlungen zur Mahd und zur Ernte, u.a. mit Fokus auf Fauna freundliche, schonende Verfahren. Kurzgefasst sind die Themen Aushagerung und Kombination von Mahd und Beweidung (Frühjahrsvorweide, Herbstweide). Zentral für artenreiches Grünland ist es, Nährstoffeinträge zu verhindern oder zu vermindern: das Kapitel erwähnt grundsätzliche Empfehlungen, die Thematik wird allenfalls zu einem späteren Zeitpunkt vertieft behandelt. Ebenfalls zu einem späteren Zeitpunkt erarbeitet werden die Themen „Verbuschung verhindern / Offenhalten“ und „Entbuschen eingewachsener Flächen“ sowie „Beweidung für artenreiches Grünland“. Der letzte Teil des Kapitels ergänzt spezifische Bewirtschaftungsempfehlungen für die einzelnen Lebensraumtypen.<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat '''Aufwertung und Neuschaffung durch Direktbegrünung und Ansaat''']<br />
* [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen '''Grundlagen''']: Dieses Kapitel geht auf die Bedeutung, die Entstehung, den Zustand und die Entwicklung von Grünland näher ein. Er beleuchtet die quantitativen und qualitativen Veränderungen sowie die Gefährdung und Gefährdungsursachen einerseits lebensraumbezogen, andererseits auch in Bezug auf die Artengemeinschaften des Grünlands. Weitere Informationen umfassen die Typologie des Grünlands, praxisrelevante Wissenslücken sowie die rechtlichen Grundlagen.<br />
* <!-- [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisbeispiele '''Praxisbeispiele''']-->Praxisbeispiele werden zu einem späteren Zeitpunkt erarbeitet.<br /><br />
<br /></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Gr%C3%BCnland&diff=4705
Grünland
2023-03-05T09:04:38Z
<p>VB2: </p>
<hr />
<div>[[fr:Milieux prairiaux]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = blumenwiese AStapfer zg 96 dpi.jpg<br />
| text = Artenreiche Wiesen beherbergen bis zu 80 Pflanzenarten pro Quadratmeter und bieten Lebensraum für unzählige Tierarten, insbesondere Tagfalter, Heuschrecken und Wildbienen.<br />
}}<br />
<br />
{|<br />
| Text || [https://www.faunatur.ch/portr%C3%A4t/ Karin Loeffel]<br />
|-<br />
| Review || [http://www.agraroekologie.ch/ueber-uns/team/ Andreas Bosshard], [https://www.cb.iee.unibe.ch/about_us/pd_dr_humbert_jean_yves/index_eng.html Jean-Yves Humbert], Heiri Schiess, André Stapfer, [https://www.poel.ch/ Markus Staub] & [https://www.ateliernature.ch/de/team-2/ Gaby Volkart]<br />
|-<br />
| Publikation || Oktober 2020<br />
|}<br />
<br />
= Zusammenfassung =<br />
Blütenreiche, farbenfrohe Blumenwiesen, lautes Heuschreckengezirpe, gaukelnde Tagfalter, vorüberziehende Weidetiere auf strukturreichen Alpweiden – es sind nostalgische Bilder, die wir mit artenreichem Grünland verbinden. Durch die jahrhundertelange Bewirtschaftung von Weiden und Wiesen durch den Menschen ist eine vielfältige Kulturlandschaft mit typischen Pflanzen- und Tiergemeinschaften entstanden. Heute sind jedoch rund zwei Fünftel unserer Grünlandlebensräume gefährdet: Ursachen sind die zu intensive Nutzung einerseits und die ausbleibende Bewirtschaftung andererseits sowie ein allgemein enorm gestiegenes Nährstoffniveau und die durch eine gleichförmige Nutzung monotonisierte Landschaft. Das Biodiversitätspotenzial unserer Grünlandlebensräume ist beträchtlich: Wiesen und Weiden auf der landwirtschaftlichen Nutzfläche umfassen über 600‘000 ha, fast noch einmal so viel Fläche nimmt das Sömmerungsgebiet mit über 500‘000 ha ein – davon wird insgesamt rund ein Fünftel der Fläche als potenziell wertvoll betrachtet.<br />
Welche Massnahmen können wir ergreifen, um im Grünland wieder Lebensräume für eine reichhaltige Flora und Fauna zu schaffen? Worauf ist bei der Umsetzung von biodiversitätsfördernden Tätigkeiten zu achten? In den nachfolgenden Kapiteln stellen wir konkrete, praxisrelevante Informationen sowie spezifische Bewirtschaftungsempfehlungen für einzelne Lebensraumtypen vor und verbinden diese Informationen mit dem notwendigen ökologischen Hintergrundwissen.<br />
Für den Erhalt und die Aufwertung von artenreichem Grünland ist nebst wichtigen allgemeinen Massnahmen - wie das Vernetzen und funktionelle Verbinden von verschiedenen Habitaten oder das Schaffen von Strukturen - eine optimale Bewirtschaftung zentral: hierzu gehören eine variable und dynamische Nutzungsweise, der Einsatz schonender Mahd- und Ernteverfahren und das Verhindern und Vermindern von Nährstoffeinträgen. Zu einem späteren Zeitpunkt werden wir auch Empfehlungen zur Beweidung und zur Offenhaltung von Grünlandlebensräumen sowie zu praktischen Aspekten der Aufwertung und Neuanlage in Form von Direktbegrünungen und Ansaatverfahren (Kapitel in Erarbeitung) bereitstellen.<br />
<br />
= Einleitung =<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = alpine Wiesen und Weiden 96 dpi.JPG<br />
| text = In der Schweiz machen Wiesen und Weiden im Sömmerungsgebiet über 500‘000 Hektaren aus. Über die Qualität dieser Flächen ist zu wenig bekannt.<br />
}}<br />
<br />
Mähwiesen und -weiden machen etwa 70% der landwirtschaftlich genutzten Fläche der Schweiz aus. Durch die jahrhundertelange Bewirtschaftung durch den Menschen entstanden, hat sich eine vielfältige Kulturlandschaft mit Lebensräumen für Pflanzen und Tiere ausgebildet. Die Intensivierung in der Bewirtschaftung, der gestiegene Nährstoffeintrag sowie weitere Gefährdungen haben dazu geführt, dass rund zwei Fünftel der Lebensraumtypen des Grünlands als gefährdet gelten. Die besonders wertvollen Trockenwiesen und -weiden sowie die ehemals verbreiteten, blütenreichen Fromentalwiesen sind in den letzten Jahrzehnten beinahe verschwunden. Entsprechend gross ist der Handlungsbedarf zum Erhalt der noch verbliebenen artenreichen Grünflächen sowie zur Aufwertung und Neuschaffung der für viele Tiere und Pflanzen wichtigen Grünlandlebensräume.<br />
Für die Erarbeitung der Grundlagen und Praxisempfehlungen der folgenden Kapitel wurde in erster Linie deutschsprachige Literatur, v.a. aus der Schweiz, aber auch aus Deutschland konsultiert. Der Fokus liegt auf der Biodiversität. Weitere Aspekte wie bspw. die landwirtschaftliche Produktion sind nicht abgedeckt. Literatur der traditionellen Grünlandforschung ist zwar konsultiert, aber nicht zwingend zitiert worden. Bei der Umsetzung von Aufwertungs- und Fördermassnahmen ist zu beachten, dass allgemeingültige Empfehlungen jeweils im Rahmen der konkreten Projekte zu überprüfen sind.<br />
Der Begriff „Grünland“ umfasst nach ökologischen Kriterien alle dauerhaften Pflanzengesellschaften aus Kräutern und Gräsern, die natürlich (überschwemmte Bereiche von Flussniederungen, Rand von Sumpf- und Moorgebieten, besonders trockene Standorte, oberhalb Baumgrenze) oder durch Nutzung des Menschen (gedüngte und ungedüngte Wiesen und Weiden, Mähwiesen, Feuchtgrünland, Magerrasen, Streuobstwiesen) entstanden sind (Becker et al. 2014). '''Im vorliegenden Artikel wird der Begriff „Grünland“ als Überbegriff für die entsprechenden Lebensraumtypen nach Delarze et al. (2015) verwendet''' <ref>Delarze, Raymond; Gonseth, Yves; Eggenberg, Stefan; Vust, Mathias (2015): Lebensräume der Schweiz. Ökologie - Gefährdung - Kennarten. 3., vollst. überarb. Aufl. Bern: Ott.</ref> und umfasst demnach sowohl [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie#Lebensr.C3.A4ume_des_Gr.C3.BCnlands anthropogen geschaffene, als auch primäre Lebensräume]. In einem separaten Artikel abgehandelt werden die Feuchtgebiete. Eine Übersicht ausgewählter Grünlandbegriffe findet sich in Guntern et al. (2013, S. 96) <ref>Guntern, Jodok; Lachat, T.; Pauli, D.; Fischer, M. (2013): Flächenbedarf für die Erhaltung der Biodiversität und der Ökosystemleistungen in der Schweiz. Bern: Forum Biodiversität Schweiz.</ref>, oder auch auf [https://de.wikipedia.org/wiki/Grünland Wikipedia].<br />
<br />
Die praxisrelevanten Informationen zum Grünland haben wir in folgenden Kapiteln zusammengestellt:<br />
* [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie '''Praxisrelevante Ökologie''']: Hier sind die für das Verständnis und die Umsetzung der Fördermassnahmen relevantesten ökologischen Zusammenhänge erläutert. Es wird erklärt, welche Klassifikation der Lebensraumtypen des Grünlands den folgenden Kapiteln zugrunde liegt, welches die für das Grünland prägende Faktoren sind und die grundlegenden Zusammenhänge zwischen Bewirtschaftung (Mahd, Beweidung) und dem Artengefüge der Flora und Fauna des Grünlandes werden beleuchtet.<br />
* [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung '''Erhalt und Aufwertung durch optimierte Bewirtschaftung''']: dieses Kapitel leitet einerseits auf Ebene der Massnahmen, andererseits auf Ebene der Lebensraumtypen Praxisempfehlungen her. Das Kapitel thematisiert zu Beginn Massnahmen, welche nicht einzelflächenbezogen sind (variable und dynamische Nutzung, Strukturen schaffen, verbliebene Flächen vernetzen). Danach folgen flächenbezogene Empfehlungen zur Mahd und zur Ernte, u.a. mit Fokus auf Fauna freundliche, schonende Verfahren. Kurzgefasst sind die Themen Aushagerung und Kombination von Mahd und Beweidung (Frühjahrsvorweide, Herbstweide). Zentral für artenreiches Grünland ist es, Nährstoffeinträge zu verhindern oder zu vermindern: das Kapitel erwähnt grundsätzliche Empfehlungen, die Thematik wird allenfalls zu einem späteren Zeitpunkt vertieft behandelt. Ebenfalls zu einem späteren Zeitpunkt erarbeitet werden die Themen „Verbuschung verhindern / Offenhalten“ und „Entbuschen eingewachsener Flächen“ sowie „Beweidung für artenreiches Grünland“. Der letzte Teil des Kapitels ergänzt spezifische Bewirtschaftungsempfehlungen für die einzelnen Lebensraumtypen.<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat '''Aufwertung und Neuschaffung durch Direktbegrünung und Ansaat''']<br />
* [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen '''Grundlagen''']: Dieses Kapitel geht auf die Bedeutung, die Entstehung, den Zustand und die Entwicklung von Grünland näher ein. Er beleuchtet die quantitativen und qualitativen Veränderungen sowie die Gefährdung und Gefährdungsursachen einerseits lebensraumbezogen, andererseits auch in Bezug auf die Artengemeinschaften des Grünlands. Weitere Informationen umfassen die Typologie des Grünlands, praxisrelevante Wissenslücken sowie die rechtlichen Grundlagen.<br />
* <!-- [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisbeispiele '''Praxisbeispiele''']-->Praxisbeispiele werden zu einem späteren Zeitpunkt erarbeitet.<br /><br />
<br /></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Heuschrecken&diff=4704
Heuschrecken
2023-03-04T18:19:22Z
<p>VB2: /* Autoren */</p>
<hr />
<div>[[fr:Orthoptères]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = JM 29293745804 8952ea6513 h.jpg<br />
| text = Die Sumpfschrecke (''Stethophyma grossum'') besiedelt feuchte Wiesen und Flachmoore.<br />
}}<br />
<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers]<br />
|-<br />
| Review || Prof. Dr. Peter Detzel, [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Dr. Axel Hochkirch], [https://www.naturalis.nl/en/science/researchers/roy-kleukers Roy Kleukers] & [http://www.orthoptera.ch/ueber-uns Florin Rutschmann]<br />
|-<br />
| Publikation || Juli 2017<br />
|}<br />
<br /><br />
{{TOC limit|2}}<br />
<br />
= Zusammenfassung =<br />
Über 100 Heuschreckenarten bereichern unsere Fauna und überraschen uns mit Flug-, Grab- oder Klangkünsten sowie ihrer Farben- und Formenvielfalt. Heuschrecken (Orthopteren) sind wärmeliebende Kulturfolger. Die meisten Arten beherbergt das Grünland, ob trocken oder feucht, gemäht oder beweidet. Einige Arten leben in lichten Wäldern und auf Pionierflächen der Flussauen und Geröllhalden. Viele Heuschreckenarten sind auf eine hohe Strukturvielfalt auf kleinem Raum angewiesen, da ihre durchschnittliche Ausbreitungsdistanz weniger als ein Kilometer beträgt.<br />
<br />
Für alle Arten ist die Offenhaltung ihrer Lebensräume zentral. Die Wiederherstellung der natürlichen Dynamiken oder die regelmässige, extensive Bewirtschaftung der besiedelten Flächen ist daher wichtig. Bei der Mahd ist darauf zu achten, ein Mosaik aus Rückzugsstreifen und Flächen mit unterschiedlichen Mahdzeitpunkten zu schaffen. Bei der Begrünung sind eine geringe Distanz zu besiedelten Flächen und eine lückige Ausbringung vorteilhaft. Von den über 100 einheimischen Heuschreckenarten stehen 40% auf der Roten Liste. Insbesondere die Arten der Pionierflächen haben einen erhöhten Förderbedarf. <br />
<br />
= Systematik =<br />
Heuschrecken werden in zwei leicht unterscheidbare Gruppen eingeteilt. Bei den Langfühlerschrecken (Ensifera) sind die Fühler gleich lang oder länger als der Körper und haben mindestens 30 Fühlerglieder, während sie bei den Kurzfühlerschrecken (Caelifera) kürzer als der Körper sind. Die Weibchen der Langfühlerschrecken besitzen meist einen auffälligen Legebohrer, im Gegensatz zu den kurzen Legeröhrenklappen bei den Kurzfühlerschrecken. Nur die Maulwurfsgrille gehört auch ohne lange Fühler und Legebohrer zu den Langfühlerschrecken. <br />
Mehr zur Systematik der Heuschrecken auf [https://de.wikipedia.org/wiki/Heuschrecken Wikipedia].<br />
<br />
=Praxisrelevante Ökologie=<br />
== Lebensräume ==<br />
Heuschrecken besiedeln die meisten terrestrischen Lebensräume bis auf 3'100&nbsp;m&nbsp;ü.&nbsp;M. Sie kommen in extensiven Wiesen und Weiden, Brachen, Weinbergen, Wäldern, Feuchtgebieten, Mooren und Flussauen vor. Heuschrecken können allgemein als wärmeliebende Kulturfolger bezeichnet werden, die in stark vom Menschen geprägten Landschaften leben. So können Kiesgruben und Steinbrüche viele seltene Arten beherbergen, wenn sie offengehalten und extensiv gepflegt werden. Im Siedlungsgebiet finden Heuschrecken eine Vielfalt an Kleinlebensräumen auf Industriebrachen und grossen Güterbahnhöfen, Schotterplätzen und in Ruderalflächen. Für seltene Arten sind Parks, Gärten und Flachdächer als Lebensraum wenig relevant, als Trittsteine können sie aber beim Erreichen neuer Lebensräume helfen. <br />
<br />
{{Fotos-links-1000px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Lebensraeuume_Gruppen_PZ.png<br />
| text = Zu den wichtigsten Lebensräumen für Heuschrecken zählen magere Wiesen, Moorlandschaften, lückige Wälder und Blocksteinhalden.<br />
}}<br />
<br />
Da nahezu alle Heuschrecken licht- und wärmeliebend sind, brauchen sie in ihren Lebensräumen Offenflächen bzw. lückige Pflanzenbestände. Die Bindung an das Habitat erfolgt weniger aufgrund bestimmter Pflanzengesellschaften, als aufgrund der benötigten Strukturen und der mikroklimatischen Verhältnisse. Entscheidend sind Dichte und Höhe der Vegetation, sowie Temperatur und Feuchtigkeit. Mosaikartige Lebensräume mit einer Vielfalt an Strukturen sind für eine hohe Heuschreckenvielfalt optimal. So leben an Lebensraum-Übergängen, wie Waldrändern mit Feuchtwiesen oder Hecken entlang von extensiven Wiesen, besonders viele Arten. Für den Erhalt von Offenflächen und Strukturreichtum sind regelmässige Pflegeeinsätze notwendig, wenn natürliche Dynamiken fehlen.<br />
<br />
Die Schweizer Heuschreckenarten können bezüglich ihrer Lebensraumbindung in vier Gruppen unterteilt werden (aus: [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken]) <br />
# Grünlandarten in Trockenwiesen und -weiden (43 Arten)<br />
# Sumpf- und Feuchtgebietsarten in Flach- und Hochmooren (11 Arten)<br />
# Wald- und Waldrandarten sowie Gebüscharten, vor allem in tieferen Lagen (24 Arten)<br />
# Pionierarten in Auen, Felsplatten, Geröllhalden oder Karst (25 Arten)<br />
<br />
==Merkmale und Vermehrung==<br />
Heuschrecken sind durch ihre Körperform, ihr Verhalten und ihre Körperfärbung an ihren Lebensraum angepasst und häufig gut getarnt. Die Körperfärbung kann innerhalb einer Art stark variieren und ist daher meist kein spezifisches Unterscheidungsmerkmal. Die Körperfärbung ist nicht immer genetisch festgelegt, sondern kann sich während der Entwicklung verändern und der Färbung der Umgebung anpassen. Adulte Tiere können ihre Farbe dagegen nicht mehr wechseln, aber ggf. noch nachdunkeln.<br />
<br />
Heuschrecken durchlaufen eine hemimetabole (unvollkommene) Entwicklung. Nach dem Schlupf sind die sogenannten Nymphen schon als Heuschrecken zu erkennen und werden mit jeder Häutung dem adulten Tier ähnlicher. Grillen brauchen bis zu 12 Häutungen, bis sie ausgewachsen sind, Laubheuschrecken 5 bis 7 und Kurzfühlerschrecken 4 bis 5 Häutungen. Erst nach der letzten Häutung bilden sich die Flügel und Geschlechtsorgane vollständig aus. Die meisten Heuschrecken sind einjährig, ihre Nymphen schlüpfen im Zeitraum von Frühling bis Sommer. Adulte Tiere sind von Sommer bis Herbst zu finden, das Auftreten richtet sich vor allem nach der Höhenstufe und den mikroklimatischen Verhältnissen. Nur Grillen (Gryllidae) und Dornschrecken (Tetrigidae) überwintern in einem der Nymphenstadien oder als adulte Tiere und treten entsprechend früh im Jahr auf. <br />
<br />
Die Paarung erfolgt einige Tage bis wenige Wochen nach der letzten Häutung und schon wenige Tage später beginnt die Eiablage. Die Weibchen der meisten Heuschreckenarten legen ihre Eier im Boden oder an der Basis von Gräsern ab. Andere Arten legen ihre Eier in rissige Baumrinde und markhaltige Pflanzenteile oder heften sie an Halme und Blätter. Die Langfühlerschrecken können mit dem Legebohrer ihre Eier tiefer in den Boden legen als die Kurzfühlerschrecken. Bei den meisten heimischen Arten dauert die Entwicklung der Eier bis zum Schlupf vom Herbst bis zum nächsten Frühling, bei einigen auch mehrere Jahre. <br />
<br />
Die Feuchte- und Temperatur-Ansprüche der Eier sind bei Heuschrecken entscheidend für die Habitatbindung der Arten. Arten der Feuchthabitate können oft nicht überleben, wenn ihre Eier im Winter nicht genügend feucht sind. Sie brauchen eine Periode der Überflutung. Feldheuschrecken der trockenen Habitate haben eine längere Eientwicklung nach dem Winter und benötigen höhere Bodentemperaturen. Die notwenigen Temperaturen werden erreicht, wenn Sonnenstrahlen offene Bodenstellen erwärmen. Andere Arten, die in höherer, dichterer Vegetation leben, kommen auch mit geringer Sonneneinstrahlung zurecht. So gibt es einige Spezialisten unter den Heuschrecken, mit ganz spezifischen Ansprüchen an ihren Lebensraum. Der Kiesbankgrashüpfer (''Chorthippus pullus'') lebt in der Schweiz z.&nbsp;B. ausschliesslich auf vegetationsarmen Kiesbänken grosser Alpenflüsse.<br />
<br />
{{Fotos-links-1000px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Eiablage_Lebensraum-Fluegel.png<br />
| text = Von links nach rechts: Die Laubholz-Säbelschrecke (''Barbitistes serricauda'') legt ihre Eier in Gehölze mit strukturreicher Borke ab. Der Kiesbankgrashüpfer (''Chorthippus pullus'') kommt nur entlang der grossen Alpenflüsse vor. Die Gewöhnliche Gebirgsschrecke (''Podisma pedestris'') kann aufgrund der verkümmerten Flügel nicht fliegen.<br />
Das Grüne Heupferd (''Tettigonia viridissima'') ist ein Langstreckenflieger unter den Heuschrecken.<br />
}}<br />
<br />
==Populationsgrössen und Ausbreitung ==<br />
Die Populationsgrösse kann zwischen den Jahren stark schwanken. Schon ein Kälteeinbruch oder eine längere Regenphase im Frühsommer können zu einem starken Populationsrückgang führen. Einzelbeobachtungen weisen darauf hin, dass auch kleine Populationen mit weniger als 50 Tieren über mehrere Jahre existieren können, wenn die Habitatqualität nicht abnimmt. <br />
<br />
Die meisten Heuschreckenarten sind sesshaft und bewegen sich in einem Umkreis von wenigen Metern bis maximal 1&nbsp;km. Bei vielen Arten sind die Flügel verkümmert (z.&nbsp;B. bei der Gewöhnlichen Gebirgsschrecke ''Podisma pedestris''). Es gibt aber auch einzelne Langstreckenflieger, wie das Grüne Heupferd (''Tettigonia viridissima''), das in einem Sommer Distanzen von mehreren Kilometern zurücklegen kann. Hohe Bestandsdichten können die Ausbreitung von sesshaften Arten erhöhen, da bei Dichtestress die Mobilität steigt und makroptere (langflügelige) Tiere auftreten können, deren Flügel deutlich länger sind als üblich. Mit verlängerten Flügeln können auch Arten, die üblicherweise flugunfähig sind, weitere Distanzen überqueren. Ungenügend untersucht ist die Ausbreitung von Eiern und Tieren durch passiven Transport, z.&nbsp;B. durch Fliessgewässer, den Bahnverkehr, durch Verfrachtung mit Mahdgut oder mit Weidetieren. Bei manchen Arten scheint diese Art der Verbreitung jedoch gut zu funktionieren, da immer wieder fernab von bekannten Populationen Einzeltiere oder kleine Initialpopulationen gefunden werden.<br />
<br />
== Fauna Indicativa ==<br />
Die [http://www.cscf.ch/cscf/de/home/projekte/fauna-indicativa.html Fauna Indicativa] ist ein Nachschlagewerk sowie ein Werkzeug für die Auswertung faunistischer Daten. Sie charakterisiert in Tabellenform ökologische Präferenzen und biologische Eigenschaften aller in der Schweiz einheimischen Heuschrecken.<br />
<br />
=Erhalt und Förderung=<br />
==Allgemeine Massnahmen ==<br />
===Grünland- und Feuchtgebietsarten ===<br />
* Extensive Bewirtschaftung von Wiesen und Weiden und Verzicht auf schwere Maschinen, insbesondere in Feuchtgebieten<br />
* Verzicht auf das Ausbringen von Kunstdünger und Bioziden, insbesondere Insektiziden<br />
* Förderung von Biodiversitätsförderflächen (BFF) mit Qualitätsstufe QII<br />
* Verzicht auf die Bewässerung von Trockenwiesen und Steppen<br />
* Eindämmung der Verbuschung und Verbrachung von Trockenwiesen- und weiden<br />
* Verzicht auf die Entwässerung von Feuchtgebieten und Wiederherstellung des natürlichen Wasserregimes<br />
* Erhalt von Weiden, da in der Regel mit heterogener Struktur und artenreicher, ausser bei einschüriger Mahd <br />
* Schutz und Wiederherstellung von Feuchtgebieten<br />
* Anlage und Pflege von Stillgewässern, insbesondere mit flachen Uferzonen<br />
<br />
===Wald- und Waldrandarten===<br />
* Aufwertung und Schaffung gestufter Waldränder mit einer Krautschicht<br />
* Erhalt alter Baumbestände, Biotopbäume und Hecken mir ihren Säumen<br />
* Auflichtung der Wälder und Böschungen, damit sie gut besonnt sind<br />
* Extensive Pflege der Weg- und Hangböschungen<br />
* Standortgerechter Waldbau, Verzicht auf Monokulturen (bspw. Fichten)<br />
* Umwandlung von Monokulturen in natürliche Wälder mit mehreren Baumarten<br />
* Verzicht auf den Einsatz von Düngemitteln und Bioziden<br />
<br />
===Pionierarten an Fliessgewässern ===<br />
(Übernommen aus: [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken])<br />
* Revitalisierung der Fliessgewässer, bevorzugt von Pionierarten besiedelte Standorten <br />
* Verzicht auf die Zuschüttung oder Eindämmung von besiedelten Uferflächen<br />
* Verzicht auf jeglichen Abbau der Sand-, Kies- oder Steinbänke innerhalb, ober- und unterhalb besiedelter Flächen<br />
* Zulassen von regelmässigen, genügend intensiven Hochwassern, um den natürlichen Abtrag der mit Vegetation bewachsenen Bänke in Auen zu gewährleisten<br />
* Gewährleisten von periodischen Ablagerungen von Sedimenten an besiedelten Standorten, um die Regeneration von Sedimentbänken in Auen sicherzustellen<br />
* Revitalisierung möglichst vieler Fliessgewässer, um über die Schaffung von potenziell günstigen Standorten die Wiederbesiedlung von verlassenen Gegenden zu fördern<br />
<br />
{{Foto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Mosaik_aus_Gruenlandtypen_-_Suedschwarzwald_-_IMG_7876b.jpg<br />
| text = Der Strukturreichtum dieser Flächen bietet Grünlandarten einen idealen Lebensraum.<br />
}}<br />
<br />
== Strukturreiche Flächen schaffen und schützen ==<br />
Für Heuschrecken sind weniger die typischen [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen Kleinstrukturen] wichtig wie [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen#Die_einzelnen_Kleinstrukturen Ast- oder Steinhaufen], als vielmehr offene Bodenstellen (u.&nbsp;a. für die Eiablage) und Strukturen, die Wärme aufnehmen und speichern, wie felsige Bereiche, [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Pionierfl%C3%A4chen Kiesflächen], feuchte Senken und [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Stillgew%C3%A4sser temporäre Tümpel]. Neu angelegte Strukturen sollen eine minimale Fläche von 20&nbsp;m&sup2; pro ha haben. Natürliche Offenflächen und strukturreiche Flächen wie Moränen, Felsschutthalden, Kiesflächen und Verlandungszonen von [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Stillgew%C3%A4sser Stillgewässern] sind zu schützen und dürfen nicht zugeschüttet oder aufgeforstet werden.<br />
<br />
== Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts ==<br />
Viele gefährdete Heuschreckenarten sind auf eine extensive Beweidung oder regelmässige Mahd angewiesen, damit die Vegetation nicht zu dicht wird. Der optimale Schnittzeitpunkt ist artabhängig. Für Arten, die ihre Eier im Boden ablegen, ist eine Mahd zwischen Mai und August ungünstig. Für Arten, die ihre Eier an oder in Pflanzen ablegen, ist eine Mahd nach August und vor Mai problematisch. Die Bewirtschaftung kann aber auch schädlich sein. Verluste entstehen v.&nbsp;a. durch Mähaufbereiter und das Schwaden und Abführen des Mahdguts. Zur Verminderung der Verluste bei allen Arten ist bei der Mahd Folgendes zu beachten: <br />
<br />
* Es sollen möglichst wenige Schnitte erfolgen, optimaler Weise nur ein Schnitt pro Jahr<br />
* Frühmad: nicht ganzflächige durchführen; Spätmahd: nach dem Verblühen der meisten Pflanzen durchführen<br />
* Am besten ist eine differenzierte Pflege, d.&nbsp;h. ein Mosaik aus Flächen mit unterschiedlichen Mähzeitpunkten und Rückzugsstreifen, die nur alle 2 Jahre gemäht werden <br />
* Die Schnitthöhe soll mindestens 10&nbsp;cm betragen <br />
* Balkenmäher verursachen die niedrigste Schädigungsrate, Scheibenmähern die höchste; am schonendsten ist die Mahd mit der Sense <br />
* Das Schnittgut soll, damit sich die Tiere verteilen können, zum Trocknen liegen gelassen und stets abgeführt werden<br />
* Es sollen keine Mähaufbereiter eingesetzt werden<br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://www.buntewiese-tuebingen.de/app/download/6569219764/Hiller%202014%20Auswirkungen%20verschiedener%20Mahdkonzepte%20auf%20die%20Heuschreckenfauna%20st%C3%A4dtischer%20Gr%C3%BCnfl%C3%A4chen%20-%20Naturschutz%20und%20Landschaftsplanung.pdf?t=1490555371 Hiller, D. & Betz, O.(2014). Auswirkungen verschiedener Mahdkonzepte auf die Heuschreckenfauna städtischer Grünflächen]<br /><br />
<br />
'''Hintergrundinformationen'''<br /><br />
* [http://www.parcs.ch/npf/pdf_public/2014/30491_20141107_083216_MA_GrichtingStefan_2002.pdf Grichting, S. (2002). Heuschrecken (Orthoptera) von Trockensteppen und extensiv bewirtschafteten Wiesen im Pfynwald (VS, Schweiz)]<br />
: Studie zu den ökologischen Ansprüchen und der Verbreitung von Heuschrecken auf Wiesen mit unterschiedlichem Nutzungsgrad.<br /><br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/abashop?s=208&p=productdetail&sku=429&language=de Agridea (2011). Erntetechnik und Artenvielfalt in Wiesen]<br />
: Das Merkblatt zeigt die Auswirkungen verschiedener Mähtechniken und nachfolgender Ernteschritte auf die Artenvielfalt und gibt Empfehlungen für eine möglichst tierschonende Ernte. <br /><br />
<br />
==Rotationsbrachen anlegen und Altgrassstreifen stehen lassen ==<br />
Bei der Anlage von Rotationsbrachen und Altgrasstreifen ist auf das Vorkommen von Heuschreckenpopulation in der näheren Umgebung zu achten, da Heuschrecken oft nur geringe Ausbreitungsdistanzen haben. Als Rückzugsstreifen werden bei jedem Schnitt 10% der Wiese stehen gelassen.<br /><br />
<br />
'''Links'''<br />
* [http://www.agraroekologie.ch/NuL07-10_Mueller_Bosshard.pdf Müller, M. & Bosshard, B. (2012). Altgrasstreifen fördern Heuschrecken in Ökowiesen - Eine Möglichkeit zur Strukturverbesserung im Mähgrünland]<br />
: Studie zu den positiven Auswirkungen von Altgrasstreifen als Rückzugsraum bei der Mahd in extensiv genutzten Wiesen. <br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/2012_01_1723.pdf Duss, M. et al. (2012). Vernetzte Ökoflächen fördern Heuschrecken]<br />
: Studie zur Auswirkung eines Vernetzungsprojektes von ökologischen Ausgleichsflächen (öAF) auf die Verbreitung von 2 Heuschreckenarten. Die Grosse Goldschrecke (''Chrysochraon dispar'') profitiert von Altgrasstreifen.<br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/download.php?filename=2001_1112_102.pdf Peter, B. & Walter, T. (2001). Heuschrecken brauchen ökologische Ausgleichsflächen] <br />
: Vergleichende Untersuchungen vor und nach der Einführung von Biodiversitätsförderflächen (BFF) zeigt deren Wichtigkeit für Heuschrecken auf.<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Buntbrache_Altgrassstreifen_AK.png<br />
| text = Links und Mitte: Die Gemeine Sichelschrecke (''Phaneroptera falcata'') und die Langflüglige Schwertschrecke (''Conocephalus fuscus'') schätzen die hohe Vegetation von Buntbrachen. <br /><br />
Rechts: Die Grosse Goldschrecke (''Chrysochraon dispar'') profitiert von Altgrasstreifen.<br />
}}<br />
<br />
==Beweidung ==<br />
Für die Beweidung sollen möglichst traditionelle Rassen, bzw. leichte Tiere eingesetzt werden. Generell scheint Schaf-Hütehaltung besonders günstig für Heuschrecken zu sein. Die Viehdichte darf nicht zu hoch sein; der jährliche Besatz sollte 150 Grossvieheinheiten&sup1; pro Hektare (GVE/ha) nicht überschreiten. Es empfiehlt sich, eine Beweidung in Koppeln zu führen, womit ein ähnlicher Effekt erzielt wird wie mit einer Rotationsmahd. <br /><br />
<small><sup>1</sup>Die Beweidungsintensität ergibt sich aus dem Produkt von Besatzstärke in Grossvieheinheiten pro Hektare mal Anzahl Bestossungstagen (GVE/ha * dd). Je nach Grösse und Alter der Tiere ändert sich der Wert, der sich mit dem [https://www.agate.ch/portal/web/agate/gve-rechner GVE-Rechner des Bundesamtes für Landwirtschaft] genau ermitteln lässt.</small> <br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://www.pronatura.ch/de/2016/allegra-geissenpeter-ziegen-esel-und-rinder-weiden-fuer-die-biodiversitaet Pro Natura. Projekt „Allegra Geissenpeter“]<br />
: Pro Natura lanciert Projekte mit verschiedenen Weidetierarten, um die Trockenstandorte in den Alpen nachhaltig zu sichern, unter anderem zur Förderung der Heuschrecken. Die unterschiedlichen Projekte und die Ergebnisse der Erfolgskontrollen sind im [https://www.pronatura.ch/sites/pronatura.ch/files/2017-11/leitfaden_fuer_die_aufwertung_von_brachliegenden_trockenstandorten_durch_beweidung-beitraege_zum_naturschutz_in_der_schweiz_nr_37-2016_highres.pdf Leitfaden für die Aufwertung von brachliegenden Trockenstandorten durch Beweidung (2016)] zusammengefasst.<br />
<br />
== Direktbegrünung und Mahdgutübertragung ==<br />
Direktbegrünung und Mahdgutübertragung sind einer Ansaat vorzuziehen, da zusammen mit dem Pflanzenmaterial oder den Samen Insekten und Eier übertragen werden können. Dies ist insbesondere wichtig für Arten mit einem geringem Ausbreitungspotenzial. Das Saat- und Mahdgut sollte von [https://www.regioflora.ch/app/de/index.html Spenderflächen aus der nahen Umgebung] stammen, also [https://de.wikipedia.org/wiki/Autochthone_Art autochthon] sein, um die regionale genetische Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten zu erhalten. Für eine erfolgreiche Besiedlung sollen Empfängerflächen in maximal 1&nbsp;km Distanz, besser nur 500&nbsp;m, zu bereits besiedelten Flächen angelegt werden. Bei der Begrünung können kleine Bodenstelle langfristig offengehalten werden, indem Steine oder Feinsediment als Substrat eingebracht wird. <br />
<br />
'''Hintergrundinformation'''<br />
* [http://public.bibliothek.uni-halle.de/index.php/hercynia/article/viewFile/218/224 Elias, D. & Thiede, S. (2008). Verfrachtung von Heuschrecken (Insecta: Ensifera et Caelifera) mit frischem Mähgut im Wulfener Bruch (Sachsen-Anhalt)]: Diese Studie zeigt auf, dass die Mahdgutübertragung für Heuschrecken eine wichtige Rolle spielt, insbesondere für wenig mobile Arten.<br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/2001_07_71.pdf Bosshard, A. & Kuster, D. (2001). Bedeutung neu angelegter Extensivwiesen für Tagfalter und Heuschrecken]: Die Untersuchung zeigt, dass neu angelegte Extensivwiesen rasch von gefährdeten Heuschrecken- und Tagfalterarten besiedelt werden können.<br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [https://www.regioflora.ch/ Regio Flora - das Portal zur Förderung der regionalen Vielfalt im Grünland]: Umfassende Informationen zur Direktbegrünung von Wiesen und Weiden.<br />
* [https://www.regioflora.ch/de/assets/content/pdf/RF_Praxismerkblatt_D_download9.11.15.pdf Agridea (2015). Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft]: Leitfaden für die Praxis zum Einsatz von regionalem Saatgut in Biodiversitätsförderflächen.<br />
<br />
{{Foto-rechts-hoch<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Gewaesser_PZ.png<br />
| text = Die Ufer von Fliess- und Stillgewässern sind wichtige Verbreitungskorridore und sollen alternierend bewirtschaftet werden. <br />
}}<br />
<br />
== Feuchtgebiete und Trockenstandorte ==<br />
=== Ruderalstandorte und Säume entlang von Feuchtgebieten pflegen ===<br />
Zahlreiche Arten legen ihre Eier in Stängel von Pflanzen im Uferbereich von Still- und Fliessgewässern. Die Uferbereiche sind wichtige Verbreitungskorridore für die Tiere. Daher ist die extensive Pflege von Feuchtgebieten und Gräben das ganze Jahr über wichtig:<br />
* [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts|Mahd]] an den Ufern alternierend, an einem Ufer die Vegetation immer für ca. 1-2 Jahre stehen lassen <br />
* Säume am selben Ufer gestaffelt mähen und das Schnittgut abführen <br />
* Flächen nicht mulchen<br />
* Ruderalstandorte immer wieder abschnittweise stören durch extensive [[#Beweidung| Beweidung]] oder [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts | Mahd]], um die Verbuschung zu verhindern und [[#Strukturreiche Flächen schaffen und schützen| strukturreiche Flächen]] zu schaffen <br />
* Invasive Pflanzen zurückdrängen, insbesondere Flügelknöterich (''Fallopia'') und Drüsiges Springkraut (''Impatiens glandulifera'')<br />
<br />
=== Entbuschung von Trockenstandorten === <br />
Der Baum- und Strauchbewuchs soll bei grossen Standorten maximal 25% betragen, bei kleineren 10% oder weniger. Für die langfristige Offenhaltung der Trockenwiesen- und weiden eignen sich extensive Beweidung oder Mahd. Massnahmen zur Aufwertung von Trockenstandorten werden zu einem späteren Zeitpunkt bearbeitet.<br />
<br />
== Im Siedlungsgebiet ==<br />
=== Schotter- und Brachflächen extensiv pflegen ===<br />
Im Randbereich vom Siedlungsgebiet und auf Firmengeländen kann eine reiche Heuschreckenfauna entstehen, wenn grössere Offenflächen vorhanden sind. Dies können z.&nbsp;B. Schotter- und Industriebrachen sein, die einen lockeren Pflanzenbewuchs aufweisen. Diese Flächen sollen extensiv bewirtschaftet werden (siehe: [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts|Mahdkonzepte]]). Der Strukturreichtum kann gefördert werden, indem die Pflege nur abschnittweise erfolgt und zusätzliche [[#Strukturreiche Flächen schaffen und schützen| Kleinstrukturen]] angelegt werden.<br />
<br />
=== Begrünung und Pflege von Flachdächern ===<br />
Flachdächer können einigen Heuschreckenarten, z.&nbsp;B. der Blauflügeligen Sandschrecke (''Sphingonotus caerulans'') oder der Blauflügeligen Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') als Trittstein dienen. Dauerhafte Ansiedlungen von Populationen wurden bisher noch nicht beobachtet. Bei der Anlage der Dächer ist Folgendes wichtig: <br />
* Nur einheimische Pflanzen und Saatgut verwenden <br />
* Offene Stellen belassen und regelmässig neue Offenflächen durch Abtragung des Oberbodens schaffen <br />
* Sand, Kies und Steine in unterschiedlichen Korngrössen verwenden <br />
* Pflanzen extensiv und abschnittsweise pflegen <br />
* Strukturreichtum durch Kieshaufen, Holz, etc. sicherstellen <br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://docplayer.org/20659374-Die-blaufluegelige-sandschrecke-sphingonotus-caerulans-auf-den-extensiv-begruenten-daechern-der-europa-allee-zuerich.html Speck, M. & Brenneisen, S. (2014). Die Blauflügelige Sandschrecke (Sphingonotus caerulans) auf den extensiv begrünten Dächern der Europa-Allee in Zürich]<br />
: Diese Studie belegt das Vorkommen der Rote-Liste Art auf Flachdächern in Zürich. Die Blauflügelige Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') wurde in vorherigen Untersuchungen machgewiesen, die hier zitiert werden.<br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [https://www.stadt-zuerich.ch/ted/de/index/gsz/beratung-und-wissen/wohn-und-arbeitsumfeld/dachbegruenungen0.html Stadt Zürich. Dachbegrünung]: Umfassende Informationen zur Anlage und Pflege von Dachbegrünung mit vielen Praxisbeispielen.<br />
* [https://www.stadt.sg.ch/home/raum-umwelt/bauen-sanieren/natur-stadt.html Stadt St. Gallen, Amt für Umwelt und Energie (2014). Leitfaden Dachbegrünung]: Ausführliche Informationen zu Aufbau und extensiven Begrünungsarten von Flachdächern.<br />
<br />
{{Fotos-links-550px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Siedlungsgebiet.png<br />
| text = Der Blauflügeligen Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') und der Blauflügeligen Sandschrecke (''Sphingonotus caerulans'') können Flachdächer als Trittsteine in neue Lebensräume dienen.<br />
}}<br />
<br />
=== Wildblumenwiesen und Trockenflächen anlegen und pflegen === <br />
In Parks und Gärten können auch anspruchsvollere Heuschreckenarten vorkommen, wenn Folgendes beachtet wird:<br />
* Nur einheimisches Saatgut verwenden <br />
* Lückig säen und nicht düngen <br />
* Offene Bodenflächen belassen <br />
* Maximal 2-mal pro Jahr mit Balkenmäher oder Sense und abschnittsweise mähen <br />
* Brachflächen, Altgrassstreifen und Säume um Gebüsche und Gehölze von 5-10m abschnittsweise pflegen, um eine Zunahme der Verbuschung zu verhindern <br />
* Mahdgut abführen <br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [http://www.pronatura.ch/blumenwiesen?file=tl_files/dokumente_de/2_unsere_themen/lebensraeume/Wiesen/Pro_Natura_Praxis_Blumenwiese.pdf Pro Natura 2014. Blumenwiesen anlegen und pflegen]: Ausführliche Informationen zur Anlage und Pflege von grossen und kleinen (Wild-) Blumenwiesen.<br />
* [https://www.wwf.ch/sites/default/files/doc-2019-02/2010-12-factsheet-wiesenparadies-einheimische-blumen.pdf WWF Schweiz 2010. Buntes Wiesenparadies mit einheimischen Wildblumen]: Schritt für Schritt Anleitung zur Anlage und Pflege von Wildblumenwiesen für Privathaushalte.<br />
* [[Media:WWF 2010 Lebendige Trockenstandorte.pdf|WWF Schweiz 2010. Lebendige Trockenstandorte mit Sand, Kies und Schotter]]: Anleitung zur Anlage und Pflege von Trockenstandorten für Privathaushalte.<br />
<br />
== Sekundäre Pionierstandorte anlegen und pflegen == <br />
Vom Menschen geschaffene Pionierstandorte sind für Heuschrecken wertvolle Sekundärhabitate geworden, da vielerorts die ursprünglichen Lebensräume (z.&nbsp;B. See- und Flussauen, Brandflächen, etc.) verschwunden sind. Der Erhalt der Pionierstandorte bedarf regelmässiger Pflegeeinsätze zur Verhinderung von Verfilzung und Verbuschung.<br />
Heuschrecken finden wertvolle Pionierflächen: <br />
* In Steinbrüchen und Kiesgruben <br />
* In Weinbergen<br />
* In Sand-, Lehmgruben und Mergelgruben <br />
* An Bahnhöfen und Gleisen<br />
* Auf Industriebrachen<br />
<br />
== Wiederansiedlung von Tieren ==<br />
Die Wiederansiedelung von ehemals vorkommenden Heuschrecken kann nur eine letzte Alternative im Naturschutz sein, da primär immer der Schutz der vorhandenen Populationen im Fokus steht und die Wiederansiedlung sehr aufwändig ist. Für eine erfolgreiche Wiederansiedlung ist es notwendig, eine sorgfältige Ansiedlungs-Strategie zu erarbeiten und die [https://portals.iucn.org/library/efiles/documents/2013-009.pdf Richtlinien der IUCN zur Wiederansiedlung] strikt zu befolgen. Die Wiederansiedlung von Heuschrecken ist bewilligungspflichtig und soll Spezialisten überlassen werden, weshalb hier nicht näher darauf eingegangen wird.<br />
<br />
<br />
{{Foto-rechts-quer<br />
| bilddatei = GSM-5012435629 6b68a9c506 b Ephipiger cfr diurnus female.jpg<br />
| text = Die Westliche Sattelschrecke (''Ephippiger diurnus'') besiedelt trockene und lückige Wiesen und Waldränder. Sie gehört zu den stark gefährdeten Arten. <br />
}}<br />
<br />
= Artenschutz =<br />
Viele Heuschreckenarten brauchen aufgrund ihrer Ansprüche an den Lebensraum ganz spezifische Fördermassnahmen. Die Priorisierung der gefährdeten Arten gemäss ihrem Förderbedarf kann der [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/liste-national-prioritaeren-arten.html Liste der National Prioritären Arten (2011)] entnommen werden. Eine wichtige Grundlage für die Förderung sind auch die in der [http://www.cscf.ch/cscf/de/home/wissenschaftliche-aktivitaten/fauna-indicativa.html Fauna Indicativa] zusammengestellten Präferenzen und Eigenschaften der einzelnen Arten.<br />
<br />
Es gibt nur wenige Praxisinformationen zum spezifischen Artenschutz von Heuschrecken. In der Schweiz wurde bisher nur für die Blauflügelige Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') eine [http://kbnl.ch/wp-content/uploads/2016/11/webseite_Ocaerulescens.pdf Zusammenfassung zur Best Practice der Artenförderung] und [https://www.zh.ch/content/dam/zhweb/bilder-dokumente/themen/umwelt-tiere/naturschutz/artenschutz/aktionsplaene-fauna/heuschrecken/oedipoda_caerulescens_ap.pdf vom Kanton Zürich ein Aktionsplan] erstellt.<br />
<br />
In den Nachbarländern wurden folgenden Publikationen zu Fördermassnahmen erstellt: <br />
<br />
'''Deutschland'''<br />
* [http://www.nlwkn.niedersachsen.de/naturschutz/natura_2000/vollzugshinweise_arten_und_lebensraumtypen/vollzugshinweise-fuer-arten-und-lebensraumtypen-46103.html#Wirbellose Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz. Niedersächsische Strategie zum Arten- und Biotopschutz]<br />
'''Österreich''' <br />
* [http://www.zobodat.at/pdf/NaturschutzbundBgld_9_2013_0001-0160.pdf Zuna-Kratky, T. et. al. (2013). Schutzprogramm für die gefährdeten Heuschrecken des Nordburgenlands]<br />
'''Niederlande''' <br />
* [http://repository.naturalis.nl/document/161506 Schut, D. et al. (2008). Actieplan prioritaire Sprinkhanen in Noord-Brabant]<br />
<br />
= Gefährdung =<br />
Von den 105 für die [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html Rote Liste 2007] untersuchten Heuschreckenarten sind fast 40% bedroht. Am stärksten gefährdet sind die Pionierarten entlang von Gewässern sowie die Arten der Flach- und Hochmoore. Die Erhaltung der letzten Populationen dieser Arten ist daher von grosser Bedeutung.<br />
Die grössten Gefährdungsursachen für alle Heuschreckenarten sind:<br />
* Verlust und Fragmentierung des Lebensraums durch Veränderung der Landnutzung, z.&nbsp;B. durch Umwandlung von Grünland in Äcker, Urbanisierung oder Industrialisierung<br />
* Intensivierung der Nutzung, insbesondere der Einsatz von Mähmaschinen und Mähaufbereitern, sowie Düngung und Erhöhung der Anzahl Schnitte pro Jahr, sowie höhere Viehdichten auf kleinerem Raum<br />
* Mangelnde (natürliche) Prozesse zur Offenhaltung der Landschaft und von Bodenstellen, Homogenisierung der Landschaft<br />
* Verdichtung der Vegetation durch Eutrophierung<br />
* Einsatz von Insektiziden<br />
<br />
Weitere Gefährdungsursachen in Bezug auf die Lebensraumbindung sind:<br />
* Grünlandarten: Intensive Beweidung oder häufige Mahd, Verbuschung oder Verkrautung durch Verbrachung, Verarmung der Pflanzenvielfalt, Düngung von Wiesen und Weiden <br />
* Feuchtgebietsarten: Veränderungen im Gewässerhaushalt von Feuchtgebieten, intensivere landwirtschaftliche Nutzung von Feuchtwiesen <br />
* Wald- und Waldrandarten: Fehlende Stufenstruktur des Waldrandes (Strauch- und Krautschicht), Entfernung von Hecken, Kleinstrukturen und Felsen, Intensivierung der Forstwirtschaft, Einsatz von Bioziden, Anbau von Monokulturen, touristische Nutzung (insbesondere mit Ski & Mountainbike)<br />
* Pionierarten: Verbauungen der Fliessgewässer und Eingriffe in den Geschiebehaushalt, Veränderungen des Gewässerhaushaltes und der Gewässerdynamik, Verbuschung und Verkrautung der Offenflächen<br />
<br />
= Wissenslücken =<br />
Die Wissenslücken sind nicht abschliessend und fokussieren besonders auf die Förderung.<br />
* Erfolgreiche Förderung seltener Arten<br />
* Minimale überlebensfähige Populationsgrössen <br />
* Vernetzung von Heuschreckenpopulationen unterschiedlicher Arten und Artenzusammensetzungen<br />
* Habitatspezifische Auswirkungen der Grünlandnutzung: lässt sich das auf Trockenrasen gewonnene Wissen bspw. auf Feuchtwiesen übertragen?<br />
* Barrierewirkung mehrspuriger Strassen (Autobahnen)<br />
* Auswirkungen vom Klimawandel, insbesondere langer Dürreperioden oder Starkregen<br />
<br />
= Praxisbeispiele =<br />
Für Heuschrecken haben wir nur ein Praxisbeispiel gefunden, welches die durchgeführten Massnahmen ausführlich beschreibt und eine Erfolgsuntersuchung beinhaltet. Daher freuen wir uns über Ihre [http://biodivers.ch/index.php/kontakt.html Vorschläge per Email.]<br />
* [http://www.parcs.ch/nwp/pdf_public/2014/26962_20140130_123116_Kurth_Salome_2007.pdf Kurth, S. (2007). Planning a migration corridor for the highly endangered grasshopper Chorthippus pullus (Orthoptera, Acrididae) in the Rottensand (Pfynwald, VS)] <br />
: Für den Kiesbankgrashüpfer wurde im Pfynwald ein Migrationskorridor errichtet und die anschliessende Nutzung beobachtet.<br />
<br />
= Allgemeine Links=<br />
* [http://lepus.unine.ch/carto/ Info fauna. Verbreitungskarten der Schweizer Tierarten]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken]<br />
* [http://www.orthoptera.ch Orthoptera Schweiz. Heuschrecken-Plattform für die Schweiz und Europa ]<br />
* [http://www.orthoptera.ch/links Orthoptera Schweiz. Linkliste der Heuschrecken-Webseiten Europas und weltweit] <br />
<br />
== Glossar und weitere spannende Links ==<br />
* [https://www.orthoptera.ch/glossar Glossar von orthoptera.ch]<br />
* [http://www.biofotoquiz.ch/biofotoquiz/index.php?domain=standard&classID=278 Biofotoquiz]: Quiz mit Fotos von Heuschrecken und anderen Tier- und Pflanzenarten zum Kennenlernen der Arten.<br />
* [https://offene-naturfuehrer.de/web/Heuschreckenarten_nach_einfachen_Merkmalen_bestimmen_(Bayern) Heuschreckenarten nach einfachen Merkmalen bestimmen (Bayern)]: Wiki-Bestimmungsschlüssel für die Heuschrecken von Bayern. Der Leser wird anhand der Merkmale geführt, die Kenntnis von Fachbegriffen wird vorausgesetzt. <br />
* [https://docplayer.org/24899466-Heuschrecken-bestimmungsschluessel-fuer-die-oestlichen-suedalpen.html Fontana et al. (2002). Heuschrecken-Bestimmungsschlüssel für die östlichen Südalpen]: Bestimmungsschlüssel mit detaillierten Zeichnungen der Merkmale. <br />
* [http://www.orthoptera.ch/info-app-wiki/orthoptera-app Orthoptera-App]: Die Heuschrecken Bestimmungs-App für iphone und Android enthält zu jeder Art zahlreiche Fotos, Stimmaufzeichnungen und Hintergrundinformationen. Beobachtungen können in der App eingegeben und so dem CSCF gemeldet werden.<br />
<br />
= Literaturempfehlungen =<br />
* Detzel, P. (1998). Die Heuschrecken Baden-Württembergs. Stuttgart Hohenheim, Ulmer.<br />
: Bisher immer noch das beste Buch zur praxisnahen Ökologie und Massnahmen zur Förderung von Heuschrecken. Die Aufwertungs-Massnahmen sind an einzelne Arten und Lebensräume angepasst. Als genereller Leitfaden sind sie sehr gut, umsetzungsorientierte Anleitungen fehlen. Alles in allem ein gutes Buch für den Anfang, eine Weiterentwicklung ist aber dringend notwendig.<br />
* Ingrisch, S. & Köhler, G. (1998). Die Heuschrecken Mitteleuropas. Vol. Bd. 629. Magdeburg, Westarp Wissenschaften.<br />
: Sehr ausführliches und allgemeines Buch zur Biologie, Populationsdynamiken und Lebensräumen der Heuschrecken, weniger zur Biotopaufwertung und zu Fördermassnahmen. Trotz dem Alter immer noch lesenswert und informativ. <br />
* Schlumprecht, H. & Waeber, G. (2003). Heuschrecken in Bayern. Stuttgart Hohenheim. Ulmer. <br />
: Sehr ausführlicher Bestimmungs-Atlas mit vielen Informationen zur Lebensweise und den Lebensräumen der einzelnen Arten. Zu Gefährdung und Schutz gibt es Beispiele aus dem bayrischen Raum und Ratschläge zur Aufwertung für jede Art.<br />
* Maas, S., Detzel, P. & Staudt, A. (2002). Gefährdungsanalyse der Heuschrecken Deutschlands - Verbreitungsatlas, Gefährdungseinstufung und Schutzkonzepte. Bonn-Bad Godesberg, Bundesamt für Naturschutz.<br />
: Ausführlicher Atlas zu den Heuschreckenarten in Deutschland mit Gefährdungsanalysen und Informationen zu Habitaten, Biologie und Verbreitung der einzelnen Arten. Die Angaben zur Aufwertung von Lebensräumen sind kurz gehalten.<br />
* [http://dgfo-articulata.de/articulata Articulata - Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Orthopterologie] <br />
: In der Zeitschrift der DGFO erscheinen regelmässig Artikel zur Förderung von Heuschrecken, ältere Artikel können als PDF heruntergeladen werden.<br />
<br />
== Bestimmungsbücher ==<br />
* Baur, B., Bauer, H., Rösti, C., & Rösti, D. (2006). Die Heuschrecken der Schweiz. Bern, Haupt Verlag.<br />
: Intuitiver Bestimmungsschlüssel für die Schweizer Heuschreckenarten mit sehr schönen Detail-Zeichnungen. Enthält Verbreitungskarten und Erklärungen zu den wichtigsten Merkmalen.<br />
* Fischer, J., Steinlechner, D., Zehm, A., Poniatowski, D., et al., Hrsg. Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (2016). Die Heuschrecken Deutschlands und Nordtirols: Bestimmen - Beobachten - Schützen. Wiebelsheim Hunsrück, Quelle & Meyer.<br />
: Dieses Buch sticht positiv heraus. Es enthält Detailfotos der Bestimmungsmerkmale der Adultiere und Nymphen, eine Darstellung der Hauptaktivitätszeit aller Arten im Jahresverlauf und vieles mehr.<br />
* Weitere nationale und internationale Bestimmungsbücher sind auf [http://www.orthoptera.ch/literatur Orthoptera.ch] aufgeführt.<br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers ]|| info@biodivers.ch<br />
|-<br />
| Review|| Prof. Dr. Peter Detzel || [http://www.goeg.de/ Gruppe für ökologische Gutachten] <br />
|-<br />
| || [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Dr. Axel Hochkirch] || [https://www.uni-trier.de Universität Trier] <br />
|-<br />
| || [https://www.naturalis.nl/en/science/researchers/roy-kleukers Roy Kleukers] || [https://www.naturalis.nl/en Naturalis Biodiversity Center] <br />
|-<br />
| || [https://www.orthoptera.ch/ueber-uns Florin Rutschmann] || [https://www.pronatura-ag.ch/de Pro Natura Aargau] <br />
|}<br />
<br />
<!-- biodivers-Links zu Arten: Kiesbankgrashüpfer Chorthippus pullus, Blauflügelige Ödlanschrecke Oedipoda caerulescens → Aktionsplandrehscheibe, Grüne Heupferd Tettigonia viridissima, Alpenschrecke Anonconotus alpinus <br />
biodivers-Links zu Lebensräumen: Kleinstrukturen, Hecke, Stillgewässer (mehrfach), Fliessgewässer (mehrfach), Wald und Waldrand (mehrfach), Feuchtgebiete, Sumpf, Grünland, Trockenwiesen und Trockenweisen, Entbuschung von Trockenwiesen (mehrfach)--></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Heuschrecken&diff=4703
Heuschrecken
2023-03-04T18:17:18Z
<p>VB2: </p>
<hr />
<div>[[fr:Orthoptères]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = JM 29293745804 8952ea6513 h.jpg<br />
| text = Die Sumpfschrecke (''Stethophyma grossum'') besiedelt feuchte Wiesen und Flachmoore.<br />
}}<br />
<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers]<br />
|-<br />
| Review || Prof. Dr. Peter Detzel, [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Dr. Axel Hochkirch], [https://www.naturalis.nl/en/science/researchers/roy-kleukers Roy Kleukers] & [http://www.orthoptera.ch/ueber-uns Florin Rutschmann]<br />
|-<br />
| Publikation || Juli 2017<br />
|}<br />
<br /><br />
{{TOC limit|2}}<br />
<br />
= Zusammenfassung =<br />
Über 100 Heuschreckenarten bereichern unsere Fauna und überraschen uns mit Flug-, Grab- oder Klangkünsten sowie ihrer Farben- und Formenvielfalt. Heuschrecken (Orthopteren) sind wärmeliebende Kulturfolger. Die meisten Arten beherbergt das Grünland, ob trocken oder feucht, gemäht oder beweidet. Einige Arten leben in lichten Wäldern und auf Pionierflächen der Flussauen und Geröllhalden. Viele Heuschreckenarten sind auf eine hohe Strukturvielfalt auf kleinem Raum angewiesen, da ihre durchschnittliche Ausbreitungsdistanz weniger als ein Kilometer beträgt.<br />
<br />
Für alle Arten ist die Offenhaltung ihrer Lebensräume zentral. Die Wiederherstellung der natürlichen Dynamiken oder die regelmässige, extensive Bewirtschaftung der besiedelten Flächen ist daher wichtig. Bei der Mahd ist darauf zu achten, ein Mosaik aus Rückzugsstreifen und Flächen mit unterschiedlichen Mahdzeitpunkten zu schaffen. Bei der Begrünung sind eine geringe Distanz zu besiedelten Flächen und eine lückige Ausbringung vorteilhaft. Von den über 100 einheimischen Heuschreckenarten stehen 40% auf der Roten Liste. Insbesondere die Arten der Pionierflächen haben einen erhöhten Förderbedarf. <br />
<br />
= Systematik =<br />
Heuschrecken werden in zwei leicht unterscheidbare Gruppen eingeteilt. Bei den Langfühlerschrecken (Ensifera) sind die Fühler gleich lang oder länger als der Körper und haben mindestens 30 Fühlerglieder, während sie bei den Kurzfühlerschrecken (Caelifera) kürzer als der Körper sind. Die Weibchen der Langfühlerschrecken besitzen meist einen auffälligen Legebohrer, im Gegensatz zu den kurzen Legeröhrenklappen bei den Kurzfühlerschrecken. Nur die Maulwurfsgrille gehört auch ohne lange Fühler und Legebohrer zu den Langfühlerschrecken. <br />
Mehr zur Systematik der Heuschrecken auf [https://de.wikipedia.org/wiki/Heuschrecken Wikipedia].<br />
<br />
=Praxisrelevante Ökologie=<br />
== Lebensräume ==<br />
Heuschrecken besiedeln die meisten terrestrischen Lebensräume bis auf 3'100&nbsp;m&nbsp;ü.&nbsp;M. Sie kommen in extensiven Wiesen und Weiden, Brachen, Weinbergen, Wäldern, Feuchtgebieten, Mooren und Flussauen vor. Heuschrecken können allgemein als wärmeliebende Kulturfolger bezeichnet werden, die in stark vom Menschen geprägten Landschaften leben. So können Kiesgruben und Steinbrüche viele seltene Arten beherbergen, wenn sie offengehalten und extensiv gepflegt werden. Im Siedlungsgebiet finden Heuschrecken eine Vielfalt an Kleinlebensräumen auf Industriebrachen und grossen Güterbahnhöfen, Schotterplätzen und in Ruderalflächen. Für seltene Arten sind Parks, Gärten und Flachdächer als Lebensraum wenig relevant, als Trittsteine können sie aber beim Erreichen neuer Lebensräume helfen. <br />
<br />
{{Fotos-links-1000px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Lebensraeuume_Gruppen_PZ.png<br />
| text = Zu den wichtigsten Lebensräumen für Heuschrecken zählen magere Wiesen, Moorlandschaften, lückige Wälder und Blocksteinhalden.<br />
}}<br />
<br />
Da nahezu alle Heuschrecken licht- und wärmeliebend sind, brauchen sie in ihren Lebensräumen Offenflächen bzw. lückige Pflanzenbestände. Die Bindung an das Habitat erfolgt weniger aufgrund bestimmter Pflanzengesellschaften, als aufgrund der benötigten Strukturen und der mikroklimatischen Verhältnisse. Entscheidend sind Dichte und Höhe der Vegetation, sowie Temperatur und Feuchtigkeit. Mosaikartige Lebensräume mit einer Vielfalt an Strukturen sind für eine hohe Heuschreckenvielfalt optimal. So leben an Lebensraum-Übergängen, wie Waldrändern mit Feuchtwiesen oder Hecken entlang von extensiven Wiesen, besonders viele Arten. Für den Erhalt von Offenflächen und Strukturreichtum sind regelmässige Pflegeeinsätze notwendig, wenn natürliche Dynamiken fehlen.<br />
<br />
Die Schweizer Heuschreckenarten können bezüglich ihrer Lebensraumbindung in vier Gruppen unterteilt werden (aus: [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken]) <br />
# Grünlandarten in Trockenwiesen und -weiden (43 Arten)<br />
# Sumpf- und Feuchtgebietsarten in Flach- und Hochmooren (11 Arten)<br />
# Wald- und Waldrandarten sowie Gebüscharten, vor allem in tieferen Lagen (24 Arten)<br />
# Pionierarten in Auen, Felsplatten, Geröllhalden oder Karst (25 Arten)<br />
<br />
==Merkmale und Vermehrung==<br />
Heuschrecken sind durch ihre Körperform, ihr Verhalten und ihre Körperfärbung an ihren Lebensraum angepasst und häufig gut getarnt. Die Körperfärbung kann innerhalb einer Art stark variieren und ist daher meist kein spezifisches Unterscheidungsmerkmal. Die Körperfärbung ist nicht immer genetisch festgelegt, sondern kann sich während der Entwicklung verändern und der Färbung der Umgebung anpassen. Adulte Tiere können ihre Farbe dagegen nicht mehr wechseln, aber ggf. noch nachdunkeln.<br />
<br />
Heuschrecken durchlaufen eine hemimetabole (unvollkommene) Entwicklung. Nach dem Schlupf sind die sogenannten Nymphen schon als Heuschrecken zu erkennen und werden mit jeder Häutung dem adulten Tier ähnlicher. Grillen brauchen bis zu 12 Häutungen, bis sie ausgewachsen sind, Laubheuschrecken 5 bis 7 und Kurzfühlerschrecken 4 bis 5 Häutungen. Erst nach der letzten Häutung bilden sich die Flügel und Geschlechtsorgane vollständig aus. Die meisten Heuschrecken sind einjährig, ihre Nymphen schlüpfen im Zeitraum von Frühling bis Sommer. Adulte Tiere sind von Sommer bis Herbst zu finden, das Auftreten richtet sich vor allem nach der Höhenstufe und den mikroklimatischen Verhältnissen. Nur Grillen (Gryllidae) und Dornschrecken (Tetrigidae) überwintern in einem der Nymphenstadien oder als adulte Tiere und treten entsprechend früh im Jahr auf. <br />
<br />
Die Paarung erfolgt einige Tage bis wenige Wochen nach der letzten Häutung und schon wenige Tage später beginnt die Eiablage. Die Weibchen der meisten Heuschreckenarten legen ihre Eier im Boden oder an der Basis von Gräsern ab. Andere Arten legen ihre Eier in rissige Baumrinde und markhaltige Pflanzenteile oder heften sie an Halme und Blätter. Die Langfühlerschrecken können mit dem Legebohrer ihre Eier tiefer in den Boden legen als die Kurzfühlerschrecken. Bei den meisten heimischen Arten dauert die Entwicklung der Eier bis zum Schlupf vom Herbst bis zum nächsten Frühling, bei einigen auch mehrere Jahre. <br />
<br />
Die Feuchte- und Temperatur-Ansprüche der Eier sind bei Heuschrecken entscheidend für die Habitatbindung der Arten. Arten der Feuchthabitate können oft nicht überleben, wenn ihre Eier im Winter nicht genügend feucht sind. Sie brauchen eine Periode der Überflutung. Feldheuschrecken der trockenen Habitate haben eine längere Eientwicklung nach dem Winter und benötigen höhere Bodentemperaturen. Die notwenigen Temperaturen werden erreicht, wenn Sonnenstrahlen offene Bodenstellen erwärmen. Andere Arten, die in höherer, dichterer Vegetation leben, kommen auch mit geringer Sonneneinstrahlung zurecht. So gibt es einige Spezialisten unter den Heuschrecken, mit ganz spezifischen Ansprüchen an ihren Lebensraum. Der Kiesbankgrashüpfer (''Chorthippus pullus'') lebt in der Schweiz z.&nbsp;B. ausschliesslich auf vegetationsarmen Kiesbänken grosser Alpenflüsse.<br />
<br />
{{Fotos-links-1000px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Eiablage_Lebensraum-Fluegel.png<br />
| text = Von links nach rechts: Die Laubholz-Säbelschrecke (''Barbitistes serricauda'') legt ihre Eier in Gehölze mit strukturreicher Borke ab. Der Kiesbankgrashüpfer (''Chorthippus pullus'') kommt nur entlang der grossen Alpenflüsse vor. Die Gewöhnliche Gebirgsschrecke (''Podisma pedestris'') kann aufgrund der verkümmerten Flügel nicht fliegen.<br />
Das Grüne Heupferd (''Tettigonia viridissima'') ist ein Langstreckenflieger unter den Heuschrecken.<br />
}}<br />
<br />
==Populationsgrössen und Ausbreitung ==<br />
Die Populationsgrösse kann zwischen den Jahren stark schwanken. Schon ein Kälteeinbruch oder eine längere Regenphase im Frühsommer können zu einem starken Populationsrückgang führen. Einzelbeobachtungen weisen darauf hin, dass auch kleine Populationen mit weniger als 50 Tieren über mehrere Jahre existieren können, wenn die Habitatqualität nicht abnimmt. <br />
<br />
Die meisten Heuschreckenarten sind sesshaft und bewegen sich in einem Umkreis von wenigen Metern bis maximal 1&nbsp;km. Bei vielen Arten sind die Flügel verkümmert (z.&nbsp;B. bei der Gewöhnlichen Gebirgsschrecke ''Podisma pedestris''). Es gibt aber auch einzelne Langstreckenflieger, wie das Grüne Heupferd (''Tettigonia viridissima''), das in einem Sommer Distanzen von mehreren Kilometern zurücklegen kann. Hohe Bestandsdichten können die Ausbreitung von sesshaften Arten erhöhen, da bei Dichtestress die Mobilität steigt und makroptere (langflügelige) Tiere auftreten können, deren Flügel deutlich länger sind als üblich. Mit verlängerten Flügeln können auch Arten, die üblicherweise flugunfähig sind, weitere Distanzen überqueren. Ungenügend untersucht ist die Ausbreitung von Eiern und Tieren durch passiven Transport, z.&nbsp;B. durch Fliessgewässer, den Bahnverkehr, durch Verfrachtung mit Mahdgut oder mit Weidetieren. Bei manchen Arten scheint diese Art der Verbreitung jedoch gut zu funktionieren, da immer wieder fernab von bekannten Populationen Einzeltiere oder kleine Initialpopulationen gefunden werden.<br />
<br />
== Fauna Indicativa ==<br />
Die [http://www.cscf.ch/cscf/de/home/projekte/fauna-indicativa.html Fauna Indicativa] ist ein Nachschlagewerk sowie ein Werkzeug für die Auswertung faunistischer Daten. Sie charakterisiert in Tabellenform ökologische Präferenzen und biologische Eigenschaften aller in der Schweiz einheimischen Heuschrecken.<br />
<br />
=Erhalt und Förderung=<br />
==Allgemeine Massnahmen ==<br />
===Grünland- und Feuchtgebietsarten ===<br />
* Extensive Bewirtschaftung von Wiesen und Weiden und Verzicht auf schwere Maschinen, insbesondere in Feuchtgebieten<br />
* Verzicht auf das Ausbringen von Kunstdünger und Bioziden, insbesondere Insektiziden<br />
* Förderung von Biodiversitätsförderflächen (BFF) mit Qualitätsstufe QII<br />
* Verzicht auf die Bewässerung von Trockenwiesen und Steppen<br />
* Eindämmung der Verbuschung und Verbrachung von Trockenwiesen- und weiden<br />
* Verzicht auf die Entwässerung von Feuchtgebieten und Wiederherstellung des natürlichen Wasserregimes<br />
* Erhalt von Weiden, da in der Regel mit heterogener Struktur und artenreicher, ausser bei einschüriger Mahd <br />
* Schutz und Wiederherstellung von Feuchtgebieten<br />
* Anlage und Pflege von Stillgewässern, insbesondere mit flachen Uferzonen<br />
<br />
===Wald- und Waldrandarten===<br />
* Aufwertung und Schaffung gestufter Waldränder mit einer Krautschicht<br />
* Erhalt alter Baumbestände, Biotopbäume und Hecken mir ihren Säumen<br />
* Auflichtung der Wälder und Böschungen, damit sie gut besonnt sind<br />
* Extensive Pflege der Weg- und Hangböschungen<br />
* Standortgerechter Waldbau, Verzicht auf Monokulturen (bspw. Fichten)<br />
* Umwandlung von Monokulturen in natürliche Wälder mit mehreren Baumarten<br />
* Verzicht auf den Einsatz von Düngemitteln und Bioziden<br />
<br />
===Pionierarten an Fliessgewässern ===<br />
(Übernommen aus: [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken])<br />
* Revitalisierung der Fliessgewässer, bevorzugt von Pionierarten besiedelte Standorten <br />
* Verzicht auf die Zuschüttung oder Eindämmung von besiedelten Uferflächen<br />
* Verzicht auf jeglichen Abbau der Sand-, Kies- oder Steinbänke innerhalb, ober- und unterhalb besiedelter Flächen<br />
* Zulassen von regelmässigen, genügend intensiven Hochwassern, um den natürlichen Abtrag der mit Vegetation bewachsenen Bänke in Auen zu gewährleisten<br />
* Gewährleisten von periodischen Ablagerungen von Sedimenten an besiedelten Standorten, um die Regeneration von Sedimentbänken in Auen sicherzustellen<br />
* Revitalisierung möglichst vieler Fliessgewässer, um über die Schaffung von potenziell günstigen Standorten die Wiederbesiedlung von verlassenen Gegenden zu fördern<br />
<br />
{{Foto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Mosaik_aus_Gruenlandtypen_-_Suedschwarzwald_-_IMG_7876b.jpg<br />
| text = Der Strukturreichtum dieser Flächen bietet Grünlandarten einen idealen Lebensraum.<br />
}}<br />
<br />
== Strukturreiche Flächen schaffen und schützen ==<br />
Für Heuschrecken sind weniger die typischen [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen Kleinstrukturen] wichtig wie [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen#Die_einzelnen_Kleinstrukturen Ast- oder Steinhaufen], als vielmehr offene Bodenstellen (u.&nbsp;a. für die Eiablage) und Strukturen, die Wärme aufnehmen und speichern, wie felsige Bereiche, [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Pionierfl%C3%A4chen Kiesflächen], feuchte Senken und [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Stillgew%C3%A4sser temporäre Tümpel]. Neu angelegte Strukturen sollen eine minimale Fläche von 20&nbsp;m&sup2; pro ha haben. Natürliche Offenflächen und strukturreiche Flächen wie Moränen, Felsschutthalden, Kiesflächen und Verlandungszonen von [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Stillgew%C3%A4sser Stillgewässern] sind zu schützen und dürfen nicht zugeschüttet oder aufgeforstet werden.<br />
<br />
== Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts ==<br />
Viele gefährdete Heuschreckenarten sind auf eine extensive Beweidung oder regelmässige Mahd angewiesen, damit die Vegetation nicht zu dicht wird. Der optimale Schnittzeitpunkt ist artabhängig. Für Arten, die ihre Eier im Boden ablegen, ist eine Mahd zwischen Mai und August ungünstig. Für Arten, die ihre Eier an oder in Pflanzen ablegen, ist eine Mahd nach August und vor Mai problematisch. Die Bewirtschaftung kann aber auch schädlich sein. Verluste entstehen v.&nbsp;a. durch Mähaufbereiter und das Schwaden und Abführen des Mahdguts. Zur Verminderung der Verluste bei allen Arten ist bei der Mahd Folgendes zu beachten: <br />
<br />
* Es sollen möglichst wenige Schnitte erfolgen, optimaler Weise nur ein Schnitt pro Jahr<br />
* Frühmad: nicht ganzflächige durchführen; Spätmahd: nach dem Verblühen der meisten Pflanzen durchführen<br />
* Am besten ist eine differenzierte Pflege, d.&nbsp;h. ein Mosaik aus Flächen mit unterschiedlichen Mähzeitpunkten und Rückzugsstreifen, die nur alle 2 Jahre gemäht werden <br />
* Die Schnitthöhe soll mindestens 10&nbsp;cm betragen <br />
* Balkenmäher verursachen die niedrigste Schädigungsrate, Scheibenmähern die höchste; am schonendsten ist die Mahd mit der Sense <br />
* Das Schnittgut soll, damit sich die Tiere verteilen können, zum Trocknen liegen gelassen und stets abgeführt werden<br />
* Es sollen keine Mähaufbereiter eingesetzt werden<br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://www.buntewiese-tuebingen.de/app/download/6569219764/Hiller%202014%20Auswirkungen%20verschiedener%20Mahdkonzepte%20auf%20die%20Heuschreckenfauna%20st%C3%A4dtischer%20Gr%C3%BCnfl%C3%A4chen%20-%20Naturschutz%20und%20Landschaftsplanung.pdf?t=1490555371 Hiller, D. & Betz, O.(2014). Auswirkungen verschiedener Mahdkonzepte auf die Heuschreckenfauna städtischer Grünflächen]<br /><br />
<br />
'''Hintergrundinformationen'''<br /><br />
* [http://www.parcs.ch/npf/pdf_public/2014/30491_20141107_083216_MA_GrichtingStefan_2002.pdf Grichting, S. (2002). Heuschrecken (Orthoptera) von Trockensteppen und extensiv bewirtschafteten Wiesen im Pfynwald (VS, Schweiz)]<br />
: Studie zu den ökologischen Ansprüchen und der Verbreitung von Heuschrecken auf Wiesen mit unterschiedlichem Nutzungsgrad.<br /><br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/abashop?s=208&p=productdetail&sku=429&language=de Agridea (2011). Erntetechnik und Artenvielfalt in Wiesen]<br />
: Das Merkblatt zeigt die Auswirkungen verschiedener Mähtechniken und nachfolgender Ernteschritte auf die Artenvielfalt und gibt Empfehlungen für eine möglichst tierschonende Ernte. <br /><br />
<br />
==Rotationsbrachen anlegen und Altgrassstreifen stehen lassen ==<br />
Bei der Anlage von Rotationsbrachen und Altgrasstreifen ist auf das Vorkommen von Heuschreckenpopulation in der näheren Umgebung zu achten, da Heuschrecken oft nur geringe Ausbreitungsdistanzen haben. Als Rückzugsstreifen werden bei jedem Schnitt 10% der Wiese stehen gelassen.<br /><br />
<br />
'''Links'''<br />
* [http://www.agraroekologie.ch/NuL07-10_Mueller_Bosshard.pdf Müller, M. & Bosshard, B. (2012). Altgrasstreifen fördern Heuschrecken in Ökowiesen - Eine Möglichkeit zur Strukturverbesserung im Mähgrünland]<br />
: Studie zu den positiven Auswirkungen von Altgrasstreifen als Rückzugsraum bei der Mahd in extensiv genutzten Wiesen. <br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/2012_01_1723.pdf Duss, M. et al. (2012). Vernetzte Ökoflächen fördern Heuschrecken]<br />
: Studie zur Auswirkung eines Vernetzungsprojektes von ökologischen Ausgleichsflächen (öAF) auf die Verbreitung von 2 Heuschreckenarten. Die Grosse Goldschrecke (''Chrysochraon dispar'') profitiert von Altgrasstreifen.<br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/download.php?filename=2001_1112_102.pdf Peter, B. & Walter, T. (2001). Heuschrecken brauchen ökologische Ausgleichsflächen] <br />
: Vergleichende Untersuchungen vor und nach der Einführung von Biodiversitätsförderflächen (BFF) zeigt deren Wichtigkeit für Heuschrecken auf.<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Buntbrache_Altgrassstreifen_AK.png<br />
| text = Links und Mitte: Die Gemeine Sichelschrecke (''Phaneroptera falcata'') und die Langflüglige Schwertschrecke (''Conocephalus fuscus'') schätzen die hohe Vegetation von Buntbrachen. <br /><br />
Rechts: Die Grosse Goldschrecke (''Chrysochraon dispar'') profitiert von Altgrasstreifen.<br />
}}<br />
<br />
==Beweidung ==<br />
Für die Beweidung sollen möglichst traditionelle Rassen, bzw. leichte Tiere eingesetzt werden. Generell scheint Schaf-Hütehaltung besonders günstig für Heuschrecken zu sein. Die Viehdichte darf nicht zu hoch sein; der jährliche Besatz sollte 150 Grossvieheinheiten&sup1; pro Hektare (GVE/ha) nicht überschreiten. Es empfiehlt sich, eine Beweidung in Koppeln zu führen, womit ein ähnlicher Effekt erzielt wird wie mit einer Rotationsmahd. <br /><br />
<small><sup>1</sup>Die Beweidungsintensität ergibt sich aus dem Produkt von Besatzstärke in Grossvieheinheiten pro Hektare mal Anzahl Bestossungstagen (GVE/ha * dd). Je nach Grösse und Alter der Tiere ändert sich der Wert, der sich mit dem [https://www.agate.ch/portal/web/agate/gve-rechner GVE-Rechner des Bundesamtes für Landwirtschaft] genau ermitteln lässt.</small> <br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://www.pronatura.ch/de/2016/allegra-geissenpeter-ziegen-esel-und-rinder-weiden-fuer-die-biodiversitaet Pro Natura. Projekt „Allegra Geissenpeter“]<br />
: Pro Natura lanciert Projekte mit verschiedenen Weidetierarten, um die Trockenstandorte in den Alpen nachhaltig zu sichern, unter anderem zur Förderung der Heuschrecken. Die unterschiedlichen Projekte und die Ergebnisse der Erfolgskontrollen sind im [https://www.pronatura.ch/sites/pronatura.ch/files/2017-11/leitfaden_fuer_die_aufwertung_von_brachliegenden_trockenstandorten_durch_beweidung-beitraege_zum_naturschutz_in_der_schweiz_nr_37-2016_highres.pdf Leitfaden für die Aufwertung von brachliegenden Trockenstandorten durch Beweidung (2016)] zusammengefasst.<br />
<br />
== Direktbegrünung und Mahdgutübertragung ==<br />
Direktbegrünung und Mahdgutübertragung sind einer Ansaat vorzuziehen, da zusammen mit dem Pflanzenmaterial oder den Samen Insekten und Eier übertragen werden können. Dies ist insbesondere wichtig für Arten mit einem geringem Ausbreitungspotenzial. Das Saat- und Mahdgut sollte von [https://www.regioflora.ch/app/de/index.html Spenderflächen aus der nahen Umgebung] stammen, also [https://de.wikipedia.org/wiki/Autochthone_Art autochthon] sein, um die regionale genetische Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten zu erhalten. Für eine erfolgreiche Besiedlung sollen Empfängerflächen in maximal 1&nbsp;km Distanz, besser nur 500&nbsp;m, zu bereits besiedelten Flächen angelegt werden. Bei der Begrünung können kleine Bodenstelle langfristig offengehalten werden, indem Steine oder Feinsediment als Substrat eingebracht wird. <br />
<br />
'''Hintergrundinformation'''<br />
* [http://public.bibliothek.uni-halle.de/index.php/hercynia/article/viewFile/218/224 Elias, D. & Thiede, S. (2008). Verfrachtung von Heuschrecken (Insecta: Ensifera et Caelifera) mit frischem Mähgut im Wulfener Bruch (Sachsen-Anhalt)]: Diese Studie zeigt auf, dass die Mahdgutübertragung für Heuschrecken eine wichtige Rolle spielt, insbesondere für wenig mobile Arten.<br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/2001_07_71.pdf Bosshard, A. & Kuster, D. (2001). Bedeutung neu angelegter Extensivwiesen für Tagfalter und Heuschrecken]: Die Untersuchung zeigt, dass neu angelegte Extensivwiesen rasch von gefährdeten Heuschrecken- und Tagfalterarten besiedelt werden können.<br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [https://www.regioflora.ch/ Regio Flora - das Portal zur Förderung der regionalen Vielfalt im Grünland]: Umfassende Informationen zur Direktbegrünung von Wiesen und Weiden.<br />
* [https://www.regioflora.ch/de/assets/content/pdf/RF_Praxismerkblatt_D_download9.11.15.pdf Agridea (2015). Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft]: Leitfaden für die Praxis zum Einsatz von regionalem Saatgut in Biodiversitätsförderflächen.<br />
<br />
{{Foto-rechts-hoch<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Gewaesser_PZ.png<br />
| text = Die Ufer von Fliess- und Stillgewässern sind wichtige Verbreitungskorridore und sollen alternierend bewirtschaftet werden. <br />
}}<br />
<br />
== Feuchtgebiete und Trockenstandorte ==<br />
=== Ruderalstandorte und Säume entlang von Feuchtgebieten pflegen ===<br />
Zahlreiche Arten legen ihre Eier in Stängel von Pflanzen im Uferbereich von Still- und Fliessgewässern. Die Uferbereiche sind wichtige Verbreitungskorridore für die Tiere. Daher ist die extensive Pflege von Feuchtgebieten und Gräben das ganze Jahr über wichtig:<br />
* [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts|Mahd]] an den Ufern alternierend, an einem Ufer die Vegetation immer für ca. 1-2 Jahre stehen lassen <br />
* Säume am selben Ufer gestaffelt mähen und das Schnittgut abführen <br />
* Flächen nicht mulchen<br />
* Ruderalstandorte immer wieder abschnittweise stören durch extensive [[#Beweidung| Beweidung]] oder [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts | Mahd]], um die Verbuschung zu verhindern und [[#Strukturreiche Flächen schaffen und schützen| strukturreiche Flächen]] zu schaffen <br />
* Invasive Pflanzen zurückdrängen, insbesondere Flügelknöterich (''Fallopia'') und Drüsiges Springkraut (''Impatiens glandulifera'')<br />
<br />
=== Entbuschung von Trockenstandorten === <br />
Der Baum- und Strauchbewuchs soll bei grossen Standorten maximal 25% betragen, bei kleineren 10% oder weniger. Für die langfristige Offenhaltung der Trockenwiesen- und weiden eignen sich extensive Beweidung oder Mahd. Massnahmen zur Aufwertung von Trockenstandorten werden zu einem späteren Zeitpunkt bearbeitet.<br />
<br />
== Im Siedlungsgebiet ==<br />
=== Schotter- und Brachflächen extensiv pflegen ===<br />
Im Randbereich vom Siedlungsgebiet und auf Firmengeländen kann eine reiche Heuschreckenfauna entstehen, wenn grössere Offenflächen vorhanden sind. Dies können z.&nbsp;B. Schotter- und Industriebrachen sein, die einen lockeren Pflanzenbewuchs aufweisen. Diese Flächen sollen extensiv bewirtschaftet werden (siehe: [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts|Mahdkonzepte]]). Der Strukturreichtum kann gefördert werden, indem die Pflege nur abschnittweise erfolgt und zusätzliche [[#Strukturreiche Flächen schaffen und schützen| Kleinstrukturen]] angelegt werden.<br />
<br />
=== Begrünung und Pflege von Flachdächern ===<br />
Flachdächer können einigen Heuschreckenarten, z.&nbsp;B. der Blauflügeligen Sandschrecke (''Sphingonotus caerulans'') oder der Blauflügeligen Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') als Trittstein dienen. Dauerhafte Ansiedlungen von Populationen wurden bisher noch nicht beobachtet. Bei der Anlage der Dächer ist Folgendes wichtig: <br />
* Nur einheimische Pflanzen und Saatgut verwenden <br />
* Offene Stellen belassen und regelmässig neue Offenflächen durch Abtragung des Oberbodens schaffen <br />
* Sand, Kies und Steine in unterschiedlichen Korngrössen verwenden <br />
* Pflanzen extensiv und abschnittsweise pflegen <br />
* Strukturreichtum durch Kieshaufen, Holz, etc. sicherstellen <br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://docplayer.org/20659374-Die-blaufluegelige-sandschrecke-sphingonotus-caerulans-auf-den-extensiv-begruenten-daechern-der-europa-allee-zuerich.html Speck, M. & Brenneisen, S. (2014). Die Blauflügelige Sandschrecke (Sphingonotus caerulans) auf den extensiv begrünten Dächern der Europa-Allee in Zürich]<br />
: Diese Studie belegt das Vorkommen der Rote-Liste Art auf Flachdächern in Zürich. Die Blauflügelige Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') wurde in vorherigen Untersuchungen machgewiesen, die hier zitiert werden.<br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [https://www.stadt-zuerich.ch/ted/de/index/gsz/beratung-und-wissen/wohn-und-arbeitsumfeld/dachbegruenungen0.html Stadt Zürich. Dachbegrünung]: Umfassende Informationen zur Anlage und Pflege von Dachbegrünung mit vielen Praxisbeispielen.<br />
* [https://www.stadt.sg.ch/home/raum-umwelt/bauen-sanieren/natur-stadt.html Stadt St. Gallen, Amt für Umwelt und Energie (2014). Leitfaden Dachbegrünung]: Ausführliche Informationen zu Aufbau und extensiven Begrünungsarten von Flachdächern.<br />
<br />
{{Fotos-links-550px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Siedlungsgebiet.png<br />
| text = Der Blauflügeligen Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') und der Blauflügeligen Sandschrecke (''Sphingonotus caerulans'') können Flachdächer als Trittsteine in neue Lebensräume dienen.<br />
}}<br />
<br />
=== Wildblumenwiesen und Trockenflächen anlegen und pflegen === <br />
In Parks und Gärten können auch anspruchsvollere Heuschreckenarten vorkommen, wenn Folgendes beachtet wird:<br />
* Nur einheimisches Saatgut verwenden <br />
* Lückig säen und nicht düngen <br />
* Offene Bodenflächen belassen <br />
* Maximal 2-mal pro Jahr mit Balkenmäher oder Sense und abschnittsweise mähen <br />
* Brachflächen, Altgrassstreifen und Säume um Gebüsche und Gehölze von 5-10m abschnittsweise pflegen, um eine Zunahme der Verbuschung zu verhindern <br />
* Mahdgut abführen <br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [http://www.pronatura.ch/blumenwiesen?file=tl_files/dokumente_de/2_unsere_themen/lebensraeume/Wiesen/Pro_Natura_Praxis_Blumenwiese.pdf Pro Natura 2014. Blumenwiesen anlegen und pflegen]: Ausführliche Informationen zur Anlage und Pflege von grossen und kleinen (Wild-) Blumenwiesen.<br />
* [https://www.wwf.ch/sites/default/files/doc-2019-02/2010-12-factsheet-wiesenparadies-einheimische-blumen.pdf WWF Schweiz 2010. Buntes Wiesenparadies mit einheimischen Wildblumen]: Schritt für Schritt Anleitung zur Anlage und Pflege von Wildblumenwiesen für Privathaushalte.<br />
* [[Media:WWF 2010 Lebendige Trockenstandorte.pdf|WWF Schweiz 2010. Lebendige Trockenstandorte mit Sand, Kies und Schotter]]: Anleitung zur Anlage und Pflege von Trockenstandorten für Privathaushalte.<br />
<br />
== Sekundäre Pionierstandorte anlegen und pflegen == <br />
Vom Menschen geschaffene Pionierstandorte sind für Heuschrecken wertvolle Sekundärhabitate geworden, da vielerorts die ursprünglichen Lebensräume (z.&nbsp;B. See- und Flussauen, Brandflächen, etc.) verschwunden sind. Der Erhalt der Pionierstandorte bedarf regelmässiger Pflegeeinsätze zur Verhinderung von Verfilzung und Verbuschung.<br />
Heuschrecken finden wertvolle Pionierflächen: <br />
* In Steinbrüchen und Kiesgruben <br />
* In Weinbergen<br />
* In Sand-, Lehmgruben und Mergelgruben <br />
* An Bahnhöfen und Gleisen<br />
* Auf Industriebrachen<br />
<br />
== Wiederansiedlung von Tieren ==<br />
Die Wiederansiedelung von ehemals vorkommenden Heuschrecken kann nur eine letzte Alternative im Naturschutz sein, da primär immer der Schutz der vorhandenen Populationen im Fokus steht und die Wiederansiedlung sehr aufwändig ist. Für eine erfolgreiche Wiederansiedlung ist es notwendig, eine sorgfältige Ansiedlungs-Strategie zu erarbeiten und die [https://portals.iucn.org/library/efiles/documents/2013-009.pdf Richtlinien der IUCN zur Wiederansiedlung] strikt zu befolgen. Die Wiederansiedlung von Heuschrecken ist bewilligungspflichtig und soll Spezialisten überlassen werden, weshalb hier nicht näher darauf eingegangen wird.<br />
<br />
<br />
{{Foto-rechts-quer<br />
| bilddatei = GSM-5012435629 6b68a9c506 b Ephipiger cfr diurnus female.jpg<br />
| text = Die Westliche Sattelschrecke (''Ephippiger diurnus'') besiedelt trockene und lückige Wiesen und Waldränder. Sie gehört zu den stark gefährdeten Arten. <br />
}}<br />
<br />
= Artenschutz =<br />
Viele Heuschreckenarten brauchen aufgrund ihrer Ansprüche an den Lebensraum ganz spezifische Fördermassnahmen. Die Priorisierung der gefährdeten Arten gemäss ihrem Förderbedarf kann der [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/liste-national-prioritaeren-arten.html Liste der National Prioritären Arten (2011)] entnommen werden. Eine wichtige Grundlage für die Förderung sind auch die in der [http://www.cscf.ch/cscf/de/home/wissenschaftliche-aktivitaten/fauna-indicativa.html Fauna Indicativa] zusammengestellten Präferenzen und Eigenschaften der einzelnen Arten.<br />
<br />
Es gibt nur wenige Praxisinformationen zum spezifischen Artenschutz von Heuschrecken. In der Schweiz wurde bisher nur für die Blauflügelige Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') eine [http://kbnl.ch/wp-content/uploads/2016/11/webseite_Ocaerulescens.pdf Zusammenfassung zur Best Practice der Artenförderung] und [https://www.zh.ch/content/dam/zhweb/bilder-dokumente/themen/umwelt-tiere/naturschutz/artenschutz/aktionsplaene-fauna/heuschrecken/oedipoda_caerulescens_ap.pdf vom Kanton Zürich ein Aktionsplan] erstellt.<br />
<br />
In den Nachbarländern wurden folgenden Publikationen zu Fördermassnahmen erstellt: <br />
<br />
'''Deutschland'''<br />
* [http://www.nlwkn.niedersachsen.de/naturschutz/natura_2000/vollzugshinweise_arten_und_lebensraumtypen/vollzugshinweise-fuer-arten-und-lebensraumtypen-46103.html#Wirbellose Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz. Niedersächsische Strategie zum Arten- und Biotopschutz]<br />
'''Österreich''' <br />
* [http://www.zobodat.at/pdf/NaturschutzbundBgld_9_2013_0001-0160.pdf Zuna-Kratky, T. et. al. (2013). Schutzprogramm für die gefährdeten Heuschrecken des Nordburgenlands]<br />
'''Niederlande''' <br />
* [http://repository.naturalis.nl/document/161506 Schut, D. et al. (2008). Actieplan prioritaire Sprinkhanen in Noord-Brabant]<br />
<br />
= Gefährdung =<br />
Von den 105 für die [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html Rote Liste 2007] untersuchten Heuschreckenarten sind fast 40% bedroht. Am stärksten gefährdet sind die Pionierarten entlang von Gewässern sowie die Arten der Flach- und Hochmoore. Die Erhaltung der letzten Populationen dieser Arten ist daher von grosser Bedeutung.<br />
Die grössten Gefährdungsursachen für alle Heuschreckenarten sind:<br />
* Verlust und Fragmentierung des Lebensraums durch Veränderung der Landnutzung, z.&nbsp;B. durch Umwandlung von Grünland in Äcker, Urbanisierung oder Industrialisierung<br />
* Intensivierung der Nutzung, insbesondere der Einsatz von Mähmaschinen und Mähaufbereitern, sowie Düngung und Erhöhung der Anzahl Schnitte pro Jahr, sowie höhere Viehdichten auf kleinerem Raum<br />
* Mangelnde (natürliche) Prozesse zur Offenhaltung der Landschaft und von Bodenstellen, Homogenisierung der Landschaft<br />
* Verdichtung der Vegetation durch Eutrophierung<br />
* Einsatz von Insektiziden<br />
<br />
Weitere Gefährdungsursachen in Bezug auf die Lebensraumbindung sind:<br />
* Grünlandarten: Intensive Beweidung oder häufige Mahd, Verbuschung oder Verkrautung durch Verbrachung, Verarmung der Pflanzenvielfalt, Düngung von Wiesen und Weiden <br />
* Feuchtgebietsarten: Veränderungen im Gewässerhaushalt von Feuchtgebieten, intensivere landwirtschaftliche Nutzung von Feuchtwiesen <br />
* Wald- und Waldrandarten: Fehlende Stufenstruktur des Waldrandes (Strauch- und Krautschicht), Entfernung von Hecken, Kleinstrukturen und Felsen, Intensivierung der Forstwirtschaft, Einsatz von Bioziden, Anbau von Monokulturen, touristische Nutzung (insbesondere mit Ski & Mountainbike)<br />
* Pionierarten: Verbauungen der Fliessgewässer und Eingriffe in den Geschiebehaushalt, Veränderungen des Gewässerhaushaltes und der Gewässerdynamik, Verbuschung und Verkrautung der Offenflächen<br />
<br />
= Wissenslücken =<br />
Die Wissenslücken sind nicht abschliessend und fokussieren besonders auf die Förderung.<br />
* Erfolgreiche Förderung seltener Arten<br />
* Minimale überlebensfähige Populationsgrössen <br />
* Vernetzung von Heuschreckenpopulationen unterschiedlicher Arten und Artenzusammensetzungen<br />
* Habitatspezifische Auswirkungen der Grünlandnutzung: lässt sich das auf Trockenrasen gewonnene Wissen bspw. auf Feuchtwiesen übertragen?<br />
* Barrierewirkung mehrspuriger Strassen (Autobahnen)<br />
* Auswirkungen vom Klimawandel, insbesondere langer Dürreperioden oder Starkregen<br />
<br />
= Praxisbeispiele =<br />
Für Heuschrecken haben wir nur ein Praxisbeispiel gefunden, welches die durchgeführten Massnahmen ausführlich beschreibt und eine Erfolgsuntersuchung beinhaltet. Daher freuen wir uns über Ihre [http://biodivers.ch/index.php/kontakt.html Vorschläge per Email.]<br />
* [http://www.parcs.ch/nwp/pdf_public/2014/26962_20140130_123116_Kurth_Salome_2007.pdf Kurth, S. (2007). Planning a migration corridor for the highly endangered grasshopper Chorthippus pullus (Orthoptera, Acrididae) in the Rottensand (Pfynwald, VS)] <br />
: Für den Kiesbankgrashüpfer wurde im Pfynwald ein Migrationskorridor errichtet und die anschliessende Nutzung beobachtet.<br />
<br />
= Allgemeine Links=<br />
* [http://lepus.unine.ch/carto/ Info fauna. Verbreitungskarten der Schweizer Tierarten]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken]<br />
* [http://www.orthoptera.ch Orthoptera Schweiz. Heuschrecken-Plattform für die Schweiz und Europa ]<br />
* [http://www.orthoptera.ch/links Orthoptera Schweiz. Linkliste der Heuschrecken-Webseiten Europas und weltweit] <br />
<br />
== Glossar und weitere spannende Links ==<br />
* [https://www.orthoptera.ch/glossar Glossar von orthoptera.ch]<br />
* [http://www.biofotoquiz.ch/biofotoquiz/index.php?domain=standard&classID=278 Biofotoquiz]: Quiz mit Fotos von Heuschrecken und anderen Tier- und Pflanzenarten zum Kennenlernen der Arten.<br />
* [https://offene-naturfuehrer.de/web/Heuschreckenarten_nach_einfachen_Merkmalen_bestimmen_(Bayern) Heuschreckenarten nach einfachen Merkmalen bestimmen (Bayern)]: Wiki-Bestimmungsschlüssel für die Heuschrecken von Bayern. Der Leser wird anhand der Merkmale geführt, die Kenntnis von Fachbegriffen wird vorausgesetzt. <br />
* [https://docplayer.org/24899466-Heuschrecken-bestimmungsschluessel-fuer-die-oestlichen-suedalpen.html Fontana et al. (2002). Heuschrecken-Bestimmungsschlüssel für die östlichen Südalpen]: Bestimmungsschlüssel mit detaillierten Zeichnungen der Merkmale. <br />
* [http://www.orthoptera.ch/info-app-wiki/orthoptera-app Orthoptera-App]: Die Heuschrecken Bestimmungs-App für iphone und Android enthält zu jeder Art zahlreiche Fotos, Stimmaufzeichnungen und Hintergrundinformationen. Beobachtungen können in der App eingegeben und so dem CSCF gemeldet werden.<br />
<br />
= Literaturempfehlungen =<br />
* Detzel, P. (1998). Die Heuschrecken Baden-Württembergs. Stuttgart Hohenheim, Ulmer.<br />
: Bisher immer noch das beste Buch zur praxisnahen Ökologie und Massnahmen zur Förderung von Heuschrecken. Die Aufwertungs-Massnahmen sind an einzelne Arten und Lebensräume angepasst. Als genereller Leitfaden sind sie sehr gut, umsetzungsorientierte Anleitungen fehlen. Alles in allem ein gutes Buch für den Anfang, eine Weiterentwicklung ist aber dringend notwendig.<br />
* Ingrisch, S. & Köhler, G. (1998). Die Heuschrecken Mitteleuropas. Vol. Bd. 629. Magdeburg, Westarp Wissenschaften.<br />
: Sehr ausführliches und allgemeines Buch zur Biologie, Populationsdynamiken und Lebensräumen der Heuschrecken, weniger zur Biotopaufwertung und zu Fördermassnahmen. Trotz dem Alter immer noch lesenswert und informativ. <br />
* Schlumprecht, H. & Waeber, G. (2003). Heuschrecken in Bayern. Stuttgart Hohenheim. Ulmer. <br />
: Sehr ausführlicher Bestimmungs-Atlas mit vielen Informationen zur Lebensweise und den Lebensräumen der einzelnen Arten. Zu Gefährdung und Schutz gibt es Beispiele aus dem bayrischen Raum und Ratschläge zur Aufwertung für jede Art.<br />
* Maas, S., Detzel, P. & Staudt, A. (2002). Gefährdungsanalyse der Heuschrecken Deutschlands - Verbreitungsatlas, Gefährdungseinstufung und Schutzkonzepte. Bonn-Bad Godesberg, Bundesamt für Naturschutz.<br />
: Ausführlicher Atlas zu den Heuschreckenarten in Deutschland mit Gefährdungsanalysen und Informationen zu Habitaten, Biologie und Verbreitung der einzelnen Arten. Die Angaben zur Aufwertung von Lebensräumen sind kurz gehalten.<br />
* [http://dgfo-articulata.de/articulata Articulata - Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Orthopterologie] <br />
: In der Zeitschrift der DGFO erscheinen regelmässig Artikel zur Förderung von Heuschrecken, ältere Artikel können als PDF heruntergeladen werden.<br />
<br />
== Bestimmungsbücher ==<br />
* Baur, B., Bauer, H., Rösti, C., & Rösti, D. (2006). Die Heuschrecken der Schweiz. Bern, Haupt Verlag.<br />
: Intuitiver Bestimmungsschlüssel für die Schweizer Heuschreckenarten mit sehr schönen Detail-Zeichnungen. Enthält Verbreitungskarten und Erklärungen zu den wichtigsten Merkmalen.<br />
* Fischer, J., Steinlechner, D., Zehm, A., Poniatowski, D., et al., Hrsg. Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (2016). Die Heuschrecken Deutschlands und Nordtirols: Bestimmen - Beobachten - Schützen. Wiebelsheim Hunsrück, Quelle & Meyer.<br />
: Dieses Buch sticht positiv heraus. Es enthält Detailfotos der Bestimmungsmerkmale der Adultiere und Nymphen, eine Darstellung der Hauptaktivitätszeit aller Arten im Jahresverlauf und vieles mehr.<br />
* Weitere nationale und internationale Bestimmungsbücher sind auf [http://www.orthoptera.ch/literatur Orthoptera.ch] aufgeführt.<br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers ]|| info@biodivers.ch<br />
|-<br />
| Review|| Prof. Dr. Peter Detzel || [http://www.goeg.de/ Gruppe für ökologische Gutachten] <br />
|-<br />
| || [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Dr. Axel Hochkirch] || [https://www.uni-trier.de Universität Trier] <br />
|-<br />
| || [https://www.naturalis.nl/en/science/researchers/roy-kleukers Roy Kleukers] || [https://www.naturalis.nl/en Naturalis Biodiversity Center] <br />
|-<br />
| || [https://www.orthoptera.ch/ueber-uns Florin Rutschmann] || [http://www.pronatura-aargau.ch/cms/index.php?id=4&no_cache=1 Pro Natura Aargau] <br />
|}<br />
<br />
<!-- biodivers-Links zu Arten: Kiesbankgrashüpfer Chorthippus pullus, Blauflügelige Ödlanschrecke Oedipoda caerulescens → Aktionsplandrehscheibe, Grüne Heupferd Tettigonia viridissima, Alpenschrecke Anonconotus alpinus <br />
biodivers-Links zu Lebensräumen: Kleinstrukturen, Hecke, Stillgewässer (mehrfach), Fliessgewässer (mehrfach), Wald und Waldrand (mehrfach), Feuchtgebiete, Sumpf, Grünland, Trockenwiesen und Trockenweisen, Entbuschung von Trockenwiesen (mehrfach)--></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Heuschrecken&diff=4702
Heuschrecken
2023-03-04T18:16:36Z
<p>VB2: </p>
<hr />
<div>[[fr:Orthoptères]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = JM 29293745804 8952ea6513 h.jpg<br />
| text = Die Sumpfschrecke (''Stethophyma grossum'') besiedelt feuchte Wiesen und Flachmoore.<br />
}}<br />
<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers]<br />
|-<br />
| Review || Prof. Dr. Peter Detzel, [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Dr. Axel Hochkirch], [https://www.naturalis.nl/en/science/researchers/roy-kleukers Roy Kleukers] & [http://www.orthoptera.ch/ueber-uns Florin Rutschmann]<br />
|-<br />
| Publikation || Juli 2017<br />
|}<br />
<br /><br />
{{TOC limit|2}}<br />
<br />
= Zusammenfassung =<br />
Über 100 Heuschreckenarten bereichern unsere Fauna und überraschen uns mit Flug-, Grab- oder Klangkünsten sowie ihrer Farben- und Formenvielfalt. Heuschrecken (Orthopteren) sind wärmeliebende Kulturfolger. Die meisten Arten beherbergt das Grünland, ob trocken oder feucht, gemäht oder beweidet. Einige Arten leben in lichten Wäldern und auf Pionierflächen der Flussauen und Geröllhalden. Viele Heuschreckenarten sind auf eine hohe Strukturvielfalt auf kleinem Raum angewiesen, da ihre durchschnittliche Ausbreitungsdistanz weniger als ein Kilometer beträgt.<br />
<br />
Für alle Arten ist die Offenhaltung ihrer Lebensräume zentral. Die Wiederherstellung der natürlichen Dynamiken oder die regelmässige, extensive Bewirtschaftung der besiedelten Flächen ist daher wichtig. Bei der Mahd ist darauf zu achten, ein Mosaik aus Rückzugsstreifen und Flächen mit unterschiedlichen Mahdzeitpunkten zu schaffen. Bei der Begrünung sind eine geringe Distanz zu besiedelten Flächen und eine lückige Ausbringung vorteilhaft. Von den über 100 einheimischen Heuschreckenarten stehen 40% auf der Roten Liste. Insbesondere die Arten der Pionierflächen haben einen erhöhten Förderbedarf. <br />
<br />
= Systematik =<br />
Heuschrecken werden in zwei leicht unterscheidbare Gruppen eingeteilt. Bei den Langfühlerschrecken (Ensifera) sind die Fühler gleich lang oder länger als der Körper und haben mindestens 30 Fühlerglieder, während sie bei den Kurzfühlerschrecken (Caelifera) kürzer als der Körper sind. Die Weibchen der Langfühlerschrecken besitzen meist einen auffälligen Legebohrer, im Gegensatz zu den kurzen Legeröhrenklappen bei den Kurzfühlerschrecken. Nur die Maulwurfsgrille gehört auch ohne lange Fühler und Legebohrer zu den Langfühlerschrecken. <br />
Mehr zur Systematik der Heuschrecken auf [https://de.wikipedia.org/wiki/Heuschrecken Wikipedia].<br />
<br />
=Praxisrelevante Ökologie=<br />
== Lebensräume ==<br />
Heuschrecken besiedeln die meisten terrestrischen Lebensräume bis auf 3'100&nbsp;m&nbsp;ü.&nbsp;M. Sie kommen in extensiven Wiesen und Weiden, Brachen, Weinbergen, Wäldern, Feuchtgebieten, Mooren und Flussauen vor. Heuschrecken können allgemein als wärmeliebende Kulturfolger bezeichnet werden, die in stark vom Menschen geprägten Landschaften leben. So können Kiesgruben und Steinbrüche viele seltene Arten beherbergen, wenn sie offengehalten und extensiv gepflegt werden. Im Siedlungsgebiet finden Heuschrecken eine Vielfalt an Kleinlebensräumen auf Industriebrachen und grossen Güterbahnhöfen, Schotterplätzen und in Ruderalflächen. Für seltene Arten sind Parks, Gärten und Flachdächer als Lebensraum wenig relevant, als Trittsteine können sie aber beim Erreichen neuer Lebensräume helfen. <br />
<br />
{{Fotos-links-1000px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Lebensraeuume_Gruppen_PZ.png<br />
| text = Zu den wichtigsten Lebensräumen für Heuschrecken zählen magere Wiesen, Moorlandschaften, lückige Wälder und Blocksteinhalden.<br />
}}<br />
<br />
Da nahezu alle Heuschrecken licht- und wärmeliebend sind, brauchen sie in ihren Lebensräumen Offenflächen bzw. lückige Pflanzenbestände. Die Bindung an das Habitat erfolgt weniger aufgrund bestimmter Pflanzengesellschaften, als aufgrund der benötigten Strukturen und der mikroklimatischen Verhältnisse. Entscheidend sind Dichte und Höhe der Vegetation, sowie Temperatur und Feuchtigkeit. Mosaikartige Lebensräume mit einer Vielfalt an Strukturen sind für eine hohe Heuschreckenvielfalt optimal. So leben an Lebensraum-Übergängen, wie Waldrändern mit Feuchtwiesen oder Hecken entlang von extensiven Wiesen, besonders viele Arten. Für den Erhalt von Offenflächen und Strukturreichtum sind regelmässige Pflegeeinsätze notwendig, wenn natürliche Dynamiken fehlen.<br />
<br />
Die Schweizer Heuschreckenarten können bezüglich ihrer Lebensraumbindung in vier Gruppen unterteilt werden (aus: [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken]) <br />
# Grünlandarten in Trockenwiesen und -weiden (43 Arten)<br />
# Sumpf- und Feuchtgebietsarten in Flach- und Hochmooren (11 Arten)<br />
# Wald- und Waldrandarten sowie Gebüscharten, vor allem in tieferen Lagen (24 Arten)<br />
# Pionierarten in Auen, Felsplatten, Geröllhalden oder Karst (25 Arten)<br />
<br />
==Merkmale und Vermehrung==<br />
Heuschrecken sind durch ihre Körperform, ihr Verhalten und ihre Körperfärbung an ihren Lebensraum angepasst und häufig gut getarnt. Die Körperfärbung kann innerhalb einer Art stark variieren und ist daher meist kein spezifisches Unterscheidungsmerkmal. Die Körperfärbung ist nicht immer genetisch festgelegt, sondern kann sich während der Entwicklung verändern und der Färbung der Umgebung anpassen. Adulte Tiere können ihre Farbe dagegen nicht mehr wechseln, aber ggf. noch nachdunkeln.<br />
<br />
Heuschrecken durchlaufen eine hemimetabole (unvollkommene) Entwicklung. Nach dem Schlupf sind die sogenannten Nymphen schon als Heuschrecken zu erkennen und werden mit jeder Häutung dem adulten Tier ähnlicher. Grillen brauchen bis zu 12 Häutungen, bis sie ausgewachsen sind, Laubheuschrecken 5 bis 7 und Kurzfühlerschrecken 4 bis 5 Häutungen. Erst nach der letzten Häutung bilden sich die Flügel und Geschlechtsorgane vollständig aus. Die meisten Heuschrecken sind einjährig, ihre Nymphen schlüpfen im Zeitraum von Frühling bis Sommer. Adulte Tiere sind von Sommer bis Herbst zu finden, das Auftreten richtet sich vor allem nach der Höhenstufe und den mikroklimatischen Verhältnissen. Nur Grillen (Gryllidae) und Dornschrecken (Tetrigidae) überwintern in einem der Nymphenstadien oder als adulte Tiere und treten entsprechend früh im Jahr auf. <br />
<br />
Die Paarung erfolgt einige Tage bis wenige Wochen nach der letzten Häutung und schon wenige Tage später beginnt die Eiablage. Die Weibchen der meisten Heuschreckenarten legen ihre Eier im Boden oder an der Basis von Gräsern ab. Andere Arten legen ihre Eier in rissige Baumrinde und markhaltige Pflanzenteile oder heften sie an Halme und Blätter. Die Langfühlerschrecken können mit dem Legebohrer ihre Eier tiefer in den Boden legen als die Kurzfühlerschrecken. Bei den meisten heimischen Arten dauert die Entwicklung der Eier bis zum Schlupf vom Herbst bis zum nächsten Frühling, bei einigen auch mehrere Jahre. <br />
<br />
Die Feuchte- und Temperatur-Ansprüche der Eier sind bei Heuschrecken entscheidend für die Habitatbindung der Arten. Arten der Feuchthabitate können oft nicht überleben, wenn ihre Eier im Winter nicht genügend feucht sind. Sie brauchen eine Periode der Überflutung. Feldheuschrecken der trockenen Habitate haben eine längere Eientwicklung nach dem Winter und benötigen höhere Bodentemperaturen. Die notwenigen Temperaturen werden erreicht, wenn Sonnenstrahlen offene Bodenstellen erwärmen. Andere Arten, die in höherer, dichterer Vegetation leben, kommen auch mit geringer Sonneneinstrahlung zurecht. So gibt es einige Spezialisten unter den Heuschrecken, mit ganz spezifischen Ansprüchen an ihren Lebensraum. Der Kiesbankgrashüpfer (''Chorthippus pullus'') lebt in der Schweiz z.&nbsp;B. ausschliesslich auf vegetationsarmen Kiesbänken grosser Alpenflüsse.<br />
<br />
{{Fotos-links-1000px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Eiablage_Lebensraum-Fluegel.png<br />
| text = Von links nach rechts: Die Laubholz-Säbelschrecke (''Barbitistes serricauda'') legt ihre Eier in Gehölze mit strukturreicher Borke ab. Der Kiesbankgrashüpfer (''Chorthippus pullus'') kommt nur entlang der grossen Alpenflüsse vor. Die Gewöhnliche Gebirgsschrecke (''Podisma pedestris'') kann aufgrund der verkümmerten Flügel nicht fliegen.<br />
Das Grüne Heupferd (''Tettigonia viridissima'') ist ein Langstreckenflieger unter den Heuschrecken.<br />
}}<br />
<br />
==Populationsgrössen und Ausbreitung ==<br />
Die Populationsgrösse kann zwischen den Jahren stark schwanken. Schon ein Kälteeinbruch oder eine längere Regenphase im Frühsommer können zu einem starken Populationsrückgang führen. Einzelbeobachtungen weisen darauf hin, dass auch kleine Populationen mit weniger als 50 Tieren über mehrere Jahre existieren können, wenn die Habitatqualität nicht abnimmt. <br />
<br />
Die meisten Heuschreckenarten sind sesshaft und bewegen sich in einem Umkreis von wenigen Metern bis maximal 1&nbsp;km. Bei vielen Arten sind die Flügel verkümmert (z.&nbsp;B. bei der Gewöhnlichen Gebirgsschrecke ''Podisma pedestris''). Es gibt aber auch einzelne Langstreckenflieger, wie das Grüne Heupferd (''Tettigonia viridissima''), das in einem Sommer Distanzen von mehreren Kilometern zurücklegen kann. Hohe Bestandsdichten können die Ausbreitung von sesshaften Arten erhöhen, da bei Dichtestress die Mobilität steigt und makroptere (langflügelige) Tiere auftreten können, deren Flügel deutlich länger sind als üblich. Mit verlängerten Flügeln können auch Arten, die üblicherweise flugunfähig sind, weitere Distanzen überqueren. Ungenügend untersucht ist die Ausbreitung von Eiern und Tieren durch passiven Transport, z.&nbsp;B. durch Fliessgewässer, den Bahnverkehr, durch Verfrachtung mit Mahdgut oder mit Weidetieren. Bei manchen Arten scheint diese Art der Verbreitung jedoch gut zu funktionieren, da immer wieder fernab von bekannten Populationen Einzeltiere oder kleine Initialpopulationen gefunden werden.<br />
<br />
== Fauna Indicativa ==<br />
Die [http://www.cscf.ch/cscf/de/home/projekte/fauna-indicativa.html Fauna Indicativa] ist ein Nachschlagewerk sowie ein Werkzeug für die Auswertung faunistischer Daten. Sie charakterisiert in Tabellenform ökologische Präferenzen und biologische Eigenschaften aller in der Schweiz einheimischen Heuschrecken.<br />
<br />
=Erhalt und Förderung=<br />
==Allgemeine Massnahmen ==<br />
===Grünland- und Feuchtgebietsarten ===<br />
* Extensive Bewirtschaftung von Wiesen und Weiden und Verzicht auf schwere Maschinen, insbesondere in Feuchtgebieten<br />
* Verzicht auf das Ausbringen von Kunstdünger und Bioziden, insbesondere Insektiziden<br />
* Förderung von Biodiversitätsförderflächen (BFF) mit Qualitätsstufe QII<br />
* Verzicht auf die Bewässerung von Trockenwiesen und Steppen<br />
* Eindämmung der Verbuschung und Verbrachung von Trockenwiesen- und weiden<br />
* Verzicht auf die Entwässerung von Feuchtgebieten und Wiederherstellung des natürlichen Wasserregimes<br />
* Erhalt von Weiden, da in der Regel mit heterogener Struktur und artenreicher, ausser bei einschüriger Mahd <br />
* Schutz und Wiederherstellung von Feuchtgebieten<br />
* Anlage und Pflege von Stillgewässern, insbesondere mit flachen Uferzonen<br />
<br />
===Wald- und Waldrandarten===<br />
* Aufwertung und Schaffung gestufter Waldränder mit einer Krautschicht<br />
* Erhalt alter Baumbestände, Biotopbäume und Hecken mir ihren Säumen<br />
* Auflichtung der Wälder und Böschungen, damit sie gut besonnt sind<br />
* Extensive Pflege der Weg- und Hangböschungen<br />
* Standortgerechter Waldbau, Verzicht auf Monokulturen (bspw. Fichten)<br />
* Umwandlung von Monokulturen in natürliche Wälder mit mehreren Baumarten<br />
* Verzicht auf den Einsatz von Düngemitteln und Bioziden<br />
<br />
===Pionierarten an Fliessgewässern ===<br />
(Übernommen aus: [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken])<br />
* Revitalisierung der Fliessgewässer, bevorzugt von Pionierarten besiedelte Standorten <br />
* Verzicht auf die Zuschüttung oder Eindämmung von besiedelten Uferflächen<br />
* Verzicht auf jeglichen Abbau der Sand-, Kies- oder Steinbänke innerhalb, ober- und unterhalb besiedelter Flächen<br />
* Zulassen von regelmässigen, genügend intensiven Hochwassern, um den natürlichen Abtrag der mit Vegetation bewachsenen Bänke in Auen zu gewährleisten<br />
* Gewährleisten von periodischen Ablagerungen von Sedimenten an besiedelten Standorten, um die Regeneration von Sedimentbänken in Auen sicherzustellen<br />
* Revitalisierung möglichst vieler Fliessgewässer, um über die Schaffung von potenziell günstigen Standorten die Wiederbesiedlung von verlassenen Gegenden zu fördern<br />
<br />
{{Foto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Mosaik_aus_Gruenlandtypen_-_Suedschwarzwald_-_IMG_7876b.jpg<br />
| text = Der Strukturreichtum dieser Flächen bietet Grünlandarten einen idealen Lebensraum.<br />
}}<br />
<br />
== Strukturreiche Flächen schaffen und schützen ==<br />
Für Heuschrecken sind weniger die typischen [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen Kleinstrukturen] wichtig wie [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen#Die_einzelnen_Kleinstrukturen Ast- oder Steinhaufen], als vielmehr offene Bodenstellen (u.&nbsp;a. für die Eiablage) und Strukturen, die Wärme aufnehmen und speichern, wie felsige Bereiche, [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Pionierfl%C3%A4chen Kiesflächen], feuchte Senken und [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Stillgew%C3%A4sser temporäre Tümpel]. Neu angelegte Strukturen sollen eine minimale Fläche von 20&nbsp;m&sup2; pro ha haben. Natürliche Offenflächen und strukturreiche Flächen wie Moränen, Felsschutthalden, Kiesflächen und Verlandungszonen von [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Stillgew%C3%A4sser Stillgewässern] sind zu schützen und dürfen nicht zugeschüttet oder aufgeforstet werden.<br />
<br />
== Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts ==<br />
Viele gefährdete Heuschreckenarten sind auf eine extensive Beweidung oder regelmässige Mahd angewiesen, damit die Vegetation nicht zu dicht wird. Der optimale Schnittzeitpunkt ist artabhängig. Für Arten, die ihre Eier im Boden ablegen, ist eine Mahd zwischen Mai und August ungünstig. Für Arten, die ihre Eier an oder in Pflanzen ablegen, ist eine Mahd nach August und vor Mai problematisch. Die Bewirtschaftung kann aber auch schädlich sein. Verluste entstehen v.&nbsp;a. durch Mähaufbereiter und das Schwaden und Abführen des Mahdguts. Zur Verminderung der Verluste bei allen Arten ist bei der Mahd Folgendes zu beachten: <br />
<br />
* Es sollen möglichst wenige Schnitte erfolgen, optimaler Weise nur ein Schnitt pro Jahr<br />
* Frühmad: nicht ganzflächige durchführen; Spätmahd: nach dem Verblühen der meisten Pflanzen durchführen<br />
* Am besten ist eine differenzierte Pflege, d.&nbsp;h. ein Mosaik aus Flächen mit unterschiedlichen Mähzeitpunkten und Rückzugsstreifen, die nur alle 2 Jahre gemäht werden <br />
* Die Schnitthöhe soll mindestens 10&nbsp;cm betragen <br />
* Balkenmäher verursachen die niedrigste Schädigungsrate, Scheibenmähern die höchste; am schonendsten ist die Mahd mit der Sense <br />
* Das Schnittgut soll, damit sich die Tiere verteilen können, zum Trocknen liegen gelassen und stets abgeführt werden<br />
* Es sollen keine Mähaufbereiter eingesetzt werden<br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://www.buntewiese-tuebingen.de/app/download/6569219764/Hiller%202014%20Auswirkungen%20verschiedener%20Mahdkonzepte%20auf%20die%20Heuschreckenfauna%20st%C3%A4dtischer%20Gr%C3%BCnfl%C3%A4chen%20-%20Naturschutz%20und%20Landschaftsplanung.pdf?t=1490555371 Hiller, D. & Betz, O.(2014). Auswirkungen verschiedener Mahdkonzepte auf die Heuschreckenfauna städtischer Grünflächen]<br /><br />
<br />
'''Hintergrundinformationen'''<br /><br />
* [http://www.parcs.ch/npf/pdf_public/2014/30491_20141107_083216_MA_GrichtingStefan_2002.pdf Grichting, S. (2002). Heuschrecken (Orthoptera) von Trockensteppen und extensiv bewirtschafteten Wiesen im Pfynwald (VS, Schweiz)]<br />
: Studie zu den ökologischen Ansprüchen und der Verbreitung von Heuschrecken auf Wiesen mit unterschiedlichem Nutzungsgrad.<br /><br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/abashop?s=208&p=productdetail&sku=429&language=de Agridea (2011). Erntetechnik und Artenvielfalt in Wiesen]<br />
: Das Merkblatt zeigt die Auswirkungen verschiedener Mähtechniken und nachfolgender Ernteschritte auf die Artenvielfalt und gibt Empfehlungen für eine möglichst tierschonende Ernte. <br /><br />
<br />
==Rotationsbrachen anlegen und Altgrassstreifen stehen lassen ==<br />
Bei der Anlage von Rotationsbrachen und Altgrasstreifen ist auf das Vorkommen von Heuschreckenpopulation in der näheren Umgebung zu achten, da Heuschrecken oft nur geringe Ausbreitungsdistanzen haben. Als Rückzugsstreifen werden bei jedem Schnitt 10% der Wiese stehen gelassen.<br /><br />
<br />
'''Links'''<br />
* [http://www.agraroekologie.ch/NuL07-10_Mueller_Bosshard.pdf Müller, M. & Bosshard, B. (2012). Altgrasstreifen fördern Heuschrecken in Ökowiesen - Eine Möglichkeit zur Strukturverbesserung im Mähgrünland]<br />
: Studie zu den positiven Auswirkungen von Altgrasstreifen als Rückzugsraum bei der Mahd in extensiv genutzten Wiesen. <br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/2012_01_1723.pdf Duss, M. et al. (2012). Vernetzte Ökoflächen fördern Heuschrecken]<br />
: Studie zur Auswirkung eines Vernetzungsprojektes von ökologischen Ausgleichsflächen (öAF) auf die Verbreitung von 2 Heuschreckenarten. Die Grosse Goldschrecke (''Chrysochraon dispar'') profitiert von Altgrasstreifen.<br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/download.php?filename=2001_1112_102.pdf Peter, B. & Walter, T. (2001). Heuschrecken brauchen ökologische Ausgleichsflächen] <br />
: Vergleichende Untersuchungen vor und nach der Einführung von Biodiversitätsförderflächen (BFF) zeigt deren Wichtigkeit für Heuschrecken auf.<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Buntbrache_Altgrassstreifen_AK.png<br />
| text = Links und Mitte: Die Gemeine Sichelschrecke (''Phaneroptera falcata'') und die Langflüglige Schwertschrecke (''Conocephalus fuscus'') schätzen die hohe Vegetation von Buntbrachen. <br /><br />
Rechts: Die Grosse Goldschrecke (''Chrysochraon dispar'') profitiert von Altgrasstreifen.<br />
}}<br />
<br />
==Beweidung ==<br />
Für die Beweidung sollen möglichst traditionelle Rassen, bzw. leichte Tiere eingesetzt werden. Generell scheint Schaf-Hütehaltung besonders günstig für Heuschrecken zu sein. Die Viehdichte darf nicht zu hoch sein; der jährliche Besatz sollte 150 Grossvieheinheiten&sup1; pro Hektare (GVE/ha) nicht überschreiten. Es empfiehlt sich, eine Beweidung in Koppeln zu führen, womit ein ähnlicher Effekt erzielt wird wie mit einer Rotationsmahd. <br /><br />
<small><sup>1</sup>Die Beweidungsintensität ergibt sich aus dem Produkt von Besatzstärke in Grossvieheinheiten pro Hektare mal Anzahl Bestossungstagen (GVE/ha * dd). Je nach Grösse und Alter der Tiere ändert sich der Wert, der sich mit dem [https://www.agate.ch/portal/web/agate/gve-rechner GVE-Rechner des Bundesamtes für Landwirtschaft] genau ermitteln lässt.</small> <br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://www.pronatura.ch/de/2016/allegra-geissenpeter-ziegen-esel-und-rinder-weiden-fuer-die-biodiversitaet Pro Natura. Projekt „Allegra Geissenpeter“]<br />
: Pro Natura lanciert Projekte mit verschiedenen Weidetierarten, um die Trockenstandorte in den Alpen nachhaltig zu sichern, unter anderem zur Förderung der Heuschrecken. Die unterschiedlichen Projekte und die Ergebnisse der Erfolgskontrollen sind im [https://www.pronatura.ch/sites/pronatura.ch/files/2017-11/leitfaden_fuer_die_aufwertung_von_brachliegenden_trockenstandorten_durch_beweidung-beitraege_zum_naturschutz_in_der_schweiz_nr_37-2016_highres.pdf Leitfaden für die Aufwertung von brachliegenden Trockenstandorten durch Beweidung (2016)] zusammengefasst.<br />
<br />
== Direktbegrünung und Mahdgutübertragung ==<br />
Direktbegrünung und Mahdgutübertragung sind einer Ansaat vorzuziehen, da zusammen mit dem Pflanzenmaterial oder den Samen Insekten und Eier übertragen werden können. Dies ist insbesondere wichtig für Arten mit einem geringem Ausbreitungspotenzial. Das Saat- und Mahdgut sollte von [https://www.regioflora.ch/app/de/index.html Spenderflächen aus der nahen Umgebung] stammen, also [https://de.wikipedia.org/wiki/Autochthone_Art autochthon] sein, um die regionale genetische Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten zu erhalten. Für eine erfolgreiche Besiedlung sollen Empfängerflächen in maximal 1&nbsp;km Distanz, besser nur 500&nbsp;m, zu bereits besiedelten Flächen angelegt werden. Bei der Begrünung können kleine Bodenstelle langfristig offengehalten werden, indem Steine oder Feinsediment als Substrat eingebracht wird. <br />
<br />
'''Hintergrundinformation'''<br />
* [http://public.bibliothek.uni-halle.de/index.php/hercynia/article/viewFile/218/224 Elias, D. & Thiede, S. (2008). Verfrachtung von Heuschrecken (Insecta: Ensifera et Caelifera) mit frischem Mähgut im Wulfener Bruch (Sachsen-Anhalt)]: Diese Studie zeigt auf, dass die Mahdgutübertragung für Heuschrecken eine wichtige Rolle spielt, insbesondere für wenig mobile Arten.<br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/2001_07_71.pdf Bosshard, A. & Kuster, D. (2001). Bedeutung neu angelegter Extensivwiesen für Tagfalter und Heuschrecken]: Die Untersuchung zeigt, dass neu angelegte Extensivwiesen rasch von gefährdeten Heuschrecken- und Tagfalterarten besiedelt werden können.<br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [https://www.regioflora.ch/ Regio Flora - das Portal zur Förderung der regionalen Vielfalt im Grünland]: Umfassende Informationen zur Direktbegrünung von Wiesen und Weiden.<br />
* [https://www.regioflora.ch/de/assets/content/pdf/RF_Praxismerkblatt_D_download9.11.15.pdf Agridea (2015). Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft]: Leitfaden für die Praxis zum Einsatz von regionalem Saatgut in Biodiversitätsförderflächen.<br />
<br />
{{Foto-rechts-hoch<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Gewaesser_PZ.png<br />
| text = Die Ufer von Fliess- und Stillgewässern sind wichtige Verbreitungskorridore und sollen alternierend bewirtschaftet werden. <br />
}}<br />
<br />
== Feuchtgebiete und Trockenstandorte ==<br />
=== Ruderalstandorte und Säume entlang von Feuchtgebieten pflegen ===<br />
Zahlreiche Arten legen ihre Eier in Stängel von Pflanzen im Uferbereich von Still- und Fliessgewässern. Die Uferbereiche sind wichtige Verbreitungskorridore für die Tiere. Daher ist die extensive Pflege von Feuchtgebieten und Gräben das ganze Jahr über wichtig:<br />
* [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts|Mahd]] an den Ufern alternierend, an einem Ufer die Vegetation immer für ca. 1-2 Jahre stehen lassen <br />
* Säume am selben Ufer gestaffelt mähen und das Schnittgut abführen <br />
* Flächen nicht mulchen<br />
* Ruderalstandorte immer wieder abschnittweise stören durch extensive [[#Beweidung| Beweidung]] oder [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts | Mahd]], um die Verbuschung zu verhindern und [[#Strukturreiche Flächen schaffen und schützen| strukturreiche Flächen]] zu schaffen <br />
* Invasive Pflanzen zurückdrängen, insbesondere Flügelknöterich (''Fallopia'') und Drüsiges Springkraut (''Impatiens glandulifera'')<br />
<br />
=== Entbuschung von Trockenstandorten === <br />
Der Baum- und Strauchbewuchs soll bei grossen Standorten maximal 25% betragen, bei kleineren 10% oder weniger. Für die langfristige Offenhaltung der Trockenwiesen- und weiden eignen sich extensive Beweidung oder Mahd. Massnahmen zur Aufwertung von Trockenstandorten werden zu einem späteren Zeitpunkt bearbeitet.<br />
<br />
== Im Siedlungsgebiet ==<br />
=== Schotter- und Brachflächen extensiv pflegen ===<br />
Im Randbereich vom Siedlungsgebiet und auf Firmengeländen kann eine reiche Heuschreckenfauna entstehen, wenn grössere Offenflächen vorhanden sind. Dies können z.&nbsp;B. Schotter- und Industriebrachen sein, die einen lockeren Pflanzenbewuchs aufweisen. Diese Flächen sollen extensiv bewirtschaftet werden (siehe: [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts|Mahdkonzepte]]). Der Strukturreichtum kann gefördert werden, indem die Pflege nur abschnittweise erfolgt und zusätzliche [[#Strukturreiche Flächen schaffen und schützen| Kleinstrukturen]] angelegt werden.<br />
<br />
=== Begrünung und Pflege von Flachdächern ===<br />
Flachdächer können einigen Heuschreckenarten, z.&nbsp;B. der Blauflügeligen Sandschrecke (''Sphingonotus caerulans'') oder der Blauflügeligen Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') als Trittstein dienen. Dauerhafte Ansiedlungen von Populationen wurden bisher noch nicht beobachtet. Bei der Anlage der Dächer ist Folgendes wichtig: <br />
* Nur einheimische Pflanzen und Saatgut verwenden <br />
* Offene Stellen belassen und regelmässig neue Offenflächen durch Abtragung des Oberbodens schaffen <br />
* Sand, Kies und Steine in unterschiedlichen Korngrössen verwenden <br />
* Pflanzen extensiv und abschnittsweise pflegen <br />
* Strukturreichtum durch Kieshaufen, Holz, etc. sicherstellen <br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://docplayer.org/20659374-Die-blaufluegelige-sandschrecke-sphingonotus-caerulans-auf-den-extensiv-begruenten-daechern-der-europa-allee-zuerich.html Speck, M. & Brenneisen, S. (2014). Die Blauflügelige Sandschrecke (Sphingonotus caerulans) auf den extensiv begrünten Dächern der Europa-Allee in Zürich]<br />
: Diese Studie belegt das Vorkommen der Rote-Liste Art auf Flachdächern in Zürich. Die Blauflügelige Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') wurde in vorherigen Untersuchungen machgewiesen, die hier zitiert werden.<br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [https://www.stadt-zuerich.ch/ted/de/index/gsz/beratung-und-wissen/wohn-und-arbeitsumfeld/dachbegruenungen0.html Stadt Zürich. Dachbegrünung]: Umfassende Informationen zur Anlage und Pflege von Dachbegrünung mit vielen Praxisbeispielen.<br />
* [https://www.stadt.sg.ch/home/raum-umwelt/bauen-sanieren/natur-stadt.html Stadt St. Gallen, Amt für Umwelt und Energie (2014). Leitfaden Dachbegrünung]: Ausführliche Informationen zu Aufbau und extensiven Begrünungsarten von Flachdächern.<br />
<br />
{{Fotos-links-550px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Siedlungsgebiet.png<br />
| text = Der Blauflügeligen Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') und der Blauflügeligen Sandschrecke (''Sphingonotus caerulans'') können Flachdächer als Trittsteine in neue Lebensräume dienen.<br />
}}<br />
<br />
=== Wildblumenwiesen und Trockenflächen anlegen und pflegen === <br />
In Parks und Gärten können auch anspruchsvollere Heuschreckenarten vorkommen, wenn Folgendes beachtet wird:<br />
* Nur einheimisches Saatgut verwenden <br />
* Lückig säen und nicht düngen <br />
* Offene Bodenflächen belassen <br />
* Maximal 2-mal pro Jahr mit Balkenmäher oder Sense und abschnittsweise mähen <br />
* Brachflächen, Altgrassstreifen und Säume um Gebüsche und Gehölze von 5-10m abschnittsweise pflegen, um eine Zunahme der Verbuschung zu verhindern <br />
* Mahdgut abführen <br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [http://www.pronatura.ch/blumenwiesen?file=tl_files/dokumente_de/2_unsere_themen/lebensraeume/Wiesen/Pro_Natura_Praxis_Blumenwiese.pdf Pro Natura 2014. Blumenwiesen anlegen und pflegen]: Ausführliche Informationen zur Anlage und Pflege von grossen und kleinen (Wild-) Blumenwiesen.<br />
* [https://www.wwf.ch/sites/default/files/doc-2019-02/2010-12-factsheet-wiesenparadies-einheimische-blumen.pdf WWF Schweiz 2010. Buntes Wiesenparadies mit einheimischen Wildblumen]: Schritt für Schritt Anleitung zur Anlage und Pflege von Wildblumenwiesen für Privathaushalte.<br />
* [[Media:WWF 2010 Lebendige Trockenstandorte.pdf|WWF Schweiz 2010. Lebendige Trockenstandorte mit Sand, Kies und Schotter]]: Anleitung zur Anlage und Pflege von Trockenstandorten für Privathaushalte.<br />
<br />
== Sekundäre Pionierstandorte anlegen und pflegen == <br />
Vom Menschen geschaffene Pionierstandorte sind für Heuschrecken wertvolle Sekundärhabitate geworden, da vielerorts die ursprünglichen Lebensräume (z.&nbsp;B. See- und Flussauen, Brandflächen, etc.) verschwunden sind. Der Erhalt der Pionierstandorte bedarf regelmässiger Pflegeeinsätze zur Verhinderung von Verfilzung und Verbuschung.<br />
Heuschrecken finden wertvolle Pionierflächen: <br />
* In Steinbrüchen und Kiesgruben <br />
* In Weinbergen<br />
* In Sand-, Lehmgruben und Mergelgruben <br />
* An Bahnhöfen und Gleisen<br />
* Auf Industriebrachen<br />
<br />
== Wiederansiedlung von Tieren ==<br />
Die Wiederansiedelung von ehemals vorkommenden Heuschrecken kann nur eine letzte Alternative im Naturschutz sein, da primär immer der Schutz der vorhandenen Populationen im Fokus steht und die Wiederansiedlung sehr aufwändig ist. Für eine erfolgreiche Wiederansiedlung ist es notwendig, eine sorgfältige Ansiedlungs-Strategie zu erarbeiten und die [https://portals.iucn.org/library/efiles/documents/2013-009.pdf Richtlinien der IUCN zur Wiederansiedlung] strikt zu befolgen. Die Wiederansiedlung von Heuschrecken ist bewilligungspflichtig und soll Spezialisten überlassen werden, weshalb hier nicht näher darauf eingegangen wird.<br />
<br />
<br />
{{Foto-rechts-quer<br />
| bilddatei = GSM-5012435629 6b68a9c506 b Ephipiger cfr diurnus female.jpg<br />
| text = Die Westliche Sattelschrecke (''Ephippiger diurnus'') besiedelt trockene und lückige Wiesen und Waldränder. Sie gehört zu den stark gefährdeten Arten. <br />
}}<br />
<br />
= Artenschutz =<br />
Viele Heuschreckenarten brauchen aufgrund ihrer Ansprüche an den Lebensraum ganz spezifische Fördermassnahmen. Die Priorisierung der gefährdeten Arten gemäss ihrem Förderbedarf kann der [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/liste-national-prioritaeren-arten.html Liste der National Prioritären Arten (2011)] entnommen werden. Eine wichtige Grundlage für die Förderung sind auch die in der [http://www.cscf.ch/cscf/de/home/wissenschaftliche-aktivitaten/fauna-indicativa.html Fauna Indicativa] zusammengestellten Präferenzen und Eigenschaften der einzelnen Arten.<br />
<br />
Es gibt nur wenige Praxisinformationen zum spezifischen Artenschutz von Heuschrecken. In der Schweiz wurde bisher nur für die Blauflügelige Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') eine [http://kbnl.ch/wp-content/uploads/2016/11/webseite_Ocaerulescens.pdf Zusammenfassung zur Best Practice der Artenförderung] und [https://www.zh.ch/content/dam/zhweb/bilder-dokumente/themen/umwelt-tiere/naturschutz/artenschutz/aktionsplaene-fauna/heuschrecken/oedipoda_caerulescens_ap.pdf vom Kanton Zürich ein Aktionsplan] erstellt.<br />
<br />
In den Nachbarländern wurden folgenden Publikationen zu Fördermassnahmen erstellt: <br />
<br />
'''Deutschland'''<br />
* [http://www.nlwkn.niedersachsen.de/naturschutz/natura_2000/vollzugshinweise_arten_und_lebensraumtypen/vollzugshinweise-fuer-arten-und-lebensraumtypen-46103.html#Wirbellose Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz. Niedersächsische Strategie zum Arten- und Biotopschutz]<br />
'''Österreich''' <br />
* [http://www.zobodat.at/pdf/NaturschutzbundBgld_9_2013_0001-0160.pdf Zuna-Kratky, T. et. al. (2013). Schutzprogramm für die gefährdeten Heuschrecken des Nordburgenlands]<br />
'''Niederlande''' <br />
* [http://repository.naturalis.nl/document/161506 Schut, D. et al. (2008). Actieplan prioritaire Sprinkhanen in Noord-Brabant]<br />
<br />
= Gefährdung =<br />
Von den 105 für die [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html Rote Liste 2007] untersuchten Heuschreckenarten sind fast 40% bedroht. Am stärksten gefährdet sind die Pionierarten entlang von Gewässern sowie die Arten der Flach- und Hochmoore. Die Erhaltung der letzten Populationen dieser Arten ist daher von grosser Bedeutung.<br />
Die grössten Gefährdungsursachen für alle Heuschreckenarten sind:<br />
* Verlust und Fragmentierung des Lebensraums durch Veränderung der Landnutzung, z.&nbsp;B. durch Umwandlung von Grünland in Äcker, Urbanisierung oder Industrialisierung<br />
* Intensivierung der Nutzung, insbesondere der Einsatz von Mähmaschinen und Mähaufbereitern, sowie Düngung und Erhöhung der Anzahl Schnitte pro Jahr, sowie höhere Viehdichten auf kleinerem Raum<br />
* Mangelnde (natürliche) Prozesse zur Offenhaltung der Landschaft und von Bodenstellen, Homogenisierung der Landschaft<br />
* Verdichtung der Vegetation durch Eutrophierung<br />
* Einsatz von Insektiziden<br />
<br />
Weitere Gefährdungsursachen in Bezug auf die Lebensraumbindung sind:<br />
* Grünlandarten: Intensive Beweidung oder häufige Mahd, Verbuschung oder Verkrautung durch Verbrachung, Verarmung der Pflanzenvielfalt, Düngung von Wiesen und Weiden <br />
* Feuchtgebietsarten: Veränderungen im Gewässerhaushalt von Feuchtgebieten, intensivere landwirtschaftliche Nutzung von Feuchtwiesen <br />
* Wald- und Waldrandarten: Fehlende Stufenstruktur des Waldrandes (Strauch- und Krautschicht), Entfernung von Hecken, Kleinstrukturen und Felsen, Intensivierung der Forstwirtschaft, Einsatz von Bioziden, Anbau von Monokulturen, touristische Nutzung (insbesondere mit Ski & Mountainbike)<br />
* Pionierarten: Verbauungen der Fliessgewässer und Eingriffe in den Geschiebehaushalt, Veränderungen des Gewässerhaushaltes und der Gewässerdynamik, Verbuschung und Verkrautung der Offenflächen<br />
<br />
= Wissenslücken =<br />
Die Wissenslücken sind nicht abschliessend und fokussieren besonders auf die Förderung.<br />
* Erfolgreiche Förderung seltener Arten<br />
* Minimale überlebensfähige Populationsgrössen <br />
* Vernetzung von Heuschreckenpopulationen unterschiedlicher Arten und Artenzusammensetzungen<br />
* Habitatspezifische Auswirkungen der Grünlandnutzung: lässt sich das auf Trockenrasen gewonnene Wissen bspw. auf Feuchtwiesen übertragen?<br />
* Barrierewirkung mehrspuriger Strassen (Autobahnen)<br />
* Auswirkungen vom Klimawandel, insbesondere langer Dürreperioden oder Starkregen<br />
<br />
= Praxisbeispiele =<br />
Für Heuschrecken haben wir nur ein Praxisbeispiel gefunden, welches die durchgeführten Massnahmen ausführlich beschreibt und eine Erfolgsuntersuchung beinhaltet. Daher freuen wir uns über Ihre [http://biodivers.ch/index.php/kontakt.html Vorschläge per Email.]<br />
* [http://www.parcs.ch/nwp/pdf_public/2014/26962_20140130_123116_Kurth_Salome_2007.pdf Kurth, S. (2007). Planning a migration corridor for the highly endangered grasshopper Chorthippus pullus (Orthoptera, Acrididae) in the Rottensand (Pfynwald, VS)] <br />
: Für den Kiesbankgrashüpfer wurde im Pfynwald ein Migrationskorridor errichtet und die anschliessende Nutzung beobachtet.<br />
<br />
= Allgemeine Links=<br />
* [http://lepus.unine.ch/carto/ Info fauna. Verbreitungskarten der Schweizer Tierarten]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken]<br />
* [http://www.orthoptera.ch Orthoptera Schweiz. Heuschrecken-Plattform für die Schweiz und Europa ]<br />
* [http://www.orthoptera.ch/links Orthoptera Schweiz. Linkliste der Heuschrecken-Webseiten Europas und weltweit] <br />
<br />
== Glossar und weitere spannende Links ==<br />
* [https://www.orthoptera.ch/glossar Glossar von orthoptera.ch]<br />
* [http://www.biofotoquiz.ch/biofotoquiz/index.php?domain=standard&classID=278 Biofotoquiz]: Quiz mit Fotos von Heuschrecken und anderen Tier- und Pflanzenarten zum Kennenlernen der Arten.<br />
* [https://offene-naturfuehrer.de/web/Heuschreckenarten_nach_einfachen_Merkmalen_bestimmen_(Bayern) Heuschreckenarten nach einfachen Merkmalen bestimmen (Bayern)]: Wiki-Bestimmungsschlüssel für die Heuschrecken von Bayern. Der Leser wird anhand der Merkmale geführt, die Kenntnis von Fachbegriffen wird vorausgesetzt. <br />
* [https://docplayer.org/24899466-Heuschrecken-bestimmungsschluessel-fuer-die-oestlichen-suedalpen.html Fontana et al. (2002). Heuschrecken-Bestimmungsschlüssel für die östlichen Südalpen]: Bestimmungsschlüssel mit detaillierten Zeichnungen der Merkmale. <br />
* [http://www.orthoptera.ch/info-app-wiki/orthoptera-app Orthoptera-App]: Die Heuschrecken Bestimmungs-App für iphone und Android enthält zu jeder Art zahlreiche Fotos, Stimmaufzeichnungen und Hintergrundinformationen. Beobachtungen können in der App eingegeben und so dem CSCF gemeldet werden.<br />
<br />
= Literaturempfehlungen =<br />
* Detzel, P. (1998). Die Heuschrecken Baden-Württembergs. Stuttgart Hohenheim, Ulmer.<br />
: Bisher immer noch das beste Buch zur praxisnahen Ökologie und Massnahmen zur Förderung von Heuschrecken. Die Aufwertungs-Massnahmen sind an einzelne Arten und Lebensräume angepasst. Als genereller Leitfaden sind sie sehr gut, umsetzungsorientierte Anleitungen fehlen. Alles in allem ein gutes Buch für den Anfang, eine Weiterentwicklung ist aber dringend notwendig.<br />
* Ingrisch, S. & Köhler, G. (1998). Die Heuschrecken Mitteleuropas. Vol. Bd. 629. Magdeburg, Westarp Wissenschaften.<br />
: Sehr ausführliches und allgemeines Buch zur Biologie, Populationsdynamiken und Lebensräumen der Heuschrecken, weniger zur Biotopaufwertung und zu Fördermassnahmen. Trotz dem Alter immer noch lesenswert und informativ. <br />
* Schlumprecht, H. & Waeber, G. (2003). Heuschrecken in Bayern. Stuttgart Hohenheim. Ulmer. <br />
: Sehr ausführlicher Bestimmungs-Atlas mit vielen Informationen zur Lebensweise und den Lebensräumen der einzelnen Arten. Zu Gefährdung und Schutz gibt es Beispiele aus dem bayrischen Raum und Ratschläge zur Aufwertung für jede Art.<br />
* Maas, S., Detzel, P. & Staudt, A. (2002). Gefährdungsanalyse der Heuschrecken Deutschlands - Verbreitungsatlas, Gefährdungseinstufung und Schutzkonzepte. Bonn-Bad Godesberg, Bundesamt für Naturschutz.<br />
: Ausführlicher Atlas zu den Heuschreckenarten in Deutschland mit Gefährdungsanalysen und Informationen zu Habitaten, Biologie und Verbreitung der einzelnen Arten. Die Angaben zur Aufwertung von Lebensräumen sind kurz gehalten.<br />
* [http://dgfo-articulata.de/articulata Articulata - Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Orthopterologie] <br />
: In der Zeitschrift der DGFO erscheinen regelmässig Artikel zur Förderung von Heuschrecken, ältere Artikel können als PDF heruntergeladen werden.<br />
<br />
== Bestimmungsbücher ==<br />
* Baur, B., Bauer, H., Rösti, C., & Rösti, D. (2006). Die Heuschrecken der Schweiz. Bern, Haupt Verlag.<br />
: Intuitiver Bestimmungsschlüssel für die Schweizer Heuschreckenarten mit sehr schönen Detail-Zeichnungen. Enthält Verbreitungskarten und Erklärungen zu den wichtigsten Merkmalen.<br />
* Fischer, J., Steinlechner, D., Zehm, A., Poniatowski, D., et al., Hrsg. Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (2016). Die Heuschrecken Deutschlands und Nordtirols: Bestimmen - Beobachten - Schützen. Wiebelsheim Hunsrück, Quelle & Meyer.<br />
: Dieses Buch sticht positiv heraus. Es enthält Detailfotos der Bestimmungsmerkmale der Adultiere und Nymphen, eine Darstellung der Hauptaktivitätszeit aller Arten im Jahresverlauf und vieles mehr.<br />
* Weitere nationale und internationale Bestimmungsbücher sind auf [http://www.orthoptera.ch/literatur Orthoptera.ch] aufgeführt.<br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers ]|| info@biodivers.ch<br />
|-<br />
| Review|| Prof. Dr. Peter Detzel || [http://www.goeg.de/ Gruppe für ökologische Gutachten] <br />
|-<br />
| || [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Dr. Axel Hochkirch] || [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Universität Trier] <br />
|-<br />
| || [https://www.naturalis.nl/en/science/researchers/roy-kleukers Roy Kleukers] || [https://www.naturalis.nl/en Naturalis Biodiversity Center] <br />
|-<br />
| || [https://www.orthoptera.ch/ueber-uns Florin Rutschmann] || [http://www.pronatura-aargau.ch/cms/index.php?id=4&no_cache=1 Pro Natura Aargau] <br />
|}<br />
<br />
<!-- biodivers-Links zu Arten: Kiesbankgrashüpfer Chorthippus pullus, Blauflügelige Ödlanschrecke Oedipoda caerulescens → Aktionsplandrehscheibe, Grüne Heupferd Tettigonia viridissima, Alpenschrecke Anonconotus alpinus <br />
biodivers-Links zu Lebensräumen: Kleinstrukturen, Hecke, Stillgewässer (mehrfach), Fliessgewässer (mehrfach), Wald und Waldrand (mehrfach), Feuchtgebiete, Sumpf, Grünland, Trockenwiesen und Trockenweisen, Entbuschung von Trockenwiesen (mehrfach)--></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Heuschrecken&diff=4701
Heuschrecken
2023-03-04T18:14:07Z
<p>VB2: </p>
<hr />
<div>[[fr:Orthoptères]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = JM 29293745804 8952ea6513 h.jpg<br />
| text = Die Sumpfschrecke (''Stethophyma grossum'') besiedelt feuchte Wiesen und Flachmoore.<br />
}}<br />
<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers]<br />
|-<br />
| Review || [http://www.goeg.de/ueber-uns/team Prof. Dr. Peter Detzel], [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Dr. Axel Hochkirch], [https://www.naturalis.nl/en/science/researchers/roy-kleukers Roy Kleukers] & [http://www.orthoptera.ch/ueber-uns Florin Rutschmann]<br />
|-<br />
| Publikation || Juli 2017<br />
|}<br />
<br /><br />
{{TOC limit|2}}<br />
= Zusammenfassung =<br />
Über 100 Heuschreckenarten bereichern unsere Fauna und überraschen uns mit Flug-, Grab- oder Klangkünsten sowie ihrer Farben- und Formenvielfalt. Heuschrecken (Orthopteren) sind wärmeliebende Kulturfolger. Die meisten Arten beherbergt das Grünland, ob trocken oder feucht, gemäht oder beweidet. Einige Arten leben in lichten Wäldern und auf Pionierflächen der Flussauen und Geröllhalden. Viele Heuschreckenarten sind auf eine hohe Strukturvielfalt auf kleinem Raum angewiesen, da ihre durchschnittliche Ausbreitungsdistanz weniger als ein Kilometer beträgt.<br />
<br />
Für alle Arten ist die Offenhaltung ihrer Lebensräume zentral. Die Wiederherstellung der natürlichen Dynamiken oder die regelmässige, extensive Bewirtschaftung der besiedelten Flächen ist daher wichtig. Bei der Mahd ist darauf zu achten, ein Mosaik aus Rückzugsstreifen und Flächen mit unterschiedlichen Mahdzeitpunkten zu schaffen. Bei der Begrünung sind eine geringe Distanz zu besiedelten Flächen und eine lückige Ausbringung vorteilhaft. Von den über 100 einheimischen Heuschreckenarten stehen 40% auf der Roten Liste. Insbesondere die Arten der Pionierflächen haben einen erhöhten Förderbedarf. <br />
<br />
= Systematik =<br />
Heuschrecken werden in zwei leicht unterscheidbare Gruppen eingeteilt. Bei den Langfühlerschrecken (Ensifera) sind die Fühler gleich lang oder länger als der Körper und haben mindestens 30 Fühlerglieder, während sie bei den Kurzfühlerschrecken (Caelifera) kürzer als der Körper sind. Die Weibchen der Langfühlerschrecken besitzen meist einen auffälligen Legebohrer, im Gegensatz zu den kurzen Legeröhrenklappen bei den Kurzfühlerschrecken. Nur die Maulwurfsgrille gehört auch ohne lange Fühler und Legebohrer zu den Langfühlerschrecken. <br />
Mehr zur Systematik der Heuschrecken auf [https://de.wikipedia.org/wiki/Heuschrecken Wikipedia].<br />
<br />
=Praxisrelevante Ökologie=<br />
== Lebensräume ==<br />
Heuschrecken besiedeln die meisten terrestrischen Lebensräume bis auf 3'100&nbsp;m&nbsp;ü.&nbsp;M. Sie kommen in extensiven Wiesen und Weiden, Brachen, Weinbergen, Wäldern, Feuchtgebieten, Mooren und Flussauen vor. Heuschrecken können allgemein als wärmeliebende Kulturfolger bezeichnet werden, die in stark vom Menschen geprägten Landschaften leben. So können Kiesgruben und Steinbrüche viele seltene Arten beherbergen, wenn sie offengehalten und extensiv gepflegt werden. Im Siedlungsgebiet finden Heuschrecken eine Vielfalt an Kleinlebensräumen auf Industriebrachen und grossen Güterbahnhöfen, Schotterplätzen und in Ruderalflächen. Für seltene Arten sind Parks, Gärten und Flachdächer als Lebensraum wenig relevant, als Trittsteine können sie aber beim Erreichen neuer Lebensräume helfen. <br />
<br />
{{Fotos-links-1000px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Lebensraeuume_Gruppen_PZ.png<br />
| text = Zu den wichtigsten Lebensräumen für Heuschrecken zählen magere Wiesen, Moorlandschaften, lückige Wälder und Blocksteinhalden.<br />
}}<br />
<br />
Da nahezu alle Heuschrecken licht- und wärmeliebend sind, brauchen sie in ihren Lebensräumen Offenflächen bzw. lückige Pflanzenbestände. Die Bindung an das Habitat erfolgt weniger aufgrund bestimmter Pflanzengesellschaften, als aufgrund der benötigten Strukturen und der mikroklimatischen Verhältnisse. Entscheidend sind Dichte und Höhe der Vegetation, sowie Temperatur und Feuchtigkeit. Mosaikartige Lebensräume mit einer Vielfalt an Strukturen sind für eine hohe Heuschreckenvielfalt optimal. So leben an Lebensraum-Übergängen, wie Waldrändern mit Feuchtwiesen oder Hecken entlang von extensiven Wiesen, besonders viele Arten. Für den Erhalt von Offenflächen und Strukturreichtum sind regelmässige Pflegeeinsätze notwendig, wenn natürliche Dynamiken fehlen.<br />
<br />
Die Schweizer Heuschreckenarten können bezüglich ihrer Lebensraumbindung in vier Gruppen unterteilt werden (aus: [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken]) <br />
# Grünlandarten in Trockenwiesen und -weiden (43 Arten)<br />
# Sumpf- und Feuchtgebietsarten in Flach- und Hochmooren (11 Arten)<br />
# Wald- und Waldrandarten sowie Gebüscharten, vor allem in tieferen Lagen (24 Arten)<br />
# Pionierarten in Auen, Felsplatten, Geröllhalden oder Karst (25 Arten)<br />
<br />
==Merkmale und Vermehrung==<br />
Heuschrecken sind durch ihre Körperform, ihr Verhalten und ihre Körperfärbung an ihren Lebensraum angepasst und häufig gut getarnt. Die Körperfärbung kann innerhalb einer Art stark variieren und ist daher meist kein spezifisches Unterscheidungsmerkmal. Die Körperfärbung ist nicht immer genetisch festgelegt, sondern kann sich während der Entwicklung verändern und der Färbung der Umgebung anpassen. Adulte Tiere können ihre Farbe dagegen nicht mehr wechseln, aber ggf. noch nachdunkeln.<br />
<br />
Heuschrecken durchlaufen eine hemimetabole (unvollkommene) Entwicklung. Nach dem Schlupf sind die sogenannten Nymphen schon als Heuschrecken zu erkennen und werden mit jeder Häutung dem adulten Tier ähnlicher. Grillen brauchen bis zu 12 Häutungen, bis sie ausgewachsen sind, Laubheuschrecken 5 bis 7 und Kurzfühlerschrecken 4 bis 5 Häutungen. Erst nach der letzten Häutung bilden sich die Flügel und Geschlechtsorgane vollständig aus. Die meisten Heuschrecken sind einjährig, ihre Nymphen schlüpfen im Zeitraum von Frühling bis Sommer. Adulte Tiere sind von Sommer bis Herbst zu finden, das Auftreten richtet sich vor allem nach der Höhenstufe und den mikroklimatischen Verhältnissen. Nur Grillen (Gryllidae) und Dornschrecken (Tetrigidae) überwintern in einem der Nymphenstadien oder als adulte Tiere und treten entsprechend früh im Jahr auf. <br />
<br />
Die Paarung erfolgt einige Tage bis wenige Wochen nach der letzten Häutung und schon wenige Tage später beginnt die Eiablage. Die Weibchen der meisten Heuschreckenarten legen ihre Eier im Boden oder an der Basis von Gräsern ab. Andere Arten legen ihre Eier in rissige Baumrinde und markhaltige Pflanzenteile oder heften sie an Halme und Blätter. Die Langfühlerschrecken können mit dem Legebohrer ihre Eier tiefer in den Boden legen als die Kurzfühlerschrecken. Bei den meisten heimischen Arten dauert die Entwicklung der Eier bis zum Schlupf vom Herbst bis zum nächsten Frühling, bei einigen auch mehrere Jahre. <br />
<br />
Die Feuchte- und Temperatur-Ansprüche der Eier sind bei Heuschrecken entscheidend für die Habitatbindung der Arten. Arten der Feuchthabitate können oft nicht überleben, wenn ihre Eier im Winter nicht genügend feucht sind. Sie brauchen eine Periode der Überflutung. Feldheuschrecken der trockenen Habitate haben eine längere Eientwicklung nach dem Winter und benötigen höhere Bodentemperaturen. Die notwenigen Temperaturen werden erreicht, wenn Sonnenstrahlen offene Bodenstellen erwärmen. Andere Arten, die in höherer, dichterer Vegetation leben, kommen auch mit geringer Sonneneinstrahlung zurecht. So gibt es einige Spezialisten unter den Heuschrecken, mit ganz spezifischen Ansprüchen an ihren Lebensraum. Der Kiesbankgrashüpfer (''Chorthippus pullus'') lebt in der Schweiz z.&nbsp;B. ausschliesslich auf vegetationsarmen Kiesbänken grosser Alpenflüsse.<br />
<br />
{{Fotos-links-1000px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Eiablage_Lebensraum-Fluegel.png<br />
| text = Von links nach rechts: Die Laubholz-Säbelschrecke (''Barbitistes serricauda'') legt ihre Eier in Gehölze mit strukturreicher Borke ab. Der Kiesbankgrashüpfer (''Chorthippus pullus'') kommt nur entlang der grossen Alpenflüsse vor. Die Gewöhnliche Gebirgsschrecke (''Podisma pedestris'') kann aufgrund der verkümmerten Flügel nicht fliegen.<br />
Das Grüne Heupferd (''Tettigonia viridissima'') ist ein Langstreckenflieger unter den Heuschrecken.<br />
}}<br />
<br />
==Populationsgrössen und Ausbreitung ==<br />
Die Populationsgrösse kann zwischen den Jahren stark schwanken. Schon ein Kälteeinbruch oder eine längere Regenphase im Frühsommer können zu einem starken Populationsrückgang führen. Einzelbeobachtungen weisen darauf hin, dass auch kleine Populationen mit weniger als 50 Tieren über mehrere Jahre existieren können, wenn die Habitatqualität nicht abnimmt. <br />
<br />
Die meisten Heuschreckenarten sind sesshaft und bewegen sich in einem Umkreis von wenigen Metern bis maximal 1&nbsp;km. Bei vielen Arten sind die Flügel verkümmert (z.&nbsp;B. bei der Gewöhnlichen Gebirgsschrecke ''Podisma pedestris''). Es gibt aber auch einzelne Langstreckenflieger, wie das Grüne Heupferd (''Tettigonia viridissima''), das in einem Sommer Distanzen von mehreren Kilometern zurücklegen kann. Hohe Bestandsdichten können die Ausbreitung von sesshaften Arten erhöhen, da bei Dichtestress die Mobilität steigt und makroptere (langflügelige) Tiere auftreten können, deren Flügel deutlich länger sind als üblich. Mit verlängerten Flügeln können auch Arten, die üblicherweise flugunfähig sind, weitere Distanzen überqueren. Ungenügend untersucht ist die Ausbreitung von Eiern und Tieren durch passiven Transport, z.&nbsp;B. durch Fliessgewässer, den Bahnverkehr, durch Verfrachtung mit Mahdgut oder mit Weidetieren. Bei manchen Arten scheint diese Art der Verbreitung jedoch gut zu funktionieren, da immer wieder fernab von bekannten Populationen Einzeltiere oder kleine Initialpopulationen gefunden werden.<br />
<br />
== Fauna Indicativa ==<br />
Die [http://www.cscf.ch/cscf/de/home/projekte/fauna-indicativa.html Fauna Indicativa] ist ein Nachschlagewerk sowie ein Werkzeug für die Auswertung faunistischer Daten. Sie charakterisiert in Tabellenform ökologische Präferenzen und biologische Eigenschaften aller in der Schweiz einheimischen Heuschrecken.<br />
<br />
=Erhalt und Förderung=<br />
==Allgemeine Massnahmen ==<br />
===Grünland- und Feuchtgebietsarten ===<br />
* Extensive Bewirtschaftung von Wiesen und Weiden und Verzicht auf schwere Maschinen, insbesondere in Feuchtgebieten<br />
* Verzicht auf das Ausbringen von Kunstdünger und Bioziden, insbesondere Insektiziden<br />
* Förderung von Biodiversitätsförderflächen (BFF) mit Qualitätsstufe QII<br />
* Verzicht auf die Bewässerung von Trockenwiesen und Steppen<br />
* Eindämmung der Verbuschung und Verbrachung von Trockenwiesen- und weiden<br />
* Verzicht auf die Entwässerung von Feuchtgebieten und Wiederherstellung des natürlichen Wasserregimes<br />
* Erhalt von Weiden, da in der Regel mit heterogener Struktur und artenreicher, ausser bei einschüriger Mahd <br />
* Schutz und Wiederherstellung von Feuchtgebieten<br />
* Anlage und Pflege von Stillgewässern, insbesondere mit flachen Uferzonen<br />
<br />
===Wald- und Waldrandarten===<br />
* Aufwertung und Schaffung gestufter Waldränder mit einer Krautschicht<br />
* Erhalt alter Baumbestände, Biotopbäume und Hecken mir ihren Säumen<br />
* Auflichtung der Wälder und Böschungen, damit sie gut besonnt sind<br />
* Extensive Pflege der Weg- und Hangböschungen<br />
* Standortgerechter Waldbau, Verzicht auf Monokulturen (bspw. Fichten)<br />
* Umwandlung von Monokulturen in natürliche Wälder mit mehreren Baumarten<br />
* Verzicht auf den Einsatz von Düngemitteln und Bioziden<br />
<br />
===Pionierarten an Fliessgewässern ===<br />
(Übernommen aus: [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken])<br />
* Revitalisierung der Fliessgewässer, bevorzugt von Pionierarten besiedelte Standorten <br />
* Verzicht auf die Zuschüttung oder Eindämmung von besiedelten Uferflächen<br />
* Verzicht auf jeglichen Abbau der Sand-, Kies- oder Steinbänke innerhalb, ober- und unterhalb besiedelter Flächen<br />
* Zulassen von regelmässigen, genügend intensiven Hochwassern, um den natürlichen Abtrag der mit Vegetation bewachsenen Bänke in Auen zu gewährleisten<br />
* Gewährleisten von periodischen Ablagerungen von Sedimenten an besiedelten Standorten, um die Regeneration von Sedimentbänken in Auen sicherzustellen<br />
* Revitalisierung möglichst vieler Fliessgewässer, um über die Schaffung von potenziell günstigen Standorten die Wiederbesiedlung von verlassenen Gegenden zu fördern<br />
<br />
{{Foto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Mosaik_aus_Gruenlandtypen_-_Suedschwarzwald_-_IMG_7876b.jpg<br />
| text = Der Strukturreichtum dieser Flächen bietet Grünlandarten einen idealen Lebensraum.<br />
}}<br />
<br />
== Strukturreiche Flächen schaffen und schützen ==<br />
Für Heuschrecken sind weniger die typischen [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen Kleinstrukturen] wichtig wie [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen#Die_einzelnen_Kleinstrukturen Ast- oder Steinhaufen], als vielmehr offene Bodenstellen (u.&nbsp;a. für die Eiablage) und Strukturen, die Wärme aufnehmen und speichern, wie felsige Bereiche, [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Pionierfl%C3%A4chen Kiesflächen], feuchte Senken und [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Stillgew%C3%A4sser temporäre Tümpel]. Neu angelegte Strukturen sollen eine minimale Fläche von 20&nbsp;m&sup2; pro ha haben. Natürliche Offenflächen und strukturreiche Flächen wie Moränen, Felsschutthalden, Kiesflächen und Verlandungszonen von [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Stillgew%C3%A4sser Stillgewässern] sind zu schützen und dürfen nicht zugeschüttet oder aufgeforstet werden.<br />
<br />
== Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts ==<br />
Viele gefährdete Heuschreckenarten sind auf eine extensive Beweidung oder regelmässige Mahd angewiesen, damit die Vegetation nicht zu dicht wird. Der optimale Schnittzeitpunkt ist artabhängig. Für Arten, die ihre Eier im Boden ablegen, ist eine Mahd zwischen Mai und August ungünstig. Für Arten, die ihre Eier an oder in Pflanzen ablegen, ist eine Mahd nach August und vor Mai problematisch. Die Bewirtschaftung kann aber auch schädlich sein. Verluste entstehen v.&nbsp;a. durch Mähaufbereiter und das Schwaden und Abführen des Mahdguts. Zur Verminderung der Verluste bei allen Arten ist bei der Mahd Folgendes zu beachten: <br />
<br />
* Es sollen möglichst wenige Schnitte erfolgen, optimaler Weise nur ein Schnitt pro Jahr<br />
* Frühmad: nicht ganzflächige durchführen; Spätmahd: nach dem Verblühen der meisten Pflanzen durchführen<br />
* Am besten ist eine differenzierte Pflege, d.&nbsp;h. ein Mosaik aus Flächen mit unterschiedlichen Mähzeitpunkten und Rückzugsstreifen, die nur alle 2 Jahre gemäht werden <br />
* Die Schnitthöhe soll mindestens 10&nbsp;cm betragen <br />
* Balkenmäher verursachen die niedrigste Schädigungsrate, Scheibenmähern die höchste; am schonendsten ist die Mahd mit der Sense <br />
* Das Schnittgut soll, damit sich die Tiere verteilen können, zum Trocknen liegen gelassen und stets abgeführt werden<br />
* Es sollen keine Mähaufbereiter eingesetzt werden<br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://www.buntewiese-tuebingen.de/app/download/6569219764/Hiller%202014%20Auswirkungen%20verschiedener%20Mahdkonzepte%20auf%20die%20Heuschreckenfauna%20st%C3%A4dtischer%20Gr%C3%BCnfl%C3%A4chen%20-%20Naturschutz%20und%20Landschaftsplanung.pdf?t=1490555371 Hiller, D. & Betz, O.(2014). Auswirkungen verschiedener Mahdkonzepte auf die Heuschreckenfauna städtischer Grünflächen]<br /><br />
<br />
'''Hintergrundinformationen'''<br /><br />
* [http://www.parcs.ch/npf/pdf_public/2014/30491_20141107_083216_MA_GrichtingStefan_2002.pdf Grichting, S. (2002). Heuschrecken (Orthoptera) von Trockensteppen und extensiv bewirtschafteten Wiesen im Pfynwald (VS, Schweiz)]<br />
: Studie zu den ökologischen Ansprüchen und der Verbreitung von Heuschrecken auf Wiesen mit unterschiedlichem Nutzungsgrad.<br /><br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/abashop?s=208&p=productdetail&sku=429&language=de Agridea (2011). Erntetechnik und Artenvielfalt in Wiesen]<br />
: Das Merkblatt zeigt die Auswirkungen verschiedener Mähtechniken und nachfolgender Ernteschritte auf die Artenvielfalt und gibt Empfehlungen für eine möglichst tierschonende Ernte. <br /><br />
<br />
==Rotationsbrachen anlegen und Altgrassstreifen stehen lassen ==<br />
Bei der Anlage von Rotationsbrachen und Altgrasstreifen ist auf das Vorkommen von Heuschreckenpopulation in der näheren Umgebung zu achten, da Heuschrecken oft nur geringe Ausbreitungsdistanzen haben. Als Rückzugsstreifen werden bei jedem Schnitt 10% der Wiese stehen gelassen.<br /><br />
<br />
'''Links'''<br />
* [http://www.agraroekologie.ch/NuL07-10_Mueller_Bosshard.pdf Müller, M. & Bosshard, B. (2012). Altgrasstreifen fördern Heuschrecken in Ökowiesen - Eine Möglichkeit zur Strukturverbesserung im Mähgrünland]<br />
: Studie zu den positiven Auswirkungen von Altgrasstreifen als Rückzugsraum bei der Mahd in extensiv genutzten Wiesen. <br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/2012_01_1723.pdf Duss, M. et al. (2012). Vernetzte Ökoflächen fördern Heuschrecken]<br />
: Studie zur Auswirkung eines Vernetzungsprojektes von ökologischen Ausgleichsflächen (öAF) auf die Verbreitung von 2 Heuschreckenarten. Die Grosse Goldschrecke (''Chrysochraon dispar'') profitiert von Altgrasstreifen.<br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/download.php?filename=2001_1112_102.pdf Peter, B. & Walter, T. (2001). Heuschrecken brauchen ökologische Ausgleichsflächen] <br />
: Vergleichende Untersuchungen vor und nach der Einführung von Biodiversitätsförderflächen (BFF) zeigt deren Wichtigkeit für Heuschrecken auf.<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Buntbrache_Altgrassstreifen_AK.png<br />
| text = Links und Mitte: Die Gemeine Sichelschrecke (''Phaneroptera falcata'') und die Langflüglige Schwertschrecke (''Conocephalus fuscus'') schätzen die hohe Vegetation von Buntbrachen. <br /><br />
Rechts: Die Grosse Goldschrecke (''Chrysochraon dispar'') profitiert von Altgrasstreifen.<br />
}}<br />
<br />
==Beweidung ==<br />
Für die Beweidung sollen möglichst traditionelle Rassen, bzw. leichte Tiere eingesetzt werden. Generell scheint Schaf-Hütehaltung besonders günstig für Heuschrecken zu sein. Die Viehdichte darf nicht zu hoch sein; der jährliche Besatz sollte 150 Grossvieheinheiten&sup1; pro Hektare (GVE/ha) nicht überschreiten. Es empfiehlt sich, eine Beweidung in Koppeln zu führen, womit ein ähnlicher Effekt erzielt wird wie mit einer Rotationsmahd. <br /><br />
<small><sup>1</sup>Die Beweidungsintensität ergibt sich aus dem Produkt von Besatzstärke in Grossvieheinheiten pro Hektare mal Anzahl Bestossungstagen (GVE/ha * dd). Je nach Grösse und Alter der Tiere ändert sich der Wert, der sich mit dem [https://www.agate.ch/portal/web/agate/gve-rechner GVE-Rechner des Bundesamtes für Landwirtschaft] genau ermitteln lässt.</small> <br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://www.pronatura.ch/de/2016/allegra-geissenpeter-ziegen-esel-und-rinder-weiden-fuer-die-biodiversitaet Pro Natura. Projekt „Allegra Geissenpeter“]<br />
: Pro Natura lanciert Projekte mit verschiedenen Weidetierarten, um die Trockenstandorte in den Alpen nachhaltig zu sichern, unter anderem zur Förderung der Heuschrecken. Die unterschiedlichen Projekte und die Ergebnisse der Erfolgskontrollen sind im [https://www.pronatura.ch/sites/pronatura.ch/files/2017-11/leitfaden_fuer_die_aufwertung_von_brachliegenden_trockenstandorten_durch_beweidung-beitraege_zum_naturschutz_in_der_schweiz_nr_37-2016_highres.pdf Leitfaden für die Aufwertung von brachliegenden Trockenstandorten durch Beweidung (2016)] zusammengefasst.<br />
<br />
== Direktbegrünung und Mahdgutübertragung ==<br />
Direktbegrünung und Mahdgutübertragung sind einer Ansaat vorzuziehen, da zusammen mit dem Pflanzenmaterial oder den Samen Insekten und Eier übertragen werden können. Dies ist insbesondere wichtig für Arten mit einem geringem Ausbreitungspotenzial. Das Saat- und Mahdgut sollte von [https://www.regioflora.ch/app/de/index.html Spenderflächen aus der nahen Umgebung] stammen, also [https://de.wikipedia.org/wiki/Autochthone_Art autochthon] sein, um die regionale genetische Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten zu erhalten. Für eine erfolgreiche Besiedlung sollen Empfängerflächen in maximal 1&nbsp;km Distanz, besser nur 500&nbsp;m, zu bereits besiedelten Flächen angelegt werden. Bei der Begrünung können kleine Bodenstelle langfristig offengehalten werden, indem Steine oder Feinsediment als Substrat eingebracht wird. <br />
<br />
'''Hintergrundinformation'''<br />
* [http://public.bibliothek.uni-halle.de/index.php/hercynia/article/viewFile/218/224 Elias, D. & Thiede, S. (2008). Verfrachtung von Heuschrecken (Insecta: Ensifera et Caelifera) mit frischem Mähgut im Wulfener Bruch (Sachsen-Anhalt)]: Diese Studie zeigt auf, dass die Mahdgutübertragung für Heuschrecken eine wichtige Rolle spielt, insbesondere für wenig mobile Arten.<br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/2001_07_71.pdf Bosshard, A. & Kuster, D. (2001). Bedeutung neu angelegter Extensivwiesen für Tagfalter und Heuschrecken]: Die Untersuchung zeigt, dass neu angelegte Extensivwiesen rasch von gefährdeten Heuschrecken- und Tagfalterarten besiedelt werden können.<br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [https://www.regioflora.ch/ Regio Flora - das Portal zur Förderung der regionalen Vielfalt im Grünland]: Umfassende Informationen zur Direktbegrünung von Wiesen und Weiden.<br />
* [https://www.regioflora.ch/de/assets/content/pdf/RF_Praxismerkblatt_D_download9.11.15.pdf Agridea (2015). Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft]: Leitfaden für die Praxis zum Einsatz von regionalem Saatgut in Biodiversitätsförderflächen.<br />
<br />
{{Foto-rechts-hoch<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Gewaesser_PZ.png<br />
| text = Die Ufer von Fliess- und Stillgewässern sind wichtige Verbreitungskorridore und sollen alternierend bewirtschaftet werden. <br />
}}<br />
<br />
== Feuchtgebiete und Trockenstandorte ==<br />
=== Ruderalstandorte und Säume entlang von Feuchtgebieten pflegen ===<br />
Zahlreiche Arten legen ihre Eier in Stängel von Pflanzen im Uferbereich von Still- und Fliessgewässern. Die Uferbereiche sind wichtige Verbreitungskorridore für die Tiere. Daher ist die extensive Pflege von Feuchtgebieten und Gräben das ganze Jahr über wichtig:<br />
* [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts|Mahd]] an den Ufern alternierend, an einem Ufer die Vegetation immer für ca. 1-2 Jahre stehen lassen <br />
* Säume am selben Ufer gestaffelt mähen und das Schnittgut abführen <br />
* Flächen nicht mulchen<br />
* Ruderalstandorte immer wieder abschnittweise stören durch extensive [[#Beweidung| Beweidung]] oder [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts | Mahd]], um die Verbuschung zu verhindern und [[#Strukturreiche Flächen schaffen und schützen| strukturreiche Flächen]] zu schaffen <br />
* Invasive Pflanzen zurückdrängen, insbesondere Flügelknöterich (''Fallopia'') und Drüsiges Springkraut (''Impatiens glandulifera'')<br />
<br />
=== Entbuschung von Trockenstandorten === <br />
Der Baum- und Strauchbewuchs soll bei grossen Standorten maximal 25% betragen, bei kleineren 10% oder weniger. Für die langfristige Offenhaltung der Trockenwiesen- und weiden eignen sich extensive Beweidung oder Mahd. Massnahmen zur Aufwertung von Trockenstandorten werden zu einem späteren Zeitpunkt bearbeitet.<br />
<br />
== Im Siedlungsgebiet ==<br />
=== Schotter- und Brachflächen extensiv pflegen ===<br />
Im Randbereich vom Siedlungsgebiet und auf Firmengeländen kann eine reiche Heuschreckenfauna entstehen, wenn grössere Offenflächen vorhanden sind. Dies können z.&nbsp;B. Schotter- und Industriebrachen sein, die einen lockeren Pflanzenbewuchs aufweisen. Diese Flächen sollen extensiv bewirtschaftet werden (siehe: [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts|Mahdkonzepte]]). Der Strukturreichtum kann gefördert werden, indem die Pflege nur abschnittweise erfolgt und zusätzliche [[#Strukturreiche Flächen schaffen und schützen| Kleinstrukturen]] angelegt werden.<br />
<br />
=== Begrünung und Pflege von Flachdächern ===<br />
Flachdächer können einigen Heuschreckenarten, z.&nbsp;B. der Blauflügeligen Sandschrecke (''Sphingonotus caerulans'') oder der Blauflügeligen Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') als Trittstein dienen. Dauerhafte Ansiedlungen von Populationen wurden bisher noch nicht beobachtet. Bei der Anlage der Dächer ist Folgendes wichtig: <br />
* Nur einheimische Pflanzen und Saatgut verwenden <br />
* Offene Stellen belassen und regelmässig neue Offenflächen durch Abtragung des Oberbodens schaffen <br />
* Sand, Kies und Steine in unterschiedlichen Korngrössen verwenden <br />
* Pflanzen extensiv und abschnittsweise pflegen <br />
* Strukturreichtum durch Kieshaufen, Holz, etc. sicherstellen <br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://docplayer.org/20659374-Die-blaufluegelige-sandschrecke-sphingonotus-caerulans-auf-den-extensiv-begruenten-daechern-der-europa-allee-zuerich.html Speck, M. & Brenneisen, S. (2014). Die Blauflügelige Sandschrecke (Sphingonotus caerulans) auf den extensiv begrünten Dächern der Europa-Allee in Zürich]<br />
: Diese Studie belegt das Vorkommen der Rote-Liste Art auf Flachdächern in Zürich. Die Blauflügelige Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') wurde in vorherigen Untersuchungen machgewiesen, die hier zitiert werden.<br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [https://www.stadt-zuerich.ch/ted/de/index/gsz/beratung-und-wissen/wohn-und-arbeitsumfeld/dachbegruenungen0.html Stadt Zürich. Dachbegrünung]: Umfassende Informationen zur Anlage und Pflege von Dachbegrünung mit vielen Praxisbeispielen.<br />
* [https://www.stadt.sg.ch/home/raum-umwelt/bauen-sanieren/natur-stadt.html Stadt St. Gallen, Amt für Umwelt und Energie (2014). Leitfaden Dachbegrünung]: Ausführliche Informationen zu Aufbau und extensiven Begrünungsarten von Flachdächern.<br />
<br />
{{Fotos-links-550px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Siedlungsgebiet.png<br />
| text = Der Blauflügeligen Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') und der Blauflügeligen Sandschrecke (''Sphingonotus caerulans'') können Flachdächer als Trittsteine in neue Lebensräume dienen.<br />
}}<br />
<br />
=== Wildblumenwiesen und Trockenflächen anlegen und pflegen === <br />
In Parks und Gärten können auch anspruchsvollere Heuschreckenarten vorkommen, wenn Folgendes beachtet wird:<br />
* Nur einheimisches Saatgut verwenden <br />
* Lückig säen und nicht düngen <br />
* Offene Bodenflächen belassen <br />
* Maximal 2-mal pro Jahr mit Balkenmäher oder Sense und abschnittsweise mähen <br />
* Brachflächen, Altgrassstreifen und Säume um Gebüsche und Gehölze von 5-10m abschnittsweise pflegen, um eine Zunahme der Verbuschung zu verhindern <br />
* Mahdgut abführen <br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [http://www.pronatura.ch/blumenwiesen?file=tl_files/dokumente_de/2_unsere_themen/lebensraeume/Wiesen/Pro_Natura_Praxis_Blumenwiese.pdf Pro Natura 2014. Blumenwiesen anlegen und pflegen]: Ausführliche Informationen zur Anlage und Pflege von grossen und kleinen (Wild-) Blumenwiesen.<br />
* [https://www.wwf.ch/sites/default/files/doc-2019-02/2010-12-factsheet-wiesenparadies-einheimische-blumen.pdf WWF Schweiz 2010. Buntes Wiesenparadies mit einheimischen Wildblumen]: Schritt für Schritt Anleitung zur Anlage und Pflege von Wildblumenwiesen für Privathaushalte.<br />
* [[Media:WWF 2010 Lebendige Trockenstandorte.pdf|WWF Schweiz 2010. Lebendige Trockenstandorte mit Sand, Kies und Schotter]]: Anleitung zur Anlage und Pflege von Trockenstandorten für Privathaushalte.<br />
<br />
== Sekundäre Pionierstandorte anlegen und pflegen == <br />
Vom Menschen geschaffene Pionierstandorte sind für Heuschrecken wertvolle Sekundärhabitate geworden, da vielerorts die ursprünglichen Lebensräume (z.&nbsp;B. See- und Flussauen, Brandflächen, etc.) verschwunden sind. Der Erhalt der Pionierstandorte bedarf regelmässiger Pflegeeinsätze zur Verhinderung von Verfilzung und Verbuschung.<br />
Heuschrecken finden wertvolle Pionierflächen: <br />
* In Steinbrüchen und Kiesgruben <br />
* In Weinbergen<br />
* In Sand-, Lehmgruben und Mergelgruben <br />
* An Bahnhöfen und Gleisen<br />
* Auf Industriebrachen<br />
<br />
== Wiederansiedlung von Tieren ==<br />
Die Wiederansiedelung von ehemals vorkommenden Heuschrecken kann nur eine letzte Alternative im Naturschutz sein, da primär immer der Schutz der vorhandenen Populationen im Fokus steht und die Wiederansiedlung sehr aufwändig ist. Für eine erfolgreiche Wiederansiedlung ist es notwendig, eine sorgfältige Ansiedlungs-Strategie zu erarbeiten und die [https://portals.iucn.org/library/efiles/documents/2013-009.pdf Richtlinien der IUCN zur Wiederansiedlung] strikt zu befolgen. Die Wiederansiedlung von Heuschrecken ist bewilligungspflichtig und soll Spezialisten überlassen werden, weshalb hier nicht näher darauf eingegangen wird.<br />
<br />
<br />
{{Foto-rechts-quer<br />
| bilddatei = GSM-5012435629 6b68a9c506 b Ephipiger cfr diurnus female.jpg<br />
| text = Die Westliche Sattelschrecke (''Ephippiger diurnus'') besiedelt trockene und lückige Wiesen und Waldränder. Sie gehört zu den stark gefährdeten Arten. <br />
}}<br />
<br />
= Artenschutz =<br />
Viele Heuschreckenarten brauchen aufgrund ihrer Ansprüche an den Lebensraum ganz spezifische Fördermassnahmen. Die Priorisierung der gefährdeten Arten gemäss ihrem Förderbedarf kann der [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/liste-national-prioritaeren-arten.html Liste der National Prioritären Arten (2011)] entnommen werden. Eine wichtige Grundlage für die Förderung sind auch die in der [http://www.cscf.ch/cscf/de/home/wissenschaftliche-aktivitaten/fauna-indicativa.html Fauna Indicativa] zusammengestellten Präferenzen und Eigenschaften der einzelnen Arten.<br />
<br />
Es gibt nur wenige Praxisinformationen zum spezifischen Artenschutz von Heuschrecken. In der Schweiz wurde bisher nur für die Blauflügelige Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') eine [http://kbnl.ch/wp-content/uploads/2016/11/webseite_Ocaerulescens.pdf Zusammenfassung zur Best Practice der Artenförderung] und [https://www.zh.ch/content/dam/zhweb/bilder-dokumente/themen/umwelt-tiere/naturschutz/artenschutz/aktionsplaene-fauna/heuschrecken/oedipoda_caerulescens_ap.pdf vom Kanton Zürich ein Aktionsplan] erstellt.<br />
<br />
In den Nachbarländern wurden folgenden Publikationen zu Fördermassnahmen erstellt: <br />
<br />
'''Deutschland'''<br />
* [http://www.nlwkn.niedersachsen.de/naturschutz/natura_2000/vollzugshinweise_arten_und_lebensraumtypen/vollzugshinweise-fuer-arten-und-lebensraumtypen-46103.html#Wirbellose Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz. Niedersächsische Strategie zum Arten- und Biotopschutz]<br />
'''Österreich''' <br />
* [http://www.zobodat.at/pdf/NaturschutzbundBgld_9_2013_0001-0160.pdf Zuna-Kratky, T. et. al. (2013). Schutzprogramm für die gefährdeten Heuschrecken des Nordburgenlands]<br />
'''Niederlande''' <br />
* [http://repository.naturalis.nl/document/161506 Schut, D. et al. (2008). Actieplan prioritaire Sprinkhanen in Noord-Brabant]<br />
<br />
= Gefährdung =<br />
Von den 105 für die [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html Rote Liste 2007] untersuchten Heuschreckenarten sind fast 40% bedroht. Am stärksten gefährdet sind die Pionierarten entlang von Gewässern sowie die Arten der Flach- und Hochmoore. Die Erhaltung der letzten Populationen dieser Arten ist daher von grosser Bedeutung.<br />
Die grössten Gefährdungsursachen für alle Heuschreckenarten sind:<br />
* Verlust und Fragmentierung des Lebensraums durch Veränderung der Landnutzung, z.&nbsp;B. durch Umwandlung von Grünland in Äcker, Urbanisierung oder Industrialisierung<br />
* Intensivierung der Nutzung, insbesondere der Einsatz von Mähmaschinen und Mähaufbereitern, sowie Düngung und Erhöhung der Anzahl Schnitte pro Jahr, sowie höhere Viehdichten auf kleinerem Raum<br />
* Mangelnde (natürliche) Prozesse zur Offenhaltung der Landschaft und von Bodenstellen, Homogenisierung der Landschaft<br />
* Verdichtung der Vegetation durch Eutrophierung<br />
* Einsatz von Insektiziden<br />
<br />
Weitere Gefährdungsursachen in Bezug auf die Lebensraumbindung sind:<br />
* Grünlandarten: Intensive Beweidung oder häufige Mahd, Verbuschung oder Verkrautung durch Verbrachung, Verarmung der Pflanzenvielfalt, Düngung von Wiesen und Weiden <br />
* Feuchtgebietsarten: Veränderungen im Gewässerhaushalt von Feuchtgebieten, intensivere landwirtschaftliche Nutzung von Feuchtwiesen <br />
* Wald- und Waldrandarten: Fehlende Stufenstruktur des Waldrandes (Strauch- und Krautschicht), Entfernung von Hecken, Kleinstrukturen und Felsen, Intensivierung der Forstwirtschaft, Einsatz von Bioziden, Anbau von Monokulturen, touristische Nutzung (insbesondere mit Ski & Mountainbike)<br />
* Pionierarten: Verbauungen der Fliessgewässer und Eingriffe in den Geschiebehaushalt, Veränderungen des Gewässerhaushaltes und der Gewässerdynamik, Verbuschung und Verkrautung der Offenflächen<br />
<br />
= Wissenslücken =<br />
Die Wissenslücken sind nicht abschliessend und fokussieren besonders auf die Förderung.<br />
* Erfolgreiche Förderung seltener Arten<br />
* Minimale überlebensfähige Populationsgrössen <br />
* Vernetzung von Heuschreckenpopulationen unterschiedlicher Arten und Artenzusammensetzungen<br />
* Habitatspezifische Auswirkungen der Grünlandnutzung: lässt sich das auf Trockenrasen gewonnene Wissen bspw. auf Feuchtwiesen übertragen?<br />
* Barrierewirkung mehrspuriger Strassen (Autobahnen)<br />
* Auswirkungen vom Klimawandel, insbesondere langer Dürreperioden oder Starkregen<br />
<br />
= Praxisbeispiele =<br />
Für Heuschrecken haben wir nur ein Praxisbeispiel gefunden, welches die durchgeführten Massnahmen ausführlich beschreibt und eine Erfolgsuntersuchung beinhaltet. Daher freuen wir uns über Ihre [http://biodivers.ch/index.php/kontakt.html Vorschläge per Email.]<br />
* [http://www.parcs.ch/nwp/pdf_public/2014/26962_20140130_123116_Kurth_Salome_2007.pdf Kurth, S. (2007). Planning a migration corridor for the highly endangered grasshopper Chorthippus pullus (Orthoptera, Acrididae) in the Rottensand (Pfynwald, VS)] <br />
: Für den Kiesbankgrashüpfer wurde im Pfynwald ein Migrationskorridor errichtet und die anschliessende Nutzung beobachtet.<br />
<br />
= Allgemeine Links=<br />
* [http://lepus.unine.ch/carto/ Info fauna. Verbreitungskarten der Schweizer Tierarten]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken]<br />
* [http://www.orthoptera.ch Orthoptera Schweiz. Heuschrecken-Plattform für die Schweiz und Europa ]<br />
* [http://www.orthoptera.ch/links Orthoptera Schweiz. Linkliste der Heuschrecken-Webseiten Europas und weltweit] <br />
<br />
== Glossar und weitere spannende Links ==<br />
* [https://www.orthoptera.ch/glossar Glossar von orthoptera.ch]<br />
* [http://www.biofotoquiz.ch/biofotoquiz/index.php?domain=standard&classID=278 Biofotoquiz]: Quiz mit Fotos von Heuschrecken und anderen Tier- und Pflanzenarten zum Kennenlernen der Arten.<br />
* [https://offene-naturfuehrer.de/web/Heuschreckenarten_nach_einfachen_Merkmalen_bestimmen_(Bayern) Heuschreckenarten nach einfachen Merkmalen bestimmen (Bayern)]: Wiki-Bestimmungsschlüssel für die Heuschrecken von Bayern. Der Leser wird anhand der Merkmale geführt, die Kenntnis von Fachbegriffen wird vorausgesetzt. <br />
* [https://docplayer.org/24899466-Heuschrecken-bestimmungsschluessel-fuer-die-oestlichen-suedalpen.html Fontana et al. (2002). Heuschrecken-Bestimmungsschlüssel für die östlichen Südalpen]: Bestimmungsschlüssel mit detaillierten Zeichnungen der Merkmale. <br />
* [http://www.orthoptera.ch/info-app-wiki/orthoptera-app Orthoptera-App]: Die Heuschrecken Bestimmungs-App für iphone und Android enthält zu jeder Art zahlreiche Fotos, Stimmaufzeichnungen und Hintergrundinformationen. Beobachtungen können in der App eingegeben und so dem CSCF gemeldet werden.<br />
<br />
= Literaturempfehlungen =<br />
* Detzel, P. (1998). Die Heuschrecken Baden-Württembergs. Stuttgart Hohenheim, Ulmer.<br />
: Bisher immer noch das beste Buch zur praxisnahen Ökologie und Massnahmen zur Förderung von Heuschrecken. Die Aufwertungs-Massnahmen sind an einzelne Arten und Lebensräume angepasst. Als genereller Leitfaden sind sie sehr gut, umsetzungsorientierte Anleitungen fehlen. Alles in allem ein gutes Buch für den Anfang, eine Weiterentwicklung ist aber dringend notwendig.<br />
* Ingrisch, S. & Köhler, G. (1998). Die Heuschrecken Mitteleuropas. Vol. Bd. 629. Magdeburg, Westarp Wissenschaften.<br />
: Sehr ausführliches und allgemeines Buch zur Biologie, Populationsdynamiken und Lebensräumen der Heuschrecken, weniger zur Biotopaufwertung und zu Fördermassnahmen. Trotz dem Alter immer noch lesenswert und informativ. <br />
* Schlumprecht, H. & Waeber, G. (2003). Heuschrecken in Bayern. Stuttgart Hohenheim. Ulmer. <br />
: Sehr ausführlicher Bestimmungs-Atlas mit vielen Informationen zur Lebensweise und den Lebensräumen der einzelnen Arten. Zu Gefährdung und Schutz gibt es Beispiele aus dem bayrischen Raum und Ratschläge zur Aufwertung für jede Art.<br />
* Maas, S., Detzel, P. & Staudt, A. (2002). Gefährdungsanalyse der Heuschrecken Deutschlands - Verbreitungsatlas, Gefährdungseinstufung und Schutzkonzepte. Bonn-Bad Godesberg, Bundesamt für Naturschutz.<br />
: Ausführlicher Atlas zu den Heuschreckenarten in Deutschland mit Gefährdungsanalysen und Informationen zu Habitaten, Biologie und Verbreitung der einzelnen Arten. Die Angaben zur Aufwertung von Lebensräumen sind kurz gehalten.<br />
* [http://dgfo-articulata.de/articulata Articulata - Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Orthopterologie] <br />
: In der Zeitschrift der DGFO erscheinen regelmässig Artikel zur Förderung von Heuschrecken, ältere Artikel können als PDF heruntergeladen werden.<br />
<br />
== Bestimmungsbücher ==<br />
* Baur, B., Bauer, H., Rösti, C., & Rösti, D. (2006). Die Heuschrecken der Schweiz. Bern, Haupt Verlag.<br />
: Intuitiver Bestimmungsschlüssel für die Schweizer Heuschreckenarten mit sehr schönen Detail-Zeichnungen. Enthält Verbreitungskarten und Erklärungen zu den wichtigsten Merkmalen.<br />
* Fischer, J., Steinlechner, D., Zehm, A., Poniatowski, D., et al., Hrsg. Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (2016). Die Heuschrecken Deutschlands und Nordtirols: Bestimmen - Beobachten - Schützen. Wiebelsheim Hunsrück, Quelle & Meyer.<br />
: Dieses Buch sticht positiv heraus. Es enthält Detailfotos der Bestimmungsmerkmale der Adultiere und Nymphen, eine Darstellung der Hauptaktivitätszeit aller Arten im Jahresverlauf und vieles mehr.<br />
* Weitere nationale und internationale Bestimmungsbücher sind auf [http://www.orthoptera.ch/literatur Orthoptera.ch] aufgeführt.<br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers ]|| info@biodivers.ch<br />
|-<br />
| Review|| Prof. Dr. Peter Detzel || [http://www.goeg.de/ Gruppe für ökologische Gutachten] <br />
|-<br />
| || [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Dr. Axel Hochkirch] || [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Universität Trier] <br />
|-<br />
| || [https://www.naturalis.nl/en/science/researchers/roy-kleukers Roy Kleukers] || [https://www.naturalis.nl/en Naturalis Biodiversity Center] <br />
|-<br />
| || [https://www.orthoptera.ch/ueber-uns Florin Rutschmann] || [http://www.pronatura-aargau.ch/cms/index.php?id=4&no_cache=1 Pro Natura Aargau] <br />
|}<br />
<br />
<!-- biodivers-Links zu Arten: Kiesbankgrashüpfer Chorthippus pullus, Blauflügelige Ödlanschrecke Oedipoda caerulescens → Aktionsplandrehscheibe, Grüne Heupferd Tettigonia viridissima, Alpenschrecke Anonconotus alpinus <br />
biodivers-Links zu Lebensräumen: Kleinstrukturen, Hecke, Stillgewässer (mehrfach), Fliessgewässer (mehrfach), Wald und Waldrand (mehrfach), Feuchtgebiete, Sumpf, Grünland, Trockenwiesen und Trockenweisen, Entbuschung von Trockenwiesen (mehrfach)--></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Heuschrecken&diff=4700
Heuschrecken
2023-03-04T18:09:10Z
<p>VB2: /* Glossar und weitere spannende Links */</p>
<hr />
<div>[[fr:Orthoptères]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = JM 29293745804 8952ea6513 h.jpg<br />
| text = Die Sumpfschrecke (''Stethophyma grossum'') besiedelt feuchte Wiesen und Flachmoore.<br />
}}<br />
<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers]<br />
|-<br />
| Review || [http://www.goeg.de/ueber-uns/team Prof. Dr. Peter Detzel], [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Dr. Axel Hochkirch], [https://www.naturalis.nl/en/science/researchers/roy-kleukers Roy Kleukers] & [http://www.orthoptera.ch/ueber-uns Florin Rutschmann]<br />
|-<br />
| Publikation || Juli 2017<br />
|}<br />
<br /><br />
{{TOC limit|2}}<br />
= Zusammenfassung =<br />
Über 100 Heuschreckenarten bereichern unsere Fauna und überraschen uns mit Flug-, Grab- oder Klangkünsten sowie ihrer Farben- und Formenvielfalt. Heuschrecken (Orthopteren) sind wärmeliebende Kulturfolger. Die meisten Arten beherbergt das Grünland, ob trocken oder feucht, gemäht oder beweidet. Einige Arten leben in lichten Wäldern und auf Pionierflächen der Flussauen und Geröllhalden. Viele Heuschreckenarten sind auf eine hohe Strukturvielfalt auf kleinem Raum angewiesen, da ihre durchschnittliche Ausbreitungsdistanz weniger als ein Kilometer beträgt.<br />
<br />
Für alle Arten ist die Offenhaltung ihrer Lebensräume zentral. Die Wiederherstellung der natürlichen Dynamiken oder die regelmässige, extensive Bewirtschaftung der besiedelten Flächen ist daher wichtig. Bei der Mahd ist darauf zu achten, ein Mosaik aus Rückzugsstreifen und Flächen mit unterschiedlichen Mahdzeitpunkten zu schaffen. Bei der Begrünung sind eine geringe Distanz zu besiedelten Flächen und eine lückige Ausbringung vorteilhaft. Von den über 100 einheimischen Heuschreckenarten stehen 40% auf der Roten Liste. Insbesondere die Arten der Pionierflächen haben einen erhöhten Förderbedarf. <br />
<br />
= Systematik =<br />
Heuschrecken werden in zwei leicht unterscheidbare Gruppen eingeteilt. Bei den Langfühlerschrecken (Ensifera) sind die Fühler gleich lang oder länger als der Körper und haben mindestens 30 Fühlerglieder, während sie bei den Kurzfühlerschrecken (Caelifera) kürzer als der Körper sind. Die Weibchen der Langfühlerschrecken besitzen meist einen auffälligen Legebohrer, im Gegensatz zu den kurzen Legeröhrenklappen bei den Kurzfühlerschrecken. Nur die Maulwurfsgrille gehört auch ohne lange Fühler und Legebohrer zu den Langfühlerschrecken. <br />
Mehr zur Systematik der Heuschrecken auf [https://de.wikipedia.org/wiki/Heuschrecken Wikipedia].<br />
<br />
=Praxisrelevante Ökologie=<br />
== Lebensräume ==<br />
Heuschrecken besiedeln die meisten terrestrischen Lebensräume bis auf 3'100&nbsp;m&nbsp;ü.&nbsp;M. Sie kommen in extensiven Wiesen und Weiden, Brachen, Weinbergen, Wäldern, Feuchtgebieten, Mooren und Flussauen vor. Heuschrecken können allgemein als wärmeliebende Kulturfolger bezeichnet werden, die in stark vom Menschen geprägten Landschaften leben. So können Kiesgruben und Steinbrüche viele seltene Arten beherbergen, wenn sie offengehalten und extensiv gepflegt werden. Im Siedlungsgebiet finden Heuschrecken eine Vielfalt an Kleinlebensräumen auf Industriebrachen und grossen Güterbahnhöfen, Schotterplätzen und in Ruderalflächen. Für seltene Arten sind Parks, Gärten und Flachdächer als Lebensraum wenig relevant, als Trittsteine können sie aber beim Erreichen neuer Lebensräume helfen. <br />
<br />
{{Fotos-links-1000px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Lebensraeuume_Gruppen_PZ.png<br />
| text = Zu den wichtigsten Lebensräumen für Heuschrecken zählen magere Wiesen, Moorlandschaften, lückige Wälder und Blocksteinhalden.<br />
}}<br />
<br />
Da nahezu alle Heuschrecken licht- und wärmeliebend sind, brauchen sie in ihren Lebensräumen Offenflächen bzw. lückige Pflanzenbestände. Die Bindung an das Habitat erfolgt weniger aufgrund bestimmter Pflanzengesellschaften, als aufgrund der benötigten Strukturen und der mikroklimatischen Verhältnisse. Entscheidend sind Dichte und Höhe der Vegetation, sowie Temperatur und Feuchtigkeit. Mosaikartige Lebensräume mit einer Vielfalt an Strukturen sind für eine hohe Heuschreckenvielfalt optimal. So leben an Lebensraum-Übergängen, wie Waldrändern mit Feuchtwiesen oder Hecken entlang von extensiven Wiesen, besonders viele Arten. Für den Erhalt von Offenflächen und Strukturreichtum sind regelmässige Pflegeeinsätze notwendig, wenn natürliche Dynamiken fehlen.<br />
<br />
Die Schweizer Heuschreckenarten können bezüglich ihrer Lebensraumbindung in vier Gruppen unterteilt werden (aus: [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken]) <br />
# Grünlandarten in Trockenwiesen und -weiden (43 Arten)<br />
# Sumpf- und Feuchtgebietsarten in Flach- und Hochmooren (11 Arten)<br />
# Wald- und Waldrandarten sowie Gebüscharten, vor allem in tieferen Lagen (24 Arten)<br />
# Pionierarten in Auen, Felsplatten, Geröllhalden oder Karst (25 Arten)<br />
<br />
==Merkmale und Vermehrung==<br />
Heuschrecken sind durch ihre Körperform, ihr Verhalten und ihre Körperfärbung an ihren Lebensraum angepasst und häufig gut getarnt. Die Körperfärbung kann innerhalb einer Art stark variieren und ist daher meist kein spezifisches Unterscheidungsmerkmal. Die Körperfärbung ist nicht immer genetisch festgelegt, sondern kann sich während der Entwicklung verändern und der Färbung der Umgebung anpassen. Adulte Tiere können ihre Farbe dagegen nicht mehr wechseln, aber ggf. noch nachdunkeln.<br />
<br />
Heuschrecken durchlaufen eine hemimetabole (unvollkommene) Entwicklung. Nach dem Schlupf sind die sogenannten Nymphen schon als Heuschrecken zu erkennen und werden mit jeder Häutung dem adulten Tier ähnlicher. Grillen brauchen bis zu 12 Häutungen, bis sie ausgewachsen sind, Laubheuschrecken 5 bis 7 und Kurzfühlerschrecken 4 bis 5 Häutungen. Erst nach der letzten Häutung bilden sich die Flügel und Geschlechtsorgane vollständig aus. Die meisten Heuschrecken sind einjährig, ihre Nymphen schlüpfen im Zeitraum von Frühling bis Sommer. Adulte Tiere sind von Sommer bis Herbst zu finden, das Auftreten richtet sich vor allem nach der Höhenstufe und den mikroklimatischen Verhältnissen. Nur Grillen (Gryllidae) und Dornschrecken (Tetrigidae) überwintern in einem der Nymphenstadien oder als adulte Tiere und treten entsprechend früh im Jahr auf. <br />
<br />
Die Paarung erfolgt einige Tage bis wenige Wochen nach der letzten Häutung und schon wenige Tage später beginnt die Eiablage. Die Weibchen der meisten Heuschreckenarten legen ihre Eier im Boden oder an der Basis von Gräsern ab. Andere Arten legen ihre Eier in rissige Baumrinde und markhaltige Pflanzenteile oder heften sie an Halme und Blätter. Die Langfühlerschrecken können mit dem Legebohrer ihre Eier tiefer in den Boden legen als die Kurzfühlerschrecken. Bei den meisten heimischen Arten dauert die Entwicklung der Eier bis zum Schlupf vom Herbst bis zum nächsten Frühling, bei einigen auch mehrere Jahre. <br />
<br />
Die Feuchte- und Temperatur-Ansprüche der Eier sind bei Heuschrecken entscheidend für die Habitatbindung der Arten. Arten der Feuchthabitate können oft nicht überleben, wenn ihre Eier im Winter nicht genügend feucht sind. Sie brauchen eine Periode der Überflutung. Feldheuschrecken der trockenen Habitate haben eine längere Eientwicklung nach dem Winter und benötigen höhere Bodentemperaturen. Die notwenigen Temperaturen werden erreicht, wenn Sonnenstrahlen offene Bodenstellen erwärmen. Andere Arten, die in höherer, dichterer Vegetation leben, kommen auch mit geringer Sonneneinstrahlung zurecht. So gibt es einige Spezialisten unter den Heuschrecken, mit ganz spezifischen Ansprüchen an ihren Lebensraum. Der Kiesbankgrashüpfer (''Chorthippus pullus'') lebt in der Schweiz z.&nbsp;B. ausschliesslich auf vegetationsarmen Kiesbänken grosser Alpenflüsse.<br />
<br />
{{Fotos-links-1000px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Eiablage_Lebensraum-Fluegel.png<br />
| text = Von links nach rechts: Die Laubholz-Säbelschrecke (''Barbitistes serricauda'') legt ihre Eier in Gehölze mit strukturreicher Borke ab. Der Kiesbankgrashüpfer (''Chorthippus pullus'') kommt nur entlang der grossen Alpenflüsse vor. Die Gewöhnliche Gebirgsschrecke (''Podisma pedestris'') kann aufgrund der verkümmerten Flügel nicht fliegen.<br />
Das Grüne Heupferd (''Tettigonia viridissima'') ist ein Langstreckenflieger unter den Heuschrecken.<br />
}}<br />
<br />
==Populationsgrössen und Ausbreitung ==<br />
Die Populationsgrösse kann zwischen den Jahren stark schwanken. Schon ein Kälteeinbruch oder eine längere Regenphase im Frühsommer können zu einem starken Populationsrückgang führen. Einzelbeobachtungen weisen darauf hin, dass auch kleine Populationen mit weniger als 50 Tieren über mehrere Jahre existieren können, wenn die Habitatqualität nicht abnimmt. <br />
<br />
Die meisten Heuschreckenarten sind sesshaft und bewegen sich in einem Umkreis von wenigen Metern bis maximal 1&nbsp;km. Bei vielen Arten sind die Flügel verkümmert (z.&nbsp;B. bei der Gewöhnlichen Gebirgsschrecke ''Podisma pedestris''). Es gibt aber auch einzelne Langstreckenflieger, wie das Grüne Heupferd (''Tettigonia viridissima''), das in einem Sommer Distanzen von mehreren Kilometern zurücklegen kann. Hohe Bestandsdichten können die Ausbreitung von sesshaften Arten erhöhen, da bei Dichtestress die Mobilität steigt und makroptere (langflügelige) Tiere auftreten können, deren Flügel deutlich länger sind als üblich. Mit verlängerten Flügeln können auch Arten, die üblicherweise flugunfähig sind, weitere Distanzen überqueren. Ungenügend untersucht ist die Ausbreitung von Eiern und Tieren durch passiven Transport, z.&nbsp;B. durch Fliessgewässer, den Bahnverkehr, durch Verfrachtung mit Mahdgut oder mit Weidetieren. Bei manchen Arten scheint diese Art der Verbreitung jedoch gut zu funktionieren, da immer wieder fernab von bekannten Populationen Einzeltiere oder kleine Initialpopulationen gefunden werden.<br />
<br />
== Fauna Indicativa ==<br />
Die [http://www.cscf.ch/cscf/de/home/projekte/fauna-indicativa.html Fauna Indicativa] ist ein Nachschlagewerk sowie ein Werkzeug für die Auswertung faunistischer Daten. Sie charakterisiert in Tabellenform ökologische Präferenzen und biologische Eigenschaften aller in der Schweiz einheimischen Heuschrecken.<br />
<br />
=Erhalt und Förderung=<br />
==Allgemeine Massnahmen ==<br />
===Grünland- und Feuchtgebietsarten ===<br />
* Extensive Bewirtschaftung von Wiesen und Weiden und Verzicht auf schwere Maschinen, insbesondere in Feuchtgebieten<br />
* Verzicht auf das Ausbringen von Kunstdünger und Bioziden, insbesondere Insektiziden<br />
* Förderung von Biodiversitätsförderflächen (BFF) mit Qualitätsstufe QII<br />
* Verzicht auf die Bewässerung von Trockenwiesen und Steppen<br />
* Eindämmung der Verbuschung und Verbrachung von Trockenwiesen- und weiden<br />
* Verzicht auf die Entwässerung von Feuchtgebieten und Wiederherstellung des natürlichen Wasserregimes<br />
* Erhalt von Weiden, da in der Regel mit heterogener Struktur und artenreicher, ausser bei einschüriger Mahd <br />
* Schutz und Wiederherstellung von Feuchtgebieten<br />
* Anlage und Pflege von Stillgewässern, insbesondere mit flachen Uferzonen<br />
<br />
===Wald- und Waldrandarten===<br />
* Aufwertung und Schaffung gestufter Waldränder mit einer Krautschicht<br />
* Erhalt alter Baumbestände, Biotopbäume und Hecken mir ihren Säumen<br />
* Auflichtung der Wälder und Böschungen, damit sie gut besonnt sind<br />
* Extensive Pflege der Weg- und Hangböschungen<br />
* Standortgerechter Waldbau, Verzicht auf Monokulturen (bspw. Fichten)<br />
* Umwandlung von Monokulturen in natürliche Wälder mit mehreren Baumarten<br />
* Verzicht auf den Einsatz von Düngemitteln und Bioziden<br />
<br />
===Pionierarten an Fliessgewässern ===<br />
(Übernommen aus: [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken])<br />
* Revitalisierung der Fliessgewässer, bevorzugt von Pionierarten besiedelte Standorten <br />
* Verzicht auf die Zuschüttung oder Eindämmung von besiedelten Uferflächen<br />
* Verzicht auf jeglichen Abbau der Sand-, Kies- oder Steinbänke innerhalb, ober- und unterhalb besiedelter Flächen<br />
* Zulassen von regelmässigen, genügend intensiven Hochwassern, um den natürlichen Abtrag der mit Vegetation bewachsenen Bänke in Auen zu gewährleisten<br />
* Gewährleisten von periodischen Ablagerungen von Sedimenten an besiedelten Standorten, um die Regeneration von Sedimentbänken in Auen sicherzustellen<br />
* Revitalisierung möglichst vieler Fliessgewässer, um über die Schaffung von potenziell günstigen Standorten die Wiederbesiedlung von verlassenen Gegenden zu fördern<br />
<br />
{{Foto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Mosaik_aus_Gruenlandtypen_-_Suedschwarzwald_-_IMG_7876b.jpg<br />
| text = Der Strukturreichtum dieser Flächen bietet Grünlandarten einen idealen Lebensraum.<br />
}}<br />
<br />
== Strukturreiche Flächen schaffen und schützen ==<br />
Für Heuschrecken sind weniger die typischen [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen Kleinstrukturen] wichtig wie [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen#Die_einzelnen_Kleinstrukturen Ast- oder Steinhaufen], als vielmehr offene Bodenstellen (u.&nbsp;a. für die Eiablage) und Strukturen, die Wärme aufnehmen und speichern, wie felsige Bereiche, [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Pionierfl%C3%A4chen Kiesflächen], feuchte Senken und [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Stillgew%C3%A4sser temporäre Tümpel]. Neu angelegte Strukturen sollen eine minimale Fläche von 20&nbsp;m&sup2; pro ha haben. Natürliche Offenflächen und strukturreiche Flächen wie Moränen, Felsschutthalden, Kiesflächen und Verlandungszonen von [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Stillgew%C3%A4sser Stillgewässern] sind zu schützen und dürfen nicht zugeschüttet oder aufgeforstet werden.<br />
<br />
== Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts ==<br />
Viele gefährdete Heuschreckenarten sind auf eine extensive Beweidung oder regelmässige Mahd angewiesen, damit die Vegetation nicht zu dicht wird. Der optimale Schnittzeitpunkt ist artabhängig. Für Arten, die ihre Eier im Boden ablegen, ist eine Mahd zwischen Mai und August ungünstig. Für Arten, die ihre Eier an oder in Pflanzen ablegen, ist eine Mahd nach August und vor Mai problematisch. Die Bewirtschaftung kann aber auch schädlich sein. Verluste entstehen v.&nbsp;a. durch Mähaufbereiter und das Schwaden und Abführen des Mahdguts. Zur Verminderung der Verluste bei allen Arten ist bei der Mahd Folgendes zu beachten: <br />
<br />
* Es sollen möglichst wenige Schnitte erfolgen, optimaler Weise nur ein Schnitt pro Jahr<br />
* Frühmad: nicht ganzflächige durchführen; Spätmahd: nach dem Verblühen der meisten Pflanzen durchführen<br />
* Am besten ist eine differenzierte Pflege, d.&nbsp;h. ein Mosaik aus Flächen mit unterschiedlichen Mähzeitpunkten und Rückzugsstreifen, die nur alle 2 Jahre gemäht werden <br />
* Die Schnitthöhe soll mindestens 10&nbsp;cm betragen <br />
* Balkenmäher verursachen die niedrigste Schädigungsrate, Scheibenmähern die höchste; am schonendsten ist die Mahd mit der Sense <br />
* Das Schnittgut soll, damit sich die Tiere verteilen können, zum Trocknen liegen gelassen und stets abgeführt werden<br />
* Es sollen keine Mähaufbereiter eingesetzt werden<br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://www.buntewiese-tuebingen.de/app/download/6569219764/Hiller%202014%20Auswirkungen%20verschiedener%20Mahdkonzepte%20auf%20die%20Heuschreckenfauna%20st%C3%A4dtischer%20Gr%C3%BCnfl%C3%A4chen%20-%20Naturschutz%20und%20Landschaftsplanung.pdf?t=1490555371 Hiller, D. & Betz, O.(2014). Auswirkungen verschiedener Mahdkonzepte auf die Heuschreckenfauna städtischer Grünflächen]<br /><br />
<br />
'''Hintergrundinformationen'''<br /><br />
* [http://www.parcs.ch/npf/pdf_public/2014/30491_20141107_083216_MA_GrichtingStefan_2002.pdf Grichting, S. (2002). Heuschrecken (Orthoptera) von Trockensteppen und extensiv bewirtschafteten Wiesen im Pfynwald (VS, Schweiz)]<br />
: Studie zu den ökologischen Ansprüchen und der Verbreitung von Heuschrecken auf Wiesen mit unterschiedlichem Nutzungsgrad.<br /><br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/abashop?s=208&p=productdetail&sku=429&language=de Agridea (2011). Erntetechnik und Artenvielfalt in Wiesen]<br />
: Das Merkblatt zeigt die Auswirkungen verschiedener Mähtechniken und nachfolgender Ernteschritte auf die Artenvielfalt und gibt Empfehlungen für eine möglichst tierschonende Ernte. <br /><br />
<br />
==Rotationsbrachen anlegen und Altgrassstreifen stehen lassen ==<br />
Bei der Anlage von Rotationsbrachen und Altgrasstreifen ist auf das Vorkommen von Heuschreckenpopulation in der näheren Umgebung zu achten, da Heuschrecken oft nur geringe Ausbreitungsdistanzen haben. Als Rückzugsstreifen werden bei jedem Schnitt 10% der Wiese stehen gelassen.<br /><br />
<br />
'''Links'''<br />
* [http://www.agraroekologie.ch/NuL07-10_Mueller_Bosshard.pdf Müller, M. & Bosshard, B. (2012). Altgrasstreifen fördern Heuschrecken in Ökowiesen - Eine Möglichkeit zur Strukturverbesserung im Mähgrünland]<br />
: Studie zu den positiven Auswirkungen von Altgrasstreifen als Rückzugsraum bei der Mahd in extensiv genutzten Wiesen. <br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/2012_01_1723.pdf Duss, M. et al. (2012). Vernetzte Ökoflächen fördern Heuschrecken]<br />
: Studie zur Auswirkung eines Vernetzungsprojektes von ökologischen Ausgleichsflächen (öAF) auf die Verbreitung von 2 Heuschreckenarten. Die Grosse Goldschrecke (''Chrysochraon dispar'') profitiert von Altgrasstreifen.<br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/download.php?filename=2001_1112_102.pdf Peter, B. & Walter, T. (2001). Heuschrecken brauchen ökologische Ausgleichsflächen] <br />
: Vergleichende Untersuchungen vor und nach der Einführung von Biodiversitätsförderflächen (BFF) zeigt deren Wichtigkeit für Heuschrecken auf.<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Buntbrache_Altgrassstreifen_AK.png<br />
| text = Links und Mitte: Die Gemeine Sichelschrecke (''Phaneroptera falcata'') und die Langflüglige Schwertschrecke (''Conocephalus fuscus'') schätzen die hohe Vegetation von Buntbrachen. <br /><br />
Rechts: Die Grosse Goldschrecke (''Chrysochraon dispar'') profitiert von Altgrasstreifen.<br />
}}<br />
<br />
==Beweidung ==<br />
Für die Beweidung sollen möglichst traditionelle Rassen, bzw. leichte Tiere eingesetzt werden. Generell scheint Schaf-Hütehaltung besonders günstig für Heuschrecken zu sein. Die Viehdichte darf nicht zu hoch sein; der jährliche Besatz sollte 150 Grossvieheinheiten&sup1; pro Hektare (GVE/ha) nicht überschreiten. Es empfiehlt sich, eine Beweidung in Koppeln zu führen, womit ein ähnlicher Effekt erzielt wird wie mit einer Rotationsmahd. <br /><br />
<small><sup>1</sup>Die Beweidungsintensität ergibt sich aus dem Produkt von Besatzstärke in Grossvieheinheiten pro Hektare mal Anzahl Bestossungstagen (GVE/ha * dd). Je nach Grösse und Alter der Tiere ändert sich der Wert, der sich mit dem [https://www.agate.ch/portal/web/agate/gve-rechner GVE-Rechner des Bundesamtes für Landwirtschaft] genau ermitteln lässt.</small> <br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://www.pronatura.ch/de/2016/allegra-geissenpeter-ziegen-esel-und-rinder-weiden-fuer-die-biodiversitaet Pro Natura. Projekt „Allegra Geissenpeter“]<br />
: Pro Natura lanciert Projekte mit verschiedenen Weidetierarten, um die Trockenstandorte in den Alpen nachhaltig zu sichern, unter anderem zur Förderung der Heuschrecken. Die unterschiedlichen Projekte und die Ergebnisse der Erfolgskontrollen sind im [https://www.pronatura.ch/sites/pronatura.ch/files/2017-11/leitfaden_fuer_die_aufwertung_von_brachliegenden_trockenstandorten_durch_beweidung-beitraege_zum_naturschutz_in_der_schweiz_nr_37-2016_highres.pdf Leitfaden für die Aufwertung von brachliegenden Trockenstandorten durch Beweidung (2016)] zusammengefasst.<br />
<br />
== Direktbegrünung und Mahdgutübertragung ==<br />
Direktbegrünung und Mahdgutübertragung sind einer Ansaat vorzuziehen, da zusammen mit dem Pflanzenmaterial oder den Samen Insekten und Eier übertragen werden können. Dies ist insbesondere wichtig für Arten mit einem geringem Ausbreitungspotenzial. Das Saat- und Mahdgut sollte von [https://www.regioflora.ch/app/de/index.html Spenderflächen aus der nahen Umgebung] stammen, also [https://de.wikipedia.org/wiki/Autochthone_Art autochthon] sein, um die regionale genetische Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten zu erhalten. Für eine erfolgreiche Besiedlung sollen Empfängerflächen in maximal 1&nbsp;km Distanz, besser nur 500&nbsp;m, zu bereits besiedelten Flächen angelegt werden. Bei der Begrünung können kleine Bodenstelle langfristig offengehalten werden, indem Steine oder Feinsediment als Substrat eingebracht wird. <br />
<br />
'''Hintergrundinformation'''<br />
* [http://public.bibliothek.uni-halle.de/index.php/hercynia/article/viewFile/218/224 Elias, D. & Thiede, S. (2008). Verfrachtung von Heuschrecken (Insecta: Ensifera et Caelifera) mit frischem Mähgut im Wulfener Bruch (Sachsen-Anhalt)]: Diese Studie zeigt auf, dass die Mahdgutübertragung für Heuschrecken eine wichtige Rolle spielt, insbesondere für wenig mobile Arten.<br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/2001_07_71.pdf Bosshard, A. & Kuster, D. (2001). Bedeutung neu angelegter Extensivwiesen für Tagfalter und Heuschrecken]: Die Untersuchung zeigt, dass neu angelegte Extensivwiesen rasch von gefährdeten Heuschrecken- und Tagfalterarten besiedelt werden können.<br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [https://www.regioflora.ch/ Regio Flora - das Portal zur Förderung der regionalen Vielfalt im Grünland]: Umfassende Informationen zur Direktbegrünung von Wiesen und Weiden.<br />
* [https://www.regioflora.ch/de/assets/content/pdf/RF_Praxismerkblatt_D_download9.11.15.pdf Agridea (2015). Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft]: Leitfaden für die Praxis zum Einsatz von regionalem Saatgut in Biodiversitätsförderflächen.<br />
<br />
{{Foto-rechts-hoch<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Gewaesser_PZ.png<br />
| text = Die Ufer von Fliess- und Stillgewässern sind wichtige Verbreitungskorridore und sollen alternierend bewirtschaftet werden. <br />
}}<br />
<br />
== Feuchtgebiete und Trockenstandorte ==<br />
=== Ruderalstandorte und Säume entlang von Feuchtgebieten pflegen ===<br />
Zahlreiche Arten legen ihre Eier in Stängel von Pflanzen im Uferbereich von Still- und Fliessgewässern. Die Uferbereiche sind wichtige Verbreitungskorridore für die Tiere. Daher ist die extensive Pflege von Feuchtgebieten und Gräben das ganze Jahr über wichtig:<br />
* [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts|Mahd]] an den Ufern alternierend, an einem Ufer die Vegetation immer für ca. 1-2 Jahre stehen lassen <br />
* Säume am selben Ufer gestaffelt mähen und das Schnittgut abführen <br />
* Flächen nicht mulchen<br />
* Ruderalstandorte immer wieder abschnittweise stören durch extensive [[#Beweidung| Beweidung]] oder [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts | Mahd]], um die Verbuschung zu verhindern und [[#Strukturreiche Flächen schaffen und schützen| strukturreiche Flächen]] zu schaffen <br />
* Invasive Pflanzen zurückdrängen, insbesondere Flügelknöterich (''Fallopia'') und Drüsiges Springkraut (''Impatiens glandulifera'')<br />
<br />
=== Entbuschung von Trockenstandorten === <br />
Der Baum- und Strauchbewuchs soll bei grossen Standorten maximal 25% betragen, bei kleineren 10% oder weniger. Für die langfristige Offenhaltung der Trockenwiesen- und weiden eignen sich extensive Beweidung oder Mahd. Massnahmen zur Aufwertung von Trockenstandorten werden zu einem späteren Zeitpunkt bearbeitet.<br />
<br />
== Im Siedlungsgebiet ==<br />
=== Schotter- und Brachflächen extensiv pflegen ===<br />
Im Randbereich vom Siedlungsgebiet und auf Firmengeländen kann eine reiche Heuschreckenfauna entstehen, wenn grössere Offenflächen vorhanden sind. Dies können z.&nbsp;B. Schotter- und Industriebrachen sein, die einen lockeren Pflanzenbewuchs aufweisen. Diese Flächen sollen extensiv bewirtschaftet werden (siehe: [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts|Mahdkonzepte]]). Der Strukturreichtum kann gefördert werden, indem die Pflege nur abschnittweise erfolgt und zusätzliche [[#Strukturreiche Flächen schaffen und schützen| Kleinstrukturen]] angelegt werden.<br />
<br />
=== Begrünung und Pflege von Flachdächern ===<br />
Flachdächer können einigen Heuschreckenarten, z.&nbsp;B. der Blauflügeligen Sandschrecke (''Sphingonotus caerulans'') oder der Blauflügeligen Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') als Trittstein dienen. Dauerhafte Ansiedlungen von Populationen wurden bisher noch nicht beobachtet. Bei der Anlage der Dächer ist Folgendes wichtig: <br />
* Nur einheimische Pflanzen und Saatgut verwenden <br />
* Offene Stellen belassen und regelmässig neue Offenflächen durch Abtragung des Oberbodens schaffen <br />
* Sand, Kies und Steine in unterschiedlichen Korngrössen verwenden <br />
* Pflanzen extensiv und abschnittsweise pflegen <br />
* Strukturreichtum durch Kieshaufen, Holz, etc. sicherstellen <br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://docplayer.org/20659374-Die-blaufluegelige-sandschrecke-sphingonotus-caerulans-auf-den-extensiv-begruenten-daechern-der-europa-allee-zuerich.html Speck, M. & Brenneisen, S. (2014). Die Blauflügelige Sandschrecke (Sphingonotus caerulans) auf den extensiv begrünten Dächern der Europa-Allee in Zürich]<br />
: Diese Studie belegt das Vorkommen der Rote-Liste Art auf Flachdächern in Zürich. Die Blauflügelige Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') wurde in vorherigen Untersuchungen machgewiesen, die hier zitiert werden.<br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [https://www.stadt-zuerich.ch/ted/de/index/gsz/beratung-und-wissen/wohn-und-arbeitsumfeld/dachbegruenungen0.html Stadt Zürich. Dachbegrünung]: Umfassende Informationen zur Anlage und Pflege von Dachbegrünung mit vielen Praxisbeispielen.<br />
* [https://www.stadt.sg.ch/home/raum-umwelt/bauen-sanieren/natur-stadt.html Stadt St. Gallen, Amt für Umwelt und Energie (2014). Leitfaden Dachbegrünung]: Ausführliche Informationen zu Aufbau und extensiven Begrünungsarten von Flachdächern.<br />
<br />
{{Fotos-links-550px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Siedlungsgebiet.png<br />
| text = Der Blauflügeligen Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') und der Blauflügeligen Sandschrecke (''Sphingonotus caerulans'') können Flachdächer als Trittsteine in neue Lebensräume dienen.<br />
}}<br />
<br />
=== Wildblumenwiesen und Trockenflächen anlegen und pflegen === <br />
In Parks und Gärten können auch anspruchsvollere Heuschreckenarten vorkommen, wenn Folgendes beachtet wird:<br />
* Nur einheimisches Saatgut verwenden <br />
* Lückig säen und nicht düngen <br />
* Offene Bodenflächen belassen <br />
* Maximal 2-mal pro Jahr mit Balkenmäher oder Sense und abschnittsweise mähen <br />
* Brachflächen, Altgrassstreifen und Säume um Gebüsche und Gehölze von 5-10m abschnittsweise pflegen, um eine Zunahme der Verbuschung zu verhindern <br />
* Mahdgut abführen <br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [http://www.pronatura.ch/blumenwiesen?file=tl_files/dokumente_de/2_unsere_themen/lebensraeume/Wiesen/Pro_Natura_Praxis_Blumenwiese.pdf Pro Natura 2014. Blumenwiesen anlegen und pflegen]: Ausführliche Informationen zur Anlage und Pflege von grossen und kleinen (Wild-) Blumenwiesen.<br />
* [https://www.wwf.ch/sites/default/files/doc-2019-02/2010-12-factsheet-wiesenparadies-einheimische-blumen.pdf WWF Schweiz 2010. Buntes Wiesenparadies mit einheimischen Wildblumen]: Schritt für Schritt Anleitung zur Anlage und Pflege von Wildblumenwiesen für Privathaushalte.<br />
* [[Media:WWF 2010 Lebendige Trockenstandorte.pdf|WWF Schweiz 2010. Lebendige Trockenstandorte mit Sand, Kies und Schotter]]: Anleitung zur Anlage und Pflege von Trockenstandorten für Privathaushalte.<br />
<br />
== Sekundäre Pionierstandorte anlegen und pflegen == <br />
Vom Menschen geschaffene Pionierstandorte sind für Heuschrecken wertvolle Sekundärhabitate geworden, da vielerorts die ursprünglichen Lebensräume (z.&nbsp;B. See- und Flussauen, Brandflächen, etc.) verschwunden sind. Der Erhalt der Pionierstandorte bedarf regelmässiger Pflegeeinsätze zur Verhinderung von Verfilzung und Verbuschung.<br />
Heuschrecken finden wertvolle Pionierflächen: <br />
* In Steinbrüchen und Kiesgruben <br />
* In Weinbergen<br />
* In Sand-, Lehmgruben und Mergelgruben <br />
* An Bahnhöfen und Gleisen<br />
* Auf Industriebrachen<br />
<br />
== Wiederansiedlung von Tieren ==<br />
Die Wiederansiedelung von ehemals vorkommenden Heuschrecken kann nur eine letzte Alternative im Naturschutz sein, da primär immer der Schutz der vorhandenen Populationen im Fokus steht und die Wiederansiedlung sehr aufwändig ist. Für eine erfolgreiche Wiederansiedlung ist es notwendig, eine sorgfältige Ansiedlungs-Strategie zu erarbeiten und die [https://portals.iucn.org/library/efiles/documents/2013-009.pdf Richtlinien der IUCN zur Wiederansiedlung] strikt zu befolgen. Die Wiederansiedlung von Heuschrecken ist bewilligungspflichtig und soll Spezialisten überlassen werden, weshalb hier nicht näher darauf eingegangen wird.<br />
<br />
<br />
{{Foto-rechts-quer<br />
| bilddatei = GSM-5012435629 6b68a9c506 b Ephipiger cfr diurnus female.jpg<br />
| text = Die Westliche Sattelschrecke (''Ephippiger diurnus'') besiedelt trockene und lückige Wiesen und Waldränder. Sie gehört zu den stark gefährdeten Arten. <br />
}}<br />
<br />
= Artenschutz =<br />
Viele Heuschreckenarten brauchen aufgrund ihrer Ansprüche an den Lebensraum ganz spezifische Fördermassnahmen. Die Priorisierung der gefährdeten Arten gemäss ihrem Förderbedarf kann der [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/liste-national-prioritaeren-arten.html Liste der National Prioritären Arten (2011)] entnommen werden. Eine wichtige Grundlage für die Förderung sind auch die in der [http://www.cscf.ch/cscf/de/home/wissenschaftliche-aktivitaten/fauna-indicativa.html Fauna Indicativa] zusammengestellten Präferenzen und Eigenschaften der einzelnen Arten.<br />
<br />
Es gibt nur wenige Praxisinformationen zum spezifischen Artenschutz von Heuschrecken. In der Schweiz wurde bisher nur für die Blauflügelige Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') eine [http://kbnl.ch/wp-content/uploads/2016/11/webseite_Ocaerulescens.pdf Zusammenfassung zur Best Practice der Artenförderung] und [https://www.zh.ch/content/dam/zhweb/bilder-dokumente/themen/umwelt-tiere/naturschutz/artenschutz/aktionsplaene-fauna/heuschrecken/oedipoda_caerulescens_ap.pdf vom Kanton Zürich ein Aktionsplan] erstellt.<br />
<br />
In den Nachbarländern wurden folgenden Publikationen zu Fördermassnahmen erstellt: <br />
<br />
'''Deutschland'''<br />
* [http://www.nlwkn.niedersachsen.de/naturschutz/natura_2000/vollzugshinweise_arten_und_lebensraumtypen/vollzugshinweise-fuer-arten-und-lebensraumtypen-46103.html#Wirbellose Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz. Niedersächsische Strategie zum Arten- und Biotopschutz]<br />
'''Österreich''' <br />
* [http://www.zobodat.at/pdf/NaturschutzbundBgld_9_2013_0001-0160.pdf Zuna-Kratky, T. et. al. (2013). Schutzprogramm für die gefährdeten Heuschrecken des Nordburgenlands]<br />
'''Niederlande''' <br />
* [http://repository.naturalis.nl/document/161506 Schut, D. et al. (2008). Actieplan prioritaire Sprinkhanen in Noord-Brabant]<br />
<br />
= Gefährdung =<br />
Von den 105 für die [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html Rote Liste 2007] untersuchten Heuschreckenarten sind fast 40% bedroht. Am stärksten gefährdet sind die Pionierarten entlang von Gewässern sowie die Arten der Flach- und Hochmoore. Die Erhaltung der letzten Populationen dieser Arten ist daher von grosser Bedeutung.<br />
Die grössten Gefährdungsursachen für alle Heuschreckenarten sind:<br />
* Verlust und Fragmentierung des Lebensraums durch Veränderung der Landnutzung, z.&nbsp;B. durch Umwandlung von Grünland in Äcker, Urbanisierung oder Industrialisierung<br />
* Intensivierung der Nutzung, insbesondere der Einsatz von Mähmaschinen und Mähaufbereitern, sowie Düngung und Erhöhung der Anzahl Schnitte pro Jahr, sowie höhere Viehdichten auf kleinerem Raum<br />
* Mangelnde (natürliche) Prozesse zur Offenhaltung der Landschaft und von Bodenstellen, Homogenisierung der Landschaft<br />
* Verdichtung der Vegetation durch Eutrophierung<br />
* Einsatz von Insektiziden<br />
<br />
Weitere Gefährdungsursachen in Bezug auf die Lebensraumbindung sind:<br />
* Grünlandarten: Intensive Beweidung oder häufige Mahd, Verbuschung oder Verkrautung durch Verbrachung, Verarmung der Pflanzenvielfalt, Düngung von Wiesen und Weiden <br />
* Feuchtgebietsarten: Veränderungen im Gewässerhaushalt von Feuchtgebieten, intensivere landwirtschaftliche Nutzung von Feuchtwiesen <br />
* Wald- und Waldrandarten: Fehlende Stufenstruktur des Waldrandes (Strauch- und Krautschicht), Entfernung von Hecken, Kleinstrukturen und Felsen, Intensivierung der Forstwirtschaft, Einsatz von Bioziden, Anbau von Monokulturen, touristische Nutzung (insbesondere mit Ski & Mountainbike)<br />
* Pionierarten: Verbauungen der Fliessgewässer und Eingriffe in den Geschiebehaushalt, Veränderungen des Gewässerhaushaltes und der Gewässerdynamik, Verbuschung und Verkrautung der Offenflächen<br />
<br />
= Wissenslücken =<br />
Die Wissenslücken sind nicht abschliessend und fokussieren besonders auf die Förderung.<br />
* Erfolgreiche Förderung seltener Arten<br />
* Minimale überlebensfähige Populationsgrössen <br />
* Vernetzung von Heuschreckenpopulationen unterschiedlicher Arten und Artenzusammensetzungen<br />
* Habitatspezifische Auswirkungen der Grünlandnutzung: lässt sich das auf Trockenrasen gewonnene Wissen bspw. auf Feuchtwiesen übertragen?<br />
* Barrierewirkung mehrspuriger Strassen (Autobahnen)<br />
* Auswirkungen vom Klimawandel, insbesondere langer Dürreperioden oder Starkregen<br />
<br />
= Praxisbeispiele =<br />
Für Heuschrecken haben wir nur ein Praxisbeispiel gefunden, welches die durchgeführten Massnahmen ausführlich beschreibt und eine Erfolgsuntersuchung beinhaltet. Daher freuen wir uns über Ihre [http://biodivers.ch/index.php/kontakt.html Vorschläge per Email.]<br />
* [http://www.parcs.ch/nwp/pdf_public/2014/26962_20140130_123116_Kurth_Salome_2007.pdf Kurth, S. (2007). Planning a migration corridor for the highly endangered grasshopper Chorthippus pullus (Orthoptera, Acrididae) in the Rottensand (Pfynwald, VS)] <br />
: Für den Kiesbankgrashüpfer wurde im Pfynwald ein Migrationskorridor errichtet und die anschliessende Nutzung beobachtet.<br />
<br />
= Allgemeine Links=<br />
* [http://lepus.unine.ch/carto/ Info fauna. Verbreitungskarten der Schweizer Tierarten]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken]<br />
* [http://www.orthoptera.ch Orthoptera Schweiz. Heuschrecken-Plattform für die Schweiz und Europa ]<br />
* [http://www.orthoptera.ch/links Orthoptera Schweiz. Linkliste der Heuschrecken-Webseiten Europas und weltweit] <br />
<br />
== Glossar und weitere spannende Links ==<br />
* [https://www.orthoptera.ch/glossar Glossar von orthoptera.ch]<br />
* [http://www.biofotoquiz.ch/biofotoquiz/index.php?domain=standard&classID=278 Biofotoquiz]: Quiz mit Fotos von Heuschrecken und anderen Tier- und Pflanzenarten zum Kennenlernen der Arten.<br />
* [https://offene-naturfuehrer.de/web/Heuschreckenarten_nach_einfachen_Merkmalen_bestimmen_(Bayern) Heuschreckenarten nach einfachen Merkmalen bestimmen (Bayern)]: Wiki-Bestimmungsschlüssel für die Heuschrecken von Bayern. Der Leser wird anhand der Merkmale geführt, die Kenntnis von Fachbegriffen wird vorausgesetzt. <br />
* [https://docplayer.org/24899466-Heuschrecken-bestimmungsschluessel-fuer-die-oestlichen-suedalpen.html Fontana et al. (2002). Heuschrecken-Bestimmungsschlüssel für die östlichen Südalpen]: Bestimmungsschlüssel mit detaillierten Zeichnungen der Merkmale. <br />
* [http://www.orthoptera.ch/info-app-wiki/orthoptera-app Orthoptera-App]: Die Heuschrecken Bestimmungs-App für iphone und Android enthält zu jeder Art zahlreiche Fotos, Stimmaufzeichnungen und Hintergrundinformationen. Beobachtungen können in der App eingegeben und so dem CSCF gemeldet werden.<br />
<br />
= Literaturempfehlungen =<br />
* Detzel, P. (1998). Die Heuschrecken Baden-Württembergs. Stuttgart Hohenheim, Ulmer.<br />
: Bisher immer noch das beste Buch zur praxisnahen Ökologie und Massnahmen zur Förderung von Heuschrecken. Die Aufwertungs-Massnahmen sind an einzelne Arten und Lebensräume angepasst. Als genereller Leitfaden sind sie sehr gut, umsetzungsorientierte Anleitungen fehlen. Alles in allem ein gutes Buch für den Anfang, eine Weiterentwicklung ist aber dringend notwendig.<br />
* Ingrisch, S. & Köhler, G. (1998). Die Heuschrecken Mitteleuropas. Vol. Bd. 629. Magdeburg, Westarp Wissenschaften.<br />
: Sehr ausführliches und allgemeines Buch zur Biologie, Populationsdynamiken und Lebensräumen der Heuschrecken, weniger zur Biotopaufwertung und zu Fördermassnahmen. Trotz dem Alter immer noch lesenswert und informativ. <br />
* Schlumprecht, H. & Waeber, G. (2003). Heuschrecken in Bayern. Stuttgart Hohenheim. Ulmer. <br />
: Sehr ausführlicher Bestimmungs-Atlas mit vielen Informationen zur Lebensweise und den Lebensräumen der einzelnen Arten. Zu Gefährdung und Schutz gibt es Beispiele aus dem bayrischen Raum und Ratschläge zur Aufwertung für jede Art.<br />
* Maas, S., Detzel, P. & Staudt, A. (2002). Gefährdungsanalyse der Heuschrecken Deutschlands - Verbreitungsatlas, Gefährdungseinstufung und Schutzkonzepte. Bonn-Bad Godesberg, Bundesamt für Naturschutz.<br />
: Ausführlicher Atlas zu den Heuschreckenarten in Deutschland mit Gefährdungsanalysen und Informationen zu Habitaten, Biologie und Verbreitung der einzelnen Arten. Die Angaben zur Aufwertung von Lebensräumen sind kurz gehalten.<br />
* [http://dgfo-articulata.de/articulata Articulata - Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Orthopterologie] <br />
: In der Zeitschrift der DGFO erscheinen regelmässig Artikel zur Förderung von Heuschrecken, ältere Artikel können als PDF heruntergeladen werden.<br />
<br />
== Bestimmungsbücher ==<br />
* Baur, B., Bauer, H., Rösti, C., & Rösti, D. (2006). Die Heuschrecken der Schweiz. Bern, Haupt Verlag.<br />
: Intuitiver Bestimmungsschlüssel für die Schweizer Heuschreckenarten mit sehr schönen Detail-Zeichnungen. Enthält Verbreitungskarten und Erklärungen zu den wichtigsten Merkmalen.<br />
* Fischer, J., Steinlechner, D., Zehm, A., Poniatowski, D., et al., Hrsg. Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (2016). Die Heuschrecken Deutschlands und Nordtirols: Bestimmen - Beobachten - Schützen. Wiebelsheim Hunsrück, Quelle & Meyer.<br />
: Dieses Buch sticht positiv heraus. Es enthält Detailfotos der Bestimmungsmerkmale der Adultiere und Nymphen, eine Darstellung der Hauptaktivitätszeit aller Arten im Jahresverlauf und vieles mehr.<br />
* Weitere nationale und internationale Bestimmungsbücher sind auf [http://www.orthoptera.ch/literatur Orthoptera.ch] aufgeführt.<br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers ]|| info@biodivers.ch<br />
|-<br />
| Review|| [http://www.goeg.de/kontakt Prof. Dr. Peter Detzel] || [http://www.goeg.de/ Gruppe für ökologische Gutachten] <br />
|-<br />
| || [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Dr. Axel Hochkirch] || [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Universität Trier] <br />
|-<br />
| || [https://www.naturalis.nl/en/science/researchers/roy-kleukers Roy Kleukers] || [https://www.naturalis.nl/en Naturalis Biodiversity Center] <br />
|-<br />
| || [https://www.orthoptera.ch/ueber-uns Florin Rutschmann] || [http://www.pronatura-aargau.ch/cms/index.php?id=4&no_cache=1 Pro Natura Aargau] <br />
|}<br />
<br />
<!-- biodivers-Links zu Arten: Kiesbankgrashüpfer Chorthippus pullus, Blauflügelige Ödlanschrecke Oedipoda caerulescens → Aktionsplandrehscheibe, Grüne Heupferd Tettigonia viridissima, Alpenschrecke Anonconotus alpinus <br />
biodivers-Links zu Lebensräumen: Kleinstrukturen, Hecke, Stillgewässer (mehrfach), Fliessgewässer (mehrfach), Wald und Waldrand (mehrfach), Feuchtgebiete, Sumpf, Grünland, Trockenwiesen und Trockenweisen, Entbuschung von Trockenwiesen (mehrfach)--></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Heuschrecken&diff=4699
Heuschrecken
2023-03-04T18:04:47Z
<p>VB2: </p>
<hr />
<div>[[fr:Orthoptères]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = JM 29293745804 8952ea6513 h.jpg<br />
| text = Die Sumpfschrecke (''Stethophyma grossum'') besiedelt feuchte Wiesen und Flachmoore.<br />
}}<br />
<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers]<br />
|-<br />
| Review || [http://www.goeg.de/ueber-uns/team Prof. Dr. Peter Detzel], [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Dr. Axel Hochkirch], [https://www.naturalis.nl/en/science/researchers/roy-kleukers Roy Kleukers] & [http://www.orthoptera.ch/ueber-uns Florin Rutschmann]<br />
|-<br />
| Publikation || Juli 2017<br />
|}<br />
<br /><br />
{{TOC limit|2}}<br />
= Zusammenfassung =<br />
Über 100 Heuschreckenarten bereichern unsere Fauna und überraschen uns mit Flug-, Grab- oder Klangkünsten sowie ihrer Farben- und Formenvielfalt. Heuschrecken (Orthopteren) sind wärmeliebende Kulturfolger. Die meisten Arten beherbergt das Grünland, ob trocken oder feucht, gemäht oder beweidet. Einige Arten leben in lichten Wäldern und auf Pionierflächen der Flussauen und Geröllhalden. Viele Heuschreckenarten sind auf eine hohe Strukturvielfalt auf kleinem Raum angewiesen, da ihre durchschnittliche Ausbreitungsdistanz weniger als ein Kilometer beträgt.<br />
<br />
Für alle Arten ist die Offenhaltung ihrer Lebensräume zentral. Die Wiederherstellung der natürlichen Dynamiken oder die regelmässige, extensive Bewirtschaftung der besiedelten Flächen ist daher wichtig. Bei der Mahd ist darauf zu achten, ein Mosaik aus Rückzugsstreifen und Flächen mit unterschiedlichen Mahdzeitpunkten zu schaffen. Bei der Begrünung sind eine geringe Distanz zu besiedelten Flächen und eine lückige Ausbringung vorteilhaft. Von den über 100 einheimischen Heuschreckenarten stehen 40% auf der Roten Liste. Insbesondere die Arten der Pionierflächen haben einen erhöhten Förderbedarf. <br />
<br />
= Systematik =<br />
Heuschrecken werden in zwei leicht unterscheidbare Gruppen eingeteilt. Bei den Langfühlerschrecken (Ensifera) sind die Fühler gleich lang oder länger als der Körper und haben mindestens 30 Fühlerglieder, während sie bei den Kurzfühlerschrecken (Caelifera) kürzer als der Körper sind. Die Weibchen der Langfühlerschrecken besitzen meist einen auffälligen Legebohrer, im Gegensatz zu den kurzen Legeröhrenklappen bei den Kurzfühlerschrecken. Nur die Maulwurfsgrille gehört auch ohne lange Fühler und Legebohrer zu den Langfühlerschrecken. <br />
Mehr zur Systematik der Heuschrecken auf [https://de.wikipedia.org/wiki/Heuschrecken Wikipedia].<br />
<br />
=Praxisrelevante Ökologie=<br />
== Lebensräume ==<br />
Heuschrecken besiedeln die meisten terrestrischen Lebensräume bis auf 3'100&nbsp;m&nbsp;ü.&nbsp;M. Sie kommen in extensiven Wiesen und Weiden, Brachen, Weinbergen, Wäldern, Feuchtgebieten, Mooren und Flussauen vor. Heuschrecken können allgemein als wärmeliebende Kulturfolger bezeichnet werden, die in stark vom Menschen geprägten Landschaften leben. So können Kiesgruben und Steinbrüche viele seltene Arten beherbergen, wenn sie offengehalten und extensiv gepflegt werden. Im Siedlungsgebiet finden Heuschrecken eine Vielfalt an Kleinlebensräumen auf Industriebrachen und grossen Güterbahnhöfen, Schotterplätzen und in Ruderalflächen. Für seltene Arten sind Parks, Gärten und Flachdächer als Lebensraum wenig relevant, als Trittsteine können sie aber beim Erreichen neuer Lebensräume helfen. <br />
<br />
{{Fotos-links-1000px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Lebensraeuume_Gruppen_PZ.png<br />
| text = Zu den wichtigsten Lebensräumen für Heuschrecken zählen magere Wiesen, Moorlandschaften, lückige Wälder und Blocksteinhalden.<br />
}}<br />
<br />
Da nahezu alle Heuschrecken licht- und wärmeliebend sind, brauchen sie in ihren Lebensräumen Offenflächen bzw. lückige Pflanzenbestände. Die Bindung an das Habitat erfolgt weniger aufgrund bestimmter Pflanzengesellschaften, als aufgrund der benötigten Strukturen und der mikroklimatischen Verhältnisse. Entscheidend sind Dichte und Höhe der Vegetation, sowie Temperatur und Feuchtigkeit. Mosaikartige Lebensräume mit einer Vielfalt an Strukturen sind für eine hohe Heuschreckenvielfalt optimal. So leben an Lebensraum-Übergängen, wie Waldrändern mit Feuchtwiesen oder Hecken entlang von extensiven Wiesen, besonders viele Arten. Für den Erhalt von Offenflächen und Strukturreichtum sind regelmässige Pflegeeinsätze notwendig, wenn natürliche Dynamiken fehlen.<br />
<br />
Die Schweizer Heuschreckenarten können bezüglich ihrer Lebensraumbindung in vier Gruppen unterteilt werden (aus: [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken]) <br />
# Grünlandarten in Trockenwiesen und -weiden (43 Arten)<br />
# Sumpf- und Feuchtgebietsarten in Flach- und Hochmooren (11 Arten)<br />
# Wald- und Waldrandarten sowie Gebüscharten, vor allem in tieferen Lagen (24 Arten)<br />
# Pionierarten in Auen, Felsplatten, Geröllhalden oder Karst (25 Arten)<br />
<br />
==Merkmale und Vermehrung==<br />
Heuschrecken sind durch ihre Körperform, ihr Verhalten und ihre Körperfärbung an ihren Lebensraum angepasst und häufig gut getarnt. Die Körperfärbung kann innerhalb einer Art stark variieren und ist daher meist kein spezifisches Unterscheidungsmerkmal. Die Körperfärbung ist nicht immer genetisch festgelegt, sondern kann sich während der Entwicklung verändern und der Färbung der Umgebung anpassen. Adulte Tiere können ihre Farbe dagegen nicht mehr wechseln, aber ggf. noch nachdunkeln.<br />
<br />
Heuschrecken durchlaufen eine hemimetabole (unvollkommene) Entwicklung. Nach dem Schlupf sind die sogenannten Nymphen schon als Heuschrecken zu erkennen und werden mit jeder Häutung dem adulten Tier ähnlicher. Grillen brauchen bis zu 12 Häutungen, bis sie ausgewachsen sind, Laubheuschrecken 5 bis 7 und Kurzfühlerschrecken 4 bis 5 Häutungen. Erst nach der letzten Häutung bilden sich die Flügel und Geschlechtsorgane vollständig aus. Die meisten Heuschrecken sind einjährig, ihre Nymphen schlüpfen im Zeitraum von Frühling bis Sommer. Adulte Tiere sind von Sommer bis Herbst zu finden, das Auftreten richtet sich vor allem nach der Höhenstufe und den mikroklimatischen Verhältnissen. Nur Grillen (Gryllidae) und Dornschrecken (Tetrigidae) überwintern in einem der Nymphenstadien oder als adulte Tiere und treten entsprechend früh im Jahr auf. <br />
<br />
Die Paarung erfolgt einige Tage bis wenige Wochen nach der letzten Häutung und schon wenige Tage später beginnt die Eiablage. Die Weibchen der meisten Heuschreckenarten legen ihre Eier im Boden oder an der Basis von Gräsern ab. Andere Arten legen ihre Eier in rissige Baumrinde und markhaltige Pflanzenteile oder heften sie an Halme und Blätter. Die Langfühlerschrecken können mit dem Legebohrer ihre Eier tiefer in den Boden legen als die Kurzfühlerschrecken. Bei den meisten heimischen Arten dauert die Entwicklung der Eier bis zum Schlupf vom Herbst bis zum nächsten Frühling, bei einigen auch mehrere Jahre. <br />
<br />
Die Feuchte- und Temperatur-Ansprüche der Eier sind bei Heuschrecken entscheidend für die Habitatbindung der Arten. Arten der Feuchthabitate können oft nicht überleben, wenn ihre Eier im Winter nicht genügend feucht sind. Sie brauchen eine Periode der Überflutung. Feldheuschrecken der trockenen Habitate haben eine längere Eientwicklung nach dem Winter und benötigen höhere Bodentemperaturen. Die notwenigen Temperaturen werden erreicht, wenn Sonnenstrahlen offene Bodenstellen erwärmen. Andere Arten, die in höherer, dichterer Vegetation leben, kommen auch mit geringer Sonneneinstrahlung zurecht. So gibt es einige Spezialisten unter den Heuschrecken, mit ganz spezifischen Ansprüchen an ihren Lebensraum. Der Kiesbankgrashüpfer (''Chorthippus pullus'') lebt in der Schweiz z.&nbsp;B. ausschliesslich auf vegetationsarmen Kiesbänken grosser Alpenflüsse.<br />
<br />
{{Fotos-links-1000px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Eiablage_Lebensraum-Fluegel.png<br />
| text = Von links nach rechts: Die Laubholz-Säbelschrecke (''Barbitistes serricauda'') legt ihre Eier in Gehölze mit strukturreicher Borke ab. Der Kiesbankgrashüpfer (''Chorthippus pullus'') kommt nur entlang der grossen Alpenflüsse vor. Die Gewöhnliche Gebirgsschrecke (''Podisma pedestris'') kann aufgrund der verkümmerten Flügel nicht fliegen.<br />
Das Grüne Heupferd (''Tettigonia viridissima'') ist ein Langstreckenflieger unter den Heuschrecken.<br />
}}<br />
<br />
==Populationsgrössen und Ausbreitung ==<br />
Die Populationsgrösse kann zwischen den Jahren stark schwanken. Schon ein Kälteeinbruch oder eine längere Regenphase im Frühsommer können zu einem starken Populationsrückgang führen. Einzelbeobachtungen weisen darauf hin, dass auch kleine Populationen mit weniger als 50 Tieren über mehrere Jahre existieren können, wenn die Habitatqualität nicht abnimmt. <br />
<br />
Die meisten Heuschreckenarten sind sesshaft und bewegen sich in einem Umkreis von wenigen Metern bis maximal 1&nbsp;km. Bei vielen Arten sind die Flügel verkümmert (z.&nbsp;B. bei der Gewöhnlichen Gebirgsschrecke ''Podisma pedestris''). Es gibt aber auch einzelne Langstreckenflieger, wie das Grüne Heupferd (''Tettigonia viridissima''), das in einem Sommer Distanzen von mehreren Kilometern zurücklegen kann. Hohe Bestandsdichten können die Ausbreitung von sesshaften Arten erhöhen, da bei Dichtestress die Mobilität steigt und makroptere (langflügelige) Tiere auftreten können, deren Flügel deutlich länger sind als üblich. Mit verlängerten Flügeln können auch Arten, die üblicherweise flugunfähig sind, weitere Distanzen überqueren. Ungenügend untersucht ist die Ausbreitung von Eiern und Tieren durch passiven Transport, z.&nbsp;B. durch Fliessgewässer, den Bahnverkehr, durch Verfrachtung mit Mahdgut oder mit Weidetieren. Bei manchen Arten scheint diese Art der Verbreitung jedoch gut zu funktionieren, da immer wieder fernab von bekannten Populationen Einzeltiere oder kleine Initialpopulationen gefunden werden.<br />
<br />
== Fauna Indicativa ==<br />
Die [http://www.cscf.ch/cscf/de/home/projekte/fauna-indicativa.html Fauna Indicativa] ist ein Nachschlagewerk sowie ein Werkzeug für die Auswertung faunistischer Daten. Sie charakterisiert in Tabellenform ökologische Präferenzen und biologische Eigenschaften aller in der Schweiz einheimischen Heuschrecken.<br />
<br />
=Erhalt und Förderung=<br />
==Allgemeine Massnahmen ==<br />
===Grünland- und Feuchtgebietsarten ===<br />
* Extensive Bewirtschaftung von Wiesen und Weiden und Verzicht auf schwere Maschinen, insbesondere in Feuchtgebieten<br />
* Verzicht auf das Ausbringen von Kunstdünger und Bioziden, insbesondere Insektiziden<br />
* Förderung von Biodiversitätsförderflächen (BFF) mit Qualitätsstufe QII<br />
* Verzicht auf die Bewässerung von Trockenwiesen und Steppen<br />
* Eindämmung der Verbuschung und Verbrachung von Trockenwiesen- und weiden<br />
* Verzicht auf die Entwässerung von Feuchtgebieten und Wiederherstellung des natürlichen Wasserregimes<br />
* Erhalt von Weiden, da in der Regel mit heterogener Struktur und artenreicher, ausser bei einschüriger Mahd <br />
* Schutz und Wiederherstellung von Feuchtgebieten<br />
* Anlage und Pflege von Stillgewässern, insbesondere mit flachen Uferzonen<br />
<br />
===Wald- und Waldrandarten===<br />
* Aufwertung und Schaffung gestufter Waldränder mit einer Krautschicht<br />
* Erhalt alter Baumbestände, Biotopbäume und Hecken mir ihren Säumen<br />
* Auflichtung der Wälder und Böschungen, damit sie gut besonnt sind<br />
* Extensive Pflege der Weg- und Hangböschungen<br />
* Standortgerechter Waldbau, Verzicht auf Monokulturen (bspw. Fichten)<br />
* Umwandlung von Monokulturen in natürliche Wälder mit mehreren Baumarten<br />
* Verzicht auf den Einsatz von Düngemitteln und Bioziden<br />
<br />
===Pionierarten an Fliessgewässern ===<br />
(Übernommen aus: [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken])<br />
* Revitalisierung der Fliessgewässer, bevorzugt von Pionierarten besiedelte Standorten <br />
* Verzicht auf die Zuschüttung oder Eindämmung von besiedelten Uferflächen<br />
* Verzicht auf jeglichen Abbau der Sand-, Kies- oder Steinbänke innerhalb, ober- und unterhalb besiedelter Flächen<br />
* Zulassen von regelmässigen, genügend intensiven Hochwassern, um den natürlichen Abtrag der mit Vegetation bewachsenen Bänke in Auen zu gewährleisten<br />
* Gewährleisten von periodischen Ablagerungen von Sedimenten an besiedelten Standorten, um die Regeneration von Sedimentbänken in Auen sicherzustellen<br />
* Revitalisierung möglichst vieler Fliessgewässer, um über die Schaffung von potenziell günstigen Standorten die Wiederbesiedlung von verlassenen Gegenden zu fördern<br />
<br />
{{Foto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Mosaik_aus_Gruenlandtypen_-_Suedschwarzwald_-_IMG_7876b.jpg<br />
| text = Der Strukturreichtum dieser Flächen bietet Grünlandarten einen idealen Lebensraum.<br />
}}<br />
<br />
== Strukturreiche Flächen schaffen und schützen ==<br />
Für Heuschrecken sind weniger die typischen [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen Kleinstrukturen] wichtig wie [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen#Die_einzelnen_Kleinstrukturen Ast- oder Steinhaufen], als vielmehr offene Bodenstellen (u.&nbsp;a. für die Eiablage) und Strukturen, die Wärme aufnehmen und speichern, wie felsige Bereiche, [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Pionierfl%C3%A4chen Kiesflächen], feuchte Senken und [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Stillgew%C3%A4sser temporäre Tümpel]. Neu angelegte Strukturen sollen eine minimale Fläche von 20&nbsp;m&sup2; pro ha haben. Natürliche Offenflächen und strukturreiche Flächen wie Moränen, Felsschutthalden, Kiesflächen und Verlandungszonen von [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Stillgew%C3%A4sser Stillgewässern] sind zu schützen und dürfen nicht zugeschüttet oder aufgeforstet werden.<br />
<br />
== Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts ==<br />
Viele gefährdete Heuschreckenarten sind auf eine extensive Beweidung oder regelmässige Mahd angewiesen, damit die Vegetation nicht zu dicht wird. Der optimale Schnittzeitpunkt ist artabhängig. Für Arten, die ihre Eier im Boden ablegen, ist eine Mahd zwischen Mai und August ungünstig. Für Arten, die ihre Eier an oder in Pflanzen ablegen, ist eine Mahd nach August und vor Mai problematisch. Die Bewirtschaftung kann aber auch schädlich sein. Verluste entstehen v.&nbsp;a. durch Mähaufbereiter und das Schwaden und Abführen des Mahdguts. Zur Verminderung der Verluste bei allen Arten ist bei der Mahd Folgendes zu beachten: <br />
<br />
* Es sollen möglichst wenige Schnitte erfolgen, optimaler Weise nur ein Schnitt pro Jahr<br />
* Frühmad: nicht ganzflächige durchführen; Spätmahd: nach dem Verblühen der meisten Pflanzen durchführen<br />
* Am besten ist eine differenzierte Pflege, d.&nbsp;h. ein Mosaik aus Flächen mit unterschiedlichen Mähzeitpunkten und Rückzugsstreifen, die nur alle 2 Jahre gemäht werden <br />
* Die Schnitthöhe soll mindestens 10&nbsp;cm betragen <br />
* Balkenmäher verursachen die niedrigste Schädigungsrate, Scheibenmähern die höchste; am schonendsten ist die Mahd mit der Sense <br />
* Das Schnittgut soll, damit sich die Tiere verteilen können, zum Trocknen liegen gelassen und stets abgeführt werden<br />
* Es sollen keine Mähaufbereiter eingesetzt werden<br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://www.buntewiese-tuebingen.de/app/download/6569219764/Hiller%202014%20Auswirkungen%20verschiedener%20Mahdkonzepte%20auf%20die%20Heuschreckenfauna%20st%C3%A4dtischer%20Gr%C3%BCnfl%C3%A4chen%20-%20Naturschutz%20und%20Landschaftsplanung.pdf?t=1490555371 Hiller, D. & Betz, O.(2014). Auswirkungen verschiedener Mahdkonzepte auf die Heuschreckenfauna städtischer Grünflächen]<br /><br />
<br />
'''Hintergrundinformationen'''<br /><br />
* [http://www.parcs.ch/npf/pdf_public/2014/30491_20141107_083216_MA_GrichtingStefan_2002.pdf Grichting, S. (2002). Heuschrecken (Orthoptera) von Trockensteppen und extensiv bewirtschafteten Wiesen im Pfynwald (VS, Schweiz)]<br />
: Studie zu den ökologischen Ansprüchen und der Verbreitung von Heuschrecken auf Wiesen mit unterschiedlichem Nutzungsgrad.<br /><br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/abashop?s=208&p=productdetail&sku=429&language=de Agridea (2011). Erntetechnik und Artenvielfalt in Wiesen]<br />
: Das Merkblatt zeigt die Auswirkungen verschiedener Mähtechniken und nachfolgender Ernteschritte auf die Artenvielfalt und gibt Empfehlungen für eine möglichst tierschonende Ernte. <br /><br />
<br />
==Rotationsbrachen anlegen und Altgrassstreifen stehen lassen ==<br />
Bei der Anlage von Rotationsbrachen und Altgrasstreifen ist auf das Vorkommen von Heuschreckenpopulation in der näheren Umgebung zu achten, da Heuschrecken oft nur geringe Ausbreitungsdistanzen haben. Als Rückzugsstreifen werden bei jedem Schnitt 10% der Wiese stehen gelassen.<br /><br />
<br />
'''Links'''<br />
* [http://www.agraroekologie.ch/NuL07-10_Mueller_Bosshard.pdf Müller, M. & Bosshard, B. (2012). Altgrasstreifen fördern Heuschrecken in Ökowiesen - Eine Möglichkeit zur Strukturverbesserung im Mähgrünland]<br />
: Studie zu den positiven Auswirkungen von Altgrasstreifen als Rückzugsraum bei der Mahd in extensiv genutzten Wiesen. <br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/2012_01_1723.pdf Duss, M. et al. (2012). Vernetzte Ökoflächen fördern Heuschrecken]<br />
: Studie zur Auswirkung eines Vernetzungsprojektes von ökologischen Ausgleichsflächen (öAF) auf die Verbreitung von 2 Heuschreckenarten. Die Grosse Goldschrecke (''Chrysochraon dispar'') profitiert von Altgrasstreifen.<br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/download.php?filename=2001_1112_102.pdf Peter, B. & Walter, T. (2001). Heuschrecken brauchen ökologische Ausgleichsflächen] <br />
: Vergleichende Untersuchungen vor und nach der Einführung von Biodiversitätsförderflächen (BFF) zeigt deren Wichtigkeit für Heuschrecken auf.<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Buntbrache_Altgrassstreifen_AK.png<br />
| text = Links und Mitte: Die Gemeine Sichelschrecke (''Phaneroptera falcata'') und die Langflüglige Schwertschrecke (''Conocephalus fuscus'') schätzen die hohe Vegetation von Buntbrachen. <br /><br />
Rechts: Die Grosse Goldschrecke (''Chrysochraon dispar'') profitiert von Altgrasstreifen.<br />
}}<br />
<br />
==Beweidung ==<br />
Für die Beweidung sollen möglichst traditionelle Rassen, bzw. leichte Tiere eingesetzt werden. Generell scheint Schaf-Hütehaltung besonders günstig für Heuschrecken zu sein. Die Viehdichte darf nicht zu hoch sein; der jährliche Besatz sollte 150 Grossvieheinheiten&sup1; pro Hektare (GVE/ha) nicht überschreiten. Es empfiehlt sich, eine Beweidung in Koppeln zu führen, womit ein ähnlicher Effekt erzielt wird wie mit einer Rotationsmahd. <br /><br />
<small><sup>1</sup>Die Beweidungsintensität ergibt sich aus dem Produkt von Besatzstärke in Grossvieheinheiten pro Hektare mal Anzahl Bestossungstagen (GVE/ha * dd). Je nach Grösse und Alter der Tiere ändert sich der Wert, der sich mit dem [https://www.agate.ch/portal/web/agate/gve-rechner GVE-Rechner des Bundesamtes für Landwirtschaft] genau ermitteln lässt.</small> <br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://www.pronatura.ch/de/2016/allegra-geissenpeter-ziegen-esel-und-rinder-weiden-fuer-die-biodiversitaet Pro Natura. Projekt „Allegra Geissenpeter“]<br />
: Pro Natura lanciert Projekte mit verschiedenen Weidetierarten, um die Trockenstandorte in den Alpen nachhaltig zu sichern, unter anderem zur Förderung der Heuschrecken. Die unterschiedlichen Projekte und die Ergebnisse der Erfolgskontrollen sind im [https://www.pronatura.ch/sites/pronatura.ch/files/2017-11/leitfaden_fuer_die_aufwertung_von_brachliegenden_trockenstandorten_durch_beweidung-beitraege_zum_naturschutz_in_der_schweiz_nr_37-2016_highres.pdf Leitfaden für die Aufwertung von brachliegenden Trockenstandorten durch Beweidung (2016)] zusammengefasst.<br />
<br />
== Direktbegrünung und Mahdgutübertragung ==<br />
Direktbegrünung und Mahdgutübertragung sind einer Ansaat vorzuziehen, da zusammen mit dem Pflanzenmaterial oder den Samen Insekten und Eier übertragen werden können. Dies ist insbesondere wichtig für Arten mit einem geringem Ausbreitungspotenzial. Das Saat- und Mahdgut sollte von [https://www.regioflora.ch/app/de/index.html Spenderflächen aus der nahen Umgebung] stammen, also [https://de.wikipedia.org/wiki/Autochthone_Art autochthon] sein, um die regionale genetische Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten zu erhalten. Für eine erfolgreiche Besiedlung sollen Empfängerflächen in maximal 1&nbsp;km Distanz, besser nur 500&nbsp;m, zu bereits besiedelten Flächen angelegt werden. Bei der Begrünung können kleine Bodenstelle langfristig offengehalten werden, indem Steine oder Feinsediment als Substrat eingebracht wird. <br />
<br />
'''Hintergrundinformation'''<br />
* [http://public.bibliothek.uni-halle.de/index.php/hercynia/article/viewFile/218/224 Elias, D. & Thiede, S. (2008). Verfrachtung von Heuschrecken (Insecta: Ensifera et Caelifera) mit frischem Mähgut im Wulfener Bruch (Sachsen-Anhalt)]: Diese Studie zeigt auf, dass die Mahdgutübertragung für Heuschrecken eine wichtige Rolle spielt, insbesondere für wenig mobile Arten.<br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/2001_07_71.pdf Bosshard, A. & Kuster, D. (2001). Bedeutung neu angelegter Extensivwiesen für Tagfalter und Heuschrecken]: Die Untersuchung zeigt, dass neu angelegte Extensivwiesen rasch von gefährdeten Heuschrecken- und Tagfalterarten besiedelt werden können.<br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [https://www.regioflora.ch/ Regio Flora - das Portal zur Förderung der regionalen Vielfalt im Grünland]: Umfassende Informationen zur Direktbegrünung von Wiesen und Weiden.<br />
* [https://www.regioflora.ch/de/assets/content/pdf/RF_Praxismerkblatt_D_download9.11.15.pdf Agridea (2015). Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft]: Leitfaden für die Praxis zum Einsatz von regionalem Saatgut in Biodiversitätsförderflächen.<br />
<br />
{{Foto-rechts-hoch<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Gewaesser_PZ.png<br />
| text = Die Ufer von Fliess- und Stillgewässern sind wichtige Verbreitungskorridore und sollen alternierend bewirtschaftet werden. <br />
}}<br />
<br />
== Feuchtgebiete und Trockenstandorte ==<br />
=== Ruderalstandorte und Säume entlang von Feuchtgebieten pflegen ===<br />
Zahlreiche Arten legen ihre Eier in Stängel von Pflanzen im Uferbereich von Still- und Fliessgewässern. Die Uferbereiche sind wichtige Verbreitungskorridore für die Tiere. Daher ist die extensive Pflege von Feuchtgebieten und Gräben das ganze Jahr über wichtig:<br />
* [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts|Mahd]] an den Ufern alternierend, an einem Ufer die Vegetation immer für ca. 1-2 Jahre stehen lassen <br />
* Säume am selben Ufer gestaffelt mähen und das Schnittgut abführen <br />
* Flächen nicht mulchen<br />
* Ruderalstandorte immer wieder abschnittweise stören durch extensive [[#Beweidung| Beweidung]] oder [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts | Mahd]], um die Verbuschung zu verhindern und [[#Strukturreiche Flächen schaffen und schützen| strukturreiche Flächen]] zu schaffen <br />
* Invasive Pflanzen zurückdrängen, insbesondere Flügelknöterich (''Fallopia'') und Drüsiges Springkraut (''Impatiens glandulifera'')<br />
<br />
=== Entbuschung von Trockenstandorten === <br />
Der Baum- und Strauchbewuchs soll bei grossen Standorten maximal 25% betragen, bei kleineren 10% oder weniger. Für die langfristige Offenhaltung der Trockenwiesen- und weiden eignen sich extensive Beweidung oder Mahd. Massnahmen zur Aufwertung von Trockenstandorten werden zu einem späteren Zeitpunkt bearbeitet.<br />
<br />
== Im Siedlungsgebiet ==<br />
=== Schotter- und Brachflächen extensiv pflegen ===<br />
Im Randbereich vom Siedlungsgebiet und auf Firmengeländen kann eine reiche Heuschreckenfauna entstehen, wenn grössere Offenflächen vorhanden sind. Dies können z.&nbsp;B. Schotter- und Industriebrachen sein, die einen lockeren Pflanzenbewuchs aufweisen. Diese Flächen sollen extensiv bewirtschaftet werden (siehe: [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts|Mahdkonzepte]]). Der Strukturreichtum kann gefördert werden, indem die Pflege nur abschnittweise erfolgt und zusätzliche [[#Strukturreiche Flächen schaffen und schützen| Kleinstrukturen]] angelegt werden.<br />
<br />
=== Begrünung und Pflege von Flachdächern ===<br />
Flachdächer können einigen Heuschreckenarten, z.&nbsp;B. der Blauflügeligen Sandschrecke (''Sphingonotus caerulans'') oder der Blauflügeligen Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') als Trittstein dienen. Dauerhafte Ansiedlungen von Populationen wurden bisher noch nicht beobachtet. Bei der Anlage der Dächer ist Folgendes wichtig: <br />
* Nur einheimische Pflanzen und Saatgut verwenden <br />
* Offene Stellen belassen und regelmässig neue Offenflächen durch Abtragung des Oberbodens schaffen <br />
* Sand, Kies und Steine in unterschiedlichen Korngrössen verwenden <br />
* Pflanzen extensiv und abschnittsweise pflegen <br />
* Strukturreichtum durch Kieshaufen, Holz, etc. sicherstellen <br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://docplayer.org/20659374-Die-blaufluegelige-sandschrecke-sphingonotus-caerulans-auf-den-extensiv-begruenten-daechern-der-europa-allee-zuerich.html Speck, M. & Brenneisen, S. (2014). Die Blauflügelige Sandschrecke (Sphingonotus caerulans) auf den extensiv begrünten Dächern der Europa-Allee in Zürich]<br />
: Diese Studie belegt das Vorkommen der Rote-Liste Art auf Flachdächern in Zürich. Die Blauflügelige Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') wurde in vorherigen Untersuchungen machgewiesen, die hier zitiert werden.<br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [https://www.stadt-zuerich.ch/ted/de/index/gsz/beratung-und-wissen/wohn-und-arbeitsumfeld/dachbegruenungen0.html Stadt Zürich. Dachbegrünung]: Umfassende Informationen zur Anlage und Pflege von Dachbegrünung mit vielen Praxisbeispielen.<br />
* [https://www.stadt.sg.ch/home/raum-umwelt/bauen-sanieren/natur-stadt.html Stadt St. Gallen, Amt für Umwelt und Energie (2014). Leitfaden Dachbegrünung]: Ausführliche Informationen zu Aufbau und extensiven Begrünungsarten von Flachdächern.<br />
<br />
{{Fotos-links-550px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Siedlungsgebiet.png<br />
| text = Der Blauflügeligen Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') und der Blauflügeligen Sandschrecke (''Sphingonotus caerulans'') können Flachdächer als Trittsteine in neue Lebensräume dienen.<br />
}}<br />
<br />
=== Wildblumenwiesen und Trockenflächen anlegen und pflegen === <br />
In Parks und Gärten können auch anspruchsvollere Heuschreckenarten vorkommen, wenn Folgendes beachtet wird:<br />
* Nur einheimisches Saatgut verwenden <br />
* Lückig säen und nicht düngen <br />
* Offene Bodenflächen belassen <br />
* Maximal 2-mal pro Jahr mit Balkenmäher oder Sense und abschnittsweise mähen <br />
* Brachflächen, Altgrassstreifen und Säume um Gebüsche und Gehölze von 5-10m abschnittsweise pflegen, um eine Zunahme der Verbuschung zu verhindern <br />
* Mahdgut abführen <br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [http://www.pronatura.ch/blumenwiesen?file=tl_files/dokumente_de/2_unsere_themen/lebensraeume/Wiesen/Pro_Natura_Praxis_Blumenwiese.pdf Pro Natura 2014. Blumenwiesen anlegen und pflegen]: Ausführliche Informationen zur Anlage und Pflege von grossen und kleinen (Wild-) Blumenwiesen.<br />
* [https://www.wwf.ch/sites/default/files/doc-2019-02/2010-12-factsheet-wiesenparadies-einheimische-blumen.pdf WWF Schweiz 2010. Buntes Wiesenparadies mit einheimischen Wildblumen]: Schritt für Schritt Anleitung zur Anlage und Pflege von Wildblumenwiesen für Privathaushalte.<br />
* [[Media:WWF 2010 Lebendige Trockenstandorte.pdf|WWF Schweiz 2010. Lebendige Trockenstandorte mit Sand, Kies und Schotter]]: Anleitung zur Anlage und Pflege von Trockenstandorten für Privathaushalte.<br />
<br />
== Sekundäre Pionierstandorte anlegen und pflegen == <br />
Vom Menschen geschaffene Pionierstandorte sind für Heuschrecken wertvolle Sekundärhabitate geworden, da vielerorts die ursprünglichen Lebensräume (z.&nbsp;B. See- und Flussauen, Brandflächen, etc.) verschwunden sind. Der Erhalt der Pionierstandorte bedarf regelmässiger Pflegeeinsätze zur Verhinderung von Verfilzung und Verbuschung.<br />
Heuschrecken finden wertvolle Pionierflächen: <br />
* In Steinbrüchen und Kiesgruben <br />
* In Weinbergen<br />
* In Sand-, Lehmgruben und Mergelgruben <br />
* An Bahnhöfen und Gleisen<br />
* Auf Industriebrachen<br />
<br />
== Wiederansiedlung von Tieren ==<br />
Die Wiederansiedelung von ehemals vorkommenden Heuschrecken kann nur eine letzte Alternative im Naturschutz sein, da primär immer der Schutz der vorhandenen Populationen im Fokus steht und die Wiederansiedlung sehr aufwändig ist. Für eine erfolgreiche Wiederansiedlung ist es notwendig, eine sorgfältige Ansiedlungs-Strategie zu erarbeiten und die [https://portals.iucn.org/library/efiles/documents/2013-009.pdf Richtlinien der IUCN zur Wiederansiedlung] strikt zu befolgen. Die Wiederansiedlung von Heuschrecken ist bewilligungspflichtig und soll Spezialisten überlassen werden, weshalb hier nicht näher darauf eingegangen wird.<br />
<br />
<br />
{{Foto-rechts-quer<br />
| bilddatei = GSM-5012435629 6b68a9c506 b Ephipiger cfr diurnus female.jpg<br />
| text = Die Westliche Sattelschrecke (''Ephippiger diurnus'') besiedelt trockene und lückige Wiesen und Waldränder. Sie gehört zu den stark gefährdeten Arten. <br />
}}<br />
<br />
= Artenschutz =<br />
Viele Heuschreckenarten brauchen aufgrund ihrer Ansprüche an den Lebensraum ganz spezifische Fördermassnahmen. Die Priorisierung der gefährdeten Arten gemäss ihrem Förderbedarf kann der [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/liste-national-prioritaeren-arten.html Liste der National Prioritären Arten (2011)] entnommen werden. Eine wichtige Grundlage für die Förderung sind auch die in der [http://www.cscf.ch/cscf/de/home/wissenschaftliche-aktivitaten/fauna-indicativa.html Fauna Indicativa] zusammengestellten Präferenzen und Eigenschaften der einzelnen Arten.<br />
<br />
Es gibt nur wenige Praxisinformationen zum spezifischen Artenschutz von Heuschrecken. In der Schweiz wurde bisher nur für die Blauflügelige Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') eine [http://kbnl.ch/wp-content/uploads/2016/11/webseite_Ocaerulescens.pdf Zusammenfassung zur Best Practice der Artenförderung] und [https://www.zh.ch/content/dam/zhweb/bilder-dokumente/themen/umwelt-tiere/naturschutz/artenschutz/aktionsplaene-fauna/heuschrecken/oedipoda_caerulescens_ap.pdf vom Kanton Zürich ein Aktionsplan] erstellt.<br />
<br />
In den Nachbarländern wurden folgenden Publikationen zu Fördermassnahmen erstellt: <br />
<br />
'''Deutschland'''<br />
* [http://www.nlwkn.niedersachsen.de/naturschutz/natura_2000/vollzugshinweise_arten_und_lebensraumtypen/vollzugshinweise-fuer-arten-und-lebensraumtypen-46103.html#Wirbellose Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz. Niedersächsische Strategie zum Arten- und Biotopschutz]<br />
'''Österreich''' <br />
* [http://www.zobodat.at/pdf/NaturschutzbundBgld_9_2013_0001-0160.pdf Zuna-Kratky, T. et. al. (2013). Schutzprogramm für die gefährdeten Heuschrecken des Nordburgenlands]<br />
'''Niederlande''' <br />
* [http://repository.naturalis.nl/document/161506 Schut, D. et al. (2008). Actieplan prioritaire Sprinkhanen in Noord-Brabant]<br />
<br />
= Gefährdung =<br />
Von den 105 für die [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html Rote Liste 2007] untersuchten Heuschreckenarten sind fast 40% bedroht. Am stärksten gefährdet sind die Pionierarten entlang von Gewässern sowie die Arten der Flach- und Hochmoore. Die Erhaltung der letzten Populationen dieser Arten ist daher von grosser Bedeutung.<br />
Die grössten Gefährdungsursachen für alle Heuschreckenarten sind:<br />
* Verlust und Fragmentierung des Lebensraums durch Veränderung der Landnutzung, z.&nbsp;B. durch Umwandlung von Grünland in Äcker, Urbanisierung oder Industrialisierung<br />
* Intensivierung der Nutzung, insbesondere der Einsatz von Mähmaschinen und Mähaufbereitern, sowie Düngung und Erhöhung der Anzahl Schnitte pro Jahr, sowie höhere Viehdichten auf kleinerem Raum<br />
* Mangelnde (natürliche) Prozesse zur Offenhaltung der Landschaft und von Bodenstellen, Homogenisierung der Landschaft<br />
* Verdichtung der Vegetation durch Eutrophierung<br />
* Einsatz von Insektiziden<br />
<br />
Weitere Gefährdungsursachen in Bezug auf die Lebensraumbindung sind:<br />
* Grünlandarten: Intensive Beweidung oder häufige Mahd, Verbuschung oder Verkrautung durch Verbrachung, Verarmung der Pflanzenvielfalt, Düngung von Wiesen und Weiden <br />
* Feuchtgebietsarten: Veränderungen im Gewässerhaushalt von Feuchtgebieten, intensivere landwirtschaftliche Nutzung von Feuchtwiesen <br />
* Wald- und Waldrandarten: Fehlende Stufenstruktur des Waldrandes (Strauch- und Krautschicht), Entfernung von Hecken, Kleinstrukturen und Felsen, Intensivierung der Forstwirtschaft, Einsatz von Bioziden, Anbau von Monokulturen, touristische Nutzung (insbesondere mit Ski & Mountainbike)<br />
* Pionierarten: Verbauungen der Fliessgewässer und Eingriffe in den Geschiebehaushalt, Veränderungen des Gewässerhaushaltes und der Gewässerdynamik, Verbuschung und Verkrautung der Offenflächen<br />
<br />
= Wissenslücken =<br />
Die Wissenslücken sind nicht abschliessend und fokussieren besonders auf die Förderung.<br />
* Erfolgreiche Förderung seltener Arten<br />
* Minimale überlebensfähige Populationsgrössen <br />
* Vernetzung von Heuschreckenpopulationen unterschiedlicher Arten und Artenzusammensetzungen<br />
* Habitatspezifische Auswirkungen der Grünlandnutzung: lässt sich das auf Trockenrasen gewonnene Wissen bspw. auf Feuchtwiesen übertragen?<br />
* Barrierewirkung mehrspuriger Strassen (Autobahnen)<br />
* Auswirkungen vom Klimawandel, insbesondere langer Dürreperioden oder Starkregen<br />
<br />
= Praxisbeispiele =<br />
Für Heuschrecken haben wir nur ein Praxisbeispiel gefunden, welches die durchgeführten Massnahmen ausführlich beschreibt und eine Erfolgsuntersuchung beinhaltet. Daher freuen wir uns über Ihre [http://biodivers.ch/index.php/kontakt.html Vorschläge per Email.]<br />
* [http://www.parcs.ch/nwp/pdf_public/2014/26962_20140130_123116_Kurth_Salome_2007.pdf Kurth, S. (2007). Planning a migration corridor for the highly endangered grasshopper Chorthippus pullus (Orthoptera, Acrididae) in the Rottensand (Pfynwald, VS)] <br />
: Für den Kiesbankgrashüpfer wurde im Pfynwald ein Migrationskorridor errichtet und die anschliessende Nutzung beobachtet.<br />
<br />
= Allgemeine Links=<br />
* [http://lepus.unine.ch/carto/ Info fauna. Verbreitungskarten der Schweizer Tierarten]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken]<br />
* [http://www.orthoptera.ch Orthoptera Schweiz. Heuschrecken-Plattform für die Schweiz und Europa ]<br />
* [http://www.orthoptera.ch/links Orthoptera Schweiz. Linkliste der Heuschrecken-Webseiten Europas und weltweit] <br />
<br />
== Glossar und weitere spannende Links ==<br />
* [https://www.orthoptera.ch/glossar Glossar von orthoptera.ch]<br />
* [http://www.biofotoquiz.ch/biofotoquiz/index.php?domain=standard&classID=278 Biofotoquiz]<br />
: Quiz mit Fotos von Heuschrecken und anderen Tier- und Pflanzenarten zum Kennenlernen der Arten.<br />
* [https://offene-naturfuehrer.de/web/Heuschreckenarten_nach_einfachen_Merkmalen_bestimmen_(Bayern) Heuschreckenarten nach einfachen Merkmalen bestimmen (Bayern)]<br />
: Wiki-Bestimmungsschlüssel für die Heuschrecken von Bayern. Der Leser wird anhand der Merkmale geführt, die Kenntnis von Fachbegriffen wird vorausgesetzt. <br />
* [http://www.andre-rey.ch/cms/fileadmin/pdf/Heuschecken_Bestimmungsschluessel_Suedalpen.pdf Fontana et al. (2002). Heuschrecken-Bestimmungsschlüssel für die östlichen Südalpen]<br />
: Bestimmungsschlüssel mit detaillierten Zeichnungen der Merkmale. <br />
* [http://www.orthoptera.ch/info-app-wiki/orthoptera-app Orthoptera-App]<br />
: Die Heuschrecken Bestimmungs-App für iphone und Android enthält zu jeder Art zahlreiche Fotos, Stimmaufzeichnungen und Hintergrundinformationen. Beobachtungen können in der App eingegeben und so dem CSCF gemeldet werden.<br />
<br />
= Literaturempfehlungen =<br />
* Detzel, P. (1998). Die Heuschrecken Baden-Württembergs. Stuttgart Hohenheim, Ulmer.<br />
: Bisher immer noch das beste Buch zur praxisnahen Ökologie und Massnahmen zur Förderung von Heuschrecken. Die Aufwertungs-Massnahmen sind an einzelne Arten und Lebensräume angepasst. Als genereller Leitfaden sind sie sehr gut, umsetzungsorientierte Anleitungen fehlen. Alles in allem ein gutes Buch für den Anfang, eine Weiterentwicklung ist aber dringend notwendig.<br />
* Ingrisch, S. & Köhler, G. (1998). Die Heuschrecken Mitteleuropas. Vol. Bd. 629. Magdeburg, Westarp Wissenschaften.<br />
: Sehr ausführliches und allgemeines Buch zur Biologie, Populationsdynamiken und Lebensräumen der Heuschrecken, weniger zur Biotopaufwertung und zu Fördermassnahmen. Trotz dem Alter immer noch lesenswert und informativ. <br />
* Schlumprecht, H. & Waeber, G. (2003). Heuschrecken in Bayern. Stuttgart Hohenheim. Ulmer. <br />
: Sehr ausführlicher Bestimmungs-Atlas mit vielen Informationen zur Lebensweise und den Lebensräumen der einzelnen Arten. Zu Gefährdung und Schutz gibt es Beispiele aus dem bayrischen Raum und Ratschläge zur Aufwertung für jede Art.<br />
* Maas, S., Detzel, P. & Staudt, A. (2002). Gefährdungsanalyse der Heuschrecken Deutschlands - Verbreitungsatlas, Gefährdungseinstufung und Schutzkonzepte. Bonn-Bad Godesberg, Bundesamt für Naturschutz.<br />
: Ausführlicher Atlas zu den Heuschreckenarten in Deutschland mit Gefährdungsanalysen und Informationen zu Habitaten, Biologie und Verbreitung der einzelnen Arten. Die Angaben zur Aufwertung von Lebensräumen sind kurz gehalten.<br />
* [http://dgfo-articulata.de/articulata Articulata - Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Orthopterologie] <br />
: In der Zeitschrift der DGFO erscheinen regelmässig Artikel zur Förderung von Heuschrecken, ältere Artikel können als PDF heruntergeladen werden.<br />
<br />
== Bestimmungsbücher ==<br />
* Baur, B., Bauer, H., Rösti, C., & Rösti, D. (2006). Die Heuschrecken der Schweiz. Bern, Haupt Verlag.<br />
: Intuitiver Bestimmungsschlüssel für die Schweizer Heuschreckenarten mit sehr schönen Detail-Zeichnungen. Enthält Verbreitungskarten und Erklärungen zu den wichtigsten Merkmalen.<br />
* Fischer, J., Steinlechner, D., Zehm, A., Poniatowski, D., et al., Hrsg. Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (2016). Die Heuschrecken Deutschlands und Nordtirols: Bestimmen - Beobachten - Schützen. Wiebelsheim Hunsrück, Quelle & Meyer.<br />
: Dieses Buch sticht positiv heraus. Es enthält Detailfotos der Bestimmungsmerkmale der Adultiere und Nymphen, eine Darstellung der Hauptaktivitätszeit aller Arten im Jahresverlauf und vieles mehr.<br />
* Weitere nationale und internationale Bestimmungsbücher sind auf [http://www.orthoptera.ch/literatur Orthoptera.ch] aufgeführt.<br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers ]|| info@biodivers.ch<br />
|-<br />
| Review|| [http://www.goeg.de/kontakt Prof. Dr. Peter Detzel] || [http://www.goeg.de/ Gruppe für ökologische Gutachten] <br />
|-<br />
| || [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Dr. Axel Hochkirch] || [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Universität Trier] <br />
|-<br />
| || [https://www.naturalis.nl/en/science/researchers/roy-kleukers Roy Kleukers] || [https://www.naturalis.nl/en Naturalis Biodiversity Center] <br />
|-<br />
| || [https://www.orthoptera.ch/ueber-uns Florin Rutschmann] || [http://www.pronatura-aargau.ch/cms/index.php?id=4&no_cache=1 Pro Natura Aargau] <br />
|}<br />
<br />
<!-- biodivers-Links zu Arten: Kiesbankgrashüpfer Chorthippus pullus, Blauflügelige Ödlanschrecke Oedipoda caerulescens → Aktionsplandrehscheibe, Grüne Heupferd Tettigonia viridissima, Alpenschrecke Anonconotus alpinus <br />
biodivers-Links zu Lebensräumen: Kleinstrukturen, Hecke, Stillgewässer (mehrfach), Fliessgewässer (mehrfach), Wald und Waldrand (mehrfach), Feuchtgebiete, Sumpf, Grünland, Trockenwiesen und Trockenweisen, Entbuschung von Trockenwiesen (mehrfach)--></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Heuschrecken&diff=4698
Heuschrecken
2023-03-04T17:49:12Z
<p>VB2: </p>
<hr />
<div>[[fr:Orthoptères]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = JM 29293745804 8952ea6513 h.jpg<br />
| text = Die Sumpfschrecke (''Stethophyma grossum'') besiedelt feuchte Wiesen und Flachmoore.<br />
}}<br />
<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers]<br />
|-<br />
| Review || [http://www.goeg.de/ueber-uns/team Prof. Dr. Peter Detzel], [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Dr. Axel Hochkirch], [https://www.naturalis.nl/en/science/researchers/roy-kleukers Roy Kleukers] & [http://www.orthoptera.ch/ueber-uns Florin Rutschmann]<br />
|-<br />
| Publikation || Juli 2017<br />
|}<br />
<br /><br />
{{TOC limit|2}}<br />
= Zusammenfassung =<br />
Über 100 Heuschreckenarten bereichern unsere Fauna und überraschen uns mit Flug-, Grab- oder Klangkünsten sowie ihrer Farben- und Formenvielfalt. Heuschrecken (Orthopteren) sind wärmeliebende Kulturfolger. Die meisten Arten beherbergt das Grünland, ob trocken oder feucht, gemäht oder beweidet. Einige Arten leben in lichten Wäldern und auf Pionierflächen der Flussauen und Geröllhalden. Viele Heuschreckenarten sind auf eine hohe Strukturvielfalt auf kleinem Raum angewiesen, da ihre durchschnittliche Ausbreitungsdistanz weniger als ein Kilometer beträgt.<br />
<br />
Für alle Arten ist die Offenhaltung ihrer Lebensräume zentral. Die Wiederherstellung der natürlichen Dynamiken oder die regelmässige, extensive Bewirtschaftung der besiedelten Flächen ist daher wichtig. Bei der Mahd ist darauf zu achten, ein Mosaik aus Rückzugsstreifen und Flächen mit unterschiedlichen Mahdzeitpunkten zu schaffen. Bei der Begrünung sind eine geringe Distanz zu besiedelten Flächen und eine lückige Ausbringung vorteilhaft. Von den über 100 einheimischen Heuschreckenarten stehen 40% auf der Roten Liste. Insbesondere die Arten der Pionierflächen haben einen erhöhten Förderbedarf. <br />
<br />
= Systematik =<br />
Heuschrecken werden in zwei leicht unterscheidbare Gruppen eingeteilt. Bei den Langfühlerschrecken (Ensifera) sind die Fühler gleich lang oder länger als der Körper und haben mindestens 30 Fühlerglieder, während sie bei den Kurzfühlerschrecken (Caelifera) kürzer als der Körper sind. Die Weibchen der Langfühlerschrecken besitzen meist einen auffälligen Legebohrer, im Gegensatz zu den kurzen Legeröhrenklappen bei den Kurzfühlerschrecken. Nur die Maulwurfsgrille gehört auch ohne lange Fühler und Legebohrer zu den Langfühlerschrecken. <br />
Mehr zur Systematik der Heuschrecken auf [https://de.wikipedia.org/wiki/Heuschrecken Wikipedia].<br />
<br />
=Praxisrelevante Ökologie=<br />
== Lebensräume ==<br />
Heuschrecken besiedeln die meisten terrestrischen Lebensräume bis auf 3'100&nbsp;m&nbsp;ü.&nbsp;M. Sie kommen in extensiven Wiesen und Weiden, Brachen, Weinbergen, Wäldern, Feuchtgebieten, Mooren und Flussauen vor. Heuschrecken können allgemein als wärmeliebende Kulturfolger bezeichnet werden, die in stark vom Menschen geprägten Landschaften leben. So können Kiesgruben und Steinbrüche viele seltene Arten beherbergen, wenn sie offengehalten und extensiv gepflegt werden. Im Siedlungsgebiet finden Heuschrecken eine Vielfalt an Kleinlebensräumen auf Industriebrachen und grossen Güterbahnhöfen, Schotterplätzen und in Ruderalflächen. Für seltene Arten sind Parks, Gärten und Flachdächer als Lebensraum wenig relevant, als Trittsteine können sie aber beim Erreichen neuer Lebensräume helfen. <br />
<br />
{{Fotos-links-1000px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Lebensraeuume_Gruppen_PZ.png<br />
| text = Zu den wichtigsten Lebensräumen für Heuschrecken zählen magere Wiesen, Moorlandschaften, lückige Wälder und Blocksteinhalden.<br />
}}<br />
<br />
Da nahezu alle Heuschrecken licht- und wärmeliebend sind, brauchen sie in ihren Lebensräumen Offenflächen bzw. lückige Pflanzenbestände. Die Bindung an das Habitat erfolgt weniger aufgrund bestimmter Pflanzengesellschaften, als aufgrund der benötigten Strukturen und der mikroklimatischen Verhältnisse. Entscheidend sind Dichte und Höhe der Vegetation, sowie Temperatur und Feuchtigkeit. Mosaikartige Lebensräume mit einer Vielfalt an Strukturen sind für eine hohe Heuschreckenvielfalt optimal. So leben an Lebensraum-Übergängen, wie Waldrändern mit Feuchtwiesen oder Hecken entlang von extensiven Wiesen, besonders viele Arten. Für den Erhalt von Offenflächen und Strukturreichtum sind regelmässige Pflegeeinsätze notwendig, wenn natürliche Dynamiken fehlen.<br />
<br />
Die Schweizer Heuschreckenarten können bezüglich ihrer Lebensraumbindung in vier Gruppen unterteilt werden (aus: [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken]) <br />
# Grünlandarten in Trockenwiesen und -weiden (43 Arten)<br />
# Sumpf- und Feuchtgebietsarten in Flach- und Hochmooren (11 Arten)<br />
# Wald- und Waldrandarten sowie Gebüscharten, vor allem in tieferen Lagen (24 Arten)<br />
# Pionierarten in Auen, Felsplatten, Geröllhalden oder Karst (25 Arten)<br />
<br />
==Merkmale und Vermehrung==<br />
Heuschrecken sind durch ihre Körperform, ihr Verhalten und ihre Körperfärbung an ihren Lebensraum angepasst und häufig gut getarnt. Die Körperfärbung kann innerhalb einer Art stark variieren und ist daher meist kein spezifisches Unterscheidungsmerkmal. Die Körperfärbung ist nicht immer genetisch festgelegt, sondern kann sich während der Entwicklung verändern und der Färbung der Umgebung anpassen. Adulte Tiere können ihre Farbe dagegen nicht mehr wechseln, aber ggf. noch nachdunkeln.<br />
<br />
Heuschrecken durchlaufen eine hemimetabole (unvollkommene) Entwicklung. Nach dem Schlupf sind die sogenannten Nymphen schon als Heuschrecken zu erkennen und werden mit jeder Häutung dem adulten Tier ähnlicher. Grillen brauchen bis zu 12 Häutungen, bis sie ausgewachsen sind, Laubheuschrecken 5 bis 7 und Kurzfühlerschrecken 4 bis 5 Häutungen. Erst nach der letzten Häutung bilden sich die Flügel und Geschlechtsorgane vollständig aus. Die meisten Heuschrecken sind einjährig, ihre Nymphen schlüpfen im Zeitraum von Frühling bis Sommer. Adulte Tiere sind von Sommer bis Herbst zu finden, das Auftreten richtet sich vor allem nach der Höhenstufe und den mikroklimatischen Verhältnissen. Nur Grillen (Gryllidae) und Dornschrecken (Tetrigidae) überwintern in einem der Nymphenstadien oder als adulte Tiere und treten entsprechend früh im Jahr auf. <br />
<br />
Die Paarung erfolgt einige Tage bis wenige Wochen nach der letzten Häutung und schon wenige Tage später beginnt die Eiablage. Die Weibchen der meisten Heuschreckenarten legen ihre Eier im Boden oder an der Basis von Gräsern ab. Andere Arten legen ihre Eier in rissige Baumrinde und markhaltige Pflanzenteile oder heften sie an Halme und Blätter. Die Langfühlerschrecken können mit dem Legebohrer ihre Eier tiefer in den Boden legen als die Kurzfühlerschrecken. Bei den meisten heimischen Arten dauert die Entwicklung der Eier bis zum Schlupf vom Herbst bis zum nächsten Frühling, bei einigen auch mehrere Jahre. <br />
<br />
Die Feuchte- und Temperatur-Ansprüche der Eier sind bei Heuschrecken entscheidend für die Habitatbindung der Arten. Arten der Feuchthabitate können oft nicht überleben, wenn ihre Eier im Winter nicht genügend feucht sind. Sie brauchen eine Periode der Überflutung. Feldheuschrecken der trockenen Habitate haben eine längere Eientwicklung nach dem Winter und benötigen höhere Bodentemperaturen. Die notwenigen Temperaturen werden erreicht, wenn Sonnenstrahlen offene Bodenstellen erwärmen. Andere Arten, die in höherer, dichterer Vegetation leben, kommen auch mit geringer Sonneneinstrahlung zurecht. So gibt es einige Spezialisten unter den Heuschrecken, mit ganz spezifischen Ansprüchen an ihren Lebensraum. Der Kiesbankgrashüpfer (''Chorthippus pullus'') lebt in der Schweiz z.&nbsp;B. ausschliesslich auf vegetationsarmen Kiesbänken grosser Alpenflüsse.<br />
<br />
{{Fotos-links-1000px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Eiablage_Lebensraum-Fluegel.png<br />
| text = Von links nach rechts: Die Laubholz-Säbelschrecke (''Barbitistes serricauda'') legt ihre Eier in Gehölze mit strukturreicher Borke ab. Der Kiesbankgrashüpfer (''Chorthippus pullus'') kommt nur entlang der grossen Alpenflüsse vor. Die Gewöhnliche Gebirgsschrecke (''Podisma pedestris'') kann aufgrund der verkümmerten Flügel nicht fliegen.<br />
Das Grüne Heupferd (''Tettigonia viridissima'') ist ein Langstreckenflieger unter den Heuschrecken.<br />
}}<br />
<br />
==Populationsgrössen und Ausbreitung ==<br />
Die Populationsgrösse kann zwischen den Jahren stark schwanken. Schon ein Kälteeinbruch oder eine längere Regenphase im Frühsommer können zu einem starken Populationsrückgang führen. Einzelbeobachtungen weisen darauf hin, dass auch kleine Populationen mit weniger als 50 Tieren über mehrere Jahre existieren können, wenn die Habitatqualität nicht abnimmt. <br />
<br />
Die meisten Heuschreckenarten sind sesshaft und bewegen sich in einem Umkreis von wenigen Metern bis maximal 1&nbsp;km. Bei vielen Arten sind die Flügel verkümmert (z.&nbsp;B. bei der Gewöhnlichen Gebirgsschrecke ''Podisma pedestris''). Es gibt aber auch einzelne Langstreckenflieger, wie das Grüne Heupferd (''Tettigonia viridissima''), das in einem Sommer Distanzen von mehreren Kilometern zurücklegen kann. Hohe Bestandsdichten können die Ausbreitung von sesshaften Arten erhöhen, da bei Dichtestress die Mobilität steigt und makroptere (langflügelige) Tiere auftreten können, deren Flügel deutlich länger sind als üblich. Mit verlängerten Flügeln können auch Arten, die üblicherweise flugunfähig sind, weitere Distanzen überqueren. Ungenügend untersucht ist die Ausbreitung von Eiern und Tieren durch passiven Transport, z.&nbsp;B. durch Fliessgewässer, den Bahnverkehr, durch Verfrachtung mit Mahdgut oder mit Weidetieren. Bei manchen Arten scheint diese Art der Verbreitung jedoch gut zu funktionieren, da immer wieder fernab von bekannten Populationen Einzeltiere oder kleine Initialpopulationen gefunden werden.<br />
<br />
== Fauna Indicativa ==<br />
Die [http://www.cscf.ch/cscf/de/home/projekte/fauna-indicativa.html Fauna Indicativa] ist ein Nachschlagewerk sowie ein Werkzeug für die Auswertung faunistischer Daten. Sie charakterisiert in Tabellenform ökologische Präferenzen und biologische Eigenschaften aller in der Schweiz einheimischen Heuschrecken.<br />
<br />
=Erhalt und Förderung=<br />
==Allgemeine Massnahmen ==<br />
===Grünland- und Feuchtgebietsarten ===<br />
* Extensive Bewirtschaftung von Wiesen und Weiden und Verzicht auf schwere Maschinen, insbesondere in Feuchtgebieten<br />
* Verzicht auf das Ausbringen von Kunstdünger und Bioziden, insbesondere Insektiziden<br />
* Förderung von Biodiversitätsförderflächen (BFF) mit Qualitätsstufe QII<br />
* Verzicht auf die Bewässerung von Trockenwiesen und Steppen<br />
* Eindämmung der Verbuschung und Verbrachung von Trockenwiesen- und weiden<br />
* Verzicht auf die Entwässerung von Feuchtgebieten und Wiederherstellung des natürlichen Wasserregimes<br />
* Erhalt von Weiden, da in der Regel mit heterogener Struktur und artenreicher, ausser bei einschüriger Mahd <br />
* Schutz und Wiederherstellung von Feuchtgebieten<br />
* Anlage und Pflege von Stillgewässern, insbesondere mit flachen Uferzonen<br />
<br />
===Wald- und Waldrandarten===<br />
* Aufwertung und Schaffung gestufter Waldränder mit einer Krautschicht<br />
* Erhalt alter Baumbestände, Biotopbäume und Hecken mir ihren Säumen<br />
* Auflichtung der Wälder und Böschungen, damit sie gut besonnt sind<br />
* Extensive Pflege der Weg- und Hangböschungen<br />
* Standortgerechter Waldbau, Verzicht auf Monokulturen (bspw. Fichten)<br />
* Umwandlung von Monokulturen in natürliche Wälder mit mehreren Baumarten<br />
* Verzicht auf den Einsatz von Düngemitteln und Bioziden<br />
<br />
===Pionierarten an Fliessgewässern ===<br />
(Übernommen aus: [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken])<br />
* Revitalisierung der Fliessgewässer, bevorzugt von Pionierarten besiedelte Standorten <br />
* Verzicht auf die Zuschüttung oder Eindämmung von besiedelten Uferflächen<br />
* Verzicht auf jeglichen Abbau der Sand-, Kies- oder Steinbänke innerhalb, ober- und unterhalb besiedelter Flächen<br />
* Zulassen von regelmässigen, genügend intensiven Hochwassern, um den natürlichen Abtrag der mit Vegetation bewachsenen Bänke in Auen zu gewährleisten<br />
* Gewährleisten von periodischen Ablagerungen von Sedimenten an besiedelten Standorten, um die Regeneration von Sedimentbänken in Auen sicherzustellen<br />
* Revitalisierung möglichst vieler Fliessgewässer, um über die Schaffung von potenziell günstigen Standorten die Wiederbesiedlung von verlassenen Gegenden zu fördern<br />
<br />
{{Foto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Mosaik_aus_Gruenlandtypen_-_Suedschwarzwald_-_IMG_7876b.jpg<br />
| text = Der Strukturreichtum dieser Flächen bietet Grünlandarten einen idealen Lebensraum.<br />
}}<br />
<br />
== Strukturreiche Flächen schaffen und schützen ==<br />
Für Heuschrecken sind weniger die typischen [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen Kleinstrukturen] wichtig wie [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen#Die_einzelnen_Kleinstrukturen Ast- oder Steinhaufen], als vielmehr offene Bodenstellen (u.&nbsp;a. für die Eiablage) und Strukturen, die Wärme aufnehmen und speichern, wie felsige Bereiche, [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Pionierfl%C3%A4chen Kiesflächen], feuchte Senken und [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Stillgew%C3%A4sser temporäre Tümpel]. Neu angelegte Strukturen sollen eine minimale Fläche von 20&nbsp;m&sup2; pro ha haben. Natürliche Offenflächen und strukturreiche Flächen wie Moränen, Felsschutthalden, Kiesflächen und Verlandungszonen von [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Stillgew%C3%A4sser Stillgewässern] sind zu schützen und dürfen nicht zugeschüttet oder aufgeforstet werden.<br />
<br />
== Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts ==<br />
Viele gefährdete Heuschreckenarten sind auf eine extensive Beweidung oder regelmässige Mahd angewiesen, damit die Vegetation nicht zu dicht wird. Der optimale Schnittzeitpunkt ist artabhängig. Für Arten, die ihre Eier im Boden ablegen, ist eine Mahd zwischen Mai und August ungünstig. Für Arten, die ihre Eier an oder in Pflanzen ablegen, ist eine Mahd nach August und vor Mai problematisch. Die Bewirtschaftung kann aber auch schädlich sein. Verluste entstehen v.&nbsp;a. durch Mähaufbereiter und das Schwaden und Abführen des Mahdguts. Zur Verminderung der Verluste bei allen Arten ist bei der Mahd Folgendes zu beachten: <br />
<br />
* Es sollen möglichst wenige Schnitte erfolgen, optimaler Weise nur ein Schnitt pro Jahr<br />
* Frühmad: nicht ganzflächige durchführen; Spätmahd: nach dem Verblühen der meisten Pflanzen durchführen<br />
* Am besten ist eine differenzierte Pflege, d.&nbsp;h. ein Mosaik aus Flächen mit unterschiedlichen Mähzeitpunkten und Rückzugsstreifen, die nur alle 2 Jahre gemäht werden <br />
* Die Schnitthöhe soll mindestens 10&nbsp;cm betragen <br />
* Balkenmäher verursachen die niedrigste Schädigungsrate, Scheibenmähern die höchste; am schonendsten ist die Mahd mit der Sense <br />
* Das Schnittgut soll, damit sich die Tiere verteilen können, zum Trocknen liegen gelassen und stets abgeführt werden<br />
* Es sollen keine Mähaufbereiter eingesetzt werden<br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://www.buntewiese-tuebingen.de/app/download/6569219764/Hiller%202014%20Auswirkungen%20verschiedener%20Mahdkonzepte%20auf%20die%20Heuschreckenfauna%20st%C3%A4dtischer%20Gr%C3%BCnfl%C3%A4chen%20-%20Naturschutz%20und%20Landschaftsplanung.pdf?t=1490555371 Hiller, D. & Betz, O.(2014). Auswirkungen verschiedener Mahdkonzepte auf die Heuschreckenfauna städtischer Grünflächen]<br /><br />
<br />
'''Hintergrundinformationen'''<br /><br />
* [http://www.parcs.ch/npf/pdf_public/2014/30491_20141107_083216_MA_GrichtingStefan_2002.pdf Grichting, S. (2002). Heuschrecken (Orthoptera) von Trockensteppen und extensiv bewirtschafteten Wiesen im Pfynwald (VS, Schweiz)]<br />
: Studie zu den ökologischen Ansprüchen und der Verbreitung von Heuschrecken auf Wiesen mit unterschiedlichem Nutzungsgrad.<br /><br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/abashop?s=208&p=productdetail&sku=429&language=de Agridea (2011). Erntetechnik und Artenvielfalt in Wiesen]<br />
: Das Merkblatt zeigt die Auswirkungen verschiedener Mähtechniken und nachfolgender Ernteschritte auf die Artenvielfalt und gibt Empfehlungen für eine möglichst tierschonende Ernte. <br /><br />
<br />
==Rotationsbrachen anlegen und Altgrassstreifen stehen lassen ==<br />
Bei der Anlage von Rotationsbrachen und Altgrasstreifen ist auf das Vorkommen von Heuschreckenpopulation in der näheren Umgebung zu achten, da Heuschrecken oft nur geringe Ausbreitungsdistanzen haben. Als Rückzugsstreifen werden bei jedem Schnitt 10% der Wiese stehen gelassen.<br /><br />
<br />
'''Links'''<br />
* [http://www.agraroekologie.ch/NuL07-10_Mueller_Bosshard.pdf Müller, M. & Bosshard, B. (2012). Altgrasstreifen fördern Heuschrecken in Ökowiesen - Eine Möglichkeit zur Strukturverbesserung im Mähgrünland]<br />
: Studie zu den positiven Auswirkungen von Altgrasstreifen als Rückzugsraum bei der Mahd in extensiv genutzten Wiesen. <br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/2012_01_1723.pdf Duss, M. et al. (2012). Vernetzte Ökoflächen fördern Heuschrecken]<br />
: Studie zur Auswirkung eines Vernetzungsprojektes von ökologischen Ausgleichsflächen (öAF) auf die Verbreitung von 2 Heuschreckenarten. Die Grosse Goldschrecke (''Chrysochraon dispar'') profitiert von Altgrasstreifen.<br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/download.php?filename=2001_1112_102.pdf Peter, B. & Walter, T. (2001). Heuschrecken brauchen ökologische Ausgleichsflächen] <br />
: Vergleichende Untersuchungen vor und nach der Einführung von Biodiversitätsförderflächen (BFF) zeigt deren Wichtigkeit für Heuschrecken auf.<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Buntbrache_Altgrassstreifen_AK.png<br />
| text = Links und Mitte: Die Gemeine Sichelschrecke (''Phaneroptera falcata'') und die Langflüglige Schwertschrecke (''Conocephalus fuscus'') schätzen die hohe Vegetation von Buntbrachen. <br /><br />
Rechts: Die Grosse Goldschrecke (''Chrysochraon dispar'') profitiert von Altgrasstreifen.<br />
}}<br />
<br />
==Beweidung ==<br />
Für die Beweidung sollen möglichst traditionelle Rassen, bzw. leichte Tiere eingesetzt werden. Generell scheint Schaf-Hütehaltung besonders günstig für Heuschrecken zu sein. Die Viehdichte darf nicht zu hoch sein; der jährliche Besatz sollte 150 Grossvieheinheiten&sup1; pro Hektare (GVE/ha) nicht überschreiten. Es empfiehlt sich, eine Beweidung in Koppeln zu führen, womit ein ähnlicher Effekt erzielt wird wie mit einer Rotationsmahd. <br /><br />
<small><sup>1</sup>Die Beweidungsintensität ergibt sich aus dem Produkt von Besatzstärke in Grossvieheinheiten pro Hektare mal Anzahl Bestossungstagen (GVE/ha * dd). Je nach Grösse und Alter der Tiere ändert sich der Wert, der sich mit dem [https://www.agate.ch/portal/web/agate/gve-rechner GVE-Rechner des Bundesamtes für Landwirtschaft] genau ermitteln lässt.</small> <br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://www.pronatura.ch/de/2016/allegra-geissenpeter-ziegen-esel-und-rinder-weiden-fuer-die-biodiversitaet Pro Natura. Projekt „Allegra Geissenpeter“]<br />
: Pro Natura lanciert Projekte mit verschiedenen Weidetierarten, um die Trockenstandorte in den Alpen nachhaltig zu sichern, unter anderem zur Förderung der Heuschrecken. Die unterschiedlichen Projekte und die Ergebnisse der Erfolgskontrollen sind im [https://www.pronatura.ch/sites/pronatura.ch/files/2017-11/leitfaden_fuer_die_aufwertung_von_brachliegenden_trockenstandorten_durch_beweidung-beitraege_zum_naturschutz_in_der_schweiz_nr_37-2016_highres.pdf Leitfaden für die Aufwertung von brachliegenden Trockenstandorten durch Beweidung (2016)] zusammengefasst.<br />
<br />
== Direktbegrünung und Mahdgutübertragung ==<br />
Direktbegrünung und Mahdgutübertragung sind einer Ansaat vorzuziehen, da zusammen mit dem Pflanzenmaterial oder den Samen Insekten und Eier übertragen werden können. Dies ist insbesondere wichtig für Arten mit einem geringem Ausbreitungspotenzial. Das Saat- und Mahdgut sollte von [https://www.regioflora.ch/app/de/index.html Spenderflächen aus der nahen Umgebung] stammen, also [https://de.wikipedia.org/wiki/Autochthone_Art autochthon] sein, um die regionale genetische Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten zu erhalten. Für eine erfolgreiche Besiedlung sollen Empfängerflächen in maximal 1&nbsp;km Distanz, besser nur 500&nbsp;m, zu bereits besiedelten Flächen angelegt werden. Bei der Begrünung können kleine Bodenstelle langfristig offengehalten werden, indem Steine oder Feinsediment als Substrat eingebracht wird. <br />
<br />
'''Hintergrundinformation'''<br />
* [http://public.bibliothek.uni-halle.de/index.php/hercynia/article/viewFile/218/224 Elias, D. & Thiede, S. (2008). Verfrachtung von Heuschrecken (Insecta: Ensifera et Caelifera) mit frischem Mähgut im Wulfener Bruch (Sachsen-Anhalt)]: Diese Studie zeigt auf, dass die Mahdgutübertragung für Heuschrecken eine wichtige Rolle spielt, insbesondere für wenig mobile Arten.<br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/2001_07_71.pdf Bosshard, A. & Kuster, D. (2001). Bedeutung neu angelegter Extensivwiesen für Tagfalter und Heuschrecken]: Die Untersuchung zeigt, dass neu angelegte Extensivwiesen rasch von gefährdeten Heuschrecken- und Tagfalterarten besiedelt werden können.<br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [https://www.regioflora.ch/ Regio Flora - das Portal zur Förderung der regionalen Vielfalt im Grünland]: Umfassende Informationen zur Direktbegrünung von Wiesen und Weiden.<br />
* [https://www.regioflora.ch/de/assets/content/pdf/RF_Praxismerkblatt_D_download9.11.15.pdf Agridea (2015). Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft]: Leitfaden für die Praxis zum Einsatz von regionalem Saatgut in Biodiversitätsförderflächen.<br />
<br />
{{Foto-rechts-hoch<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Gewaesser_PZ.png<br />
| text = Die Ufer von Fliess- und Stillgewässern sind wichtige Verbreitungskorridore und sollen alternierend bewirtschaftet werden. <br />
}}<br />
<br />
== Feuchtgebiete und Trockenstandorte ==<br />
=== Ruderalstandorte und Säume entlang von Feuchtgebieten pflegen ===<br />
Zahlreiche Arten legen ihre Eier in Stängel von Pflanzen im Uferbereich von Still- und Fliessgewässern. Die Uferbereiche sind wichtige Verbreitungskorridore für die Tiere. Daher ist die extensive Pflege von Feuchtgebieten und Gräben das ganze Jahr über wichtig:<br />
* [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts|Mahd]] an den Ufern alternierend, an einem Ufer die Vegetation immer für ca. 1-2 Jahre stehen lassen <br />
* Säume am selben Ufer gestaffelt mähen und das Schnittgut abführen <br />
* Flächen nicht mulchen<br />
* Ruderalstandorte immer wieder abschnittweise stören durch extensive [[#Beweidung| Beweidung]] oder [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts | Mahd]], um die Verbuschung zu verhindern und [[#Strukturreiche Flächen schaffen und schützen| strukturreiche Flächen]] zu schaffen <br />
* Invasive Pflanzen zurückdrängen, insbesondere Flügelknöterich (''Fallopia'') und Drüsiges Springkraut (''Impatiens glandulifera'')<br />
<br />
=== Entbuschung von Trockenstandorten === <br />
Der Baum- und Strauchbewuchs soll bei grossen Standorten maximal 25% betragen, bei kleineren 10% oder weniger. Für die langfristige Offenhaltung der Trockenwiesen- und weiden eignen sich extensive Beweidung oder Mahd. Massnahmen zur Aufwertung von Trockenstandorten werden zu einem späteren Zeitpunkt bearbeitet.<br />
<br />
== Im Siedlungsgebiet ==<br />
=== Schotter- und Brachflächen extensiv pflegen ===<br />
Im Randbereich vom Siedlungsgebiet und auf Firmengeländen kann eine reiche Heuschreckenfauna entstehen, wenn grössere Offenflächen vorhanden sind. Dies können z.&nbsp;B. Schotter- und Industriebrachen sein, die einen lockeren Pflanzenbewuchs aufweisen. Diese Flächen sollen extensiv bewirtschaftet werden (siehe: [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts|Mahdkonzepte]]). Der Strukturreichtum kann gefördert werden, indem die Pflege nur abschnittweise erfolgt und zusätzliche [[#Strukturreiche Flächen schaffen und schützen| Kleinstrukturen]] angelegt werden.<br />
<br />
=== Begrünung und Pflege von Flachdächern ===<br />
Flachdächer können einigen Heuschreckenarten, z.&nbsp;B. der Blauflügeligen Sandschrecke (''Sphingonotus caerulans'') oder der Blauflügeligen Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') als Trittstein dienen. Dauerhafte Ansiedlungen von Populationen wurden bisher noch nicht beobachtet. Bei der Anlage der Dächer ist Folgendes wichtig: <br />
* Nur einheimische Pflanzen und Saatgut verwenden <br />
* Offene Stellen belassen und regelmässig neue Offenflächen durch Abtragung des Oberbodens schaffen <br />
* Sand, Kies und Steine in unterschiedlichen Korngrössen verwenden <br />
* Pflanzen extensiv und abschnittsweise pflegen <br />
* Strukturreichtum durch Kieshaufen, Holz, etc. sicherstellen <br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://docplayer.org/20659374-Die-blaufluegelige-sandschrecke-sphingonotus-caerulans-auf-den-extensiv-begruenten-daechern-der-europa-allee-zuerich.html Speck, M. & Brenneisen, S. (2014). Die Blauflügelige Sandschrecke (Sphingonotus caerulans) auf den extensiv begrünten Dächern der Europa-Allee in Zürich]<br />
: Diese Studie belegt das Vorkommen der Rote-Liste Art auf Flachdächern in Zürich. Die Blauflügelige Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') wurde in vorherigen Untersuchungen machgewiesen, die hier zitiert werden.<br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [https://www.stadt-zuerich.ch/ted/de/index/gsz/beratung-und-wissen/wohn-und-arbeitsumfeld/dachbegruenungen0.html Stadt Zürich. Dachbegrünung]: Umfassende Informationen zur Anlage und Pflege von Dachbegrünung mit vielen Praxisbeispielen.<br />
* [https://www.stadt.sg.ch/home/raum-umwelt/bauen-sanieren/natur-stadt.html Stadt St. Gallen, Amt für Umwelt und Energie (2014). Leitfaden Dachbegrünung]: Ausführliche Informationen zu Aufbau und extensiven Begrünungsarten von Flachdächern.<br />
<br />
{{Fotos-links-550px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Siedlungsgebiet.png<br />
| text = Der Blauflügeligen Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') und der Blauflügeligen Sandschrecke (''Sphingonotus caerulans'') können Flachdächer als Trittsteine in neue Lebensräume dienen.<br />
}}<br />
<br />
=== Wildblumenwiesen und Trockenflächen anlegen und pflegen === <br />
In Parks und Gärten können auch anspruchsvollere Heuschreckenarten vorkommen, wenn Folgendes beachtet wird:<br />
* Nur einheimisches Saatgut verwenden <br />
* Lückig säen und nicht düngen <br />
* Offene Bodenflächen belassen <br />
* Maximal 2-mal pro Jahr mit Balkenmäher oder Sense und abschnittsweise mähen <br />
* Brachflächen, Altgrassstreifen und Säume um Gebüsche und Gehölze von 5-10m abschnittsweise pflegen, um eine Zunahme der Verbuschung zu verhindern <br />
* Mahdgut abführen <br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [http://www.pronatura.ch/blumenwiesen?file=tl_files/dokumente_de/2_unsere_themen/lebensraeume/Wiesen/Pro_Natura_Praxis_Blumenwiese.pdf Pro Natura 2014. Blumenwiesen anlegen und pflegen]: Ausführliche Informationen zur Anlage und Pflege von grossen und kleinen (Wild-) Blumenwiesen.<br />
* [https://www.wwf.ch/sites/default/files/doc-2019-02/2010-12-factsheet-wiesenparadies-einheimische-blumen.pdf WWF Schweiz 2010. Buntes Wiesenparadies mit einheimischen Wildblumen]: Schritt für Schritt Anleitung zur Anlage und Pflege von Wildblumenwiesen für Privathaushalte.<br />
* [[Media:WWF 2010 Lebendige Trockenstandorte.pdf|WWF Schweiz 2010. Lebendige Trockenstandorte mit Sand, Kies und Schotter]]: Anleitung zur Anlage und Pflege von Trockenstandorten für Privathaushalte.<br />
<br />
== Sekundäre Pionierstandorte anlegen und pflegen == <br />
Vom Menschen geschaffene Pionierstandorte sind für Heuschrecken wertvolle Sekundärhabitate geworden, da vielerorts die ursprünglichen Lebensräume (z.&nbsp;B. See- und Flussauen, Brandflächen, etc.) verschwunden sind. Der Erhalt der Pionierstandorte bedarf regelmässiger Pflegeeinsätze zur Verhinderung von Verfilzung und Verbuschung.<br />
Heuschrecken finden wertvolle Pionierflächen: <br />
* In Steinbrüchen und Kiesgruben <br />
* In Weinbergen<br />
* In Sand-, Lehmgruben und Mergelgruben <br />
* An Bahnhöfen und Gleisen<br />
* Auf Industriebrachen<br />
<br />
== Wiederansiedlung von Tieren ==<br />
Die Wiederansiedelung von ehemals vorkommenden Heuschrecken kann nur eine letzte Alternative im Naturschutz sein, da primär immer der Schutz der vorhandenen Populationen im Fokus steht und die Wiederansiedlung sehr aufwändig ist. Für eine erfolgreiche Wiederansiedlung ist es notwendig, eine sorgfältige Ansiedlungs-Strategie zu erarbeiten und die [https://portals.iucn.org/library/efiles/documents/2013-009.pdf Richtlinien der IUCN zur Wiederansiedlung] strikt zu befolgen. Die Wiederansiedlung von Heuschrecken ist bewilligungspflichtig und soll Spezialisten überlassen werden, weshalb hier nicht näher darauf eingegangen wird.<br />
<br />
<br />
{{Foto-rechts-quer<br />
| bilddatei = GSM-5012435629 6b68a9c506 b Ephipiger cfr diurnus female.jpg<br />
| text = Die Westliche Sattelschrecke (''Ephippiger diurnus'') besiedelt trockene und lückige Wiesen und Waldränder. Sie gehört zu den stark gefährdeten Arten. <br />
}}<br />
<br />
= Artenschutz =<br />
Viele Heuschreckenarten brauchen aufgrund ihrer Ansprüche an den Lebensraum ganz spezifische Fördermassnahmen. Die Priorisierung der gefährdeten Arten gemäss ihrem Förderbedarf kann der [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/liste-national-prioritaeren-arten.html Liste der National Prioritären Arten (2011)] entnommen werden. Eine wichtige Grundlage für die Förderung sind auch die in der [http://www.cscf.ch/cscf/de/home/wissenschaftliche-aktivitaten/fauna-indicativa.html Fauna Indicativa] zusammengestellten Präferenzen und Eigenschaften der einzelnen Arten.<br />
<br />
Es gibt nur wenige Praxisinformationen zum spezifischen Artenschutz von Heuschrecken. In der Schweiz wurde bisher nur für die Blauflügelige Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') eine [http://kbnl.ch/wp-content/uploads/2016/11/webseite_Ocaerulescens.pdf Zusammenfassung zur Best Practice der Artenförderung] und [https://www.zh.ch/content/dam/zhweb/bilder-dokumente/themen/umwelt-tiere/naturschutz/artenschutz/aktionsplaene-fauna/heuschrecken/oedipoda_caerulescens_ap.pdf vom Kanton Zürich ein Aktionsplan] erstellt.<br />
<br />
In den Nachbarländern wurden folgenden Publikationen zu Fördermassnahmen erstellt: <br />
<br />
'''Deutschland'''<br />
* [http://www.nlwkn.niedersachsen.de/naturschutz/natura_2000/vollzugshinweise_arten_und_lebensraumtypen/vollzugshinweise-fuer-arten-und-lebensraumtypen-46103.html#Wirbellose Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz. Niedersächsische Strategie zum Arten- und Biotopschutz]<br />
'''Österreich''' <br />
* [http://www.zobodat.at/pdf/NaturschutzbundBgld_9_2013_0001-0160.pdf Zuna-Kratky, T. et. al. (2013). Schutzprogramm für die gefährdeten Heuschrecken des Nordburgenlands]<br />
'''Niederlande''' <br />
* [http://repository.naturalis.nl/document/161506 Schut, D. et al. (2008). Actieplan prioritaire Sprinkhanen in Noord-Brabant]<br />
<br />
= Gefährdung =<br />
Von den 105 für die [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html Rote Liste 2007] untersuchten Heuschreckenarten sind fast 40% bedroht. Am stärksten gefährdet sind die Pionierarten entlang von Gewässern sowie die Arten der Flach- und Hochmoore. Die Erhaltung der letzten Populationen dieser Arten ist daher von grosser Bedeutung.<br />
Die grössten Gefährdungsursachen für alle Heuschreckenarten sind:<br />
* Verlust und Fragmentierung des Lebensraums durch Veränderung der Landnutzung, z.&nbsp;B. durch Umwandlung von Grünland in Äcker, Urbanisierung oder Industrialisierung<br />
* Intensivierung der Nutzung, insbesondere der Einsatz von Mähmaschinen und Mähaufbereitern, sowie Düngung und Erhöhung der Anzahl Schnitte pro Jahr, sowie höhere Viehdichten auf kleinerem Raum<br />
* Mangelnde (natürliche) Prozesse zur Offenhaltung der Landschaft und von Bodenstellen, Homogenisierung der Landschaft<br />
* Verdichtung der Vegetation durch Eutrophierung<br />
* Einsatz von Insektiziden<br />
<br />
Weitere Gefährdungsursachen in Bezug auf die Lebensraumbindung sind:<br />
* Grünlandarten: Intensive Beweidung oder häufige Mahd, Verbuschung oder Verkrautung durch Verbrachung, Verarmung der Pflanzenvielfalt, Düngung von Wiesen und Weiden <br />
* Feuchtgebietsarten: Veränderungen im Gewässerhaushalt von Feuchtgebieten, intensivere landwirtschaftliche Nutzung von Feuchtwiesen <br />
* Wald- und Waldrandarten: Fehlende Stufenstruktur des Waldrandes (Strauch- und Krautschicht), Entfernung von Hecken, Kleinstrukturen und Felsen, Intensivierung der Forstwirtschaft, Einsatz von Bioziden, Anbau von Monokulturen, touristische Nutzung (insbesondere mit Ski & Mountainbike)<br />
* Pionierarten: Verbauungen der Fliessgewässer und Eingriffe in den Geschiebehaushalt, Veränderungen des Gewässerhaushaltes und der Gewässerdynamik, Verbuschung und Verkrautung der Offenflächen<br />
<br />
= Wissenslücken =<br />
Die Wissenslücken sind nicht abschliessend und fokussieren besonders auf die Förderung.<br />
* Erfolgreiche Förderung seltener Arten<br />
* Minimale überlebensfähige Populationsgrössen <br />
* Vernetzung von Heuschreckenpopulationen unterschiedlicher Arten und Artenzusammensetzungen<br />
* Habitatspezifische Auswirkungen der Grünlandnutzung: lässt sich das auf Trockenrasen gewonnene Wissen bspw. auf Feuchtwiesen übertragen?<br />
* Barrierewirkung mehrspuriger Strassen (Autobahnen)<br />
* Auswirkungen vom Klimawandel, insbesondere langer Dürreperioden oder Starkregen<br />
<br />
= Praxisbeispiele =<br />
Für Heuschrecken haben wir nur ein Praxisbeispiel gefunden, welches die durchgeführten Massnahmen ausführlich beschreibt und eine Erfolgsuntersuchung beinhaltet. Daher freuen wir uns über Ihre [http://biodivers.ch/index.php/kontakt.html Vorschläge per Email.]<br />
* [http://www.parcs.ch/nwp/pdf_public/2014/26962_20140130_123116_Kurth_Salome_2007.pdf Kurth, S. (2007). Planning a migration corridor for the highly endangered grasshopper Chorthippus pullus (Orthoptera, Acrididae) in the Rottensand (Pfynwald, VS)] <br />
: Für den Kiesbankgrashüpfer wurde im Pfynwald ein Migrationskorridor errichtet und die anschliessende Nutzung beobachtet.<br />
<br />
= Allgemeine Links=<br />
* [http://lepus.unine.ch/carto/ Centre Suisse de Cartographie de la Faune (CSCF). Verbreitungskarten der Schweizer Tierarten]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken]<br />
* [http://www.orthoptera.ch Orthoptera Schweiz. Heuschrecken-Plattform für die Schweiz und Europa ]<br />
* [http://www.orthoptera.ch/links Orthoptera Schweiz. Linkliste der Heuschrecken-Webseiten Europas und weltweit] <br />
<br />
== Glossar und weitere spannende Links ==<br />
* [https://www.orthoptera.ch/glossar Glossar von orthoptera.ch]<br />
* [http://www.biofotoquiz.ch/biofotoquiz/index.php?domain=standard&classID=278 Biofotoquiz]<br />
: Quiz mit Fotos von Heuschrecken und anderen Tier- und Pflanzenarten zum Kennenlernen der Arten.<br />
* [https://offene-naturfuehrer.de/web/Heuschreckenarten_nach_einfachen_Merkmalen_bestimmen_(Bayern) Heuschreckenarten nach einfachen Merkmalen bestimmen (Bayern)]<br />
: Wiki-Bestimmungsschlüssel für die Heuschrecken von Bayern. Der Leser wird anhand der Merkmale geführt, die Kenntnis von Fachbegriffen wird vorausgesetzt. <br />
* [http://www.andre-rey.ch/cms/fileadmin/pdf/Heuschecken_Bestimmungsschluessel_Suedalpen.pdf Fontana et al. (2002). Heuschrecken-Bestimmungsschlüssel für die östlichen Südalpen]<br />
: Bestimmungsschlüssel mit detaillierten Zeichnungen der Merkmale. <br />
* [http://www.orthoptera.ch/info-app-wiki/orthoptera-app Orthoptera-App]<br />
: Die Heuschrecken Bestimmungs-App für iphone und Android enthält zu jeder Art zahlreiche Fotos, Stimmaufzeichnungen und Hintergrundinformationen. Beobachtungen können in der App eingegeben und so dem CSCF gemeldet werden.<br />
<br />
= Literaturempfehlungen =<br />
* Detzel, P. (1998). Die Heuschrecken Baden-Württembergs. Stuttgart Hohenheim, Ulmer.<br />
: Bisher immer noch das beste Buch zur praxisnahen Ökologie und Massnahmen zur Förderung von Heuschrecken. Die Aufwertungs-Massnahmen sind an einzelne Arten und Lebensräume angepasst. Als genereller Leitfaden sind sie sehr gut, umsetzungsorientierte Anleitungen fehlen. Alles in allem ein gutes Buch für den Anfang, eine Weiterentwicklung ist aber dringend notwendig.<br />
* Ingrisch, S. & Köhler, G. (1998). Die Heuschrecken Mitteleuropas. Vol. Bd. 629. Magdeburg, Westarp Wissenschaften.<br />
: Sehr ausführliches und allgemeines Buch zur Biologie, Populationsdynamiken und Lebensräumen der Heuschrecken, weniger zur Biotopaufwertung und zu Fördermassnahmen. Trotz dem Alter immer noch lesenswert und informativ. <br />
* Schlumprecht, H. & Waeber, G. (2003). Heuschrecken in Bayern. Stuttgart Hohenheim. Ulmer. <br />
: Sehr ausführlicher Bestimmungs-Atlas mit vielen Informationen zur Lebensweise und den Lebensräumen der einzelnen Arten. Zu Gefährdung und Schutz gibt es Beispiele aus dem bayrischen Raum und Ratschläge zur Aufwertung für jede Art.<br />
* Maas, S., Detzel, P. & Staudt, A. (2002). Gefährdungsanalyse der Heuschrecken Deutschlands - Verbreitungsatlas, Gefährdungseinstufung und Schutzkonzepte. Bonn-Bad Godesberg, Bundesamt für Naturschutz.<br />
: Ausführlicher Atlas zu den Heuschreckenarten in Deutschland mit Gefährdungsanalysen und Informationen zu Habitaten, Biologie und Verbreitung der einzelnen Arten. Die Angaben zur Aufwertung von Lebensräumen sind kurz gehalten.<br />
* [http://dgfo-articulata.de/articulata Articulata - Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Orthopterologie] <br />
: In der Zeitschrift der DGFO erscheinen regelmässig Artikel zur Förderung von Heuschrecken, ältere Artikel können als PDF heruntergeladen werden.<br />
<br />
== Bestimmungsbücher ==<br />
* Baur, B., Bauer, H., Rösti, C., & Rösti, D. (2006). Die Heuschrecken der Schweiz. Bern, Haupt Verlag.<br />
: Intuitiver Bestimmungsschlüssel für die Schweizer Heuschreckenarten mit sehr schönen Detail-Zeichnungen. Enthält Verbreitungskarten und Erklärungen zu den wichtigsten Merkmalen.<br />
* Fischer, J., Steinlechner, D., Zehm, A., Poniatowski, D., et al., Hrsg. Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (2016). Die Heuschrecken Deutschlands und Nordtirols: Bestimmen - Beobachten - Schützen. Wiebelsheim Hunsrück, Quelle & Meyer.<br />
: Dieses Buch sticht positiv heraus. Es enthält Detailfotos der Bestimmungsmerkmale der Adultiere und Nymphen, eine Darstellung der Hauptaktivitätszeit aller Arten im Jahresverlauf und vieles mehr.<br />
* Weitere nationale und internationale Bestimmungsbücher sind auf [http://www.orthoptera.ch/literatur Orthoptera.ch] aufgeführt.<br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers ]|| info@biodivers.ch<br />
|-<br />
| Review|| [http://www.goeg.de/kontakt Prof. Dr. Peter Detzel] || [http://www.goeg.de/ Gruppe für ökologische Gutachten] <br />
|-<br />
| || [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Dr. Axel Hochkirch] || [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Universität Trier] <br />
|-<br />
| || [https://www.naturalis.nl/en/science/researchers/roy-kleukers Roy Kleukers] || [https://www.naturalis.nl/en Naturalis Biodiversity Center] <br />
|-<br />
| || [https://www.orthoptera.ch/ueber-uns Florin Rutschmann] || [http://www.pronatura-aargau.ch/cms/index.php?id=4&no_cache=1 Pro Natura Aargau] <br />
|}<br />
<br />
<!-- biodivers-Links zu Arten: Kiesbankgrashüpfer Chorthippus pullus, Blauflügelige Ödlanschrecke Oedipoda caerulescens → Aktionsplandrehscheibe, Grüne Heupferd Tettigonia viridissima, Alpenschrecke Anonconotus alpinus <br />
biodivers-Links zu Lebensräumen: Kleinstrukturen, Hecke, Stillgewässer (mehrfach), Fliessgewässer (mehrfach), Wald und Waldrand (mehrfach), Feuchtgebiete, Sumpf, Grünland, Trockenwiesen und Trockenweisen, Entbuschung von Trockenwiesen (mehrfach)--></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Heuschrecken&diff=4697
Heuschrecken
2023-03-04T17:42:53Z
<p>VB2: /* Wildblumenwiesen und Trockenflächen anlegen und pflegen */</p>
<hr />
<div>[[fr:Orthoptères]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = JM 29293745804 8952ea6513 h.jpg<br />
| text = Die Sumpfschrecke (''Stethophyma grossum'') besiedelt feuchte Wiesen und Flachmoore.<br />
}}<br />
<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers]<br />
|-<br />
| Review || [http://www.goeg.de/ueber-uns/team Prof. Dr. Peter Detzel], [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Dr. Axel Hochkirch], [https://www.naturalis.nl/en/science/researchers/roy-kleukers Roy Kleukers] & [http://www.orthoptera.ch/ueber-uns Florin Rutschmann]<br />
|-<br />
| Publikation || Juli 2017<br />
|}<br />
<br /><br />
{{TOC limit|2}}<br />
= Zusammenfassung =<br />
Über 100 Heuschreckenarten bereichern unsere Fauna und überraschen uns mit Flug-, Grab- oder Klangkünsten sowie ihrer Farben- und Formenvielfalt. Heuschrecken (Orthopteren) sind wärmeliebende Kulturfolger. Die meisten Arten beherbergt das Grünland, ob trocken oder feucht, gemäht oder beweidet. Einige Arten leben in lichten Wäldern und auf Pionierflächen der Flussauen und Geröllhalden. Viele Heuschreckenarten sind auf eine hohe Strukturvielfalt auf kleinem Raum angewiesen, da ihre durchschnittliche Ausbreitungsdistanz weniger als ein Kilometer beträgt.<br />
<br />
Für alle Arten ist die Offenhaltung ihrer Lebensräume zentral. Die Wiederherstellung der natürlichen Dynamiken oder die regelmässige, extensive Bewirtschaftung der besiedelten Flächen ist daher wichtig. Bei der Mahd ist darauf zu achten, ein Mosaik aus Rückzugsstreifen und Flächen mit unterschiedlichen Mahdzeitpunkten zu schaffen. Bei der Begrünung sind eine geringe Distanz zu besiedelten Flächen und eine lückige Ausbringung vorteilhaft. Von den über 100 einheimischen Heuschreckenarten stehen 40% auf der Roten Liste. Insbesondere die Arten der Pionierflächen haben einen erhöhten Förderbedarf. <br />
<br />
= Systematik =<br />
Heuschrecken werden in zwei leicht unterscheidbare Gruppen eingeteilt. Bei den Langfühlerschrecken (Ensifera) sind die Fühler gleich lang oder länger als der Körper und haben mindestens 30 Fühlerglieder, während sie bei den Kurzfühlerschrecken (Caelifera) kürzer als der Körper sind. Die Weibchen der Langfühlerschrecken besitzen meist einen auffälligen Legebohrer, im Gegensatz zu den kurzen Legeröhrenklappen bei den Kurzfühlerschrecken. Nur die Maulwurfsgrille gehört auch ohne lange Fühler und Legebohrer zu den Langfühlerschrecken. <br />
Mehr zur Systematik der Heuschrecken auf [https://de.wikipedia.org/wiki/Heuschrecken Wikipedia].<br />
<br />
=Praxisrelevante Ökologie=<br />
== Lebensräume ==<br />
Heuschrecken besiedeln die meisten terrestrischen Lebensräume bis auf 3'100&nbsp;m&nbsp;ü.&nbsp;M. Sie kommen in extensiven Wiesen und Weiden, Brachen, Weinbergen, Wäldern, Feuchtgebieten, Mooren und Flussauen vor. Heuschrecken können allgemein als wärmeliebende Kulturfolger bezeichnet werden, die in stark vom Menschen geprägten Landschaften leben. So können Kiesgruben und Steinbrüche viele seltene Arten beherbergen, wenn sie offengehalten und extensiv gepflegt werden. Im Siedlungsgebiet finden Heuschrecken eine Vielfalt an Kleinlebensräumen auf Industriebrachen und grossen Güterbahnhöfen, Schotterplätzen und in Ruderalflächen. Für seltene Arten sind Parks, Gärten und Flachdächer als Lebensraum wenig relevant, als Trittsteine können sie aber beim Erreichen neuer Lebensräume helfen. <br />
<br />
{{Fotos-links-1000px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Lebensraeuume_Gruppen_PZ.png<br />
| text = Zu den wichtigsten Lebensräumen für Heuschrecken zählen magere Wiesen, Moorlandschaften, lückige Wälder und Blocksteinhalden.<br />
}}<br />
<br />
Da nahezu alle Heuschrecken licht- und wärmeliebend sind, brauchen sie in ihren Lebensräumen Offenflächen bzw. lückige Pflanzenbestände. Die Bindung an das Habitat erfolgt weniger aufgrund bestimmter Pflanzengesellschaften, als aufgrund der benötigten Strukturen und der mikroklimatischen Verhältnisse. Entscheidend sind Dichte und Höhe der Vegetation, sowie Temperatur und Feuchtigkeit. Mosaikartige Lebensräume mit einer Vielfalt an Strukturen sind für eine hohe Heuschreckenvielfalt optimal. So leben an Lebensraum-Übergängen, wie Waldrändern mit Feuchtwiesen oder Hecken entlang von extensiven Wiesen, besonders viele Arten. Für den Erhalt von Offenflächen und Strukturreichtum sind regelmässige Pflegeeinsätze notwendig, wenn natürliche Dynamiken fehlen.<br />
<br />
Die Schweizer Heuschreckenarten können bezüglich ihrer Lebensraumbindung in vier Gruppen unterteilt werden (aus: [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken]) <br />
# Grünlandarten in Trockenwiesen und -weiden (43 Arten)<br />
# Sumpf- und Feuchtgebietsarten in Flach- und Hochmooren (11 Arten)<br />
# Wald- und Waldrandarten sowie Gebüscharten, vor allem in tieferen Lagen (24 Arten)<br />
# Pionierarten in Auen, Felsplatten, Geröllhalden oder Karst (25 Arten)<br />
<br />
==Merkmale und Vermehrung==<br />
Heuschrecken sind durch ihre Körperform, ihr Verhalten und ihre Körperfärbung an ihren Lebensraum angepasst und häufig gut getarnt. Die Körperfärbung kann innerhalb einer Art stark variieren und ist daher meist kein spezifisches Unterscheidungsmerkmal. Die Körperfärbung ist nicht immer genetisch festgelegt, sondern kann sich während der Entwicklung verändern und der Färbung der Umgebung anpassen. Adulte Tiere können ihre Farbe dagegen nicht mehr wechseln, aber ggf. noch nachdunkeln.<br />
<br />
Heuschrecken durchlaufen eine hemimetabole (unvollkommene) Entwicklung. Nach dem Schlupf sind die sogenannten Nymphen schon als Heuschrecken zu erkennen und werden mit jeder Häutung dem adulten Tier ähnlicher. Grillen brauchen bis zu 12 Häutungen, bis sie ausgewachsen sind, Laubheuschrecken 5 bis 7 und Kurzfühlerschrecken 4 bis 5 Häutungen. Erst nach der letzten Häutung bilden sich die Flügel und Geschlechtsorgane vollständig aus. Die meisten Heuschrecken sind einjährig, ihre Nymphen schlüpfen im Zeitraum von Frühling bis Sommer. Adulte Tiere sind von Sommer bis Herbst zu finden, das Auftreten richtet sich vor allem nach der Höhenstufe und den mikroklimatischen Verhältnissen. Nur Grillen (Gryllidae) und Dornschrecken (Tetrigidae) überwintern in einem der Nymphenstadien oder als adulte Tiere und treten entsprechend früh im Jahr auf. <br />
<br />
Die Paarung erfolgt einige Tage bis wenige Wochen nach der letzten Häutung und schon wenige Tage später beginnt die Eiablage. Die Weibchen der meisten Heuschreckenarten legen ihre Eier im Boden oder an der Basis von Gräsern ab. Andere Arten legen ihre Eier in rissige Baumrinde und markhaltige Pflanzenteile oder heften sie an Halme und Blätter. Die Langfühlerschrecken können mit dem Legebohrer ihre Eier tiefer in den Boden legen als die Kurzfühlerschrecken. Bei den meisten heimischen Arten dauert die Entwicklung der Eier bis zum Schlupf vom Herbst bis zum nächsten Frühling, bei einigen auch mehrere Jahre. <br />
<br />
Die Feuchte- und Temperatur-Ansprüche der Eier sind bei Heuschrecken entscheidend für die Habitatbindung der Arten. Arten der Feuchthabitate können oft nicht überleben, wenn ihre Eier im Winter nicht genügend feucht sind. Sie brauchen eine Periode der Überflutung. Feldheuschrecken der trockenen Habitate haben eine längere Eientwicklung nach dem Winter und benötigen höhere Bodentemperaturen. Die notwenigen Temperaturen werden erreicht, wenn Sonnenstrahlen offene Bodenstellen erwärmen. Andere Arten, die in höherer, dichterer Vegetation leben, kommen auch mit geringer Sonneneinstrahlung zurecht. So gibt es einige Spezialisten unter den Heuschrecken, mit ganz spezifischen Ansprüchen an ihren Lebensraum. Der Kiesbankgrashüpfer (''Chorthippus pullus'') lebt in der Schweiz z.&nbsp;B. ausschliesslich auf vegetationsarmen Kiesbänken grosser Alpenflüsse.<br />
<br />
{{Fotos-links-1000px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Eiablage_Lebensraum-Fluegel.png<br />
| text = Von links nach rechts: Die Laubholz-Säbelschrecke (''Barbitistes serricauda'') legt ihre Eier in Gehölze mit strukturreicher Borke ab. Der Kiesbankgrashüpfer (''Chorthippus pullus'') kommt nur entlang der grossen Alpenflüsse vor. Die Gewöhnliche Gebirgsschrecke (''Podisma pedestris'') kann aufgrund der verkümmerten Flügel nicht fliegen.<br />
Das Grüne Heupferd (''Tettigonia viridissima'') ist ein Langstreckenflieger unter den Heuschrecken.<br />
}}<br />
<br />
==Populationsgrössen und Ausbreitung ==<br />
Die Populationsgrösse kann zwischen den Jahren stark schwanken. Schon ein Kälteeinbruch oder eine längere Regenphase im Frühsommer können zu einem starken Populationsrückgang führen. Einzelbeobachtungen weisen darauf hin, dass auch kleine Populationen mit weniger als 50 Tieren über mehrere Jahre existieren können, wenn die Habitatqualität nicht abnimmt. <br />
<br />
Die meisten Heuschreckenarten sind sesshaft und bewegen sich in einem Umkreis von wenigen Metern bis maximal 1&nbsp;km. Bei vielen Arten sind die Flügel verkümmert (z.&nbsp;B. bei der Gewöhnlichen Gebirgsschrecke ''Podisma pedestris''). Es gibt aber auch einzelne Langstreckenflieger, wie das Grüne Heupferd (''Tettigonia viridissima''), das in einem Sommer Distanzen von mehreren Kilometern zurücklegen kann. Hohe Bestandsdichten können die Ausbreitung von sesshaften Arten erhöhen, da bei Dichtestress die Mobilität steigt und makroptere (langflügelige) Tiere auftreten können, deren Flügel deutlich länger sind als üblich. Mit verlängerten Flügeln können auch Arten, die üblicherweise flugunfähig sind, weitere Distanzen überqueren. Ungenügend untersucht ist die Ausbreitung von Eiern und Tieren durch passiven Transport, z.&nbsp;B. durch Fliessgewässer, den Bahnverkehr, durch Verfrachtung mit Mahdgut oder mit Weidetieren. Bei manchen Arten scheint diese Art der Verbreitung jedoch gut zu funktionieren, da immer wieder fernab von bekannten Populationen Einzeltiere oder kleine Initialpopulationen gefunden werden.<br />
<br />
== Fauna Indicativa ==<br />
Die [http://www.cscf.ch/cscf/de/home/projekte/fauna-indicativa.html Fauna Indicativa] ist ein Nachschlagewerk sowie ein Werkzeug für die Auswertung faunistischer Daten. Sie charakterisiert in Tabellenform ökologische Präferenzen und biologische Eigenschaften aller in der Schweiz einheimischen Heuschrecken.<br />
<br />
=Erhalt und Förderung=<br />
==Allgemeine Massnahmen ==<br />
===Grünland- und Feuchtgebietsarten ===<br />
* Extensive Bewirtschaftung von Wiesen und Weiden und Verzicht auf schwere Maschinen, insbesondere in Feuchtgebieten<br />
* Verzicht auf das Ausbringen von Kunstdünger und Bioziden, insbesondere Insektiziden<br />
* Förderung von Biodiversitätsförderflächen (BFF) mit Qualitätsstufe QII<br />
* Verzicht auf die Bewässerung von Trockenwiesen und Steppen<br />
* Eindämmung der Verbuschung und Verbrachung von Trockenwiesen- und weiden<br />
* Verzicht auf die Entwässerung von Feuchtgebieten und Wiederherstellung des natürlichen Wasserregimes<br />
* Erhalt von Weiden, da in der Regel mit heterogener Struktur und artenreicher, ausser bei einschüriger Mahd <br />
* Schutz und Wiederherstellung von Feuchtgebieten<br />
* Anlage und Pflege von Stillgewässern, insbesondere mit flachen Uferzonen<br />
<br />
===Wald- und Waldrandarten===<br />
* Aufwertung und Schaffung gestufter Waldränder mit einer Krautschicht<br />
* Erhalt alter Baumbestände, Biotopbäume und Hecken mir ihren Säumen<br />
* Auflichtung der Wälder und Böschungen, damit sie gut besonnt sind<br />
* Extensive Pflege der Weg- und Hangböschungen<br />
* Standortgerechter Waldbau, Verzicht auf Monokulturen (bspw. Fichten)<br />
* Umwandlung von Monokulturen in natürliche Wälder mit mehreren Baumarten<br />
* Verzicht auf den Einsatz von Düngemitteln und Bioziden<br />
<br />
===Pionierarten an Fliessgewässern ===<br />
(Übernommen aus: [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken])<br />
* Revitalisierung der Fliessgewässer, bevorzugt von Pionierarten besiedelte Standorten <br />
* Verzicht auf die Zuschüttung oder Eindämmung von besiedelten Uferflächen<br />
* Verzicht auf jeglichen Abbau der Sand-, Kies- oder Steinbänke innerhalb, ober- und unterhalb besiedelter Flächen<br />
* Zulassen von regelmässigen, genügend intensiven Hochwassern, um den natürlichen Abtrag der mit Vegetation bewachsenen Bänke in Auen zu gewährleisten<br />
* Gewährleisten von periodischen Ablagerungen von Sedimenten an besiedelten Standorten, um die Regeneration von Sedimentbänken in Auen sicherzustellen<br />
* Revitalisierung möglichst vieler Fliessgewässer, um über die Schaffung von potenziell günstigen Standorten die Wiederbesiedlung von verlassenen Gegenden zu fördern<br />
<br />
{{Foto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Mosaik_aus_Gruenlandtypen_-_Suedschwarzwald_-_IMG_7876b.jpg<br />
| text = Der Strukturreichtum dieser Flächen bietet Grünlandarten einen idealen Lebensraum.<br />
}}<br />
<br />
== Strukturreiche Flächen schaffen und schützen ==<br />
Für Heuschrecken sind weniger die typischen [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen Kleinstrukturen] wichtig wie [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen#Die_einzelnen_Kleinstrukturen Ast- oder Steinhaufen], als vielmehr offene Bodenstellen (u.&nbsp;a. für die Eiablage) und Strukturen, die Wärme aufnehmen und speichern, wie felsige Bereiche, [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Pionierfl%C3%A4chen Kiesflächen], feuchte Senken und [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Stillgew%C3%A4sser temporäre Tümpel]. Neu angelegte Strukturen sollen eine minimale Fläche von 20&nbsp;m&sup2; pro ha haben. Natürliche Offenflächen und strukturreiche Flächen wie Moränen, Felsschutthalden, Kiesflächen und Verlandungszonen von [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Stillgew%C3%A4sser Stillgewässern] sind zu schützen und dürfen nicht zugeschüttet oder aufgeforstet werden.<br />
<br />
== Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts ==<br />
Viele gefährdete Heuschreckenarten sind auf eine extensive Beweidung oder regelmässige Mahd angewiesen, damit die Vegetation nicht zu dicht wird. Der optimale Schnittzeitpunkt ist artabhängig. Für Arten, die ihre Eier im Boden ablegen, ist eine Mahd zwischen Mai und August ungünstig. Für Arten, die ihre Eier an oder in Pflanzen ablegen, ist eine Mahd nach August und vor Mai problematisch. Die Bewirtschaftung kann aber auch schädlich sein. Verluste entstehen v.&nbsp;a. durch Mähaufbereiter und das Schwaden und Abführen des Mahdguts. Zur Verminderung der Verluste bei allen Arten ist bei der Mahd Folgendes zu beachten: <br />
<br />
* Es sollen möglichst wenige Schnitte erfolgen, optimaler Weise nur ein Schnitt pro Jahr<br />
* Frühmad: nicht ganzflächige durchführen; Spätmahd: nach dem Verblühen der meisten Pflanzen durchführen<br />
* Am besten ist eine differenzierte Pflege, d.&nbsp;h. ein Mosaik aus Flächen mit unterschiedlichen Mähzeitpunkten und Rückzugsstreifen, die nur alle 2 Jahre gemäht werden <br />
* Die Schnitthöhe soll mindestens 10&nbsp;cm betragen <br />
* Balkenmäher verursachen die niedrigste Schädigungsrate, Scheibenmähern die höchste; am schonendsten ist die Mahd mit der Sense <br />
* Das Schnittgut soll, damit sich die Tiere verteilen können, zum Trocknen liegen gelassen und stets abgeführt werden<br />
* Es sollen keine Mähaufbereiter eingesetzt werden<br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://www.buntewiese-tuebingen.de/app/download/6569219764/Hiller%202014%20Auswirkungen%20verschiedener%20Mahdkonzepte%20auf%20die%20Heuschreckenfauna%20st%C3%A4dtischer%20Gr%C3%BCnfl%C3%A4chen%20-%20Naturschutz%20und%20Landschaftsplanung.pdf?t=1490555371 Hiller, D. & Betz, O.(2014). Auswirkungen verschiedener Mahdkonzepte auf die Heuschreckenfauna städtischer Grünflächen]<br /><br />
<br />
'''Hintergrundinformationen'''<br /><br />
* [http://www.parcs.ch/npf/pdf_public/2014/30491_20141107_083216_MA_GrichtingStefan_2002.pdf Grichting, S. (2002). Heuschrecken (Orthoptera) von Trockensteppen und extensiv bewirtschafteten Wiesen im Pfynwald (VS, Schweiz)]<br />
: Studie zu den ökologischen Ansprüchen und der Verbreitung von Heuschrecken auf Wiesen mit unterschiedlichem Nutzungsgrad.<br /><br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/abashop?s=208&p=productdetail&sku=429&language=de Agridea (2011). Erntetechnik und Artenvielfalt in Wiesen]<br />
: Das Merkblatt zeigt die Auswirkungen verschiedener Mähtechniken und nachfolgender Ernteschritte auf die Artenvielfalt und gibt Empfehlungen für eine möglichst tierschonende Ernte. <br /><br />
<br />
==Rotationsbrachen anlegen und Altgrassstreifen stehen lassen ==<br />
Bei der Anlage von Rotationsbrachen und Altgrasstreifen ist auf das Vorkommen von Heuschreckenpopulation in der näheren Umgebung zu achten, da Heuschrecken oft nur geringe Ausbreitungsdistanzen haben. Als Rückzugsstreifen werden bei jedem Schnitt 10% der Wiese stehen gelassen.<br /><br />
<br />
'''Links'''<br />
* [http://www.agraroekologie.ch/NuL07-10_Mueller_Bosshard.pdf Müller, M. & Bosshard, B. (2012). Altgrasstreifen fördern Heuschrecken in Ökowiesen - Eine Möglichkeit zur Strukturverbesserung im Mähgrünland]<br />
: Studie zu den positiven Auswirkungen von Altgrasstreifen als Rückzugsraum bei der Mahd in extensiv genutzten Wiesen. <br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/2012_01_1723.pdf Duss, M. et al. (2012). Vernetzte Ökoflächen fördern Heuschrecken]<br />
: Studie zur Auswirkung eines Vernetzungsprojektes von ökologischen Ausgleichsflächen (öAF) auf die Verbreitung von 2 Heuschreckenarten. Die Grosse Goldschrecke (''Chrysochraon dispar'') profitiert von Altgrasstreifen.<br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/download.php?filename=2001_1112_102.pdf Peter, B. & Walter, T. (2001). Heuschrecken brauchen ökologische Ausgleichsflächen] <br />
: Vergleichende Untersuchungen vor und nach der Einführung von Biodiversitätsförderflächen (BFF) zeigt deren Wichtigkeit für Heuschrecken auf.<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Buntbrache_Altgrassstreifen_AK.png<br />
| text = Links und Mitte: Die Gemeine Sichelschrecke (''Phaneroptera falcata'') und die Langflüglige Schwertschrecke (''Conocephalus fuscus'') schätzen die hohe Vegetation von Buntbrachen. <br /><br />
Rechts: Die Grosse Goldschrecke (''Chrysochraon dispar'') profitiert von Altgrasstreifen.<br />
}}<br />
<br />
==Beweidung ==<br />
Für die Beweidung sollen möglichst traditionelle Rassen, bzw. leichte Tiere eingesetzt werden. Generell scheint Schaf-Hütehaltung besonders günstig für Heuschrecken zu sein. Die Viehdichte darf nicht zu hoch sein; der jährliche Besatz sollte 150 Grossvieheinheiten&sup1; pro Hektare (GVE/ha) nicht überschreiten. Es empfiehlt sich, eine Beweidung in Koppeln zu führen, womit ein ähnlicher Effekt erzielt wird wie mit einer Rotationsmahd. <br /><br />
<small><sup>1</sup>Die Beweidungsintensität ergibt sich aus dem Produkt von Besatzstärke in Grossvieheinheiten pro Hektare mal Anzahl Bestossungstagen (GVE/ha * dd). Je nach Grösse und Alter der Tiere ändert sich der Wert, der sich mit dem [https://www.agate.ch/portal/web/agate/gve-rechner GVE-Rechner des Bundesamtes für Landwirtschaft] genau ermitteln lässt.</small> <br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://www.pronatura.ch/de/2016/allegra-geissenpeter-ziegen-esel-und-rinder-weiden-fuer-die-biodiversitaet Pro Natura. Projekt „Allegra Geissenpeter“]<br />
: Pro Natura lanciert Projekte mit verschiedenen Weidetierarten, um die Trockenstandorte in den Alpen nachhaltig zu sichern, unter anderem zur Förderung der Heuschrecken. Die unterschiedlichen Projekte und die Ergebnisse der Erfolgskontrollen sind im [https://www.pronatura.ch/sites/pronatura.ch/files/2017-11/leitfaden_fuer_die_aufwertung_von_brachliegenden_trockenstandorten_durch_beweidung-beitraege_zum_naturschutz_in_der_schweiz_nr_37-2016_highres.pdf Leitfaden für die Aufwertung von brachliegenden Trockenstandorten durch Beweidung (2016)] zusammengefasst.<br />
<br />
== Direktbegrünung und Mahdgutübertragung ==<br />
Direktbegrünung und Mahdgutübertragung sind einer Ansaat vorzuziehen, da zusammen mit dem Pflanzenmaterial oder den Samen Insekten und Eier übertragen werden können. Dies ist insbesondere wichtig für Arten mit einem geringem Ausbreitungspotenzial. Das Saat- und Mahdgut sollte von [https://www.regioflora.ch/app/de/index.html Spenderflächen aus der nahen Umgebung] stammen, also [https://de.wikipedia.org/wiki/Autochthone_Art autochthon] sein, um die regionale genetische Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten zu erhalten. Für eine erfolgreiche Besiedlung sollen Empfängerflächen in maximal 1&nbsp;km Distanz, besser nur 500&nbsp;m, zu bereits besiedelten Flächen angelegt werden. Bei der Begrünung können kleine Bodenstelle langfristig offengehalten werden, indem Steine oder Feinsediment als Substrat eingebracht wird. <br />
<br />
'''Hintergrundinformation'''<br />
* [http://public.bibliothek.uni-halle.de/index.php/hercynia/article/viewFile/218/224 Elias, D. & Thiede, S. (2008). Verfrachtung von Heuschrecken (Insecta: Ensifera et Caelifera) mit frischem Mähgut im Wulfener Bruch (Sachsen-Anhalt)]: Diese Studie zeigt auf, dass die Mahdgutübertragung für Heuschrecken eine wichtige Rolle spielt, insbesondere für wenig mobile Arten.<br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/2001_07_71.pdf Bosshard, A. & Kuster, D. (2001). Bedeutung neu angelegter Extensivwiesen für Tagfalter und Heuschrecken]: Die Untersuchung zeigt, dass neu angelegte Extensivwiesen rasch von gefährdeten Heuschrecken- und Tagfalterarten besiedelt werden können.<br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [https://www.regioflora.ch/ Regio Flora - das Portal zur Förderung der regionalen Vielfalt im Grünland]: Umfassende Informationen zur Direktbegrünung von Wiesen und Weiden.<br />
* [https://www.regioflora.ch/de/assets/content/pdf/RF_Praxismerkblatt_D_download9.11.15.pdf Agridea (2015). Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft]: Leitfaden für die Praxis zum Einsatz von regionalem Saatgut in Biodiversitätsförderflächen.<br />
<br />
{{Foto-rechts-hoch<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Gewaesser_PZ.png<br />
| text = Die Ufer von Fliess- und Stillgewässern sind wichtige Verbreitungskorridore und sollen alternierend bewirtschaftet werden. <br />
}}<br />
<br />
== Feuchtgebiete und Trockenstandorte ==<br />
=== Ruderalstandorte und Säume entlang von Feuchtgebieten pflegen ===<br />
Zahlreiche Arten legen ihre Eier in Stängel von Pflanzen im Uferbereich von Still- und Fliessgewässern. Die Uferbereiche sind wichtige Verbreitungskorridore für die Tiere. Daher ist die extensive Pflege von Feuchtgebieten und Gräben das ganze Jahr über wichtig:<br />
* [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts|Mahd]] an den Ufern alternierend, an einem Ufer die Vegetation immer für ca. 1-2 Jahre stehen lassen <br />
* Säume am selben Ufer gestaffelt mähen und das Schnittgut abführen <br />
* Flächen nicht mulchen<br />
* Ruderalstandorte immer wieder abschnittweise stören durch extensive [[#Beweidung| Beweidung]] oder [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts | Mahd]], um die Verbuschung zu verhindern und [[#Strukturreiche Flächen schaffen und schützen| strukturreiche Flächen]] zu schaffen <br />
* Invasive Pflanzen zurückdrängen, insbesondere Flügelknöterich (''Fallopia'') und Drüsiges Springkraut (''Impatiens glandulifera'')<br />
<br />
=== Entbuschung von Trockenstandorten === <br />
Der Baum- und Strauchbewuchs soll bei grossen Standorten maximal 25% betragen, bei kleineren 10% oder weniger. Für die langfristige Offenhaltung der Trockenwiesen- und weiden eignen sich extensive Beweidung oder Mahd. Massnahmen zur Aufwertung von Trockenstandorten werden zu einem späteren Zeitpunkt bearbeitet.<br />
<br />
== Im Siedlungsgebiet ==<br />
=== Schotter- und Brachflächen extensiv pflegen ===<br />
Im Randbereich vom Siedlungsgebiet und auf Firmengeländen kann eine reiche Heuschreckenfauna entstehen, wenn grössere Offenflächen vorhanden sind. Dies können z.&nbsp;B. Schotter- und Industriebrachen sein, die einen lockeren Pflanzenbewuchs aufweisen. Diese Flächen sollen extensiv bewirtschaftet werden (siehe: [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts|Mahdkonzepte]]). Der Strukturreichtum kann gefördert werden, indem die Pflege nur abschnittweise erfolgt und zusätzliche [[#Strukturreiche Flächen schaffen und schützen| Kleinstrukturen]] angelegt werden.<br />
<br />
=== Begrünung und Pflege von Flachdächern ===<br />
Flachdächer können einigen Heuschreckenarten, z.&nbsp;B. der Blauflügeligen Sandschrecke (''Sphingonotus caerulans'') oder der Blauflügeligen Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') als Trittstein dienen. Dauerhafte Ansiedlungen von Populationen wurden bisher noch nicht beobachtet. Bei der Anlage der Dächer ist Folgendes wichtig: <br />
* Nur einheimische Pflanzen und Saatgut verwenden <br />
* Offene Stellen belassen und regelmässig neue Offenflächen durch Abtragung des Oberbodens schaffen <br />
* Sand, Kies und Steine in unterschiedlichen Korngrössen verwenden <br />
* Pflanzen extensiv und abschnittsweise pflegen <br />
* Strukturreichtum durch Kieshaufen, Holz, etc. sicherstellen <br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://docplayer.org/20659374-Die-blaufluegelige-sandschrecke-sphingonotus-caerulans-auf-den-extensiv-begruenten-daechern-der-europa-allee-zuerich.html Speck, M. & Brenneisen, S. (2014). Die Blauflügelige Sandschrecke (Sphingonotus caerulans) auf den extensiv begrünten Dächern der Europa-Allee in Zürich]<br />
: Diese Studie belegt das Vorkommen der Rote-Liste Art auf Flachdächern in Zürich. Die Blauflügelige Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') wurde in vorherigen Untersuchungen machgewiesen, die hier zitiert werden.<br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [https://www.stadt-zuerich.ch/ted/de/index/gsz/beratung-und-wissen/wohn-und-arbeitsumfeld/dachbegruenungen0.html Stadt Zürich. Dachbegrünung]: Umfassende Informationen zur Anlage und Pflege von Dachbegrünung mit vielen Praxisbeispielen.<br />
* [https://www.stadt.sg.ch/home/raum-umwelt/bauen-sanieren/natur-stadt.html Stadt St. Gallen, Amt für Umwelt und Energie (2014). Leitfaden Dachbegrünung]: Ausführliche Informationen zu Aufbau und extensiven Begrünungsarten von Flachdächern.<br />
<br />
{{Fotos-links-550px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Siedlungsgebiet.png<br />
| text = Der Blauflügeligen Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') und der Blauflügeligen Sandschrecke (''Sphingonotus caerulans'') können Flachdächer als Trittsteine in neue Lebensräume dienen.<br />
}}<br />
<br />
=== Wildblumenwiesen und Trockenflächen anlegen und pflegen === <br />
In Parks und Gärten können auch anspruchsvollere Heuschreckenarten vorkommen, wenn Folgendes beachtet wird:<br />
* Nur einheimisches Saatgut verwenden <br />
* Lückig säen und nicht düngen <br />
* Offene Bodenflächen belassen <br />
* Maximal 2-mal pro Jahr mit Balkenmäher oder Sense und abschnittsweise mähen <br />
* Brachflächen, Altgrassstreifen und Säume um Gebüsche und Gehölze von 5-10m abschnittsweise pflegen, um eine Zunahme der Verbuschung zu verhindern <br />
* Mahdgut abführen <br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [http://www.pronatura.ch/blumenwiesen?file=tl_files/dokumente_de/2_unsere_themen/lebensraeume/Wiesen/Pro_Natura_Praxis_Blumenwiese.pdf Pro Natura 2014. Blumenwiesen anlegen und pflegen]: Ausführliche Informationen zur Anlage und Pflege von grossen und kleinen (Wild-) Blumenwiesen.<br />
* [https://www.wwf.ch/sites/default/files/doc-2019-02/2010-12-factsheet-wiesenparadies-einheimische-blumen.pdf WWF Schweiz 2010. Buntes Wiesenparadies mit einheimischen Wildblumen]: Schritt für Schritt Anleitung zur Anlage und Pflege von Wildblumenwiesen für Privathaushalte.<br />
* [[Media:WWF 2010 Lebendige Trockenstandorte.pdf|WWF Schweiz 2010. Lebendige Trockenstandorte mit Sand, Kies und Schotter]]: Anleitung zur Anlage und Pflege von Trockenstandorten für Privathaushalte.<br />
<br />
== Sekundäre Pionierstandorte anlegen und pflegen == <br />
Vom Menschen geschaffene Pionierstandorte sind für Heuschrecken wertvolle Sekundärhabitate geworden, da vielerorts die ursprünglichen Lebensräume (z.&nbsp;B. See- und Flussauen, Brandflächen, etc.) verschwunden sind. Der Erhalt der Pionierstandorte bedarf regelmässiger Pflegeeinsätze zur Verhinderung von Verfilzung und Verbuschung.<br />
Heuschrecken finden wertvolle Pionierflächen: <br />
* In Steinbrüchen und Kiesgruben <br />
* In Weinbergen<br />
* In Sand-, Lehmgruben und Mergelgruben <br />
* An Bahnhöfen und Gleisen<br />
* Auf Industriebrachen<br />
<br />
== Wiederansiedlung von Tieren ==<br />
Die Wiederansiedelung von ehemals vorkommenden Heuschrecken kann nur eine letzte Alternative im Naturschutz sein, da primär immer der Schutz der vorhandenen Populationen im Fokus steht und die Wiederansiedlung sehr aufwändig ist. Für eine erfolgreiche Wiederansiedlung ist es notwendig, eine sorgfältige Ansiedlungs-Strategie zu erarbeiten und die [https://portals.iucn.org/library/efiles/documents/2013-009.pdf Richtlinien der IUCN zur Wiederansiedlung] strikt zu befolgen. Die Wiederansiedlung von Heuschrecken ist bewilligungspflichtig und soll Spezialisten überlassen werden, weshalb hier nicht näher darauf eingegangen wird.<br />
<br />
<br />
{{Foto-rechts-quer<br />
| bilddatei = GSM-5012435629 6b68a9c506 b Ephipiger cfr diurnus female.jpg<br />
| text = Die Westliche Sattelschrecke (''Ephippiger diurnus'') besiedelt trockene und lückige Wiesen und Waldränder. Sie gehört zu den stark gefährdeten Arten. <br />
}}<br />
<br />
= Artenschutz =<br />
Viele Heuschreckenarten brauchen aufgrund ihrer Ansprüche an den Lebensraum ganz spezifische Fördermassnahmen. Die Priorisierung der gefährdeten Arten gemäss ihrem Förderbedarf kann der [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/liste-national-prioritaeren-arten.html Liste der National Prioritären Arten (2011)] entnommen werden. Eine wichtige Grundlage für die Förderung sind auch die in der [http://www.cscf.ch/cscf/de/home/wissenschaftliche-aktivitaten/fauna-indicativa.html Fauna Indicativa] zusammengestellten Präferenzen und Eigenschaften der einzelnen Arten.<br />
<br />
Es gibt nur wenige Praxisinformationen zum spezifischen Artenschutz von Heuschrecken. In der Schweiz wurde bisher nur für die Blauflügelige Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') eine [http://kbnl.ch/wp-content/uploads/2016/11/webseite_Ocaerulescens.pdf Zusammenfassung zur Best Practice der Artenförderung] und ein [http://www.aln.zh.ch/internet/baudirektion/aln/de/naturschutz/artenfoerderung/ap_fa/oedland/_jcr_content/contentPar/downloadlist/downloaditems/40_1298476571873.spooler.download.1387468488719.pdf/Oedipoda_caerulescens_AP.pdf Schutzkonzept vom Kanton Zürich] erstellt. <br />
In den Nachbarländern wurden folgenden Publikationen zu Fördermassnahmen erstellt: <br />
<br />
'''Deutschland'''<br />
* [http://www.nlwkn.niedersachsen.de/naturschutz/natura_2000/vollzugshinweise_arten_und_lebensraumtypen/vollzugshinweise-fuer-arten-und-lebensraumtypen-46103.html#Wirbellose Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz. Niedersächsische Strategie zum Arten- und Biotopschutz]<br />
'''Österreich''' <br />
* [http://www.zobodat.at/pdf/NaturschutzbundBgld_9_2013_0001-0160.pdf Zuna-Kratky, T. et. al. (2013). Schutzprogramm für die gefährdeten Heuschrecken des Nordburgenlands]<br />
'''Niederlande''' <br />
* [http://repository.naturalis.nl/document/161506 Schut, D. et al. (2008). Actieplan prioritaire Sprinkhanen in Noord-Brabant]<br />
<br />
= Gefährdung =<br />
Von den 105 für die [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html Rote Liste 2007] untersuchten Heuschreckenarten sind fast 40% bedroht. Am stärksten gefährdet sind die Pionierarten entlang von Gewässern sowie die Arten der Flach- und Hochmoore. Die Erhaltung der letzten Populationen dieser Arten ist daher von grosser Bedeutung.<br />
Die grössten Gefährdungsursachen für alle Heuschreckenarten sind:<br />
* Verlust und Fragmentierung des Lebensraums durch Veränderung der Landnutzung, z.&nbsp;B. durch Umwandlung von Grünland in Äcker, Urbanisierung oder Industrialisierung<br />
* Intensivierung der Nutzung, insbesondere der Einsatz von Mähmaschinen und Mähaufbereitern, sowie Düngung und Erhöhung der Anzahl Schnitte pro Jahr, sowie höhere Viehdichten auf kleinerem Raum<br />
* Mangelnde (natürliche) Prozesse zur Offenhaltung der Landschaft und von Bodenstellen, Homogenisierung der Landschaft<br />
* Verdichtung der Vegetation durch Eutrophierung<br />
* Einsatz von Insektiziden<br />
<br />
Weitere Gefährdungsursachen in Bezug auf die Lebensraumbindung sind:<br />
* Grünlandarten: Intensive Beweidung oder häufige Mahd, Verbuschung oder Verkrautung durch Verbrachung, Verarmung der Pflanzenvielfalt, Düngung von Wiesen und Weiden <br />
* Feuchtgebietsarten: Veränderungen im Gewässerhaushalt von Feuchtgebieten, intensivere landwirtschaftliche Nutzung von Feuchtwiesen <br />
* Wald- und Waldrandarten: Fehlende Stufenstruktur des Waldrandes (Strauch- und Krautschicht), Entfernung von Hecken, Kleinstrukturen und Felsen, Intensivierung der Forstwirtschaft, Einsatz von Bioziden, Anbau von Monokulturen, touristische Nutzung (insbesondere mit Ski & Mountainbike)<br />
* Pionierarten: Verbauungen der Fliessgewässer und Eingriffe in den Geschiebehaushalt, Veränderungen des Gewässerhaushaltes und der Gewässerdynamik, Verbuschung und Verkrautung der Offenflächen<br />
<br />
= Wissenslücken =<br />
Die Wissenslücken sind nicht abschliessend und fokussieren besonders auf die Förderung.<br />
* Erfolgreiche Förderung seltener Arten<br />
* Minimale überlebensfähige Populationsgrössen <br />
* Vernetzung von Heuschreckenpopulationen unterschiedlicher Arten und Artenzusammensetzungen<br />
* Habitatspezifische Auswirkungen der Grünlandnutzung: lässt sich das auf Trockenrasen gewonnene Wissen bspw. auf Feuchtwiesen übertragen?<br />
* Barrierewirkung mehrspuriger Strassen (Autobahnen)<br />
* Auswirkungen vom Klimawandel, insbesondere langer Dürreperioden oder Starkregen<br />
<br />
= Praxisbeispiele =<br />
Für Heuschrecken haben wir nur ein Praxisbeispiel gefunden, welches die durchgeführten Massnahmen ausführlich beschreibt und eine Erfolgsuntersuchung beinhaltet. Daher freuen wir uns über Ihre [http://biodivers.ch/index.php/kontakt.html Vorschläge per Email.]<br />
* [http://www.parcs.ch/nwp/pdf_public/2014/26962_20140130_123116_Kurth_Salome_2007.pdf Kurth, S. (2007). Planning a migration corridor for the highly endangered grasshopper Chorthippus pullus (Orthoptera, Acrididae) in the Rottensand (Pfynwald, VS)] <br />
: Für den Kiesbankgrashüpfer wurde im Pfynwald ein Migrationskorridor errichtet und die anschliessende Nutzung beobachtet.<br />
<br />
= Allgemeine Links=<br />
* [http://lepus.unine.ch/carto/ Centre Suisse de Cartographie de la Faune (CSCF). Verbreitungskarten der Schweizer Tierarten]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken]<br />
* [http://www.orthoptera.ch Orthoptera Schweiz. Heuschrecken-Plattform für die Schweiz und Europa ]<br />
* [http://www.orthoptera.ch/links Orthoptera Schweiz. Linkliste der Heuschrecken-Webseiten Europas und weltweit] <br />
<br />
== Glossar und weitere spannende Links ==<br />
* [https://www.orthoptera.ch/glossar Glossar von orthoptera.ch]<br />
* [http://www.biofotoquiz.ch/biofotoquiz/index.php?domain=standard&classID=278 Biofotoquiz]<br />
: Quiz mit Fotos von Heuschrecken und anderen Tier- und Pflanzenarten zum Kennenlernen der Arten.<br />
* [https://offene-naturfuehrer.de/web/Heuschreckenarten_nach_einfachen_Merkmalen_bestimmen_(Bayern) Heuschreckenarten nach einfachen Merkmalen bestimmen (Bayern)]<br />
: Wiki-Bestimmungsschlüssel für die Heuschrecken von Bayern. Der Leser wird anhand der Merkmale geführt, die Kenntnis von Fachbegriffen wird vorausgesetzt. <br />
* [http://www.andre-rey.ch/cms/fileadmin/pdf/Heuschecken_Bestimmungsschluessel_Suedalpen.pdf Fontana et al. (2002). Heuschrecken-Bestimmungsschlüssel für die östlichen Südalpen]<br />
: Bestimmungsschlüssel mit detaillierten Zeichnungen der Merkmale. <br />
* [http://www.orthoptera.ch/info-app-wiki/orthoptera-app Orthoptera-App]<br />
: Die Heuschrecken Bestimmungs-App für iphone und Android enthält zu jeder Art zahlreiche Fotos, Stimmaufzeichnungen und Hintergrundinformationen. Beobachtungen können in der App eingegeben und so dem CSCF gemeldet werden.<br />
<br />
= Literaturempfehlungen =<br />
* Detzel, P. (1998). Die Heuschrecken Baden-Württembergs. Stuttgart Hohenheim, Ulmer.<br />
: Bisher immer noch das beste Buch zur praxisnahen Ökologie und Massnahmen zur Förderung von Heuschrecken. Die Aufwertungs-Massnahmen sind an einzelne Arten und Lebensräume angepasst. Als genereller Leitfaden sind sie sehr gut, umsetzungsorientierte Anleitungen fehlen. Alles in allem ein gutes Buch für den Anfang, eine Weiterentwicklung ist aber dringend notwendig.<br />
* Ingrisch, S. & Köhler, G. (1998). Die Heuschrecken Mitteleuropas. Vol. Bd. 629. Magdeburg, Westarp Wissenschaften.<br />
: Sehr ausführliches und allgemeines Buch zur Biologie, Populationsdynamiken und Lebensräumen der Heuschrecken, weniger zur Biotopaufwertung und zu Fördermassnahmen. Trotz dem Alter immer noch lesenswert und informativ. <br />
* Schlumprecht, H. & Waeber, G. (2003). Heuschrecken in Bayern. Stuttgart Hohenheim. Ulmer. <br />
: Sehr ausführlicher Bestimmungs-Atlas mit vielen Informationen zur Lebensweise und den Lebensräumen der einzelnen Arten. Zu Gefährdung und Schutz gibt es Beispiele aus dem bayrischen Raum und Ratschläge zur Aufwertung für jede Art.<br />
* Maas, S., Detzel, P. & Staudt, A. (2002). Gefährdungsanalyse der Heuschrecken Deutschlands - Verbreitungsatlas, Gefährdungseinstufung und Schutzkonzepte. Bonn-Bad Godesberg, Bundesamt für Naturschutz.<br />
: Ausführlicher Atlas zu den Heuschreckenarten in Deutschland mit Gefährdungsanalysen und Informationen zu Habitaten, Biologie und Verbreitung der einzelnen Arten. Die Angaben zur Aufwertung von Lebensräumen sind kurz gehalten.<br />
* [http://dgfo-articulata.de/articulata Articulata - Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Orthopterologie] <br />
: In der Zeitschrift der DGFO erscheinen regelmässig Artikel zur Förderung von Heuschrecken, ältere Artikel können als PDF heruntergeladen werden.<br />
<br />
== Bestimmungsbücher ==<br />
* Baur, B., Bauer, H., Rösti, C., & Rösti, D. (2006). Die Heuschrecken der Schweiz. Bern, Haupt Verlag.<br />
: Intuitiver Bestimmungsschlüssel für die Schweizer Heuschreckenarten mit sehr schönen Detail-Zeichnungen. Enthält Verbreitungskarten und Erklärungen zu den wichtigsten Merkmalen.<br />
* Fischer, J., Steinlechner, D., Zehm, A., Poniatowski, D., et al., Hrsg. Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (2016). Die Heuschrecken Deutschlands und Nordtirols: Bestimmen - Beobachten - Schützen. Wiebelsheim Hunsrück, Quelle & Meyer.<br />
: Dieses Buch sticht positiv heraus. Es enthält Detailfotos der Bestimmungsmerkmale der Adultiere und Nymphen, eine Darstellung der Hauptaktivitätszeit aller Arten im Jahresverlauf und vieles mehr.<br />
* Weitere nationale und internationale Bestimmungsbücher sind auf [http://www.orthoptera.ch/literatur Orthoptera.ch] aufgeführt.<br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers ]|| info@biodivers.ch<br />
|-<br />
| Review|| [http://www.goeg.de/kontakt Prof. Dr. Peter Detzel] || [http://www.goeg.de/ Gruppe für ökologische Gutachten] <br />
|-<br />
| || [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Dr. Axel Hochkirch] || [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Universität Trier] <br />
|-<br />
| || [https://www.naturalis.nl/en/science/researchers/roy-kleukers Roy Kleukers] || [https://www.naturalis.nl/en Naturalis Biodiversity Center] <br />
|-<br />
| || [https://www.orthoptera.ch/ueber-uns Florin Rutschmann] || [http://www.pronatura-aargau.ch/cms/index.php?id=4&no_cache=1 Pro Natura Aargau] <br />
|}<br />
<br />
<!-- biodivers-Links zu Arten: Kiesbankgrashüpfer Chorthippus pullus, Blauflügelige Ödlanschrecke Oedipoda caerulescens → Aktionsplandrehscheibe, Grüne Heupferd Tettigonia viridissima, Alpenschrecke Anonconotus alpinus <br />
biodivers-Links zu Lebensräumen: Kleinstrukturen, Hecke, Stillgewässer (mehrfach), Fliessgewässer (mehrfach), Wald und Waldrand (mehrfach), Feuchtgebiete, Sumpf, Grünland, Trockenwiesen und Trockenweisen, Entbuschung von Trockenwiesen (mehrfach)--></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Datei:WWF_2010_Lebendige_Trockenstandorte.pdf&diff=4696
Datei:WWF 2010 Lebendige Trockenstandorte.pdf
2023-03-04T17:40:50Z
<p>VB2: </p>
<hr />
<div></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Heuschrecken&diff=4695
Heuschrecken
2023-03-04T17:35:46Z
<p>VB2: </p>
<hr />
<div>[[fr:Orthoptères]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = JM 29293745804 8952ea6513 h.jpg<br />
| text = Die Sumpfschrecke (''Stethophyma grossum'') besiedelt feuchte Wiesen und Flachmoore.<br />
}}<br />
<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers]<br />
|-<br />
| Review || [http://www.goeg.de/ueber-uns/team Prof. Dr. Peter Detzel], [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Dr. Axel Hochkirch], [https://www.naturalis.nl/en/science/researchers/roy-kleukers Roy Kleukers] & [http://www.orthoptera.ch/ueber-uns Florin Rutschmann]<br />
|-<br />
| Publikation || Juli 2017<br />
|}<br />
<br /><br />
{{TOC limit|2}}<br />
= Zusammenfassung =<br />
Über 100 Heuschreckenarten bereichern unsere Fauna und überraschen uns mit Flug-, Grab- oder Klangkünsten sowie ihrer Farben- und Formenvielfalt. Heuschrecken (Orthopteren) sind wärmeliebende Kulturfolger. Die meisten Arten beherbergt das Grünland, ob trocken oder feucht, gemäht oder beweidet. Einige Arten leben in lichten Wäldern und auf Pionierflächen der Flussauen und Geröllhalden. Viele Heuschreckenarten sind auf eine hohe Strukturvielfalt auf kleinem Raum angewiesen, da ihre durchschnittliche Ausbreitungsdistanz weniger als ein Kilometer beträgt.<br />
<br />
Für alle Arten ist die Offenhaltung ihrer Lebensräume zentral. Die Wiederherstellung der natürlichen Dynamiken oder die regelmässige, extensive Bewirtschaftung der besiedelten Flächen ist daher wichtig. Bei der Mahd ist darauf zu achten, ein Mosaik aus Rückzugsstreifen und Flächen mit unterschiedlichen Mahdzeitpunkten zu schaffen. Bei der Begrünung sind eine geringe Distanz zu besiedelten Flächen und eine lückige Ausbringung vorteilhaft. Von den über 100 einheimischen Heuschreckenarten stehen 40% auf der Roten Liste. Insbesondere die Arten der Pionierflächen haben einen erhöhten Förderbedarf. <br />
<br />
= Systematik =<br />
Heuschrecken werden in zwei leicht unterscheidbare Gruppen eingeteilt. Bei den Langfühlerschrecken (Ensifera) sind die Fühler gleich lang oder länger als der Körper und haben mindestens 30 Fühlerglieder, während sie bei den Kurzfühlerschrecken (Caelifera) kürzer als der Körper sind. Die Weibchen der Langfühlerschrecken besitzen meist einen auffälligen Legebohrer, im Gegensatz zu den kurzen Legeröhrenklappen bei den Kurzfühlerschrecken. Nur die Maulwurfsgrille gehört auch ohne lange Fühler und Legebohrer zu den Langfühlerschrecken. <br />
Mehr zur Systematik der Heuschrecken auf [https://de.wikipedia.org/wiki/Heuschrecken Wikipedia].<br />
<br />
=Praxisrelevante Ökologie=<br />
== Lebensräume ==<br />
Heuschrecken besiedeln die meisten terrestrischen Lebensräume bis auf 3'100&nbsp;m&nbsp;ü.&nbsp;M. Sie kommen in extensiven Wiesen und Weiden, Brachen, Weinbergen, Wäldern, Feuchtgebieten, Mooren und Flussauen vor. Heuschrecken können allgemein als wärmeliebende Kulturfolger bezeichnet werden, die in stark vom Menschen geprägten Landschaften leben. So können Kiesgruben und Steinbrüche viele seltene Arten beherbergen, wenn sie offengehalten und extensiv gepflegt werden. Im Siedlungsgebiet finden Heuschrecken eine Vielfalt an Kleinlebensräumen auf Industriebrachen und grossen Güterbahnhöfen, Schotterplätzen und in Ruderalflächen. Für seltene Arten sind Parks, Gärten und Flachdächer als Lebensraum wenig relevant, als Trittsteine können sie aber beim Erreichen neuer Lebensräume helfen. <br />
<br />
{{Fotos-links-1000px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Lebensraeuume_Gruppen_PZ.png<br />
| text = Zu den wichtigsten Lebensräumen für Heuschrecken zählen magere Wiesen, Moorlandschaften, lückige Wälder und Blocksteinhalden.<br />
}}<br />
<br />
Da nahezu alle Heuschrecken licht- und wärmeliebend sind, brauchen sie in ihren Lebensräumen Offenflächen bzw. lückige Pflanzenbestände. Die Bindung an das Habitat erfolgt weniger aufgrund bestimmter Pflanzengesellschaften, als aufgrund der benötigten Strukturen und der mikroklimatischen Verhältnisse. Entscheidend sind Dichte und Höhe der Vegetation, sowie Temperatur und Feuchtigkeit. Mosaikartige Lebensräume mit einer Vielfalt an Strukturen sind für eine hohe Heuschreckenvielfalt optimal. So leben an Lebensraum-Übergängen, wie Waldrändern mit Feuchtwiesen oder Hecken entlang von extensiven Wiesen, besonders viele Arten. Für den Erhalt von Offenflächen und Strukturreichtum sind regelmässige Pflegeeinsätze notwendig, wenn natürliche Dynamiken fehlen.<br />
<br />
Die Schweizer Heuschreckenarten können bezüglich ihrer Lebensraumbindung in vier Gruppen unterteilt werden (aus: [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken]) <br />
# Grünlandarten in Trockenwiesen und -weiden (43 Arten)<br />
# Sumpf- und Feuchtgebietsarten in Flach- und Hochmooren (11 Arten)<br />
# Wald- und Waldrandarten sowie Gebüscharten, vor allem in tieferen Lagen (24 Arten)<br />
# Pionierarten in Auen, Felsplatten, Geröllhalden oder Karst (25 Arten)<br />
<br />
==Merkmale und Vermehrung==<br />
Heuschrecken sind durch ihre Körperform, ihr Verhalten und ihre Körperfärbung an ihren Lebensraum angepasst und häufig gut getarnt. Die Körperfärbung kann innerhalb einer Art stark variieren und ist daher meist kein spezifisches Unterscheidungsmerkmal. Die Körperfärbung ist nicht immer genetisch festgelegt, sondern kann sich während der Entwicklung verändern und der Färbung der Umgebung anpassen. Adulte Tiere können ihre Farbe dagegen nicht mehr wechseln, aber ggf. noch nachdunkeln.<br />
<br />
Heuschrecken durchlaufen eine hemimetabole (unvollkommene) Entwicklung. Nach dem Schlupf sind die sogenannten Nymphen schon als Heuschrecken zu erkennen und werden mit jeder Häutung dem adulten Tier ähnlicher. Grillen brauchen bis zu 12 Häutungen, bis sie ausgewachsen sind, Laubheuschrecken 5 bis 7 und Kurzfühlerschrecken 4 bis 5 Häutungen. Erst nach der letzten Häutung bilden sich die Flügel und Geschlechtsorgane vollständig aus. Die meisten Heuschrecken sind einjährig, ihre Nymphen schlüpfen im Zeitraum von Frühling bis Sommer. Adulte Tiere sind von Sommer bis Herbst zu finden, das Auftreten richtet sich vor allem nach der Höhenstufe und den mikroklimatischen Verhältnissen. Nur Grillen (Gryllidae) und Dornschrecken (Tetrigidae) überwintern in einem der Nymphenstadien oder als adulte Tiere und treten entsprechend früh im Jahr auf. <br />
<br />
Die Paarung erfolgt einige Tage bis wenige Wochen nach der letzten Häutung und schon wenige Tage später beginnt die Eiablage. Die Weibchen der meisten Heuschreckenarten legen ihre Eier im Boden oder an der Basis von Gräsern ab. Andere Arten legen ihre Eier in rissige Baumrinde und markhaltige Pflanzenteile oder heften sie an Halme und Blätter. Die Langfühlerschrecken können mit dem Legebohrer ihre Eier tiefer in den Boden legen als die Kurzfühlerschrecken. Bei den meisten heimischen Arten dauert die Entwicklung der Eier bis zum Schlupf vom Herbst bis zum nächsten Frühling, bei einigen auch mehrere Jahre. <br />
<br />
Die Feuchte- und Temperatur-Ansprüche der Eier sind bei Heuschrecken entscheidend für die Habitatbindung der Arten. Arten der Feuchthabitate können oft nicht überleben, wenn ihre Eier im Winter nicht genügend feucht sind. Sie brauchen eine Periode der Überflutung. Feldheuschrecken der trockenen Habitate haben eine längere Eientwicklung nach dem Winter und benötigen höhere Bodentemperaturen. Die notwenigen Temperaturen werden erreicht, wenn Sonnenstrahlen offene Bodenstellen erwärmen. Andere Arten, die in höherer, dichterer Vegetation leben, kommen auch mit geringer Sonneneinstrahlung zurecht. So gibt es einige Spezialisten unter den Heuschrecken, mit ganz spezifischen Ansprüchen an ihren Lebensraum. Der Kiesbankgrashüpfer (''Chorthippus pullus'') lebt in der Schweiz z.&nbsp;B. ausschliesslich auf vegetationsarmen Kiesbänken grosser Alpenflüsse.<br />
<br />
{{Fotos-links-1000px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Eiablage_Lebensraum-Fluegel.png<br />
| text = Von links nach rechts: Die Laubholz-Säbelschrecke (''Barbitistes serricauda'') legt ihre Eier in Gehölze mit strukturreicher Borke ab. Der Kiesbankgrashüpfer (''Chorthippus pullus'') kommt nur entlang der grossen Alpenflüsse vor. Die Gewöhnliche Gebirgsschrecke (''Podisma pedestris'') kann aufgrund der verkümmerten Flügel nicht fliegen.<br />
Das Grüne Heupferd (''Tettigonia viridissima'') ist ein Langstreckenflieger unter den Heuschrecken.<br />
}}<br />
<br />
==Populationsgrössen und Ausbreitung ==<br />
Die Populationsgrösse kann zwischen den Jahren stark schwanken. Schon ein Kälteeinbruch oder eine längere Regenphase im Frühsommer können zu einem starken Populationsrückgang führen. Einzelbeobachtungen weisen darauf hin, dass auch kleine Populationen mit weniger als 50 Tieren über mehrere Jahre existieren können, wenn die Habitatqualität nicht abnimmt. <br />
<br />
Die meisten Heuschreckenarten sind sesshaft und bewegen sich in einem Umkreis von wenigen Metern bis maximal 1&nbsp;km. Bei vielen Arten sind die Flügel verkümmert (z.&nbsp;B. bei der Gewöhnlichen Gebirgsschrecke ''Podisma pedestris''). Es gibt aber auch einzelne Langstreckenflieger, wie das Grüne Heupferd (''Tettigonia viridissima''), das in einem Sommer Distanzen von mehreren Kilometern zurücklegen kann. Hohe Bestandsdichten können die Ausbreitung von sesshaften Arten erhöhen, da bei Dichtestress die Mobilität steigt und makroptere (langflügelige) Tiere auftreten können, deren Flügel deutlich länger sind als üblich. Mit verlängerten Flügeln können auch Arten, die üblicherweise flugunfähig sind, weitere Distanzen überqueren. Ungenügend untersucht ist die Ausbreitung von Eiern und Tieren durch passiven Transport, z.&nbsp;B. durch Fliessgewässer, den Bahnverkehr, durch Verfrachtung mit Mahdgut oder mit Weidetieren. Bei manchen Arten scheint diese Art der Verbreitung jedoch gut zu funktionieren, da immer wieder fernab von bekannten Populationen Einzeltiere oder kleine Initialpopulationen gefunden werden.<br />
<br />
== Fauna Indicativa ==<br />
Die [http://www.cscf.ch/cscf/de/home/projekte/fauna-indicativa.html Fauna Indicativa] ist ein Nachschlagewerk sowie ein Werkzeug für die Auswertung faunistischer Daten. Sie charakterisiert in Tabellenform ökologische Präferenzen und biologische Eigenschaften aller in der Schweiz einheimischen Heuschrecken.<br />
<br />
=Erhalt und Förderung=<br />
==Allgemeine Massnahmen ==<br />
===Grünland- und Feuchtgebietsarten ===<br />
* Extensive Bewirtschaftung von Wiesen und Weiden und Verzicht auf schwere Maschinen, insbesondere in Feuchtgebieten<br />
* Verzicht auf das Ausbringen von Kunstdünger und Bioziden, insbesondere Insektiziden<br />
* Förderung von Biodiversitätsförderflächen (BFF) mit Qualitätsstufe QII<br />
* Verzicht auf die Bewässerung von Trockenwiesen und Steppen<br />
* Eindämmung der Verbuschung und Verbrachung von Trockenwiesen- und weiden<br />
* Verzicht auf die Entwässerung von Feuchtgebieten und Wiederherstellung des natürlichen Wasserregimes<br />
* Erhalt von Weiden, da in der Regel mit heterogener Struktur und artenreicher, ausser bei einschüriger Mahd <br />
* Schutz und Wiederherstellung von Feuchtgebieten<br />
* Anlage und Pflege von Stillgewässern, insbesondere mit flachen Uferzonen<br />
<br />
===Wald- und Waldrandarten===<br />
* Aufwertung und Schaffung gestufter Waldränder mit einer Krautschicht<br />
* Erhalt alter Baumbestände, Biotopbäume und Hecken mir ihren Säumen<br />
* Auflichtung der Wälder und Böschungen, damit sie gut besonnt sind<br />
* Extensive Pflege der Weg- und Hangböschungen<br />
* Standortgerechter Waldbau, Verzicht auf Monokulturen (bspw. Fichten)<br />
* Umwandlung von Monokulturen in natürliche Wälder mit mehreren Baumarten<br />
* Verzicht auf den Einsatz von Düngemitteln und Bioziden<br />
<br />
===Pionierarten an Fliessgewässern ===<br />
(Übernommen aus: [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken])<br />
* Revitalisierung der Fliessgewässer, bevorzugt von Pionierarten besiedelte Standorten <br />
* Verzicht auf die Zuschüttung oder Eindämmung von besiedelten Uferflächen<br />
* Verzicht auf jeglichen Abbau der Sand-, Kies- oder Steinbänke innerhalb, ober- und unterhalb besiedelter Flächen<br />
* Zulassen von regelmässigen, genügend intensiven Hochwassern, um den natürlichen Abtrag der mit Vegetation bewachsenen Bänke in Auen zu gewährleisten<br />
* Gewährleisten von periodischen Ablagerungen von Sedimenten an besiedelten Standorten, um die Regeneration von Sedimentbänken in Auen sicherzustellen<br />
* Revitalisierung möglichst vieler Fliessgewässer, um über die Schaffung von potenziell günstigen Standorten die Wiederbesiedlung von verlassenen Gegenden zu fördern<br />
<br />
{{Foto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Mosaik_aus_Gruenlandtypen_-_Suedschwarzwald_-_IMG_7876b.jpg<br />
| text = Der Strukturreichtum dieser Flächen bietet Grünlandarten einen idealen Lebensraum.<br />
}}<br />
<br />
== Strukturreiche Flächen schaffen und schützen ==<br />
Für Heuschrecken sind weniger die typischen [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen Kleinstrukturen] wichtig wie [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen#Die_einzelnen_Kleinstrukturen Ast- oder Steinhaufen], als vielmehr offene Bodenstellen (u.&nbsp;a. für die Eiablage) und Strukturen, die Wärme aufnehmen und speichern, wie felsige Bereiche, [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Pionierfl%C3%A4chen Kiesflächen], feuchte Senken und [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Stillgew%C3%A4sser temporäre Tümpel]. Neu angelegte Strukturen sollen eine minimale Fläche von 20&nbsp;m&sup2; pro ha haben. Natürliche Offenflächen und strukturreiche Flächen wie Moränen, Felsschutthalden, Kiesflächen und Verlandungszonen von [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Stillgew%C3%A4sser Stillgewässern] sind zu schützen und dürfen nicht zugeschüttet oder aufgeforstet werden.<br />
<br />
== Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts ==<br />
Viele gefährdete Heuschreckenarten sind auf eine extensive Beweidung oder regelmässige Mahd angewiesen, damit die Vegetation nicht zu dicht wird. Der optimale Schnittzeitpunkt ist artabhängig. Für Arten, die ihre Eier im Boden ablegen, ist eine Mahd zwischen Mai und August ungünstig. Für Arten, die ihre Eier an oder in Pflanzen ablegen, ist eine Mahd nach August und vor Mai problematisch. Die Bewirtschaftung kann aber auch schädlich sein. Verluste entstehen v.&nbsp;a. durch Mähaufbereiter und das Schwaden und Abführen des Mahdguts. Zur Verminderung der Verluste bei allen Arten ist bei der Mahd Folgendes zu beachten: <br />
<br />
* Es sollen möglichst wenige Schnitte erfolgen, optimaler Weise nur ein Schnitt pro Jahr<br />
* Frühmad: nicht ganzflächige durchführen; Spätmahd: nach dem Verblühen der meisten Pflanzen durchführen<br />
* Am besten ist eine differenzierte Pflege, d.&nbsp;h. ein Mosaik aus Flächen mit unterschiedlichen Mähzeitpunkten und Rückzugsstreifen, die nur alle 2 Jahre gemäht werden <br />
* Die Schnitthöhe soll mindestens 10&nbsp;cm betragen <br />
* Balkenmäher verursachen die niedrigste Schädigungsrate, Scheibenmähern die höchste; am schonendsten ist die Mahd mit der Sense <br />
* Das Schnittgut soll, damit sich die Tiere verteilen können, zum Trocknen liegen gelassen und stets abgeführt werden<br />
* Es sollen keine Mähaufbereiter eingesetzt werden<br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://www.buntewiese-tuebingen.de/app/download/6569219764/Hiller%202014%20Auswirkungen%20verschiedener%20Mahdkonzepte%20auf%20die%20Heuschreckenfauna%20st%C3%A4dtischer%20Gr%C3%BCnfl%C3%A4chen%20-%20Naturschutz%20und%20Landschaftsplanung.pdf?t=1490555371 Hiller, D. & Betz, O.(2014). Auswirkungen verschiedener Mahdkonzepte auf die Heuschreckenfauna städtischer Grünflächen]<br /><br />
<br />
'''Hintergrundinformationen'''<br /><br />
* [http://www.parcs.ch/npf/pdf_public/2014/30491_20141107_083216_MA_GrichtingStefan_2002.pdf Grichting, S. (2002). Heuschrecken (Orthoptera) von Trockensteppen und extensiv bewirtschafteten Wiesen im Pfynwald (VS, Schweiz)]<br />
: Studie zu den ökologischen Ansprüchen und der Verbreitung von Heuschrecken auf Wiesen mit unterschiedlichem Nutzungsgrad.<br /><br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/abashop?s=208&p=productdetail&sku=429&language=de Agridea (2011). Erntetechnik und Artenvielfalt in Wiesen]<br />
: Das Merkblatt zeigt die Auswirkungen verschiedener Mähtechniken und nachfolgender Ernteschritte auf die Artenvielfalt und gibt Empfehlungen für eine möglichst tierschonende Ernte. <br /><br />
<br />
==Rotationsbrachen anlegen und Altgrassstreifen stehen lassen ==<br />
Bei der Anlage von Rotationsbrachen und Altgrasstreifen ist auf das Vorkommen von Heuschreckenpopulation in der näheren Umgebung zu achten, da Heuschrecken oft nur geringe Ausbreitungsdistanzen haben. Als Rückzugsstreifen werden bei jedem Schnitt 10% der Wiese stehen gelassen.<br /><br />
<br />
'''Links'''<br />
* [http://www.agraroekologie.ch/NuL07-10_Mueller_Bosshard.pdf Müller, M. & Bosshard, B. (2012). Altgrasstreifen fördern Heuschrecken in Ökowiesen - Eine Möglichkeit zur Strukturverbesserung im Mähgrünland]<br />
: Studie zu den positiven Auswirkungen von Altgrasstreifen als Rückzugsraum bei der Mahd in extensiv genutzten Wiesen. <br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/2012_01_1723.pdf Duss, M. et al. (2012). Vernetzte Ökoflächen fördern Heuschrecken]<br />
: Studie zur Auswirkung eines Vernetzungsprojektes von ökologischen Ausgleichsflächen (öAF) auf die Verbreitung von 2 Heuschreckenarten. Die Grosse Goldschrecke (''Chrysochraon dispar'') profitiert von Altgrasstreifen.<br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/download.php?filename=2001_1112_102.pdf Peter, B. & Walter, T. (2001). Heuschrecken brauchen ökologische Ausgleichsflächen] <br />
: Vergleichende Untersuchungen vor und nach der Einführung von Biodiversitätsförderflächen (BFF) zeigt deren Wichtigkeit für Heuschrecken auf.<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Buntbrache_Altgrassstreifen_AK.png<br />
| text = Links und Mitte: Die Gemeine Sichelschrecke (''Phaneroptera falcata'') und die Langflüglige Schwertschrecke (''Conocephalus fuscus'') schätzen die hohe Vegetation von Buntbrachen. <br /><br />
Rechts: Die Grosse Goldschrecke (''Chrysochraon dispar'') profitiert von Altgrasstreifen.<br />
}}<br />
<br />
==Beweidung ==<br />
Für die Beweidung sollen möglichst traditionelle Rassen, bzw. leichte Tiere eingesetzt werden. Generell scheint Schaf-Hütehaltung besonders günstig für Heuschrecken zu sein. Die Viehdichte darf nicht zu hoch sein; der jährliche Besatz sollte 150 Grossvieheinheiten&sup1; pro Hektare (GVE/ha) nicht überschreiten. Es empfiehlt sich, eine Beweidung in Koppeln zu führen, womit ein ähnlicher Effekt erzielt wird wie mit einer Rotationsmahd. <br /><br />
<small><sup>1</sup>Die Beweidungsintensität ergibt sich aus dem Produkt von Besatzstärke in Grossvieheinheiten pro Hektare mal Anzahl Bestossungstagen (GVE/ha * dd). Je nach Grösse und Alter der Tiere ändert sich der Wert, der sich mit dem [https://www.agate.ch/portal/web/agate/gve-rechner GVE-Rechner des Bundesamtes für Landwirtschaft] genau ermitteln lässt.</small> <br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://www.pronatura.ch/de/2016/allegra-geissenpeter-ziegen-esel-und-rinder-weiden-fuer-die-biodiversitaet Pro Natura. Projekt „Allegra Geissenpeter“]<br />
: Pro Natura lanciert Projekte mit verschiedenen Weidetierarten, um die Trockenstandorte in den Alpen nachhaltig zu sichern, unter anderem zur Förderung der Heuschrecken. Die unterschiedlichen Projekte und die Ergebnisse der Erfolgskontrollen sind im [https://www.pronatura.ch/sites/pronatura.ch/files/2017-11/leitfaden_fuer_die_aufwertung_von_brachliegenden_trockenstandorten_durch_beweidung-beitraege_zum_naturschutz_in_der_schweiz_nr_37-2016_highres.pdf Leitfaden für die Aufwertung von brachliegenden Trockenstandorten durch Beweidung (2016)] zusammengefasst.<br />
<br />
== Direktbegrünung und Mahdgutübertragung ==<br />
Direktbegrünung und Mahdgutübertragung sind einer Ansaat vorzuziehen, da zusammen mit dem Pflanzenmaterial oder den Samen Insekten und Eier übertragen werden können. Dies ist insbesondere wichtig für Arten mit einem geringem Ausbreitungspotenzial. Das Saat- und Mahdgut sollte von [https://www.regioflora.ch/app/de/index.html Spenderflächen aus der nahen Umgebung] stammen, also [https://de.wikipedia.org/wiki/Autochthone_Art autochthon] sein, um die regionale genetische Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten zu erhalten. Für eine erfolgreiche Besiedlung sollen Empfängerflächen in maximal 1&nbsp;km Distanz, besser nur 500&nbsp;m, zu bereits besiedelten Flächen angelegt werden. Bei der Begrünung können kleine Bodenstelle langfristig offengehalten werden, indem Steine oder Feinsediment als Substrat eingebracht wird. <br />
<br />
'''Hintergrundinformation'''<br />
* [http://public.bibliothek.uni-halle.de/index.php/hercynia/article/viewFile/218/224 Elias, D. & Thiede, S. (2008). Verfrachtung von Heuschrecken (Insecta: Ensifera et Caelifera) mit frischem Mähgut im Wulfener Bruch (Sachsen-Anhalt)]: Diese Studie zeigt auf, dass die Mahdgutübertragung für Heuschrecken eine wichtige Rolle spielt, insbesondere für wenig mobile Arten.<br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/2001_07_71.pdf Bosshard, A. & Kuster, D. (2001). Bedeutung neu angelegter Extensivwiesen für Tagfalter und Heuschrecken]: Die Untersuchung zeigt, dass neu angelegte Extensivwiesen rasch von gefährdeten Heuschrecken- und Tagfalterarten besiedelt werden können.<br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [https://www.regioflora.ch/ Regio Flora - das Portal zur Förderung der regionalen Vielfalt im Grünland]: Umfassende Informationen zur Direktbegrünung von Wiesen und Weiden.<br />
* [https://www.regioflora.ch/de/assets/content/pdf/RF_Praxismerkblatt_D_download9.11.15.pdf Agridea (2015). Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft]: Leitfaden für die Praxis zum Einsatz von regionalem Saatgut in Biodiversitätsförderflächen.<br />
<br />
{{Foto-rechts-hoch<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Gewaesser_PZ.png<br />
| text = Die Ufer von Fliess- und Stillgewässern sind wichtige Verbreitungskorridore und sollen alternierend bewirtschaftet werden. <br />
}}<br />
<br />
== Feuchtgebiete und Trockenstandorte ==<br />
=== Ruderalstandorte und Säume entlang von Feuchtgebieten pflegen ===<br />
Zahlreiche Arten legen ihre Eier in Stängel von Pflanzen im Uferbereich von Still- und Fliessgewässern. Die Uferbereiche sind wichtige Verbreitungskorridore für die Tiere. Daher ist die extensive Pflege von Feuchtgebieten und Gräben das ganze Jahr über wichtig:<br />
* [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts|Mahd]] an den Ufern alternierend, an einem Ufer die Vegetation immer für ca. 1-2 Jahre stehen lassen <br />
* Säume am selben Ufer gestaffelt mähen und das Schnittgut abführen <br />
* Flächen nicht mulchen<br />
* Ruderalstandorte immer wieder abschnittweise stören durch extensive [[#Beweidung| Beweidung]] oder [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts | Mahd]], um die Verbuschung zu verhindern und [[#Strukturreiche Flächen schaffen und schützen| strukturreiche Flächen]] zu schaffen <br />
* Invasive Pflanzen zurückdrängen, insbesondere Flügelknöterich (''Fallopia'') und Drüsiges Springkraut (''Impatiens glandulifera'')<br />
<br />
=== Entbuschung von Trockenstandorten === <br />
Der Baum- und Strauchbewuchs soll bei grossen Standorten maximal 25% betragen, bei kleineren 10% oder weniger. Für die langfristige Offenhaltung der Trockenwiesen- und weiden eignen sich extensive Beweidung oder Mahd. Massnahmen zur Aufwertung von Trockenstandorten werden zu einem späteren Zeitpunkt bearbeitet.<br />
<br />
== Im Siedlungsgebiet ==<br />
=== Schotter- und Brachflächen extensiv pflegen ===<br />
Im Randbereich vom Siedlungsgebiet und auf Firmengeländen kann eine reiche Heuschreckenfauna entstehen, wenn grössere Offenflächen vorhanden sind. Dies können z.&nbsp;B. Schotter- und Industriebrachen sein, die einen lockeren Pflanzenbewuchs aufweisen. Diese Flächen sollen extensiv bewirtschaftet werden (siehe: [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts|Mahdkonzepte]]). Der Strukturreichtum kann gefördert werden, indem die Pflege nur abschnittweise erfolgt und zusätzliche [[#Strukturreiche Flächen schaffen und schützen| Kleinstrukturen]] angelegt werden.<br />
<br />
=== Begrünung und Pflege von Flachdächern ===<br />
Flachdächer können einigen Heuschreckenarten, z.&nbsp;B. der Blauflügeligen Sandschrecke (''Sphingonotus caerulans'') oder der Blauflügeligen Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') als Trittstein dienen. Dauerhafte Ansiedlungen von Populationen wurden bisher noch nicht beobachtet. Bei der Anlage der Dächer ist Folgendes wichtig: <br />
* Nur einheimische Pflanzen und Saatgut verwenden <br />
* Offene Stellen belassen und regelmässig neue Offenflächen durch Abtragung des Oberbodens schaffen <br />
* Sand, Kies und Steine in unterschiedlichen Korngrössen verwenden <br />
* Pflanzen extensiv und abschnittsweise pflegen <br />
* Strukturreichtum durch Kieshaufen, Holz, etc. sicherstellen <br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://docplayer.org/20659374-Die-blaufluegelige-sandschrecke-sphingonotus-caerulans-auf-den-extensiv-begruenten-daechern-der-europa-allee-zuerich.html Speck, M. & Brenneisen, S. (2014). Die Blauflügelige Sandschrecke (Sphingonotus caerulans) auf den extensiv begrünten Dächern der Europa-Allee in Zürich]<br />
: Diese Studie belegt das Vorkommen der Rote-Liste Art auf Flachdächern in Zürich. Die Blauflügelige Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') wurde in vorherigen Untersuchungen machgewiesen, die hier zitiert werden.<br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [https://www.stadt-zuerich.ch/ted/de/index/gsz/beratung-und-wissen/wohn-und-arbeitsumfeld/dachbegruenungen0.html Stadt Zürich. Dachbegrünung]: Umfassende Informationen zur Anlage und Pflege von Dachbegrünung mit vielen Praxisbeispielen.<br />
* [https://www.stadt.sg.ch/home/raum-umwelt/bauen-sanieren/natur-stadt.html Stadt St. Gallen, Amt für Umwelt und Energie (2014). Leitfaden Dachbegrünung]: Ausführliche Informationen zu Aufbau und extensiven Begrünungsarten von Flachdächern.<br />
<br />
{{Fotos-links-550px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Siedlungsgebiet.png<br />
| text = Der Blauflügeligen Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') und der Blauflügeligen Sandschrecke (''Sphingonotus caerulans'') können Flachdächer als Trittsteine in neue Lebensräume dienen.<br />
}}<br />
<br />
=== Wildblumenwiesen und Trockenflächen anlegen und pflegen === <br />
In Parks und Gärten können auch anspruchsvollere Heuschreckenarten vorkommen, wenn Folgendes beachtet wird:<br />
* Nur einheimisches Saatgut verwenden <br />
* Lückig säen und nicht düngen <br />
* Offene Bodenflächen belassen <br />
* Maximal 2-mal pro Jahr mit Balkenmäher oder Sense und abschnittsweise mähen <br />
* Brachflächen, Altgrassstreifen und Säume um Gebüsche und Gehölze von 5-10m abschnittsweise pflegen, um eine Zunahme der Verbuschung zu verhindern <br />
* Mahdgut abführen <br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [http://www.pronatura.ch/blumenwiesen?file=tl_files/dokumente_de/2_unsere_themen/lebensraeume/Wiesen/Pro_Natura_Praxis_Blumenwiese.pdf Pro Natura 2014. Blumenwiesen anlegen und pflegen]: Ausführliche Informationen zur Anlage und Pflege von grossen und kleinen (Wild-) Blumenwiesen.<br />
* [https://www.wwf.ch/sites/default/files/doc-2019-02/2010-12-factsheet-wiesenparadies-einheimische-blumen.pdf WWF Schweiz 2010. Buntes Wiesenparadies mit einheimischen Wildblumen]: Schritt für Schritt Anleitung zur Anlage und Pflege von Wildblumenwiesen für Privathaushalte.<br />
* [https://assets.wwf.ch/downloads/priv_ruderalflaechen_1.pdf WWF Schweiz 2010. Lebendige Trockenstandorte mit Sand, Kies und Schotter]: Anleitung zur Anlage und Pflege von Trockenstandorten für Privathaushalte.<br />
<br />
== Sekundäre Pionierstandorte anlegen und pflegen == <br />
Vom Menschen geschaffene Pionierstandorte sind für Heuschrecken wertvolle Sekundärhabitate geworden, da vielerorts die ursprünglichen Lebensräume (z.&nbsp;B. See- und Flussauen, Brandflächen, etc.) verschwunden sind. Der Erhalt der Pionierstandorte bedarf regelmässiger Pflegeeinsätze zur Verhinderung von Verfilzung und Verbuschung.<br />
Heuschrecken finden wertvolle Pionierflächen: <br />
* In Steinbrüchen und Kiesgruben <br />
* In Weinbergen<br />
* In Sand-, Lehmgruben und Mergelgruben <br />
* An Bahnhöfen und Gleisen<br />
* Auf Industriebrachen<br />
<br />
== Wiederansiedlung von Tieren ==<br />
Die Wiederansiedelung von ehemals vorkommenden Heuschrecken kann nur eine letzte Alternative im Naturschutz sein, da primär immer der Schutz der vorhandenen Populationen im Fokus steht und die Wiederansiedlung sehr aufwändig ist. Für eine erfolgreiche Wiederansiedlung ist es notwendig, eine sorgfältige Ansiedlungs-Strategie zu erarbeiten und die [https://portals.iucn.org/library/efiles/documents/2013-009.pdf Richtlinien der IUCN zur Wiederansiedlung] strikt zu befolgen. Die Wiederansiedlung von Heuschrecken ist bewilligungspflichtig und soll Spezialisten überlassen werden, weshalb hier nicht näher darauf eingegangen wird.<br />
<br />
<br />
{{Foto-rechts-quer<br />
| bilddatei = GSM-5012435629 6b68a9c506 b Ephipiger cfr diurnus female.jpg<br />
| text = Die Westliche Sattelschrecke (''Ephippiger diurnus'') besiedelt trockene und lückige Wiesen und Waldränder. Sie gehört zu den stark gefährdeten Arten. <br />
}}<br />
<br />
= Artenschutz =<br />
Viele Heuschreckenarten brauchen aufgrund ihrer Ansprüche an den Lebensraum ganz spezifische Fördermassnahmen. Die Priorisierung der gefährdeten Arten gemäss ihrem Förderbedarf kann der [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/liste-national-prioritaeren-arten.html Liste der National Prioritären Arten (2011)] entnommen werden. Eine wichtige Grundlage für die Förderung sind auch die in der [http://www.cscf.ch/cscf/de/home/wissenschaftliche-aktivitaten/fauna-indicativa.html Fauna Indicativa] zusammengestellten Präferenzen und Eigenschaften der einzelnen Arten.<br />
<br />
Es gibt nur wenige Praxisinformationen zum spezifischen Artenschutz von Heuschrecken. In der Schweiz wurde bisher nur für die Blauflügelige Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') eine [http://kbnl.ch/wp-content/uploads/2016/11/webseite_Ocaerulescens.pdf Zusammenfassung zur Best Practice der Artenförderung] und ein [http://www.aln.zh.ch/internet/baudirektion/aln/de/naturschutz/artenfoerderung/ap_fa/oedland/_jcr_content/contentPar/downloadlist/downloaditems/40_1298476571873.spooler.download.1387468488719.pdf/Oedipoda_caerulescens_AP.pdf Schutzkonzept vom Kanton Zürich] erstellt. <br />
In den Nachbarländern wurden folgenden Publikationen zu Fördermassnahmen erstellt: <br />
<br />
'''Deutschland'''<br />
* [http://www.nlwkn.niedersachsen.de/naturschutz/natura_2000/vollzugshinweise_arten_und_lebensraumtypen/vollzugshinweise-fuer-arten-und-lebensraumtypen-46103.html#Wirbellose Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz. Niedersächsische Strategie zum Arten- und Biotopschutz]<br />
'''Österreich''' <br />
* [http://www.zobodat.at/pdf/NaturschutzbundBgld_9_2013_0001-0160.pdf Zuna-Kratky, T. et. al. (2013). Schutzprogramm für die gefährdeten Heuschrecken des Nordburgenlands]<br />
'''Niederlande''' <br />
* [http://repository.naturalis.nl/document/161506 Schut, D. et al. (2008). Actieplan prioritaire Sprinkhanen in Noord-Brabant]<br />
<br />
= Gefährdung =<br />
Von den 105 für die [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html Rote Liste 2007] untersuchten Heuschreckenarten sind fast 40% bedroht. Am stärksten gefährdet sind die Pionierarten entlang von Gewässern sowie die Arten der Flach- und Hochmoore. Die Erhaltung der letzten Populationen dieser Arten ist daher von grosser Bedeutung.<br />
Die grössten Gefährdungsursachen für alle Heuschreckenarten sind:<br />
* Verlust und Fragmentierung des Lebensraums durch Veränderung der Landnutzung, z.&nbsp;B. durch Umwandlung von Grünland in Äcker, Urbanisierung oder Industrialisierung<br />
* Intensivierung der Nutzung, insbesondere der Einsatz von Mähmaschinen und Mähaufbereitern, sowie Düngung und Erhöhung der Anzahl Schnitte pro Jahr, sowie höhere Viehdichten auf kleinerem Raum<br />
* Mangelnde (natürliche) Prozesse zur Offenhaltung der Landschaft und von Bodenstellen, Homogenisierung der Landschaft<br />
* Verdichtung der Vegetation durch Eutrophierung<br />
* Einsatz von Insektiziden<br />
<br />
Weitere Gefährdungsursachen in Bezug auf die Lebensraumbindung sind:<br />
* Grünlandarten: Intensive Beweidung oder häufige Mahd, Verbuschung oder Verkrautung durch Verbrachung, Verarmung der Pflanzenvielfalt, Düngung von Wiesen und Weiden <br />
* Feuchtgebietsarten: Veränderungen im Gewässerhaushalt von Feuchtgebieten, intensivere landwirtschaftliche Nutzung von Feuchtwiesen <br />
* Wald- und Waldrandarten: Fehlende Stufenstruktur des Waldrandes (Strauch- und Krautschicht), Entfernung von Hecken, Kleinstrukturen und Felsen, Intensivierung der Forstwirtschaft, Einsatz von Bioziden, Anbau von Monokulturen, touristische Nutzung (insbesondere mit Ski & Mountainbike)<br />
* Pionierarten: Verbauungen der Fliessgewässer und Eingriffe in den Geschiebehaushalt, Veränderungen des Gewässerhaushaltes und der Gewässerdynamik, Verbuschung und Verkrautung der Offenflächen<br />
<br />
= Wissenslücken =<br />
Die Wissenslücken sind nicht abschliessend und fokussieren besonders auf die Förderung.<br />
* Erfolgreiche Förderung seltener Arten<br />
* Minimale überlebensfähige Populationsgrössen <br />
* Vernetzung von Heuschreckenpopulationen unterschiedlicher Arten und Artenzusammensetzungen<br />
* Habitatspezifische Auswirkungen der Grünlandnutzung: lässt sich das auf Trockenrasen gewonnene Wissen bspw. auf Feuchtwiesen übertragen?<br />
* Barrierewirkung mehrspuriger Strassen (Autobahnen)<br />
* Auswirkungen vom Klimawandel, insbesondere langer Dürreperioden oder Starkregen<br />
<br />
= Praxisbeispiele =<br />
Für Heuschrecken haben wir nur ein Praxisbeispiel gefunden, welches die durchgeführten Massnahmen ausführlich beschreibt und eine Erfolgsuntersuchung beinhaltet. Daher freuen wir uns über Ihre [http://biodivers.ch/index.php/kontakt.html Vorschläge per Email.]<br />
* [http://www.parcs.ch/nwp/pdf_public/2014/26962_20140130_123116_Kurth_Salome_2007.pdf Kurth, S. (2007). Planning a migration corridor for the highly endangered grasshopper Chorthippus pullus (Orthoptera, Acrididae) in the Rottensand (Pfynwald, VS)] <br />
: Für den Kiesbankgrashüpfer wurde im Pfynwald ein Migrationskorridor errichtet und die anschliessende Nutzung beobachtet.<br />
<br />
= Allgemeine Links=<br />
* [http://lepus.unine.ch/carto/ Centre Suisse de Cartographie de la Faune (CSCF). Verbreitungskarten der Schweizer Tierarten]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken]<br />
* [http://www.orthoptera.ch Orthoptera Schweiz. Heuschrecken-Plattform für die Schweiz und Europa ]<br />
* [http://www.orthoptera.ch/links Orthoptera Schweiz. Linkliste der Heuschrecken-Webseiten Europas und weltweit] <br />
<br />
== Glossar und weitere spannende Links ==<br />
* [https://www.orthoptera.ch/glossar Glossar von orthoptera.ch]<br />
* [http://www.biofotoquiz.ch/biofotoquiz/index.php?domain=standard&classID=278 Biofotoquiz]<br />
: Quiz mit Fotos von Heuschrecken und anderen Tier- und Pflanzenarten zum Kennenlernen der Arten.<br />
* [https://offene-naturfuehrer.de/web/Heuschreckenarten_nach_einfachen_Merkmalen_bestimmen_(Bayern) Heuschreckenarten nach einfachen Merkmalen bestimmen (Bayern)]<br />
: Wiki-Bestimmungsschlüssel für die Heuschrecken von Bayern. Der Leser wird anhand der Merkmale geführt, die Kenntnis von Fachbegriffen wird vorausgesetzt. <br />
* [http://www.andre-rey.ch/cms/fileadmin/pdf/Heuschecken_Bestimmungsschluessel_Suedalpen.pdf Fontana et al. (2002). Heuschrecken-Bestimmungsschlüssel für die östlichen Südalpen]<br />
: Bestimmungsschlüssel mit detaillierten Zeichnungen der Merkmale. <br />
* [http://www.orthoptera.ch/info-app-wiki/orthoptera-app Orthoptera-App]<br />
: Die Heuschrecken Bestimmungs-App für iphone und Android enthält zu jeder Art zahlreiche Fotos, Stimmaufzeichnungen und Hintergrundinformationen. Beobachtungen können in der App eingegeben und so dem CSCF gemeldet werden.<br />
<br />
= Literaturempfehlungen =<br />
* Detzel, P. (1998). Die Heuschrecken Baden-Württembergs. Stuttgart Hohenheim, Ulmer.<br />
: Bisher immer noch das beste Buch zur praxisnahen Ökologie und Massnahmen zur Förderung von Heuschrecken. Die Aufwertungs-Massnahmen sind an einzelne Arten und Lebensräume angepasst. Als genereller Leitfaden sind sie sehr gut, umsetzungsorientierte Anleitungen fehlen. Alles in allem ein gutes Buch für den Anfang, eine Weiterentwicklung ist aber dringend notwendig.<br />
* Ingrisch, S. & Köhler, G. (1998). Die Heuschrecken Mitteleuropas. Vol. Bd. 629. Magdeburg, Westarp Wissenschaften.<br />
: Sehr ausführliches und allgemeines Buch zur Biologie, Populationsdynamiken und Lebensräumen der Heuschrecken, weniger zur Biotopaufwertung und zu Fördermassnahmen. Trotz dem Alter immer noch lesenswert und informativ. <br />
* Schlumprecht, H. & Waeber, G. (2003). Heuschrecken in Bayern. Stuttgart Hohenheim. Ulmer. <br />
: Sehr ausführlicher Bestimmungs-Atlas mit vielen Informationen zur Lebensweise und den Lebensräumen der einzelnen Arten. Zu Gefährdung und Schutz gibt es Beispiele aus dem bayrischen Raum und Ratschläge zur Aufwertung für jede Art.<br />
* Maas, S., Detzel, P. & Staudt, A. (2002). Gefährdungsanalyse der Heuschrecken Deutschlands - Verbreitungsatlas, Gefährdungseinstufung und Schutzkonzepte. Bonn-Bad Godesberg, Bundesamt für Naturschutz.<br />
: Ausführlicher Atlas zu den Heuschreckenarten in Deutschland mit Gefährdungsanalysen und Informationen zu Habitaten, Biologie und Verbreitung der einzelnen Arten. Die Angaben zur Aufwertung von Lebensräumen sind kurz gehalten.<br />
* [http://dgfo-articulata.de/articulata Articulata - Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Orthopterologie] <br />
: In der Zeitschrift der DGFO erscheinen regelmässig Artikel zur Förderung von Heuschrecken, ältere Artikel können als PDF heruntergeladen werden.<br />
<br />
== Bestimmungsbücher ==<br />
* Baur, B., Bauer, H., Rösti, C., & Rösti, D. (2006). Die Heuschrecken der Schweiz. Bern, Haupt Verlag.<br />
: Intuitiver Bestimmungsschlüssel für die Schweizer Heuschreckenarten mit sehr schönen Detail-Zeichnungen. Enthält Verbreitungskarten und Erklärungen zu den wichtigsten Merkmalen.<br />
* Fischer, J., Steinlechner, D., Zehm, A., Poniatowski, D., et al., Hrsg. Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (2016). Die Heuschrecken Deutschlands und Nordtirols: Bestimmen - Beobachten - Schützen. Wiebelsheim Hunsrück, Quelle & Meyer.<br />
: Dieses Buch sticht positiv heraus. Es enthält Detailfotos der Bestimmungsmerkmale der Adultiere und Nymphen, eine Darstellung der Hauptaktivitätszeit aller Arten im Jahresverlauf und vieles mehr.<br />
* Weitere nationale und internationale Bestimmungsbücher sind auf [http://www.orthoptera.ch/literatur Orthoptera.ch] aufgeführt.<br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers ]|| info@biodivers.ch<br />
|-<br />
| Review|| [http://www.goeg.de/kontakt Prof. Dr. Peter Detzel] || [http://www.goeg.de/ Gruppe für ökologische Gutachten] <br />
|-<br />
| || [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Dr. Axel Hochkirch] || [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Universität Trier] <br />
|-<br />
| || [https://www.naturalis.nl/en/science/researchers/roy-kleukers Roy Kleukers] || [https://www.naturalis.nl/en Naturalis Biodiversity Center] <br />
|-<br />
| || [https://www.orthoptera.ch/ueber-uns Florin Rutschmann] || [http://www.pronatura-aargau.ch/cms/index.php?id=4&no_cache=1 Pro Natura Aargau] <br />
|}<br />
<br />
<!-- biodivers-Links zu Arten: Kiesbankgrashüpfer Chorthippus pullus, Blauflügelige Ödlanschrecke Oedipoda caerulescens → Aktionsplandrehscheibe, Grüne Heupferd Tettigonia viridissima, Alpenschrecke Anonconotus alpinus <br />
biodivers-Links zu Lebensräumen: Kleinstrukturen, Hecke, Stillgewässer (mehrfach), Fliessgewässer (mehrfach), Wald und Waldrand (mehrfach), Feuchtgebiete, Sumpf, Grünland, Trockenwiesen und Trockenweisen, Entbuschung von Trockenwiesen (mehrfach)--></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Heuschrecken&diff=4694
Heuschrecken
2023-03-04T17:27:44Z
<p>VB2: </p>
<hr />
<div>[[fr:Orthoptères]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = JM 29293745804 8952ea6513 h.jpg<br />
| text = Die Sumpfschrecke (''Stethophyma grossum'') besiedelt feuchte Wiesen und Flachmoore.<br />
}}<br />
<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers]<br />
|-<br />
| Review || [http://www.goeg.de/ueber-uns/team Prof. Dr. Peter Detzel], [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Dr. Axel Hochkirch], [https://www.naturalis.nl/en/science/researchers/roy-kleukers Roy Kleukers] & [http://www.orthoptera.ch/ueber-uns Florin Rutschmann]<br />
|-<br />
| Publikation || Juli 2017<br />
|}<br />
<br /><br />
{{TOC limit|2}}<br />
= Zusammenfassung =<br />
Über 100 Heuschreckenarten bereichern unsere Fauna und überraschen uns mit Flug-, Grab- oder Klangkünsten sowie ihrer Farben- und Formenvielfalt. Heuschrecken (Orthopteren) sind wärmeliebende Kulturfolger. Die meisten Arten beherbergt das Grünland, ob trocken oder feucht, gemäht oder beweidet. Einige Arten leben in lichten Wäldern und auf Pionierflächen der Flussauen und Geröllhalden. Viele Heuschreckenarten sind auf eine hohe Strukturvielfalt auf kleinem Raum angewiesen, da ihre durchschnittliche Ausbreitungsdistanz weniger als ein Kilometer beträgt.<br />
<br />
Für alle Arten ist die Offenhaltung ihrer Lebensräume zentral. Die Wiederherstellung der natürlichen Dynamiken oder die regelmässige, extensive Bewirtschaftung der besiedelten Flächen ist daher wichtig. Bei der Mahd ist darauf zu achten, ein Mosaik aus Rückzugsstreifen und Flächen mit unterschiedlichen Mahdzeitpunkten zu schaffen. Bei der Begrünung sind eine geringe Distanz zu besiedelten Flächen und eine lückige Ausbringung vorteilhaft. Von den über 100 einheimischen Heuschreckenarten stehen 40% auf der Roten Liste. Insbesondere die Arten der Pionierflächen haben einen erhöhten Förderbedarf. <br />
<br />
= Systematik =<br />
Heuschrecken werden in zwei leicht unterscheidbare Gruppen eingeteilt. Bei den Langfühlerschrecken (Ensifera) sind die Fühler gleich lang oder länger als der Körper und haben mindestens 30 Fühlerglieder, während sie bei den Kurzfühlerschrecken (Caelifera) kürzer als der Körper sind. Die Weibchen der Langfühlerschrecken besitzen meist einen auffälligen Legebohrer, im Gegensatz zu den kurzen Legeröhrenklappen bei den Kurzfühlerschrecken. Nur die Maulwurfsgrille gehört auch ohne lange Fühler und Legebohrer zu den Langfühlerschrecken. <br />
Mehr zur Systematik der Heuschrecken auf [https://de.wikipedia.org/wiki/Heuschrecken Wikipedia].<br />
<br />
=Praxisrelevante Ökologie=<br />
== Lebensräume ==<br />
Heuschrecken besiedeln die meisten terrestrischen Lebensräume bis auf 3'100&nbsp;m&nbsp;ü.&nbsp;M. Sie kommen in extensiven Wiesen und Weiden, Brachen, Weinbergen, Wäldern, Feuchtgebieten, Mooren und Flussauen vor. Heuschrecken können allgemein als wärmeliebende Kulturfolger bezeichnet werden, die in stark vom Menschen geprägten Landschaften leben. So können Kiesgruben und Steinbrüche viele seltene Arten beherbergen, wenn sie offengehalten und extensiv gepflegt werden. Im Siedlungsgebiet finden Heuschrecken eine Vielfalt an Kleinlebensräumen auf Industriebrachen und grossen Güterbahnhöfen, Schotterplätzen und in Ruderalflächen. Für seltene Arten sind Parks, Gärten und Flachdächer als Lebensraum wenig relevant, als Trittsteine können sie aber beim Erreichen neuer Lebensräume helfen. <br />
<br />
{{Fotos-links-1000px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Lebensraeuume_Gruppen_PZ.png<br />
| text = Zu den wichtigsten Lebensräumen für Heuschrecken zählen magere Wiesen, Moorlandschaften, lückige Wälder und Blocksteinhalden.<br />
}}<br />
<br />
Da nahezu alle Heuschrecken licht- und wärmeliebend sind, brauchen sie in ihren Lebensräumen Offenflächen bzw. lückige Pflanzenbestände. Die Bindung an das Habitat erfolgt weniger aufgrund bestimmter Pflanzengesellschaften, als aufgrund der benötigten Strukturen und der mikroklimatischen Verhältnisse. Entscheidend sind Dichte und Höhe der Vegetation, sowie Temperatur und Feuchtigkeit. Mosaikartige Lebensräume mit einer Vielfalt an Strukturen sind für eine hohe Heuschreckenvielfalt optimal. So leben an Lebensraum-Übergängen, wie Waldrändern mit Feuchtwiesen oder Hecken entlang von extensiven Wiesen, besonders viele Arten. Für den Erhalt von Offenflächen und Strukturreichtum sind regelmässige Pflegeeinsätze notwendig, wenn natürliche Dynamiken fehlen.<br />
<br />
Die Schweizer Heuschreckenarten können bezüglich ihrer Lebensraumbindung in vier Gruppen unterteilt werden (aus: [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken]) <br />
# Grünlandarten in Trockenwiesen und -weiden (43 Arten)<br />
# Sumpf- und Feuchtgebietsarten in Flach- und Hochmooren (11 Arten)<br />
# Wald- und Waldrandarten sowie Gebüscharten, vor allem in tieferen Lagen (24 Arten)<br />
# Pionierarten in Auen, Felsplatten, Geröllhalden oder Karst (25 Arten)<br />
<br />
==Merkmale und Vermehrung==<br />
Heuschrecken sind durch ihre Körperform, ihr Verhalten und ihre Körperfärbung an ihren Lebensraum angepasst und häufig gut getarnt. Die Körperfärbung kann innerhalb einer Art stark variieren und ist daher meist kein spezifisches Unterscheidungsmerkmal. Die Körperfärbung ist nicht immer genetisch festgelegt, sondern kann sich während der Entwicklung verändern und der Färbung der Umgebung anpassen. Adulte Tiere können ihre Farbe dagegen nicht mehr wechseln, aber ggf. noch nachdunkeln.<br />
<br />
Heuschrecken durchlaufen eine hemimetabole (unvollkommene) Entwicklung. Nach dem Schlupf sind die sogenannten Nymphen schon als Heuschrecken zu erkennen und werden mit jeder Häutung dem adulten Tier ähnlicher. Grillen brauchen bis zu 12 Häutungen, bis sie ausgewachsen sind, Laubheuschrecken 5 bis 7 und Kurzfühlerschrecken 4 bis 5 Häutungen. Erst nach der letzten Häutung bilden sich die Flügel und Geschlechtsorgane vollständig aus. Die meisten Heuschrecken sind einjährig, ihre Nymphen schlüpfen im Zeitraum von Frühling bis Sommer. Adulte Tiere sind von Sommer bis Herbst zu finden, das Auftreten richtet sich vor allem nach der Höhenstufe und den mikroklimatischen Verhältnissen. Nur Grillen (Gryllidae) und Dornschrecken (Tetrigidae) überwintern in einem der Nymphenstadien oder als adulte Tiere und treten entsprechend früh im Jahr auf. <br />
<br />
Die Paarung erfolgt einige Tage bis wenige Wochen nach der letzten Häutung und schon wenige Tage später beginnt die Eiablage. Die Weibchen der meisten Heuschreckenarten legen ihre Eier im Boden oder an der Basis von Gräsern ab. Andere Arten legen ihre Eier in rissige Baumrinde und markhaltige Pflanzenteile oder heften sie an Halme und Blätter. Die Langfühlerschrecken können mit dem Legebohrer ihre Eier tiefer in den Boden legen als die Kurzfühlerschrecken. Bei den meisten heimischen Arten dauert die Entwicklung der Eier bis zum Schlupf vom Herbst bis zum nächsten Frühling, bei einigen auch mehrere Jahre. <br />
<br />
Die Feuchte- und Temperatur-Ansprüche der Eier sind bei Heuschrecken entscheidend für die Habitatbindung der Arten. Arten der Feuchthabitate können oft nicht überleben, wenn ihre Eier im Winter nicht genügend feucht sind. Sie brauchen eine Periode der Überflutung. Feldheuschrecken der trockenen Habitate haben eine längere Eientwicklung nach dem Winter und benötigen höhere Bodentemperaturen. Die notwenigen Temperaturen werden erreicht, wenn Sonnenstrahlen offene Bodenstellen erwärmen. Andere Arten, die in höherer, dichterer Vegetation leben, kommen auch mit geringer Sonneneinstrahlung zurecht. So gibt es einige Spezialisten unter den Heuschrecken, mit ganz spezifischen Ansprüchen an ihren Lebensraum. Der Kiesbankgrashüpfer (''Chorthippus pullus'') lebt in der Schweiz z.&nbsp;B. ausschliesslich auf vegetationsarmen Kiesbänken grosser Alpenflüsse.<br />
<br />
{{Fotos-links-1000px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Eiablage_Lebensraum-Fluegel.png<br />
| text = Von links nach rechts: Die Laubholz-Säbelschrecke (''Barbitistes serricauda'') legt ihre Eier in Gehölze mit strukturreicher Borke ab. Der Kiesbankgrashüpfer (''Chorthippus pullus'') kommt nur entlang der grossen Alpenflüsse vor. Die Gewöhnliche Gebirgsschrecke (''Podisma pedestris'') kann aufgrund der verkümmerten Flügel nicht fliegen.<br />
Das Grüne Heupferd (''Tettigonia viridissima'') ist ein Langstreckenflieger unter den Heuschrecken.<br />
}}<br />
<br />
==Populationsgrössen und Ausbreitung ==<br />
Die Populationsgrösse kann zwischen den Jahren stark schwanken. Schon ein Kälteeinbruch oder eine längere Regenphase im Frühsommer können zu einem starken Populationsrückgang führen. Einzelbeobachtungen weisen darauf hin, dass auch kleine Populationen mit weniger als 50 Tieren über mehrere Jahre existieren können, wenn die Habitatqualität nicht abnimmt. <br />
<br />
Die meisten Heuschreckenarten sind sesshaft und bewegen sich in einem Umkreis von wenigen Metern bis maximal 1&nbsp;km. Bei vielen Arten sind die Flügel verkümmert (z.&nbsp;B. bei der Gewöhnlichen Gebirgsschrecke ''Podisma pedestris''). Es gibt aber auch einzelne Langstreckenflieger, wie das Grüne Heupferd (''Tettigonia viridissima''), das in einem Sommer Distanzen von mehreren Kilometern zurücklegen kann. Hohe Bestandsdichten können die Ausbreitung von sesshaften Arten erhöhen, da bei Dichtestress die Mobilität steigt und makroptere (langflügelige) Tiere auftreten können, deren Flügel deutlich länger sind als üblich. Mit verlängerten Flügeln können auch Arten, die üblicherweise flugunfähig sind, weitere Distanzen überqueren. Ungenügend untersucht ist die Ausbreitung von Eiern und Tieren durch passiven Transport, z.&nbsp;B. durch Fliessgewässer, den Bahnverkehr, durch Verfrachtung mit Mahdgut oder mit Weidetieren. Bei manchen Arten scheint diese Art der Verbreitung jedoch gut zu funktionieren, da immer wieder fernab von bekannten Populationen Einzeltiere oder kleine Initialpopulationen gefunden werden.<br />
<br />
== Fauna Indicativa ==<br />
Die [http://www.cscf.ch/cscf/de/home/projekte/fauna-indicativa.html Fauna Indicativa] ist ein Nachschlagewerk sowie ein Werkzeug für die Auswertung faunistischer Daten. Sie charakterisiert in Tabellenform ökologische Präferenzen und biologische Eigenschaften aller in der Schweiz einheimischen Heuschrecken.<br />
<br />
=Erhalt und Förderung=<br />
==Allgemeine Massnahmen ==<br />
===Grünland- und Feuchtgebietsarten ===<br />
* Extensive Bewirtschaftung von Wiesen und Weiden und Verzicht auf schwere Maschinen, insbesondere in Feuchtgebieten<br />
* Verzicht auf das Ausbringen von Kunstdünger und Bioziden, insbesondere Insektiziden<br />
* Förderung von Biodiversitätsförderflächen (BFF) mit Qualitätsstufe QII<br />
* Verzicht auf die Bewässerung von Trockenwiesen und Steppen<br />
* Eindämmung der Verbuschung und Verbrachung von Trockenwiesen- und weiden<br />
* Verzicht auf die Entwässerung von Feuchtgebieten und Wiederherstellung des natürlichen Wasserregimes<br />
* Erhalt von Weiden, da in der Regel mit heterogener Struktur und artenreicher, ausser bei einschüriger Mahd <br />
* Schutz und Wiederherstellung von Feuchtgebieten<br />
* Anlage und Pflege von Stillgewässern, insbesondere mit flachen Uferzonen<br />
<br />
===Wald- und Waldrandarten===<br />
* Aufwertung und Schaffung gestufter Waldränder mit einer Krautschicht<br />
* Erhalt alter Baumbestände, Biotopbäume und Hecken mir ihren Säumen<br />
* Auflichtung der Wälder und Böschungen, damit sie gut besonnt sind<br />
* Extensive Pflege der Weg- und Hangböschungen<br />
* Standortgerechter Waldbau, Verzicht auf Monokulturen (bspw. Fichten)<br />
* Umwandlung von Monokulturen in natürliche Wälder mit mehreren Baumarten<br />
* Verzicht auf den Einsatz von Düngemitteln und Bioziden<br />
<br />
===Pionierarten an Fliessgewässern ===<br />
(Übernommen aus: [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken])<br />
* Revitalisierung der Fliessgewässer, bevorzugt von Pionierarten besiedelte Standorten <br />
* Verzicht auf die Zuschüttung oder Eindämmung von besiedelten Uferflächen<br />
* Verzicht auf jeglichen Abbau der Sand-, Kies- oder Steinbänke innerhalb, ober- und unterhalb besiedelter Flächen<br />
* Zulassen von regelmässigen, genügend intensiven Hochwassern, um den natürlichen Abtrag der mit Vegetation bewachsenen Bänke in Auen zu gewährleisten<br />
* Gewährleisten von periodischen Ablagerungen von Sedimenten an besiedelten Standorten, um die Regeneration von Sedimentbänken in Auen sicherzustellen<br />
* Revitalisierung möglichst vieler Fliessgewässer, um über die Schaffung von potenziell günstigen Standorten die Wiederbesiedlung von verlassenen Gegenden zu fördern<br />
<br />
{{Foto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Mosaik_aus_Gruenlandtypen_-_Suedschwarzwald_-_IMG_7876b.jpg<br />
| text = Der Strukturreichtum dieser Flächen bietet Grünlandarten einen idealen Lebensraum.<br />
}}<br />
<br />
== Strukturreiche Flächen schaffen und schützen ==<br />
Für Heuschrecken sind weniger die typischen [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen Kleinstrukturen] wichtig wie [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen#Die_einzelnen_Kleinstrukturen Ast- oder Steinhaufen], als vielmehr offene Bodenstellen (u.&nbsp;a. für die Eiablage) und Strukturen, die Wärme aufnehmen und speichern, wie felsige Bereiche, [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Pionierfl%C3%A4chen Kiesflächen], feuchte Senken und [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Stillgew%C3%A4sser temporäre Tümpel]. Neu angelegte Strukturen sollen eine minimale Fläche von 20&nbsp;m&sup2; pro ha haben. Natürliche Offenflächen und strukturreiche Flächen wie Moränen, Felsschutthalden, Kiesflächen und Verlandungszonen von [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Stillgew%C3%A4sser Stillgewässern] sind zu schützen und dürfen nicht zugeschüttet oder aufgeforstet werden.<br />
<br />
== Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts ==<br />
Viele gefährdete Heuschreckenarten sind auf eine extensive Beweidung oder regelmässige Mahd angewiesen, damit die Vegetation nicht zu dicht wird. Der optimale Schnittzeitpunkt ist artabhängig. Für Arten, die ihre Eier im Boden ablegen, ist eine Mahd zwischen Mai und August ungünstig. Für Arten, die ihre Eier an oder in Pflanzen ablegen, ist eine Mahd nach August und vor Mai problematisch. Die Bewirtschaftung kann aber auch schädlich sein. Verluste entstehen v.&nbsp;a. durch Mähaufbereiter und das Schwaden und Abführen des Mahdguts. Zur Verminderung der Verluste bei allen Arten ist bei der Mahd Folgendes zu beachten: <br />
<br />
* Es sollen möglichst wenige Schnitte erfolgen, optimaler Weise nur ein Schnitt pro Jahr<br />
* Frühmad: nicht ganzflächige durchführen; Spätmahd: nach dem Verblühen der meisten Pflanzen durchführen<br />
* Am besten ist eine differenzierte Pflege, d.&nbsp;h. ein Mosaik aus Flächen mit unterschiedlichen Mähzeitpunkten und Rückzugsstreifen, die nur alle 2 Jahre gemäht werden <br />
* Die Schnitthöhe soll mindestens 10&nbsp;cm betragen <br />
* Balkenmäher verursachen die niedrigste Schädigungsrate, Scheibenmähern die höchste; am schonendsten ist die Mahd mit der Sense <br />
* Das Schnittgut soll, damit sich die Tiere verteilen können, zum Trocknen liegen gelassen und stets abgeführt werden<br />
* Es sollen keine Mähaufbereiter eingesetzt werden<br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://www.buntewiese-tuebingen.de/app/download/6569219764/Hiller%202014%20Auswirkungen%20verschiedener%20Mahdkonzepte%20auf%20die%20Heuschreckenfauna%20st%C3%A4dtischer%20Gr%C3%BCnfl%C3%A4chen%20-%20Naturschutz%20und%20Landschaftsplanung.pdf?t=1490555371 Hiller, D. & Betz, O.(2014). Auswirkungen verschiedener Mahdkonzepte auf die Heuschreckenfauna städtischer Grünflächen]<br /><br />
<br />
'''Hintergrundinformationen'''<br /><br />
* [http://www.parcs.ch/npf/pdf_public/2014/30491_20141107_083216_MA_GrichtingStefan_2002.pdf Grichting, S. (2002). Heuschrecken (Orthoptera) von Trockensteppen und extensiv bewirtschafteten Wiesen im Pfynwald (VS, Schweiz)]<br />
: Studie zu den ökologischen Ansprüchen und der Verbreitung von Heuschrecken auf Wiesen mit unterschiedlichem Nutzungsgrad.<br /><br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/abashop?s=208&p=productdetail&sku=429&language=de Agridea (2011). Erntetechnik und Artenvielfalt in Wiesen]<br />
: Das Merkblatt zeigt die Auswirkungen verschiedener Mähtechniken und nachfolgender Ernteschritte auf die Artenvielfalt und gibt Empfehlungen für eine möglichst tierschonende Ernte. <br /><br />
<br />
==Rotationsbrachen anlegen und Altgrassstreifen stehen lassen ==<br />
Bei der Anlage von Rotationsbrachen und Altgrasstreifen ist auf das Vorkommen von Heuschreckenpopulation in der näheren Umgebung zu achten, da Heuschrecken oft nur geringe Ausbreitungsdistanzen haben. Als Rückzugsstreifen werden bei jedem Schnitt 10% der Wiese stehen gelassen.<br /><br />
<br />
'''Links'''<br />
* [http://www.agraroekologie.ch/NuL07-10_Mueller_Bosshard.pdf Müller, M. & Bosshard, B. (2012). Altgrasstreifen fördern Heuschrecken in Ökowiesen - Eine Möglichkeit zur Strukturverbesserung im Mähgrünland]<br />
: Studie zu den positiven Auswirkungen von Altgrasstreifen als Rückzugsraum bei der Mahd in extensiv genutzten Wiesen. <br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/2012_01_1723.pdf Duss, M. et al. (2012). Vernetzte Ökoflächen fördern Heuschrecken]<br />
: Studie zur Auswirkung eines Vernetzungsprojektes von ökologischen Ausgleichsflächen (öAF) auf die Verbreitung von 2 Heuschreckenarten. Die Grosse Goldschrecke (''Chrysochraon dispar'') profitiert von Altgrasstreifen.<br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/download.php?filename=2001_1112_102.pdf Peter, B. & Walter, T. (2001). Heuschrecken brauchen ökologische Ausgleichsflächen] <br />
: Vergleichende Untersuchungen vor und nach der Einführung von Biodiversitätsförderflächen (BFF) zeigt deren Wichtigkeit für Heuschrecken auf.<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Buntbrache_Altgrassstreifen_AK.png<br />
| text = Links und Mitte: Die Gemeine Sichelschrecke (''Phaneroptera falcata'') und die Langflüglige Schwertschrecke (''Conocephalus fuscus'') schätzen die hohe Vegetation von Buntbrachen. <br /><br />
Rechts: Die Grosse Goldschrecke (''Chrysochraon dispar'') profitiert von Altgrasstreifen.<br />
}}<br />
<br />
==Beweidung ==<br />
Für die Beweidung sollen möglichst traditionelle Rassen, bzw. leichte Tiere eingesetzt werden. Generell scheint Schaf-Hütehaltung besonders günstig für Heuschrecken zu sein. Die Viehdichte darf nicht zu hoch sein; der jährliche Besatz sollte 150 Grossvieheinheiten&sup1; pro Hektare (GVE/ha) nicht überschreiten. Es empfiehlt sich, eine Beweidung in Koppeln zu führen, womit ein ähnlicher Effekt erzielt wird wie mit einer Rotationsmahd. <br /><br />
<small><sup>1</sup>Die Beweidungsintensität ergibt sich aus dem Produkt von Besatzstärke in Grossvieheinheiten pro Hektare mal Anzahl Bestossungstagen (GVE/ha * dd). Je nach Grösse und Alter der Tiere ändert sich der Wert, der sich mit dem [https://www.agate.ch/portal/web/agate/gve-rechner GVE-Rechner des Bundesamtes für Landwirtschaft] genau ermitteln lässt.</small> <br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://www.pronatura.ch/de/2016/allegra-geissenpeter-ziegen-esel-und-rinder-weiden-fuer-die-biodiversitaet Pro Natura. Projekt „Allegra Geissenpeter“]<br />
: Pro Natura lanciert Projekte mit verschiedenen Weidetierarten, um die Trockenstandorte in den Alpen nachhaltig zu sichern, unter anderem zur Förderung der Heuschrecken. Die unterschiedlichen Projekte und die Ergebnisse der Erfolgskontrollen sind im [https://www.pronatura.ch/sites/pronatura.ch/files/2017-11/leitfaden_fuer_die_aufwertung_von_brachliegenden_trockenstandorten_durch_beweidung-beitraege_zum_naturschutz_in_der_schweiz_nr_37-2016_highres.pdf Leitfaden für die Aufwertung von brachliegenden Trockenstandorten durch Beweidung (2016)] zusammengefasst.<br />
<br />
== Direktbegrünung und Mahdgutübertragung ==<br />
Direktbegrünung und Mahdgutübertragung sind einer Ansaat vorzuziehen, da zusammen mit dem Pflanzenmaterial oder den Samen Insekten und Eier übertragen werden können. Dies ist insbesondere wichtig für Arten mit einem geringem Ausbreitungspotenzial. Das Saat- und Mahdgut sollte von [https://www.regioflora.ch/app/de/index.html Spenderflächen aus der nahen Umgebung] stammen, also [https://de.wikipedia.org/wiki/Autochthone_Art autochthon] sein, um die regionale genetische Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten zu erhalten. Für eine erfolgreiche Besiedlung sollen Empfängerflächen in maximal 1&nbsp;km Distanz, besser nur 500&nbsp;m, zu bereits besiedelten Flächen angelegt werden. Bei der Begrünung können kleine Bodenstelle langfristig offengehalten werden, indem Steine oder Feinsediment als Substrat eingebracht wird. <br />
<br />
'''Hintergrundinformation'''<br />
* [http://public.bibliothek.uni-halle.de/index.php/hercynia/article/viewFile/218/224 Elias, D. & Thiede, S. (2008). Verfrachtung von Heuschrecken (Insecta: Ensifera et Caelifera) mit frischem Mähgut im Wulfener Bruch (Sachsen-Anhalt)]: Diese Studie zeigt auf, dass die Mahdgutübertragung für Heuschrecken eine wichtige Rolle spielt, insbesondere für wenig mobile Arten.<br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/2001_07_71.pdf Bosshard, A. & Kuster, D. (2001). Bedeutung neu angelegter Extensivwiesen für Tagfalter und Heuschrecken]: Die Untersuchung zeigt, dass neu angelegte Extensivwiesen rasch von gefährdeten Heuschrecken- und Tagfalterarten besiedelt werden können.<br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [https://www.regioflora.ch/ Regio Flora - das Portal zur Förderung der regionalen Vielfalt im Grünland]: Umfassende Informationen zur Direktbegrünung von Wiesen und Weiden.<br />
* [https://www.regioflora.ch/de/assets/content/pdf/RF_Praxismerkblatt_D_download9.11.15.pdf Agridea (2015). Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft]: Leitfaden für die Praxis zum Einsatz von regionalem Saatgut in Biodiversitätsförderflächen.<br />
<br />
{{Foto-rechts-hoch<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Gewaesser_PZ.png<br />
| text = Die Ufer von Fliess- und Stillgewässern sind wichtige Verbreitungskorridore und sollen alternierend bewirtschaftet werden. <br />
}}<br />
<br />
== Feuchtgebiete und Trockenstandorte ==<br />
=== Ruderalstandorte und Säume entlang von Feuchtgebieten pflegen ===<br />
Zahlreiche Arten legen ihre Eier in Stängel von Pflanzen im Uferbereich von Still- und Fliessgewässern. Die Uferbereiche sind wichtige Verbreitungskorridore für die Tiere. Daher ist die extensive Pflege von Feuchtgebieten und Gräben das ganze Jahr über wichtig:<br />
* [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts|Mahd]] an den Ufern alternierend, an einem Ufer die Vegetation immer für ca. 1-2 Jahre stehen lassen <br />
* Säume am selben Ufer gestaffelt mähen und das Schnittgut abführen <br />
* Flächen nicht mulchen<br />
* Ruderalstandorte immer wieder abschnittweise stören durch extensive [[#Beweidung| Beweidung]] oder [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts | Mahd]], um die Verbuschung zu verhindern und [[#Strukturreiche Flächen schaffen und schützen| strukturreiche Flächen]] zu schaffen <br />
* Invasive Pflanzen zurückdrängen, insbesondere Flügelknöterich (''Fallopia'') und Drüsiges Springkraut (''Impatiens glandulifera'')<br />
<br />
=== Entbuschung von Trockenstandorten === <br />
Der Baum- und Strauchbewuchs soll bei grossen Standorten maximal 25% betragen, bei kleineren 10% oder weniger. Für die langfristige Offenhaltung der Trockenwiesen- und weiden eignen sich extensive Beweidung oder Mahd. Massnahmen zur Aufwertung von Trockenstandorten werden zu einem späteren Zeitpunkt bearbeitet.<br />
<br />
== Im Siedlungsgebiet ==<br />
=== Schotter- und Brachflächen extensiv pflegen ===<br />
Im Randbereich vom Siedlungsgebiet und auf Firmengeländen kann eine reiche Heuschreckenfauna entstehen, wenn grössere Offenflächen vorhanden sind. Dies können z.&nbsp;B. Schotter- und Industriebrachen sein, die einen lockeren Pflanzenbewuchs aufweisen. Diese Flächen sollen extensiv bewirtschaftet werden (siehe: [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts|Mahdkonzepte]]). Der Strukturreichtum kann gefördert werden, indem die Pflege nur abschnittweise erfolgt und zusätzliche [[#Strukturreiche Flächen schaffen und schützen| Kleinstrukturen]] angelegt werden.<br />
<br />
=== Begrünung und Pflege von Flachdächern ===<br />
Flachdächer können einigen Heuschreckenarten, z.&nbsp;B. der Blauflügeligen Sandschrecke (''Sphingonotus caerulans'') oder der Blauflügeligen Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') als Trittstein dienen. Dauerhafte Ansiedlungen von Populationen wurden bisher noch nicht beobachtet. Bei der Anlage der Dächer ist Folgendes wichtig: <br />
* Nur einheimische Pflanzen und Saatgut verwenden <br />
* Offene Stellen belassen und regelmässig neue Offenflächen durch Abtragung des Oberbodens schaffen <br />
* Sand, Kies und Steine in unterschiedlichen Korngrössen verwenden <br />
* Pflanzen extensiv und abschnittsweise pflegen <br />
* Strukturreichtum durch Kieshaufen, Holz, etc. sicherstellen <br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://docplayer.org/20659374-Die-blaufluegelige-sandschrecke-sphingonotus-caerulans-auf-den-extensiv-begruenten-daechern-der-europa-allee-zuerich.html Speck, M. & Brenneisen, S. (2014). Die Blauflügelige Sandschrecke (Sphingonotus caerulans) auf den extensiv begrünten Dächern der Europa-Allee in Zürich]<br />
: Diese Studie belegt das Vorkommen der Rote-Liste Art auf Flachdächern in Zürich. Die Blauflügelige Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') wurde in vorherigen Untersuchungen machgewiesen, die hier zitiert werden.<br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [https://www.stadt-zuerich.ch/ted/de/index/gsz/beratung-und-wissen/wohn-und-arbeitsumfeld/dachbegruenungen0.html Stadt Zürich. Dachbegrünung]: Umfassende Informationen zur Anlage und Pflege von Dachbegrünung mit vielen Praxisbeispielen.<br />
* [https://www.stadt.sg.ch/home/raum-umwelt/bauen-sanieren/natur-stadt.html Stadt St. Gallen, Amt für Umwelt und Energie (2014). Leitfaden Dachbegrünung]: Ausführliche Informationen zu Aufbau und extensiven Begrünungsarten von Flachdächern.<br />
<br />
{{Fotos-links-550px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Siedlungsgebiet.png<br />
| text = Der Blauflügeligen Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') und der Blauflügeligen Sandschrecke (''Sphingonotus caerulans'') können Flachdächer als Trittsteine in neue Lebensräume dienen.<br />
}}<br />
<br />
=== Wildblumenwiesen und Trockenflächen anlegen und pflegen === <br />
In Parks und Gärten können auch anspruchsvollere Heuschreckenarten vorkommen, wenn Folgendes beachtet wird:<br />
* Nur einheimisches Saatgut verwenden <br />
* Lückig säen und nicht düngen <br />
* Offene Bodenflächen belassen <br />
* Maximal 2-mal pro Jahr mit Balkenmäher oder Sense und abschnittsweise mähen <br />
* Brachflächen, Altgrassstreifen und Säume um Gebüsche und Gehölze von 5-10m abschnittsweise pflegen, um eine Zunahme der Verbuschung zu verhindern <br />
* Mahdgut abführen <br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [http://www.pronatura.ch/blumenwiesen?file=tl_files/dokumente_de/2_unsere_themen/lebensraeume/Wiesen/Pro_Natura_Praxis_Blumenwiese.pdf Pro Natura 2014. Blumenwiesen anlegen und pflegen]<br />
: Ausführliche Informationen zur Anlage und Pflege von grossen und kleinen (Wild-) Blumenwiesen.<br />
* [https://assets.wwf.ch/custom/biodiv/pdf/PRIV_Wiesenparadies.pdf WWF Schweiz 2010. Buntes Wiesenparadies mit einheimischen Wildblumen]<br />
: Schritt für Schritt Anleitung zur Anlage und Pflege von Wildblumenwiesen für Privathaushalte.<br />
* [https://assets.wwf.ch/downloads/priv_ruderalflaechen_1.pdf WWF Schweiz 2010. Lebendige Trockenstandorte mit Sand, Kies und Schotter]<br />
: Anleitung zur Anlage und Pflege von Trockenstandorten für Privathaushalte.<br />
<br />
== Sekundäre Pionierstandorte anlegen und pflegen == <br />
Vom Menschen geschaffene Pionierstandorte sind für Heuschrecken wertvolle Sekundärhabitate geworden, da vielerorts die ursprünglichen Lebensräume (z.&nbsp;B. See- und Flussauen, Brandflächen, etc.) verschwunden sind. Der Erhalt der Pionierstandorte bedarf regelmässiger Pflegeeinsätze zur Verhinderung von Verfilzung und Verbuschung.<br />
Heuschrecken finden wertvolle Pionierflächen: <br />
* In Steinbrüchen und Kiesgruben <br />
* In Weinbergen<br />
* In Sand-, Lehmgruben und Mergelgruben <br />
* An Bahnhöfen und Gleisen<br />
* Auf Industriebrachen<br />
<br />
== Wiederansiedlung von Tieren ==<br />
Die Wiederansiedelung von ehemals vorkommenden Heuschrecken kann nur eine letzte Alternative im Naturschutz sein, da primär immer der Schutz der vorhandenen Populationen im Fokus steht und die Wiederansiedlung sehr aufwändig ist. Für eine erfolgreiche Wiederansiedlung ist es notwendig, eine sorgfältige Ansiedlungs-Strategie zu erarbeiten und die [https://portals.iucn.org/library/efiles/documents/2013-009.pdf Richtlinien der IUCN zur Wiederansiedlung] strikt zu befolgen. Die Wiederansiedlung von Heuschrecken ist bewilligungspflichtig und soll Spezialisten überlassen werden, weshalb hier nicht näher darauf eingegangen wird.<br />
<br />
<br />
{{Foto-rechts-quer<br />
| bilddatei = GSM-5012435629 6b68a9c506 b Ephipiger cfr diurnus female.jpg<br />
| text = Die Westliche Sattelschrecke (''Ephippiger diurnus'') besiedelt trockene und lückige Wiesen und Waldränder. Sie gehört zu den stark gefährdeten Arten. <br />
}}<br />
<br />
= Artenschutz =<br />
Viele Heuschreckenarten brauchen aufgrund ihrer Ansprüche an den Lebensraum ganz spezifische Fördermassnahmen. Die Priorisierung der gefährdeten Arten gemäss ihrem Förderbedarf kann der [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/liste-national-prioritaeren-arten.html Liste der National Prioritären Arten (2011)] entnommen werden. Eine wichtige Grundlage für die Förderung sind auch die in der [http://www.cscf.ch/cscf/de/home/wissenschaftliche-aktivitaten/fauna-indicativa.html Fauna Indicativa] zusammengestellten Präferenzen und Eigenschaften der einzelnen Arten.<br />
<br />
Es gibt nur wenige Praxisinformationen zum spezifischen Artenschutz von Heuschrecken. In der Schweiz wurde bisher nur für die Blauflügelige Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') eine [http://kbnl.ch/wp-content/uploads/2016/11/webseite_Ocaerulescens.pdf Zusammenfassung zur Best Practice der Artenförderung] und ein [http://www.aln.zh.ch/internet/baudirektion/aln/de/naturschutz/artenfoerderung/ap_fa/oedland/_jcr_content/contentPar/downloadlist/downloaditems/40_1298476571873.spooler.download.1387468488719.pdf/Oedipoda_caerulescens_AP.pdf Schutzkonzept vom Kanton Zürich] erstellt. <br />
In den Nachbarländern wurden folgenden Publikationen zu Fördermassnahmen erstellt: <br />
<br />
'''Deutschland'''<br />
* [http://www.nlwkn.niedersachsen.de/naturschutz/natura_2000/vollzugshinweise_arten_und_lebensraumtypen/vollzugshinweise-fuer-arten-und-lebensraumtypen-46103.html#Wirbellose Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz. Niedersächsische Strategie zum Arten- und Biotopschutz]<br />
'''Österreich''' <br />
* [http://www.zobodat.at/pdf/NaturschutzbundBgld_9_2013_0001-0160.pdf Zuna-Kratky, T. et. al. (2013). Schutzprogramm für die gefährdeten Heuschrecken des Nordburgenlands]<br />
'''Niederlande''' <br />
* [http://repository.naturalis.nl/document/161506 Schut, D. et al. (2008). Actieplan prioritaire Sprinkhanen in Noord-Brabant]<br />
<br />
= Gefährdung =<br />
Von den 105 für die [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html Rote Liste 2007] untersuchten Heuschreckenarten sind fast 40% bedroht. Am stärksten gefährdet sind die Pionierarten entlang von Gewässern sowie die Arten der Flach- und Hochmoore. Die Erhaltung der letzten Populationen dieser Arten ist daher von grosser Bedeutung.<br />
Die grössten Gefährdungsursachen für alle Heuschreckenarten sind:<br />
* Verlust und Fragmentierung des Lebensraums durch Veränderung der Landnutzung, z.&nbsp;B. durch Umwandlung von Grünland in Äcker, Urbanisierung oder Industrialisierung<br />
* Intensivierung der Nutzung, insbesondere der Einsatz von Mähmaschinen und Mähaufbereitern, sowie Düngung und Erhöhung der Anzahl Schnitte pro Jahr, sowie höhere Viehdichten auf kleinerem Raum<br />
* Mangelnde (natürliche) Prozesse zur Offenhaltung der Landschaft und von Bodenstellen, Homogenisierung der Landschaft<br />
* Verdichtung der Vegetation durch Eutrophierung<br />
* Einsatz von Insektiziden<br />
<br />
Weitere Gefährdungsursachen in Bezug auf die Lebensraumbindung sind:<br />
* Grünlandarten: Intensive Beweidung oder häufige Mahd, Verbuschung oder Verkrautung durch Verbrachung, Verarmung der Pflanzenvielfalt, Düngung von Wiesen und Weiden <br />
* Feuchtgebietsarten: Veränderungen im Gewässerhaushalt von Feuchtgebieten, intensivere landwirtschaftliche Nutzung von Feuchtwiesen <br />
* Wald- und Waldrandarten: Fehlende Stufenstruktur des Waldrandes (Strauch- und Krautschicht), Entfernung von Hecken, Kleinstrukturen und Felsen, Intensivierung der Forstwirtschaft, Einsatz von Bioziden, Anbau von Monokulturen, touristische Nutzung (insbesondere mit Ski & Mountainbike)<br />
* Pionierarten: Verbauungen der Fliessgewässer und Eingriffe in den Geschiebehaushalt, Veränderungen des Gewässerhaushaltes und der Gewässerdynamik, Verbuschung und Verkrautung der Offenflächen<br />
<br />
= Wissenslücken =<br />
Die Wissenslücken sind nicht abschliessend und fokussieren besonders auf die Förderung.<br />
* Erfolgreiche Förderung seltener Arten<br />
* Minimale überlebensfähige Populationsgrössen <br />
* Vernetzung von Heuschreckenpopulationen unterschiedlicher Arten und Artenzusammensetzungen<br />
* Habitatspezifische Auswirkungen der Grünlandnutzung: lässt sich das auf Trockenrasen gewonnene Wissen bspw. auf Feuchtwiesen übertragen?<br />
* Barrierewirkung mehrspuriger Strassen (Autobahnen)<br />
* Auswirkungen vom Klimawandel, insbesondere langer Dürreperioden oder Starkregen<br />
<br />
= Praxisbeispiele =<br />
Für Heuschrecken haben wir nur ein Praxisbeispiel gefunden, welches die durchgeführten Massnahmen ausführlich beschreibt und eine Erfolgsuntersuchung beinhaltet. Daher freuen wir uns über Ihre [http://biodivers.ch/index.php/kontakt.html Vorschläge per Email.]<br />
* [http://www.parcs.ch/nwp/pdf_public/2014/26962_20140130_123116_Kurth_Salome_2007.pdf Kurth, S. (2007). Planning a migration corridor for the highly endangered grasshopper Chorthippus pullus (Orthoptera, Acrididae) in the Rottensand (Pfynwald, VS)] <br />
: Für den Kiesbankgrashüpfer wurde im Pfynwald ein Migrationskorridor errichtet und die anschliessende Nutzung beobachtet.<br />
<br />
= Allgemeine Links=<br />
* [http://lepus.unine.ch/carto/ Centre Suisse de Cartographie de la Faune (CSCF). Verbreitungskarten der Schweizer Tierarten]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken]<br />
* [http://www.orthoptera.ch Orthoptera Schweiz. Heuschrecken-Plattform für die Schweiz und Europa ]<br />
* [http://www.orthoptera.ch/links Orthoptera Schweiz. Linkliste der Heuschrecken-Webseiten Europas und weltweit] <br />
<br />
== Glossar und weitere spannende Links ==<br />
* [https://www.orthoptera.ch/glossar Glossar von orthoptera.ch]<br />
* [http://www.biofotoquiz.ch/biofotoquiz/index.php?domain=standard&classID=278 Biofotoquiz]<br />
: Quiz mit Fotos von Heuschrecken und anderen Tier- und Pflanzenarten zum Kennenlernen der Arten.<br />
* [https://offene-naturfuehrer.de/web/Heuschreckenarten_nach_einfachen_Merkmalen_bestimmen_(Bayern) Heuschreckenarten nach einfachen Merkmalen bestimmen (Bayern)]<br />
: Wiki-Bestimmungsschlüssel für die Heuschrecken von Bayern. Der Leser wird anhand der Merkmale geführt, die Kenntnis von Fachbegriffen wird vorausgesetzt. <br />
* [http://www.andre-rey.ch/cms/fileadmin/pdf/Heuschecken_Bestimmungsschluessel_Suedalpen.pdf Fontana et al. (2002). Heuschrecken-Bestimmungsschlüssel für die östlichen Südalpen]<br />
: Bestimmungsschlüssel mit detaillierten Zeichnungen der Merkmale. <br />
* [http://www.orthoptera.ch/info-app-wiki/orthoptera-app Orthoptera-App]<br />
: Die Heuschrecken Bestimmungs-App für iphone und Android enthält zu jeder Art zahlreiche Fotos, Stimmaufzeichnungen und Hintergrundinformationen. Beobachtungen können in der App eingegeben und so dem CSCF gemeldet werden.<br />
<br />
= Literaturempfehlungen =<br />
* Detzel, P. (1998). Die Heuschrecken Baden-Württembergs. Stuttgart Hohenheim, Ulmer.<br />
: Bisher immer noch das beste Buch zur praxisnahen Ökologie und Massnahmen zur Förderung von Heuschrecken. Die Aufwertungs-Massnahmen sind an einzelne Arten und Lebensräume angepasst. Als genereller Leitfaden sind sie sehr gut, umsetzungsorientierte Anleitungen fehlen. Alles in allem ein gutes Buch für den Anfang, eine Weiterentwicklung ist aber dringend notwendig.<br />
* Ingrisch, S. & Köhler, G. (1998). Die Heuschrecken Mitteleuropas. Vol. Bd. 629. Magdeburg, Westarp Wissenschaften.<br />
: Sehr ausführliches und allgemeines Buch zur Biologie, Populationsdynamiken und Lebensräumen der Heuschrecken, weniger zur Biotopaufwertung und zu Fördermassnahmen. Trotz dem Alter immer noch lesenswert und informativ. <br />
* Schlumprecht, H. & Waeber, G. (2003). Heuschrecken in Bayern. Stuttgart Hohenheim. Ulmer. <br />
: Sehr ausführlicher Bestimmungs-Atlas mit vielen Informationen zur Lebensweise und den Lebensräumen der einzelnen Arten. Zu Gefährdung und Schutz gibt es Beispiele aus dem bayrischen Raum und Ratschläge zur Aufwertung für jede Art.<br />
* Maas, S., Detzel, P. & Staudt, A. (2002). Gefährdungsanalyse der Heuschrecken Deutschlands - Verbreitungsatlas, Gefährdungseinstufung und Schutzkonzepte. Bonn-Bad Godesberg, Bundesamt für Naturschutz.<br />
: Ausführlicher Atlas zu den Heuschreckenarten in Deutschland mit Gefährdungsanalysen und Informationen zu Habitaten, Biologie und Verbreitung der einzelnen Arten. Die Angaben zur Aufwertung von Lebensräumen sind kurz gehalten.<br />
* [http://dgfo-articulata.de/articulata Articulata - Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Orthopterologie] <br />
: In der Zeitschrift der DGFO erscheinen regelmässig Artikel zur Förderung von Heuschrecken, ältere Artikel können als PDF heruntergeladen werden.<br />
<br />
== Bestimmungsbücher ==<br />
* Baur, B., Bauer, H., Rösti, C., & Rösti, D. (2006). Die Heuschrecken der Schweiz. Bern, Haupt Verlag.<br />
: Intuitiver Bestimmungsschlüssel für die Schweizer Heuschreckenarten mit sehr schönen Detail-Zeichnungen. Enthält Verbreitungskarten und Erklärungen zu den wichtigsten Merkmalen.<br />
* Fischer, J., Steinlechner, D., Zehm, A., Poniatowski, D., et al., Hrsg. Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (2016). Die Heuschrecken Deutschlands und Nordtirols: Bestimmen - Beobachten - Schützen. Wiebelsheim Hunsrück, Quelle & Meyer.<br />
: Dieses Buch sticht positiv heraus. Es enthält Detailfotos der Bestimmungsmerkmale der Adultiere und Nymphen, eine Darstellung der Hauptaktivitätszeit aller Arten im Jahresverlauf und vieles mehr.<br />
* Weitere nationale und internationale Bestimmungsbücher sind auf [http://www.orthoptera.ch/literatur Orthoptera.ch] aufgeführt.<br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers ]|| info@biodivers.ch<br />
|-<br />
| Review|| [http://www.goeg.de/kontakt Prof. Dr. Peter Detzel] || [http://www.goeg.de/ Gruppe für ökologische Gutachten] <br />
|-<br />
| || [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Dr. Axel Hochkirch] || [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Universität Trier] <br />
|-<br />
| || [https://www.naturalis.nl/en/science/researchers/roy-kleukers Roy Kleukers] || [https://www.naturalis.nl/en Naturalis Biodiversity Center] <br />
|-<br />
| || [https://www.orthoptera.ch/ueber-uns Florin Rutschmann] || [http://www.pronatura-aargau.ch/cms/index.php?id=4&no_cache=1 Pro Natura Aargau] <br />
|}<br />
<br />
<!-- biodivers-Links zu Arten: Kiesbankgrashüpfer Chorthippus pullus, Blauflügelige Ödlanschrecke Oedipoda caerulescens → Aktionsplandrehscheibe, Grüne Heupferd Tettigonia viridissima, Alpenschrecke Anonconotus alpinus <br />
biodivers-Links zu Lebensräumen: Kleinstrukturen, Hecke, Stillgewässer (mehrfach), Fliessgewässer (mehrfach), Wald und Waldrand (mehrfach), Feuchtgebiete, Sumpf, Grünland, Trockenwiesen und Trockenweisen, Entbuschung von Trockenwiesen (mehrfach)--></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Heuschrecken&diff=4693
Heuschrecken
2023-03-04T14:13:23Z
<p>VB2: /* Direktbegrünung und Mahdgutübertragung */</p>
<hr />
<div>[[fr:Orthoptères]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = JM 29293745804 8952ea6513 h.jpg<br />
| text = Die Sumpfschrecke (''Stethophyma grossum'') besiedelt feuchte Wiesen und Flachmoore.<br />
}}<br />
<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers]<br />
|-<br />
| Review || [http://www.goeg.de/ueber-uns/team Prof. Dr. Peter Detzel], [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Dr. Axel Hochkirch], [https://www.naturalis.nl/en/science/researchers/roy-kleukers Roy Kleukers] & [http://www.orthoptera.ch/ueber-uns Florin Rutschmann]<br />
|-<br />
| Publikation || Juli 2017<br />
|}<br />
<br /><br />
{{TOC limit|2}}<br />
= Zusammenfassung =<br />
Über 100 Heuschreckenarten bereichern unsere Fauna und überraschen uns mit Flug-, Grab- oder Klangkünsten sowie ihrer Farben- und Formenvielfalt. Heuschrecken (Orthopteren) sind wärmeliebende Kulturfolger. Die meisten Arten beherbergt das Grünland, ob trocken oder feucht, gemäht oder beweidet. Einige Arten leben in lichten Wäldern und auf Pionierflächen der Flussauen und Geröllhalden. Viele Heuschreckenarten sind auf eine hohe Strukturvielfalt auf kleinem Raum angewiesen, da ihre durchschnittliche Ausbreitungsdistanz weniger als ein Kilometer beträgt.<br />
<br />
Für alle Arten ist die Offenhaltung ihrer Lebensräume zentral. Die Wiederherstellung der natürlichen Dynamiken oder die regelmässige, extensive Bewirtschaftung der besiedelten Flächen ist daher wichtig. Bei der Mahd ist darauf zu achten, ein Mosaik aus Rückzugsstreifen und Flächen mit unterschiedlichen Mahdzeitpunkten zu schaffen. Bei der Begrünung sind eine geringe Distanz zu besiedelten Flächen und eine lückige Ausbringung vorteilhaft. Von den über 100 einheimischen Heuschreckenarten stehen 40% auf der Roten Liste. Insbesondere die Arten der Pionierflächen haben einen erhöhten Förderbedarf. <br />
<br />
= Systematik =<br />
Heuschrecken werden in zwei leicht unterscheidbare Gruppen eingeteilt. Bei den Langfühlerschrecken (Ensifera) sind die Fühler gleich lang oder länger als der Körper und haben mindestens 30 Fühlerglieder, während sie bei den Kurzfühlerschrecken (Caelifera) kürzer als der Körper sind. Die Weibchen der Langfühlerschrecken besitzen meist einen auffälligen Legebohrer, im Gegensatz zu den kurzen Legeröhrenklappen bei den Kurzfühlerschrecken. Nur die Maulwurfsgrille gehört auch ohne lange Fühler und Legebohrer zu den Langfühlerschrecken. <br />
Mehr zur Systematik der Heuschrecken auf [https://de.wikipedia.org/wiki/Heuschrecken Wikipedia].<br />
<br />
=Praxisrelevante Ökologie=<br />
== Lebensräume ==<br />
Heuschrecken besiedeln die meisten terrestrischen Lebensräume bis auf 3'100&nbsp;m&nbsp;ü.&nbsp;M. Sie kommen in extensiven Wiesen und Weiden, Brachen, Weinbergen, Wäldern, Feuchtgebieten, Mooren und Flussauen vor. Heuschrecken können allgemein als wärmeliebende Kulturfolger bezeichnet werden, die in stark vom Menschen geprägten Landschaften leben. So können Kiesgruben und Steinbrüche viele seltene Arten beherbergen, wenn sie offengehalten und extensiv gepflegt werden. Im Siedlungsgebiet finden Heuschrecken eine Vielfalt an Kleinlebensräumen auf Industriebrachen und grossen Güterbahnhöfen, Schotterplätzen und in Ruderalflächen. Für seltene Arten sind Parks, Gärten und Flachdächer als Lebensraum wenig relevant, als Trittsteine können sie aber beim Erreichen neuer Lebensräume helfen. <br />
<br />
{{Fotos-links-1000px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Lebensraeuume_Gruppen_PZ.png<br />
| text = Zu den wichtigsten Lebensräumen für Heuschrecken zählen magere Wiesen, Moorlandschaften, lückige Wälder und Blocksteinhalden.<br />
}}<br />
<br />
Da nahezu alle Heuschrecken licht- und wärmeliebend sind, brauchen sie in ihren Lebensräumen Offenflächen bzw. lückige Pflanzenbestände. Die Bindung an das Habitat erfolgt weniger aufgrund bestimmter Pflanzengesellschaften, als aufgrund der benötigten Strukturen und der mikroklimatischen Verhältnisse. Entscheidend sind Dichte und Höhe der Vegetation, sowie Temperatur und Feuchtigkeit. Mosaikartige Lebensräume mit einer Vielfalt an Strukturen sind für eine hohe Heuschreckenvielfalt optimal. So leben an Lebensraum-Übergängen, wie Waldrändern mit Feuchtwiesen oder Hecken entlang von extensiven Wiesen, besonders viele Arten. Für den Erhalt von Offenflächen und Strukturreichtum sind regelmässige Pflegeeinsätze notwendig, wenn natürliche Dynamiken fehlen.<br />
<br />
Die Schweizer Heuschreckenarten können bezüglich ihrer Lebensraumbindung in vier Gruppen unterteilt werden (aus: [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken]) <br />
# Grünlandarten in Trockenwiesen und -weiden (43 Arten)<br />
# Sumpf- und Feuchtgebietsarten in Flach- und Hochmooren (11 Arten)<br />
# Wald- und Waldrandarten sowie Gebüscharten, vor allem in tieferen Lagen (24 Arten)<br />
# Pionierarten in Auen, Felsplatten, Geröllhalden oder Karst (25 Arten)<br />
<br />
==Merkmale und Vermehrung==<br />
Heuschrecken sind durch ihre Körperform, ihr Verhalten und ihre Körperfärbung an ihren Lebensraum angepasst und häufig gut getarnt. Die Körperfärbung kann innerhalb einer Art stark variieren und ist daher meist kein spezifisches Unterscheidungsmerkmal. Die Körperfärbung ist nicht immer genetisch festgelegt, sondern kann sich während der Entwicklung verändern und der Färbung der Umgebung anpassen. Adulte Tiere können ihre Farbe dagegen nicht mehr wechseln, aber ggf. noch nachdunkeln.<br />
<br />
Heuschrecken durchlaufen eine hemimetabole (unvollkommene) Entwicklung. Nach dem Schlupf sind die sogenannten Nymphen schon als Heuschrecken zu erkennen und werden mit jeder Häutung dem adulten Tier ähnlicher. Grillen brauchen bis zu 12 Häutungen, bis sie ausgewachsen sind, Laubheuschrecken 5 bis 7 und Kurzfühlerschrecken 4 bis 5 Häutungen. Erst nach der letzten Häutung bilden sich die Flügel und Geschlechtsorgane vollständig aus. Die meisten Heuschrecken sind einjährig, ihre Nymphen schlüpfen im Zeitraum von Frühling bis Sommer. Adulte Tiere sind von Sommer bis Herbst zu finden, das Auftreten richtet sich vor allem nach der Höhenstufe und den mikroklimatischen Verhältnissen. Nur Grillen (Gryllidae) und Dornschrecken (Tetrigidae) überwintern in einem der Nymphenstadien oder als adulte Tiere und treten entsprechend früh im Jahr auf. <br />
<br />
Die Paarung erfolgt einige Tage bis wenige Wochen nach der letzten Häutung und schon wenige Tage später beginnt die Eiablage. Die Weibchen der meisten Heuschreckenarten legen ihre Eier im Boden oder an der Basis von Gräsern ab. Andere Arten legen ihre Eier in rissige Baumrinde und markhaltige Pflanzenteile oder heften sie an Halme und Blätter. Die Langfühlerschrecken können mit dem Legebohrer ihre Eier tiefer in den Boden legen als die Kurzfühlerschrecken. Bei den meisten heimischen Arten dauert die Entwicklung der Eier bis zum Schlupf vom Herbst bis zum nächsten Frühling, bei einigen auch mehrere Jahre. <br />
<br />
Die Feuchte- und Temperatur-Ansprüche der Eier sind bei Heuschrecken entscheidend für die Habitatbindung der Arten. Arten der Feuchthabitate können oft nicht überleben, wenn ihre Eier im Winter nicht genügend feucht sind. Sie brauchen eine Periode der Überflutung. Feldheuschrecken der trockenen Habitate haben eine längere Eientwicklung nach dem Winter und benötigen höhere Bodentemperaturen. Die notwenigen Temperaturen werden erreicht, wenn Sonnenstrahlen offene Bodenstellen erwärmen. Andere Arten, die in höherer, dichterer Vegetation leben, kommen auch mit geringer Sonneneinstrahlung zurecht. So gibt es einige Spezialisten unter den Heuschrecken, mit ganz spezifischen Ansprüchen an ihren Lebensraum. Der Kiesbankgrashüpfer (''Chorthippus pullus'') lebt in der Schweiz z.&nbsp;B. ausschliesslich auf vegetationsarmen Kiesbänken grosser Alpenflüsse.<br />
<br />
{{Fotos-links-1000px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Eiablage_Lebensraum-Fluegel.png<br />
| text = Von links nach rechts: Die Laubholz-Säbelschrecke (''Barbitistes serricauda'') legt ihre Eier in Gehölze mit strukturreicher Borke ab. Der Kiesbankgrashüpfer (''Chorthippus pullus'') kommt nur entlang der grossen Alpenflüsse vor. Die Gewöhnliche Gebirgsschrecke (''Podisma pedestris'') kann aufgrund der verkümmerten Flügel nicht fliegen.<br />
Das Grüne Heupferd (''Tettigonia viridissima'') ist ein Langstreckenflieger unter den Heuschrecken.<br />
}}<br />
<br />
==Populationsgrössen und Ausbreitung ==<br />
Die Populationsgrösse kann zwischen den Jahren stark schwanken. Schon ein Kälteeinbruch oder eine längere Regenphase im Frühsommer können zu einem starken Populationsrückgang führen. Einzelbeobachtungen weisen darauf hin, dass auch kleine Populationen mit weniger als 50 Tieren über mehrere Jahre existieren können, wenn die Habitatqualität nicht abnimmt. <br />
<br />
Die meisten Heuschreckenarten sind sesshaft und bewegen sich in einem Umkreis von wenigen Metern bis maximal 1&nbsp;km. Bei vielen Arten sind die Flügel verkümmert (z.&nbsp;B. bei der Gewöhnlichen Gebirgsschrecke ''Podisma pedestris''). Es gibt aber auch einzelne Langstreckenflieger, wie das Grüne Heupferd (''Tettigonia viridissima''), das in einem Sommer Distanzen von mehreren Kilometern zurücklegen kann. Hohe Bestandsdichten können die Ausbreitung von sesshaften Arten erhöhen, da bei Dichtestress die Mobilität steigt und makroptere (langflügelige) Tiere auftreten können, deren Flügel deutlich länger sind als üblich. Mit verlängerten Flügeln können auch Arten, die üblicherweise flugunfähig sind, weitere Distanzen überqueren. Ungenügend untersucht ist die Ausbreitung von Eiern und Tieren durch passiven Transport, z.&nbsp;B. durch Fliessgewässer, den Bahnverkehr, durch Verfrachtung mit Mahdgut oder mit Weidetieren. Bei manchen Arten scheint diese Art der Verbreitung jedoch gut zu funktionieren, da immer wieder fernab von bekannten Populationen Einzeltiere oder kleine Initialpopulationen gefunden werden.<br />
<br />
== Fauna Indicativa ==<br />
Die [http://www.cscf.ch/cscf/de/home/projekte/fauna-indicativa.html Fauna Indicativa] ist ein Nachschlagewerk sowie ein Werkzeug für die Auswertung faunistischer Daten. Sie charakterisiert in Tabellenform ökologische Präferenzen und biologische Eigenschaften aller in der Schweiz einheimischen Heuschrecken.<br />
<br />
=Erhalt und Förderung=<br />
==Allgemeine Massnahmen ==<br />
===Grünland- und Feuchtgebietsarten ===<br />
* Extensive Bewirtschaftung von Wiesen und Weiden und Verzicht auf schwere Maschinen, insbesondere in Feuchtgebieten<br />
* Verzicht auf das Ausbringen von Kunstdünger und Bioziden, insbesondere Insektiziden<br />
* Förderung von Biodiversitätsförderflächen (BFF) mit Qualitätsstufe QII<br />
* Verzicht auf die Bewässerung von Trockenwiesen und Steppen<br />
* Eindämmung der Verbuschung und Verbrachung von Trockenwiesen- und weiden<br />
* Verzicht auf die Entwässerung von Feuchtgebieten und Wiederherstellung des natürlichen Wasserregimes<br />
* Erhalt von Weiden, da in der Regel mit heterogener Struktur und artenreicher, ausser bei einschüriger Mahd <br />
* Schutz und Wiederherstellung von Feuchtgebieten<br />
* Anlage und Pflege von Stillgewässern, insbesondere mit flachen Uferzonen<br />
<br />
===Wald- und Waldrandarten===<br />
* Aufwertung und Schaffung gestufter Waldränder mit einer Krautschicht<br />
* Erhalt alter Baumbestände, Biotopbäume und Hecken mir ihren Säumen<br />
* Auflichtung der Wälder und Böschungen, damit sie gut besonnt sind<br />
* Extensive Pflege der Weg- und Hangböschungen<br />
* Standortgerechter Waldbau, Verzicht auf Monokulturen (bspw. Fichten)<br />
* Umwandlung von Monokulturen in natürliche Wälder mit mehreren Baumarten<br />
* Verzicht auf den Einsatz von Düngemitteln und Bioziden<br />
<br />
===Pionierarten an Fliessgewässern ===<br />
(Übernommen aus: [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken])<br />
* Revitalisierung der Fliessgewässer, bevorzugt von Pionierarten besiedelte Standorten <br />
* Verzicht auf die Zuschüttung oder Eindämmung von besiedelten Uferflächen<br />
* Verzicht auf jeglichen Abbau der Sand-, Kies- oder Steinbänke innerhalb, ober- und unterhalb besiedelter Flächen<br />
* Zulassen von regelmässigen, genügend intensiven Hochwassern, um den natürlichen Abtrag der mit Vegetation bewachsenen Bänke in Auen zu gewährleisten<br />
* Gewährleisten von periodischen Ablagerungen von Sedimenten an besiedelten Standorten, um die Regeneration von Sedimentbänken in Auen sicherzustellen<br />
* Revitalisierung möglichst vieler Fliessgewässer, um über die Schaffung von potenziell günstigen Standorten die Wiederbesiedlung von verlassenen Gegenden zu fördern<br />
<br />
{{Foto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Mosaik_aus_Gruenlandtypen_-_Suedschwarzwald_-_IMG_7876b.jpg<br />
| text = Der Strukturreichtum dieser Flächen bietet Grünlandarten einen idealen Lebensraum.<br />
}}<br />
<br />
== Strukturreiche Flächen schaffen und schützen ==<br />
Für Heuschrecken sind weniger die typischen Kleinstrukturen wichtig, wie Ast- oder Steinhaufen, als vielmehr offene Bodenstellen (u.&nbsp;a. für die Eiablage) und Strukturen, die Wärme aufnehmen und speichern, wie felsige Bereiche, Kiesflächen, feuchte Senken und temporäre Tümpel. Neu angelegte Strukturen sollen eine minimale Fläche von 20&nbsp;m&sup2; pro ha haben. Natürliche Offenflächen und strukturreiche Flächen wie Moränen, Felsschutthalden, Kiesflächen und Verlandungszonen von Stillgewässern sind zu schützen und dürfen nicht zugeschüttet oder aufgeforstet werden.<br />
<br />
== Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts ==<br />
Viele gefährdete Heuschreckenarten sind auf eine extensive Beweidung oder regelmässige Mahd angewiesen, damit die Vegetation nicht zu dicht wird. Der optimale Schnittzeitpunkt ist artabhängig. Für Arten, die ihre Eier im Boden ablegen, ist eine Mahd zwischen Mai und August ungünstig. Für Arten, die ihre Eier an oder in Pflanzen ablegen, ist eine Mahd nach August und vor Mai problematisch. Die Bewirtschaftung kann aber auch schädlich sein. Verluste entstehen v.&nbsp;a. durch Mähaufbereiter und das Schwaden und Abführen des Mahdguts. Zur Verminderung der Verluste bei allen Arten ist bei der Mahd Folgendes zu beachten: <br />
<br />
* Es sollen möglichst wenige Schnitte erfolgen, optimaler Weise nur ein Schnitt pro Jahr<br />
* Frühmad: nicht ganzflächige durchführen; Spätmahd: nach dem Verblühen der meisten Pflanzen durchführen<br />
* Am besten ist eine differenzierte Pflege, d.&nbsp;h. ein Mosaik aus Flächen mit unterschiedlichen Mähzeitpunkten und Rückzugsstreifen, die nur alle 2 Jahre gemäht werden <br />
* Die Schnitthöhe soll mindestens 10&nbsp;cm betragen <br />
* Balkenmäher verursachen die niedrigste Schädigungsrate, Scheibenmähern die höchste; am schonendsten ist die Mahd mit der Sense <br />
* Das Schnittgut soll, damit sich die Tiere verteilen können, zum Trocknen liegen gelassen und stets abgeführt werden<br />
* Es sollen keine Mähaufbereiter eingesetzt werden<br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://www.buntewiese-tuebingen.de/app/download/6569219764/Hiller%202014%20Auswirkungen%20verschiedener%20Mahdkonzepte%20auf%20die%20Heuschreckenfauna%20st%C3%A4dtischer%20Gr%C3%BCnfl%C3%A4chen%20-%20Naturschutz%20und%20Landschaftsplanung.pdf?t=1490555371 Hiller, D. & Betz, O.(2014). Auswirkungen verschiedener Mahdkonzepte auf die Heuschreckenfauna städtischer Grünflächen]<br /><br />
<br />
'''Hintergrundinformationen'''<br /><br />
* [http://www.parcs.ch/npf/pdf_public/2014/30491_20141107_083216_MA_GrichtingStefan_2002.pdf Grichting, S. (2002). Heuschrecken (Orthoptera) von Trockensteppen und extensiv bewirtschafteten Wiesen im Pfynwald (VS, Schweiz)]<br />
: Studie zu den ökologischen Ansprüchen und der Verbreitung von Heuschrecken auf Wiesen mit unterschiedlichem Nutzungsgrad.<br /><br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/abashop?s=208&p=productdetail&sku=429&language=de Agridea (2011). Erntetechnik und Artenvielfalt in Wiesen]<br />
: Das Merkblatt zeigt die Auswirkungen verschiedener Mähtechniken und nachfolgender Ernteschritte auf die Artenvielfalt und gibt Empfehlungen für eine möglichst tierschonende Ernte. <br /><br />
<br />
==Rotationsbrachen anlegen und Altgrassstreifen stehen lassen ==<br />
Bei der Anlage von Rotationsbrachen und Altgrasstreifen ist auf das Vorkommen von Heuschreckenpopulation in der näheren Umgebung zu achten, da Heuschrecken oft nur geringe Ausbreitungsdistanzen haben. Als Rückzugsstreifen werden bei jedem Schnitt 10% der Wiese stehen gelassen.<br /><br />
<br />
'''Links'''<br />
* [http://www.agraroekologie.ch/NuL07-10_Mueller_Bosshard.pdf Müller, M. & Bosshard, B. (2012). Altgrasstreifen fördern Heuschrecken in Ökowiesen - Eine Möglichkeit zur Strukturverbesserung im Mähgrünland]<br />
: Studie zu den positiven Auswirkungen von Altgrasstreifen als Rückzugsraum bei der Mahd in extensiv genutzten Wiesen. <br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/2012_01_1723.pdf Duss, M. et al. (2012). Vernetzte Ökoflächen fördern Heuschrecken]<br />
: Studie zur Auswirkung eines Vernetzungsprojektes von ökologischen Ausgleichsflächen (öAF) auf die Verbreitung von 2 Heuschreckenarten. Die Grosse Goldschrecke (''Chrysochraon dispar'') profitiert von Altgrasstreifen.<br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/download.php?filename=2001_1112_102.pdf Peter, B. & Walter, T. (2001). Heuschrecken brauchen ökologische Ausgleichsflächen] <br />
: Vergleichende Untersuchungen vor und nach der Einführung von Biodiversitätsförderflächen (BFF) zeigt deren Wichtigkeit für Heuschrecken auf.<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Buntbrache_Altgrassstreifen_AK.png<br />
| text = Links und Mitte: Die Gemeine Sichelschrecke (''Phaneroptera falcata'') und die Langflüglige Schwertschrecke (''Conocephalus fuscus'') schätzen die hohe Vegetation von Buntbrachen. <br /><br />
Rechts: Die Grosse Goldschrecke (''Chrysochraon dispar'') profitiert von Altgrasstreifen.<br />
}}<br />
<br />
==Beweidung ==<br />
Für die Beweidung sollen möglichst traditionelle Rassen, bzw. leichte Tiere eingesetzt werden. Generell scheint Schaf-Hütehaltung besonders günstig für Heuschrecken zu sein. Die Viehdichte darf nicht zu hoch sein; der jährliche Besatz sollte 150 Grossvieheinheiten&sup1; pro Hektare (GVE/ha) nicht überschreiten. Es empfiehlt sich, eine Beweidung in Koppeln zu führen, womit ein ähnlicher Effekt erzielt wird wie mit einer Rotationsmahd. <br /><br />
<small><sup>1</sup>Die Beweidungsintensität ergibt sich aus dem Produkt von Besatzstärke in Grossvieheinheiten pro Hektare mal Anzahl Bestossungstagen (GVE/ha * dd). Je nach Grösse und Alter der Tiere ändert sich der Wert, der sich mit dem [https://www.agate.ch/portal/web/agate/gve-rechner GVE-Rechner des Bundesamtes für Landwirtschaft] genau ermitteln lässt.</small> <br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://www.pronatura.ch/de/2016/allegra-geissenpeter-ziegen-esel-und-rinder-weiden-fuer-die-biodiversitaet Pro Natura. Projekt „Allegra Geissenpeter“]<br />
: Pro Natura lanciert Projekte mit verschiedenen Weidetierarten, um die Trockenstandorte in den Alpen nachhaltig zu sichern, unter anderem zur Förderung der Heuschrecken. Die unterschiedlichen Projekte und die Ergebnisse der Erfolgskontrollen sind im [https://www.pronatura.ch/sites/pronatura.ch/files/2017-11/leitfaden_fuer_die_aufwertung_von_brachliegenden_trockenstandorten_durch_beweidung-beitraege_zum_naturschutz_in_der_schweiz_nr_37-2016_highres.pdf Leitfaden für die Aufwertung von brachliegenden Trockenstandorten durch Beweidung (2016)] zusammengefasst.<br />
<br />
== Direktbegrünung und Mahdgutübertragung ==<br />
Direktbegrünung und Mahdgutübertragung sind einer Ansaat vorzuziehen, da zusammen mit dem Pflanzenmaterial oder den Samen Insekten und Eier übertragen werden können. Dies ist insbesondere wichtig für Arten mit einem geringem Ausbreitungspotenzial. Das Saat- und Mahdgut sollte von [https://www.regioflora.ch/app/de/index.html Spenderflächen aus der nahen Umgebung] stammen, also [https://de.wikipedia.org/wiki/Autochthone_Art autochthon] sein, um die regionale genetische Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten zu erhalten. Für eine erfolgreiche Besiedlung sollen Empfängerflächen in maximal 1&nbsp;km Distanz, besser nur 500&nbsp;m, zu bereits besiedelten Flächen angelegt werden. Bei der Begrünung können kleine Bodenstelle langfristig offengehalten werden, indem Steine oder Feinsediment als Substrat eingebracht wird. <br />
<br />
'''Hintergrundinformation'''<br />
* [http://public.bibliothek.uni-halle.de/index.php/hercynia/article/viewFile/218/224 Elias, D. & Thiede, S. (2008). Verfrachtung von Heuschrecken (Insecta: Ensifera et Caelifera) mit frischem Mähgut im Wulfener Bruch (Sachsen-Anhalt)]: Diese Studie zeigt auf, dass die Mahdgutübertragung für Heuschrecken eine wichtige Rolle spielt, insbesondere für wenig mobile Arten.<br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/2001_07_71.pdf Bosshard, A. & Kuster, D. (2001). Bedeutung neu angelegter Extensivwiesen für Tagfalter und Heuschrecken]: Die Untersuchung zeigt, dass neu angelegte Extensivwiesen rasch von gefährdeten Heuschrecken- und Tagfalterarten besiedelt werden können.<br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [https://www.regioflora.ch/ Regio Flora - das Portal zur Förderung der regionalen Vielfalt im Grünland]: Umfassende Informationen zur Direktbegrünung von Wiesen und Weiden.<br />
* [https://www.regioflora.ch/de/assets/content/pdf/RF_Praxismerkblatt_D_download9.11.15.pdf Agridea (2015). Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft]: Leitfaden für die Praxis zum Einsatz von regionalem Saatgut in Biodiversitätsförderflächen.<br />
<br />
{{Foto-rechts-hoch<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Gewaesser_PZ.png<br />
| text = Die Ufer von Fliess- und Stillgewässern sind wichtige Verbreitungskorridore und sollen alternierend bewirtschaftet werden. <br />
}}<br />
<br />
== Feuchtgebiete und Trockenstandorte ==<br />
=== Ruderalstandorte und Säume entlang von Feuchtgebieten pflegen ===<br />
Zahlreiche Arten legen ihre Eier in Stängel von Pflanzen im Uferbereich von Still- und Fliessgewässern. Die Uferbereiche sind wichtige Verbreitungskorridore für die Tiere. Daher ist die extensive Pflege von Feuchtgebieten und Gräben das ganze Jahr über wichtig:<br />
* [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts|Mahd]] an den Ufern alternierend, an einem Ufer die Vegetation immer für ca. 1-2 Jahre stehen lassen <br />
* Säume am selben Ufer gestaffelt mähen und das Schnittgut abführen <br />
* Flächen nicht mulchen<br />
* Ruderalstandorte immer wieder abschnittweise stören durch extensive [[#Beweidung| Beweidung]] oder [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts | Mahd]], um die Verbuschung zu verhindern und [[#Strukturreiche Flächen schaffen und schützen| strukturreiche Flächen]] zu schaffen <br />
* Invasive Pflanzen zurückdrängen, insbesondere Flügelknöterich (''Fallopia'') und Drüsiges Springkraut (''Impatiens glandulifera'')<br />
<br />
=== Entbuschung von Trockenstandorten === <br />
Der Baum- und Strauchbewuchs soll bei grossen Standorten maximal 25% betragen, bei kleineren 10% oder weniger. Für die langfristige Offenhaltung der Trockenwiesen- und weiden eignen sich extensive Beweidung oder Mahd. Massnahmen zur Aufwertung von Trockenstandorten werden zu einem späteren Zeitpunkt bearbeitet.<br />
<br />
== Im Siedlungsgebiet ==<br />
=== Schotter- und Brachflächen extensiv pflegen ===<br />
Im Randbereich vom Siedlungsgebiet und auf Firmengeländen kann eine reiche Heuschreckenfauna entstehen, wenn grössere Offenflächen vorhanden sind. Dies können z.&nbsp;B. Schotter- und Industriebrachen sein, die einen lockeren Pflanzenbewuchs aufweisen. Diese Flächen sollen extensiv bewirtschaftet werden (siehe: [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts|Mahdkonzepte]]). Der Strukturreichtum kann gefördert werden, indem die Pflege nur abschnittweise erfolgt und zusätzliche [[#Strukturreiche Flächen schaffen und schützen| Kleinstrukturen]] angelegt werden.<br />
<br />
=== Begrünung und Pflege von Flachdächern ===<br />
Flachdächer können einigen Heuschreckenarten, z.&nbsp;B. der Blauflügeligen Sandschrecke (''Sphingonotus caerulans'') oder der Blauflügeligen Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') als Trittstein dienen. Dauerhafte Ansiedlungen von Populationen wurden bisher noch nicht beobachtet. Bei der Anlage der Dächer ist Folgendes wichtig: <br />
* Nur einheimische Pflanzen und Saatgut verwenden <br />
* Offene Stellen belassen und regelmässig neue Offenflächen durch Abtragung des Oberbodens schaffen <br />
* Sand, Kies und Steine in unterschiedlichen Korngrössen verwenden <br />
* Pflanzen extensiv und abschnittsweise pflegen <br />
* Strukturreichtum durch Kieshaufen, Holz, etc. sicherstellen <br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://docplayer.org/20659374-Die-blaufluegelige-sandschrecke-sphingonotus-caerulans-auf-den-extensiv-begruenten-daechern-der-europa-allee-zuerich.html Speck, M. & Brenneisen, S. (2014). Die Blauflügelige Sandschrecke (Sphingonotus caerulans) auf den extensiv begrünten Dächern der Europa-Allee in Zürich]<br />
: Diese Studie belegt das Vorkommen der Rote-Liste Art auf Flachdächern in Zürich. Die Blauflügelige Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') wurde in vorherigen Untersuchungen machgewiesen, die hier zitiert werden.<br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [https://www.stadt-zuerich.ch/ted/de/index/gsz/beratung-und-wissen/wohn-und-arbeitsumfeld/dachbegruenungen0.html Stadt Zürich. Dachbegrünung]: Umfassende Informationen zur Anlage und Pflege von Dachbegrünung mit vielen Praxisbeispielen.<br />
* [https://www.stadt.sg.ch/home/raum-umwelt/bauen-sanieren/natur-stadt.html Stadt St. Gallen, Amt für Umwelt und Energie (2014). Leitfaden Dachbegrünung]: Ausführliche Informationen zu Aufbau und extensiven Begrünungsarten von Flachdächern.<br />
<br />
{{Fotos-links-550px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Siedlungsgebiet.png<br />
| text = Der Blauflügeligen Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') und der Blauflügeligen Sandschrecke (''Sphingonotus caerulans'') können Flachdächer als Trittsteine in neue Lebensräume dienen.<br />
}}<br />
<br />
=== Wildblumenwiesen und Trockenflächen anlegen und pflegen === <br />
In Parks und Gärten können auch anspruchsvollere Heuschreckenarten vorkommen, wenn Folgendes beachtet wird:<br />
* Nur einheimisches Saatgut verwenden <br />
* Lückig säen und nicht düngen <br />
* Offene Bodenflächen belassen <br />
* Maximal 2-mal pro Jahr mit Balkenmäher oder Sense und abschnittsweise mähen <br />
* Brachflächen, Altgrassstreifen und Säume um Gebüsche und Gehölze von 5-10m abschnittsweise pflegen, um eine Zunahme der Verbuschung zu verhindern <br />
* Mahdgut abführen <br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [http://www.pronatura.ch/blumenwiesen?file=tl_files/dokumente_de/2_unsere_themen/lebensraeume/Wiesen/Pro_Natura_Praxis_Blumenwiese.pdf Pro Natura 2014. Blumenwiesen anlegen und pflegen]<br />
: Ausführliche Informationen zur Anlage und Pflege von grossen und kleinen (Wild-) Blumenwiesen.<br />
* [https://assets.wwf.ch/custom/biodiv/pdf/PRIV_Wiesenparadies.pdf WWF Schweiz 2010. Buntes Wiesenparadies mit einheimischen Wildblumen]<br />
: Schritt für Schritt Anleitung zur Anlage und Pflege von Wildblumenwiesen für Privathaushalte.<br />
* [https://assets.wwf.ch/downloads/priv_ruderalflaechen_1.pdf WWF Schweiz 2010. Lebendige Trockenstandorte mit Sand, Kies und Schotter]<br />
: Anleitung zur Anlage und Pflege von Trockenstandorten für Privathaushalte.<br />
<br />
== Sekundäre Pionierstandorte anlegen und pflegen == <br />
Vom Menschen geschaffene Pionierstandorte sind für Heuschrecken wertvolle Sekundärhabitate geworden, da vielerorts die ursprünglichen Lebensräume (z.&nbsp;B. See- und Flussauen, Brandflächen, etc.) verschwunden sind. Der Erhalt der Pionierstandorte bedarf regelmässiger Pflegeeinsätze zur Verhinderung von Verfilzung und Verbuschung.<br />
Heuschrecken finden wertvolle Pionierflächen: <br />
* In Steinbrüchen und Kiesgruben <br />
* In Weinbergen<br />
* In Sand-, Lehmgruben und Mergelgruben <br />
* An Bahnhöfen und Gleisen<br />
* Auf Industriebrachen<br />
<br />
== Wiederansiedlung von Tieren ==<br />
Die Wiederansiedelung von ehemals vorkommenden Heuschrecken kann nur eine letzte Alternative im Naturschutz sein, da primär immer der Schutz der vorhandenen Populationen im Fokus steht und die Wiederansiedlung sehr aufwändig ist. Für eine erfolgreiche Wiederansiedlung ist es notwendig, eine sorgfältige Ansiedlungs-Strategie zu erarbeiten und die [https://portals.iucn.org/library/efiles/documents/2013-009.pdf Richtlinien der IUCN zur Wiederansiedlung] strikt zu befolgen. Die Wiederansiedlung von Heuschrecken ist bewilligungspflichtig und soll Spezialisten überlassen werden, weshalb hier nicht näher darauf eingegangen wird.<br />
<br />
<br />
{{Foto-rechts-quer<br />
| bilddatei = GSM-5012435629 6b68a9c506 b Ephipiger cfr diurnus female.jpg<br />
| text = Die Westliche Sattelschrecke (''Ephippiger diurnus'') besiedelt trockene und lückige Wiesen und Waldränder. Sie gehört zu den stark gefährdeten Arten. <br />
}}<br />
<br />
= Artenschutz =<br />
Viele Heuschreckenarten brauchen aufgrund ihrer Ansprüche an den Lebensraum ganz spezifische Fördermassnahmen. Die Priorisierung der gefährdeten Arten gemäss ihrem Förderbedarf kann der [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/liste-national-prioritaeren-arten.html Liste der National Prioritären Arten (2011)] entnommen werden. Eine wichtige Grundlage für die Förderung sind auch die in der [http://www.cscf.ch/cscf/de/home/wissenschaftliche-aktivitaten/fauna-indicativa.html Fauna Indicativa] zusammengestellten Präferenzen und Eigenschaften der einzelnen Arten.<br />
<br />
Es gibt nur wenige Praxisinformationen zum spezifischen Artenschutz von Heuschrecken. In der Schweiz wurde bisher nur für die Blauflügelige Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') eine [http://kbnl.ch/wp-content/uploads/2016/11/webseite_Ocaerulescens.pdf Zusammenfassung zur Best Practice der Artenförderung] und ein [http://www.aln.zh.ch/internet/baudirektion/aln/de/naturschutz/artenfoerderung/ap_fa/oedland/_jcr_content/contentPar/downloadlist/downloaditems/40_1298476571873.spooler.download.1387468488719.pdf/Oedipoda_caerulescens_AP.pdf Schutzkonzept vom Kanton Zürich] erstellt. <br />
In den Nachbarländern wurden folgenden Publikationen zu Fördermassnahmen erstellt: <br />
<br />
'''Deutschland'''<br />
* [http://www.nlwkn.niedersachsen.de/naturschutz/natura_2000/vollzugshinweise_arten_und_lebensraumtypen/vollzugshinweise-fuer-arten-und-lebensraumtypen-46103.html#Wirbellose Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz. Niedersächsische Strategie zum Arten- und Biotopschutz]<br />
'''Österreich''' <br />
* [http://www.zobodat.at/pdf/NaturschutzbundBgld_9_2013_0001-0160.pdf Zuna-Kratky, T. et. al. (2013). Schutzprogramm für die gefährdeten Heuschrecken des Nordburgenlands]<br />
'''Niederlande''' <br />
* [http://repository.naturalis.nl/document/161506 Schut, D. et al. (2008). Actieplan prioritaire Sprinkhanen in Noord-Brabant]<br />
<br />
= Gefährdung =<br />
Von den 105 für die [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html Rote Liste 2007] untersuchten Heuschreckenarten sind fast 40% bedroht. Am stärksten gefährdet sind die Pionierarten entlang von Gewässern sowie die Arten der Flach- und Hochmoore. Die Erhaltung der letzten Populationen dieser Arten ist daher von grosser Bedeutung.<br />
Die grössten Gefährdungsursachen für alle Heuschreckenarten sind:<br />
* Verlust und Fragmentierung des Lebensraums durch Veränderung der Landnutzung, z.&nbsp;B. durch Umwandlung von Grünland in Äcker, Urbanisierung oder Industrialisierung<br />
* Intensivierung der Nutzung, insbesondere der Einsatz von Mähmaschinen und Mähaufbereitern, sowie Düngung und Erhöhung der Anzahl Schnitte pro Jahr, sowie höhere Viehdichten auf kleinerem Raum<br />
* Mangelnde (natürliche) Prozesse zur Offenhaltung der Landschaft und von Bodenstellen, Homogenisierung der Landschaft<br />
* Verdichtung der Vegetation durch Eutrophierung<br />
* Einsatz von Insektiziden<br />
<br />
Weitere Gefährdungsursachen in Bezug auf die Lebensraumbindung sind:<br />
* Grünlandarten: Intensive Beweidung oder häufige Mahd, Verbuschung oder Verkrautung durch Verbrachung, Verarmung der Pflanzenvielfalt, Düngung von Wiesen und Weiden <br />
* Feuchtgebietsarten: Veränderungen im Gewässerhaushalt von Feuchtgebieten, intensivere landwirtschaftliche Nutzung von Feuchtwiesen <br />
* Wald- und Waldrandarten: Fehlende Stufenstruktur des Waldrandes (Strauch- und Krautschicht), Entfernung von Hecken, Kleinstrukturen und Felsen, Intensivierung der Forstwirtschaft, Einsatz von Bioziden, Anbau von Monokulturen, touristische Nutzung (insbesondere mit Ski & Mountainbike)<br />
* Pionierarten: Verbauungen der Fliessgewässer und Eingriffe in den Geschiebehaushalt, Veränderungen des Gewässerhaushaltes und der Gewässerdynamik, Verbuschung und Verkrautung der Offenflächen<br />
<br />
= Wissenslücken =<br />
Die Wissenslücken sind nicht abschliessend und fokussieren besonders auf die Förderung.<br />
* Erfolgreiche Förderung seltener Arten<br />
* Minimale überlebensfähige Populationsgrössen <br />
* Vernetzung von Heuschreckenpopulationen unterschiedlicher Arten und Artenzusammensetzungen<br />
* Habitatspezifische Auswirkungen der Grünlandnutzung: lässt sich das auf Trockenrasen gewonnene Wissen bspw. auf Feuchtwiesen übertragen?<br />
* Barrierewirkung mehrspuriger Strassen (Autobahnen)<br />
* Auswirkungen vom Klimawandel, insbesondere langer Dürreperioden oder Starkregen<br />
<br />
= Praxisbeispiele =<br />
Für Heuschrecken haben wir nur ein Praxisbeispiel gefunden, welches die durchgeführten Massnahmen ausführlich beschreibt und eine Erfolgsuntersuchung beinhaltet. Daher freuen wir uns über Ihre [http://biodivers.ch/index.php/kontakt.html Vorschläge per Email.]<br />
* [http://www.parcs.ch/nwp/pdf_public/2014/26962_20140130_123116_Kurth_Salome_2007.pdf Kurth, S. (2007). Planning a migration corridor for the highly endangered grasshopper Chorthippus pullus (Orthoptera, Acrididae) in the Rottensand (Pfynwald, VS)] <br />
: Für den Kiesbankgrashüpfer wurde im Pfynwald ein Migrationskorridor errichtet und die anschliessende Nutzung beobachtet.<br />
<br />
= Allgemeine Links=<br />
* [http://lepus.unine.ch/carto/ Centre Suisse de Cartographie de la Faune (CSCF). Verbreitungskarten der Schweizer Tierarten]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken]<br />
* [http://www.orthoptera.ch Orthoptera Schweiz. Heuschrecken-Plattform für die Schweiz und Europa ]<br />
* [http://www.orthoptera.ch/links Orthoptera Schweiz. Linkliste der Heuschrecken-Webseiten Europas und weltweit] <br />
<br />
== Glossar und weitere spannende Links ==<br />
* [https://www.orthoptera.ch/glossar Glossar von orthoptera.ch]<br />
* [http://www.biofotoquiz.ch/biofotoquiz/index.php?domain=standard&classID=278 Biofotoquiz]<br />
: Quiz mit Fotos von Heuschrecken und anderen Tier- und Pflanzenarten zum Kennenlernen der Arten.<br />
* [https://offene-naturfuehrer.de/web/Heuschreckenarten_nach_einfachen_Merkmalen_bestimmen_(Bayern) Heuschreckenarten nach einfachen Merkmalen bestimmen (Bayern)]<br />
: Wiki-Bestimmungsschlüssel für die Heuschrecken von Bayern. Der Leser wird anhand der Merkmale geführt, die Kenntnis von Fachbegriffen wird vorausgesetzt. <br />
* [http://www.andre-rey.ch/cms/fileadmin/pdf/Heuschecken_Bestimmungsschluessel_Suedalpen.pdf Fontana et al. (2002). Heuschrecken-Bestimmungsschlüssel für die östlichen Südalpen]<br />
: Bestimmungsschlüssel mit detaillierten Zeichnungen der Merkmale. <br />
* [http://www.orthoptera.ch/info-app-wiki/orthoptera-app Orthoptera-App]<br />
: Die Heuschrecken Bestimmungs-App für iphone und Android enthält zu jeder Art zahlreiche Fotos, Stimmaufzeichnungen und Hintergrundinformationen. Beobachtungen können in der App eingegeben und so dem CSCF gemeldet werden.<br />
<br />
= Literaturempfehlungen =<br />
* Detzel, P. (1998). Die Heuschrecken Baden-Württembergs. Stuttgart Hohenheim, Ulmer.<br />
: Bisher immer noch das beste Buch zur praxisnahen Ökologie und Massnahmen zur Förderung von Heuschrecken. Die Aufwertungs-Massnahmen sind an einzelne Arten und Lebensräume angepasst. Als genereller Leitfaden sind sie sehr gut, umsetzungsorientierte Anleitungen fehlen. Alles in allem ein gutes Buch für den Anfang, eine Weiterentwicklung ist aber dringend notwendig.<br />
* Ingrisch, S. & Köhler, G. (1998). Die Heuschrecken Mitteleuropas. Vol. Bd. 629. Magdeburg, Westarp Wissenschaften.<br />
: Sehr ausführliches und allgemeines Buch zur Biologie, Populationsdynamiken und Lebensräumen der Heuschrecken, weniger zur Biotopaufwertung und zu Fördermassnahmen. Trotz dem Alter immer noch lesenswert und informativ. <br />
* Schlumprecht, H. & Waeber, G. (2003). Heuschrecken in Bayern. Stuttgart Hohenheim. Ulmer. <br />
: Sehr ausführlicher Bestimmungs-Atlas mit vielen Informationen zur Lebensweise und den Lebensräumen der einzelnen Arten. Zu Gefährdung und Schutz gibt es Beispiele aus dem bayrischen Raum und Ratschläge zur Aufwertung für jede Art.<br />
* Maas, S., Detzel, P. & Staudt, A. (2002). Gefährdungsanalyse der Heuschrecken Deutschlands - Verbreitungsatlas, Gefährdungseinstufung und Schutzkonzepte. Bonn-Bad Godesberg, Bundesamt für Naturschutz.<br />
: Ausführlicher Atlas zu den Heuschreckenarten in Deutschland mit Gefährdungsanalysen und Informationen zu Habitaten, Biologie und Verbreitung der einzelnen Arten. Die Angaben zur Aufwertung von Lebensräumen sind kurz gehalten.<br />
* [http://dgfo-articulata.de/articulata Articulata - Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Orthopterologie] <br />
: In der Zeitschrift der DGFO erscheinen regelmässig Artikel zur Förderung von Heuschrecken, ältere Artikel können als PDF heruntergeladen werden.<br />
<br />
== Bestimmungsbücher ==<br />
* Baur, B., Bauer, H., Rösti, C., & Rösti, D. (2006). Die Heuschrecken der Schweiz. Bern, Haupt Verlag.<br />
: Intuitiver Bestimmungsschlüssel für die Schweizer Heuschreckenarten mit sehr schönen Detail-Zeichnungen. Enthält Verbreitungskarten und Erklärungen zu den wichtigsten Merkmalen.<br />
* Fischer, J., Steinlechner, D., Zehm, A., Poniatowski, D., et al., Hrsg. Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (2016). Die Heuschrecken Deutschlands und Nordtirols: Bestimmen - Beobachten - Schützen. Wiebelsheim Hunsrück, Quelle & Meyer.<br />
: Dieses Buch sticht positiv heraus. Es enthält Detailfotos der Bestimmungsmerkmale der Adultiere und Nymphen, eine Darstellung der Hauptaktivitätszeit aller Arten im Jahresverlauf und vieles mehr.<br />
* Weitere nationale und internationale Bestimmungsbücher sind auf [http://www.orthoptera.ch/literatur Orthoptera.ch] aufgeführt.<br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers ]|| info@biodivers.ch<br />
|-<br />
| Review|| [http://www.goeg.de/kontakt Prof. Dr. Peter Detzel] || [http://www.goeg.de/ Gruppe für ökologische Gutachten] <br />
|-<br />
| || [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Dr. Axel Hochkirch] || [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Universität Trier] <br />
|-<br />
| || [https://www.naturalis.nl/en/science/researchers/roy-kleukers Roy Kleukers] || [https://www.naturalis.nl/en Naturalis Biodiversity Center] <br />
|-<br />
| || [https://www.orthoptera.ch/ueber-uns Florin Rutschmann] || [http://www.pronatura-aargau.ch/cms/index.php?id=4&no_cache=1 Pro Natura Aargau] <br />
|}<br />
<br />
<!-- biodivers-Links zu Arten: Kiesbankgrashüpfer Chorthippus pullus, Blauflügelige Ödlanschrecke Oedipoda caerulescens → Aktionsplandrehscheibe, Grüne Heupferd Tettigonia viridissima, Alpenschrecke Anonconotus alpinus <br />
biodivers-Links zu Lebensräumen: Kleinstrukturen, Hecke, Stillgewässer (mehrfach), Fliessgewässer (mehrfach), Wald und Waldrand (mehrfach), Feuchtgebiete, Sumpf, Grünland, Trockenwiesen und Trockenweisen, Entbuschung von Trockenwiesen (mehrfach)--></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Heuschrecken&diff=4692
Heuschrecken
2023-03-04T14:11:47Z
<p>VB2: </p>
<hr />
<div>[[fr:Orthoptères]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = JM 29293745804 8952ea6513 h.jpg<br />
| text = Die Sumpfschrecke (''Stethophyma grossum'') besiedelt feuchte Wiesen und Flachmoore.<br />
}}<br />
<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers]<br />
|-<br />
| Review || [http://www.goeg.de/ueber-uns/team Prof. Dr. Peter Detzel], [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Dr. Axel Hochkirch], [https://www.naturalis.nl/en/science/researchers/roy-kleukers Roy Kleukers] & [http://www.orthoptera.ch/ueber-uns Florin Rutschmann]<br />
|-<br />
| Publikation || Juli 2017<br />
|}<br />
<br /><br />
{{TOC limit|2}}<br />
= Zusammenfassung =<br />
Über 100 Heuschreckenarten bereichern unsere Fauna und überraschen uns mit Flug-, Grab- oder Klangkünsten sowie ihrer Farben- und Formenvielfalt. Heuschrecken (Orthopteren) sind wärmeliebende Kulturfolger. Die meisten Arten beherbergt das Grünland, ob trocken oder feucht, gemäht oder beweidet. Einige Arten leben in lichten Wäldern und auf Pionierflächen der Flussauen und Geröllhalden. Viele Heuschreckenarten sind auf eine hohe Strukturvielfalt auf kleinem Raum angewiesen, da ihre durchschnittliche Ausbreitungsdistanz weniger als ein Kilometer beträgt.<br />
<br />
Für alle Arten ist die Offenhaltung ihrer Lebensräume zentral. Die Wiederherstellung der natürlichen Dynamiken oder die regelmässige, extensive Bewirtschaftung der besiedelten Flächen ist daher wichtig. Bei der Mahd ist darauf zu achten, ein Mosaik aus Rückzugsstreifen und Flächen mit unterschiedlichen Mahdzeitpunkten zu schaffen. Bei der Begrünung sind eine geringe Distanz zu besiedelten Flächen und eine lückige Ausbringung vorteilhaft. Von den über 100 einheimischen Heuschreckenarten stehen 40% auf der Roten Liste. Insbesondere die Arten der Pionierflächen haben einen erhöhten Förderbedarf. <br />
<br />
= Systematik =<br />
Heuschrecken werden in zwei leicht unterscheidbare Gruppen eingeteilt. Bei den Langfühlerschrecken (Ensifera) sind die Fühler gleich lang oder länger als der Körper und haben mindestens 30 Fühlerglieder, während sie bei den Kurzfühlerschrecken (Caelifera) kürzer als der Körper sind. Die Weibchen der Langfühlerschrecken besitzen meist einen auffälligen Legebohrer, im Gegensatz zu den kurzen Legeröhrenklappen bei den Kurzfühlerschrecken. Nur die Maulwurfsgrille gehört auch ohne lange Fühler und Legebohrer zu den Langfühlerschrecken. <br />
Mehr zur Systematik der Heuschrecken auf [https://de.wikipedia.org/wiki/Heuschrecken Wikipedia].<br />
<br />
=Praxisrelevante Ökologie=<br />
== Lebensräume ==<br />
Heuschrecken besiedeln die meisten terrestrischen Lebensräume bis auf 3'100&nbsp;m&nbsp;ü.&nbsp;M. Sie kommen in extensiven Wiesen und Weiden, Brachen, Weinbergen, Wäldern, Feuchtgebieten, Mooren und Flussauen vor. Heuschrecken können allgemein als wärmeliebende Kulturfolger bezeichnet werden, die in stark vom Menschen geprägten Landschaften leben. So können Kiesgruben und Steinbrüche viele seltene Arten beherbergen, wenn sie offengehalten und extensiv gepflegt werden. Im Siedlungsgebiet finden Heuschrecken eine Vielfalt an Kleinlebensräumen auf Industriebrachen und grossen Güterbahnhöfen, Schotterplätzen und in Ruderalflächen. Für seltene Arten sind Parks, Gärten und Flachdächer als Lebensraum wenig relevant, als Trittsteine können sie aber beim Erreichen neuer Lebensräume helfen. <br />
<br />
{{Fotos-links-1000px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Lebensraeuume_Gruppen_PZ.png<br />
| text = Zu den wichtigsten Lebensräumen für Heuschrecken zählen magere Wiesen, Moorlandschaften, lückige Wälder und Blocksteinhalden.<br />
}}<br />
<br />
Da nahezu alle Heuschrecken licht- und wärmeliebend sind, brauchen sie in ihren Lebensräumen Offenflächen bzw. lückige Pflanzenbestände. Die Bindung an das Habitat erfolgt weniger aufgrund bestimmter Pflanzengesellschaften, als aufgrund der benötigten Strukturen und der mikroklimatischen Verhältnisse. Entscheidend sind Dichte und Höhe der Vegetation, sowie Temperatur und Feuchtigkeit. Mosaikartige Lebensräume mit einer Vielfalt an Strukturen sind für eine hohe Heuschreckenvielfalt optimal. So leben an Lebensraum-Übergängen, wie Waldrändern mit Feuchtwiesen oder Hecken entlang von extensiven Wiesen, besonders viele Arten. Für den Erhalt von Offenflächen und Strukturreichtum sind regelmässige Pflegeeinsätze notwendig, wenn natürliche Dynamiken fehlen.<br />
<br />
Die Schweizer Heuschreckenarten können bezüglich ihrer Lebensraumbindung in vier Gruppen unterteilt werden (aus: [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken]) <br />
# Grünlandarten in Trockenwiesen und -weiden (43 Arten)<br />
# Sumpf- und Feuchtgebietsarten in Flach- und Hochmooren (11 Arten)<br />
# Wald- und Waldrandarten sowie Gebüscharten, vor allem in tieferen Lagen (24 Arten)<br />
# Pionierarten in Auen, Felsplatten, Geröllhalden oder Karst (25 Arten)<br />
<br />
==Merkmale und Vermehrung==<br />
Heuschrecken sind durch ihre Körperform, ihr Verhalten und ihre Körperfärbung an ihren Lebensraum angepasst und häufig gut getarnt. Die Körperfärbung kann innerhalb einer Art stark variieren und ist daher meist kein spezifisches Unterscheidungsmerkmal. Die Körperfärbung ist nicht immer genetisch festgelegt, sondern kann sich während der Entwicklung verändern und der Färbung der Umgebung anpassen. Adulte Tiere können ihre Farbe dagegen nicht mehr wechseln, aber ggf. noch nachdunkeln.<br />
<br />
Heuschrecken durchlaufen eine hemimetabole (unvollkommene) Entwicklung. Nach dem Schlupf sind die sogenannten Nymphen schon als Heuschrecken zu erkennen und werden mit jeder Häutung dem adulten Tier ähnlicher. Grillen brauchen bis zu 12 Häutungen, bis sie ausgewachsen sind, Laubheuschrecken 5 bis 7 und Kurzfühlerschrecken 4 bis 5 Häutungen. Erst nach der letzten Häutung bilden sich die Flügel und Geschlechtsorgane vollständig aus. Die meisten Heuschrecken sind einjährig, ihre Nymphen schlüpfen im Zeitraum von Frühling bis Sommer. Adulte Tiere sind von Sommer bis Herbst zu finden, das Auftreten richtet sich vor allem nach der Höhenstufe und den mikroklimatischen Verhältnissen. Nur Grillen (Gryllidae) und Dornschrecken (Tetrigidae) überwintern in einem der Nymphenstadien oder als adulte Tiere und treten entsprechend früh im Jahr auf. <br />
<br />
Die Paarung erfolgt einige Tage bis wenige Wochen nach der letzten Häutung und schon wenige Tage später beginnt die Eiablage. Die Weibchen der meisten Heuschreckenarten legen ihre Eier im Boden oder an der Basis von Gräsern ab. Andere Arten legen ihre Eier in rissige Baumrinde und markhaltige Pflanzenteile oder heften sie an Halme und Blätter. Die Langfühlerschrecken können mit dem Legebohrer ihre Eier tiefer in den Boden legen als die Kurzfühlerschrecken. Bei den meisten heimischen Arten dauert die Entwicklung der Eier bis zum Schlupf vom Herbst bis zum nächsten Frühling, bei einigen auch mehrere Jahre. <br />
<br />
Die Feuchte- und Temperatur-Ansprüche der Eier sind bei Heuschrecken entscheidend für die Habitatbindung der Arten. Arten der Feuchthabitate können oft nicht überleben, wenn ihre Eier im Winter nicht genügend feucht sind. Sie brauchen eine Periode der Überflutung. Feldheuschrecken der trockenen Habitate haben eine längere Eientwicklung nach dem Winter und benötigen höhere Bodentemperaturen. Die notwenigen Temperaturen werden erreicht, wenn Sonnenstrahlen offene Bodenstellen erwärmen. Andere Arten, die in höherer, dichterer Vegetation leben, kommen auch mit geringer Sonneneinstrahlung zurecht. So gibt es einige Spezialisten unter den Heuschrecken, mit ganz spezifischen Ansprüchen an ihren Lebensraum. Der Kiesbankgrashüpfer (''Chorthippus pullus'') lebt in der Schweiz z.&nbsp;B. ausschliesslich auf vegetationsarmen Kiesbänken grosser Alpenflüsse.<br />
<br />
{{Fotos-links-1000px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Eiablage_Lebensraum-Fluegel.png<br />
| text = Von links nach rechts: Die Laubholz-Säbelschrecke (''Barbitistes serricauda'') legt ihre Eier in Gehölze mit strukturreicher Borke ab. Der Kiesbankgrashüpfer (''Chorthippus pullus'') kommt nur entlang der grossen Alpenflüsse vor. Die Gewöhnliche Gebirgsschrecke (''Podisma pedestris'') kann aufgrund der verkümmerten Flügel nicht fliegen.<br />
Das Grüne Heupferd (''Tettigonia viridissima'') ist ein Langstreckenflieger unter den Heuschrecken.<br />
}}<br />
<br />
==Populationsgrössen und Ausbreitung ==<br />
Die Populationsgrösse kann zwischen den Jahren stark schwanken. Schon ein Kälteeinbruch oder eine längere Regenphase im Frühsommer können zu einem starken Populationsrückgang führen. Einzelbeobachtungen weisen darauf hin, dass auch kleine Populationen mit weniger als 50 Tieren über mehrere Jahre existieren können, wenn die Habitatqualität nicht abnimmt. <br />
<br />
Die meisten Heuschreckenarten sind sesshaft und bewegen sich in einem Umkreis von wenigen Metern bis maximal 1&nbsp;km. Bei vielen Arten sind die Flügel verkümmert (z.&nbsp;B. bei der Gewöhnlichen Gebirgsschrecke ''Podisma pedestris''). Es gibt aber auch einzelne Langstreckenflieger, wie das Grüne Heupferd (''Tettigonia viridissima''), das in einem Sommer Distanzen von mehreren Kilometern zurücklegen kann. Hohe Bestandsdichten können die Ausbreitung von sesshaften Arten erhöhen, da bei Dichtestress die Mobilität steigt und makroptere (langflügelige) Tiere auftreten können, deren Flügel deutlich länger sind als üblich. Mit verlängerten Flügeln können auch Arten, die üblicherweise flugunfähig sind, weitere Distanzen überqueren. Ungenügend untersucht ist die Ausbreitung von Eiern und Tieren durch passiven Transport, z.&nbsp;B. durch Fliessgewässer, den Bahnverkehr, durch Verfrachtung mit Mahdgut oder mit Weidetieren. Bei manchen Arten scheint diese Art der Verbreitung jedoch gut zu funktionieren, da immer wieder fernab von bekannten Populationen Einzeltiere oder kleine Initialpopulationen gefunden werden.<br />
<br />
== Fauna Indicativa ==<br />
Die [http://www.cscf.ch/cscf/de/home/projekte/fauna-indicativa.html Fauna Indicativa] ist ein Nachschlagewerk sowie ein Werkzeug für die Auswertung faunistischer Daten. Sie charakterisiert in Tabellenform ökologische Präferenzen und biologische Eigenschaften aller in der Schweiz einheimischen Heuschrecken.<br />
<br />
=Erhalt und Förderung=<br />
==Allgemeine Massnahmen ==<br />
===Grünland- und Feuchtgebietsarten ===<br />
* Extensive Bewirtschaftung von Wiesen und Weiden und Verzicht auf schwere Maschinen, insbesondere in Feuchtgebieten<br />
* Verzicht auf das Ausbringen von Kunstdünger und Bioziden, insbesondere Insektiziden<br />
* Förderung von Biodiversitätsförderflächen (BFF) mit Qualitätsstufe QII<br />
* Verzicht auf die Bewässerung von Trockenwiesen und Steppen<br />
* Eindämmung der Verbuschung und Verbrachung von Trockenwiesen- und weiden<br />
* Verzicht auf die Entwässerung von Feuchtgebieten und Wiederherstellung des natürlichen Wasserregimes<br />
* Erhalt von Weiden, da in der Regel mit heterogener Struktur und artenreicher, ausser bei einschüriger Mahd <br />
* Schutz und Wiederherstellung von Feuchtgebieten<br />
* Anlage und Pflege von Stillgewässern, insbesondere mit flachen Uferzonen<br />
<br />
===Wald- und Waldrandarten===<br />
* Aufwertung und Schaffung gestufter Waldränder mit einer Krautschicht<br />
* Erhalt alter Baumbestände, Biotopbäume und Hecken mir ihren Säumen<br />
* Auflichtung der Wälder und Böschungen, damit sie gut besonnt sind<br />
* Extensive Pflege der Weg- und Hangböschungen<br />
* Standortgerechter Waldbau, Verzicht auf Monokulturen (bspw. Fichten)<br />
* Umwandlung von Monokulturen in natürliche Wälder mit mehreren Baumarten<br />
* Verzicht auf den Einsatz von Düngemitteln und Bioziden<br />
<br />
===Pionierarten an Fliessgewässern ===<br />
(Übernommen aus: [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken])<br />
* Revitalisierung der Fliessgewässer, bevorzugt von Pionierarten besiedelte Standorten <br />
* Verzicht auf die Zuschüttung oder Eindämmung von besiedelten Uferflächen<br />
* Verzicht auf jeglichen Abbau der Sand-, Kies- oder Steinbänke innerhalb, ober- und unterhalb besiedelter Flächen<br />
* Zulassen von regelmässigen, genügend intensiven Hochwassern, um den natürlichen Abtrag der mit Vegetation bewachsenen Bänke in Auen zu gewährleisten<br />
* Gewährleisten von periodischen Ablagerungen von Sedimenten an besiedelten Standorten, um die Regeneration von Sedimentbänken in Auen sicherzustellen<br />
* Revitalisierung möglichst vieler Fliessgewässer, um über die Schaffung von potenziell günstigen Standorten die Wiederbesiedlung von verlassenen Gegenden zu fördern<br />
<br />
{{Foto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Mosaik_aus_Gruenlandtypen_-_Suedschwarzwald_-_IMG_7876b.jpg<br />
| text = Der Strukturreichtum dieser Flächen bietet Grünlandarten einen idealen Lebensraum.<br />
}}<br />
<br />
== Strukturreiche Flächen schaffen und schützen ==<br />
Für Heuschrecken sind weniger die typischen Kleinstrukturen wichtig, wie Ast- oder Steinhaufen, als vielmehr offene Bodenstellen (u.&nbsp;a. für die Eiablage) und Strukturen, die Wärme aufnehmen und speichern, wie felsige Bereiche, Kiesflächen, feuchte Senken und temporäre Tümpel. Neu angelegte Strukturen sollen eine minimale Fläche von 20&nbsp;m&sup2; pro ha haben. Natürliche Offenflächen und strukturreiche Flächen wie Moränen, Felsschutthalden, Kiesflächen und Verlandungszonen von Stillgewässern sind zu schützen und dürfen nicht zugeschüttet oder aufgeforstet werden.<br />
<br />
== Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts ==<br />
Viele gefährdete Heuschreckenarten sind auf eine extensive Beweidung oder regelmässige Mahd angewiesen, damit die Vegetation nicht zu dicht wird. Der optimale Schnittzeitpunkt ist artabhängig. Für Arten, die ihre Eier im Boden ablegen, ist eine Mahd zwischen Mai und August ungünstig. Für Arten, die ihre Eier an oder in Pflanzen ablegen, ist eine Mahd nach August und vor Mai problematisch. Die Bewirtschaftung kann aber auch schädlich sein. Verluste entstehen v.&nbsp;a. durch Mähaufbereiter und das Schwaden und Abführen des Mahdguts. Zur Verminderung der Verluste bei allen Arten ist bei der Mahd Folgendes zu beachten: <br />
<br />
* Es sollen möglichst wenige Schnitte erfolgen, optimaler Weise nur ein Schnitt pro Jahr<br />
* Frühmad: nicht ganzflächige durchführen; Spätmahd: nach dem Verblühen der meisten Pflanzen durchführen<br />
* Am besten ist eine differenzierte Pflege, d.&nbsp;h. ein Mosaik aus Flächen mit unterschiedlichen Mähzeitpunkten und Rückzugsstreifen, die nur alle 2 Jahre gemäht werden <br />
* Die Schnitthöhe soll mindestens 10&nbsp;cm betragen <br />
* Balkenmäher verursachen die niedrigste Schädigungsrate, Scheibenmähern die höchste; am schonendsten ist die Mahd mit der Sense <br />
* Das Schnittgut soll, damit sich die Tiere verteilen können, zum Trocknen liegen gelassen und stets abgeführt werden<br />
* Es sollen keine Mähaufbereiter eingesetzt werden<br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://www.buntewiese-tuebingen.de/app/download/6569219764/Hiller%202014%20Auswirkungen%20verschiedener%20Mahdkonzepte%20auf%20die%20Heuschreckenfauna%20st%C3%A4dtischer%20Gr%C3%BCnfl%C3%A4chen%20-%20Naturschutz%20und%20Landschaftsplanung.pdf?t=1490555371 Hiller, D. & Betz, O.(2014). Auswirkungen verschiedener Mahdkonzepte auf die Heuschreckenfauna städtischer Grünflächen]<br /><br />
<br />
'''Hintergrundinformationen'''<br /><br />
* [http://www.parcs.ch/npf/pdf_public/2014/30491_20141107_083216_MA_GrichtingStefan_2002.pdf Grichting, S. (2002). Heuschrecken (Orthoptera) von Trockensteppen und extensiv bewirtschafteten Wiesen im Pfynwald (VS, Schweiz)]<br />
: Studie zu den ökologischen Ansprüchen und der Verbreitung von Heuschrecken auf Wiesen mit unterschiedlichem Nutzungsgrad.<br /><br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/abashop?s=208&p=productdetail&sku=429&language=de Agridea (2011). Erntetechnik und Artenvielfalt in Wiesen]<br />
: Das Merkblatt zeigt die Auswirkungen verschiedener Mähtechniken und nachfolgender Ernteschritte auf die Artenvielfalt und gibt Empfehlungen für eine möglichst tierschonende Ernte. <br /><br />
<br />
==Rotationsbrachen anlegen und Altgrassstreifen stehen lassen ==<br />
Bei der Anlage von Rotationsbrachen und Altgrasstreifen ist auf das Vorkommen von Heuschreckenpopulation in der näheren Umgebung zu achten, da Heuschrecken oft nur geringe Ausbreitungsdistanzen haben. Als Rückzugsstreifen werden bei jedem Schnitt 10% der Wiese stehen gelassen.<br /><br />
<br />
'''Links'''<br />
* [http://www.agraroekologie.ch/NuL07-10_Mueller_Bosshard.pdf Müller, M. & Bosshard, B. (2012). Altgrasstreifen fördern Heuschrecken in Ökowiesen - Eine Möglichkeit zur Strukturverbesserung im Mähgrünland]<br />
: Studie zu den positiven Auswirkungen von Altgrasstreifen als Rückzugsraum bei der Mahd in extensiv genutzten Wiesen. <br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/2012_01_1723.pdf Duss, M. et al. (2012). Vernetzte Ökoflächen fördern Heuschrecken]<br />
: Studie zur Auswirkung eines Vernetzungsprojektes von ökologischen Ausgleichsflächen (öAF) auf die Verbreitung von 2 Heuschreckenarten. Die Grosse Goldschrecke (''Chrysochraon dispar'') profitiert von Altgrasstreifen.<br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/download.php?filename=2001_1112_102.pdf Peter, B. & Walter, T. (2001). Heuschrecken brauchen ökologische Ausgleichsflächen] <br />
: Vergleichende Untersuchungen vor und nach der Einführung von Biodiversitätsförderflächen (BFF) zeigt deren Wichtigkeit für Heuschrecken auf.<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Buntbrache_Altgrassstreifen_AK.png<br />
| text = Links und Mitte: Die Gemeine Sichelschrecke (''Phaneroptera falcata'') und die Langflüglige Schwertschrecke (''Conocephalus fuscus'') schätzen die hohe Vegetation von Buntbrachen. <br /><br />
Rechts: Die Grosse Goldschrecke (''Chrysochraon dispar'') profitiert von Altgrasstreifen.<br />
}}<br />
<br />
==Beweidung ==<br />
Für die Beweidung sollen möglichst traditionelle Rassen, bzw. leichte Tiere eingesetzt werden. Generell scheint Schaf-Hütehaltung besonders günstig für Heuschrecken zu sein. Die Viehdichte darf nicht zu hoch sein; der jährliche Besatz sollte 150 Grossvieheinheiten&sup1; pro Hektare (GVE/ha) nicht überschreiten. Es empfiehlt sich, eine Beweidung in Koppeln zu führen, womit ein ähnlicher Effekt erzielt wird wie mit einer Rotationsmahd. <br /><br />
<small><sup>1</sup>Die Beweidungsintensität ergibt sich aus dem Produkt von Besatzstärke in Grossvieheinheiten pro Hektare mal Anzahl Bestossungstagen (GVE/ha * dd). Je nach Grösse und Alter der Tiere ändert sich der Wert, der sich mit dem [https://www.agate.ch/portal/web/agate/gve-rechner GVE-Rechner des Bundesamtes für Landwirtschaft] genau ermitteln lässt.</small> <br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://www.pronatura.ch/de/2016/allegra-geissenpeter-ziegen-esel-und-rinder-weiden-fuer-die-biodiversitaet Pro Natura. Projekt „Allegra Geissenpeter“]<br />
: Pro Natura lanciert Projekte mit verschiedenen Weidetierarten, um die Trockenstandorte in den Alpen nachhaltig zu sichern, unter anderem zur Förderung der Heuschrecken. Die unterschiedlichen Projekte und die Ergebnisse der Erfolgskontrollen sind im [https://www.pronatura.ch/sites/pronatura.ch/files/2017-11/leitfaden_fuer_die_aufwertung_von_brachliegenden_trockenstandorten_durch_beweidung-beitraege_zum_naturschutz_in_der_schweiz_nr_37-2016_highres.pdf Leitfaden für die Aufwertung von brachliegenden Trockenstandorten durch Beweidung (2016)] zusammengefasst.<br />
<br />
== Direktbegrünung und Mahdgutübertragung ==<br />
Direktbegrünung und Mahdgutübertragung sind einer Ansaat vorzuziehen, da zusammen mit dem Pflanzenmaterial oder den Samen Insekten und Eier übertragen werden können. Dies ist insbesondere wichtig für Arten mit einem geringem Ausbreitungspotenzial. Das Saat- und Mahdgut sollte von [https://www.regioflora.ch/app/de/index.html Spenderflächen aus der nahen Umgebung] stammen, also [https://de.wikipedia.org/wiki/Autochthone_Art autochthon] sein, um die regionale genetische Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten zu erhalten. Für eine erfolgreiche Besiedlung sollen Empfängerflächen in maximal 1&nbsp;km Distanz, besser nur 500&nbsp;m, zu bereits besiedelten Flächen angelegt werden. Bei der Begrünung können kleine Bodenstelle langfristig offengehalten werden, indem Steine oder Feinsediment als Substrat eingebracht wird. <br />
<br />
'''Hintergrundinformation'''<br />
* [http://public.bibliothek.uni-halle.de/index.php/hercynia/article/viewFile/218/224 Elias, D. & Thiede, S. (2008). Verfrachtung von Heuschrecken (Insecta: Ensifera et Caelifera) mit frischem Mähgut im Wulfener Bruch (Sachsen-Anhalt)]<br />
: Diese Studie zeigt auf, dass die Mahdgutübertragung für Heuschrecken eine wichtige Rolle spielt, insbesondere für wenig mobile Arten.<br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/2001_07_71.pdf Bosshard, A. & Kuster, D. (2001). Bedeutung neu angelegter Extensivwiesen für Tagfalter und Heuschrecken]<br />
: Die Untersuchung zeigt, dass neu angelegte Extensivwiesen rasch von gefährdeten Heuschrecken- und Tagfalterarten besiedelt werden können.<br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [https://www.regioflora.ch/ Regio Flora - das Portal zur Förderung der regionalen Vielfalt im Grünland]<br />
: Umfassende Informationen zur Direktbegrünung von Wiesen und Weiden.<br />
* [https://www.regioflora.ch/de/assets/content/pdf/RF_Praxismerkblatt_D_download9.11.15.pdf Agridea (2015). Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft]<br />
: Leitfaden für die Praxis zum Einsatz von regionalem Saatgut in Biodiversitätsförderflächen.<br />
<br />
{{Foto-rechts-hoch<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Gewaesser_PZ.png<br />
| text = Die Ufer von Fliess- und Stillgewässern sind wichtige Verbreitungskorridore und sollen alternierend bewirtschaftet werden. <br />
}}<br />
<br />
== Feuchtgebiete und Trockenstandorte ==<br />
=== Ruderalstandorte und Säume entlang von Feuchtgebieten pflegen ===<br />
Zahlreiche Arten legen ihre Eier in Stängel von Pflanzen im Uferbereich von Still- und Fliessgewässern. Die Uferbereiche sind wichtige Verbreitungskorridore für die Tiere. Daher ist die extensive Pflege von Feuchtgebieten und Gräben das ganze Jahr über wichtig:<br />
* [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts|Mahd]] an den Ufern alternierend, an einem Ufer die Vegetation immer für ca. 1-2 Jahre stehen lassen <br />
* Säume am selben Ufer gestaffelt mähen und das Schnittgut abführen <br />
* Flächen nicht mulchen<br />
* Ruderalstandorte immer wieder abschnittweise stören durch extensive [[#Beweidung| Beweidung]] oder [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts | Mahd]], um die Verbuschung zu verhindern und [[#Strukturreiche Flächen schaffen und schützen| strukturreiche Flächen]] zu schaffen <br />
* Invasive Pflanzen zurückdrängen, insbesondere Flügelknöterich (''Fallopia'') und Drüsiges Springkraut (''Impatiens glandulifera'')<br />
<br />
=== Entbuschung von Trockenstandorten === <br />
Der Baum- und Strauchbewuchs soll bei grossen Standorten maximal 25% betragen, bei kleineren 10% oder weniger. Für die langfristige Offenhaltung der Trockenwiesen- und weiden eignen sich extensive Beweidung oder Mahd. Massnahmen zur Aufwertung von Trockenstandorten werden zu einem späteren Zeitpunkt bearbeitet.<br />
<br />
== Im Siedlungsgebiet ==<br />
=== Schotter- und Brachflächen extensiv pflegen ===<br />
Im Randbereich vom Siedlungsgebiet und auf Firmengeländen kann eine reiche Heuschreckenfauna entstehen, wenn grössere Offenflächen vorhanden sind. Dies können z.&nbsp;B. Schotter- und Industriebrachen sein, die einen lockeren Pflanzenbewuchs aufweisen. Diese Flächen sollen extensiv bewirtschaftet werden (siehe: [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts|Mahdkonzepte]]). Der Strukturreichtum kann gefördert werden, indem die Pflege nur abschnittweise erfolgt und zusätzliche [[#Strukturreiche Flächen schaffen und schützen| Kleinstrukturen]] angelegt werden.<br />
<br />
=== Begrünung und Pflege von Flachdächern ===<br />
Flachdächer können einigen Heuschreckenarten, z.&nbsp;B. der Blauflügeligen Sandschrecke (''Sphingonotus caerulans'') oder der Blauflügeligen Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') als Trittstein dienen. Dauerhafte Ansiedlungen von Populationen wurden bisher noch nicht beobachtet. Bei der Anlage der Dächer ist Folgendes wichtig: <br />
* Nur einheimische Pflanzen und Saatgut verwenden <br />
* Offene Stellen belassen und regelmässig neue Offenflächen durch Abtragung des Oberbodens schaffen <br />
* Sand, Kies und Steine in unterschiedlichen Korngrössen verwenden <br />
* Pflanzen extensiv und abschnittsweise pflegen <br />
* Strukturreichtum durch Kieshaufen, Holz, etc. sicherstellen <br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://docplayer.org/20659374-Die-blaufluegelige-sandschrecke-sphingonotus-caerulans-auf-den-extensiv-begruenten-daechern-der-europa-allee-zuerich.html Speck, M. & Brenneisen, S. (2014). Die Blauflügelige Sandschrecke (Sphingonotus caerulans) auf den extensiv begrünten Dächern der Europa-Allee in Zürich]<br />
: Diese Studie belegt das Vorkommen der Rote-Liste Art auf Flachdächern in Zürich. Die Blauflügelige Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') wurde in vorherigen Untersuchungen machgewiesen, die hier zitiert werden.<br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [https://www.stadt-zuerich.ch/ted/de/index/gsz/beratung-und-wissen/wohn-und-arbeitsumfeld/dachbegruenungen0.html Stadt Zürich. Dachbegrünung]: Umfassende Informationen zur Anlage und Pflege von Dachbegrünung mit vielen Praxisbeispielen.<br />
* [https://www.stadt.sg.ch/home/raum-umwelt/bauen-sanieren/natur-stadt.html Stadt St. Gallen, Amt für Umwelt und Energie (2014). Leitfaden Dachbegrünung]: Ausführliche Informationen zu Aufbau und extensiven Begrünungsarten von Flachdächern.<br />
<br />
{{Fotos-links-550px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Siedlungsgebiet.png<br />
| text = Der Blauflügeligen Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') und der Blauflügeligen Sandschrecke (''Sphingonotus caerulans'') können Flachdächer als Trittsteine in neue Lebensräume dienen.<br />
}}<br />
<br />
=== Wildblumenwiesen und Trockenflächen anlegen und pflegen === <br />
In Parks und Gärten können auch anspruchsvollere Heuschreckenarten vorkommen, wenn Folgendes beachtet wird:<br />
* Nur einheimisches Saatgut verwenden <br />
* Lückig säen und nicht düngen <br />
* Offene Bodenflächen belassen <br />
* Maximal 2-mal pro Jahr mit Balkenmäher oder Sense und abschnittsweise mähen <br />
* Brachflächen, Altgrassstreifen und Säume um Gebüsche und Gehölze von 5-10m abschnittsweise pflegen, um eine Zunahme der Verbuschung zu verhindern <br />
* Mahdgut abführen <br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [http://www.pronatura.ch/blumenwiesen?file=tl_files/dokumente_de/2_unsere_themen/lebensraeume/Wiesen/Pro_Natura_Praxis_Blumenwiese.pdf Pro Natura 2014. Blumenwiesen anlegen und pflegen]<br />
: Ausführliche Informationen zur Anlage und Pflege von grossen und kleinen (Wild-) Blumenwiesen.<br />
* [https://assets.wwf.ch/custom/biodiv/pdf/PRIV_Wiesenparadies.pdf WWF Schweiz 2010. Buntes Wiesenparadies mit einheimischen Wildblumen]<br />
: Schritt für Schritt Anleitung zur Anlage und Pflege von Wildblumenwiesen für Privathaushalte.<br />
* [https://assets.wwf.ch/downloads/priv_ruderalflaechen_1.pdf WWF Schweiz 2010. Lebendige Trockenstandorte mit Sand, Kies und Schotter]<br />
: Anleitung zur Anlage und Pflege von Trockenstandorten für Privathaushalte.<br />
<br />
== Sekundäre Pionierstandorte anlegen und pflegen == <br />
Vom Menschen geschaffene Pionierstandorte sind für Heuschrecken wertvolle Sekundärhabitate geworden, da vielerorts die ursprünglichen Lebensräume (z.&nbsp;B. See- und Flussauen, Brandflächen, etc.) verschwunden sind. Der Erhalt der Pionierstandorte bedarf regelmässiger Pflegeeinsätze zur Verhinderung von Verfilzung und Verbuschung.<br />
Heuschrecken finden wertvolle Pionierflächen: <br />
* In Steinbrüchen und Kiesgruben <br />
* In Weinbergen<br />
* In Sand-, Lehmgruben und Mergelgruben <br />
* An Bahnhöfen und Gleisen<br />
* Auf Industriebrachen<br />
<br />
== Wiederansiedlung von Tieren ==<br />
Die Wiederansiedelung von ehemals vorkommenden Heuschrecken kann nur eine letzte Alternative im Naturschutz sein, da primär immer der Schutz der vorhandenen Populationen im Fokus steht und die Wiederansiedlung sehr aufwändig ist. Für eine erfolgreiche Wiederansiedlung ist es notwendig, eine sorgfältige Ansiedlungs-Strategie zu erarbeiten und die [https://portals.iucn.org/library/efiles/documents/2013-009.pdf Richtlinien der IUCN zur Wiederansiedlung] strikt zu befolgen. Die Wiederansiedlung von Heuschrecken ist bewilligungspflichtig und soll Spezialisten überlassen werden, weshalb hier nicht näher darauf eingegangen wird.<br />
<br />
<br />
{{Foto-rechts-quer<br />
| bilddatei = GSM-5012435629 6b68a9c506 b Ephipiger cfr diurnus female.jpg<br />
| text = Die Westliche Sattelschrecke (''Ephippiger diurnus'') besiedelt trockene und lückige Wiesen und Waldränder. Sie gehört zu den stark gefährdeten Arten. <br />
}}<br />
<br />
= Artenschutz =<br />
Viele Heuschreckenarten brauchen aufgrund ihrer Ansprüche an den Lebensraum ganz spezifische Fördermassnahmen. Die Priorisierung der gefährdeten Arten gemäss ihrem Förderbedarf kann der [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/liste-national-prioritaeren-arten.html Liste der National Prioritären Arten (2011)] entnommen werden. Eine wichtige Grundlage für die Förderung sind auch die in der [http://www.cscf.ch/cscf/de/home/wissenschaftliche-aktivitaten/fauna-indicativa.html Fauna Indicativa] zusammengestellten Präferenzen und Eigenschaften der einzelnen Arten.<br />
<br />
Es gibt nur wenige Praxisinformationen zum spezifischen Artenschutz von Heuschrecken. In der Schweiz wurde bisher nur für die Blauflügelige Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') eine [http://kbnl.ch/wp-content/uploads/2016/11/webseite_Ocaerulescens.pdf Zusammenfassung zur Best Practice der Artenförderung] und ein [http://www.aln.zh.ch/internet/baudirektion/aln/de/naturschutz/artenfoerderung/ap_fa/oedland/_jcr_content/contentPar/downloadlist/downloaditems/40_1298476571873.spooler.download.1387468488719.pdf/Oedipoda_caerulescens_AP.pdf Schutzkonzept vom Kanton Zürich] erstellt. <br />
In den Nachbarländern wurden folgenden Publikationen zu Fördermassnahmen erstellt: <br />
<br />
'''Deutschland'''<br />
* [http://www.nlwkn.niedersachsen.de/naturschutz/natura_2000/vollzugshinweise_arten_und_lebensraumtypen/vollzugshinweise-fuer-arten-und-lebensraumtypen-46103.html#Wirbellose Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz. Niedersächsische Strategie zum Arten- und Biotopschutz]<br />
'''Österreich''' <br />
* [http://www.zobodat.at/pdf/NaturschutzbundBgld_9_2013_0001-0160.pdf Zuna-Kratky, T. et. al. (2013). Schutzprogramm für die gefährdeten Heuschrecken des Nordburgenlands]<br />
'''Niederlande''' <br />
* [http://repository.naturalis.nl/document/161506 Schut, D. et al. (2008). Actieplan prioritaire Sprinkhanen in Noord-Brabant]<br />
<br />
= Gefährdung =<br />
Von den 105 für die [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html Rote Liste 2007] untersuchten Heuschreckenarten sind fast 40% bedroht. Am stärksten gefährdet sind die Pionierarten entlang von Gewässern sowie die Arten der Flach- und Hochmoore. Die Erhaltung der letzten Populationen dieser Arten ist daher von grosser Bedeutung.<br />
Die grössten Gefährdungsursachen für alle Heuschreckenarten sind:<br />
* Verlust und Fragmentierung des Lebensraums durch Veränderung der Landnutzung, z.&nbsp;B. durch Umwandlung von Grünland in Äcker, Urbanisierung oder Industrialisierung<br />
* Intensivierung der Nutzung, insbesondere der Einsatz von Mähmaschinen und Mähaufbereitern, sowie Düngung und Erhöhung der Anzahl Schnitte pro Jahr, sowie höhere Viehdichten auf kleinerem Raum<br />
* Mangelnde (natürliche) Prozesse zur Offenhaltung der Landschaft und von Bodenstellen, Homogenisierung der Landschaft<br />
* Verdichtung der Vegetation durch Eutrophierung<br />
* Einsatz von Insektiziden<br />
<br />
Weitere Gefährdungsursachen in Bezug auf die Lebensraumbindung sind:<br />
* Grünlandarten: Intensive Beweidung oder häufige Mahd, Verbuschung oder Verkrautung durch Verbrachung, Verarmung der Pflanzenvielfalt, Düngung von Wiesen und Weiden <br />
* Feuchtgebietsarten: Veränderungen im Gewässerhaushalt von Feuchtgebieten, intensivere landwirtschaftliche Nutzung von Feuchtwiesen <br />
* Wald- und Waldrandarten: Fehlende Stufenstruktur des Waldrandes (Strauch- und Krautschicht), Entfernung von Hecken, Kleinstrukturen und Felsen, Intensivierung der Forstwirtschaft, Einsatz von Bioziden, Anbau von Monokulturen, touristische Nutzung (insbesondere mit Ski & Mountainbike)<br />
* Pionierarten: Verbauungen der Fliessgewässer und Eingriffe in den Geschiebehaushalt, Veränderungen des Gewässerhaushaltes und der Gewässerdynamik, Verbuschung und Verkrautung der Offenflächen<br />
<br />
= Wissenslücken =<br />
Die Wissenslücken sind nicht abschliessend und fokussieren besonders auf die Förderung.<br />
* Erfolgreiche Förderung seltener Arten<br />
* Minimale überlebensfähige Populationsgrössen <br />
* Vernetzung von Heuschreckenpopulationen unterschiedlicher Arten und Artenzusammensetzungen<br />
* Habitatspezifische Auswirkungen der Grünlandnutzung: lässt sich das auf Trockenrasen gewonnene Wissen bspw. auf Feuchtwiesen übertragen?<br />
* Barrierewirkung mehrspuriger Strassen (Autobahnen)<br />
* Auswirkungen vom Klimawandel, insbesondere langer Dürreperioden oder Starkregen<br />
<br />
= Praxisbeispiele =<br />
Für Heuschrecken haben wir nur ein Praxisbeispiel gefunden, welches die durchgeführten Massnahmen ausführlich beschreibt und eine Erfolgsuntersuchung beinhaltet. Daher freuen wir uns über Ihre [http://biodivers.ch/index.php/kontakt.html Vorschläge per Email.]<br />
* [http://www.parcs.ch/nwp/pdf_public/2014/26962_20140130_123116_Kurth_Salome_2007.pdf Kurth, S. (2007). Planning a migration corridor for the highly endangered grasshopper Chorthippus pullus (Orthoptera, Acrididae) in the Rottensand (Pfynwald, VS)] <br />
: Für den Kiesbankgrashüpfer wurde im Pfynwald ein Migrationskorridor errichtet und die anschliessende Nutzung beobachtet.<br />
<br />
= Allgemeine Links=<br />
* [http://lepus.unine.ch/carto/ Centre Suisse de Cartographie de la Faune (CSCF). Verbreitungskarten der Schweizer Tierarten]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken]<br />
* [http://www.orthoptera.ch Orthoptera Schweiz. Heuschrecken-Plattform für die Schweiz und Europa ]<br />
* [http://www.orthoptera.ch/links Orthoptera Schweiz. Linkliste der Heuschrecken-Webseiten Europas und weltweit] <br />
<br />
== Glossar und weitere spannende Links ==<br />
* [https://www.orthoptera.ch/glossar Glossar von orthoptera.ch]<br />
* [http://www.biofotoquiz.ch/biofotoquiz/index.php?domain=standard&classID=278 Biofotoquiz]<br />
: Quiz mit Fotos von Heuschrecken und anderen Tier- und Pflanzenarten zum Kennenlernen der Arten.<br />
* [https://offene-naturfuehrer.de/web/Heuschreckenarten_nach_einfachen_Merkmalen_bestimmen_(Bayern) Heuschreckenarten nach einfachen Merkmalen bestimmen (Bayern)]<br />
: Wiki-Bestimmungsschlüssel für die Heuschrecken von Bayern. Der Leser wird anhand der Merkmale geführt, die Kenntnis von Fachbegriffen wird vorausgesetzt. <br />
* [http://www.andre-rey.ch/cms/fileadmin/pdf/Heuschecken_Bestimmungsschluessel_Suedalpen.pdf Fontana et al. (2002). Heuschrecken-Bestimmungsschlüssel für die östlichen Südalpen]<br />
: Bestimmungsschlüssel mit detaillierten Zeichnungen der Merkmale. <br />
* [http://www.orthoptera.ch/info-app-wiki/orthoptera-app Orthoptera-App]<br />
: Die Heuschrecken Bestimmungs-App für iphone und Android enthält zu jeder Art zahlreiche Fotos, Stimmaufzeichnungen und Hintergrundinformationen. Beobachtungen können in der App eingegeben und so dem CSCF gemeldet werden.<br />
<br />
= Literaturempfehlungen =<br />
* Detzel, P. (1998). Die Heuschrecken Baden-Württembergs. Stuttgart Hohenheim, Ulmer.<br />
: Bisher immer noch das beste Buch zur praxisnahen Ökologie und Massnahmen zur Förderung von Heuschrecken. Die Aufwertungs-Massnahmen sind an einzelne Arten und Lebensräume angepasst. Als genereller Leitfaden sind sie sehr gut, umsetzungsorientierte Anleitungen fehlen. Alles in allem ein gutes Buch für den Anfang, eine Weiterentwicklung ist aber dringend notwendig.<br />
* Ingrisch, S. & Köhler, G. (1998). Die Heuschrecken Mitteleuropas. Vol. Bd. 629. Magdeburg, Westarp Wissenschaften.<br />
: Sehr ausführliches und allgemeines Buch zur Biologie, Populationsdynamiken und Lebensräumen der Heuschrecken, weniger zur Biotopaufwertung und zu Fördermassnahmen. Trotz dem Alter immer noch lesenswert und informativ. <br />
* Schlumprecht, H. & Waeber, G. (2003). Heuschrecken in Bayern. Stuttgart Hohenheim. Ulmer. <br />
: Sehr ausführlicher Bestimmungs-Atlas mit vielen Informationen zur Lebensweise und den Lebensräumen der einzelnen Arten. Zu Gefährdung und Schutz gibt es Beispiele aus dem bayrischen Raum und Ratschläge zur Aufwertung für jede Art.<br />
* Maas, S., Detzel, P. & Staudt, A. (2002). Gefährdungsanalyse der Heuschrecken Deutschlands - Verbreitungsatlas, Gefährdungseinstufung und Schutzkonzepte. Bonn-Bad Godesberg, Bundesamt für Naturschutz.<br />
: Ausführlicher Atlas zu den Heuschreckenarten in Deutschland mit Gefährdungsanalysen und Informationen zu Habitaten, Biologie und Verbreitung der einzelnen Arten. Die Angaben zur Aufwertung von Lebensräumen sind kurz gehalten.<br />
* [http://dgfo-articulata.de/articulata Articulata - Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Orthopterologie] <br />
: In der Zeitschrift der DGFO erscheinen regelmässig Artikel zur Förderung von Heuschrecken, ältere Artikel können als PDF heruntergeladen werden.<br />
<br />
== Bestimmungsbücher ==<br />
* Baur, B., Bauer, H., Rösti, C., & Rösti, D. (2006). Die Heuschrecken der Schweiz. Bern, Haupt Verlag.<br />
: Intuitiver Bestimmungsschlüssel für die Schweizer Heuschreckenarten mit sehr schönen Detail-Zeichnungen. Enthält Verbreitungskarten und Erklärungen zu den wichtigsten Merkmalen.<br />
* Fischer, J., Steinlechner, D., Zehm, A., Poniatowski, D., et al., Hrsg. Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (2016). Die Heuschrecken Deutschlands und Nordtirols: Bestimmen - Beobachten - Schützen. Wiebelsheim Hunsrück, Quelle & Meyer.<br />
: Dieses Buch sticht positiv heraus. Es enthält Detailfotos der Bestimmungsmerkmale der Adultiere und Nymphen, eine Darstellung der Hauptaktivitätszeit aller Arten im Jahresverlauf und vieles mehr.<br />
* Weitere nationale und internationale Bestimmungsbücher sind auf [http://www.orthoptera.ch/literatur Orthoptera.ch] aufgeführt.<br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers ]|| info@biodivers.ch<br />
|-<br />
| Review|| [http://www.goeg.de/kontakt Prof. Dr. Peter Detzel] || [http://www.goeg.de/ Gruppe für ökologische Gutachten] <br />
|-<br />
| || [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Dr. Axel Hochkirch] || [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Universität Trier] <br />
|-<br />
| || [https://www.naturalis.nl/en/science/researchers/roy-kleukers Roy Kleukers] || [https://www.naturalis.nl/en Naturalis Biodiversity Center] <br />
|-<br />
| || [https://www.orthoptera.ch/ueber-uns Florin Rutschmann] || [http://www.pronatura-aargau.ch/cms/index.php?id=4&no_cache=1 Pro Natura Aargau] <br />
|}<br />
<br />
<!-- biodivers-Links zu Arten: Kiesbankgrashüpfer Chorthippus pullus, Blauflügelige Ödlanschrecke Oedipoda caerulescens → Aktionsplandrehscheibe, Grüne Heupferd Tettigonia viridissima, Alpenschrecke Anonconotus alpinus <br />
biodivers-Links zu Lebensräumen: Kleinstrukturen, Hecke, Stillgewässer (mehrfach), Fliessgewässer (mehrfach), Wald und Waldrand (mehrfach), Feuchtgebiete, Sumpf, Grünland, Trockenwiesen und Trockenweisen, Entbuschung von Trockenwiesen (mehrfach)--></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Heuschrecken&diff=4691
Heuschrecken
2023-03-04T13:52:26Z
<p>VB2: </p>
<hr />
<div>[[fr:Orthoptères]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = JM 29293745804 8952ea6513 h.jpg<br />
| text = Die Sumpfschrecke (''Stethophyma grossum'') besiedelt feuchte Wiesen und Flachmoore.<br />
}}<br />
<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers]<br />
|-<br />
| Review || [http://www.goeg.de/ueber-uns/team Prof. Dr. Peter Detzel], [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Dr. Axel Hochkirch], [https://www.naturalis.nl/en/science/researchers/roy-kleukers Roy Kleukers] & [http://www.orthoptera.ch/ueber-uns Florin Rutschmann]<br />
|-<br />
| Publikation || Juli 2017<br />
|}<br />
<br /><br />
{{TOC limit|2}}<br />
= Zusammenfassung =<br />
Über 100 Heuschreckenarten bereichern unsere Fauna und überraschen uns mit Flug-, Grab- oder Klangkünsten sowie ihrer Farben- und Formenvielfalt. Heuschrecken (Orthopteren) sind wärmeliebende Kulturfolger. Die meisten Arten beherbergt das Grünland, ob trocken oder feucht, gemäht oder beweidet. Einige Arten leben in lichten Wäldern und auf Pionierflächen der Flussauen und Geröllhalden. Viele Heuschreckenarten sind auf eine hohe Strukturvielfalt auf kleinem Raum angewiesen, da ihre durchschnittliche Ausbreitungsdistanz weniger als ein Kilometer beträgt.<br />
<br />
Für alle Arten ist die Offenhaltung ihrer Lebensräume zentral. Die Wiederherstellung der natürlichen Dynamiken oder die regelmässige, extensive Bewirtschaftung der besiedelten Flächen ist daher wichtig. Bei der Mahd ist darauf zu achten, ein Mosaik aus Rückzugsstreifen und Flächen mit unterschiedlichen Mahdzeitpunkten zu schaffen. Bei der Begrünung sind eine geringe Distanz zu besiedelten Flächen und eine lückige Ausbringung vorteilhaft. Von den über 100 einheimischen Heuschreckenarten stehen 40% auf der Roten Liste. Insbesondere die Arten der Pionierflächen haben einen erhöhten Förderbedarf. <br />
<br />
= Systematik =<br />
Heuschrecken werden in zwei leicht unterscheidbare Gruppen eingeteilt. Bei den Langfühlerschrecken (Ensifera) sind die Fühler gleich lang oder länger als der Körper und haben mindestens 30 Fühlerglieder, während sie bei den Kurzfühlerschrecken (Caelifera) kürzer als der Körper sind. Die Weibchen der Langfühlerschrecken besitzen meist einen auffälligen Legebohrer, im Gegensatz zu den kurzen Legeröhrenklappen bei den Kurzfühlerschrecken. Nur die Maulwurfsgrille gehört auch ohne lange Fühler und Legebohrer zu den Langfühlerschrecken. <br />
Mehr zur Systematik der Heuschrecken auf [https://de.wikipedia.org/wiki/Heuschrecken Wikipedia].<br />
<br />
=Praxisrelevante Ökologie=<br />
== Lebensräume ==<br />
Heuschrecken besiedeln die meisten terrestrischen Lebensräume bis auf 3'100&nbsp;m&nbsp;ü.&nbsp;M. Sie kommen in extensiven Wiesen und Weiden, Brachen, Weinbergen, Wäldern, Feuchtgebieten, Mooren und Flussauen vor. Heuschrecken können allgemein als wärmeliebende Kulturfolger bezeichnet werden, die in stark vom Menschen geprägten Landschaften leben. So können Kiesgruben und Steinbrüche viele seltene Arten beherbergen, wenn sie offengehalten und extensiv gepflegt werden. Im Siedlungsgebiet finden Heuschrecken eine Vielfalt an Kleinlebensräumen auf Industriebrachen und grossen Güterbahnhöfen, Schotterplätzen und in Ruderalflächen. Für seltene Arten sind Parks, Gärten und Flachdächer als Lebensraum wenig relevant, als Trittsteine können sie aber beim Erreichen neuer Lebensräume helfen. <br />
<br />
{{Fotos-links-1000px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Lebensraeuume_Gruppen_PZ.png<br />
| text = Zu den wichtigsten Lebensräumen für Heuschrecken zählen magere Wiesen, Moorlandschaften, lückige Wälder und Blocksteinhalden.<br />
}}<br />
<br />
Da nahezu alle Heuschrecken licht- und wärmeliebend sind, brauchen sie in ihren Lebensräumen Offenflächen bzw. lückige Pflanzenbestände. Die Bindung an das Habitat erfolgt weniger aufgrund bestimmter Pflanzengesellschaften, als aufgrund der benötigten Strukturen und der mikroklimatischen Verhältnisse. Entscheidend sind Dichte und Höhe der Vegetation, sowie Temperatur und Feuchtigkeit. Mosaikartige Lebensräume mit einer Vielfalt an Strukturen sind für eine hohe Heuschreckenvielfalt optimal. So leben an Lebensraum-Übergängen, wie Waldrändern mit Feuchtwiesen oder Hecken entlang von extensiven Wiesen, besonders viele Arten. Für den Erhalt von Offenflächen und Strukturreichtum sind regelmässige Pflegeeinsätze notwendig, wenn natürliche Dynamiken fehlen.<br />
<br />
Die Schweizer Heuschreckenarten können bezüglich ihrer Lebensraumbindung in vier Gruppen unterteilt werden (aus: [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken]) <br />
# Grünlandarten in Trockenwiesen und -weiden (43 Arten)<br />
# Sumpf- und Feuchtgebietsarten in Flach- und Hochmooren (11 Arten)<br />
# Wald- und Waldrandarten sowie Gebüscharten, vor allem in tieferen Lagen (24 Arten)<br />
# Pionierarten in Auen, Felsplatten, Geröllhalden oder Karst (25 Arten)<br />
<br />
==Merkmale und Vermehrung==<br />
Heuschrecken sind durch ihre Körperform, ihr Verhalten und ihre Körperfärbung an ihren Lebensraum angepasst und häufig gut getarnt. Die Körperfärbung kann innerhalb einer Art stark variieren und ist daher meist kein spezifisches Unterscheidungsmerkmal. Die Körperfärbung ist nicht immer genetisch festgelegt, sondern kann sich während der Entwicklung verändern und der Färbung der Umgebung anpassen. Adulte Tiere können ihre Farbe dagegen nicht mehr wechseln, aber ggf. noch nachdunkeln.<br />
<br />
Heuschrecken durchlaufen eine hemimetabole (unvollkommene) Entwicklung. Nach dem Schlupf sind die sogenannten Nymphen schon als Heuschrecken zu erkennen und werden mit jeder Häutung dem adulten Tier ähnlicher. Grillen brauchen bis zu 12 Häutungen, bis sie ausgewachsen sind, Laubheuschrecken 5 bis 7 und Kurzfühlerschrecken 4 bis 5 Häutungen. Erst nach der letzten Häutung bilden sich die Flügel und Geschlechtsorgane vollständig aus. Die meisten Heuschrecken sind einjährig, ihre Nymphen schlüpfen im Zeitraum von Frühling bis Sommer. Adulte Tiere sind von Sommer bis Herbst zu finden, das Auftreten richtet sich vor allem nach der Höhenstufe und den mikroklimatischen Verhältnissen. Nur Grillen (Gryllidae) und Dornschrecken (Tetrigidae) überwintern in einem der Nymphenstadien oder als adulte Tiere und treten entsprechend früh im Jahr auf. <br />
<br />
Die Paarung erfolgt einige Tage bis wenige Wochen nach der letzten Häutung und schon wenige Tage später beginnt die Eiablage. Die Weibchen der meisten Heuschreckenarten legen ihre Eier im Boden oder an der Basis von Gräsern ab. Andere Arten legen ihre Eier in rissige Baumrinde und markhaltige Pflanzenteile oder heften sie an Halme und Blätter. Die Langfühlerschrecken können mit dem Legebohrer ihre Eier tiefer in den Boden legen als die Kurzfühlerschrecken. Bei den meisten heimischen Arten dauert die Entwicklung der Eier bis zum Schlupf vom Herbst bis zum nächsten Frühling, bei einigen auch mehrere Jahre. <br />
<br />
Die Feuchte- und Temperatur-Ansprüche der Eier sind bei Heuschrecken entscheidend für die Habitatbindung der Arten. Arten der Feuchthabitate können oft nicht überleben, wenn ihre Eier im Winter nicht genügend feucht sind. Sie brauchen eine Periode der Überflutung. Feldheuschrecken der trockenen Habitate haben eine längere Eientwicklung nach dem Winter und benötigen höhere Bodentemperaturen. Die notwenigen Temperaturen werden erreicht, wenn Sonnenstrahlen offene Bodenstellen erwärmen. Andere Arten, die in höherer, dichterer Vegetation leben, kommen auch mit geringer Sonneneinstrahlung zurecht. So gibt es einige Spezialisten unter den Heuschrecken, mit ganz spezifischen Ansprüchen an ihren Lebensraum. Der Kiesbankgrashüpfer (''Chorthippus pullus'') lebt in der Schweiz z.&nbsp;B. ausschliesslich auf vegetationsarmen Kiesbänken grosser Alpenflüsse.<br />
<br />
{{Fotos-links-1000px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Eiablage_Lebensraum-Fluegel.png<br />
| text = Von links nach rechts: Die Laubholz-Säbelschrecke (''Barbitistes serricauda'') legt ihre Eier in Gehölze mit strukturreicher Borke ab. Der Kiesbankgrashüpfer (''Chorthippus pullus'') kommt nur entlang der grossen Alpenflüsse vor. Die Gewöhnliche Gebirgsschrecke (''Podisma pedestris'') kann aufgrund der verkümmerten Flügel nicht fliegen.<br />
Das Grüne Heupferd (''Tettigonia viridissima'') ist ein Langstreckenflieger unter den Heuschrecken.<br />
}}<br />
<br />
==Populationsgrössen und Ausbreitung ==<br />
Die Populationsgrösse kann zwischen den Jahren stark schwanken. Schon ein Kälteeinbruch oder eine längere Regenphase im Frühsommer können zu einem starken Populationsrückgang führen. Einzelbeobachtungen weisen darauf hin, dass auch kleine Populationen mit weniger als 50 Tieren über mehrere Jahre existieren können, wenn die Habitatqualität nicht abnimmt. <br />
<br />
Die meisten Heuschreckenarten sind sesshaft und bewegen sich in einem Umkreis von wenigen Metern bis maximal 1&nbsp;km. Bei vielen Arten sind die Flügel verkümmert (z.&nbsp;B. bei der Gewöhnlichen Gebirgsschrecke ''Podisma pedestris''). Es gibt aber auch einzelne Langstreckenflieger, wie das Grüne Heupferd (''Tettigonia viridissima''), das in einem Sommer Distanzen von mehreren Kilometern zurücklegen kann. Hohe Bestandsdichten können die Ausbreitung von sesshaften Arten erhöhen, da bei Dichtestress die Mobilität steigt und makroptere (langflügelige) Tiere auftreten können, deren Flügel deutlich länger sind als üblich. Mit verlängerten Flügeln können auch Arten, die üblicherweise flugunfähig sind, weitere Distanzen überqueren. Ungenügend untersucht ist die Ausbreitung von Eiern und Tieren durch passiven Transport, z.&nbsp;B. durch Fliessgewässer, den Bahnverkehr, durch Verfrachtung mit Mahdgut oder mit Weidetieren. Bei manchen Arten scheint diese Art der Verbreitung jedoch gut zu funktionieren, da immer wieder fernab von bekannten Populationen Einzeltiere oder kleine Initialpopulationen gefunden werden.<br />
<br />
== Fauna Indicativa ==<br />
Die [http://www.cscf.ch/cscf/de/home/projekte/fauna-indicativa.html Fauna Indicativa] ist ein Nachschlagewerk sowie ein Werkzeug für die Auswertung faunistischer Daten. Sie charakterisiert in Tabellenform ökologische Präferenzen und biologische Eigenschaften aller in der Schweiz einheimischen Heuschrecken.<br />
<br />
=Erhalt und Förderung=<br />
==Allgemeine Massnahmen ==<br />
===Grünland- und Feuchtgebietsarten ===<br />
* Extensive Bewirtschaftung von Wiesen und Weiden und Verzicht auf schwere Maschinen, insbesondere in Feuchtgebieten<br />
* Verzicht auf das Ausbringen von Kunstdünger und Bioziden, insbesondere Insektiziden<br />
* Förderung von Biodiversitätsförderflächen (BFF) mit Qualitätsstufe QII<br />
* Verzicht auf die Bewässerung von Trockenwiesen und Steppen<br />
* Eindämmung der Verbuschung und Verbrachung von Trockenwiesen- und weiden<br />
* Verzicht auf die Entwässerung von Feuchtgebieten und Wiederherstellung des natürlichen Wasserregimes<br />
* Erhalt von Weiden, da in der Regel mit heterogener Struktur und artenreicher, ausser bei einschüriger Mahd <br />
* Schutz und Wiederherstellung von Feuchtgebieten<br />
* Anlage und Pflege von Stillgewässern, insbesondere mit flachen Uferzonen<br />
<br />
===Wald- und Waldrandarten===<br />
* Aufwertung und Schaffung gestufter Waldränder mit einer Krautschicht<br />
* Erhalt alter Baumbestände, Biotopbäume und Hecken mir ihren Säumen<br />
* Auflichtung der Wälder und Böschungen, damit sie gut besonnt sind<br />
* Extensive Pflege der Weg- und Hangböschungen<br />
* Standortgerechter Waldbau, Verzicht auf Monokulturen (bspw. Fichten)<br />
* Umwandlung von Monokulturen in natürliche Wälder mit mehreren Baumarten<br />
* Verzicht auf den Einsatz von Düngemitteln und Bioziden<br />
<br />
===Pionierarten an Fliessgewässern ===<br />
(Übernommen aus: [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken])<br />
* Revitalisierung der Fliessgewässer, bevorzugt von Pionierarten besiedelte Standorten <br />
* Verzicht auf die Zuschüttung oder Eindämmung von besiedelten Uferflächen<br />
* Verzicht auf jeglichen Abbau der Sand-, Kies- oder Steinbänke innerhalb, ober- und unterhalb besiedelter Flächen<br />
* Zulassen von regelmässigen, genügend intensiven Hochwassern, um den natürlichen Abtrag der mit Vegetation bewachsenen Bänke in Auen zu gewährleisten<br />
* Gewährleisten von periodischen Ablagerungen von Sedimenten an besiedelten Standorten, um die Regeneration von Sedimentbänken in Auen sicherzustellen<br />
* Revitalisierung möglichst vieler Fliessgewässer, um über die Schaffung von potenziell günstigen Standorten die Wiederbesiedlung von verlassenen Gegenden zu fördern<br />
<br />
{{Foto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Mosaik_aus_Gruenlandtypen_-_Suedschwarzwald_-_IMG_7876b.jpg<br />
| text = Der Strukturreichtum dieser Flächen bietet Grünlandarten einen idealen Lebensraum.<br />
}}<br />
<br />
== Strukturreiche Flächen schaffen und schützen ==<br />
Für Heuschrecken sind weniger die typischen Kleinstrukturen wichtig, wie Ast- oder Steinhaufen, als vielmehr offene Bodenstellen (u.&nbsp;a. für die Eiablage) und Strukturen, die Wärme aufnehmen und speichern, wie felsige Bereiche, Kiesflächen, feuchte Senken und temporäre Tümpel. Neu angelegte Strukturen sollen eine minimale Fläche von 20&nbsp;m&sup2; pro ha haben. Natürliche Offenflächen und strukturreiche Flächen wie Moränen, Felsschutthalden, Kiesflächen und Verlandungszonen von Stillgewässern sind zu schützen und dürfen nicht zugeschüttet oder aufgeforstet werden.<br />
<br />
== Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts ==<br />
Viele gefährdete Heuschreckenarten sind auf eine extensive Beweidung oder regelmässige Mahd angewiesen, damit die Vegetation nicht zu dicht wird. Der optimale Schnittzeitpunkt ist artabhängig. Für Arten, die ihre Eier im Boden ablegen, ist eine Mahd zwischen Mai und August ungünstig. Für Arten, die ihre Eier an oder in Pflanzen ablegen, ist eine Mahd nach August und vor Mai problematisch. Die Bewirtschaftung kann aber auch schädlich sein. Verluste entstehen v.&nbsp;a. durch Mähaufbereiter und das Schwaden und Abführen des Mahdguts. Zur Verminderung der Verluste bei allen Arten ist bei der Mahd Folgendes zu beachten: <br />
<br />
* Es sollen möglichst wenige Schnitte erfolgen, optimaler Weise nur ein Schnitt pro Jahr<br />
* Frühmad: nicht ganzflächige durchführen; Spätmahd: nach dem Verblühen der meisten Pflanzen durchführen<br />
* Am besten ist eine differenzierte Pflege, d.&nbsp;h. ein Mosaik aus Flächen mit unterschiedlichen Mähzeitpunkten und Rückzugsstreifen, die nur alle 2 Jahre gemäht werden <br />
* Die Schnitthöhe soll mindestens 10&nbsp;cm betragen <br />
* Balkenmäher verursachen die niedrigste Schädigungsrate, Scheibenmähern die höchste; am schonendsten ist die Mahd mit der Sense <br />
* Das Schnittgut soll, damit sich die Tiere verteilen können, zum Trocknen liegen gelassen und stets abgeführt werden<br />
* Es sollen keine Mähaufbereiter eingesetzt werden<br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://www.buntewiese-tuebingen.de/app/download/6569219764/Hiller%202014%20Auswirkungen%20verschiedener%20Mahdkonzepte%20auf%20die%20Heuschreckenfauna%20st%C3%A4dtischer%20Gr%C3%BCnfl%C3%A4chen%20-%20Naturschutz%20und%20Landschaftsplanung.pdf?t=1490555371 Hiller, D. & Betz, O.(2014). Auswirkungen verschiedener Mahdkonzepte auf die Heuschreckenfauna städtischer Grünflächen]<br /><br />
<br />
'''Hintergrundinformationen'''<br /><br />
* [http://www.parcs.ch/npf/pdf_public/2014/30491_20141107_083216_MA_GrichtingStefan_2002.pdf Grichting, S. (2002). Heuschrecken (Orthoptera) von Trockensteppen und extensiv bewirtschafteten Wiesen im Pfynwald (VS, Schweiz)]<br />
: Studie zu den ökologischen Ansprüchen und der Verbreitung von Heuschrecken auf Wiesen mit unterschiedlichem Nutzungsgrad.<br /><br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/abashop?s=208&p=productdetail&sku=429&language=de Agridea (2011). Erntetechnik und Artenvielfalt in Wiesen]<br />
: Das Merkblatt zeigt die Auswirkungen verschiedener Mähtechniken und nachfolgender Ernteschritte auf die Artenvielfalt und gibt Empfehlungen für eine möglichst tierschonende Ernte. <br /><br />
<br />
==Rotationsbrachen anlegen und Altgrassstreifen stehen lassen ==<br />
Bei der Anlage von Rotationsbrachen und Altgrasstreifen ist auf das Vorkommen von Heuschreckenpopulation in der näheren Umgebung zu achten, da Heuschrecken oft nur geringe Ausbreitungsdistanzen haben. Als Rückzugsstreifen werden bei jedem Schnitt 10% der Wiese stehen gelassen.<br /><br />
<br />
'''Links'''<br />
* [http://www.agraroekologie.ch/NuL07-10_Mueller_Bosshard.pdf Müller, M. & Bosshard, B. (2012). Altgrasstreifen fördern Heuschrecken in Ökowiesen - Eine Möglichkeit zur Strukturverbesserung im Mähgrünland]<br />
: Studie zu den positiven Auswirkungen von Altgrasstreifen als Rückzugsraum bei der Mahd in extensiv genutzten Wiesen. <br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/2012_01_1723.pdf Duss, M. et al. (2012). Vernetzte Ökoflächen fördern Heuschrecken]<br />
: Studie zur Auswirkung eines Vernetzungsprojektes von ökologischen Ausgleichsflächen (öAF) auf die Verbreitung von 2 Heuschreckenarten. Die Grosse Goldschrecke (''Chrysochraon dispar'') profitiert von Altgrasstreifen.<br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/download.php?filename=2001_1112_102.pdf Peter, B. & Walter, T. (2001). Heuschrecken brauchen ökologische Ausgleichsflächen] <br />
: Vergleichende Untersuchungen vor und nach der Einführung von Biodiversitätsförderflächen (BFF) zeigt deren Wichtigkeit für Heuschrecken auf.<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Buntbrache_Altgrassstreifen_AK.png<br />
| text = Links und Mitte: Die Gemeine Sichelschrecke (''Phaneroptera falcata'') und die Langflüglige Schwertschrecke (''Conocephalus fuscus'') schätzen die hohe Vegetation von Buntbrachen. <br /><br />
Rechts: Die Grosse Goldschrecke (''Chrysochraon dispar'') profitiert von Altgrasstreifen.<br />
}}<br />
<br />
==Beweidung ==<br />
Für die Beweidung sollen möglichst traditionelle Rassen, bzw. leichte Tiere eingesetzt werden. Generell scheint Schaf-Hütehaltung besonders günstig für Heuschrecken zu sein. Die Viehdichte darf nicht zu hoch sein; der jährliche Besatz sollte 150 Grossvieheinheiten&sup1; pro Hektare (GVE/ha) nicht überschreiten. Es empfiehlt sich, eine Beweidung in Koppeln zu führen, womit ein ähnlicher Effekt erzielt wird wie mit einer Rotationsmahd. <br /><br />
<small><sup>1</sup>Die Beweidungsintensität ergibt sich aus dem Produkt von Besatzstärke in Grossvieheinheiten pro Hektare mal Anzahl Bestossungstagen (GVE/ha * dd). Je nach Grösse und Alter der Tiere ändert sich der Wert, der sich mit dem [https://www.agate.ch/portal/web/agate/gve-rechner GVE-Rechner des Bundesamtes für Landwirtschaft] genau ermitteln lässt.</small> <br />
<br />
'''Links'''<br />
* [http://www.pronatura.ch/allegra-geissenpeter Pro Natura. Projekt „Allegra Geissenpeter“]<br />
: Pro Natura lanciert Projekte mit verschiedenen Weidetierarten, um die Trockenstandorte in den Alpen nachhaltig zu sichern, unter anderem zur Förderung der Heuschrecken. Die unterschiedlichen Projekte und die Ergebnisse der Erfolgskontrollen sind im [https://www.pronatura.ch/sites/pronatura.ch/files/2017-11/leitfaden_fuer_die_aufwertung_von_brachliegenden_trockenstandorten_durch_beweidung-beitraege_zum_naturschutz_in_der_schweiz_nr_37-2016_highres.pdf Leitfaden für die Aufwertung von brachliegenden Trockenstandorten durch Beweidung (2016)] zusammengefasst.<br />
<br />
== Direktbegrünung und Mahdgutübertragung ==<br />
Direktbegrünung und Mahdgutübertragung sind einer Ansaat vorzuziehen, da zusammen mit dem Pflanzenmaterial oder den Samen Insekten und Eier übertragen werden können. Dies ist insbesondere wichtig für Arten mit einem geringem Ausbreitungspotenzial. Das Saat- und Mahdgut sollte von [https://www.regioflora.ch/app/de/index.html Spenderflächen aus der nahen Umgebung] stammen, also [https://de.wikipedia.org/wiki/Autochthone_Art autochthon] sein, um die regionale genetische Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten zu erhalten. Für eine erfolgreiche Besiedlung sollen Empfängerflächen in maximal 1&nbsp;km Distanz, besser nur 500&nbsp;m, zu bereits besiedelten Flächen angelegt werden. Bei der Begrünung können kleine Bodenstelle langfristig offengehalten werden, indem Steine oder Feinsediment als Substrat eingebracht wird. <br />
<br />
'''Hintergrundinformation'''<br />
* [http://public.bibliothek.uni-halle.de/index.php/hercynia/article/viewFile/218/224 Elias, D. & Thiede, S. (2008). Verfrachtung von Heuschrecken (Insecta: Ensifera et Caelifera) mit frischem Mähgut im Wulfener Bruch (Sachsen-Anhalt)]<br />
: Diese Studie zeigt auf, dass die Mahdgutübertragung für Heuschrecken eine wichtige Rolle spielt, insbesondere für wenig mobile Arten.<br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/2001_07_71.pdf Bosshard, A. & Kuster, D. (2001). Bedeutung neu angelegter Extensivwiesen für Tagfalter und Heuschrecken]<br />
: Die Untersuchung zeigt, dass neu angelegte Extensivwiesen rasch von gefährdeten Heuschrecken- und Tagfalterarten besiedelt werden können.<br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [https://www.regioflora.ch/ Regio Flora - das Portal zur Förderung der regionalen Vielfalt im Grünland]<br />
: Umfassende Informationen zur Direktbegrünung von Wiesen und Weiden.<br />
* [https://www.regioflora.ch/de/assets/content/pdf/RF_Praxismerkblatt_D_download9.11.15.pdf Agridea (2015). Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft]<br />
: Leitfaden für die Praxis zum Einsatz von regionalem Saatgut in Biodiversitätsförderflächen.<br />
<br />
{{Foto-rechts-hoch<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Gewaesser_PZ.png<br />
| text = Die Ufer von Fliess- und Stillgewässern sind wichtige Verbreitungskorridore und sollen alternierend bewirtschaftet werden. <br />
}}<br />
<br />
== Feuchtgebiete und Trockenstandorte ==<br />
=== Ruderalstandorte und Säume entlang von Feuchtgebieten pflegen ===<br />
Zahlreiche Arten legen ihre Eier in Stängel von Pflanzen im Uferbereich von Still- und Fliessgewässern. Die Uferbereiche sind wichtige Verbreitungskorridore für die Tiere. Daher ist die extensive Pflege von Feuchtgebieten und Gräben das ganze Jahr über wichtig:<br />
* [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts|Mahd]] an den Ufern alternierend, an einem Ufer die Vegetation immer für ca. 1-2 Jahre stehen lassen <br />
* Säume am selben Ufer gestaffelt mähen und das Schnittgut abführen <br />
* Flächen nicht mulchen<br />
* Ruderalstandorte immer wieder abschnittweise stören durch extensive [[#Beweidung| Beweidung]] oder [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts | Mahd]], um die Verbuschung zu verhindern und [[#Strukturreiche Flächen schaffen und schützen| strukturreiche Flächen]] zu schaffen <br />
* Invasive Pflanzen zurückdrängen, insbesondere Flügelknöterich (''Fallopia'') und Drüsiges Springkraut (''Impatiens glandulifera'')<br />
<br />
=== Entbuschung von Trockenstandorten === <br />
Der Baum- und Strauchbewuchs soll bei grossen Standorten maximal 25% betragen, bei kleineren 10% oder weniger. Für die langfristige Offenhaltung der Trockenwiesen- und weiden eignen sich extensive Beweidung oder Mahd. Massnahmen zur Aufwertung von Trockenstandorten werden zu einem späteren Zeitpunkt bearbeitet.<br />
<br />
== Im Siedlungsgebiet ==<br />
=== Schotter- und Brachflächen extensiv pflegen ===<br />
Im Randbereich vom Siedlungsgebiet und auf Firmengeländen kann eine reiche Heuschreckenfauna entstehen, wenn grössere Offenflächen vorhanden sind. Dies können z.&nbsp;B. Schotter- und Industriebrachen sein, die einen lockeren Pflanzenbewuchs aufweisen. Diese Flächen sollen extensiv bewirtschaftet werden (siehe: [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts|Mahdkonzepte]]). Der Strukturreichtum kann gefördert werden, indem die Pflege nur abschnittweise erfolgt und zusätzliche [[#Strukturreiche Flächen schaffen und schützen| Kleinstrukturen]] angelegt werden.<br />
<br />
=== Begrünung und Pflege von Flachdächern ===<br />
Flachdächer können einigen Heuschreckenarten, z.&nbsp;B. der Blauflügeligen Sandschrecke (''Sphingonotus caerulans'') oder der Blauflügeligen Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') als Trittstein dienen. Dauerhafte Ansiedlungen von Populationen wurden bisher noch nicht beobachtet. Bei der Anlage der Dächer ist Folgendes wichtig: <br />
* Nur einheimische Pflanzen und Saatgut verwenden <br />
* Offene Stellen belassen und regelmässig neue Offenflächen durch Abtragung des Oberbodens schaffen <br />
* Sand, Kies und Steine in unterschiedlichen Korngrössen verwenden <br />
* Pflanzen extensiv und abschnittsweise pflegen <br />
* Strukturreichtum durch Kieshaufen, Holz, etc. sicherstellen <br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://docplayer.org/20659374-Die-blaufluegelige-sandschrecke-sphingonotus-caerulans-auf-den-extensiv-begruenten-daechern-der-europa-allee-zuerich.html Speck, M. & Brenneisen, S. (2014). Die Blauflügelige Sandschrecke (Sphingonotus caerulans) auf den extensiv begrünten Dächern der Europa-Allee in Zürich]<br />
: Diese Studie belegt das Vorkommen der Rote-Liste Art auf Flachdächern in Zürich. Die Blauflügelige Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') wurde in vorherigen Untersuchungen machgewiesen, die hier zitiert werden.<br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [https://www.stadt-zuerich.ch/ted/de/index/gsz/beratung-und-wissen/wohn-und-arbeitsumfeld/dachbegruenungen0.html Stadt Zürich. Dachbegrünung]: Umfassende Informationen zur Anlage und Pflege von Dachbegrünung mit vielen Praxisbeispielen.<br />
* [https://www.stadt.sg.ch/home/raum-umwelt/bauen-sanieren/natur-stadt.html Stadt St. Gallen, Amt für Umwelt und Energie (2014). Leitfaden Dachbegrünung]: Ausführliche Informationen zu Aufbau und extensiven Begrünungsarten von Flachdächern.<br />
<br />
{{Fotos-links-550px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Siedlungsgebiet.png<br />
| text = Der Blauflügeligen Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') und der Blauflügeligen Sandschrecke (''Sphingonotus caerulans'') können Flachdächer als Trittsteine in neue Lebensräume dienen.<br />
}}<br />
<br />
=== Wildblumenwiesen und Trockenflächen anlegen und pflegen === <br />
In Parks und Gärten können auch anspruchsvollere Heuschreckenarten vorkommen, wenn Folgendes beachtet wird:<br />
* Nur einheimisches Saatgut verwenden <br />
* Lückig säen und nicht düngen <br />
* Offene Bodenflächen belassen <br />
* Maximal 2-mal pro Jahr mit Balkenmäher oder Sense und abschnittsweise mähen <br />
* Brachflächen, Altgrassstreifen und Säume um Gebüsche und Gehölze von 5-10m abschnittsweise pflegen, um eine Zunahme der Verbuschung zu verhindern <br />
* Mahdgut abführen <br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [http://www.pronatura.ch/blumenwiesen?file=tl_files/dokumente_de/2_unsere_themen/lebensraeume/Wiesen/Pro_Natura_Praxis_Blumenwiese.pdf Pro Natura 2014. Blumenwiesen anlegen und pflegen]<br />
: Ausführliche Informationen zur Anlage und Pflege von grossen und kleinen (Wild-) Blumenwiesen.<br />
* [https://assets.wwf.ch/custom/biodiv/pdf/PRIV_Wiesenparadies.pdf WWF Schweiz 2010. Buntes Wiesenparadies mit einheimischen Wildblumen]<br />
: Schritt für Schritt Anleitung zur Anlage und Pflege von Wildblumenwiesen für Privathaushalte.<br />
* [https://assets.wwf.ch/downloads/priv_ruderalflaechen_1.pdf WWF Schweiz 2010. Lebendige Trockenstandorte mit Sand, Kies und Schotter]<br />
: Anleitung zur Anlage und Pflege von Trockenstandorten für Privathaushalte.<br />
<br />
== Sekundäre Pionierstandorte anlegen und pflegen == <br />
Vom Menschen geschaffene Pionierstandorte sind für Heuschrecken wertvolle Sekundärhabitate geworden, da vielerorts die ursprünglichen Lebensräume (z.&nbsp;B. See- und Flussauen, Brandflächen, etc.) verschwunden sind. Der Erhalt der Pionierstandorte bedarf regelmässiger Pflegeeinsätze zur Verhinderung von Verfilzung und Verbuschung.<br />
Heuschrecken finden wertvolle Pionierflächen: <br />
* In Steinbrüchen und Kiesgruben <br />
* In Weinbergen<br />
* In Sand-, Lehmgruben und Mergelgruben <br />
* An Bahnhöfen und Gleisen<br />
* Auf Industriebrachen<br />
<br />
== Wiederansiedlung von Tieren ==<br />
Die Wiederansiedelung von ehemals vorkommenden Heuschrecken kann nur eine letzte Alternative im Naturschutz sein, da primär immer der Schutz der vorhandenen Populationen im Fokus steht und die Wiederansiedlung sehr aufwändig ist. Für eine erfolgreiche Wiederansiedlung ist es notwendig, eine sorgfältige Ansiedlungs-Strategie zu erarbeiten und die [https://portals.iucn.org/library/efiles/documents/2013-009.pdf Richtlinien der IUCN zur Wiederansiedlung] strikt zu befolgen. Die Wiederansiedlung von Heuschrecken ist bewilligungspflichtig und soll Spezialisten überlassen werden, weshalb hier nicht näher darauf eingegangen wird.<br />
<br />
<br />
{{Foto-rechts-quer<br />
| bilddatei = GSM-5012435629 6b68a9c506 b Ephipiger cfr diurnus female.jpg<br />
| text = Die Westliche Sattelschrecke (''Ephippiger diurnus'') besiedelt trockene und lückige Wiesen und Waldränder. Sie gehört zu den stark gefährdeten Arten. <br />
}}<br />
<br />
= Artenschutz =<br />
Viele Heuschreckenarten brauchen aufgrund ihrer Ansprüche an den Lebensraum ganz spezifische Fördermassnahmen. Die Priorisierung der gefährdeten Arten gemäss ihrem Förderbedarf kann der [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/liste-national-prioritaeren-arten.html Liste der National Prioritären Arten (2011)] entnommen werden. Eine wichtige Grundlage für die Förderung sind auch die in der [http://www.cscf.ch/cscf/de/home/wissenschaftliche-aktivitaten/fauna-indicativa.html Fauna Indicativa] zusammengestellten Präferenzen und Eigenschaften der einzelnen Arten.<br />
<br />
Es gibt nur wenige Praxisinformationen zum spezifischen Artenschutz von Heuschrecken. In der Schweiz wurde bisher nur für die Blauflügelige Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') eine [http://kbnl.ch/wp-content/uploads/2016/11/webseite_Ocaerulescens.pdf Zusammenfassung zur Best Practice der Artenförderung] und ein [http://www.aln.zh.ch/internet/baudirektion/aln/de/naturschutz/artenfoerderung/ap_fa/oedland/_jcr_content/contentPar/downloadlist/downloaditems/40_1298476571873.spooler.download.1387468488719.pdf/Oedipoda_caerulescens_AP.pdf Schutzkonzept vom Kanton Zürich] erstellt. <br />
In den Nachbarländern wurden folgenden Publikationen zu Fördermassnahmen erstellt: <br />
<br />
'''Deutschland'''<br />
* [http://www.nlwkn.niedersachsen.de/naturschutz/natura_2000/vollzugshinweise_arten_und_lebensraumtypen/vollzugshinweise-fuer-arten-und-lebensraumtypen-46103.html#Wirbellose Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz. Niedersächsische Strategie zum Arten- und Biotopschutz]<br />
'''Österreich''' <br />
* [http://www.zobodat.at/pdf/NaturschutzbundBgld_9_2013_0001-0160.pdf Zuna-Kratky, T. et. al. (2013). Schutzprogramm für die gefährdeten Heuschrecken des Nordburgenlands]<br />
'''Niederlande''' <br />
* [http://repository.naturalis.nl/document/161506 Schut, D. et al. (2008). Actieplan prioritaire Sprinkhanen in Noord-Brabant]<br />
<br />
= Gefährdung =<br />
Von den 105 für die [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html Rote Liste 2007] untersuchten Heuschreckenarten sind fast 40% bedroht. Am stärksten gefährdet sind die Pionierarten entlang von Gewässern sowie die Arten der Flach- und Hochmoore. Die Erhaltung der letzten Populationen dieser Arten ist daher von grosser Bedeutung.<br />
Die grössten Gefährdungsursachen für alle Heuschreckenarten sind:<br />
* Verlust und Fragmentierung des Lebensraums durch Veränderung der Landnutzung, z.&nbsp;B. durch Umwandlung von Grünland in Äcker, Urbanisierung oder Industrialisierung<br />
* Intensivierung der Nutzung, insbesondere der Einsatz von Mähmaschinen und Mähaufbereitern, sowie Düngung und Erhöhung der Anzahl Schnitte pro Jahr, sowie höhere Viehdichten auf kleinerem Raum<br />
* Mangelnde (natürliche) Prozesse zur Offenhaltung der Landschaft und von Bodenstellen, Homogenisierung der Landschaft<br />
* Verdichtung der Vegetation durch Eutrophierung<br />
* Einsatz von Insektiziden<br />
<br />
Weitere Gefährdungsursachen in Bezug auf die Lebensraumbindung sind:<br />
* Grünlandarten: Intensive Beweidung oder häufige Mahd, Verbuschung oder Verkrautung durch Verbrachung, Verarmung der Pflanzenvielfalt, Düngung von Wiesen und Weiden <br />
* Feuchtgebietsarten: Veränderungen im Gewässerhaushalt von Feuchtgebieten, intensivere landwirtschaftliche Nutzung von Feuchtwiesen <br />
* Wald- und Waldrandarten: Fehlende Stufenstruktur des Waldrandes (Strauch- und Krautschicht), Entfernung von Hecken, Kleinstrukturen und Felsen, Intensivierung der Forstwirtschaft, Einsatz von Bioziden, Anbau von Monokulturen, touristische Nutzung (insbesondere mit Ski & Mountainbike)<br />
* Pionierarten: Verbauungen der Fliessgewässer und Eingriffe in den Geschiebehaushalt, Veränderungen des Gewässerhaushaltes und der Gewässerdynamik, Verbuschung und Verkrautung der Offenflächen<br />
<br />
= Wissenslücken =<br />
Die Wissenslücken sind nicht abschliessend und fokussieren besonders auf die Förderung.<br />
* Erfolgreiche Förderung seltener Arten<br />
* Minimale überlebensfähige Populationsgrössen <br />
* Vernetzung von Heuschreckenpopulationen unterschiedlicher Arten und Artenzusammensetzungen<br />
* Habitatspezifische Auswirkungen der Grünlandnutzung: lässt sich das auf Trockenrasen gewonnene Wissen bspw. auf Feuchtwiesen übertragen?<br />
* Barrierewirkung mehrspuriger Strassen (Autobahnen)<br />
* Auswirkungen vom Klimawandel, insbesondere langer Dürreperioden oder Starkregen<br />
<br />
= Praxisbeispiele =<br />
Für Heuschrecken haben wir nur ein Praxisbeispiel gefunden, welches die durchgeführten Massnahmen ausführlich beschreibt und eine Erfolgsuntersuchung beinhaltet. Daher freuen wir uns über Ihre [http://biodivers.ch/index.php/kontakt.html Vorschläge per Email.]<br />
* [http://www.parcs.ch/nwp/pdf_public/2014/26962_20140130_123116_Kurth_Salome_2007.pdf Kurth, S. (2007). Planning a migration corridor for the highly endangered grasshopper Chorthippus pullus (Orthoptera, Acrididae) in the Rottensand (Pfynwald, VS)] <br />
: Für den Kiesbankgrashüpfer wurde im Pfynwald ein Migrationskorridor errichtet und die anschliessende Nutzung beobachtet.<br />
<br />
= Allgemeine Links=<br />
* [http://lepus.unine.ch/carto/ Centre Suisse de Cartographie de la Faune (CSCF). Verbreitungskarten der Schweizer Tierarten]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken]<br />
* [http://www.orthoptera.ch Orthoptera Schweiz. Heuschrecken-Plattform für die Schweiz und Europa ]<br />
* [http://www.orthoptera.ch/links Orthoptera Schweiz. Linkliste der Heuschrecken-Webseiten Europas und weltweit] <br />
<br />
== Glossar und weitere spannende Links ==<br />
* [https://www.orthoptera.ch/glossar Glossar von orthoptera.ch]<br />
* [http://www.biofotoquiz.ch/biofotoquiz/index.php?domain=standard&classID=278 Biofotoquiz]<br />
: Quiz mit Fotos von Heuschrecken und anderen Tier- und Pflanzenarten zum Kennenlernen der Arten.<br />
* [https://offene-naturfuehrer.de/web/Heuschreckenarten_nach_einfachen_Merkmalen_bestimmen_(Bayern) Heuschreckenarten nach einfachen Merkmalen bestimmen (Bayern)]<br />
: Wiki-Bestimmungsschlüssel für die Heuschrecken von Bayern. Der Leser wird anhand der Merkmale geführt, die Kenntnis von Fachbegriffen wird vorausgesetzt. <br />
* [http://www.andre-rey.ch/cms/fileadmin/pdf/Heuschecken_Bestimmungsschluessel_Suedalpen.pdf Fontana et al. (2002). Heuschrecken-Bestimmungsschlüssel für die östlichen Südalpen]<br />
: Bestimmungsschlüssel mit detaillierten Zeichnungen der Merkmale. <br />
* [http://www.orthoptera.ch/info-app-wiki/orthoptera-app Orthoptera-App]<br />
: Die Heuschrecken Bestimmungs-App für iphone und Android enthält zu jeder Art zahlreiche Fotos, Stimmaufzeichnungen und Hintergrundinformationen. Beobachtungen können in der App eingegeben und so dem CSCF gemeldet werden.<br />
<br />
= Literaturempfehlungen =<br />
* Detzel, P. (1998). Die Heuschrecken Baden-Württembergs. Stuttgart Hohenheim, Ulmer.<br />
: Bisher immer noch das beste Buch zur praxisnahen Ökologie und Massnahmen zur Förderung von Heuschrecken. Die Aufwertungs-Massnahmen sind an einzelne Arten und Lebensräume angepasst. Als genereller Leitfaden sind sie sehr gut, umsetzungsorientierte Anleitungen fehlen. Alles in allem ein gutes Buch für den Anfang, eine Weiterentwicklung ist aber dringend notwendig.<br />
* Ingrisch, S. & Köhler, G. (1998). Die Heuschrecken Mitteleuropas. Vol. Bd. 629. Magdeburg, Westarp Wissenschaften.<br />
: Sehr ausführliches und allgemeines Buch zur Biologie, Populationsdynamiken und Lebensräumen der Heuschrecken, weniger zur Biotopaufwertung und zu Fördermassnahmen. Trotz dem Alter immer noch lesenswert und informativ. <br />
* Schlumprecht, H. & Waeber, G. (2003). Heuschrecken in Bayern. Stuttgart Hohenheim. Ulmer. <br />
: Sehr ausführlicher Bestimmungs-Atlas mit vielen Informationen zur Lebensweise und den Lebensräumen der einzelnen Arten. Zu Gefährdung und Schutz gibt es Beispiele aus dem bayrischen Raum und Ratschläge zur Aufwertung für jede Art.<br />
* Maas, S., Detzel, P. & Staudt, A. (2002). Gefährdungsanalyse der Heuschrecken Deutschlands - Verbreitungsatlas, Gefährdungseinstufung und Schutzkonzepte. Bonn-Bad Godesberg, Bundesamt für Naturschutz.<br />
: Ausführlicher Atlas zu den Heuschreckenarten in Deutschland mit Gefährdungsanalysen und Informationen zu Habitaten, Biologie und Verbreitung der einzelnen Arten. Die Angaben zur Aufwertung von Lebensräumen sind kurz gehalten.<br />
* [http://dgfo-articulata.de/articulata Articulata - Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Orthopterologie] <br />
: In der Zeitschrift der DGFO erscheinen regelmässig Artikel zur Förderung von Heuschrecken, ältere Artikel können als PDF heruntergeladen werden.<br />
<br />
== Bestimmungsbücher ==<br />
* Baur, B., Bauer, H., Rösti, C., & Rösti, D. (2006). Die Heuschrecken der Schweiz. Bern, Haupt Verlag.<br />
: Intuitiver Bestimmungsschlüssel für die Schweizer Heuschreckenarten mit sehr schönen Detail-Zeichnungen. Enthält Verbreitungskarten und Erklärungen zu den wichtigsten Merkmalen.<br />
* Fischer, J., Steinlechner, D., Zehm, A., Poniatowski, D., et al., Hrsg. Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (2016). Die Heuschrecken Deutschlands und Nordtirols: Bestimmen - Beobachten - Schützen. Wiebelsheim Hunsrück, Quelle & Meyer.<br />
: Dieses Buch sticht positiv heraus. Es enthält Detailfotos der Bestimmungsmerkmale der Adultiere und Nymphen, eine Darstellung der Hauptaktivitätszeit aller Arten im Jahresverlauf und vieles mehr.<br />
* Weitere nationale und internationale Bestimmungsbücher sind auf [http://www.orthoptera.ch/literatur Orthoptera.ch] aufgeführt.<br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers ]|| info@biodivers.ch<br />
|-<br />
| Review|| [http://www.goeg.de/kontakt Prof. Dr. Peter Detzel] || [http://www.goeg.de/ Gruppe für ökologische Gutachten] <br />
|-<br />
| || [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Dr. Axel Hochkirch] || [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Universität Trier] <br />
|-<br />
| || [https://www.naturalis.nl/en/science/researchers/roy-kleukers Roy Kleukers] || [https://www.naturalis.nl/en Naturalis Biodiversity Center] <br />
|-<br />
| || [https://www.orthoptera.ch/ueber-uns Florin Rutschmann] || [http://www.pronatura-aargau.ch/cms/index.php?id=4&no_cache=1 Pro Natura Aargau] <br />
|}<br />
<br />
<!-- biodivers-Links zu Arten: Kiesbankgrashüpfer Chorthippus pullus, Blauflügelige Ödlanschrecke Oedipoda caerulescens → Aktionsplandrehscheibe, Grüne Heupferd Tettigonia viridissima, Alpenschrecke Anonconotus alpinus <br />
biodivers-Links zu Lebensräumen: Kleinstrukturen, Hecke, Stillgewässer (mehrfach), Fliessgewässer (mehrfach), Wald und Waldrand (mehrfach), Feuchtgebiete, Sumpf, Grünland, Trockenwiesen und Trockenweisen, Entbuschung von Trockenwiesen (mehrfach)--></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Heuschrecken&diff=4690
Heuschrecken
2023-03-04T13:41:46Z
<p>VB2: </p>
<hr />
<div>[[fr:Orthoptères]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = JM 29293745804 8952ea6513 h.jpg<br />
| text = Die Sumpfschrecke (''Stethophyma grossum'') besiedelt feuchte Wiesen und Flachmoore.<br />
}}<br />
<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers]<br />
|-<br />
| Review || [http://www.goeg.de/ueber-uns/team Prof. Dr. Peter Detzel], [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Dr. Axel Hochkirch], [https://www.naturalis.nl/en/science/researchers/roy-kleukers Roy Kleukers] & [http://www.orthoptera.ch/ueber-uns Florin Rutschmann]<br />
|-<br />
| Publikation || Juli 2017<br />
|}<br />
<br /><br />
{{TOC limit|2}}<br />
= Zusammenfassung =<br />
Über 100 Heuschreckenarten bereichern unsere Fauna und überraschen uns mit Flug-, Grab- oder Klangkünsten sowie ihrer Farben- und Formenvielfalt. Heuschrecken (Orthopteren) sind wärmeliebende Kulturfolger. Die meisten Arten beherbergt das Grünland, ob trocken oder feucht, gemäht oder beweidet. Einige Arten leben in lichten Wäldern und auf Pionierflächen der Flussauen und Geröllhalden. Viele Heuschreckenarten sind auf eine hohe Strukturvielfalt auf kleinem Raum angewiesen, da ihre durchschnittliche Ausbreitungsdistanz weniger als ein Kilometer beträgt.<br />
<br />
Für alle Arten ist die Offenhaltung ihrer Lebensräume zentral. Die Wiederherstellung der natürlichen Dynamiken oder die regelmässige, extensive Bewirtschaftung der besiedelten Flächen ist daher wichtig. Bei der Mahd ist darauf zu achten, ein Mosaik aus Rückzugsstreifen und Flächen mit unterschiedlichen Mahdzeitpunkten zu schaffen. Bei der Begrünung sind eine geringe Distanz zu besiedelten Flächen und eine lückige Ausbringung vorteilhaft. Von den über 100 einheimischen Heuschreckenarten stehen 40% auf der Roten Liste. Insbesondere die Arten der Pionierflächen haben einen erhöhten Förderbedarf. <br />
<br />
= Systematik =<br />
Heuschrecken werden in zwei leicht unterscheidbare Gruppen eingeteilt. Bei den Langfühlerschrecken (Ensifera) sind die Fühler gleich lang oder länger als der Körper und haben mindestens 30 Fühlerglieder, während sie bei den Kurzfühlerschrecken (Caelifera) kürzer als der Körper sind. Die Weibchen der Langfühlerschrecken besitzen meist einen auffälligen Legebohrer, im Gegensatz zu den kurzen Legeröhrenklappen bei den Kurzfühlerschrecken. Nur die Maulwurfsgrille gehört auch ohne lange Fühler und Legebohrer zu den Langfühlerschrecken. <br />
Mehr zur Systematik der Heuschrecken auf [https://de.wikipedia.org/wiki/Heuschrecken Wikipedia].<br />
<br />
=Praxisrelevante Ökologie=<br />
== Lebensräume ==<br />
Heuschrecken besiedeln die meisten terrestrischen Lebensräume bis auf 3'100&nbsp;m&nbsp;ü.&nbsp;M. Sie kommen in extensiven Wiesen und Weiden, Brachen, Weinbergen, Wäldern, Feuchtgebieten, Mooren und Flussauen vor. Heuschrecken können allgemein als wärmeliebende Kulturfolger bezeichnet werden, die in stark vom Menschen geprägten Landschaften leben. So können Kiesgruben und Steinbrüche viele seltene Arten beherbergen, wenn sie offengehalten und extensiv gepflegt werden. Im Siedlungsgebiet finden Heuschrecken eine Vielfalt an Kleinlebensräumen auf Industriebrachen und grossen Güterbahnhöfen, Schotterplätzen und in Ruderalflächen. Für seltene Arten sind Parks, Gärten und Flachdächer als Lebensraum wenig relevant, als Trittsteine können sie aber beim Erreichen neuer Lebensräume helfen. <br />
<br />
{{Fotos-links-1000px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Lebensraeuume_Gruppen_PZ.png<br />
| text = Zu den wichtigsten Lebensräumen für Heuschrecken zählen magere Wiesen, Moorlandschaften, lückige Wälder und Blocksteinhalden.<br />
}}<br />
<br />
Da nahezu alle Heuschrecken licht- und wärmeliebend sind, brauchen sie in ihren Lebensräumen Offenflächen bzw. lückige Pflanzenbestände. Die Bindung an das Habitat erfolgt weniger aufgrund bestimmter Pflanzengesellschaften, als aufgrund der benötigten Strukturen und der mikroklimatischen Verhältnisse. Entscheidend sind Dichte und Höhe der Vegetation, sowie Temperatur und Feuchtigkeit. Mosaikartige Lebensräume mit einer Vielfalt an Strukturen sind für eine hohe Heuschreckenvielfalt optimal. So leben an Lebensraum-Übergängen, wie Waldrändern mit Feuchtwiesen oder Hecken entlang von extensiven Wiesen, besonders viele Arten. Für den Erhalt von Offenflächen und Strukturreichtum sind regelmässige Pflegeeinsätze notwendig, wenn natürliche Dynamiken fehlen.<br />
<br />
Die Schweizer Heuschreckenarten können bezüglich ihrer Lebensraumbindung in vier Gruppen unterteilt werden (aus: [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken]) <br />
# Grünlandarten in Trockenwiesen und -weiden (43 Arten)<br />
# Sumpf- und Feuchtgebietsarten in Flach- und Hochmooren (11 Arten)<br />
# Wald- und Waldrandarten sowie Gebüscharten, vor allem in tieferen Lagen (24 Arten)<br />
# Pionierarten in Auen, Felsplatten, Geröllhalden oder Karst (25 Arten)<br />
<br />
==Merkmale und Vermehrung==<br />
Heuschrecken sind durch ihre Körperform, ihr Verhalten und ihre Körperfärbung an ihren Lebensraum angepasst und häufig gut getarnt. Die Körperfärbung kann innerhalb einer Art stark variieren und ist daher meist kein spezifisches Unterscheidungsmerkmal. Die Körperfärbung ist nicht immer genetisch festgelegt, sondern kann sich während der Entwicklung verändern und der Färbung der Umgebung anpassen. Adulte Tiere können ihre Farbe dagegen nicht mehr wechseln, aber ggf. noch nachdunkeln.<br />
<br />
Heuschrecken durchlaufen eine hemimetabole (unvollkommene) Entwicklung. Nach dem Schlupf sind die sogenannten Nymphen schon als Heuschrecken zu erkennen und werden mit jeder Häutung dem adulten Tier ähnlicher. Grillen brauchen bis zu 12 Häutungen, bis sie ausgewachsen sind, Laubheuschrecken 5 bis 7 und Kurzfühlerschrecken 4 bis 5 Häutungen. Erst nach der letzten Häutung bilden sich die Flügel und Geschlechtsorgane vollständig aus. Die meisten Heuschrecken sind einjährig, ihre Nymphen schlüpfen im Zeitraum von Frühling bis Sommer. Adulte Tiere sind von Sommer bis Herbst zu finden, das Auftreten richtet sich vor allem nach der Höhenstufe und den mikroklimatischen Verhältnissen. Nur Grillen (Gryllidae) und Dornschrecken (Tetrigidae) überwintern in einem der Nymphenstadien oder als adulte Tiere und treten entsprechend früh im Jahr auf. <br />
<br />
Die Paarung erfolgt einige Tage bis wenige Wochen nach der letzten Häutung und schon wenige Tage später beginnt die Eiablage. Die Weibchen der meisten Heuschreckenarten legen ihre Eier im Boden oder an der Basis von Gräsern ab. Andere Arten legen ihre Eier in rissige Baumrinde und markhaltige Pflanzenteile oder heften sie an Halme und Blätter. Die Langfühlerschrecken können mit dem Legebohrer ihre Eier tiefer in den Boden legen als die Kurzfühlerschrecken. Bei den meisten heimischen Arten dauert die Entwicklung der Eier bis zum Schlupf vom Herbst bis zum nächsten Frühling, bei einigen auch mehrere Jahre. <br />
<br />
Die Feuchte- und Temperatur-Ansprüche der Eier sind bei Heuschrecken entscheidend für die Habitatbindung der Arten. Arten der Feuchthabitate können oft nicht überleben, wenn ihre Eier im Winter nicht genügend feucht sind. Sie brauchen eine Periode der Überflutung. Feldheuschrecken der trockenen Habitate haben eine längere Eientwicklung nach dem Winter und benötigen höhere Bodentemperaturen. Die notwenigen Temperaturen werden erreicht, wenn Sonnenstrahlen offene Bodenstellen erwärmen. Andere Arten, die in höherer, dichterer Vegetation leben, kommen auch mit geringer Sonneneinstrahlung zurecht. So gibt es einige Spezialisten unter den Heuschrecken, mit ganz spezifischen Ansprüchen an ihren Lebensraum. Der Kiesbankgrashüpfer (''Chorthippus pullus'') lebt in der Schweiz z.&nbsp;B. ausschliesslich auf vegetationsarmen Kiesbänken grosser Alpenflüsse.<br />
<br />
{{Fotos-links-1000px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Eiablage_Lebensraum-Fluegel.png<br />
| text = Von links nach rechts: Die Laubholz-Säbelschrecke (''Barbitistes serricauda'') legt ihre Eier in Gehölze mit strukturreicher Borke ab. Der Kiesbankgrashüpfer (''Chorthippus pullus'') kommt nur entlang der grossen Alpenflüsse vor. Die Gewöhnliche Gebirgsschrecke (''Podisma pedestris'') kann aufgrund der verkümmerten Flügel nicht fliegen.<br />
Das Grüne Heupferd (''Tettigonia viridissima'') ist ein Langstreckenflieger unter den Heuschrecken.<br />
}}<br />
<br />
==Populationsgrössen und Ausbreitung ==<br />
Die Populationsgrösse kann zwischen den Jahren stark schwanken. Schon ein Kälteeinbruch oder eine längere Regenphase im Frühsommer können zu einem starken Populationsrückgang führen. Einzelbeobachtungen weisen darauf hin, dass auch kleine Populationen mit weniger als 50 Tieren über mehrere Jahre existieren können, wenn die Habitatqualität nicht abnimmt. <br />
<br />
Die meisten Heuschreckenarten sind sesshaft und bewegen sich in einem Umkreis von wenigen Metern bis maximal 1&nbsp;km. Bei vielen Arten sind die Flügel verkümmert (z.&nbsp;B. bei der Gewöhnlichen Gebirgsschrecke ''Podisma pedestris''). Es gibt aber auch einzelne Langstreckenflieger, wie das Grüne Heupferd (''Tettigonia viridissima''), das in einem Sommer Distanzen von mehreren Kilometern zurücklegen kann. Hohe Bestandsdichten können die Ausbreitung von sesshaften Arten erhöhen, da bei Dichtestress die Mobilität steigt und makroptere (langflügelige) Tiere auftreten können, deren Flügel deutlich länger sind als üblich. Mit verlängerten Flügeln können auch Arten, die üblicherweise flugunfähig sind, weitere Distanzen überqueren. Ungenügend untersucht ist die Ausbreitung von Eiern und Tieren durch passiven Transport, z.&nbsp;B. durch Fliessgewässer, den Bahnverkehr, durch Verfrachtung mit Mahdgut oder mit Weidetieren. Bei manchen Arten scheint diese Art der Verbreitung jedoch gut zu funktionieren, da immer wieder fernab von bekannten Populationen Einzeltiere oder kleine Initialpopulationen gefunden werden.<br />
<br />
== Fauna Indicativa ==<br />
Die [http://www.cscf.ch/cscf/de/home/projekte/fauna-indicativa.html Fauna Indicativa] ist ein Nachschlagewerk sowie ein Werkzeug für die Auswertung faunistischer Daten. Sie charakterisiert in Tabellenform ökologische Präferenzen und biologische Eigenschaften aller in der Schweiz einheimischen Heuschrecken.<br />
<br />
=Erhalt und Förderung=<br />
==Allgemeine Massnahmen ==<br />
===Grünland- und Feuchtgebietsarten ===<br />
* Extensive Bewirtschaftung von Wiesen und Weiden und Verzicht auf schwere Maschinen, insbesondere in Feuchtgebieten<br />
* Verzicht auf das Ausbringen von Kunstdünger und Bioziden, insbesondere Insektiziden<br />
* Förderung von Biodiversitätsförderflächen (BFF) mit Qualitätsstufe QII<br />
* Verzicht auf die Bewässerung von Trockenwiesen und Steppen<br />
* Eindämmung der Verbuschung und Verbrachung von Trockenwiesen- und weiden<br />
* Verzicht auf die Entwässerung von Feuchtgebieten und Wiederherstellung des natürlichen Wasserregimes<br />
* Erhalt von Weiden, da in der Regel mit heterogener Struktur und artenreicher, ausser bei einschüriger Mahd <br />
* Schutz und Wiederherstellung von Feuchtgebieten<br />
* Anlage und Pflege von Stillgewässern, insbesondere mit flachen Uferzonen<br />
<br />
===Wald- und Waldrandarten===<br />
* Aufwertung und Schaffung gestufter Waldränder mit einer Krautschicht<br />
* Erhalt alter Baumbestände, Biotopbäume und Hecken mir ihren Säumen<br />
* Auflichtung der Wälder und Böschungen, damit sie gut besonnt sind<br />
* Extensive Pflege der Weg- und Hangböschungen<br />
* Standortgerechter Waldbau, Verzicht auf Monokulturen (bspw. Fichten)<br />
* Umwandlung von Monokulturen in natürliche Wälder mit mehreren Baumarten<br />
* Verzicht auf den Einsatz von Düngemitteln und Bioziden<br />
<br />
===Pionierarten an Fliessgewässern ===<br />
(Übernommen aus: [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken])<br />
* Revitalisierung der Fliessgewässer, bevorzugt von Pionierarten besiedelte Standorten <br />
* Verzicht auf die Zuschüttung oder Eindämmung von besiedelten Uferflächen<br />
* Verzicht auf jeglichen Abbau der Sand-, Kies- oder Steinbänke innerhalb, ober- und unterhalb besiedelter Flächen<br />
* Zulassen von regelmässigen, genügend intensiven Hochwassern, um den natürlichen Abtrag der mit Vegetation bewachsenen Bänke in Auen zu gewährleisten<br />
* Gewährleisten von periodischen Ablagerungen von Sedimenten an besiedelten Standorten, um die Regeneration von Sedimentbänken in Auen sicherzustellen<br />
* Revitalisierung möglichst vieler Fliessgewässer, um über die Schaffung von potenziell günstigen Standorten die Wiederbesiedlung von verlassenen Gegenden zu fördern<br />
<br />
{{Foto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Mosaik_aus_Gruenlandtypen_-_Suedschwarzwald_-_IMG_7876b.jpg<br />
| text = Der Strukturreichtum dieser Flächen bietet Grünlandarten einen idealen Lebensraum.<br />
}}<br />
<br />
== Strukturreiche Flächen schaffen und schützen ==<br />
Für Heuschrecken sind weniger die typischen Kleinstrukturen wichtig, wie Ast- oder Steinhaufen, als vielmehr offene Bodenstellen (u.&nbsp;a. für die Eiablage) und Strukturen, die Wärme aufnehmen und speichern, wie felsige Bereiche, Kiesflächen, feuchte Senken und temporäre Tümpel. Neu angelegte Strukturen sollen eine minimale Fläche von 20&nbsp;m&sup2; pro ha haben. Natürliche Offenflächen und strukturreiche Flächen wie Moränen, Felsschutthalden, Kiesflächen und Verlandungszonen von Stillgewässern sind zu schützen und dürfen nicht zugeschüttet oder aufgeforstet werden.<br />
<br />
== Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts ==<br />
Viele gefährdete Heuschreckenarten sind auf eine extensive Beweidung oder regelmässige Mahd angewiesen, damit die Vegetation nicht zu dicht wird. Der optimale Schnittzeitpunkt ist artabhängig. Für Arten, die ihre Eier im Boden ablegen, ist eine Mahd zwischen Mai und August ungünstig. Für Arten, die ihre Eier an oder in Pflanzen ablegen, ist eine Mahd nach August und vor Mai problematisch. Die Bewirtschaftung kann aber auch schädlich sein. Verluste entstehen v.&nbsp;a. durch Mähaufbereiter und das Schwaden und Abführen des Mahdguts. Zur Verminderung der Verluste bei allen Arten ist bei der Mahd Folgendes zu beachten: <br />
<br />
* Es sollen möglichst wenige Schnitte erfolgen, optimaler Weise nur ein Schnitt pro Jahr<br />
* Frühmad: nicht ganzflächige durchführen; Spätmahd: nach dem Verblühen der meisten Pflanzen durchführen<br />
* Am besten ist eine differenzierte Pflege, d.&nbsp;h. ein Mosaik aus Flächen mit unterschiedlichen Mähzeitpunkten und Rückzugsstreifen, die nur alle 2 Jahre gemäht werden <br />
* Die Schnitthöhe soll mindestens 10&nbsp;cm betragen <br />
* Balkenmäher verursachen die niedrigste Schädigungsrate, Scheibenmähern die höchste; am schonendsten ist die Mahd mit der Sense <br />
* Das Schnittgut soll, damit sich die Tiere verteilen können, zum Trocknen liegen gelassen und stets abgeführt werden<br />
* Es sollen keine Mähaufbereiter eingesetzt werden<br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://www.buntewiese-tuebingen.de/app/download/6569219764/Hiller%202014%20Auswirkungen%20verschiedener%20Mahdkonzepte%20auf%20die%20Heuschreckenfauna%20st%C3%A4dtischer%20Gr%C3%BCnfl%C3%A4chen%20-%20Naturschutz%20und%20Landschaftsplanung.pdf?t=1490555371 Hiller, D. & Betz, O.(2014). Auswirkungen verschiedener Mahdkonzepte auf die Heuschreckenfauna städtischer Grünflächen]<br /><br />
<br />
'''Hintergrundinformationen'''<br /><br />
* [http://www.parcs.ch/npf/pdf_public/2014/30491_20141107_083216_MA_GrichtingStefan_2002.pdf Grichting, S. (2002). Heuschrecken (Orthoptera) von Trockensteppen und extensiv bewirtschafteten Wiesen im Pfynwald (VS, Schweiz)]<br />
: Studie zu den ökologischen Ansprüchen und der Verbreitung von Heuschrecken auf Wiesen mit unterschiedlichem Nutzungsgrad.<br /><br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/abashop?s=208&p=productdetail&sku=429&language=de Agridea (2011). Erntetechnik und Artenvielfalt in Wiesen]<br />
: Das Merkblatt zeigt die Auswirkungen verschiedener Mähtechniken und nachfolgender Ernteschritte auf die Artenvielfalt und gibt Empfehlungen für eine möglichst tierschonende Ernte. <br /><br />
<br />
==Rotationsbrachen anlegen und Altgrassstreifen stehen lassen ==<br />
Bei der Anlage von Rotationsbrachen und Altgrasstreifen ist auf das Vorkommen von Heuschreckenpopulation in der näheren Umgebung zu achten, da Heuschrecken oft nur geringe Ausbreitungsdistanzen haben. Als Rückzugsstreifen werden bei jedem Schnitt 10% der Wiese stehen gelassen.<br /><br />
<br />
'''Links'''<br />
* [http://www.agraroekologie.ch/NuL07-10_Mueller_Bosshard.pdf Müller, M. & Bosshard, B. (2012). Altgrasstreifen fördern Heuschrecken in Ökowiesen - Eine Möglichkeit zur Strukturverbesserung im Mähgrünland]<br />
: Studie zu den positiven Auswirkungen von Altgrasstreifen als Rückzugsraum bei der Mahd in extensiv genutzten Wiesen. <br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/2012_01_1723.pdf Duss, M. et al. (2012). Vernetzte Ökoflächen fördern Heuschrecken]<br />
: Studie zur Auswirkung eines Vernetzungsprojektes von ökologischen Ausgleichsflächen (öAF) auf die Verbreitung von 2 Heuschreckenarten. Die Grosse Goldschrecke (''Chrysochraon dispar'') profitiert von Altgrasstreifen.<br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/download.php?filename=2001_1112_102.pdf Peter, B. & Walter, T. (2001). Heuschrecken brauchen ökologische Ausgleichsflächen] <br />
: Vergleichende Untersuchungen vor und nach der Einführung von Biodiversitätsförderflächen (BFF) zeigt deren Wichtigkeit für Heuschrecken auf.<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Buntbrache_Altgrassstreifen_AK.png<br />
| text = Links und Mitte: Die Gemeine Sichelschrecke (''Phaneroptera falcata'') und die Langflüglige Schwertschrecke (''Conocephalus fuscus'') schätzen die hohe Vegetation von Buntbrachen. <br /><br />
Rechts: Die Grosse Goldschrecke (''Chrysochraon dispar'') profitiert von Altgrasstreifen.<br />
}}<br />
<br />
==Beweidung ==<br />
Für die Beweidung sollen möglichst traditionelle Rassen, bzw. leichte Tiere eingesetzt werden. Generell scheint Schaf-Hütehaltung besonders günstig für Heuschrecken zu sein. Die Viehdichte darf nicht zu hoch sein; der jährliche Besatz sollte 150 Grossvieheinheiten&sup1; pro Hektare (GVE/ha) nicht überschreiten. Es empfiehlt sich, eine Beweidung in Koppeln zu führen, womit ein ähnlicher Effekt erzielt wird wie mit einer Rotationsmahd. <br /><br />
<small><sup>1</sup>Die Beweidungsintensität ergibt sich aus dem Produkt von Besatzstärke in Grossvieheinheiten pro Hektare mal Anzahl Bestossungstagen (GVE/ha * dd). Je nach Grösse und Alter der Tiere ändert sich der Wert, der sich mit dem [https://www.agate.ch/portal/web/agate/gve-rechner GVE-Rechner des Bundesamtes für Landwirtschaft] genau ermitteln lässt.</small> <br />
<br />
'''Links'''<br />
* [http://www.pronatura.ch/allegra-geissenpeter Pro Natura. Projekt „Allegra Geissenpeter“]<br />
: Pro Natura lanciert Projekte mit verschiedenen Weidetierarten, um die Trockenstandorte in den Alpen nachhaltig zu sichern, unter anderem zur Förderung der Heuschrecken. Die unterschiedlichen Projekte und die Ergebnisse der Erfolgskontrollen sind im [https://www.pronatura.ch/sites/pronatura.ch/files/2017-11/leitfaden_fuer_die_aufwertung_von_brachliegenden_trockenstandorten_durch_beweidung-beitraege_zum_naturschutz_in_der_schweiz_nr_37-2016_highres.pdf Leitfaden für die Aufwertung von brachliegenden Trockenstandorten durch Beweidung (2016)] zusammengefasst.<br />
<br />
== Direktbegrünung und Mahdgutübertragung ==<br />
Direktbegrünung und Mahdgutübertragung sind einer Ansaat vorzuziehen, da zusammen mit dem Pflanzenmaterial oder den Samen Insekten und Eier übertragen werden können. Dies ist insbesondere wichtig für Arten mit einem geringem Ausbreitungspotenzial. Das Saat- und Mahdgut sollte von [https://www.regioflora.ch/app/de/index.html Spenderflächen aus der nahen Umgebung] stammen, also [https://de.wikipedia.org/wiki/Autochthone_Art autochthon] sein, um die regionale genetische Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten zu erhalten. Für eine erfolgreiche Besiedlung sollen Empfängerflächen in maximal 1&nbsp;km Distanz, besser nur 500&nbsp;m, zu bereits besiedelten Flächen angelegt werden. Bei der Begrünung können kleine Bodenstelle langfristig offengehalten werden, indem Steine oder Feinsediment als Substrat eingebracht wird. <br />
<br />
'''Hintergrundinformation'''<br />
* [http://public.bibliothek.uni-halle.de/index.php/hercynia/article/viewFile/218/224 Elias, D. & Thiede, S. (2008). Verfrachtung von Heuschrecken (Insecta: Ensifera et Caelifera) mit frischem Mähgut im Wulfener Bruch (Sachsen-Anhalt)]<br />
: Diese Studie zeigt auf, dass die Mahdgutübertragung für Heuschrecken eine wichtige Rolle spielt, insbesondere für wenig mobile Arten.<br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/2001_07_71.pdf Bosshard, A. & Kuster, D. (2001). Bedeutung neu angelegter Extensivwiesen für Tagfalter und Heuschrecken]<br />
: Die Untersuchung zeigt, dass neu angelegte Extensivwiesen rasch von gefährdeten Heuschrecken- und Tagfalterarten besiedelt werden können.<br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [https://www.regioflora.ch/ Regio Flora - das Portal zur Förderung der regionalen Vielfalt im Grünland]<br />
: Umfassende Informationen zur Direktbegrünung von Wiesen und Weiden.<br />
* [https://www.regioflora.ch/de/assets/content/pdf/RF_Praxismerkblatt_D_download9.11.15.pdf Agridea (2015). Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft]<br />
: Leitfaden für die Praxis zum Einsatz von regionalem Saatgut in Biodiversitätsförderflächen.<br />
<br />
{{Foto-rechts-hoch<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Gewaesser_PZ.png<br />
| text = Die Ufer von Fliess- und Stillgewässern sind wichtige Verbreitungskorridore und sollen alternierend bewirtschaftet werden. <br />
}}<br />
<br />
== Feuchtgebiete und Trockenstandorte ==<br />
=== Ruderalstandorte und Säume entlang von Feuchtgebieten pflegen ===<br />
Zahlreiche Arten legen ihre Eier in Stängel von Pflanzen im Uferbereich von Still- und Fliessgewässern. Die Uferbereiche sind wichtige Verbreitungskorridore für die Tiere. Daher ist die extensive Pflege von Feuchtgebieten und Gräben das ganze Jahr über wichtig:<br />
* [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts|Mahd]] an den Ufern alternierend, an einem Ufer die Vegetation immer für ca. 1-2 Jahre stehen lassen <br />
* Säume am selben Ufer gestaffelt mähen und das Schnittgut abführen <br />
* Flächen nicht mulchen<br />
* Ruderalstandorte immer wieder abschnittweise stören durch extensive [[#Beweidung| Beweidung]] oder [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts | Mahd]], um die Verbuschung zu verhindern und [[#Strukturreiche Flächen schaffen und schützen| strukturreiche Flächen]] zu schaffen <br />
* Invasive Pflanzen zurückdrängen, insbesondere Flügelknöterich (''Fallopia'') und Drüsiges Springkraut (''Impatiens glandulifera'')<br />
<br />
=== Entbuschung von Trockenstandorten === <br />
Der Baum- und Strauchbewuchs soll bei grossen Standorten maximal 25% betragen, bei kleineren 10% oder weniger. Für die langfristige Offenhaltung der Trockenwiesen- und weiden eignen sich extensive Beweidung oder Mahd. Massnahmen zur Aufwertung von Trockenstandorten werden zu einem späteren Zeitpunkt bearbeitet.<br />
<br />
== Im Siedlungsgebiet ==<br />
=== Schotter- und Brachflächen extensiv pflegen ===<br />
Im Randbereich vom Siedlungsgebiet und auf Firmengeländen kann eine reiche Heuschreckenfauna entstehen, wenn grössere Offenflächen vorhanden sind. Dies können z.&nbsp;B. Schotter- und Industriebrachen sein, die einen lockeren Pflanzenbewuchs aufweisen. Diese Flächen sollen extensiv bewirtschaftet werden (siehe: [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts|Mahdkonzepte]]). Der Strukturreichtum kann gefördert werden, indem die Pflege nur abschnittweise erfolgt und zusätzliche [[#Strukturreiche Flächen schaffen und schützen| Kleinstrukturen]] angelegt werden.<br />
<br />
=== Begrünung und Pflege von Flachdächern ===<br />
Flachdächer können einigen Heuschreckenarten, z.&nbsp;B. der Blauflügeligen Sandschrecke (''Sphingonotus caerulans'') oder der Blauflügeligen Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') als Trittstein dienen. Dauerhafte Ansiedlungen von Populationen wurden bisher noch nicht beobachtet. Bei der Anlage der Dächer ist Folgendes wichtig: <br />
* Nur einheimische Pflanzen und Saatgut verwenden <br />
* Offene Stellen belassen und regelmässig neue Offenflächen durch Abtragung des Oberbodens schaffen <br />
* Sand, Kies und Steine in unterschiedlichen Korngrössen verwenden <br />
* Pflanzen extensiv und abschnittsweise pflegen <br />
* Strukturreichtum durch Kieshaufen, Holz, etc. sicherstellen <br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://docplayer.org/20659374-Die-blaufluegelige-sandschrecke-sphingonotus-caerulans-auf-den-extensiv-begruenten-daechern-der-europa-allee-zuerich.html Speck, M. & Brenneisen, S. (2014). Die Blauflügelige Sandschrecke (Sphingonotus caerulans) auf den extensiv begrünten Dächern der Europa-Allee in Zürich]<br />
: Diese Studie belegt das Vorkommen der Rote-Liste Art auf Flachdächern in Zürich. Die Blauflügelige Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') wurde in vorherigen Untersuchungen machgewiesen, die hier zitiert werden.<br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [https://www.stadt-zuerich.ch/ted/de/index/gsz/angebote_u_beratung/beratung/dachbegruenungen.html Stadt Zürich. Dachbegrünung]<br />
: Umfassende Informationen zur Anlage und Pflege von Dachbegrünung mit vielen Praxisbeispielen.<br />
* [https://www.stadt.sg.ch/home/raum-umwelt/bauen-sanieren/natur-stadt.html Stadt St. Gallen, Amt für Umwelt und Energie (2014). Leitfaden Dachbegrünung]<br />
: Ausführliche Informationen zu Aufbau und extensiven Begrünungsarten von Flachdächern.<br />
<br />
{{Fotos-links-550px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Siedlungsgebiet.png<br />
| text = Der Blauflügeligen Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') und der Blauflügeligen Sandschrecke (''Sphingonotus caerulans'') können Flachdächer als Trittsteine in neue Lebensräume dienen.<br />
}}<br />
<br />
=== Wildblumenwiesen und Trockenflächen anlegen und pflegen === <br />
In Parks und Gärten können auch anspruchsvollere Heuschreckenarten vorkommen, wenn Folgendes beachtet wird:<br />
* Nur einheimisches Saatgut verwenden <br />
* Lückig säen und nicht düngen <br />
* Offene Bodenflächen belassen <br />
* Maximal 2-mal pro Jahr mit Balkenmäher oder Sense und abschnittsweise mähen <br />
* Brachflächen, Altgrassstreifen und Säume um Gebüsche und Gehölze von 5-10m abschnittsweise pflegen, um eine Zunahme der Verbuschung zu verhindern <br />
* Mahdgut abführen <br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [http://www.pronatura.ch/blumenwiesen?file=tl_files/dokumente_de/2_unsere_themen/lebensraeume/Wiesen/Pro_Natura_Praxis_Blumenwiese.pdf Pro Natura 2014. Blumenwiesen anlegen und pflegen]<br />
: Ausführliche Informationen zur Anlage und Pflege von grossen und kleinen (Wild-) Blumenwiesen.<br />
* [https://assets.wwf.ch/custom/biodiv/pdf/PRIV_Wiesenparadies.pdf WWF Schweiz 2010. Buntes Wiesenparadies mit einheimischen Wildblumen]<br />
: Schritt für Schritt Anleitung zur Anlage und Pflege von Wildblumenwiesen für Privathaushalte.<br />
* [https://assets.wwf.ch/downloads/priv_ruderalflaechen_1.pdf WWF Schweiz 2010. Lebendige Trockenstandorte mit Sand, Kies und Schotter]<br />
: Anleitung zur Anlage und Pflege von Trockenstandorten für Privathaushalte.<br />
<br />
== Sekundäre Pionierstandorte anlegen und pflegen == <br />
Vom Menschen geschaffene Pionierstandorte sind für Heuschrecken wertvolle Sekundärhabitate geworden, da vielerorts die ursprünglichen Lebensräume (z.&nbsp;B. See- und Flussauen, Brandflächen, etc.) verschwunden sind. Der Erhalt der Pionierstandorte bedarf regelmässiger Pflegeeinsätze zur Verhinderung von Verfilzung und Verbuschung.<br />
Heuschrecken finden wertvolle Pionierflächen: <br />
* In Steinbrüchen und Kiesgruben <br />
* In Weinbergen<br />
* In Sand-, Lehmgruben und Mergelgruben <br />
* An Bahnhöfen und Gleisen<br />
* Auf Industriebrachen<br />
<br />
== Wiederansiedlung von Tieren ==<br />
Die Wiederansiedelung von ehemals vorkommenden Heuschrecken kann nur eine letzte Alternative im Naturschutz sein, da primär immer der Schutz der vorhandenen Populationen im Fokus steht und die Wiederansiedlung sehr aufwändig ist. Für eine erfolgreiche Wiederansiedlung ist es notwendig, eine sorgfältige Ansiedlungs-Strategie zu erarbeiten und die [https://portals.iucn.org/library/efiles/documents/2013-009.pdf Richtlinien der IUCN zur Wiederansiedlung] strikt zu befolgen. Die Wiederansiedlung von Heuschrecken ist bewilligungspflichtig und soll Spezialisten überlassen werden, weshalb hier nicht näher darauf eingegangen wird.<br />
<br />
<br />
{{Foto-rechts-quer<br />
| bilddatei = GSM-5012435629 6b68a9c506 b Ephipiger cfr diurnus female.jpg<br />
| text = Die Westliche Sattelschrecke (''Ephippiger diurnus'') besiedelt trockene und lückige Wiesen und Waldränder. Sie gehört zu den stark gefährdeten Arten. <br />
}}<br />
<br />
= Artenschutz =<br />
Viele Heuschreckenarten brauchen aufgrund ihrer Ansprüche an den Lebensraum ganz spezifische Fördermassnahmen. Die Priorisierung der gefährdeten Arten gemäss ihrem Förderbedarf kann der [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/liste-national-prioritaeren-arten.html Liste der National Prioritären Arten (2011)] entnommen werden. Eine wichtige Grundlage für die Förderung sind auch die in der [http://www.cscf.ch/cscf/de/home/wissenschaftliche-aktivitaten/fauna-indicativa.html Fauna Indicativa] zusammengestellten Präferenzen und Eigenschaften der einzelnen Arten.<br />
<br />
Es gibt nur wenige Praxisinformationen zum spezifischen Artenschutz von Heuschrecken. In der Schweiz wurde bisher nur für die Blauflügelige Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') eine [http://kbnl.ch/wp-content/uploads/2016/11/webseite_Ocaerulescens.pdf Zusammenfassung zur Best Practice der Artenförderung] und ein [http://www.aln.zh.ch/internet/baudirektion/aln/de/naturschutz/artenfoerderung/ap_fa/oedland/_jcr_content/contentPar/downloadlist/downloaditems/40_1298476571873.spooler.download.1387468488719.pdf/Oedipoda_caerulescens_AP.pdf Schutzkonzept vom Kanton Zürich] erstellt. <br />
In den Nachbarländern wurden folgenden Publikationen zu Fördermassnahmen erstellt: <br />
<br />
'''Deutschland'''<br />
* [http://www.nlwkn.niedersachsen.de/naturschutz/natura_2000/vollzugshinweise_arten_und_lebensraumtypen/vollzugshinweise-fuer-arten-und-lebensraumtypen-46103.html#Wirbellose Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz. Niedersächsische Strategie zum Arten- und Biotopschutz]<br />
'''Österreich''' <br />
* [http://www.zobodat.at/pdf/NaturschutzbundBgld_9_2013_0001-0160.pdf Zuna-Kratky, T. et. al. (2013). Schutzprogramm für die gefährdeten Heuschrecken des Nordburgenlands]<br />
'''Niederlande''' <br />
* [http://repository.naturalis.nl/document/161506 Schut, D. et al. (2008). Actieplan prioritaire Sprinkhanen in Noord-Brabant]<br />
<br />
= Gefährdung =<br />
Von den 105 für die [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html Rote Liste 2007] untersuchten Heuschreckenarten sind fast 40% bedroht. Am stärksten gefährdet sind die Pionierarten entlang von Gewässern sowie die Arten der Flach- und Hochmoore. Die Erhaltung der letzten Populationen dieser Arten ist daher von grosser Bedeutung.<br />
Die grössten Gefährdungsursachen für alle Heuschreckenarten sind:<br />
* Verlust und Fragmentierung des Lebensraums durch Veränderung der Landnutzung, z.&nbsp;B. durch Umwandlung von Grünland in Äcker, Urbanisierung oder Industrialisierung<br />
* Intensivierung der Nutzung, insbesondere der Einsatz von Mähmaschinen und Mähaufbereitern, sowie Düngung und Erhöhung der Anzahl Schnitte pro Jahr, sowie höhere Viehdichten auf kleinerem Raum<br />
* Mangelnde (natürliche) Prozesse zur Offenhaltung der Landschaft und von Bodenstellen, Homogenisierung der Landschaft<br />
* Verdichtung der Vegetation durch Eutrophierung<br />
* Einsatz von Insektiziden<br />
<br />
Weitere Gefährdungsursachen in Bezug auf die Lebensraumbindung sind:<br />
* Grünlandarten: Intensive Beweidung oder häufige Mahd, Verbuschung oder Verkrautung durch Verbrachung, Verarmung der Pflanzenvielfalt, Düngung von Wiesen und Weiden <br />
* Feuchtgebietsarten: Veränderungen im Gewässerhaushalt von Feuchtgebieten, intensivere landwirtschaftliche Nutzung von Feuchtwiesen <br />
* Wald- und Waldrandarten: Fehlende Stufenstruktur des Waldrandes (Strauch- und Krautschicht), Entfernung von Hecken, Kleinstrukturen und Felsen, Intensivierung der Forstwirtschaft, Einsatz von Bioziden, Anbau von Monokulturen, touristische Nutzung (insbesondere mit Ski & Mountainbike)<br />
* Pionierarten: Verbauungen der Fliessgewässer und Eingriffe in den Geschiebehaushalt, Veränderungen des Gewässerhaushaltes und der Gewässerdynamik, Verbuschung und Verkrautung der Offenflächen<br />
<br />
= Wissenslücken =<br />
Die Wissenslücken sind nicht abschliessend und fokussieren besonders auf die Förderung.<br />
* Erfolgreiche Förderung seltener Arten<br />
* Minimale überlebensfähige Populationsgrössen <br />
* Vernetzung von Heuschreckenpopulationen unterschiedlicher Arten und Artenzusammensetzungen<br />
* Habitatspezifische Auswirkungen der Grünlandnutzung: lässt sich das auf Trockenrasen gewonnene Wissen bspw. auf Feuchtwiesen übertragen?<br />
* Barrierewirkung mehrspuriger Strassen (Autobahnen)<br />
* Auswirkungen vom Klimawandel, insbesondere langer Dürreperioden oder Starkregen<br />
<br />
= Praxisbeispiele =<br />
Für Heuschrecken haben wir nur ein Praxisbeispiel gefunden, welches die durchgeführten Massnahmen ausführlich beschreibt und eine Erfolgsuntersuchung beinhaltet. Daher freuen wir uns über Ihre [http://biodivers.ch/index.php/kontakt.html Vorschläge per Email.]<br />
* [http://www.parcs.ch/nwp/pdf_public/2014/26962_20140130_123116_Kurth_Salome_2007.pdf Kurth, S. (2007). Planning a migration corridor for the highly endangered grasshopper Chorthippus pullus (Orthoptera, Acrididae) in the Rottensand (Pfynwald, VS)] <br />
: Für den Kiesbankgrashüpfer wurde im Pfynwald ein Migrationskorridor errichtet und die anschliessende Nutzung beobachtet.<br />
<br />
= Allgemeine Links=<br />
* [http://lepus.unine.ch/carto/ Centre Suisse de Cartographie de la Faune (CSCF). Verbreitungskarten der Schweizer Tierarten]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken]<br />
* [http://www.orthoptera.ch Orthoptera Schweiz. Heuschrecken-Plattform für die Schweiz und Europa ]<br />
* [http://www.orthoptera.ch/links Orthoptera Schweiz. Linkliste der Heuschrecken-Webseiten Europas und weltweit] <br />
<br />
== Glossar und weitere spannende Links ==<br />
* [https://www.orthoptera.ch/glossar Glossar von orthoptera.ch]<br />
* [http://www.biofotoquiz.ch/biofotoquiz/index.php?domain=standard&classID=278 Biofotoquiz]<br />
: Quiz mit Fotos von Heuschrecken und anderen Tier- und Pflanzenarten zum Kennenlernen der Arten.<br />
* [https://offene-naturfuehrer.de/web/Heuschreckenarten_nach_einfachen_Merkmalen_bestimmen_(Bayern) Heuschreckenarten nach einfachen Merkmalen bestimmen (Bayern)]<br />
: Wiki-Bestimmungsschlüssel für die Heuschrecken von Bayern. Der Leser wird anhand der Merkmale geführt, die Kenntnis von Fachbegriffen wird vorausgesetzt. <br />
* [http://www.andre-rey.ch/cms/fileadmin/pdf/Heuschecken_Bestimmungsschluessel_Suedalpen.pdf Fontana et al. (2002). Heuschrecken-Bestimmungsschlüssel für die östlichen Südalpen]<br />
: Bestimmungsschlüssel mit detaillierten Zeichnungen der Merkmale. <br />
* [http://www.orthoptera.ch/info-app-wiki/orthoptera-app Orthoptera-App]<br />
: Die Heuschrecken Bestimmungs-App für iphone und Android enthält zu jeder Art zahlreiche Fotos, Stimmaufzeichnungen und Hintergrundinformationen. Beobachtungen können in der App eingegeben und so dem CSCF gemeldet werden.<br />
<br />
= Literaturempfehlungen =<br />
* Detzel, P. (1998). Die Heuschrecken Baden-Württembergs. Stuttgart Hohenheim, Ulmer.<br />
: Bisher immer noch das beste Buch zur praxisnahen Ökologie und Massnahmen zur Förderung von Heuschrecken. Die Aufwertungs-Massnahmen sind an einzelne Arten und Lebensräume angepasst. Als genereller Leitfaden sind sie sehr gut, umsetzungsorientierte Anleitungen fehlen. Alles in allem ein gutes Buch für den Anfang, eine Weiterentwicklung ist aber dringend notwendig.<br />
* Ingrisch, S. & Köhler, G. (1998). Die Heuschrecken Mitteleuropas. Vol. Bd. 629. Magdeburg, Westarp Wissenschaften.<br />
: Sehr ausführliches und allgemeines Buch zur Biologie, Populationsdynamiken und Lebensräumen der Heuschrecken, weniger zur Biotopaufwertung und zu Fördermassnahmen. Trotz dem Alter immer noch lesenswert und informativ. <br />
* Schlumprecht, H. & Waeber, G. (2003). Heuschrecken in Bayern. Stuttgart Hohenheim. Ulmer. <br />
: Sehr ausführlicher Bestimmungs-Atlas mit vielen Informationen zur Lebensweise und den Lebensräumen der einzelnen Arten. Zu Gefährdung und Schutz gibt es Beispiele aus dem bayrischen Raum und Ratschläge zur Aufwertung für jede Art.<br />
* Maas, S., Detzel, P. & Staudt, A. (2002). Gefährdungsanalyse der Heuschrecken Deutschlands - Verbreitungsatlas, Gefährdungseinstufung und Schutzkonzepte. Bonn-Bad Godesberg, Bundesamt für Naturschutz.<br />
: Ausführlicher Atlas zu den Heuschreckenarten in Deutschland mit Gefährdungsanalysen und Informationen zu Habitaten, Biologie und Verbreitung der einzelnen Arten. Die Angaben zur Aufwertung von Lebensräumen sind kurz gehalten.<br />
* [http://dgfo-articulata.de/articulata Articulata - Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Orthopterologie] <br />
: In der Zeitschrift der DGFO erscheinen regelmässig Artikel zur Förderung von Heuschrecken, ältere Artikel können als PDF heruntergeladen werden.<br />
<br />
== Bestimmungsbücher ==<br />
* Baur, B., Bauer, H., Rösti, C., & Rösti, D. (2006). Die Heuschrecken der Schweiz. Bern, Haupt Verlag.<br />
: Intuitiver Bestimmungsschlüssel für die Schweizer Heuschreckenarten mit sehr schönen Detail-Zeichnungen. Enthält Verbreitungskarten und Erklärungen zu den wichtigsten Merkmalen.<br />
* Fischer, J., Steinlechner, D., Zehm, A., Poniatowski, D., et al., Hrsg. Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (2016). Die Heuschrecken Deutschlands und Nordtirols: Bestimmen - Beobachten - Schützen. Wiebelsheim Hunsrück, Quelle & Meyer.<br />
: Dieses Buch sticht positiv heraus. Es enthält Detailfotos der Bestimmungsmerkmale der Adultiere und Nymphen, eine Darstellung der Hauptaktivitätszeit aller Arten im Jahresverlauf und vieles mehr.<br />
* Weitere nationale und internationale Bestimmungsbücher sind auf [http://www.orthoptera.ch/literatur Orthoptera.ch] aufgeführt.<br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers ]|| info@biodivers.ch<br />
|-<br />
| Review|| [http://www.goeg.de/kontakt Prof. Dr. Peter Detzel] || [http://www.goeg.de/ Gruppe für ökologische Gutachten] <br />
|-<br />
| || [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Dr. Axel Hochkirch] || [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Universität Trier] <br />
|-<br />
| || [https://www.naturalis.nl/en/science/researchers/roy-kleukers Roy Kleukers] || [https://www.naturalis.nl/en Naturalis Biodiversity Center] <br />
|-<br />
| || [https://www.orthoptera.ch/ueber-uns Florin Rutschmann] || [http://www.pronatura-aargau.ch/cms/index.php?id=4&no_cache=1 Pro Natura Aargau] <br />
|}<br />
<br />
<!-- biodivers-Links zu Arten: Kiesbankgrashüpfer Chorthippus pullus, Blauflügelige Ödlanschrecke Oedipoda caerulescens → Aktionsplandrehscheibe, Grüne Heupferd Tettigonia viridissima, Alpenschrecke Anonconotus alpinus <br />
biodivers-Links zu Lebensräumen: Kleinstrukturen, Hecke, Stillgewässer (mehrfach), Fliessgewässer (mehrfach), Wald und Waldrand (mehrfach), Feuchtgebiete, Sumpf, Grünland, Trockenwiesen und Trockenweisen, Entbuschung von Trockenwiesen (mehrfach)--></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Heuschrecken&diff=4689
Heuschrecken
2023-03-04T13:32:14Z
<p>VB2: </p>
<hr />
<div>[[fr:Orthoptères]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = JM 29293745804 8952ea6513 h.jpg<br />
| text = Die Sumpfschrecke (''Stethophyma grossum'') besiedelt feuchte Wiesen und Flachmoore.<br />
}}<br />
<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers]<br />
|-<br />
| Review || [http://www.goeg.de/ueber-uns/team Prof. Dr. Peter Detzel], [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Dr. Axel Hochkirch], [https://www.naturalis.nl/en/science/researchers/roy-kleukers Roy Kleukers] & [http://www.orthoptera.ch/ueber-uns Florin Rutschmann]<br />
|-<br />
| Publikation || Juli 2017<br />
|}<br />
<br /><br />
{{TOC limit|2}}<br />
= Zusammenfassung =<br />
Über 100 Heuschreckenarten bereichern unsere Fauna und überraschen uns mit Flug-, Grab- oder Klangkünsten sowie ihrer Farben- und Formenvielfalt. Heuschrecken (Orthopteren) sind wärmeliebende Kulturfolger. Die meisten Arten beherbergt das Grünland, ob trocken oder feucht, gemäht oder beweidet. Einige Arten leben in lichten Wäldern und auf Pionierflächen der Flussauen und Geröllhalden. Viele Heuschreckenarten sind auf eine hohe Strukturvielfalt auf kleinem Raum angewiesen, da ihre durchschnittliche Ausbreitungsdistanz weniger als ein Kilometer beträgt.<br />
<br />
Für alle Arten ist die Offenhaltung ihrer Lebensräume zentral. Die Wiederherstellung der natürlichen Dynamiken oder die regelmässige, extensive Bewirtschaftung der besiedelten Flächen ist daher wichtig. Bei der Mahd ist darauf zu achten, ein Mosaik aus Rückzugsstreifen und Flächen mit unterschiedlichen Mahdzeitpunkten zu schaffen. Bei der Begrünung sind eine geringe Distanz zu besiedelten Flächen und eine lückige Ausbringung vorteilhaft. Von den über 100 einheimischen Heuschreckenarten stehen 40% auf der Roten Liste. Insbesondere die Arten der Pionierflächen haben einen erhöhten Förderbedarf. <br />
<br />
= Systematik =<br />
Heuschrecken werden in zwei leicht unterscheidbare Gruppen eingeteilt. Bei den Langfühlerschrecken (Ensifera) sind die Fühler gleich lang oder länger als der Körper und haben mindestens 30 Fühlerglieder, während sie bei den Kurzfühlerschrecken (Caelifera) kürzer als der Körper sind. Die Weibchen der Langfühlerschrecken besitzen meist einen auffälligen Legebohrer, im Gegensatz zu den kurzen Legeröhrenklappen bei den Kurzfühlerschrecken. Nur die Maulwurfsgrille gehört auch ohne lange Fühler und Legebohrer zu den Langfühlerschrecken. <br />
Mehr zur Systematik der Heuschrecken auf [https://de.wikipedia.org/wiki/Heuschrecken Wikipedia].<br />
<br />
=Praxisrelevante Ökologie=<br />
== Lebensräume ==<br />
Heuschrecken besiedeln die meisten terrestrischen Lebensräume bis auf 3'100&nbsp;m&nbsp;ü.&nbsp;M. Sie kommen in extensiven Wiesen und Weiden, Brachen, Weinbergen, Wäldern, Feuchtgebieten, Mooren und Flussauen vor. Heuschrecken können allgemein als wärmeliebende Kulturfolger bezeichnet werden, die in stark vom Menschen geprägten Landschaften leben. So können Kiesgruben und Steinbrüche viele seltene Arten beherbergen, wenn sie offengehalten und extensiv gepflegt werden. Im Siedlungsgebiet finden Heuschrecken eine Vielfalt an Kleinlebensräumen auf Industriebrachen und grossen Güterbahnhöfen, Schotterplätzen und in Ruderalflächen. Für seltene Arten sind Parks, Gärten und Flachdächer als Lebensraum wenig relevant, als Trittsteine können sie aber beim Erreichen neuer Lebensräume helfen. <br />
<br />
{{Fotos-links-1000px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Lebensraeuume_Gruppen_PZ.png<br />
| text = Zu den wichtigsten Lebensräumen für Heuschrecken zählen magere Wiesen, Moorlandschaften, lückige Wälder und Blocksteinhalden.<br />
}}<br />
<br />
Da nahezu alle Heuschrecken licht- und wärmeliebend sind, brauchen sie in ihren Lebensräumen Offenflächen bzw. lückige Pflanzenbestände. Die Bindung an das Habitat erfolgt weniger aufgrund bestimmter Pflanzengesellschaften, als aufgrund der benötigten Strukturen und der mikroklimatischen Verhältnisse. Entscheidend sind Dichte und Höhe der Vegetation, sowie Temperatur und Feuchtigkeit. Mosaikartige Lebensräume mit einer Vielfalt an Strukturen sind für eine hohe Heuschreckenvielfalt optimal. So leben an Lebensraum-Übergängen, wie Waldrändern mit Feuchtwiesen oder Hecken entlang von extensiven Wiesen, besonders viele Arten. Für den Erhalt von Offenflächen und Strukturreichtum sind regelmässige Pflegeeinsätze notwendig, wenn natürliche Dynamiken fehlen.<br />
<br />
Die Schweizer Heuschreckenarten können bezüglich ihrer Lebensraumbindung in vier Gruppen unterteilt werden (aus: [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken]) <br />
# Grünlandarten in Trockenwiesen und -weiden (43 Arten)<br />
# Sumpf- und Feuchtgebietsarten in Flach- und Hochmooren (11 Arten)<br />
# Wald- und Waldrandarten sowie Gebüscharten, vor allem in tieferen Lagen (24 Arten)<br />
# Pionierarten in Auen, Felsplatten, Geröllhalden oder Karst (25 Arten)<br />
<br />
==Merkmale und Vermehrung==<br />
Heuschrecken sind durch ihre Körperform, ihr Verhalten und ihre Körperfärbung an ihren Lebensraum angepasst und häufig gut getarnt. Die Körperfärbung kann innerhalb einer Art stark variieren und ist daher meist kein spezifisches Unterscheidungsmerkmal. Die Körperfärbung ist nicht immer genetisch festgelegt, sondern kann sich während der Entwicklung verändern und der Färbung der Umgebung anpassen. Adulte Tiere können ihre Farbe dagegen nicht mehr wechseln, aber ggf. noch nachdunkeln.<br />
<br />
Heuschrecken durchlaufen eine hemimetabole (unvollkommene) Entwicklung. Nach dem Schlupf sind die sogenannten Nymphen schon als Heuschrecken zu erkennen und werden mit jeder Häutung dem adulten Tier ähnlicher. Grillen brauchen bis zu 12 Häutungen, bis sie ausgewachsen sind, Laubheuschrecken 5 bis 7 und Kurzfühlerschrecken 4 bis 5 Häutungen. Erst nach der letzten Häutung bilden sich die Flügel und Geschlechtsorgane vollständig aus. Die meisten Heuschrecken sind einjährig, ihre Nymphen schlüpfen im Zeitraum von Frühling bis Sommer. Adulte Tiere sind von Sommer bis Herbst zu finden, das Auftreten richtet sich vor allem nach der Höhenstufe und den mikroklimatischen Verhältnissen. Nur Grillen (Gryllidae) und Dornschrecken (Tetrigidae) überwintern in einem der Nymphenstadien oder als adulte Tiere und treten entsprechend früh im Jahr auf. <br />
<br />
Die Paarung erfolgt einige Tage bis wenige Wochen nach der letzten Häutung und schon wenige Tage später beginnt die Eiablage. Die Weibchen der meisten Heuschreckenarten legen ihre Eier im Boden oder an der Basis von Gräsern ab. Andere Arten legen ihre Eier in rissige Baumrinde und markhaltige Pflanzenteile oder heften sie an Halme und Blätter. Die Langfühlerschrecken können mit dem Legebohrer ihre Eier tiefer in den Boden legen als die Kurzfühlerschrecken. Bei den meisten heimischen Arten dauert die Entwicklung der Eier bis zum Schlupf vom Herbst bis zum nächsten Frühling, bei einigen auch mehrere Jahre. <br />
<br />
Die Feuchte- und Temperatur-Ansprüche der Eier sind bei Heuschrecken entscheidend für die Habitatbindung der Arten. Arten der Feuchthabitate können oft nicht überleben, wenn ihre Eier im Winter nicht genügend feucht sind. Sie brauchen eine Periode der Überflutung. Feldheuschrecken der trockenen Habitate haben eine längere Eientwicklung nach dem Winter und benötigen höhere Bodentemperaturen. Die notwenigen Temperaturen werden erreicht, wenn Sonnenstrahlen offene Bodenstellen erwärmen. Andere Arten, die in höherer, dichterer Vegetation leben, kommen auch mit geringer Sonneneinstrahlung zurecht. So gibt es einige Spezialisten unter den Heuschrecken, mit ganz spezifischen Ansprüchen an ihren Lebensraum. Der Kiesbankgrashüpfer (''Chorthippus pullus'') lebt in der Schweiz z.&nbsp;B. ausschliesslich auf vegetationsarmen Kiesbänken grosser Alpenflüsse.<br />
<br />
{{Fotos-links-1000px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Eiablage_Lebensraum-Fluegel.png<br />
| text = Von links nach rechts: Die Laubholz-Säbelschrecke (''Barbitistes serricauda'') legt ihre Eier in Gehölze mit strukturreicher Borke ab. Der Kiesbankgrashüpfer (''Chorthippus pullus'') kommt nur entlang der grossen Alpenflüsse vor. Die Gewöhnliche Gebirgsschrecke (''Podisma pedestris'') kann aufgrund der verkümmerten Flügel nicht fliegen.<br />
Das Grüne Heupferd (''Tettigonia viridissima'') ist ein Langstreckenflieger unter den Heuschrecken.<br />
}}<br />
<br />
==Populationsgrössen und Ausbreitung ==<br />
Die Populationsgrösse kann zwischen den Jahren stark schwanken. Schon ein Kälteeinbruch oder eine längere Regenphase im Frühsommer können zu einem starken Populationsrückgang führen. Einzelbeobachtungen weisen darauf hin, dass auch kleine Populationen mit weniger als 50 Tieren über mehrere Jahre existieren können, wenn die Habitatqualität nicht abnimmt. <br />
<br />
Die meisten Heuschreckenarten sind sesshaft und bewegen sich in einem Umkreis von wenigen Metern bis maximal 1&nbsp;km. Bei vielen Arten sind die Flügel verkümmert (z.&nbsp;B. bei der Gewöhnlichen Gebirgsschrecke ''Podisma pedestris''). Es gibt aber auch einzelne Langstreckenflieger, wie das Grüne Heupferd (''Tettigonia viridissima''), das in einem Sommer Distanzen von mehreren Kilometern zurücklegen kann. Hohe Bestandsdichten können die Ausbreitung von sesshaften Arten erhöhen, da bei Dichtestress die Mobilität steigt und makroptere (langflügelige) Tiere auftreten können, deren Flügel deutlich länger sind als üblich. Mit verlängerten Flügeln können auch Arten, die üblicherweise flugunfähig sind, weitere Distanzen überqueren. Ungenügend untersucht ist die Ausbreitung von Eiern und Tieren durch passiven Transport, z.&nbsp;B. durch Fliessgewässer, den Bahnverkehr, durch Verfrachtung mit Mahdgut oder mit Weidetieren. Bei manchen Arten scheint diese Art der Verbreitung jedoch gut zu funktionieren, da immer wieder fernab von bekannten Populationen Einzeltiere oder kleine Initialpopulationen gefunden werden.<br />
<br />
== Fauna Indicativa ==<br />
Die [http://www.cscf.ch/cscf/de/home/projekte/fauna-indicativa.html Fauna Indicativa] ist ein Nachschlagewerk sowie ein Werkzeug für die Auswertung faunistischer Daten. Sie charakterisiert in Tabellenform ökologische Präferenzen und biologische Eigenschaften aller in der Schweiz einheimischen Heuschrecken.<br />
<br />
=Erhalt und Förderung=<br />
==Allgemeine Massnahmen ==<br />
===Grünland- und Feuchtgebietsarten ===<br />
* Extensive Bewirtschaftung von Wiesen und Weiden und Verzicht auf schwere Maschinen, insbesondere in Feuchtgebieten<br />
* Verzicht auf das Ausbringen von Kunstdünger und Bioziden, insbesondere Insektiziden<br />
* Förderung von Biodiversitätsförderflächen (BFF) mit Qualitätsstufe QII<br />
* Verzicht auf die Bewässerung von Trockenwiesen und Steppen<br />
* Eindämmung der Verbuschung und Verbrachung von Trockenwiesen- und weiden<br />
* Verzicht auf die Entwässerung von Feuchtgebieten und Wiederherstellung des natürlichen Wasserregimes<br />
* Erhalt von Weiden, da in der Regel mit heterogener Struktur und artenreicher, ausser bei einschüriger Mahd <br />
* Schutz und Wiederherstellung von Feuchtgebieten<br />
* Anlage und Pflege von Stillgewässern, insbesondere mit flachen Uferzonen<br />
<br />
===Wald- und Waldrandarten===<br />
* Aufwertung und Schaffung gestufter Waldränder mit einer Krautschicht<br />
* Erhalt alter Baumbestände, Biotopbäume und Hecken mir ihren Säumen<br />
* Auflichtung der Wälder und Böschungen, damit sie gut besonnt sind<br />
* Extensive Pflege der Weg- und Hangböschungen<br />
* Standortgerechter Waldbau, Verzicht auf Monokulturen (bspw. Fichten)<br />
* Umwandlung von Monokulturen in natürliche Wälder mit mehreren Baumarten<br />
* Verzicht auf den Einsatz von Düngemitteln und Bioziden<br />
<br />
===Pionierarten an Fliessgewässern ===<br />
(Übernommen aus: [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken])<br />
* Revitalisierung der Fliessgewässer, bevorzugt von Pionierarten besiedelte Standorten <br />
* Verzicht auf die Zuschüttung oder Eindämmung von besiedelten Uferflächen<br />
* Verzicht auf jeglichen Abbau der Sand-, Kies- oder Steinbänke innerhalb, ober- und unterhalb besiedelter Flächen<br />
* Zulassen von regelmässigen, genügend intensiven Hochwassern, um den natürlichen Abtrag der mit Vegetation bewachsenen Bänke in Auen zu gewährleisten<br />
* Gewährleisten von periodischen Ablagerungen von Sedimenten an besiedelten Standorten, um die Regeneration von Sedimentbänken in Auen sicherzustellen<br />
* Revitalisierung möglichst vieler Fliessgewässer, um über die Schaffung von potenziell günstigen Standorten die Wiederbesiedlung von verlassenen Gegenden zu fördern<br />
<br />
{{Foto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Mosaik_aus_Gruenlandtypen_-_Suedschwarzwald_-_IMG_7876b.jpg<br />
| text = Der Strukturreichtum dieser Flächen bietet Grünlandarten einen idealen Lebensraum.<br />
}}<br />
<br />
== Strukturreiche Flächen schaffen und schützen ==<br />
Für Heuschrecken sind weniger die typischen Kleinstrukturen wichtig, wie Ast- oder Steinhaufen, als vielmehr offene Bodenstellen (u.&nbsp;a. für die Eiablage) und Strukturen, die Wärme aufnehmen und speichern, wie felsige Bereiche, Kiesflächen, feuchte Senken und temporäre Tümpel. Neu angelegte Strukturen sollen eine minimale Fläche von 20&nbsp;m&sup2; pro ha haben. Natürliche Offenflächen und strukturreiche Flächen wie Moränen, Felsschutthalden, Kiesflächen und Verlandungszonen von Stillgewässern sind zu schützen und dürfen nicht zugeschüttet oder aufgeforstet werden.<br />
<br />
== Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts ==<br />
Viele gefährdete Heuschreckenarten sind auf eine extensive Beweidung oder regelmässige Mahd angewiesen, damit die Vegetation nicht zu dicht wird. Der optimale Schnittzeitpunkt ist artabhängig. Für Arten, die ihre Eier im Boden ablegen, ist eine Mahd zwischen Mai und August ungünstig. Für Arten, die ihre Eier an oder in Pflanzen ablegen, ist eine Mahd nach August und vor Mai problematisch. Die Bewirtschaftung kann aber auch schädlich sein. Verluste entstehen v.&nbsp;a. durch Mähaufbereiter und das Schwaden und Abführen des Mahdguts. Zur Verminderung der Verluste bei allen Arten ist bei der Mahd Folgendes zu beachten: <br />
<br />
* Es sollen möglichst wenige Schnitte erfolgen, optimaler Weise nur ein Schnitt pro Jahr<br />
* Frühmad: nicht ganzflächige durchführen; Spätmahd: nach dem Verblühen der meisten Pflanzen durchführen<br />
* Am besten ist eine differenzierte Pflege, d.&nbsp;h. ein Mosaik aus Flächen mit unterschiedlichen Mähzeitpunkten und Rückzugsstreifen, die nur alle 2 Jahre gemäht werden <br />
* Die Schnitthöhe soll mindestens 10&nbsp;cm betragen <br />
* Balkenmäher verursachen die niedrigste Schädigungsrate, Scheibenmähern die höchste; am schonendsten ist die Mahd mit der Sense <br />
* Das Schnittgut soll, damit sich die Tiere verteilen können, zum Trocknen liegen gelassen und stets abgeführt werden<br />
* Es sollen keine Mähaufbereiter eingesetzt werden<br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://www.buntewiese-tuebingen.de/app/download/6569219764/Hiller%202014%20Auswirkungen%20verschiedener%20Mahdkonzepte%20auf%20die%20Heuschreckenfauna%20st%C3%A4dtischer%20Gr%C3%BCnfl%C3%A4chen%20-%20Naturschutz%20und%20Landschaftsplanung.pdf?t=1490555371 Hiller, D. & Betz, O.(2014). Auswirkungen verschiedener Mahdkonzepte auf die Heuschreckenfauna städtischer Grünflächen]<br /><br />
<br />
'''Hintergrundinformationen'''<br /><br />
* [http://www.parcs.ch/npf/pdf_public/2014/30491_20141107_083216_MA_GrichtingStefan_2002.pdf Grichting, S. (2002). Heuschrecken (Orthoptera) von Trockensteppen und extensiv bewirtschafteten Wiesen im Pfynwald (VS, Schweiz)]<br />
: Studie zu den ökologischen Ansprüchen und der Verbreitung von Heuschrecken auf Wiesen mit unterschiedlichem Nutzungsgrad.<br /><br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/abashop?s=208&p=productdetail&sku=429&language=de Agridea (2011). Erntetechnik und Artenvielfalt in Wiesen]<br />
: Das Merkblatt zeigt die Auswirkungen verschiedener Mähtechniken und nachfolgender Ernteschritte auf die Artenvielfalt und gibt Empfehlungen für eine möglichst tierschonende Ernte. <br /><br />
<br />
==Rotationsbrachen anlegen und Altgrassstreifen stehen lassen ==<br />
Bei der Anlage von Rotationsbrachen und Altgrasstreifen ist auf das Vorkommen von Heuschreckenpopulation in der näheren Umgebung zu achten, da Heuschrecken oft nur geringe Ausbreitungsdistanzen haben. Als Rückzugsstreifen werden bei jedem Schnitt 10% der Wiese stehen gelassen.<br /><br />
<br />
'''Links'''<br />
* [http://www.agraroekologie.ch/NuL07-10_Mueller_Bosshard.pdf Müller, M. & Bosshard, B. (2012). Altgrasstreifen fördern Heuschrecken in Ökowiesen - Eine Möglichkeit zur Strukturverbesserung im Mähgrünland]<br />
: Studie zu den positiven Auswirkungen von Altgrasstreifen als Rückzugsraum bei der Mahd in extensiv genutzten Wiesen. <br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/2012_01_1723.pdf Duss, M. et al. (2012). Vernetzte Ökoflächen fördern Heuschrecken]<br />
: Studie zur Auswirkung eines Vernetzungsprojektes von ökologischen Ausgleichsflächen (öAF) auf die Verbreitung von 2 Heuschreckenarten. Die Grosse Goldschrecke (''Chrysochraon dispar'') profitiert von Altgrasstreifen.<br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/download.php?filename=2001_1112_102.pdf Peter, B. & Walter, T. (2001). Heuschrecken brauchen ökologische Ausgleichsflächen] <br />
: Vergleichende Untersuchungen vor und nach der Einführung von Biodiversitätsförderflächen (BFF) zeigt deren Wichtigkeit für Heuschrecken auf.<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Buntbrache_Altgrassstreifen_AK.png<br />
| text = Links und Mitte: Die Gemeine Sichelschrecke (''Phaneroptera falcata'') und die Langflüglige Schwertschrecke (''Conocephalus fuscus'') schätzen die hohe Vegetation von Buntbrachen. <br /><br />
Rechts: Die Grosse Goldschrecke (''Chrysochraon dispar'') profitiert von Altgrasstreifen.<br />
}}<br />
<br />
==Beweidung ==<br />
Für die Beweidung sollen möglichst traditionelle Rassen, bzw. leichte Tiere eingesetzt werden. Generell scheint Schaf-Hütehaltung besonders günstig für Heuschrecken zu sein. Die Viehdichte darf nicht zu hoch sein; der jährliche Besatz sollte 150 Grossvieheinheiten&sup1; pro Hektare (GVE/ha) nicht überschreiten. Es empfiehlt sich, eine Beweidung in Koppeln zu führen, womit ein ähnlicher Effekt erzielt wird wie mit einer Rotationsmahd. <br /><br />
<small><sup>1</sup>Die Beweidungsintensität ergibt sich aus dem Produkt von Besatzstärke in Grossvieheinheiten pro Hektare mal Anzahl Bestossungstagen (GVE/ha * dd). Je nach Grösse und Alter der Tiere ändert sich der Wert, der sich mit dem [https://www.agate.ch/portal/web/agate/gve-rechner GVE-Rechner des Bundesamtes für Landwirtschaft] genau ermitteln lässt.</small> <br />
<br />
'''Links'''<br />
* [http://www.pronatura.ch/allegra-geissenpeter Pro Natura. Projekt „Allegra Geissenpeter“]<br />
: Pro Natura lanciert Projekte mit verschiedenen Weidetierarten, um die Trockenstandorte in den Alpen nachhaltig zu sichern, unter anderem zur Förderung der Heuschrecken. Die unterschiedlichen Projekte und die Ergebnisse der Erfolgskontrollen sind im [https://www.pronatura.ch/sites/pronatura.ch/files/2017-11/leitfaden_fuer_die_aufwertung_von_brachliegenden_trockenstandorten_durch_beweidung-beitraege_zum_naturschutz_in_der_schweiz_nr_37-2016_highres.pdf Leitfaden für die Aufwertung von brachliegenden Trockenstandorten durch Beweidung (2016)] zusammengefasst.<br />
<br />
== Direktbegrünung und Mahdgutübertragung ==<br />
Direktbegrünung und Mahdgutübertragung sind einer Ansaat vorzuziehen, da zusammen mit dem Pflanzenmaterial oder den Samen Insekten und Eier übertragen werden können. Dies ist insbesondere wichtig für Arten mit einem geringem Ausbreitungspotenzial. Das Saat- und Mahdgut sollte von [https://www.regioflora.ch/app/de/index.html Spenderflächen aus der nahen Umgebung] stammen, also [https://de.wikipedia.org/wiki/Autochthone_Art autochthon] sein, um die regionale genetische Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten zu erhalten. Für eine erfolgreiche Besiedlung sollen Empfängerflächen in maximal 1&nbsp;km Distanz, besser nur 500&nbsp;m, zu bereits besiedelten Flächen angelegt werden. Bei der Begrünung können kleine Bodenstelle langfristig offengehalten werden, indem Steine oder Feinsediment als Substrat eingebracht wird. <br />
<br />
'''Hintergrundinformation'''<br />
* [http://public.bibliothek.uni-halle.de/index.php/hercynia/article/viewFile/218/224 Elias, D. & Thiede, S. (2008). Verfrachtung von Heuschrecken (Insecta: Ensifera et Caelifera) mit frischem Mähgut im Wulfener Bruch (Sachsen-Anhalt)]<br />
: Diese Studie zeigt auf, dass die Mahdgutübertragung für Heuschrecken eine wichtige Rolle spielt, insbesondere für wenig mobile Arten.<br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/2001_07_71.pdf Bosshard, A. & Kuster, D. (2001). Bedeutung neu angelegter Extensivwiesen für Tagfalter und Heuschrecken]<br />
: Die Untersuchung zeigt, dass neu angelegte Extensivwiesen rasch von gefährdeten Heuschrecken- und Tagfalterarten besiedelt werden können.<br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [https://www.regioflora.ch/ Regio Flora - das Portal zur Förderung der regionalen Vielfalt im Grünland]<br />
: Umfassende Informationen zur Direktbegrünung von Wiesen und Weiden.<br />
* [https://www.regioflora.ch/de/assets/content/pdf/RF_Praxismerkblatt_D_download9.11.15.pdf Agridea (2015). Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft]<br />
: Leitfaden für die Praxis zum Einsatz von regionalem Saatgut in Biodiversitätsförderflächen.<br />
<br />
{{Foto-rechts-hoch<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Gewaesser_PZ.png<br />
| text = Die Ufer von Fliess- und Stillgewässern sind wichtige Verbreitungskorridore und sollen alternierend bewirtschaftet werden. <br />
}}<br />
<br />
== Feuchtgebiete und Trockenstandorte ==<br />
=== Ruderalstandorte und Säume entlang von Feuchtgebieten pflegen ===<br />
Zahlreiche Arten legen ihre Eier in Stängel von Pflanzen im Uferbereich von Still- und Fliessgewässern. Die Uferbereiche sind wichtige Verbreitungskorridore für die Tiere. Daher ist die extensive Pflege von Feuchtgebieten und Gräben das ganze Jahr über wichtig:<br />
* [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts|Mahd]] an den Ufern alternierend, an einem Ufer die Vegetation immer für ca. 1-2 Jahre stehen lassen <br />
* Säume am selben Ufer gestaffelt mähen und das Schnittgut abführen <br />
* Flächen nicht mulchen<br />
* Ruderalstandorte immer wieder abschnittweise stören durch extensive [[#Beweidung| Beweidung]] oder [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts | Mahd]], um die Verbuschung zu verhindern und [[#Strukturreiche Flächen schaffen und schützen| strukturreiche Flächen]] zu schaffen <br />
* Invasive Pflanzen zurückdrängen, insbesondere Flügelknöterich (''Fallopia'') und Drüsiges Springkraut (''Impatiens glandulifera'')<br />
<br />
=== Entbuschung von Trockenstandorten === <br />
Der Baum- und Strauchbewuchs soll bei grossen Standorten maximal 25% betragen, bei kleineren 10% oder weniger. Für die langfristige Offenhaltung der Trockenwiesen- und weiden eignen sich extensive Beweidung oder Mahd. Massnahmen zur Aufwertung von Trockenstandorten werden zu einem späteren Zeitpunkt bearbeitet.<br />
<br />
== Im Siedlungsgebiet ==<br />
=== Schotter- und Brachflächen extensiv pflegen ===<br />
Im Randbereich vom Siedlungsgebiet und auf Firmengeländen kann eine reiche Heuschreckenfauna entstehen, wenn grössere Offenflächen vorhanden sind. Dies können z.&nbsp;B. Schotter- und Industriebrachen sein, die einen lockeren Pflanzenbewuchs aufweisen. Diese Flächen sollen extensiv bewirtschaftet werden (siehe: [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts|Mahdkonzepte]]). Der Strukturreichtum kann gefördert werden, indem die Pflege nur abschnittweise erfolgt und zusätzliche [[#Strukturreiche Flächen schaffen und schützen| Kleinstrukturen]] angelegt werden.<br />
<br />
=== Begrünung und Pflege von Flachdächern ===<br />
Flachdächer können einigen Heuschreckenarten, z.&nbsp;B. der Blauflügeligen Sandschrecke (''Sphingonotus caerulans'') oder der Blauflügeligen Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') als Trittstein dienen. Dauerhafte Ansiedlungen von Populationen wurden bisher noch nicht beobachtet. Bei der Anlage der Dächer ist Folgendes wichtig: <br />
* Nur einheimische Pflanzen und Saatgut verwenden <br />
* Offene Stellen belassen und regelmässig neue Offenflächen durch Abtragung des Oberbodens schaffen <br />
* Sand, Kies und Steine in unterschiedlichen Korngrössen verwenden <br />
* Pflanzen extensiv und abschnittsweise pflegen <br />
* Strukturreichtum durch Kieshaufen, Holz, etc. sicherstellen <br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://www.vorarlberg.at/pdf/berichtblaufluegeligesand.pdf Speck, M. & Brenneisen, S. (2014). Die Blauflügelige Sandschrecke (Sphingonotus caerulans) auf den extensiv begrünten Dächern der Europa-Allee in Zürich]<br />
: Diese Studie belegt das Vorkommen der Rote-Liste Art auf Flachdächern in Zürich. Die Blauflügelige Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') wurde in vorherigen Untersuchungen machgewiesen, die hier zitiert werden.<br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [https://www.stadt-zuerich.ch/ted/de/index/gsz/angebote_u_beratung/beratung/dachbegruenungen.html Stadt Zürich. Dachbegrünung]<br />
: Umfassende Informationen zur Anlage und Pflege von Dachbegrünung mit vielen Praxisbeispielen.<br />
* [https://www.stadt.sg.ch/home/raum-umwelt/bauen-sanieren/natur-stadt.html Stadt St. Gallen, Amt für Umwelt und Energie (2014). Leitfaden Dachbegrünung]<br />
: Ausführliche Informationen zu Aufbau und extensiven Begrünungsarten von Flachdächern.<br />
<br />
{{Fotos-links-550px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Siedlungsgebiet.png<br />
| text = Der Blauflügeligen Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') und der Blauflügeligen Sandschrecke (''Sphingonotus caerulans'') können Flachdächer als Trittsteine in neue Lebensräume dienen.<br />
}}<br />
<br />
=== Wildblumenwiesen und Trockenflächen anlegen und pflegen === <br />
In Parks und Gärten können auch anspruchsvollere Heuschreckenarten vorkommen, wenn Folgendes beachtet wird:<br />
* Nur einheimisches Saatgut verwenden <br />
* Lückig säen und nicht düngen <br />
* Offene Bodenflächen belassen <br />
* Maximal 2-mal pro Jahr mit Balkenmäher oder Sense und abschnittsweise mähen <br />
* Brachflächen, Altgrassstreifen und Säume um Gebüsche und Gehölze von 5-10m abschnittsweise pflegen, um eine Zunahme der Verbuschung zu verhindern <br />
* Mahdgut abführen <br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [http://www.pronatura.ch/blumenwiesen?file=tl_files/dokumente_de/2_unsere_themen/lebensraeume/Wiesen/Pro_Natura_Praxis_Blumenwiese.pdf Pro Natura 2014. Blumenwiesen anlegen und pflegen]<br />
: Ausführliche Informationen zur Anlage und Pflege von grossen und kleinen (Wild-) Blumenwiesen.<br />
* [https://assets.wwf.ch/custom/biodiv/pdf/PRIV_Wiesenparadies.pdf WWF Schweiz 2010. Buntes Wiesenparadies mit einheimischen Wildblumen]<br />
: Schritt für Schritt Anleitung zur Anlage und Pflege von Wildblumenwiesen für Privathaushalte.<br />
* [https://assets.wwf.ch/downloads/priv_ruderalflaechen_1.pdf WWF Schweiz 2010. Lebendige Trockenstandorte mit Sand, Kies und Schotter]<br />
: Anleitung zur Anlage und Pflege von Trockenstandorten für Privathaushalte.<br />
<br />
== Sekundäre Pionierstandorte anlegen und pflegen == <br />
Vom Menschen geschaffene Pionierstandorte sind für Heuschrecken wertvolle Sekundärhabitate geworden, da vielerorts die ursprünglichen Lebensräume (z.&nbsp;B. See- und Flussauen, Brandflächen, etc.) verschwunden sind. Der Erhalt der Pionierstandorte bedarf regelmässiger Pflegeeinsätze zur Verhinderung von Verfilzung und Verbuschung.<br />
Heuschrecken finden wertvolle Pionierflächen: <br />
* In Steinbrüchen und Kiesgruben <br />
* In Weinbergen<br />
* In Sand-, Lehmgruben und Mergelgruben <br />
* An Bahnhöfen und Gleisen<br />
* Auf Industriebrachen<br />
<br />
== Wiederansiedlung von Tieren ==<br />
Die Wiederansiedelung von ehemals vorkommenden Heuschrecken kann nur eine letzte Alternative im Naturschutz sein, da primär immer der Schutz der vorhandenen Populationen im Fokus steht und die Wiederansiedlung sehr aufwändig ist. Für eine erfolgreiche Wiederansiedlung ist es notwendig, eine sorgfältige Ansiedlungs-Strategie zu erarbeiten und die [https://portals.iucn.org/library/efiles/documents/2013-009.pdf Richtlinien der IUCN zur Wiederansiedlung] strikt zu befolgen. Die Wiederansiedlung von Heuschrecken ist bewilligungspflichtig und soll Spezialisten überlassen werden, weshalb hier nicht näher darauf eingegangen wird.<br />
<br />
<br />
{{Foto-rechts-quer<br />
| bilddatei = GSM-5012435629 6b68a9c506 b Ephipiger cfr diurnus female.jpg<br />
| text = Die Westliche Sattelschrecke (''Ephippiger diurnus'') besiedelt trockene und lückige Wiesen und Waldränder. Sie gehört zu den stark gefährdeten Arten. <br />
}}<br />
<br />
= Artenschutz =<br />
Viele Heuschreckenarten brauchen aufgrund ihrer Ansprüche an den Lebensraum ganz spezifische Fördermassnahmen. Die Priorisierung der gefährdeten Arten gemäss ihrem Förderbedarf kann der [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/liste-national-prioritaeren-arten.html Liste der National Prioritären Arten (2011)] entnommen werden. Eine wichtige Grundlage für die Förderung sind auch die in der [http://www.cscf.ch/cscf/de/home/wissenschaftliche-aktivitaten/fauna-indicativa.html Fauna Indicativa] zusammengestellten Präferenzen und Eigenschaften der einzelnen Arten.<br />
<br />
Es gibt nur wenige Praxisinformationen zum spezifischen Artenschutz von Heuschrecken. In der Schweiz wurde bisher nur für die Blauflügelige Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') eine [http://kbnl.ch/wp-content/uploads/2016/11/webseite_Ocaerulescens.pdf Zusammenfassung zur Best Practice der Artenförderung] und ein [http://www.aln.zh.ch/internet/baudirektion/aln/de/naturschutz/artenfoerderung/ap_fa/oedland/_jcr_content/contentPar/downloadlist/downloaditems/40_1298476571873.spooler.download.1387468488719.pdf/Oedipoda_caerulescens_AP.pdf Schutzkonzept vom Kanton Zürich] erstellt. <br />
In den Nachbarländern wurden folgenden Publikationen zu Fördermassnahmen erstellt: <br />
<br />
'''Deutschland'''<br />
* [http://www.nlwkn.niedersachsen.de/naturschutz/natura_2000/vollzugshinweise_arten_und_lebensraumtypen/vollzugshinweise-fuer-arten-und-lebensraumtypen-46103.html#Wirbellose Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz. Niedersächsische Strategie zum Arten- und Biotopschutz]<br />
'''Österreich''' <br />
* [http://www.zobodat.at/pdf/NaturschutzbundBgld_9_2013_0001-0160.pdf Zuna-Kratky, T. et. al. (2013). Schutzprogramm für die gefährdeten Heuschrecken des Nordburgenlands]<br />
'''Niederlande''' <br />
* [http://repository.naturalis.nl/document/161506 Schut, D. et al. (2008). Actieplan prioritaire Sprinkhanen in Noord-Brabant]<br />
<br />
= Gefährdung =<br />
Von den 105 für die [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html Rote Liste 2007] untersuchten Heuschreckenarten sind fast 40% bedroht. Am stärksten gefährdet sind die Pionierarten entlang von Gewässern sowie die Arten der Flach- und Hochmoore. Die Erhaltung der letzten Populationen dieser Arten ist daher von grosser Bedeutung.<br />
Die grössten Gefährdungsursachen für alle Heuschreckenarten sind:<br />
* Verlust und Fragmentierung des Lebensraums durch Veränderung der Landnutzung, z.&nbsp;B. durch Umwandlung von Grünland in Äcker, Urbanisierung oder Industrialisierung<br />
* Intensivierung der Nutzung, insbesondere der Einsatz von Mähmaschinen und Mähaufbereitern, sowie Düngung und Erhöhung der Anzahl Schnitte pro Jahr, sowie höhere Viehdichten auf kleinerem Raum<br />
* Mangelnde (natürliche) Prozesse zur Offenhaltung der Landschaft und von Bodenstellen, Homogenisierung der Landschaft<br />
* Verdichtung der Vegetation durch Eutrophierung<br />
* Einsatz von Insektiziden<br />
<br />
Weitere Gefährdungsursachen in Bezug auf die Lebensraumbindung sind:<br />
* Grünlandarten: Intensive Beweidung oder häufige Mahd, Verbuschung oder Verkrautung durch Verbrachung, Verarmung der Pflanzenvielfalt, Düngung von Wiesen und Weiden <br />
* Feuchtgebietsarten: Veränderungen im Gewässerhaushalt von Feuchtgebieten, intensivere landwirtschaftliche Nutzung von Feuchtwiesen <br />
* Wald- und Waldrandarten: Fehlende Stufenstruktur des Waldrandes (Strauch- und Krautschicht), Entfernung von Hecken, Kleinstrukturen und Felsen, Intensivierung der Forstwirtschaft, Einsatz von Bioziden, Anbau von Monokulturen, touristische Nutzung (insbesondere mit Ski & Mountainbike)<br />
* Pionierarten: Verbauungen der Fliessgewässer und Eingriffe in den Geschiebehaushalt, Veränderungen des Gewässerhaushaltes und der Gewässerdynamik, Verbuschung und Verkrautung der Offenflächen<br />
<br />
= Wissenslücken =<br />
Die Wissenslücken sind nicht abschliessend und fokussieren besonders auf die Förderung.<br />
* Erfolgreiche Förderung seltener Arten<br />
* Minimale überlebensfähige Populationsgrössen <br />
* Vernetzung von Heuschreckenpopulationen unterschiedlicher Arten und Artenzusammensetzungen<br />
* Habitatspezifische Auswirkungen der Grünlandnutzung: lässt sich das auf Trockenrasen gewonnene Wissen bspw. auf Feuchtwiesen übertragen?<br />
* Barrierewirkung mehrspuriger Strassen (Autobahnen)<br />
* Auswirkungen vom Klimawandel, insbesondere langer Dürreperioden oder Starkregen<br />
<br />
= Praxisbeispiele =<br />
Für Heuschrecken haben wir nur ein Praxisbeispiel gefunden, welches die durchgeführten Massnahmen ausführlich beschreibt und eine Erfolgsuntersuchung beinhaltet. Daher freuen wir uns über Ihre [http://biodivers.ch/index.php/kontakt.html Vorschläge per Email.]<br />
* [http://www.parcs.ch/nwp/pdf_public/2014/26962_20140130_123116_Kurth_Salome_2007.pdf Kurth, S. (2007). Planning a migration corridor for the highly endangered grasshopper Chorthippus pullus (Orthoptera, Acrididae) in the Rottensand (Pfynwald, VS)] <br />
: Für den Kiesbankgrashüpfer wurde im Pfynwald ein Migrationskorridor errichtet und die anschliessende Nutzung beobachtet.<br />
<br />
= Allgemeine Links=<br />
* [http://lepus.unine.ch/carto/ Centre Suisse de Cartographie de la Faune (CSCF). Verbreitungskarten der Schweizer Tierarten]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken]<br />
* [http://www.orthoptera.ch Orthoptera Schweiz. Heuschrecken-Plattform für die Schweiz und Europa ]<br />
* [http://www.orthoptera.ch/links Orthoptera Schweiz. Linkliste der Heuschrecken-Webseiten Europas und weltweit] <br />
<br />
== Glossar und weitere spannende Links ==<br />
* [https://www.orthoptera.ch/glossar Glossar von orthoptera.ch]<br />
* [http://www.biofotoquiz.ch/biofotoquiz/index.php?domain=standard&classID=278 Biofotoquiz]<br />
: Quiz mit Fotos von Heuschrecken und anderen Tier- und Pflanzenarten zum Kennenlernen der Arten.<br />
* [https://offene-naturfuehrer.de/web/Heuschreckenarten_nach_einfachen_Merkmalen_bestimmen_(Bayern) Heuschreckenarten nach einfachen Merkmalen bestimmen (Bayern)]<br />
: Wiki-Bestimmungsschlüssel für die Heuschrecken von Bayern. Der Leser wird anhand der Merkmale geführt, die Kenntnis von Fachbegriffen wird vorausgesetzt. <br />
* [http://www.andre-rey.ch/cms/fileadmin/pdf/Heuschecken_Bestimmungsschluessel_Suedalpen.pdf Fontana et al. (2002). Heuschrecken-Bestimmungsschlüssel für die östlichen Südalpen]<br />
: Bestimmungsschlüssel mit detaillierten Zeichnungen der Merkmale. <br />
* [http://www.orthoptera.ch/info-app-wiki/orthoptera-app Orthoptera-App]<br />
: Die Heuschrecken Bestimmungs-App für iphone und Android enthält zu jeder Art zahlreiche Fotos, Stimmaufzeichnungen und Hintergrundinformationen. Beobachtungen können in der App eingegeben und so dem CSCF gemeldet werden.<br />
<br />
= Literaturempfehlungen =<br />
* Detzel, P. (1998). Die Heuschrecken Baden-Württembergs. Stuttgart Hohenheim, Ulmer.<br />
: Bisher immer noch das beste Buch zur praxisnahen Ökologie und Massnahmen zur Förderung von Heuschrecken. Die Aufwertungs-Massnahmen sind an einzelne Arten und Lebensräume angepasst. Als genereller Leitfaden sind sie sehr gut, umsetzungsorientierte Anleitungen fehlen. Alles in allem ein gutes Buch für den Anfang, eine Weiterentwicklung ist aber dringend notwendig.<br />
* Ingrisch, S. & Köhler, G. (1998). Die Heuschrecken Mitteleuropas. Vol. Bd. 629. Magdeburg, Westarp Wissenschaften.<br />
: Sehr ausführliches und allgemeines Buch zur Biologie, Populationsdynamiken und Lebensräumen der Heuschrecken, weniger zur Biotopaufwertung und zu Fördermassnahmen. Trotz dem Alter immer noch lesenswert und informativ. <br />
* Schlumprecht, H. & Waeber, G. (2003). Heuschrecken in Bayern. Stuttgart Hohenheim. Ulmer. <br />
: Sehr ausführlicher Bestimmungs-Atlas mit vielen Informationen zur Lebensweise und den Lebensräumen der einzelnen Arten. Zu Gefährdung und Schutz gibt es Beispiele aus dem bayrischen Raum und Ratschläge zur Aufwertung für jede Art.<br />
* Maas, S., Detzel, P. & Staudt, A. (2002). Gefährdungsanalyse der Heuschrecken Deutschlands - Verbreitungsatlas, Gefährdungseinstufung und Schutzkonzepte. Bonn-Bad Godesberg, Bundesamt für Naturschutz.<br />
: Ausführlicher Atlas zu den Heuschreckenarten in Deutschland mit Gefährdungsanalysen und Informationen zu Habitaten, Biologie und Verbreitung der einzelnen Arten. Die Angaben zur Aufwertung von Lebensräumen sind kurz gehalten.<br />
* [http://dgfo-articulata.de/articulata Articulata - Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Orthopterologie] <br />
: In der Zeitschrift der DGFO erscheinen regelmässig Artikel zur Förderung von Heuschrecken, ältere Artikel können als PDF heruntergeladen werden.<br />
<br />
== Bestimmungsbücher ==<br />
* Baur, B., Bauer, H., Rösti, C., & Rösti, D. (2006). Die Heuschrecken der Schweiz. Bern, Haupt Verlag.<br />
: Intuitiver Bestimmungsschlüssel für die Schweizer Heuschreckenarten mit sehr schönen Detail-Zeichnungen. Enthält Verbreitungskarten und Erklärungen zu den wichtigsten Merkmalen.<br />
* Fischer, J., Steinlechner, D., Zehm, A., Poniatowski, D., et al., Hrsg. Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (2016). Die Heuschrecken Deutschlands und Nordtirols: Bestimmen - Beobachten - Schützen. Wiebelsheim Hunsrück, Quelle & Meyer.<br />
: Dieses Buch sticht positiv heraus. Es enthält Detailfotos der Bestimmungsmerkmale der Adultiere und Nymphen, eine Darstellung der Hauptaktivitätszeit aller Arten im Jahresverlauf und vieles mehr.<br />
* Weitere nationale und internationale Bestimmungsbücher sind auf [http://www.orthoptera.ch/literatur Orthoptera.ch] aufgeführt.<br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers ]|| info@biodivers.ch<br />
|-<br />
| Review|| [http://www.goeg.de/kontakt Prof. Dr. Peter Detzel] || [http://www.goeg.de/ Gruppe für ökologische Gutachten] <br />
|-<br />
| || [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Dr. Axel Hochkirch] || [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Universität Trier] <br />
|-<br />
| || [https://www.naturalis.nl/en/science/researchers/roy-kleukers Roy Kleukers] || [https://www.naturalis.nl/en Naturalis Biodiversity Center] <br />
|-<br />
| || [https://www.orthoptera.ch/ueber-uns Florin Rutschmann] || [http://www.pronatura-aargau.ch/cms/index.php?id=4&no_cache=1 Pro Natura Aargau] <br />
|}<br />
<br />
<!-- biodivers-Links zu Arten: Kiesbankgrashüpfer Chorthippus pullus, Blauflügelige Ödlanschrecke Oedipoda caerulescens → Aktionsplandrehscheibe, Grüne Heupferd Tettigonia viridissima, Alpenschrecke Anonconotus alpinus <br />
biodivers-Links zu Lebensräumen: Kleinstrukturen, Hecke, Stillgewässer (mehrfach), Fliessgewässer (mehrfach), Wald und Waldrand (mehrfach), Feuchtgebiete, Sumpf, Grünland, Trockenwiesen und Trockenweisen, Entbuschung von Trockenwiesen (mehrfach)--></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Heuschrecken&diff=4688
Heuschrecken
2023-03-04T13:28:06Z
<p>VB2: </p>
<hr />
<div>[[fr:Orthoptères]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = JM 29293745804 8952ea6513 h.jpg<br />
| text = Die Sumpfschrecke (''Stethophyma grossum'') besiedelt feuchte Wiesen und Flachmoore.<br />
}}<br />
<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers]<br />
|-<br />
| Review || [http://www.goeg.de/ueber-uns/team Prof. Dr. Peter Detzel], [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Dr. Axel Hochkirch], [https://www.naturalis.nl/en/science/researchers/roy-kleukers Roy Kleukers] & [http://www.orthoptera.ch/ueber-uns Florin Rutschmann]<br />
|-<br />
| Publikation || Juli 2017<br />
|}<br />
<br /><br />
{{TOC limit|2}}<br />
= Zusammenfassung =<br />
Über 100 Heuschreckenarten bereichern unsere Fauna und überraschen uns mit Flug-, Grab- oder Klangkünsten sowie ihrer Farben- und Formenvielfalt. Heuschrecken (Orthopteren) sind wärmeliebende Kulturfolger. Die meisten Arten beherbergt das Grünland, ob trocken oder feucht, gemäht oder beweidet. Einige Arten leben in lichten Wäldern und auf Pionierflächen der Flussauen und Geröllhalden. Viele Heuschreckenarten sind auf eine hohe Strukturvielfalt auf kleinem Raum angewiesen, da ihre durchschnittliche Ausbreitungsdistanz weniger als ein Kilometer beträgt.<br />
<br />
Für alle Arten ist die Offenhaltung ihrer Lebensräume zentral. Die Wiederherstellung der natürlichen Dynamiken oder die regelmässige, extensive Bewirtschaftung der besiedelten Flächen ist daher wichtig. Bei der Mahd ist darauf zu achten, ein Mosaik aus Rückzugsstreifen und Flächen mit unterschiedlichen Mahdzeitpunkten zu schaffen. Bei der Begrünung sind eine geringe Distanz zu besiedelten Flächen und eine lückige Ausbringung vorteilhaft. Von den über 100 einheimischen Heuschreckenarten stehen 40% auf der Roten Liste. Insbesondere die Arten der Pionierflächen haben einen erhöhten Förderbedarf. <br />
<br />
= Systematik =<br />
Heuschrecken werden in zwei leicht unterscheidbare Gruppen eingeteilt. Bei den Langfühlerschrecken (Ensifera) sind die Fühler gleich lang oder länger als der Körper und haben mindestens 30 Fühlerglieder, während sie bei den Kurzfühlerschrecken (Caelifera) kürzer als der Körper sind. Die Weibchen der Langfühlerschrecken besitzen meist einen auffälligen Legebohrer, im Gegensatz zu den kurzen Legeröhrenklappen bei den Kurzfühlerschrecken. Nur die Maulwurfsgrille gehört auch ohne lange Fühler und Legebohrer zu den Langfühlerschrecken. <br />
Mehr zur Systematik der Heuschrecken auf [https://de.wikipedia.org/wiki/Heuschrecken Wikipedia].<br />
<br />
=Praxisrelevante Ökologie=<br />
== Lebensräume ==<br />
Heuschrecken besiedeln die meisten terrestrischen Lebensräume bis auf 3'100&nbsp;m&nbsp;ü.&nbsp;M. Sie kommen in extensiven Wiesen und Weiden, Brachen, Weinbergen, Wäldern, Feuchtgebieten, Mooren und Flussauen vor. Heuschrecken können allgemein als wärmeliebende Kulturfolger bezeichnet werden, die in stark vom Menschen geprägten Landschaften leben. So können Kiesgruben und Steinbrüche viele seltene Arten beherbergen, wenn sie offengehalten und extensiv gepflegt werden. Im Siedlungsgebiet finden Heuschrecken eine Vielfalt an Kleinlebensräumen auf Industriebrachen und grossen Güterbahnhöfen, Schotterplätzen und in Ruderalflächen. Für seltene Arten sind Parks, Gärten und Flachdächer als Lebensraum wenig relevant, als Trittsteine können sie aber beim Erreichen neuer Lebensräume helfen. <br />
<br />
{{Fotos-links-1000px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Lebensraeuume_Gruppen_PZ.png<br />
| text = Zu den wichtigsten Lebensräumen für Heuschrecken zählen magere Wiesen, Moorlandschaften, lückige Wälder und Blocksteinhalden.<br />
}}<br />
<br />
Da nahezu alle Heuschrecken licht- und wärmeliebend sind, brauchen sie in ihren Lebensräumen Offenflächen bzw. lückige Pflanzenbestände. Die Bindung an das Habitat erfolgt weniger aufgrund bestimmter Pflanzengesellschaften, als aufgrund der benötigten Strukturen und der mikroklimatischen Verhältnisse. Entscheidend sind Dichte und Höhe der Vegetation, sowie Temperatur und Feuchtigkeit. Mosaikartige Lebensräume mit einer Vielfalt an Strukturen sind für eine hohe Heuschreckenvielfalt optimal. So leben an Lebensraum-Übergängen, wie Waldrändern mit Feuchtwiesen oder Hecken entlang von extensiven Wiesen, besonders viele Arten. Für den Erhalt von Offenflächen und Strukturreichtum sind regelmässige Pflegeeinsätze notwendig, wenn natürliche Dynamiken fehlen.<br />
<br />
Die Schweizer Heuschreckenarten können bezüglich ihrer Lebensraumbindung in vier Gruppen unterteilt werden (aus: [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken]) <br />
# Grünlandarten in Trockenwiesen und -weiden (43 Arten)<br />
# Sumpf- und Feuchtgebietsarten in Flach- und Hochmooren (11 Arten)<br />
# Wald- und Waldrandarten sowie Gebüscharten, vor allem in tieferen Lagen (24 Arten)<br />
# Pionierarten in Auen, Felsplatten, Geröllhalden oder Karst (25 Arten)<br />
<br />
==Merkmale und Vermehrung==<br />
Heuschrecken sind durch ihre Körperform, ihr Verhalten und ihre Körperfärbung an ihren Lebensraum angepasst und häufig gut getarnt. Die Körperfärbung kann innerhalb einer Art stark variieren und ist daher meist kein spezifisches Unterscheidungsmerkmal. Die Körperfärbung ist nicht immer genetisch festgelegt, sondern kann sich während der Entwicklung verändern und der Färbung der Umgebung anpassen. Adulte Tiere können ihre Farbe dagegen nicht mehr wechseln, aber ggf. noch nachdunkeln.<br />
<br />
Heuschrecken durchlaufen eine hemimetabole (unvollkommene) Entwicklung. Nach dem Schlupf sind die sogenannten Nymphen schon als Heuschrecken zu erkennen und werden mit jeder Häutung dem adulten Tier ähnlicher. Grillen brauchen bis zu 12 Häutungen, bis sie ausgewachsen sind, Laubheuschrecken 5 bis 7 und Kurzfühlerschrecken 4 bis 5 Häutungen. Erst nach der letzten Häutung bilden sich die Flügel und Geschlechtsorgane vollständig aus. Die meisten Heuschrecken sind einjährig, ihre Nymphen schlüpfen im Zeitraum von Frühling bis Sommer. Adulte Tiere sind von Sommer bis Herbst zu finden, das Auftreten richtet sich vor allem nach der Höhenstufe und den mikroklimatischen Verhältnissen. Nur Grillen (Gryllidae) und Dornschrecken (Tetrigidae) überwintern in einem der Nymphenstadien oder als adulte Tiere und treten entsprechend früh im Jahr auf. <br />
<br />
Die Paarung erfolgt einige Tage bis wenige Wochen nach der letzten Häutung und schon wenige Tage später beginnt die Eiablage. Die Weibchen der meisten Heuschreckenarten legen ihre Eier im Boden oder an der Basis von Gräsern ab. Andere Arten legen ihre Eier in rissige Baumrinde und markhaltige Pflanzenteile oder heften sie an Halme und Blätter. Die Langfühlerschrecken können mit dem Legebohrer ihre Eier tiefer in den Boden legen als die Kurzfühlerschrecken. Bei den meisten heimischen Arten dauert die Entwicklung der Eier bis zum Schlupf vom Herbst bis zum nächsten Frühling, bei einigen auch mehrere Jahre. <br />
<br />
Die Feuchte- und Temperatur-Ansprüche der Eier sind bei Heuschrecken entscheidend für die Habitatbindung der Arten. Arten der Feuchthabitate können oft nicht überleben, wenn ihre Eier im Winter nicht genügend feucht sind. Sie brauchen eine Periode der Überflutung. Feldheuschrecken der trockenen Habitate haben eine längere Eientwicklung nach dem Winter und benötigen höhere Bodentemperaturen. Die notwenigen Temperaturen werden erreicht, wenn Sonnenstrahlen offene Bodenstellen erwärmen. Andere Arten, die in höherer, dichterer Vegetation leben, kommen auch mit geringer Sonneneinstrahlung zurecht. So gibt es einige Spezialisten unter den Heuschrecken, mit ganz spezifischen Ansprüchen an ihren Lebensraum. Der Kiesbankgrashüpfer (''Chorthippus pullus'') lebt in der Schweiz z.&nbsp;B. ausschliesslich auf vegetationsarmen Kiesbänken grosser Alpenflüsse.<br />
<br />
{{Fotos-links-1000px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Eiablage_Lebensraum-Fluegel.png<br />
| text = Von links nach rechts: Die Laubholz-Säbelschrecke (''Barbitistes serricauda'') legt ihre Eier in Gehölze mit strukturreicher Borke ab. Der Kiesbankgrashüpfer (''Chorthippus pullus'') kommt nur entlang der grossen Alpenflüsse vor. Die Gewöhnliche Gebirgsschrecke (''Podisma pedestris'') kann aufgrund der verkümmerten Flügel nicht fliegen.<br />
Das Grüne Heupferd (''Tettigonia viridissima'') ist ein Langstreckenflieger unter den Heuschrecken.<br />
}}<br />
<br />
==Populationsgrössen und Ausbreitung ==<br />
Die Populationsgrösse kann zwischen den Jahren stark schwanken. Schon ein Kälteeinbruch oder eine längere Regenphase im Frühsommer können zu einem starken Populationsrückgang führen. Einzelbeobachtungen weisen darauf hin, dass auch kleine Populationen mit weniger als 50 Tieren über mehrere Jahre existieren können, wenn die Habitatqualität nicht abnimmt. <br />
<br />
Die meisten Heuschreckenarten sind sesshaft und bewegen sich in einem Umkreis von wenigen Metern bis maximal 1&nbsp;km. Bei vielen Arten sind die Flügel verkümmert (z.&nbsp;B. bei der Gewöhnlichen Gebirgsschrecke ''Podisma pedestris''). Es gibt aber auch einzelne Langstreckenflieger, wie das Grüne Heupferd (''Tettigonia viridissima''), das in einem Sommer Distanzen von mehreren Kilometern zurücklegen kann. Hohe Bestandsdichten können die Ausbreitung von sesshaften Arten erhöhen, da bei Dichtestress die Mobilität steigt und makroptere (langflügelige) Tiere auftreten können, deren Flügel deutlich länger sind als üblich. Mit verlängerten Flügeln können auch Arten, die üblicherweise flugunfähig sind, weitere Distanzen überqueren. Ungenügend untersucht ist die Ausbreitung von Eiern und Tieren durch passiven Transport, z.&nbsp;B. durch Fliessgewässer, den Bahnverkehr, durch Verfrachtung mit Mahdgut oder mit Weidetieren. Bei manchen Arten scheint diese Art der Verbreitung jedoch gut zu funktionieren, da immer wieder fernab von bekannten Populationen Einzeltiere oder kleine Initialpopulationen gefunden werden.<br />
<br />
== Fauna Indicativa ==<br />
Die [http://www.cscf.ch/cscf/de/home/projekte/fauna-indicativa.html Fauna Indicativa] ist ein Nachschlagewerk sowie ein Werkzeug für die Auswertung faunistischer Daten. Sie charakterisiert in Tabellenform ökologische Präferenzen und biologische Eigenschaften aller in der Schweiz einheimischen Heuschrecken.<br />
<br />
=Erhalt und Förderung=<br />
==Allgemeine Massnahmen ==<br />
===Grünland- und Feuchtgebietsarten ===<br />
* Extensive Bewirtschaftung von Wiesen und Weiden und Verzicht auf schwere Maschinen, insbesondere in Feuchtgebieten<br />
* Verzicht auf das Ausbringen von Kunstdünger und Bioziden, insbesondere Insektiziden<br />
* Förderung von Biodiversitätsförderflächen (BFF) mit Qualitätsstufe QII<br />
* Verzicht auf die Bewässerung von Trockenwiesen und Steppen<br />
* Eindämmung der Verbuschung und Verbrachung von Trockenwiesen- und weiden<br />
* Verzicht auf die Entwässerung von Feuchtgebieten und Wiederherstellung des natürlichen Wasserregimes<br />
* Erhalt von Weiden, da in der Regel mit heterogener Struktur und artenreicher, ausser bei einschüriger Mahd <br />
* Schutz und Wiederherstellung von Feuchtgebieten<br />
* Anlage und Pflege von Stillgewässern, insbesondere mit flachen Uferzonen<br />
<br />
===Wald- und Waldrandarten===<br />
* Aufwertung und Schaffung gestufter Waldränder mit einer Krautschicht<br />
* Erhalt alter Baumbestände, Biotopbäume und Hecken mir ihren Säumen<br />
* Auflichtung der Wälder und Böschungen, damit sie gut besonnt sind<br />
* Extensive Pflege der Weg- und Hangböschungen<br />
* Standortgerechter Waldbau, Verzicht auf Monokulturen (bspw. Fichten)<br />
* Umwandlung von Monokulturen in natürliche Wälder mit mehreren Baumarten<br />
* Verzicht auf den Einsatz von Düngemitteln und Bioziden<br />
<br />
===Pionierarten an Fliessgewässern ===<br />
(Übernommen aus: [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken])<br />
* Revitalisierung der Fliessgewässer, bevorzugt von Pionierarten besiedelte Standorten <br />
* Verzicht auf die Zuschüttung oder Eindämmung von besiedelten Uferflächen<br />
* Verzicht auf jeglichen Abbau der Sand-, Kies- oder Steinbänke innerhalb, ober- und unterhalb besiedelter Flächen<br />
* Zulassen von regelmässigen, genügend intensiven Hochwassern, um den natürlichen Abtrag der mit Vegetation bewachsenen Bänke in Auen zu gewährleisten<br />
* Gewährleisten von periodischen Ablagerungen von Sedimenten an besiedelten Standorten, um die Regeneration von Sedimentbänken in Auen sicherzustellen<br />
* Revitalisierung möglichst vieler Fliessgewässer, um über die Schaffung von potenziell günstigen Standorten die Wiederbesiedlung von verlassenen Gegenden zu fördern<br />
<br />
{{Foto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Mosaik_aus_Gruenlandtypen_-_Suedschwarzwald_-_IMG_7876b.jpg<br />
| text = Der Strukturreichtum dieser Flächen bietet Grünlandarten einen idealen Lebensraum.<br />
}}<br />
<br />
== Strukturreiche Flächen schaffen und schützen ==<br />
Für Heuschrecken sind weniger die typischen Kleinstrukturen wichtig, wie Ast- oder Steinhaufen, als vielmehr offene Bodenstellen (u.&nbsp;a. für die Eiablage) und Strukturen, die Wärme aufnehmen und speichern, wie felsige Bereiche, Kiesflächen, feuchte Senken und temporäre Tümpel. Neu angelegte Strukturen sollen eine minimale Fläche von 20&nbsp;m&sup2; pro ha haben. Natürliche Offenflächen und strukturreiche Flächen wie Moränen, Felsschutthalden, Kiesflächen und Verlandungszonen von Stillgewässern sind zu schützen und dürfen nicht zugeschüttet oder aufgeforstet werden.<br />
<br />
== Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts ==<br />
Viele gefährdete Heuschreckenarten sind auf eine extensive Beweidung oder regelmässige Mahd angewiesen, damit die Vegetation nicht zu dicht wird. Der optimale Schnittzeitpunkt ist artabhängig. Für Arten, die ihre Eier im Boden ablegen, ist eine Mahd zwischen Mai und August ungünstig. Für Arten, die ihre Eier an oder in Pflanzen ablegen, ist eine Mahd nach August und vor Mai problematisch. Die Bewirtschaftung kann aber auch schädlich sein. Verluste entstehen v.&nbsp;a. durch Mähaufbereiter und das Schwaden und Abführen des Mahdguts. Zur Verminderung der Verluste bei allen Arten ist bei der Mahd Folgendes zu beachten: <br />
<br />
* Es sollen möglichst wenige Schnitte erfolgen, optimaler Weise nur ein Schnitt pro Jahr<br />
* Frühmad: nicht ganzflächige durchführen; Spätmahd: nach dem Verblühen der meisten Pflanzen durchführen<br />
* Am besten ist eine differenzierte Pflege, d.&nbsp;h. ein Mosaik aus Flächen mit unterschiedlichen Mähzeitpunkten und Rückzugsstreifen, die nur alle 2 Jahre gemäht werden <br />
* Die Schnitthöhe soll mindestens 10&nbsp;cm betragen <br />
* Balkenmäher verursachen die niedrigste Schädigungsrate, Scheibenmähern die höchste; am schonendsten ist die Mahd mit der Sense <br />
* Das Schnittgut soll, damit sich die Tiere verteilen können, zum Trocknen liegen gelassen und stets abgeführt werden<br />
* Es sollen keine Mähaufbereiter eingesetzt werden<br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://www.buntewiese-tuebingen.de/app/download/6569219764/Hiller%202014%20Auswirkungen%20verschiedener%20Mahdkonzepte%20auf%20die%20Heuschreckenfauna%20st%C3%A4dtischer%20Gr%C3%BCnfl%C3%A4chen%20-%20Naturschutz%20und%20Landschaftsplanung.pdf?t=1490555371 Hiller, D. & Betz, O.(2014). Auswirkungen verschiedener Mahdkonzepte auf die Heuschreckenfauna städtischer Grünflächen]<br /><br />
<br />
'''Hintergrundinformationen'''<br /><br />
* [http://www.parcs.ch/npf/pdf_public/2014/30491_20141107_083216_MA_GrichtingStefan_2002.pdf Grichting, S. (2002). Heuschrecken (Orthoptera) von Trockensteppen und extensiv bewirtschafteten Wiesen im Pfynwald (VS, Schweiz)]<br />
: Studie zu den ökologischen Ansprüchen und der Verbreitung von Heuschrecken auf Wiesen mit unterschiedlichem Nutzungsgrad.<br /><br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/abashop?s=208&p=productdetail&sku=429&language=de Agridea (2011). Erntetechnik und Artenvielfalt in Wiesen]<br />
: Das Merkblatt zeigt die Auswirkungen verschiedener Mähtechniken und nachfolgender Ernteschritte auf die Artenvielfalt und gibt Empfehlungen für eine möglichst tierschonende Ernte. <br /><br />
<br />
==Rotationsbrachen anlegen und Altgrassstreifen stehen lassen ==<br />
Bei der Anlage von Rotationsbrachen und Altgrasstreifen ist auf das Vorkommen von Heuschreckenpopulation in der näheren Umgebung zu achten, da Heuschrecken oft nur geringe Ausbreitungsdistanzen haben. Als Rückzugsstreifen werden bei jedem Schnitt 10% der Wiese stehen gelassen.<br /><br />
<br />
'''Links'''<br />
* [http://www.agraroekologie.ch/NuL07-10_Mueller_Bosshard.pdf Müller, M. & Bosshard, B. (2012). Altgrasstreifen fördern Heuschrecken in Ökowiesen - Eine Möglichkeit zur Strukturverbesserung im Mähgrünland]<br />
: Studie zu den positiven Auswirkungen von Altgrasstreifen als Rückzugsraum bei der Mahd in extensiv genutzten Wiesen. <br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/2012_01_1723.pdf Duss, M. et al. (2012). Vernetzte Ökoflächen fördern Heuschrecken]<br />
: Studie zur Auswirkung eines Vernetzungsprojektes von ökologischen Ausgleichsflächen (öAF) auf die Verbreitung von 2 Heuschreckenarten. Die Grosse Goldschrecke (''Chrysochraon dispar'') profitiert von Altgrasstreifen.<br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/download.php?filename=2001_1112_102.pdf Peter, B. & Walter, T. (2001). Heuschrecken brauchen ökologische Ausgleichsflächen] <br />
: Vergleichende Untersuchungen vor und nach der Einführung von Biodiversitätsförderflächen (BFF) zeigt deren Wichtigkeit für Heuschrecken auf.<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Buntbrache_Altgrassstreifen_AK.png<br />
| text = Links und Mitte: Die Gemeine Sichelschrecke (''Phaneroptera falcata'') und die Langflüglige Schwertschrecke (''Conocephalus fuscus'') schätzen die hohe Vegetation von Buntbrachen. <br /><br />
Rechts: Die Grosse Goldschrecke (''Chrysochraon dispar'') profitiert von Altgrasstreifen.<br />
}}<br />
<br />
==Beweidung ==<br />
Für die Beweidung sollen möglichst traditionelle Rassen, bzw. leichte Tiere eingesetzt werden. Generell scheint Schaf-Hütehaltung besonders günstig für Heuschrecken zu sein. Die Viehdichte darf nicht zu hoch sein; der jährliche Besatz sollte 150 Grossvieheinheiten&sup1; pro Hektare (GVE/ha) nicht überschreiten. Es empfiehlt sich, eine Beweidung in Koppeln zu führen, womit ein ähnlicher Effekt erzielt wird wie mit einer Rotationsmahd. <br /><br />
<small><sup>1</sup>Die Beweidungsintensität ergibt sich aus dem Produkt von Besatzstärke in Grossvieheinheiten pro Hektare mal Anzahl Bestossungstagen (GVE/ha * dd). Je nach Grösse und Alter der Tiere ändert sich der Wert, der sich mit dem [https://www.agate.ch/portal/web/agate/gve-rechner GVE-Rechner des Bundesamtes für Landwirtschaft] genau ermitteln lässt.</small> <br />
<br />
'''Links'''<br />
* [http://www.pronatura.ch/allegra-geissenpeter Pro Natura. Projekt „Allegra Geissenpeter“]<br />
: Pro Natura lanciert Projekte mit verschiedenen Weidetierarten, um die Trockenstandorte in den Alpen nachhaltig zu sichern, unter anderem zur Förderung der Heuschrecken. Die unterschiedlichen Projekte und die Ergebnisse der Erfolgskontrollen sind im [http://www.pronatura.ch/tl_files/dokumente_de/2_unsere_themen/biodiversitaet/Leitfaden_fuer_die_Aufwertung_von_brachliegenden_Trockenstandorten_durch_Beweidung-Beitraege%20zum%20Naturschutz_in_der_Schweiz_Nr%2037-2016_HighRes.pdf Leitfaden für die Aufwertung von brachliegenden Trockenstandorten durch Beweidung (2016)] zusammengefasst.<br />
<br />
== Direktbegrünung und Mahdgutübertragung ==<br />
Direktbegrünung und Mahdgutübertragung sind einer Ansaat vorzuziehen, da zusammen mit dem Pflanzenmaterial oder den Samen Insekten und Eier übertragen werden können. Dies ist insbesondere wichtig für Arten mit einem geringem Ausbreitungspotenzial. Das Saat- und Mahdgut sollte von [https://www.regioflora.ch/app/de/index.html Spenderflächen aus der nahen Umgebung] stammen, also [https://de.wikipedia.org/wiki/Autochthone_Art autochthon] sein, um die regionale genetische Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten zu erhalten. Für eine erfolgreiche Besiedlung sollen Empfängerflächen in maximal 1&nbsp;km Distanz, besser nur 500&nbsp;m, zu bereits besiedelten Flächen angelegt werden. Bei der Begrünung können kleine Bodenstelle langfristig offengehalten werden, indem Steine oder Feinsediment als Substrat eingebracht wird. <br />
<br />
'''Hintergrundinformation'''<br />
* [http://public.bibliothek.uni-halle.de/index.php/hercynia/article/viewFile/218/224 Elias, D. & Thiede, S. (2008). Verfrachtung von Heuschrecken (Insecta: Ensifera et Caelifera) mit frischem Mähgut im Wulfener Bruch (Sachsen-Anhalt)]<br />
: Diese Studie zeigt auf, dass die Mahdgutübertragung für Heuschrecken eine wichtige Rolle spielt, insbesondere für wenig mobile Arten.<br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/2001_07_71.pdf Bosshard, A. & Kuster, D. (2001). Bedeutung neu angelegter Extensivwiesen für Tagfalter und Heuschrecken]<br />
: Die Untersuchung zeigt, dass neu angelegte Extensivwiesen rasch von gefährdeten Heuschrecken- und Tagfalterarten besiedelt werden können.<br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [https://www.regioflora.ch/ Regio Flora - das Portal zur Förderung der regionalen Vielfalt im Grünland]<br />
: Umfassende Informationen zur Direktbegrünung von Wiesen und Weiden.<br />
* [https://www.regioflora.ch/de/assets/content/pdf/RF_Praxismerkblatt_D_download9.11.15.pdf Agridea (2015). Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft]<br />
: Leitfaden für die Praxis zum Einsatz von regionalem Saatgut in Biodiversitätsförderflächen.<br />
<br />
{{Foto-rechts-hoch<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Gewaesser_PZ.png<br />
| text = Die Ufer von Fliess- und Stillgewässern sind wichtige Verbreitungskorridore und sollen alternierend bewirtschaftet werden. <br />
}}<br />
<br />
== Feuchtgebiete und Trockenstandorte ==<br />
=== Ruderalstandorte und Säume entlang von Feuchtgebieten pflegen ===<br />
Zahlreiche Arten legen ihre Eier in Stängel von Pflanzen im Uferbereich von Still- und Fliessgewässern. Die Uferbereiche sind wichtige Verbreitungskorridore für die Tiere. Daher ist die extensive Pflege von Feuchtgebieten und Gräben das ganze Jahr über wichtig:<br />
* [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts|Mahd]] an den Ufern alternierend, an einem Ufer die Vegetation immer für ca. 1-2 Jahre stehen lassen <br />
* Säume am selben Ufer gestaffelt mähen und das Schnittgut abführen <br />
* Flächen nicht mulchen<br />
* Ruderalstandorte immer wieder abschnittweise stören durch extensive [[#Beweidung| Beweidung]] oder [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts | Mahd]], um die Verbuschung zu verhindern und [[#Strukturreiche Flächen schaffen und schützen| strukturreiche Flächen]] zu schaffen <br />
* Invasive Pflanzen zurückdrängen, insbesondere Flügelknöterich (''Fallopia'') und Drüsiges Springkraut (''Impatiens glandulifera'')<br />
<br />
=== Entbuschung von Trockenstandorten === <br />
Der Baum- und Strauchbewuchs soll bei grossen Standorten maximal 25% betragen, bei kleineren 10% oder weniger. Für die langfristige Offenhaltung der Trockenwiesen- und weiden eignen sich extensive Beweidung oder Mahd. Massnahmen zur Aufwertung von Trockenstandorten werden zu einem späteren Zeitpunkt bearbeitet.<br />
<br />
== Im Siedlungsgebiet ==<br />
=== Schotter- und Brachflächen extensiv pflegen ===<br />
Im Randbereich vom Siedlungsgebiet und auf Firmengeländen kann eine reiche Heuschreckenfauna entstehen, wenn grössere Offenflächen vorhanden sind. Dies können z.&nbsp;B. Schotter- und Industriebrachen sein, die einen lockeren Pflanzenbewuchs aufweisen. Diese Flächen sollen extensiv bewirtschaftet werden (siehe: [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts|Mahdkonzepte]]). Der Strukturreichtum kann gefördert werden, indem die Pflege nur abschnittweise erfolgt und zusätzliche [[#Strukturreiche Flächen schaffen und schützen| Kleinstrukturen]] angelegt werden.<br />
<br />
=== Begrünung und Pflege von Flachdächern ===<br />
Flachdächer können einigen Heuschreckenarten, z.&nbsp;B. der Blauflügeligen Sandschrecke (''Sphingonotus caerulans'') oder der Blauflügeligen Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') als Trittstein dienen. Dauerhafte Ansiedlungen von Populationen wurden bisher noch nicht beobachtet. Bei der Anlage der Dächer ist Folgendes wichtig: <br />
* Nur einheimische Pflanzen und Saatgut verwenden <br />
* Offene Stellen belassen und regelmässig neue Offenflächen durch Abtragung des Oberbodens schaffen <br />
* Sand, Kies und Steine in unterschiedlichen Korngrössen verwenden <br />
* Pflanzen extensiv und abschnittsweise pflegen <br />
* Strukturreichtum durch Kieshaufen, Holz, etc. sicherstellen <br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://www.vorarlberg.at/pdf/berichtblaufluegeligesand.pdf Speck, M. & Brenneisen, S. (2014). Die Blauflügelige Sandschrecke (Sphingonotus caerulans) auf den extensiv begrünten Dächern der Europa-Allee in Zürich]<br />
: Diese Studie belegt das Vorkommen der Rote-Liste Art auf Flachdächern in Zürich. Die Blauflügelige Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') wurde in vorherigen Untersuchungen machgewiesen, die hier zitiert werden.<br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [https://www.stadt-zuerich.ch/ted/de/index/gsz/angebote_u_beratung/beratung/dachbegruenungen.html Stadt Zürich. Dachbegrünung]<br />
: Umfassende Informationen zur Anlage und Pflege von Dachbegrünung mit vielen Praxisbeispielen.<br />
* [https://www.stadt.sg.ch/home/raum-umwelt/bauen-sanieren/natur-stadt.html Stadt St. Gallen, Amt für Umwelt und Energie (2014). Leitfaden Dachbegrünung]<br />
: Ausführliche Informationen zu Aufbau und extensiven Begrünungsarten von Flachdächern.<br />
<br />
{{Fotos-links-550px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Siedlungsgebiet.png<br />
| text = Der Blauflügeligen Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') und der Blauflügeligen Sandschrecke (''Sphingonotus caerulans'') können Flachdächer als Trittsteine in neue Lebensräume dienen.<br />
}}<br />
<br />
=== Wildblumenwiesen und Trockenflächen anlegen und pflegen === <br />
In Parks und Gärten können auch anspruchsvollere Heuschreckenarten vorkommen, wenn Folgendes beachtet wird:<br />
* Nur einheimisches Saatgut verwenden <br />
* Lückig säen und nicht düngen <br />
* Offene Bodenflächen belassen <br />
* Maximal 2-mal pro Jahr mit Balkenmäher oder Sense und abschnittsweise mähen <br />
* Brachflächen, Altgrassstreifen und Säume um Gebüsche und Gehölze von 5-10m abschnittsweise pflegen, um eine Zunahme der Verbuschung zu verhindern <br />
* Mahdgut abführen <br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [http://www.pronatura.ch/blumenwiesen?file=tl_files/dokumente_de/2_unsere_themen/lebensraeume/Wiesen/Pro_Natura_Praxis_Blumenwiese.pdf Pro Natura 2014. Blumenwiesen anlegen und pflegen]<br />
: Ausführliche Informationen zur Anlage und Pflege von grossen und kleinen (Wild-) Blumenwiesen.<br />
* [https://assets.wwf.ch/custom/biodiv/pdf/PRIV_Wiesenparadies.pdf WWF Schweiz 2010. Buntes Wiesenparadies mit einheimischen Wildblumen]<br />
: Schritt für Schritt Anleitung zur Anlage und Pflege von Wildblumenwiesen für Privathaushalte.<br />
* [https://assets.wwf.ch/downloads/priv_ruderalflaechen_1.pdf WWF Schweiz 2010. Lebendige Trockenstandorte mit Sand, Kies und Schotter]<br />
: Anleitung zur Anlage und Pflege von Trockenstandorten für Privathaushalte.<br />
<br />
== Sekundäre Pionierstandorte anlegen und pflegen == <br />
Vom Menschen geschaffene Pionierstandorte sind für Heuschrecken wertvolle Sekundärhabitate geworden, da vielerorts die ursprünglichen Lebensräume (z.&nbsp;B. See- und Flussauen, Brandflächen, etc.) verschwunden sind. Der Erhalt der Pionierstandorte bedarf regelmässiger Pflegeeinsätze zur Verhinderung von Verfilzung und Verbuschung.<br />
Heuschrecken finden wertvolle Pionierflächen: <br />
* In Steinbrüchen und Kiesgruben <br />
* In Weinbergen<br />
* In Sand-, Lehmgruben und Mergelgruben <br />
* An Bahnhöfen und Gleisen<br />
* Auf Industriebrachen<br />
<br />
== Wiederansiedlung von Tieren ==<br />
Die Wiederansiedelung von ehemals vorkommenden Heuschrecken kann nur eine letzte Alternative im Naturschutz sein, da primär immer der Schutz der vorhandenen Populationen im Fokus steht und die Wiederansiedlung sehr aufwändig ist. Für eine erfolgreiche Wiederansiedlung ist es notwendig, eine sorgfältige Ansiedlungs-Strategie zu erarbeiten und die [https://portals.iucn.org/library/efiles/documents/2013-009.pdf Richtlinien der IUCN zur Wiederansiedlung] strikt zu befolgen. Die Wiederansiedlung von Heuschrecken ist bewilligungspflichtig und soll Spezialisten überlassen werden, weshalb hier nicht näher darauf eingegangen wird.<br />
<br />
<br />
{{Foto-rechts-quer<br />
| bilddatei = GSM-5012435629 6b68a9c506 b Ephipiger cfr diurnus female.jpg<br />
| text = Die Westliche Sattelschrecke (''Ephippiger diurnus'') besiedelt trockene und lückige Wiesen und Waldränder. Sie gehört zu den stark gefährdeten Arten. <br />
}}<br />
<br />
= Artenschutz =<br />
Viele Heuschreckenarten brauchen aufgrund ihrer Ansprüche an den Lebensraum ganz spezifische Fördermassnahmen. Die Priorisierung der gefährdeten Arten gemäss ihrem Förderbedarf kann der [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/liste-national-prioritaeren-arten.html Liste der National Prioritären Arten (2011)] entnommen werden. Eine wichtige Grundlage für die Förderung sind auch die in der [http://www.cscf.ch/cscf/de/home/wissenschaftliche-aktivitaten/fauna-indicativa.html Fauna Indicativa] zusammengestellten Präferenzen und Eigenschaften der einzelnen Arten.<br />
<br />
Es gibt nur wenige Praxisinformationen zum spezifischen Artenschutz von Heuschrecken. In der Schweiz wurde bisher nur für die Blauflügelige Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') eine [http://kbnl.ch/wp-content/uploads/2016/11/webseite_Ocaerulescens.pdf Zusammenfassung zur Best Practice der Artenförderung] und ein [http://www.aln.zh.ch/internet/baudirektion/aln/de/naturschutz/artenfoerderung/ap_fa/oedland/_jcr_content/contentPar/downloadlist/downloaditems/40_1298476571873.spooler.download.1387468488719.pdf/Oedipoda_caerulescens_AP.pdf Schutzkonzept vom Kanton Zürich] erstellt. <br />
In den Nachbarländern wurden folgenden Publikationen zu Fördermassnahmen erstellt: <br />
<br />
'''Deutschland'''<br />
* [http://www.nlwkn.niedersachsen.de/naturschutz/natura_2000/vollzugshinweise_arten_und_lebensraumtypen/vollzugshinweise-fuer-arten-und-lebensraumtypen-46103.html#Wirbellose Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz. Niedersächsische Strategie zum Arten- und Biotopschutz]<br />
'''Österreich''' <br />
* [http://www.zobodat.at/pdf/NaturschutzbundBgld_9_2013_0001-0160.pdf Zuna-Kratky, T. et. al. (2013). Schutzprogramm für die gefährdeten Heuschrecken des Nordburgenlands]<br />
'''Niederlande''' <br />
* [http://repository.naturalis.nl/document/161506 Schut, D. et al. (2008). Actieplan prioritaire Sprinkhanen in Noord-Brabant]<br />
<br />
= Gefährdung =<br />
Von den 105 für die [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html Rote Liste 2007] untersuchten Heuschreckenarten sind fast 40% bedroht. Am stärksten gefährdet sind die Pionierarten entlang von Gewässern sowie die Arten der Flach- und Hochmoore. Die Erhaltung der letzten Populationen dieser Arten ist daher von grosser Bedeutung.<br />
Die grössten Gefährdungsursachen für alle Heuschreckenarten sind:<br />
* Verlust und Fragmentierung des Lebensraums durch Veränderung der Landnutzung, z.&nbsp;B. durch Umwandlung von Grünland in Äcker, Urbanisierung oder Industrialisierung<br />
* Intensivierung der Nutzung, insbesondere der Einsatz von Mähmaschinen und Mähaufbereitern, sowie Düngung und Erhöhung der Anzahl Schnitte pro Jahr, sowie höhere Viehdichten auf kleinerem Raum<br />
* Mangelnde (natürliche) Prozesse zur Offenhaltung der Landschaft und von Bodenstellen, Homogenisierung der Landschaft<br />
* Verdichtung der Vegetation durch Eutrophierung<br />
* Einsatz von Insektiziden<br />
<br />
Weitere Gefährdungsursachen in Bezug auf die Lebensraumbindung sind:<br />
* Grünlandarten: Intensive Beweidung oder häufige Mahd, Verbuschung oder Verkrautung durch Verbrachung, Verarmung der Pflanzenvielfalt, Düngung von Wiesen und Weiden <br />
* Feuchtgebietsarten: Veränderungen im Gewässerhaushalt von Feuchtgebieten, intensivere landwirtschaftliche Nutzung von Feuchtwiesen <br />
* Wald- und Waldrandarten: Fehlende Stufenstruktur des Waldrandes (Strauch- und Krautschicht), Entfernung von Hecken, Kleinstrukturen und Felsen, Intensivierung der Forstwirtschaft, Einsatz von Bioziden, Anbau von Monokulturen, touristische Nutzung (insbesondere mit Ski & Mountainbike)<br />
* Pionierarten: Verbauungen der Fliessgewässer und Eingriffe in den Geschiebehaushalt, Veränderungen des Gewässerhaushaltes und der Gewässerdynamik, Verbuschung und Verkrautung der Offenflächen<br />
<br />
= Wissenslücken =<br />
Die Wissenslücken sind nicht abschliessend und fokussieren besonders auf die Förderung.<br />
* Erfolgreiche Förderung seltener Arten<br />
* Minimale überlebensfähige Populationsgrössen <br />
* Vernetzung von Heuschreckenpopulationen unterschiedlicher Arten und Artenzusammensetzungen<br />
* Habitatspezifische Auswirkungen der Grünlandnutzung: lässt sich das auf Trockenrasen gewonnene Wissen bspw. auf Feuchtwiesen übertragen?<br />
* Barrierewirkung mehrspuriger Strassen (Autobahnen)<br />
* Auswirkungen vom Klimawandel, insbesondere langer Dürreperioden oder Starkregen<br />
<br />
= Praxisbeispiele =<br />
Für Heuschrecken haben wir nur ein Praxisbeispiel gefunden, welches die durchgeführten Massnahmen ausführlich beschreibt und eine Erfolgsuntersuchung beinhaltet. Daher freuen wir uns über Ihre [http://biodivers.ch/index.php/kontakt.html Vorschläge per Email.]<br />
* [http://www.parcs.ch/nwp/pdf_public/2014/26962_20140130_123116_Kurth_Salome_2007.pdf Kurth, S. (2007). Planning a migration corridor for the highly endangered grasshopper Chorthippus pullus (Orthoptera, Acrididae) in the Rottensand (Pfynwald, VS)] <br />
: Für den Kiesbankgrashüpfer wurde im Pfynwald ein Migrationskorridor errichtet und die anschliessende Nutzung beobachtet.<br />
<br />
= Allgemeine Links=<br />
* [http://lepus.unine.ch/carto/ Centre Suisse de Cartographie de la Faune (CSCF). Verbreitungskarten der Schweizer Tierarten]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken]<br />
* [http://www.orthoptera.ch Orthoptera Schweiz. Heuschrecken-Plattform für die Schweiz und Europa ]<br />
* [http://www.orthoptera.ch/links Orthoptera Schweiz. Linkliste der Heuschrecken-Webseiten Europas und weltweit] <br />
<br />
== Glossar und weitere spannende Links ==<br />
* [https://www.orthoptera.ch/glossar Glossar von orthoptera.ch]<br />
* [http://www.biofotoquiz.ch/biofotoquiz/index.php?domain=standard&classID=278 Biofotoquiz]<br />
: Quiz mit Fotos von Heuschrecken und anderen Tier- und Pflanzenarten zum Kennenlernen der Arten.<br />
* [https://offene-naturfuehrer.de/web/Heuschreckenarten_nach_einfachen_Merkmalen_bestimmen_(Bayern) Heuschreckenarten nach einfachen Merkmalen bestimmen (Bayern)]<br />
: Wiki-Bestimmungsschlüssel für die Heuschrecken von Bayern. Der Leser wird anhand der Merkmale geführt, die Kenntnis von Fachbegriffen wird vorausgesetzt. <br />
* [http://www.andre-rey.ch/cms/fileadmin/pdf/Heuschecken_Bestimmungsschluessel_Suedalpen.pdf Fontana et al. (2002). Heuschrecken-Bestimmungsschlüssel für die östlichen Südalpen]<br />
: Bestimmungsschlüssel mit detaillierten Zeichnungen der Merkmale. <br />
* [http://www.orthoptera.ch/info-app-wiki/orthoptera-app Orthoptera-App]<br />
: Die Heuschrecken Bestimmungs-App für iphone und Android enthält zu jeder Art zahlreiche Fotos, Stimmaufzeichnungen und Hintergrundinformationen. Beobachtungen können in der App eingegeben und so dem CSCF gemeldet werden.<br />
<br />
= Literaturempfehlungen =<br />
* Detzel, P. (1998). Die Heuschrecken Baden-Württembergs. Stuttgart Hohenheim, Ulmer.<br />
: Bisher immer noch das beste Buch zur praxisnahen Ökologie und Massnahmen zur Förderung von Heuschrecken. Die Aufwertungs-Massnahmen sind an einzelne Arten und Lebensräume angepasst. Als genereller Leitfaden sind sie sehr gut, umsetzungsorientierte Anleitungen fehlen. Alles in allem ein gutes Buch für den Anfang, eine Weiterentwicklung ist aber dringend notwendig.<br />
* Ingrisch, S. & Köhler, G. (1998). Die Heuschrecken Mitteleuropas. Vol. Bd. 629. Magdeburg, Westarp Wissenschaften.<br />
: Sehr ausführliches und allgemeines Buch zur Biologie, Populationsdynamiken und Lebensräumen der Heuschrecken, weniger zur Biotopaufwertung und zu Fördermassnahmen. Trotz dem Alter immer noch lesenswert und informativ. <br />
* Schlumprecht, H. & Waeber, G. (2003). Heuschrecken in Bayern. Stuttgart Hohenheim. Ulmer. <br />
: Sehr ausführlicher Bestimmungs-Atlas mit vielen Informationen zur Lebensweise und den Lebensräumen der einzelnen Arten. Zu Gefährdung und Schutz gibt es Beispiele aus dem bayrischen Raum und Ratschläge zur Aufwertung für jede Art.<br />
* Maas, S., Detzel, P. & Staudt, A. (2002). Gefährdungsanalyse der Heuschrecken Deutschlands - Verbreitungsatlas, Gefährdungseinstufung und Schutzkonzepte. Bonn-Bad Godesberg, Bundesamt für Naturschutz.<br />
: Ausführlicher Atlas zu den Heuschreckenarten in Deutschland mit Gefährdungsanalysen und Informationen zu Habitaten, Biologie und Verbreitung der einzelnen Arten. Die Angaben zur Aufwertung von Lebensräumen sind kurz gehalten.<br />
* [http://dgfo-articulata.de/articulata Articulata - Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Orthopterologie] <br />
: In der Zeitschrift der DGFO erscheinen regelmässig Artikel zur Förderung von Heuschrecken, ältere Artikel können als PDF heruntergeladen werden.<br />
<br />
== Bestimmungsbücher ==<br />
* Baur, B., Bauer, H., Rösti, C., & Rösti, D. (2006). Die Heuschrecken der Schweiz. Bern, Haupt Verlag.<br />
: Intuitiver Bestimmungsschlüssel für die Schweizer Heuschreckenarten mit sehr schönen Detail-Zeichnungen. Enthält Verbreitungskarten und Erklärungen zu den wichtigsten Merkmalen.<br />
* Fischer, J., Steinlechner, D., Zehm, A., Poniatowski, D., et al., Hrsg. Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (2016). Die Heuschrecken Deutschlands und Nordtirols: Bestimmen - Beobachten - Schützen. Wiebelsheim Hunsrück, Quelle & Meyer.<br />
: Dieses Buch sticht positiv heraus. Es enthält Detailfotos der Bestimmungsmerkmale der Adultiere und Nymphen, eine Darstellung der Hauptaktivitätszeit aller Arten im Jahresverlauf und vieles mehr.<br />
* Weitere nationale und internationale Bestimmungsbücher sind auf [http://www.orthoptera.ch/literatur Orthoptera.ch] aufgeführt.<br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers ]|| info@biodivers.ch<br />
|-<br />
| Review|| [http://www.goeg.de/kontakt Prof. Dr. Peter Detzel] || [http://www.goeg.de/ Gruppe für ökologische Gutachten] <br />
|-<br />
| || [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Dr. Axel Hochkirch] || [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Universität Trier] <br />
|-<br />
| || [https://www.naturalis.nl/en/science/researchers/roy-kleukers Roy Kleukers] || [https://www.naturalis.nl/en Naturalis Biodiversity Center] <br />
|-<br />
| || [https://www.orthoptera.ch/ueber-uns Florin Rutschmann] || [http://www.pronatura-aargau.ch/cms/index.php?id=4&no_cache=1 Pro Natura Aargau] <br />
|}<br />
<br />
<!-- biodivers-Links zu Arten: Kiesbankgrashüpfer Chorthippus pullus, Blauflügelige Ödlanschrecke Oedipoda caerulescens → Aktionsplandrehscheibe, Grüne Heupferd Tettigonia viridissima, Alpenschrecke Anonconotus alpinus <br />
biodivers-Links zu Lebensräumen: Kleinstrukturen, Hecke, Stillgewässer (mehrfach), Fliessgewässer (mehrfach), Wald und Waldrand (mehrfach), Feuchtgebiete, Sumpf, Grünland, Trockenwiesen und Trockenweisen, Entbuschung von Trockenwiesen (mehrfach)--></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Heuschrecken&diff=4687
Heuschrecken
2023-03-04T13:21:49Z
<p>VB2: </p>
<hr />
<div>[[fr:Orthoptères]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = JM 29293745804 8952ea6513 h.jpg<br />
| text = Die Sumpfschrecke (''Stethophyma grossum'') besiedelt feuchte Wiesen und Flachmoore.<br />
}}<br />
<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers]<br />
|-<br />
| Review || [http://www.goeg.de/ueber-uns/team Prof. Dr. Peter Detzel], [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Dr. Axel Hochkirch], [https://www.naturalis.nl/en/science/researchers/roy-kleukers Roy Kleukers] & [http://www.orthoptera.ch/ueber-uns Florin Rutschmann]<br />
|-<br />
| Publikation || Juli 2017<br />
|}<br />
<br /><br />
{{TOC limit|2}}<br />
= Zusammenfassung =<br />
Über 100 Heuschreckenarten bereichern unsere Fauna und überraschen uns mit Flug-, Grab- oder Klangkünsten sowie ihrer Farben- und Formenvielfalt. Heuschrecken (Orthopteren) sind wärmeliebende Kulturfolger. Die meisten Arten beherbergt das Grünland, ob trocken oder feucht, gemäht oder beweidet. Einige Arten leben in lichten Wäldern und auf Pionierflächen der Flussauen und Geröllhalden. Viele Heuschreckenarten sind auf eine hohe Strukturvielfalt auf kleinem Raum angewiesen, da ihre durchschnittliche Ausbreitungsdistanz weniger als ein Kilometer beträgt.<br />
<br />
Für alle Arten ist die Offenhaltung ihrer Lebensräume zentral. Die Wiederherstellung der natürlichen Dynamiken oder die regelmässige, extensive Bewirtschaftung der besiedelten Flächen ist daher wichtig. Bei der Mahd ist darauf zu achten, ein Mosaik aus Rückzugsstreifen und Flächen mit unterschiedlichen Mahdzeitpunkten zu schaffen. Bei der Begrünung sind eine geringe Distanz zu besiedelten Flächen und eine lückige Ausbringung vorteilhaft. Von den über 100 einheimischen Heuschreckenarten stehen 40% auf der Roten Liste. Insbesondere die Arten der Pionierflächen haben einen erhöhten Förderbedarf. <br />
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= Systematik =<br />
Heuschrecken werden in zwei leicht unterscheidbare Gruppen eingeteilt. Bei den Langfühlerschrecken (Ensifera) sind die Fühler gleich lang oder länger als der Körper und haben mindestens 30 Fühlerglieder, während sie bei den Kurzfühlerschrecken (Caelifera) kürzer als der Körper sind. Die Weibchen der Langfühlerschrecken besitzen meist einen auffälligen Legebohrer, im Gegensatz zu den kurzen Legeröhrenklappen bei den Kurzfühlerschrecken. Nur die Maulwurfsgrille gehört auch ohne lange Fühler und Legebohrer zu den Langfühlerschrecken. <br />
Mehr zur Systematik der Heuschrecken auf [https://de.wikipedia.org/wiki/Heuschrecken Wikipedia].<br />
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=Praxisrelevante Ökologie=<br />
== Lebensräume ==<br />
Heuschrecken besiedeln die meisten terrestrischen Lebensräume bis auf 3'100&nbsp;m&nbsp;ü.&nbsp;M. Sie kommen in extensiven Wiesen und Weiden, Brachen, Weinbergen, Wäldern, Feuchtgebieten, Mooren und Flussauen vor. Heuschrecken können allgemein als wärmeliebende Kulturfolger bezeichnet werden, die in stark vom Menschen geprägten Landschaften leben. So können Kiesgruben und Steinbrüche viele seltene Arten beherbergen, wenn sie offengehalten und extensiv gepflegt werden. Im Siedlungsgebiet finden Heuschrecken eine Vielfalt an Kleinlebensräumen auf Industriebrachen und grossen Güterbahnhöfen, Schotterplätzen und in Ruderalflächen. Für seltene Arten sind Parks, Gärten und Flachdächer als Lebensraum wenig relevant, als Trittsteine können sie aber beim Erreichen neuer Lebensräume helfen. <br />
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{{Fotos-links-1000px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Lebensraeuume_Gruppen_PZ.png<br />
| text = Zu den wichtigsten Lebensräumen für Heuschrecken zählen magere Wiesen, Moorlandschaften, lückige Wälder und Blocksteinhalden.<br />
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Da nahezu alle Heuschrecken licht- und wärmeliebend sind, brauchen sie in ihren Lebensräumen Offenflächen bzw. lückige Pflanzenbestände. Die Bindung an das Habitat erfolgt weniger aufgrund bestimmter Pflanzengesellschaften, als aufgrund der benötigten Strukturen und der mikroklimatischen Verhältnisse. Entscheidend sind Dichte und Höhe der Vegetation, sowie Temperatur und Feuchtigkeit. Mosaikartige Lebensräume mit einer Vielfalt an Strukturen sind für eine hohe Heuschreckenvielfalt optimal. So leben an Lebensraum-Übergängen, wie Waldrändern mit Feuchtwiesen oder Hecken entlang von extensiven Wiesen, besonders viele Arten. Für den Erhalt von Offenflächen und Strukturreichtum sind regelmässige Pflegeeinsätze notwendig, wenn natürliche Dynamiken fehlen.<br />
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Die Schweizer Heuschreckenarten können bezüglich ihrer Lebensraumbindung in vier Gruppen unterteilt werden (aus: [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken]) <br />
# Grünlandarten in Trockenwiesen und -weiden (43 Arten)<br />
# Sumpf- und Feuchtgebietsarten in Flach- und Hochmooren (11 Arten)<br />
# Wald- und Waldrandarten sowie Gebüscharten, vor allem in tieferen Lagen (24 Arten)<br />
# Pionierarten in Auen, Felsplatten, Geröllhalden oder Karst (25 Arten)<br />
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==Merkmale und Vermehrung==<br />
Heuschrecken sind durch ihre Körperform, ihr Verhalten und ihre Körperfärbung an ihren Lebensraum angepasst und häufig gut getarnt. Die Körperfärbung kann innerhalb einer Art stark variieren und ist daher meist kein spezifisches Unterscheidungsmerkmal. Die Körperfärbung ist nicht immer genetisch festgelegt, sondern kann sich während der Entwicklung verändern und der Färbung der Umgebung anpassen. Adulte Tiere können ihre Farbe dagegen nicht mehr wechseln, aber ggf. noch nachdunkeln.<br />
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Heuschrecken durchlaufen eine hemimetabole (unvollkommene) Entwicklung. Nach dem Schlupf sind die sogenannten Nymphen schon als Heuschrecken zu erkennen und werden mit jeder Häutung dem adulten Tier ähnlicher. Grillen brauchen bis zu 12 Häutungen, bis sie ausgewachsen sind, Laubheuschrecken 5 bis 7 und Kurzfühlerschrecken 4 bis 5 Häutungen. Erst nach der letzten Häutung bilden sich die Flügel und Geschlechtsorgane vollständig aus. Die meisten Heuschrecken sind einjährig, ihre Nymphen schlüpfen im Zeitraum von Frühling bis Sommer. Adulte Tiere sind von Sommer bis Herbst zu finden, das Auftreten richtet sich vor allem nach der Höhenstufe und den mikroklimatischen Verhältnissen. Nur Grillen (Gryllidae) und Dornschrecken (Tetrigidae) überwintern in einem der Nymphenstadien oder als adulte Tiere und treten entsprechend früh im Jahr auf. <br />
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Die Paarung erfolgt einige Tage bis wenige Wochen nach der letzten Häutung und schon wenige Tage später beginnt die Eiablage. Die Weibchen der meisten Heuschreckenarten legen ihre Eier im Boden oder an der Basis von Gräsern ab. Andere Arten legen ihre Eier in rissige Baumrinde und markhaltige Pflanzenteile oder heften sie an Halme und Blätter. Die Langfühlerschrecken können mit dem Legebohrer ihre Eier tiefer in den Boden legen als die Kurzfühlerschrecken. Bei den meisten heimischen Arten dauert die Entwicklung der Eier bis zum Schlupf vom Herbst bis zum nächsten Frühling, bei einigen auch mehrere Jahre. <br />
<br />
Die Feuchte- und Temperatur-Ansprüche der Eier sind bei Heuschrecken entscheidend für die Habitatbindung der Arten. Arten der Feuchthabitate können oft nicht überleben, wenn ihre Eier im Winter nicht genügend feucht sind. Sie brauchen eine Periode der Überflutung. Feldheuschrecken der trockenen Habitate haben eine längere Eientwicklung nach dem Winter und benötigen höhere Bodentemperaturen. Die notwenigen Temperaturen werden erreicht, wenn Sonnenstrahlen offene Bodenstellen erwärmen. Andere Arten, die in höherer, dichterer Vegetation leben, kommen auch mit geringer Sonneneinstrahlung zurecht. So gibt es einige Spezialisten unter den Heuschrecken, mit ganz spezifischen Ansprüchen an ihren Lebensraum. Der Kiesbankgrashüpfer (''Chorthippus pullus'') lebt in der Schweiz z.&nbsp;B. ausschliesslich auf vegetationsarmen Kiesbänken grosser Alpenflüsse.<br />
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{{Fotos-links-1000px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Eiablage_Lebensraum-Fluegel.png<br />
| text = Von links nach rechts: Die Laubholz-Säbelschrecke (''Barbitistes serricauda'') legt ihre Eier in Gehölze mit strukturreicher Borke ab. Der Kiesbankgrashüpfer (''Chorthippus pullus'') kommt nur entlang der grossen Alpenflüsse vor. Die Gewöhnliche Gebirgsschrecke (''Podisma pedestris'') kann aufgrund der verkümmerten Flügel nicht fliegen.<br />
Das Grüne Heupferd (''Tettigonia viridissima'') ist ein Langstreckenflieger unter den Heuschrecken.<br />
}}<br />
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==Populationsgrössen und Ausbreitung ==<br />
Die Populationsgrösse kann zwischen den Jahren stark schwanken. Schon ein Kälteeinbruch oder eine längere Regenphase im Frühsommer können zu einem starken Populationsrückgang führen. Einzelbeobachtungen weisen darauf hin, dass auch kleine Populationen mit weniger als 50 Tieren über mehrere Jahre existieren können, wenn die Habitatqualität nicht abnimmt. <br />
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Die meisten Heuschreckenarten sind sesshaft und bewegen sich in einem Umkreis von wenigen Metern bis maximal 1&nbsp;km. Bei vielen Arten sind die Flügel verkümmert (z.&nbsp;B. bei der Gewöhnlichen Gebirgsschrecke ''Podisma pedestris''). Es gibt aber auch einzelne Langstreckenflieger, wie das Grüne Heupferd (''Tettigonia viridissima''), das in einem Sommer Distanzen von mehreren Kilometern zurücklegen kann. Hohe Bestandsdichten können die Ausbreitung von sesshaften Arten erhöhen, da bei Dichtestress die Mobilität steigt und makroptere (langflügelige) Tiere auftreten können, deren Flügel deutlich länger sind als üblich. Mit verlängerten Flügeln können auch Arten, die üblicherweise flugunfähig sind, weitere Distanzen überqueren. Ungenügend untersucht ist die Ausbreitung von Eiern und Tieren durch passiven Transport, z.&nbsp;B. durch Fliessgewässer, den Bahnverkehr, durch Verfrachtung mit Mahdgut oder mit Weidetieren. Bei manchen Arten scheint diese Art der Verbreitung jedoch gut zu funktionieren, da immer wieder fernab von bekannten Populationen Einzeltiere oder kleine Initialpopulationen gefunden werden.<br />
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== Fauna Indicativa ==<br />
Die [http://www.cscf.ch/cscf/de/home/projekte/fauna-indicativa.html Fauna Indicativa] ist ein Nachschlagewerk sowie ein Werkzeug für die Auswertung faunistischer Daten. Sie charakterisiert in Tabellenform ökologische Präferenzen und biologische Eigenschaften aller in der Schweiz einheimischen Arten.<br />
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=Erhalt und Förderung=<br />
==Allgemeine Massnahmen ==<br />
===Grünland- und Feuchtgebietsarten ===<br />
* Extensive Bewirtschaftung von Wiesen und Weiden und Verzicht auf schwere Maschinen, insbesondere in Feuchtgebieten<br />
* Verzicht auf das Ausbringen von Kunstdünger und Bioziden, insbesondere Insektiziden<br />
* Förderung von Biodiversitätsförderflächen (BFF) mit Qualitätsstufe QII<br />
* Verzicht auf die Bewässerung von Trockenwiesen und Steppen<br />
* Eindämmung der Verbuschung und Verbrachung von Trockenwiesen- und weiden<br />
* Verzicht auf die Entwässerung von Feuchtgebieten und Wiederherstellung des natürlichen Wasserregimes<br />
* Erhalt von Weiden, da in der Regel mit heterogener Struktur und artenreicher, ausser bei einschüriger Mahd <br />
* Schutz und Wiederherstellung von Feuchtgebieten<br />
* Anlage und Pflege von Stillgewässern, insbesondere mit flachen Uferzonen<br />
<br />
===Wald- und Waldrandarten===<br />
* Aufwertung und Schaffung gestufter Waldränder mit einer Krautschicht<br />
* Erhalt alter Baumbestände, Biotopbäume und Hecken mir ihren Säumen<br />
* Auflichtung der Wälder und Böschungen, damit sie gut besonnt sind<br />
* Extensive Pflege der Weg- und Hangböschungen<br />
* Standortgerechter Waldbau, Verzicht auf Monokulturen (bspw. Fichten)<br />
* Umwandlung von Monokulturen in natürliche Wälder mit mehreren Baumarten<br />
* Verzicht auf den Einsatz von Düngemitteln und Bioziden<br />
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===Pionierarten an Fliessgewässern ===<br />
(Übernommen aus: [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken])<br />
* Revitalisierung der Fliessgewässer, bevorzugt von Pionierarten besiedelte Standorten <br />
* Verzicht auf die Zuschüttung oder Eindämmung von besiedelten Uferflächen<br />
* Verzicht auf jeglichen Abbau der Sand-, Kies- oder Steinbänke innerhalb, ober- und unterhalb besiedelter Flächen<br />
* Zulassen von regelmässigen, genügend intensiven Hochwassern, um den natürlichen Abtrag der mit Vegetation bewachsenen Bänke in Auen zu gewährleisten<br />
* Gewährleisten von periodischen Ablagerungen von Sedimenten an besiedelten Standorten, um die Regeneration von Sedimentbänken in Auen sicherzustellen<br />
* Revitalisierung möglichst vieler Fliessgewässer, um über die Schaffung von potenziell günstigen Standorten die Wiederbesiedlung von verlassenen Gegenden zu fördern<br />
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{{Foto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Mosaik_aus_Gruenlandtypen_-_Suedschwarzwald_-_IMG_7876b.jpg<br />
| text = Der Strukturreichtum dieser Flächen bietet Grünlandarten einen idealen Lebensraum.<br />
}}<br />
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== Strukturreiche Flächen schaffen und schützen ==<br />
Für Heuschrecken sind weniger die typischen Kleinstrukturen wichtig, wie Ast- oder Steinhaufen, als vielmehr offene Bodenstellen (u.&nbsp;a. für die Eiablage) und Strukturen, die Wärme aufnehmen und speichern, wie felsige Bereiche, Kiesflächen, feuchte Senken und temporäre Tümpel. Neu angelegte Strukturen sollen eine minimale Fläche von 20&nbsp;m&sup2; pro ha haben. Natürliche Offenflächen und strukturreiche Flächen wie Moränen, Felsschutthalden, Kiesflächen und Verlandungszonen von Stillgewässern sind zu schützen und dürfen nicht zugeschüttet oder aufgeforstet werden.<br />
<br />
== Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts ==<br />
Viele gefährdete Heuschreckenarten sind auf eine extensive Beweidung oder regelmässige Mahd angewiesen, damit die Vegetation nicht zu dicht wird. Der optimale Schnittzeitpunkt ist artabhängig. Für Arten, die ihre Eier im Boden ablegen, ist eine Mahd zwischen Mai und August ungünstig. Für Arten, die ihre Eier an oder in Pflanzen ablegen, ist eine Mahd nach August und vor Mai problematisch. Die Bewirtschaftung kann aber auch schädlich sein. Verluste entstehen v.&nbsp;a. durch Mähaufbereiter und das Schwaden und Abführen des Mahdguts. Zur Verminderung der Verluste bei allen Arten ist bei der Mahd Folgendes zu beachten: <br />
<br />
* Es sollen möglichst wenige Schnitte erfolgen, optimaler Weise nur ein Schnitt pro Jahr<br />
* Frühmad: nicht ganzflächige durchführen; Spätmahd: nach dem Verblühen der meisten Pflanzen durchführen<br />
* Am besten ist eine differenzierte Pflege, d.&nbsp;h. ein Mosaik aus Flächen mit unterschiedlichen Mähzeitpunkten und Rückzugsstreifen, die nur alle 2 Jahre gemäht werden <br />
* Die Schnitthöhe soll mindestens 10&nbsp;cm betragen <br />
* Balkenmäher verursachen die niedrigste Schädigungsrate, Scheibenmähern die höchste; am schonendsten ist die Mahd mit der Sense <br />
* Das Schnittgut soll, damit sich die Tiere verteilen können, zum Trocknen liegen gelassen und stets abgeführt werden<br />
* Es sollen keine Mähaufbereiter eingesetzt werden<br />
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'''Links'''<br />
* [https://www.buntewiese-tuebingen.de/app/download/6569219764/Hiller%202014%20Auswirkungen%20verschiedener%20Mahdkonzepte%20auf%20die%20Heuschreckenfauna%20st%C3%A4dtischer%20Gr%C3%BCnfl%C3%A4chen%20-%20Naturschutz%20und%20Landschaftsplanung.pdf?t=1490555371 Hiller, D. & Betz, O.(2014). Auswirkungen verschiedener Mahdkonzepte auf die Heuschreckenfauna städtischer Grünflächen]<br /><br />
<br />
'''Hintergrundinformationen'''<br /><br />
* [http://www.parcs.ch/npf/pdf_public/2014/30491_20141107_083216_MA_GrichtingStefan_2002.pdf Grichting, S. (2002). Heuschrecken (Orthoptera) von Trockensteppen und extensiv bewirtschafteten Wiesen im Pfynwald (VS, Schweiz)]<br />
: Studie zu den ökologischen Ansprüchen und der Verbreitung von Heuschrecken auf Wiesen mit unterschiedlichem Nutzungsgrad.<br /><br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/abashop?s=208&p=productdetail&sku=429&language=de Agridea (2011). Erntetechnik und Artenvielfalt in Wiesen]<br />
: Das Merkblatt zeigt die Auswirkungen verschiedener Mähtechniken und nachfolgender Ernteschritte auf die Artenvielfalt und gibt Empfehlungen für eine möglichst tierschonende Ernte. <br /><br />
<br />
==Rotationsbrachen anlegen und Altgrassstreifen stehen lassen ==<br />
Bei der Anlage von Rotationsbrachen und Altgrasstreifen ist auf das Vorkommen von Heuschreckenpopulation in der näheren Umgebung zu achten, da Heuschrecken oft nur geringe Ausbreitungsdistanzen haben. Als Rückzugsstreifen werden bei jedem Schnitt 10% der Wiese stehen gelassen.<br /><br />
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'''Links'''<br />
* [http://www.agraroekologie.ch/NuL07-10_Mueller_Bosshard.pdf Müller, M. & Bosshard, B. (2012). Altgrasstreifen fördern Heuschrecken in Ökowiesen - Eine Möglichkeit zur Strukturverbesserung im Mähgrünland]<br />
: Studie zu den positiven Auswirkungen von Altgrasstreifen als Rückzugsraum bei der Mahd in extensiv genutzten Wiesen. <br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/2012_01_1723.pdf Duss, M. et al. (2012). Vernetzte Ökoflächen fördern Heuschrecken]<br />
: Studie zur Auswirkung eines Vernetzungsprojektes von ökologischen Ausgleichsflächen (öAF) auf die Verbreitung von 2 Heuschreckenarten. Die Grosse Goldschrecke (''Chrysochraon dispar'') profitiert von Altgrasstreifen.<br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/download.php?filename=2001_1112_102.pdf Peter, B. & Walter, T. (2001). Heuschrecken brauchen ökologische Ausgleichsflächen] <br />
: Vergleichende Untersuchungen vor und nach der Einführung von Biodiversitätsförderflächen (BFF) zeigt deren Wichtigkeit für Heuschrecken auf.<br />
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{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Buntbrache_Altgrassstreifen_AK.png<br />
| text = Links und Mitte: Die Gemeine Sichelschrecke (''Phaneroptera falcata'') und die Langflüglige Schwertschrecke (''Conocephalus fuscus'') schätzen die hohe Vegetation von Buntbrachen. <br /><br />
Rechts: Die Grosse Goldschrecke (''Chrysochraon dispar'') profitiert von Altgrasstreifen.<br />
}}<br />
<br />
==Beweidung ==<br />
Für die Beweidung sollen möglichst traditionelle Rassen, bzw. leichte Tiere eingesetzt werden. Generell scheint Schaf-Hütehaltung besonders günstig für Heuschrecken zu sein. Die Viehdichte darf nicht zu hoch sein; der jährliche Besatz sollte 150 Grossvieheinheiten&sup1; pro Hektare (GVE/ha) nicht überschreiten. Es empfiehlt sich, eine Beweidung in Koppeln zu führen, womit ein ähnlicher Effekt erzielt wird wie mit einer Rotationsmahd. <br /><br />
<small><sup>1</sup>Die Beweidungsintensität ergibt sich aus dem Produkt von Besatzstärke in Grossvieheinheiten pro Hektare mal Anzahl Bestossungstagen (GVE/ha * dd). Je nach Grösse und Alter der Tiere ändert sich der Wert, der sich mit dem [https://www.agate.ch/portal/web/agate/gve-rechner GVE-Rechner des Bundesamtes für Landwirtschaft] genau ermitteln lässt.</small> <br />
<br />
'''Links'''<br />
* [http://www.pronatura.ch/allegra-geissenpeter Pro Natura. Projekt „Allegra Geissenpeter“]<br />
: Pro Natura lanciert Projekte mit verschiedenen Weidetierarten, um die Trockenstandorte in den Alpen nachhaltig zu sichern, unter anderem zur Förderung der Heuschrecken. Die unterschiedlichen Projekte und die Ergebnisse der Erfolgskontrollen sind im [http://www.pronatura.ch/tl_files/dokumente_de/2_unsere_themen/biodiversitaet/Leitfaden_fuer_die_Aufwertung_von_brachliegenden_Trockenstandorten_durch_Beweidung-Beitraege%20zum%20Naturschutz_in_der_Schweiz_Nr%2037-2016_HighRes.pdf Leitfaden für die Aufwertung von brachliegenden Trockenstandorten durch Beweidung (2016)] zusammengefasst.<br />
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== Direktbegrünung und Mahdgutübertragung ==<br />
Direktbegrünung und Mahdgutübertragung sind einer Ansaat vorzuziehen, da zusammen mit dem Pflanzenmaterial oder den Samen Insekten und Eier übertragen werden können. Dies ist insbesondere wichtig für Arten mit einem geringem Ausbreitungspotenzial. Das Saat- und Mahdgut sollte von [https://www.regioflora.ch/app/de/index.html Spenderflächen aus der nahen Umgebung] stammen, also [https://de.wikipedia.org/wiki/Autochthone_Art autochthon] sein, um die regionale genetische Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten zu erhalten. Für eine erfolgreiche Besiedlung sollen Empfängerflächen in maximal 1&nbsp;km Distanz, besser nur 500&nbsp;m, zu bereits besiedelten Flächen angelegt werden. Bei der Begrünung können kleine Bodenstelle langfristig offengehalten werden, indem Steine oder Feinsediment als Substrat eingebracht wird. <br />
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'''Hintergrundinformation'''<br />
* [http://public.bibliothek.uni-halle.de/index.php/hercynia/article/viewFile/218/224 Elias, D. & Thiede, S. (2008). Verfrachtung von Heuschrecken (Insecta: Ensifera et Caelifera) mit frischem Mähgut im Wulfener Bruch (Sachsen-Anhalt)]<br />
: Diese Studie zeigt auf, dass die Mahdgutübertragung für Heuschrecken eine wichtige Rolle spielt, insbesondere für wenig mobile Arten.<br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/2001_07_71.pdf Bosshard, A. & Kuster, D. (2001). Bedeutung neu angelegter Extensivwiesen für Tagfalter und Heuschrecken]<br />
: Die Untersuchung zeigt, dass neu angelegte Extensivwiesen rasch von gefährdeten Heuschrecken- und Tagfalterarten besiedelt werden können.<br />
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'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [https://www.regioflora.ch/ Regio Flora - das Portal zur Förderung der regionalen Vielfalt im Grünland]<br />
: Umfassende Informationen zur Direktbegrünung von Wiesen und Weiden.<br />
* [https://www.regioflora.ch/de/assets/content/pdf/RF_Praxismerkblatt_D_download9.11.15.pdf Agridea (2015). Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft]<br />
: Leitfaden für die Praxis zum Einsatz von regionalem Saatgut in Biodiversitätsförderflächen.<br />
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{{Foto-rechts-hoch<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Gewaesser_PZ.png<br />
| text = Die Ufer von Fliess- und Stillgewässern sind wichtige Verbreitungskorridore und sollen alternierend bewirtschaftet werden. <br />
}}<br />
<br />
== Feuchtgebiete und Trockenstandorte ==<br />
=== Ruderalstandorte und Säume entlang von Feuchtgebieten pflegen ===<br />
Zahlreiche Arten legen ihre Eier in Stängel von Pflanzen im Uferbereich von Still- und Fliessgewässern. Die Uferbereiche sind wichtige Verbreitungskorridore für die Tiere. Daher ist die extensive Pflege von Feuchtgebieten und Gräben das ganze Jahr über wichtig:<br />
* [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts|Mahd]] an den Ufern alternierend, an einem Ufer die Vegetation immer für ca. 1-2 Jahre stehen lassen <br />
* Säume am selben Ufer gestaffelt mähen und das Schnittgut abführen <br />
* Flächen nicht mulchen<br />
* Ruderalstandorte immer wieder abschnittweise stören durch extensive [[#Beweidung| Beweidung]] oder [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts | Mahd]], um die Verbuschung zu verhindern und [[#Strukturreiche Flächen schaffen und schützen| strukturreiche Flächen]] zu schaffen <br />
* Invasive Pflanzen zurückdrängen, insbesondere Flügelknöterich (''Fallopia'') und Drüsiges Springkraut (''Impatiens glandulifera'')<br />
<br />
=== Entbuschung von Trockenstandorten === <br />
Der Baum- und Strauchbewuchs soll bei grossen Standorten maximal 25% betragen, bei kleineren 10% oder weniger. Für die langfristige Offenhaltung der Trockenwiesen- und weiden eignen sich extensive Beweidung oder Mahd. Massnahmen zur Aufwertung von Trockenstandorten werden zu einem späteren Zeitpunkt bearbeitet.<br />
<br />
== Im Siedlungsgebiet ==<br />
=== Schotter- und Brachflächen extensiv pflegen ===<br />
Im Randbereich vom Siedlungsgebiet und auf Firmengeländen kann eine reiche Heuschreckenfauna entstehen, wenn grössere Offenflächen vorhanden sind. Dies können z.&nbsp;B. Schotter- und Industriebrachen sein, die einen lockeren Pflanzenbewuchs aufweisen. Diese Flächen sollen extensiv bewirtschaftet werden (siehe: [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts|Mahdkonzepte]]). Der Strukturreichtum kann gefördert werden, indem die Pflege nur abschnittweise erfolgt und zusätzliche [[#Strukturreiche Flächen schaffen und schützen| Kleinstrukturen]] angelegt werden.<br />
<br />
=== Begrünung und Pflege von Flachdächern ===<br />
Flachdächer können einigen Heuschreckenarten, z.&nbsp;B. der Blauflügeligen Sandschrecke (''Sphingonotus caerulans'') oder der Blauflügeligen Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') als Trittstein dienen. Dauerhafte Ansiedlungen von Populationen wurden bisher noch nicht beobachtet. Bei der Anlage der Dächer ist Folgendes wichtig: <br />
* Nur einheimische Pflanzen und Saatgut verwenden <br />
* Offene Stellen belassen und regelmässig neue Offenflächen durch Abtragung des Oberbodens schaffen <br />
* Sand, Kies und Steine in unterschiedlichen Korngrössen verwenden <br />
* Pflanzen extensiv und abschnittsweise pflegen <br />
* Strukturreichtum durch Kieshaufen, Holz, etc. sicherstellen <br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://www.vorarlberg.at/pdf/berichtblaufluegeligesand.pdf Speck, M. & Brenneisen, S. (2014). Die Blauflügelige Sandschrecke (Sphingonotus caerulans) auf den extensiv begrünten Dächern der Europa-Allee in Zürich]<br />
: Diese Studie belegt das Vorkommen der Rote-Liste Art auf Flachdächern in Zürich. Die Blauflügelige Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') wurde in vorherigen Untersuchungen machgewiesen, die hier zitiert werden.<br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [https://www.stadt-zuerich.ch/ted/de/index/gsz/angebote_u_beratung/beratung/dachbegruenungen.html Stadt Zürich. Dachbegrünung]<br />
: Umfassende Informationen zur Anlage und Pflege von Dachbegrünung mit vielen Praxisbeispielen.<br />
* [https://www.stadt.sg.ch/home/raum-umwelt/bauen-sanieren/natur-stadt.html Stadt St. Gallen, Amt für Umwelt und Energie (2014). Leitfaden Dachbegrünung]<br />
: Ausführliche Informationen zu Aufbau und extensiven Begrünungsarten von Flachdächern.<br />
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{{Fotos-links-550px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Siedlungsgebiet.png<br />
| text = Der Blauflügeligen Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') und der Blauflügeligen Sandschrecke (''Sphingonotus caerulans'') können Flachdächer als Trittsteine in neue Lebensräume dienen.<br />
}}<br />
<br />
=== Wildblumenwiesen und Trockenflächen anlegen und pflegen === <br />
In Parks und Gärten können auch anspruchsvollere Heuschreckenarten vorkommen, wenn Folgendes beachtet wird:<br />
* Nur einheimisches Saatgut verwenden <br />
* Lückig säen und nicht düngen <br />
* Offene Bodenflächen belassen <br />
* Maximal 2-mal pro Jahr mit Balkenmäher oder Sense und abschnittsweise mähen <br />
* Brachflächen, Altgrassstreifen und Säume um Gebüsche und Gehölze von 5-10m abschnittsweise pflegen, um eine Zunahme der Verbuschung zu verhindern <br />
* Mahdgut abführen <br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [http://www.pronatura.ch/blumenwiesen?file=tl_files/dokumente_de/2_unsere_themen/lebensraeume/Wiesen/Pro_Natura_Praxis_Blumenwiese.pdf Pro Natura 2014. Blumenwiesen anlegen und pflegen]<br />
: Ausführliche Informationen zur Anlage und Pflege von grossen und kleinen (Wild-) Blumenwiesen.<br />
* [https://assets.wwf.ch/custom/biodiv/pdf/PRIV_Wiesenparadies.pdf WWF Schweiz 2010. Buntes Wiesenparadies mit einheimischen Wildblumen]<br />
: Schritt für Schritt Anleitung zur Anlage und Pflege von Wildblumenwiesen für Privathaushalte.<br />
* [https://assets.wwf.ch/downloads/priv_ruderalflaechen_1.pdf WWF Schweiz 2010. Lebendige Trockenstandorte mit Sand, Kies und Schotter]<br />
: Anleitung zur Anlage und Pflege von Trockenstandorten für Privathaushalte.<br />
<br />
== Sekundäre Pionierstandorte anlegen und pflegen == <br />
Vom Menschen geschaffene Pionierstandorte sind für Heuschrecken wertvolle Sekundärhabitate geworden, da vielerorts die ursprünglichen Lebensräume (z.&nbsp;B. See- und Flussauen, Brandflächen, etc.) verschwunden sind. Der Erhalt der Pionierstandorte bedarf regelmässiger Pflegeeinsätze zur Verhinderung von Verfilzung und Verbuschung.<br />
Heuschrecken finden wertvolle Pionierflächen: <br />
* In Steinbrüchen und Kiesgruben <br />
* In Weinbergen<br />
* In Sand-, Lehmgruben und Mergelgruben <br />
* An Bahnhöfen und Gleisen<br />
* Auf Industriebrachen<br />
<br />
== Wiederansiedlung von Tieren ==<br />
Die Wiederansiedelung von ehemals vorkommenden Heuschrecken kann nur eine letzte Alternative im Naturschutz sein, da primär immer der Schutz der vorhandenen Populationen im Fokus steht und die Wiederansiedlung sehr aufwändig ist. Für eine erfolgreiche Wiederansiedlung ist es notwendig, eine sorgfältige Ansiedlungs-Strategie zu erarbeiten und die [https://portals.iucn.org/library/efiles/documents/2013-009.pdf Richtlinien der IUCN zur Wiederansiedlung] strikt zu befolgen. Die Wiederansiedlung von Heuschrecken ist bewilligungspflichtig und soll Spezialisten überlassen werden, weshalb hier nicht näher darauf eingegangen wird.<br />
<br />
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{{Foto-rechts-quer<br />
| bilddatei = GSM-5012435629 6b68a9c506 b Ephipiger cfr diurnus female.jpg<br />
| text = Die Westliche Sattelschrecke (''Ephippiger diurnus'') besiedelt trockene und lückige Wiesen und Waldränder. Sie gehört zu den stark gefährdeten Arten. <br />
}}<br />
<br />
= Artenschutz =<br />
Viele Heuschreckenarten brauchen aufgrund ihrer Ansprüche an den Lebensraum ganz spezifische Fördermassnahmen. Die Priorisierung der gefährdeten Arten gemäss ihrem Förderbedarf kann der [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/liste-national-prioritaeren-arten.html Liste der National Prioritären Arten (2011)] entnommen werden. Eine wichtige Grundlage für die Förderung sind auch die in der [http://www.cscf.ch/cscf/de/home/wissenschaftliche-aktivitaten/fauna-indicativa.html Fauna Indicativa] zusammengestellten Präferenzen und Eigenschaften der einzelnen Arten.<br />
<br />
Es gibt nur wenige Praxisinformationen zum spezifischen Artenschutz von Heuschrecken. In der Schweiz wurde bisher nur für die Blauflügelige Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') eine [http://kbnl.ch/wp-content/uploads/2016/11/webseite_Ocaerulescens.pdf Zusammenfassung zur Best Practice der Artenförderung] und ein [http://www.aln.zh.ch/internet/baudirektion/aln/de/naturschutz/artenfoerderung/ap_fa/oedland/_jcr_content/contentPar/downloadlist/downloaditems/40_1298476571873.spooler.download.1387468488719.pdf/Oedipoda_caerulescens_AP.pdf Schutzkonzept vom Kanton Zürich] erstellt. <br />
In den Nachbarländern wurden folgenden Publikationen zu Fördermassnahmen erstellt: <br />
<br />
'''Deutschland'''<br />
* [http://www.nlwkn.niedersachsen.de/naturschutz/natura_2000/vollzugshinweise_arten_und_lebensraumtypen/vollzugshinweise-fuer-arten-und-lebensraumtypen-46103.html#Wirbellose Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz. Niedersächsische Strategie zum Arten- und Biotopschutz]<br />
'''Österreich''' <br />
* [http://www.zobodat.at/pdf/NaturschutzbundBgld_9_2013_0001-0160.pdf Zuna-Kratky, T. et. al. (2013). Schutzprogramm für die gefährdeten Heuschrecken des Nordburgenlands]<br />
'''Niederlande''' <br />
* [http://repository.naturalis.nl/document/161506 Schut, D. et al. (2008). Actieplan prioritaire Sprinkhanen in Noord-Brabant]<br />
<br />
= Gefährdung =<br />
Von den 105 für die [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html Rote Liste 2007] untersuchten Heuschreckenarten sind fast 40% bedroht. Am stärksten gefährdet sind die Pionierarten entlang von Gewässern sowie die Arten der Flach- und Hochmoore. Die Erhaltung der letzten Populationen dieser Arten ist daher von grosser Bedeutung.<br />
Die grössten Gefährdungsursachen für alle Heuschreckenarten sind:<br />
* Verlust und Fragmentierung des Lebensraums durch Veränderung der Landnutzung, z.&nbsp;B. durch Umwandlung von Grünland in Äcker, Urbanisierung oder Industrialisierung<br />
* Intensivierung der Nutzung, insbesondere der Einsatz von Mähmaschinen und Mähaufbereitern, sowie Düngung und Erhöhung der Anzahl Schnitte pro Jahr, sowie höhere Viehdichten auf kleinerem Raum<br />
* Mangelnde (natürliche) Prozesse zur Offenhaltung der Landschaft und von Bodenstellen, Homogenisierung der Landschaft<br />
* Verdichtung der Vegetation durch Eutrophierung<br />
* Einsatz von Insektiziden<br />
<br />
Weitere Gefährdungsursachen in Bezug auf die Lebensraumbindung sind:<br />
* Grünlandarten: Intensive Beweidung oder häufige Mahd, Verbuschung oder Verkrautung durch Verbrachung, Verarmung der Pflanzenvielfalt, Düngung von Wiesen und Weiden <br />
* Feuchtgebietsarten: Veränderungen im Gewässerhaushalt von Feuchtgebieten, intensivere landwirtschaftliche Nutzung von Feuchtwiesen <br />
* Wald- und Waldrandarten: Fehlende Stufenstruktur des Waldrandes (Strauch- und Krautschicht), Entfernung von Hecken, Kleinstrukturen und Felsen, Intensivierung der Forstwirtschaft, Einsatz von Bioziden, Anbau von Monokulturen, touristische Nutzung (insbesondere mit Ski & Mountainbike)<br />
* Pionierarten: Verbauungen der Fliessgewässer und Eingriffe in den Geschiebehaushalt, Veränderungen des Gewässerhaushaltes und der Gewässerdynamik, Verbuschung und Verkrautung der Offenflächen<br />
<br />
= Wissenslücken =<br />
Die Wissenslücken sind nicht abschliessend und fokussieren besonders auf die Förderung.<br />
* Erfolgreiche Förderung seltener Arten<br />
* Minimale überlebensfähige Populationsgrössen <br />
* Vernetzung von Heuschreckenpopulationen unterschiedlicher Arten und Artenzusammensetzungen<br />
* Habitatspezifische Auswirkungen der Grünlandnutzung: lässt sich das auf Trockenrasen gewonnene Wissen bspw. auf Feuchtwiesen übertragen?<br />
* Barrierewirkung mehrspuriger Strassen (Autobahnen)<br />
* Auswirkungen vom Klimawandel, insbesondere langer Dürreperioden oder Starkregen<br />
<br />
= Praxisbeispiele =<br />
Für Heuschrecken haben wir nur ein Praxisbeispiel gefunden, welches die durchgeführten Massnahmen ausführlich beschreibt und eine Erfolgsuntersuchung beinhaltet. Daher freuen wir uns über Ihre [http://biodivers.ch/index.php/kontakt.html Vorschläge per Email.]<br />
* [http://www.parcs.ch/nwp/pdf_public/2014/26962_20140130_123116_Kurth_Salome_2007.pdf Kurth, S. (2007). Planning a migration corridor for the highly endangered grasshopper Chorthippus pullus (Orthoptera, Acrididae) in the Rottensand (Pfynwald, VS)] <br />
: Für den Kiesbankgrashüpfer wurde im Pfynwald ein Migrationskorridor errichtet und die anschliessende Nutzung beobachtet.<br />
<br />
= Allgemeine Links=<br />
* [http://lepus.unine.ch/carto/ Centre Suisse de Cartographie de la Faune (CSCF). Verbreitungskarten der Schweizer Tierarten]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken]<br />
* [http://www.orthoptera.ch Orthoptera Schweiz. Heuschrecken-Plattform für die Schweiz und Europa ]<br />
* [http://www.orthoptera.ch/links Orthoptera Schweiz. Linkliste der Heuschrecken-Webseiten Europas und weltweit] <br />
<br />
== Glossar und weitere spannende Links ==<br />
* [https://www.orthoptera.ch/glossar Glossar von orthoptera.ch]<br />
* [http://www.biofotoquiz.ch/biofotoquiz/index.php?domain=standard&classID=278 Biofotoquiz]<br />
: Quiz mit Fotos von Heuschrecken und anderen Tier- und Pflanzenarten zum Kennenlernen der Arten.<br />
* [https://offene-naturfuehrer.de/web/Heuschreckenarten_nach_einfachen_Merkmalen_bestimmen_(Bayern) Heuschreckenarten nach einfachen Merkmalen bestimmen (Bayern)]<br />
: Wiki-Bestimmungsschlüssel für die Heuschrecken von Bayern. Der Leser wird anhand der Merkmale geführt, die Kenntnis von Fachbegriffen wird vorausgesetzt. <br />
* [http://www.andre-rey.ch/cms/fileadmin/pdf/Heuschecken_Bestimmungsschluessel_Suedalpen.pdf Fontana et al. (2002). Heuschrecken-Bestimmungsschlüssel für die östlichen Südalpen]<br />
: Bestimmungsschlüssel mit detaillierten Zeichnungen der Merkmale. <br />
* [http://www.orthoptera.ch/info-app-wiki/orthoptera-app Orthoptera-App]<br />
: Die Heuschrecken Bestimmungs-App für iphone und Android enthält zu jeder Art zahlreiche Fotos, Stimmaufzeichnungen und Hintergrundinformationen. Beobachtungen können in der App eingegeben und so dem CSCF gemeldet werden.<br />
<br />
= Literaturempfehlungen =<br />
* Detzel, P. (1998). Die Heuschrecken Baden-Württembergs. Stuttgart Hohenheim, Ulmer.<br />
: Bisher immer noch das beste Buch zur praxisnahen Ökologie und Massnahmen zur Förderung von Heuschrecken. Die Aufwertungs-Massnahmen sind an einzelne Arten und Lebensräume angepasst. Als genereller Leitfaden sind sie sehr gut, umsetzungsorientierte Anleitungen fehlen. Alles in allem ein gutes Buch für den Anfang, eine Weiterentwicklung ist aber dringend notwendig.<br />
* Ingrisch, S. & Köhler, G. (1998). Die Heuschrecken Mitteleuropas. Vol. Bd. 629. Magdeburg, Westarp Wissenschaften.<br />
: Sehr ausführliches und allgemeines Buch zur Biologie, Populationsdynamiken und Lebensräumen der Heuschrecken, weniger zur Biotopaufwertung und zu Fördermassnahmen. Trotz dem Alter immer noch lesenswert und informativ. <br />
* Schlumprecht, H. & Waeber, G. (2003). Heuschrecken in Bayern. Stuttgart Hohenheim. Ulmer. <br />
: Sehr ausführlicher Bestimmungs-Atlas mit vielen Informationen zur Lebensweise und den Lebensräumen der einzelnen Arten. Zu Gefährdung und Schutz gibt es Beispiele aus dem bayrischen Raum und Ratschläge zur Aufwertung für jede Art.<br />
* Maas, S., Detzel, P. & Staudt, A. (2002). Gefährdungsanalyse der Heuschrecken Deutschlands - Verbreitungsatlas, Gefährdungseinstufung und Schutzkonzepte. Bonn-Bad Godesberg, Bundesamt für Naturschutz.<br />
: Ausführlicher Atlas zu den Heuschreckenarten in Deutschland mit Gefährdungsanalysen und Informationen zu Habitaten, Biologie und Verbreitung der einzelnen Arten. Die Angaben zur Aufwertung von Lebensräumen sind kurz gehalten.<br />
* [http://dgfo-articulata.de/articulata Articulata - Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Orthopterologie] <br />
: In der Zeitschrift der DGFO erscheinen regelmässig Artikel zur Förderung von Heuschrecken, ältere Artikel können als PDF heruntergeladen werden.<br />
<br />
== Bestimmungsbücher ==<br />
* Baur, B., Bauer, H., Rösti, C., & Rösti, D. (2006). Die Heuschrecken der Schweiz. Bern, Haupt Verlag.<br />
: Intuitiver Bestimmungsschlüssel für die Schweizer Heuschreckenarten mit sehr schönen Detail-Zeichnungen. Enthält Verbreitungskarten und Erklärungen zu den wichtigsten Merkmalen.<br />
* Fischer, J., Steinlechner, D., Zehm, A., Poniatowski, D., et al., Hrsg. Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (2016). Die Heuschrecken Deutschlands und Nordtirols: Bestimmen - Beobachten - Schützen. Wiebelsheim Hunsrück, Quelle & Meyer.<br />
: Dieses Buch sticht positiv heraus. Es enthält Detailfotos der Bestimmungsmerkmale der Adultiere und Nymphen, eine Darstellung der Hauptaktivitätszeit aller Arten im Jahresverlauf und vieles mehr.<br />
* Weitere nationale und internationale Bestimmungsbücher sind auf [http://www.orthoptera.ch/literatur Orthoptera.ch] aufgeführt.<br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers ]|| info@biodivers.ch<br />
|-<br />
| Review|| [http://www.goeg.de/kontakt Prof. Dr. Peter Detzel] || [http://www.goeg.de/ Gruppe für ökologische Gutachten] <br />
|-<br />
| || [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Dr. Axel Hochkirch] || [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Universität Trier] <br />
|-<br />
| || [https://www.naturalis.nl/en/science/researchers/roy-kleukers Roy Kleukers] || [https://www.naturalis.nl/en Naturalis Biodiversity Center] <br />
|-<br />
| || [https://www.orthoptera.ch/ueber-uns Florin Rutschmann] || [http://www.pronatura-aargau.ch/cms/index.php?id=4&no_cache=1 Pro Natura Aargau] <br />
|}<br />
<br />
<!-- biodivers-Links zu Arten: Kiesbankgrashüpfer Chorthippus pullus, Blauflügelige Ödlanschrecke Oedipoda caerulescens → Aktionsplandrehscheibe, Grüne Heupferd Tettigonia viridissima, Alpenschrecke Anonconotus alpinus <br />
biodivers-Links zu Lebensräumen: Kleinstrukturen, Hecke, Stillgewässer (mehrfach), Fliessgewässer (mehrfach), Wald und Waldrand (mehrfach), Feuchtgebiete, Sumpf, Grünland, Trockenwiesen und Trockenweisen, Entbuschung von Trockenwiesen (mehrfach)--></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Heuschrecken&diff=4686
Heuschrecken
2023-03-04T13:14:06Z
<p>VB2: </p>
<hr />
<div>[[fr:Orthoptères]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = JM 29293745804 8952ea6513 h.jpg<br />
| text = Die Sumpfschrecke (''Stethophyma grossum'') besiedelt feuchte Wiesen und Flachmoore.<br />
}}<br />
<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers]<br />
|-<br />
| Review || [http://www.goeg.de/ueber-uns/team Prof. Dr. Peter Detzel], [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Dr. Axel Hochkirch], [https://www.naturalis.nl/en/science/researchers/roy-kleukers Roy Kleukers] & [http://www.orthoptera.ch/ueber-uns Florin Rutschmann]<br />
|-<br />
| Publikation || Juli 2017<br />
|}<br />
<br /><br />
{{TOC limit|2}}<br />
= Zusammenfassung =<br />
Über 100 Heuschreckenarten bereichern unsere Fauna und überraschen uns mit Flug-, Grab- oder Klangkünsten sowie ihrer Farben- und Formenvielfalt. Heuschrecken (Orthopteren) sind wärmeliebende Kulturfolger. Die meisten Arten beherbergt das Grünland, ob trocken oder feucht, gemäht oder beweidet. Einige Arten leben in lichten Wäldern und auf Pionierflächen der Flussauen und Geröllhalden. Viele Heuschreckenarten sind auf eine hohe Strukturvielfalt auf kleinem Raum angewiesen, da ihre durchschnittliche Ausbreitungsdistanz weniger als ein Kilometer beträgt.<br />
<br />
Für alle Arten ist die Offenhaltung ihrer Lebensräume zentral. Die Wiederherstellung der natürlichen Dynamiken oder die regelmässige, extensive Bewirtschaftung der besiedelten Flächen ist daher wichtig. Bei der Mahd ist darauf zu achten, ein Mosaik aus Rückzugsstreifen und Flächen mit unterschiedlichen Mahdzeitpunkten zu schaffen. Bei der Begrünung sind eine geringe Distanz zu besiedelten Flächen und eine lückige Ausbringung vorteilhaft. Von den über 100 einheimischen Heuschreckenarten stehen 40% auf der Roten Liste. Insbesondere die Arten der Pionierflächen haben einen erhöhten Förderbedarf. <br />
<br />
= Systematik =<br />
Heuschrecken werden in zwei leicht unterscheidbare Gruppen eingeteilt. Bei den Langfühlerschrecken (Ensifera) sind die Fühler gleich lang oder länger als der Körper und haben mindestens 30 Fühlerglieder, während sie bei den Kurzfühlerschrecken (Caelifera) kürzer als der Körper sind. Die Weibchen der Langfühlerschrecken besitzen meist einen auffälligen Legebohrer, im Gegensatz zu den kurzen Legeröhrenklappen bei den Kurzfühlerschrecken. Nur die Maulwurfsgrille gehört auch ohne lange Fühler und Legebohrer zu den Langfühlerschrecken. <br />
Mehr zur Systematik der Heuschrecken auf [https://de.wikipedia.org/wiki/Heuschrecken Wikipedia].<br />
<br />
=Praxisrelevante Ökologie=<br />
== Lebensräume ==<br />
Heuschrecken besiedeln die meisten terrestrischen Lebensräume bis auf 3'100&nbsp;m&nbsp;ü.&nbsp;M. Sie kommen in extensiven Wiesen und Weiden, Brachen, Weinbergen, Wäldern, Feuchtgebieten, Mooren und Flussauen vor. Heuschrecken können allgemein als wärmeliebende Kulturfolger bezeichnet werden, die in stark vom Menschen geprägten Landschaften leben. So können Kiesgruben und Steinbrüche viele seltene Arten beherbergen, wenn sie offengehalten und extensiv gepflegt werden. Im Siedlungsgebiet finden Heuschrecken eine Vielfalt an Kleinlebensräumen auf Industriebrachen und grossen Güterbahnhöfen, Schotterplätzen und in Ruderalflächen. Für seltene Arten sind Parks, Gärten und Flachdächer als Lebensraum wenig relevant, als Trittsteine können sie aber beim Erreichen neuer Lebensräume helfen. <br />
<br />
{{Fotos-links-1000px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Lebensraeuume_Gruppen_PZ.png<br />
| text = Zu den wichtigsten Lebensräumen für Heuschrecken zählen magere Wiesen, Moorlandschaften, lückige Wälder und Blocksteinhalden.<br />
}}<br />
<br />
Da nahezu alle Heuschrecken licht- und wärmeliebend sind, brauchen sie in ihren Lebensräumen Offenflächen bzw. lückige Pflanzenbestände. Die Bindung an das Habitat erfolgt weniger aufgrund bestimmter Pflanzengesellschaften, als aufgrund der benötigten Strukturen und der mikroklimatischen Verhältnisse. Entscheidend sind Dichte und Höhe der Vegetation, sowie Temperatur und Feuchtigkeit. Mosaikartige Lebensräume mit einer Vielfalt an Strukturen sind für eine hohe Heuschreckenvielfalt optimal. So leben an Lebensraum-Übergängen, wie Waldrändern mit Feuchtwiesen oder Hecken entlang von extensiven Wiesen, besonders viele Arten. Für den Erhalt von Offenflächen und Strukturreichtum sind regelmässige Pflegeeinsätze notwendig, wenn natürliche Dynamiken fehlen.<br />
<br />
Die Schweizer Heuschreckenarten können bezüglich ihrer Lebensraumbindung in vier Gruppen unterteilt werden (aus: [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken]) <br />
# Grünlandarten in Trockenwiesen und -weiden (43 Arten)<br />
# Sumpf- und Feuchtgebietsarten in Flach- und Hochmooren (11 Arten)<br />
# Wald- und Waldrandarten sowie Gebüscharten, vor allem in tieferen Lagen (24 Arten)<br />
# Pionierarten in Auen, Felsplatten, Geröllhalden oder Karst (25 Arten)<br />
<br />
==Merkmale und Vermehrung==<br />
Heuschrecken sind durch ihre Körperform, ihr Verhalten und ihre Körperfärbung an ihren Lebensraum angepasst und häufig gut getarnt. Die Körperfärbung kann innerhalb einer Art stark variieren und ist daher meist kein spezifisches Unterscheidungsmerkmal. Die Körperfärbung ist nicht immer genetisch festgelegt, sondern kann sich während der Entwicklung verändern und der Färbung der Umgebung anpassen. Adulte Tiere können ihre Farbe dagegen nicht mehr wechseln, aber ggf. noch nachdunkeln.<br />
<br />
Heuschrecken durchlaufen eine hemimetabole (unvollkommene) Entwicklung. Nach dem Schlupf sind die sogenannten Nymphen schon als Heuschrecken zu erkennen und werden mit jeder Häutung dem adulten Tier ähnlicher. Grillen brauchen bis zu 12 Häutungen, bis sie ausgewachsen sind, Laubheuschrecken 5 bis 7 und Kurzfühlerschrecken 4 bis 5 Häutungen. Erst nach der letzten Häutung bilden sich die Flügel und Geschlechtsorgane vollständig aus. Die meisten Heuschrecken sind einjährig, ihre Nymphen schlüpfen im Zeitraum von Frühling bis Sommer. Adulte Tiere sind von Sommer bis Herbst zu finden, das Auftreten richtet sich vor allem nach der Höhenstufe und den mikroklimatischen Verhältnissen. Nur Grillen (Gryllidae) und Dornschrecken (Tetrigidae) überwintern in einem der Nymphenstadien oder als adulte Tiere und treten entsprechend früh im Jahr auf. <br />
<br />
Die Paarung erfolgt einige Tage bis wenige Wochen nach der letzten Häutung und schon wenige Tage später beginnt die Eiablage. Die Weibchen der meisten Heuschreckenarten legen ihre Eier im Boden oder an der Basis von Gräsern ab. Andere Arten legen ihre Eier in rissige Baumrinde und markhaltige Pflanzenteile oder heften sie an Halme und Blätter. Die Langfühlerschrecken können mit dem Legebohrer ihre Eier tiefer in den Boden legen als die Kurzfühlerschrecken. Bei den meisten heimischen Arten dauert die Entwicklung der Eier bis zum Schlupf vom Herbst bis zum nächsten Frühling, bei einigen auch mehrere Jahre. <br />
<br />
Die Feuchte- und Temperatur-Ansprüche der Eier sind bei Heuschrecken entscheidend für die Habitatbindung der Arten. Arten der Feuchthabitate können oft nicht überleben, wenn ihre Eier im Winter nicht genügend feucht sind. Sie brauchen eine Periode der Überflutung. Feldheuschrecken der trockenen Habitate haben eine längere Eientwicklung nach dem Winter und benötigen höhere Bodentemperaturen. Die notwenigen Temperaturen werden erreicht, wenn Sonnenstrahlen offene Bodenstellen erwärmen. Andere Arten, die in höherer, dichterer Vegetation leben, kommen auch mit geringer Sonneneinstrahlung zurecht. So gibt es einige Spezialisten unter den Heuschrecken, mit ganz spezifischen Ansprüchen an ihren Lebensraum. Der Kiesbankgrashüpfer (''Chorthippus pullus'') lebt in der Schweiz z.&nbsp;B. ausschliesslich auf vegetationsarmen Kiesbänken grosser Alpenflüsse.<br />
<br />
{{Fotos-links-1000px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Eiablage_Lebensraum-Fluegel.png<br />
| text = Von links nach rechts: Die Laubholz-Säbelschrecke (''Barbitistes serricauda'') legt ihre Eier in Gehölze mit strukturreicher Borke ab. Der Kiesbankgrashüpfer (''Chorthippus pullus'') kommt nur entlang der grossen Alpenflüsse vor. Die Gewöhnliche Gebirgsschrecke (''Podisma pedestris'') kann aufgrund der verkümmerten Flügel nicht fliegen.<br />
Das Grüne Heupferd (''Tettigonia viridissima'') ist ein Langstreckenflieger unter den Heuschrecken.<br />
}}<br />
<br />
==Populationsgrössen und Ausbreitung ==<br />
Die Populationsgrösse kann zwischen den Jahren stark schwanken. Schon ein Kälteeinbruch oder eine längere Regenphase im Frühsommer können zu einem starken Populationsrückgang führen. Einzelbeobachtungen weisen darauf hin, dass auch kleine Populationen mit weniger als 50 Tieren über mehrere Jahre existieren können, wenn die Habitatqualität nicht abnimmt. <br />
<br />
Die meisten Heuschreckenarten sind sesshaft und bewegen sich in einem Umkreis von wenigen Metern bis maximal 1&nbsp;km. Bei vielen Arten sind die Flügel verkümmert (z.&nbsp;B. bei der Gewöhnlichen Gebirgsschrecke ''Podisma pedestris''). Es gibt aber auch einzelne Langstreckenflieger, wie das Grüne Heupferd (''Tettigonia viridissima''), das in einem Sommer Distanzen von mehreren Kilometern zurücklegen kann. Hohe Bestandsdichten können die Ausbreitung von sesshaften Arten erhöhen, da bei Dichtestress die Mobilität steigt und makroptere (langflügelige) Tiere auftreten können, deren Flügel deutlich länger sind als üblich. Mit verlängerten Flügeln können auch Arten, die üblicherweise flugunfähig sind, weitere Distanzen überqueren. Ungenügend untersucht ist die Ausbreitung von Eiern und Tieren durch passiven Transport, z.&nbsp;B. durch Fliessgewässer, den Bahnverkehr, durch Verfrachtung mit Mahdgut oder mit Weidetieren. Bei manchen Arten scheint diese Art der Verbreitung jedoch gut zu funktionieren, da immer wieder fernab von bekannten Populationen Einzeltiere oder kleine Initialpopulationen gefunden werden.<br />
<br />
== Fauna Indicativa ==<br />
Die [http://www.cscf.ch/cscf/de/home/wissenschaftliche-aktivitaten/fauna-indicativa.html Fauna Indicativa] ist ein Nachschlagewerk sowie ein Werkzeug für die Auswertung faunistischer Daten. Sie charakterisiert in Tabellenform ökologische Präferenzen und biologische Eigenschaften aller in der Schweiz einheimischen Arten.<br />
<br />
=Erhalt und Förderung=<br />
==Allgemeine Massnahmen ==<br />
===Grünland- und Feuchtgebietsarten ===<br />
* Extensive Bewirtschaftung von Wiesen und Weiden und Verzicht auf schwere Maschinen, insbesondere in Feuchtgebieten<br />
* Verzicht auf das Ausbringen von Kunstdünger und Bioziden, insbesondere Insektiziden<br />
* Förderung von Biodiversitätsförderflächen (BFF) mit Qualitätsstufe QII<br />
* Verzicht auf die Bewässerung von Trockenwiesen und Steppen<br />
* Eindämmung der Verbuschung und Verbrachung von Trockenwiesen- und weiden<br />
* Verzicht auf die Entwässerung von Feuchtgebieten und Wiederherstellung des natürlichen Wasserregimes<br />
* Erhalt von Weiden, da in der Regel mit heterogener Struktur und artenreicher, ausser bei einschüriger Mahd <br />
* Schutz und Wiederherstellung von Feuchtgebieten<br />
* Anlage und Pflege von Stillgewässern, insbesondere mit flachen Uferzonen<br />
<br />
===Wald- und Waldrandarten===<br />
* Aufwertung und Schaffung gestufter Waldränder mit einer Krautschicht<br />
* Erhalt alter Baumbestände, Biotopbäume und Hecken mir ihren Säumen<br />
* Auflichtung der Wälder und Böschungen, damit sie gut besonnt sind<br />
* Extensive Pflege der Weg- und Hangböschungen<br />
* Standortgerechter Waldbau, Verzicht auf Monokulturen (bspw. Fichten)<br />
* Umwandlung von Monokulturen in natürliche Wälder mit mehreren Baumarten<br />
* Verzicht auf den Einsatz von Düngemitteln und Bioziden<br />
<br />
===Pionierarten an Fliessgewässern ===<br />
(Übernommen aus: [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken])<br />
* Revitalisierung der Fliessgewässer, bevorzugt von Pionierarten besiedelte Standorten <br />
* Verzicht auf die Zuschüttung oder Eindämmung von besiedelten Uferflächen<br />
* Verzicht auf jeglichen Abbau der Sand-, Kies- oder Steinbänke innerhalb, ober- und unterhalb besiedelter Flächen<br />
* Zulassen von regelmässigen, genügend intensiven Hochwassern, um den natürlichen Abtrag der mit Vegetation bewachsenen Bänke in Auen zu gewährleisten<br />
* Gewährleisten von periodischen Ablagerungen von Sedimenten an besiedelten Standorten, um die Regeneration von Sedimentbänken in Auen sicherzustellen<br />
* Revitalisierung möglichst vieler Fliessgewässer, um über die Schaffung von potenziell günstigen Standorten die Wiederbesiedlung von verlassenen Gegenden zu fördern<br />
<br />
{{Foto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Mosaik_aus_Gruenlandtypen_-_Suedschwarzwald_-_IMG_7876b.jpg<br />
| text = Der Strukturreichtum dieser Flächen bietet Grünlandarten einen idealen Lebensraum.<br />
}}<br />
<br />
== Strukturreiche Flächen schaffen und schützen ==<br />
Für Heuschrecken sind weniger die typischen Kleinstrukturen wichtig, wie Ast- oder Steinhaufen, als vielmehr offene Bodenstellen (u.&nbsp;a. für die Eiablage) und Strukturen, die Wärme aufnehmen und speichern, wie felsige Bereiche, Kiesflächen, feuchte Senken und temporäre Tümpel. Neu angelegte Strukturen sollen eine minimale Fläche von 20&nbsp;m&sup2; pro ha haben. Natürliche Offenflächen und strukturreiche Flächen wie Moränen, Felsschutthalden, Kiesflächen und Verlandungszonen von Stillgewässern sind zu schützen und dürfen nicht zugeschüttet oder aufgeforstet werden.<br />
<br />
== Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts ==<br />
Viele gefährdete Heuschreckenarten sind auf eine extensive Beweidung oder regelmässige Mahd angewiesen, damit die Vegetation nicht zu dicht wird. Der optimale Schnittzeitpunkt ist artabhängig. Für Arten, die ihre Eier im Boden ablegen, ist eine Mahd zwischen Mai und August ungünstig. Für Arten, die ihre Eier an oder in Pflanzen ablegen, ist eine Mahd nach August und vor Mai problematisch. Die Bewirtschaftung kann aber auch schädlich sein. Verluste entstehen v.&nbsp;a. durch Mähaufbereiter und das Schwaden und Abführen des Mahdguts. Zur Verminderung der Verluste bei allen Arten ist bei der Mahd Folgendes zu beachten: <br />
<br />
* Es sollen möglichst wenige Schnitte erfolgen, optimaler Weise nur ein Schnitt pro Jahr<br />
* Frühmad: nicht ganzflächige durchführen; Spätmahd: nach dem Verblühen der meisten Pflanzen durchführen<br />
* Am besten ist eine differenzierte Pflege, d.&nbsp;h. ein Mosaik aus Flächen mit unterschiedlichen Mähzeitpunkten und Rückzugsstreifen, die nur alle 2 Jahre gemäht werden <br />
* Die Schnitthöhe soll mindestens 10&nbsp;cm betragen <br />
* Balkenmäher verursachen die niedrigste Schädigungsrate, Scheibenmähern die höchste; am schonendsten ist die Mahd mit der Sense <br />
* Das Schnittgut soll, damit sich die Tiere verteilen können, zum Trocknen liegen gelassen und stets abgeführt werden<br />
* Es sollen keine Mähaufbereiter eingesetzt werden<br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://www.buntewiese-tuebingen.de/app/download/6569219764/Hiller%202014%20Auswirkungen%20verschiedener%20Mahdkonzepte%20auf%20die%20Heuschreckenfauna%20st%C3%A4dtischer%20Gr%C3%BCnfl%C3%A4chen%20-%20Naturschutz%20und%20Landschaftsplanung.pdf?t=1490555371 Hiller, D. & Betz, O.(2014). Auswirkungen verschiedener Mahdkonzepte auf die Heuschreckenfauna städtischer Grünflächen]<br /><br />
<br />
'''Hintergrundinformationen'''<br /><br />
* [http://www.parcs.ch/npf/pdf_public/2014/30491_20141107_083216_MA_GrichtingStefan_2002.pdf Grichting, S. (2002). Heuschrecken (Orthoptera) von Trockensteppen und extensiv bewirtschafteten Wiesen im Pfynwald (VS, Schweiz)]<br />
: Studie zu den ökologischen Ansprüchen und der Verbreitung von Heuschrecken auf Wiesen mit unterschiedlichem Nutzungsgrad.<br /><br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/abashop?s=208&p=productdetail&sku=429&language=de Agridea (2011). Erntetechnik und Artenvielfalt in Wiesen]<br />
: Das Merkblatt zeigt die Auswirkungen verschiedener Mähtechniken und nachfolgender Ernteschritte auf die Artenvielfalt und gibt Empfehlungen für eine möglichst tierschonende Ernte. <br /><br />
<br />
==Rotationsbrachen anlegen und Altgrassstreifen stehen lassen ==<br />
Bei der Anlage von Rotationsbrachen und Altgrasstreifen ist auf das Vorkommen von Heuschreckenpopulation in der näheren Umgebung zu achten, da Heuschrecken oft nur geringe Ausbreitungsdistanzen haben. Als Rückzugsstreifen werden bei jedem Schnitt 10% der Wiese stehen gelassen.<br /><br />
<br />
'''Links'''<br />
* [http://www.agraroekologie.ch/NuL07-10_Mueller_Bosshard.pdf Müller, M. & Bosshard, B. (2012). Altgrasstreifen fördern Heuschrecken in Ökowiesen - Eine Möglichkeit zur Strukturverbesserung im Mähgrünland]<br />
: Studie zu den positiven Auswirkungen von Altgrasstreifen als Rückzugsraum bei der Mahd in extensiv genutzten Wiesen. <br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/2012_01_1723.pdf Duss, M. et al. (2012). Vernetzte Ökoflächen fördern Heuschrecken]<br />
: Studie zur Auswirkung eines Vernetzungsprojektes von ökologischen Ausgleichsflächen (öAF) auf die Verbreitung von 2 Heuschreckenarten. Die Grosse Goldschrecke (''Chrysochraon dispar'') profitiert von Altgrasstreifen.<br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/download.php?filename=2001_1112_102.pdf Peter, B. & Walter, T. (2001). Heuschrecken brauchen ökologische Ausgleichsflächen] <br />
: Vergleichende Untersuchungen vor und nach der Einführung von Biodiversitätsförderflächen (BFF) zeigt deren Wichtigkeit für Heuschrecken auf.<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Buntbrache_Altgrassstreifen_AK.png<br />
| text = Links und Mitte: Die Gemeine Sichelschrecke (''Phaneroptera falcata'') und die Langflüglige Schwertschrecke (''Conocephalus fuscus'') schätzen die hohe Vegetation von Buntbrachen. <br /><br />
Rechts: Die Grosse Goldschrecke (''Chrysochraon dispar'') profitiert von Altgrasstreifen.<br />
}}<br />
<br />
==Beweidung ==<br />
Für die Beweidung sollen möglichst traditionelle Rassen, bzw. leichte Tiere eingesetzt werden. Generell scheint Schaf-Hütehaltung besonders günstig für Heuschrecken zu sein. Die Viehdichte darf nicht zu hoch sein; der jährliche Besatz sollte 150 Grossvieheinheiten&sup1; pro Hektare (GVE/ha) nicht überschreiten. Es empfiehlt sich, eine Beweidung in Koppeln zu führen, womit ein ähnlicher Effekt erzielt wird wie mit einer Rotationsmahd. <br /><br />
<small><sup>1</sup>Die Beweidungsintensität ergibt sich aus dem Produkt von Besatzstärke in Grossvieheinheiten pro Hektare mal Anzahl Bestossungstagen (GVE/ha * dd). Je nach Grösse und Alter der Tiere ändert sich der Wert, der sich mit dem [https://www.agate.ch/portal/web/agate/gve-rechner GVE-Rechner des Bundesamtes für Landwirtschaft] genau ermitteln lässt.</small> <br />
<br />
'''Links'''<br />
* [http://www.pronatura.ch/allegra-geissenpeter Pro Natura. Projekt „Allegra Geissenpeter“]<br />
: Pro Natura lanciert Projekte mit verschiedenen Weidetierarten, um die Trockenstandorte in den Alpen nachhaltig zu sichern, unter anderem zur Förderung der Heuschrecken. Die unterschiedlichen Projekte und die Ergebnisse der Erfolgskontrollen sind im [http://www.pronatura.ch/tl_files/dokumente_de/2_unsere_themen/biodiversitaet/Leitfaden_fuer_die_Aufwertung_von_brachliegenden_Trockenstandorten_durch_Beweidung-Beitraege%20zum%20Naturschutz_in_der_Schweiz_Nr%2037-2016_HighRes.pdf Leitfaden für die Aufwertung von brachliegenden Trockenstandorten durch Beweidung (2016)] zusammengefasst.<br />
<br />
== Direktbegrünung und Mahdgutübertragung ==<br />
Direktbegrünung und Mahdgutübertragung sind einer Ansaat vorzuziehen, da zusammen mit dem Pflanzenmaterial oder den Samen Insekten und Eier übertragen werden können. Dies ist insbesondere wichtig für Arten mit einem geringem Ausbreitungspotenzial. Das Saat- und Mahdgut sollte von [https://www.regioflora.ch/app/de/index.html Spenderflächen aus der nahen Umgebung] stammen, also [https://de.wikipedia.org/wiki/Autochthone_Art autochthon] sein, um die regionale genetische Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten zu erhalten. Für eine erfolgreiche Besiedlung sollen Empfängerflächen in maximal 1&nbsp;km Distanz, besser nur 500&nbsp;m, zu bereits besiedelten Flächen angelegt werden. Bei der Begrünung können kleine Bodenstelle langfristig offengehalten werden, indem Steine oder Feinsediment als Substrat eingebracht wird. <br />
<br />
'''Hintergrundinformation'''<br />
* [http://public.bibliothek.uni-halle.de/index.php/hercynia/article/viewFile/218/224 Elias, D. & Thiede, S. (2008). Verfrachtung von Heuschrecken (Insecta: Ensifera et Caelifera) mit frischem Mähgut im Wulfener Bruch (Sachsen-Anhalt)]<br />
: Diese Studie zeigt auf, dass die Mahdgutübertragung für Heuschrecken eine wichtige Rolle spielt, insbesondere für wenig mobile Arten.<br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/2001_07_71.pdf Bosshard, A. & Kuster, D. (2001). Bedeutung neu angelegter Extensivwiesen für Tagfalter und Heuschrecken]<br />
: Die Untersuchung zeigt, dass neu angelegte Extensivwiesen rasch von gefährdeten Heuschrecken- und Tagfalterarten besiedelt werden können.<br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [https://www.regioflora.ch/ Regio Flora - das Portal zur Förderung der regionalen Vielfalt im Grünland]<br />
: Umfassende Informationen zur Direktbegrünung von Wiesen und Weiden.<br />
* [https://www.regioflora.ch/de/assets/content/pdf/RF_Praxismerkblatt_D_download9.11.15.pdf Agridea (2015). Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft]<br />
: Leitfaden für die Praxis zum Einsatz von regionalem Saatgut in Biodiversitätsförderflächen.<br />
<br />
{{Foto-rechts-hoch<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Gewaesser_PZ.png<br />
| text = Die Ufer von Fliess- und Stillgewässern sind wichtige Verbreitungskorridore und sollen alternierend bewirtschaftet werden. <br />
}}<br />
<br />
== Feuchtgebiete und Trockenstandorte ==<br />
=== Ruderalstandorte und Säume entlang von Feuchtgebieten pflegen ===<br />
Zahlreiche Arten legen ihre Eier in Stängel von Pflanzen im Uferbereich von Still- und Fliessgewässern. Die Uferbereiche sind wichtige Verbreitungskorridore für die Tiere. Daher ist die extensive Pflege von Feuchtgebieten und Gräben das ganze Jahr über wichtig:<br />
* [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts|Mahd]] an den Ufern alternierend, an einem Ufer die Vegetation immer für ca. 1-2 Jahre stehen lassen <br />
* Säume am selben Ufer gestaffelt mähen und das Schnittgut abführen <br />
* Flächen nicht mulchen<br />
* Ruderalstandorte immer wieder abschnittweise stören durch extensive [[#Beweidung| Beweidung]] oder [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts | Mahd]], um die Verbuschung zu verhindern und [[#Strukturreiche Flächen schaffen und schützen| strukturreiche Flächen]] zu schaffen <br />
* Invasive Pflanzen zurückdrängen, insbesondere Flügelknöterich (''Fallopia'') und Drüsiges Springkraut (''Impatiens glandulifera'')<br />
<br />
=== Entbuschung von Trockenstandorten === <br />
Der Baum- und Strauchbewuchs soll bei grossen Standorten maximal 25% betragen, bei kleineren 10% oder weniger. Für die langfristige Offenhaltung der Trockenwiesen- und weiden eignen sich extensive Beweidung oder Mahd. Massnahmen zur Aufwertung von Trockenstandorten werden zu einem späteren Zeitpunkt bearbeitet.<br />
<br />
== Im Siedlungsgebiet ==<br />
=== Schotter- und Brachflächen extensiv pflegen ===<br />
Im Randbereich vom Siedlungsgebiet und auf Firmengeländen kann eine reiche Heuschreckenfauna entstehen, wenn grössere Offenflächen vorhanden sind. Dies können z.&nbsp;B. Schotter- und Industriebrachen sein, die einen lockeren Pflanzenbewuchs aufweisen. Diese Flächen sollen extensiv bewirtschaftet werden (siehe: [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts|Mahdkonzepte]]). Der Strukturreichtum kann gefördert werden, indem die Pflege nur abschnittweise erfolgt und zusätzliche [[#Strukturreiche Flächen schaffen und schützen| Kleinstrukturen]] angelegt werden.<br />
<br />
=== Begrünung und Pflege von Flachdächern ===<br />
Flachdächer können einigen Heuschreckenarten, z.&nbsp;B. der Blauflügeligen Sandschrecke (''Sphingonotus caerulans'') oder der Blauflügeligen Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') als Trittstein dienen. Dauerhafte Ansiedlungen von Populationen wurden bisher noch nicht beobachtet. Bei der Anlage der Dächer ist Folgendes wichtig: <br />
* Nur einheimische Pflanzen und Saatgut verwenden <br />
* Offene Stellen belassen und regelmässig neue Offenflächen durch Abtragung des Oberbodens schaffen <br />
* Sand, Kies und Steine in unterschiedlichen Korngrössen verwenden <br />
* Pflanzen extensiv und abschnittsweise pflegen <br />
* Strukturreichtum durch Kieshaufen, Holz, etc. sicherstellen <br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://www.vorarlberg.at/pdf/berichtblaufluegeligesand.pdf Speck, M. & Brenneisen, S. (2014). Die Blauflügelige Sandschrecke (Sphingonotus caerulans) auf den extensiv begrünten Dächern der Europa-Allee in Zürich]<br />
: Diese Studie belegt das Vorkommen der Rote-Liste Art auf Flachdächern in Zürich. Die Blauflügelige Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') wurde in vorherigen Untersuchungen machgewiesen, die hier zitiert werden.<br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [https://www.stadt-zuerich.ch/ted/de/index/gsz/angebote_u_beratung/beratung/dachbegruenungen.html Stadt Zürich. Dachbegrünung]<br />
: Umfassende Informationen zur Anlage und Pflege von Dachbegrünung mit vielen Praxisbeispielen.<br />
* [https://www.stadt.sg.ch/home/raum-umwelt/bauen-sanieren/natur-stadt.html Stadt St. Gallen, Amt für Umwelt und Energie (2014). Leitfaden Dachbegrünung]<br />
: Ausführliche Informationen zu Aufbau und extensiven Begrünungsarten von Flachdächern.<br />
<br />
{{Fotos-links-550px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Siedlungsgebiet.png<br />
| text = Der Blauflügeligen Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') und der Blauflügeligen Sandschrecke (''Sphingonotus caerulans'') können Flachdächer als Trittsteine in neue Lebensräume dienen.<br />
}}<br />
<br />
=== Wildblumenwiesen und Trockenflächen anlegen und pflegen === <br />
In Parks und Gärten können auch anspruchsvollere Heuschreckenarten vorkommen, wenn Folgendes beachtet wird:<br />
* Nur einheimisches Saatgut verwenden <br />
* Lückig säen und nicht düngen <br />
* Offene Bodenflächen belassen <br />
* Maximal 2-mal pro Jahr mit Balkenmäher oder Sense und abschnittsweise mähen <br />
* Brachflächen, Altgrassstreifen und Säume um Gebüsche und Gehölze von 5-10m abschnittsweise pflegen, um eine Zunahme der Verbuschung zu verhindern <br />
* Mahdgut abführen <br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [http://www.pronatura.ch/blumenwiesen?file=tl_files/dokumente_de/2_unsere_themen/lebensraeume/Wiesen/Pro_Natura_Praxis_Blumenwiese.pdf Pro Natura 2014. Blumenwiesen anlegen und pflegen]<br />
: Ausführliche Informationen zur Anlage und Pflege von grossen und kleinen (Wild-) Blumenwiesen.<br />
* [https://assets.wwf.ch/custom/biodiv/pdf/PRIV_Wiesenparadies.pdf WWF Schweiz 2010. Buntes Wiesenparadies mit einheimischen Wildblumen]<br />
: Schritt für Schritt Anleitung zur Anlage und Pflege von Wildblumenwiesen für Privathaushalte.<br />
* [https://assets.wwf.ch/downloads/priv_ruderalflaechen_1.pdf WWF Schweiz 2010. Lebendige Trockenstandorte mit Sand, Kies und Schotter]<br />
: Anleitung zur Anlage und Pflege von Trockenstandorten für Privathaushalte.<br />
<br />
== Sekundäre Pionierstandorte anlegen und pflegen == <br />
Vom Menschen geschaffene Pionierstandorte sind für Heuschrecken wertvolle Sekundärhabitate geworden, da vielerorts die ursprünglichen Lebensräume (z.&nbsp;B. See- und Flussauen, Brandflächen, etc.) verschwunden sind. Der Erhalt der Pionierstandorte bedarf regelmässiger Pflegeeinsätze zur Verhinderung von Verfilzung und Verbuschung.<br />
Heuschrecken finden wertvolle Pionierflächen: <br />
* In Steinbrüchen und Kiesgruben <br />
* In Weinbergen<br />
* In Sand-, Lehmgruben und Mergelgruben <br />
* An Bahnhöfen und Gleisen<br />
* Auf Industriebrachen<br />
<br />
== Wiederansiedlung von Tieren ==<br />
Die Wiederansiedelung von ehemals vorkommenden Heuschrecken kann nur eine letzte Alternative im Naturschutz sein, da primär immer der Schutz der vorhandenen Populationen im Fokus steht und die Wiederansiedlung sehr aufwändig ist. Für eine erfolgreiche Wiederansiedlung ist es notwendig, eine sorgfältige Ansiedlungs-Strategie zu erarbeiten und die [https://portals.iucn.org/library/efiles/documents/2013-009.pdf Richtlinien der IUCN zur Wiederansiedlung] strikt zu befolgen. Die Wiederansiedlung von Heuschrecken ist bewilligungspflichtig und soll Spezialisten überlassen werden, weshalb hier nicht näher darauf eingegangen wird.<br />
<br />
<br />
{{Foto-rechts-quer<br />
| bilddatei = GSM-5012435629 6b68a9c506 b Ephipiger cfr diurnus female.jpg<br />
| text = Die Westliche Sattelschrecke (''Ephippiger diurnus'') besiedelt trockene und lückige Wiesen und Waldränder. Sie gehört zu den stark gefährdeten Arten. <br />
}}<br />
<br />
= Artenschutz =<br />
Viele Heuschreckenarten brauchen aufgrund ihrer Ansprüche an den Lebensraum ganz spezifische Fördermassnahmen. Die Priorisierung der gefährdeten Arten gemäss ihrem Förderbedarf kann der [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/liste-national-prioritaeren-arten.html Liste der National Prioritären Arten (2011)] entnommen werden. Eine wichtige Grundlage für die Förderung sind auch die in der [http://www.cscf.ch/cscf/de/home/wissenschaftliche-aktivitaten/fauna-indicativa.html Fauna Indicativa] zusammengestellten Präferenzen und Eigenschaften der einzelnen Arten.<br />
<br />
Es gibt nur wenige Praxisinformationen zum spezifischen Artenschutz von Heuschrecken. In der Schweiz wurde bisher nur für die Blauflügelige Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') eine [http://kbnl.ch/wp-content/uploads/2016/11/webseite_Ocaerulescens.pdf Zusammenfassung zur Best Practice der Artenförderung] und ein [http://www.aln.zh.ch/internet/baudirektion/aln/de/naturschutz/artenfoerderung/ap_fa/oedland/_jcr_content/contentPar/downloadlist/downloaditems/40_1298476571873.spooler.download.1387468488719.pdf/Oedipoda_caerulescens_AP.pdf Schutzkonzept vom Kanton Zürich] erstellt. <br />
In den Nachbarländern wurden folgenden Publikationen zu Fördermassnahmen erstellt: <br />
<br />
'''Deutschland'''<br />
* [http://www.nlwkn.niedersachsen.de/naturschutz/natura_2000/vollzugshinweise_arten_und_lebensraumtypen/vollzugshinweise-fuer-arten-und-lebensraumtypen-46103.html#Wirbellose Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz. Niedersächsische Strategie zum Arten- und Biotopschutz]<br />
'''Österreich''' <br />
* [http://www.zobodat.at/pdf/NaturschutzbundBgld_9_2013_0001-0160.pdf Zuna-Kratky, T. et. al. (2013). Schutzprogramm für die gefährdeten Heuschrecken des Nordburgenlands]<br />
'''Niederlande''' <br />
* [http://repository.naturalis.nl/document/161506 Schut, D. et al. (2008). Actieplan prioritaire Sprinkhanen in Noord-Brabant]<br />
<br />
= Gefährdung =<br />
Von den 105 für die [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html Rote Liste 2007] untersuchten Heuschreckenarten sind fast 40% bedroht. Am stärksten gefährdet sind die Pionierarten entlang von Gewässern sowie die Arten der Flach- und Hochmoore. Die Erhaltung der letzten Populationen dieser Arten ist daher von grosser Bedeutung.<br />
Die grössten Gefährdungsursachen für alle Heuschreckenarten sind:<br />
* Verlust und Fragmentierung des Lebensraums durch Veränderung der Landnutzung, z.&nbsp;B. durch Umwandlung von Grünland in Äcker, Urbanisierung oder Industrialisierung<br />
* Intensivierung der Nutzung, insbesondere der Einsatz von Mähmaschinen und Mähaufbereitern, sowie Düngung und Erhöhung der Anzahl Schnitte pro Jahr, sowie höhere Viehdichten auf kleinerem Raum<br />
* Mangelnde (natürliche) Prozesse zur Offenhaltung der Landschaft und von Bodenstellen, Homogenisierung der Landschaft<br />
* Verdichtung der Vegetation durch Eutrophierung<br />
* Einsatz von Insektiziden<br />
<br />
Weitere Gefährdungsursachen in Bezug auf die Lebensraumbindung sind:<br />
* Grünlandarten: Intensive Beweidung oder häufige Mahd, Verbuschung oder Verkrautung durch Verbrachung, Verarmung der Pflanzenvielfalt, Düngung von Wiesen und Weiden <br />
* Feuchtgebietsarten: Veränderungen im Gewässerhaushalt von Feuchtgebieten, intensivere landwirtschaftliche Nutzung von Feuchtwiesen <br />
* Wald- und Waldrandarten: Fehlende Stufenstruktur des Waldrandes (Strauch- und Krautschicht), Entfernung von Hecken, Kleinstrukturen und Felsen, Intensivierung der Forstwirtschaft, Einsatz von Bioziden, Anbau von Monokulturen, touristische Nutzung (insbesondere mit Ski & Mountainbike)<br />
* Pionierarten: Verbauungen der Fliessgewässer und Eingriffe in den Geschiebehaushalt, Veränderungen des Gewässerhaushaltes und der Gewässerdynamik, Verbuschung und Verkrautung der Offenflächen<br />
<br />
= Wissenslücken =<br />
Die Wissenslücken sind nicht abschliessend und fokussieren besonders auf die Förderung.<br />
* Erfolgreiche Förderung seltener Arten<br />
* Minimale überlebensfähige Populationsgrössen <br />
* Vernetzung von Heuschreckenpopulationen unterschiedlicher Arten und Artenzusammensetzungen<br />
* Habitatspezifische Auswirkungen der Grünlandnutzung: lässt sich das auf Trockenrasen gewonnene Wissen bspw. auf Feuchtwiesen übertragen?<br />
* Barrierewirkung mehrspuriger Strassen (Autobahnen)<br />
* Auswirkungen vom Klimawandel, insbesondere langer Dürreperioden oder Starkregen<br />
<br />
= Praxisbeispiele =<br />
Für Heuschrecken haben wir nur ein Praxisbeispiel gefunden, welches die durchgeführten Massnahmen ausführlich beschreibt und eine Erfolgsuntersuchung beinhaltet. Daher freuen wir uns über Ihre [http://biodivers.ch/index.php/kontakt.html Vorschläge per Email.]<br />
* [http://www.parcs.ch/nwp/pdf_public/2014/26962_20140130_123116_Kurth_Salome_2007.pdf Kurth, S. (2007). Planning a migration corridor for the highly endangered grasshopper Chorthippus pullus (Orthoptera, Acrididae) in the Rottensand (Pfynwald, VS)] <br />
: Für den Kiesbankgrashüpfer wurde im Pfynwald ein Migrationskorridor errichtet und die anschliessende Nutzung beobachtet.<br />
<br />
= Allgemeine Links=<br />
* [http://lepus.unine.ch/carto/ Centre Suisse de Cartographie de la Faune (CSCF). Verbreitungskarten der Schweizer Tierarten]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken]<br />
* [http://www.orthoptera.ch Orthoptera Schweiz. Heuschrecken-Plattform für die Schweiz und Europa ]<br />
* [http://www.orthoptera.ch/links Orthoptera Schweiz. Linkliste der Heuschrecken-Webseiten Europas und weltweit] <br />
<br />
== Glossar und weitere spannende Links ==<br />
* [https://www.orthoptera.ch/glossar Glossar von orthoptera.ch]<br />
* [http://www.biofotoquiz.ch/biofotoquiz/index.php?domain=standard&classID=278 Biofotoquiz]<br />
: Quiz mit Fotos von Heuschrecken und anderen Tier- und Pflanzenarten zum Kennenlernen der Arten.<br />
* [https://offene-naturfuehrer.de/web/Heuschreckenarten_nach_einfachen_Merkmalen_bestimmen_(Bayern) Heuschreckenarten nach einfachen Merkmalen bestimmen (Bayern)]<br />
: Wiki-Bestimmungsschlüssel für die Heuschrecken von Bayern. Der Leser wird anhand der Merkmale geführt, die Kenntnis von Fachbegriffen wird vorausgesetzt. <br />
* [http://www.andre-rey.ch/cms/fileadmin/pdf/Heuschecken_Bestimmungsschluessel_Suedalpen.pdf Fontana et al. (2002). Heuschrecken-Bestimmungsschlüssel für die östlichen Südalpen]<br />
: Bestimmungsschlüssel mit detaillierten Zeichnungen der Merkmale. <br />
* [http://www.orthoptera.ch/info-app-wiki/orthoptera-app Orthoptera-App]<br />
: Die Heuschrecken Bestimmungs-App für iphone und Android enthält zu jeder Art zahlreiche Fotos, Stimmaufzeichnungen und Hintergrundinformationen. Beobachtungen können in der App eingegeben und so dem CSCF gemeldet werden.<br />
<br />
= Literaturempfehlungen =<br />
* Detzel, P. (1998). Die Heuschrecken Baden-Württembergs. Stuttgart Hohenheim, Ulmer.<br />
: Bisher immer noch das beste Buch zur praxisnahen Ökologie und Massnahmen zur Förderung von Heuschrecken. Die Aufwertungs-Massnahmen sind an einzelne Arten und Lebensräume angepasst. Als genereller Leitfaden sind sie sehr gut, umsetzungsorientierte Anleitungen fehlen. Alles in allem ein gutes Buch für den Anfang, eine Weiterentwicklung ist aber dringend notwendig.<br />
* Ingrisch, S. & Köhler, G. (1998). Die Heuschrecken Mitteleuropas. Vol. Bd. 629. Magdeburg, Westarp Wissenschaften.<br />
: Sehr ausführliches und allgemeines Buch zur Biologie, Populationsdynamiken und Lebensräumen der Heuschrecken, weniger zur Biotopaufwertung und zu Fördermassnahmen. Trotz dem Alter immer noch lesenswert und informativ. <br />
* Schlumprecht, H. & Waeber, G. (2003). Heuschrecken in Bayern. Stuttgart Hohenheim. Ulmer. <br />
: Sehr ausführlicher Bestimmungs-Atlas mit vielen Informationen zur Lebensweise und den Lebensräumen der einzelnen Arten. Zu Gefährdung und Schutz gibt es Beispiele aus dem bayrischen Raum und Ratschläge zur Aufwertung für jede Art.<br />
* Maas, S., Detzel, P. & Staudt, A. (2002). Gefährdungsanalyse der Heuschrecken Deutschlands - Verbreitungsatlas, Gefährdungseinstufung und Schutzkonzepte. Bonn-Bad Godesberg, Bundesamt für Naturschutz.<br />
: Ausführlicher Atlas zu den Heuschreckenarten in Deutschland mit Gefährdungsanalysen und Informationen zu Habitaten, Biologie und Verbreitung der einzelnen Arten. Die Angaben zur Aufwertung von Lebensräumen sind kurz gehalten.<br />
* [http://dgfo-articulata.de/articulata Articulata - Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Orthopterologie] <br />
: In der Zeitschrift der DGFO erscheinen regelmässig Artikel zur Förderung von Heuschrecken, ältere Artikel können als PDF heruntergeladen werden.<br />
<br />
== Bestimmungsbücher ==<br />
* Baur, B., Bauer, H., Rösti, C., & Rösti, D. (2006). Die Heuschrecken der Schweiz. Bern, Haupt Verlag.<br />
: Intuitiver Bestimmungsschlüssel für die Schweizer Heuschreckenarten mit sehr schönen Detail-Zeichnungen. Enthält Verbreitungskarten und Erklärungen zu den wichtigsten Merkmalen.<br />
* Fischer, J., Steinlechner, D., Zehm, A., Poniatowski, D., et al., Hrsg. Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (2016). Die Heuschrecken Deutschlands und Nordtirols: Bestimmen - Beobachten - Schützen. Wiebelsheim Hunsrück, Quelle & Meyer.<br />
: Dieses Buch sticht positiv heraus. Es enthält Detailfotos der Bestimmungsmerkmale der Adultiere und Nymphen, eine Darstellung der Hauptaktivitätszeit aller Arten im Jahresverlauf und vieles mehr.<br />
* Weitere nationale und internationale Bestimmungsbücher sind auf [http://www.orthoptera.ch/literatur Orthoptera.ch] aufgeführt.<br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers ]|| info@biodivers.ch<br />
|-<br />
| Review|| [http://www.goeg.de/kontakt Prof. Dr. Peter Detzel] || [http://www.goeg.de/ Gruppe für ökologische Gutachten] <br />
|-<br />
| || [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Dr. Axel Hochkirch] || [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Universität Trier] <br />
|-<br />
| || [https://www.naturalis.nl/en/science/researchers/roy-kleukers Roy Kleukers] || [https://www.naturalis.nl/en Naturalis Biodiversity Center] <br />
|-<br />
| || [https://www.orthoptera.ch/ueber-uns Florin Rutschmann] || [http://www.pronatura-aargau.ch/cms/index.php?id=4&no_cache=1 Pro Natura Aargau] <br />
|}<br />
<br />
<!-- biodivers-Links zu Arten: Kiesbankgrashüpfer Chorthippus pullus, Blauflügelige Ödlanschrecke Oedipoda caerulescens → Aktionsplandrehscheibe, Grüne Heupferd Tettigonia viridissima, Alpenschrecke Anonconotus alpinus <br />
biodivers-Links zu Lebensräumen: Kleinstrukturen, Hecke, Stillgewässer (mehrfach), Fliessgewässer (mehrfach), Wald und Waldrand (mehrfach), Feuchtgebiete, Sumpf, Grünland, Trockenwiesen und Trockenweisen, Entbuschung von Trockenwiesen (mehrfach)--></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Heuschrecken&diff=4685
Heuschrecken
2023-03-04T13:12:49Z
<p>VB2: </p>
<hr />
<div>[[fr:Orthoptères]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = JM 29293745804 8952ea6513 h.jpg<br />
| text = Die Sumpfschrecke (''Stethophyma grossum'') besiedelt feuchte Wiesen und Flachmoore.<br />
}}<br />
<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers]<br />
|-<br />
| Review || [http://www.goeg.de/ueber-uns/team Prof. Dr. Peter Detzel], [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Dr. Axel Hochkirch], [https://www.naturalis.nl/en/science/researchers/roy-kleukers Roy Kleukers] & [http://www.orthoptera.ch/ueber-uns Florin Rutschmann]<br />
|-<br />
| Publikation || Juli 2017<br />
|}<br />
<br /><br />
{{TOC limit|2}}<br />
= Zusammenfassung =<br />
Über 100 Heuschreckenarten bereichern unsere Fauna und überraschen uns mit Flug-, Grab- oder Klangkünsten sowie ihrer Farben- und Formenvielfalt. Heuschrecken (Orthopteren) sind wärmeliebende Kulturfolger. Die meisten Arten beherbergt das Grünland, ob trocken oder feucht, gemäht oder beweidet. Einige Arten leben in lichten Wäldern und auf Pionierflächen der Flussauen und Geröllhalden. Viele Heuschreckenarten sind auf eine hohe Strukturvielfalt auf kleinem Raum angewiesen, da ihre durchschnittliche Ausbreitungsdistanz weniger als ein Kilometer beträgt.<br />
<br />
Für alle Arten ist die Offenhaltung ihrer Lebensräume zentral. Die Wiederherstellung der natürlichen Dynamiken oder die regelmässige, extensive Bewirtschaftung der besiedelten Flächen ist daher wichtig. Bei der Mahd ist darauf zu achten, ein Mosaik aus Rückzugsstreifen und Flächen mit unterschiedlichen Mahdzeitpunkten zu schaffen. Bei der Begrünung sind eine geringe Distanz zu besiedelten Flächen und eine lückige Ausbringung vorteilhaft. Von den über 100 einheimischen Heuschreckenarten stehen 40% auf der Roten Liste. Insbesondere die Arten der Pionierflächen haben einen erhöhten Förderbedarf. <br />
<br />
= Systematik =<br />
Heuschrecken werden in zwei leicht unterscheidbare Gruppen eingeteilt. Bei den Langfühlerschrecken (Ensifera) sind die Fühler gleich lang oder länger als der Körper und haben mindestens 30 Fühlerglieder, während sie bei den Kurzfühlerschrecken (Caelifera) kürzer als der Körper sind. Die Weibchen der Langfühlerschrecken besitzen meist einen auffälligen Legebohrer, im Gegensatz zu den kurzen Legeröhrenklappen bei den Kurzfühlerschrecken. Nur die Maulwurfsgrille gehört auch ohne lange Fühler und Legebohrer zu den Langfühlerschrecken. <br />
Mehr zur Systematik der Heuschrecken auf [https://de.wikipedia.org/wiki/Heuschrecken Wikipedia].<br />
<br />
=Praxisrelevante Ökologie=<br />
== Lebensräume ==<br />
Heuschrecken besiedeln die meisten terrestrischen Lebensräume bis auf 3'100&nbsp;m&nbsp;ü.&nbsp;M. Sie kommen in extensiven Wiesen und Weiden, Brachen, Weinbergen, Wäldern, Feuchtgebieten, Mooren und Flussauen vor. Heuschrecken können allgemein als wärmeliebende Kulturfolger bezeichnet werden, die in stark vom Menschen geprägten Landschaften leben. So können Kiesgruben und Steinbrüche viele seltene Arten beherbergen, wenn sie offengehalten und extensiv gepflegt werden. Im Siedlungsgebiet finden Heuschrecken eine Vielfalt an Kleinlebensräumen auf Industriebrachen und grossen Güterbahnhöfen, Schotterplätzen und in Ruderalflächen. Für seltene Arten sind Parks, Gärten und Flachdächer als Lebensraum wenig relevant, als Trittsteine können sie aber beim Erreichen neuer Lebensräume helfen. <br />
<br />
{{Fotos-links-1000px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Lebensraeuume_Gruppen_PZ.png<br />
| text = Zu den wichtigsten Lebensräumen für Heuschrecken zählen magere Wiesen, Moorlandschaften, lückige Wälder und Blocksteinhalden.<br />
}}<br />
<br />
Da nahezu alle Heuschrecken licht- und wärmeliebend sind, brauchen sie in ihren Lebensräumen Offenflächen bzw. lückige Pflanzenbestände. Die Bindung an das Habitat erfolgt weniger aufgrund bestimmter Pflanzengesellschaften, als aufgrund der benötigten Strukturen und der mikroklimatischen Verhältnisse. Entscheidend sind Dichte und Höhe der Vegetation, sowie Temperatur und Feuchtigkeit. Mosaikartige Lebensräume mit einer Vielfalt an Strukturen sind für eine hohe Heuschreckenvielfalt optimal. So leben an Lebensraum-Übergängen, wie Waldrändern mit Feuchtwiesen oder Hecken entlang von extensiven Wiesen, besonders viele Arten. Für den Erhalt von Offenflächen und Strukturreichtum sind regelmässige Pflegeeinsätze notwendig, wenn natürliche Dynamiken fehlen.<br />
<br />
Die Schweizer Heuschreckenarten können bezüglich ihrer Lebensraumbindung in vier Gruppen unterteilt werden (aus: [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken]) <br />
# Grünlandarten in Trockenwiesen und -weiden (43 Arten)<br />
# Sumpf- und Feuchtgebietsarten in Flach- und Hochmooren (11 Arten)<br />
# Wald- und Waldrandarten sowie Gebüscharten, vor allem in tieferen Lagen (24 Arten)<br />
# Pionierarten in Auen, Felsplatten, Geröllhalden oder Karst (25 Arten)<br />
<br />
==Merkmale und Vermehrung==<br />
Heuschrecken sind durch ihre Körperform, ihr Verhalten und ihre Körperfärbung an ihren Lebensraum angepasst und häufig gut getarnt. Die Körperfärbung kann innerhalb einer Art stark variieren und ist daher meist kein spezifisches Unterscheidungsmerkmal. Die Körperfärbung ist nicht immer genetisch festgelegt, sondern kann sich während der Entwicklung verändern und der Färbung der Umgebung anpassen. Adulte Tiere können ihre Farbe dagegen nicht mehr wechseln, aber ggf. noch nachdunkeln.<br />
<br />
Heuschrecken durchlaufen eine hemimetabole (unvollkommene) Entwicklung. Nach dem Schlupf sind die sogenannten Nymphen schon als Heuschrecken zu erkennen und werden mit jeder Häutung dem adulten Tier ähnlicher. Grillen brauchen bis zu 12 Häutungen, bis sie ausgewachsen sind, Laubheuschrecken 5 bis 7 und Kurzfühlerschrecken 4 bis 5 Häutungen. Erst nach der letzten Häutung bilden sich die Flügel und Geschlechtsorgane vollständig aus. Die meisten Heuschrecken sind einjährig, ihre Nymphen schlüpfen im Zeitraum von Frühling bis Sommer. Adulte Tiere sind von Sommer bis Herbst zu finden, das Auftreten richtet sich vor allem nach der Höhenstufe und den mikroklimatischen Verhältnissen. Nur Grillen (Gryllidae) und Dornschrecken (Tetrigidae) überwintern in einem der Nymphenstadien oder als adulte Tiere und treten entsprechend früh im Jahr auf. <br />
<br />
Die Paarung erfolgt einige Tage bis wenige Wochen nach der letzten Häutung und schon wenige Tage später beginnt die Eiablage. Die Weibchen der meisten Heuschreckenarten legen ihre Eier im Boden oder an der Basis von Gräsern ab. Andere Arten legen ihre Eier in rissige Baumrinde und markhaltige Pflanzenteile oder heften sie an Halme und Blätter. Die Langfühlerschrecken können mit dem Legebohrer ihre Eier tiefer in den Boden legen als die Kurzfühlerschrecken. Bei den meisten heimischen Arten dauert die Entwicklung der Eier bis zum Schlupf vom Herbst bis zum nächsten Frühling, bei einigen auch mehrere Jahre. <br />
<br />
Die Feuchte- und Temperatur-Ansprüche der Eier sind bei Heuschrecken entscheidend für die Habitatbindung der Arten. Arten der Feuchthabitate können oft nicht überleben, wenn ihre Eier im Winter nicht genügend feucht sind. Sie brauchen eine Periode der Überflutung. Feldheuschrecken der trockenen Habitate haben eine längere Eientwicklung nach dem Winter und benötigen höhere Bodentemperaturen. Die notwenigen Temperaturen werden erreicht, wenn Sonnenstrahlen offene Bodenstellen erwärmen. Andere Arten, die in höherer, dichterer Vegetation leben, kommen auch mit geringer Sonneneinstrahlung zurecht. So gibt es einige Spezialisten unter den Heuschrecken, mit ganz spezifischen Ansprüchen an ihren Lebensraum. Der Kiesbankgrashüpfer (''Chorthippus pullus'') lebt in der Schweiz z.&nbsp;B. ausschliesslich auf vegetationsarmen Kiesbänken grosser Alpenflüsse.<br />
<br />
{{Fotos-links-1000px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Eiablage_Lebensraum-Fluegel.png<br />
| text = Von links nach rechts: Die Laubholz-Säbelschrecke (''Barbitistes serricauda'') legt ihre Eier in Gehölze mit strukturreicher Borke ab. Der Kiesbankgrashüpfer (''Chorthippus pullus'') kommt nur entlang der grossen Alpenflüsse vor. Die Gewöhnliche Gebirgsschrecke (''Podisma pedestris'') kann aufgrund der verkümmerten Flügel nicht fliegen.<br />
Das Grüne Heupferd (''Tettigonia viridissima'') ist ein Langstreckenflieger unter den Heuschrecken.<br />
}}<br />
<br />
==Populationsgrössen und Ausbreitung ==<br />
Die Populationsgrösse kann zwischen den Jahren stark schwanken. Schon ein Kälteeinbruch oder eine längere Regenphase im Frühsommer können zu einem starken Populationsrückgang führen. Einzelbeobachtungen weisen darauf hin, dass auch kleine Populationen mit weniger als 50 Tieren über mehrere Jahre existieren können, wenn die Habitatqualität nicht abnimmt. <br />
<br />
Die meisten Heuschreckenarten sind sesshaft und bewegen sich in einem Umkreis von wenigen Metern bis maximal 1&nbsp;km. Bei vielen Arten sind die Flügel verkümmert (z.&nbsp;B. bei der Gewöhnlichen Gebirgsschrecke ''Podisma pedestris''). Es gibt aber auch einzelne Langstreckenflieger, wie das Grüne Heupferd (''Tettigonia viridissima''), das in einem Sommer Distanzen von mehreren Kilometern zurücklegen kann. Hohe Bestandsdichten können die Ausbreitung von sesshaften Arten erhöhen, da bei Dichtestress die Mobilität steigt und makroptere (langflügelige) Tiere auftreten können, deren Flügel deutlich länger sind als üblich. Mit verlängerten Flügeln können auch Arten, die üblicherweise flugunfähig sind, weitere Distanzen überqueren. Ungenügend untersucht ist die Ausbreitung von Eiern und Tieren durch passiven Transport, z.&nbsp;B. durch Fliessgewässer, den Bahnverkehr, durch Verfrachtung mit Mahdgut oder mit Weidetieren. Bei manchen Arten scheint diese Art der Verbreitung jedoch gut zu funktionieren, da immer wieder fernab von bekannten Populationen Einzeltiere oder kleine Initialpopulationen gefunden werden.<br />
<br />
== Fauna Indicativa ==<br />
Die [http://www.cscf.ch/cscf/de/home/wissenschaftliche-aktivitaten/fauna-indicativa.html Fauna Indicativa] ist ein Nachschlagewerk sowie ein Werkzeug für die Auswertung faunistischer Daten. Sie charakterisiert in Tabellenform ökologische Präferenzen und biologische Eigenschaften aller in der Schweiz einheimischen Arten.<br />
<br />
=Erhalt und Förderung=<br />
==Allgemeine Massnahmen ==<br />
===Grünland- und Feuchtgebietsarten ===<br />
* Extensive Bewirtschaftung von Wiesen und Weiden und Verzicht auf schwere Maschinen, insbesondere in Feuchtgebieten<br />
* Verzicht auf das Ausbringen von Kunstdünger und Bioziden, insbesondere Insektiziden<br />
* Förderung von Biodiversitätsförderflächen (BFF) mit Qualitätsstufe QII<br />
* Verzicht auf die Bewässerung von Trockenwiesen und Steppen<br />
* Eindämmung der Verbuschung und Verbrachung von Trockenwiesen- und weiden<br />
* Verzicht auf die Entwässerung von Feuchtgebieten und Wiederherstellung des natürlichen Wasserregimes<br />
* Erhalt von Weiden, da in der Regel mit heterogener Struktur und artenreicher, ausser bei einschüriger Mahd <br />
* Schutz und Wiederherstellung von Feuchtgebieten<br />
* Anlage und Pflege von Stillgewässern, insbesondere mit flachen Uferzonen<br />
<br />
===Wald- und Waldrandarten===<br />
* Aufwertung und Schaffung gestufter Waldränder mit einer Krautschicht<br />
* Erhalt alter Baumbestände, Biotopbäume und Hecken mir ihren Säumen<br />
* Auflichtung der Wälder und Böschungen, damit sie gut besonnt sind<br />
* Extensive Pflege der Weg- und Hangböschungen<br />
* Standortgerechter Waldbau, Verzicht auf Monokulturen (bspw. Fichten)<br />
* Umwandlung von Monokulturen in natürliche Wälder mit mehreren Baumarten<br />
* Verzicht auf den Einsatz von Düngemitteln und Bioziden<br />
<br />
===Pionierarten an Fliessgewässern ===<br />
(Übernommen aus: [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken])<br />
* Revitalisierung der Fliessgewässer, bevorzugt von Pionierarten besiedelte Standorten <br />
* Verzicht auf die Zuschüttung oder Eindämmung von besiedelten Uferflächen<br />
* Verzicht auf jeglichen Abbau der Sand-, Kies- oder Steinbänke innerhalb, ober- und unterhalb besiedelter Flächen<br />
* Zulassen von regelmässigen, genügend intensiven Hochwassern, um den natürlichen Abtrag der mit Vegetation bewachsenen Bänke in Auen zu gewährleisten<br />
* Gewährleisten von periodischen Ablagerungen von Sedimenten an besiedelten Standorten, um die Regeneration von Sedimentbänken in Auen sicherzustellen<br />
* Revitalisierung möglichst vieler Fliessgewässer, um über die Schaffung von potenziell günstigen Standorten die Wiederbesiedlung von verlassenen Gegenden zu fördern<br />
<br />
{{Foto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Mosaik_aus_Gruenlandtypen_-_Suedschwarzwald_-_IMG_7876b.jpg<br />
| text = Der Strukturreichtum dieser Flächen bietet Grünlandarten einen idealen Lebensraum.<br />
}}<br />
<br />
== Strukturreiche Flächen schaffen und schützen ==<br />
Für Heuschrecken sind weniger die typischen Kleinstrukturen wichtig, wie Ast- oder Steinhaufen, als vielmehr offene Bodenstellen (u.&nbsp;a. für die Eiablage) und Strukturen, die Wärme aufnehmen und speichern, wie felsige Bereiche, Kiesflächen, feuchte Senken und temporäre Tümpel. Neu angelegte Strukturen sollen eine minimale Fläche von 20&nbsp;m&sup2; pro ha haben. Natürliche Offenflächen und strukturreiche Flächen wie Moränen, Felsschutthalden, Kiesflächen und Verlandungszonen von Stillgewässern sind zu schützen und dürfen nicht zugeschüttet oder aufgeforstet werden.<br />
<br />
== Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts ==<br />
Viele gefährdete Heuschreckenarten sind auf eine extensive Beweidung oder regelmässige Mahd angewiesen, damit die Vegetation nicht zu dicht wird. Der optimale Schnittzeitpunkt ist artabhängig. Für Arten, die ihre Eier im Boden ablegen, ist eine Mahd zwischen Mai und August ungünstig. Für Arten, die ihre Eier an oder in Pflanzen ablegen, ist eine Mahd nach August und vor Mai problematisch. Die Bewirtschaftung kann aber auch schädlich sein. Verluste entstehen v.&nbsp;a. durch Mähaufbereiter und das Schwaden und Abführen des Mahdguts. Zur Verminderung der Verluste bei allen Arten ist bei der Mahd Folgendes zu beachten: <br />
<br />
* Es sollen möglichst wenige Schnitte erfolgen, optimaler Weise nur ein Schnitt pro Jahr<br />
* Frühmad: nicht ganzflächige durchführen; Spätmahd: nach dem Verblühen der meisten Pflanzen durchführen<br />
* Am besten ist eine differenzierte Pflege, d.&nbsp;h. ein Mosaik aus Flächen mit unterschiedlichen Mähzeitpunkten und Rückzugsstreifen, die nur alle 2 Jahre gemäht werden <br />
* Die Schnitthöhe soll mindestens 10&nbsp;cm betragen <br />
* Balkenmäher verursachen die niedrigste Schädigungsrate, Scheibenmähern die höchste; am schonendsten ist die Mahd mit der Sense <br />
* Das Schnittgut soll, damit sich die Tiere verteilen können, zum Trocknen liegen gelassen und stets abgeführt werden<br />
* Es sollen keine Mähaufbereiter eingesetzt werden<br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://www.buntewiese-tuebingen.de/app/download/6569219764/Hiller%202014%20Auswirkungen%20verschiedener%20Mahdkonzepte%20auf%20die%20Heuschreckenfauna%20st%C3%A4dtischer%20Gr%C3%BCnfl%C3%A4chen%20-%20Naturschutz%20und%20Landschaftsplanung.pdf?t=1490555371 Hiller, D. & Betz, O.(2014). Auswirkungen verschiedener Mahdkonzepte auf die Heuschreckenfauna städtischer Grünflächen]<br /><br />
<br />
'''Hintergrundinformationen'''<br /><br />
* [http://www.parcs.ch/npf/pdf_public/2014/30491_20141107_083216_MA_GrichtingStefan_2002.pdf Grichting, S. (2002). Heuschrecken (Orthoptera) von Trockensteppen und extensiv bewirtschafteten Wiesen im Pfynwald (VS, Schweiz)]<br />
: Studie zu den ökologischen Ansprüchen und der Verbreitung von Heuschrecken auf Wiesen mit unterschiedlichem Nutzungsgrad.<br /><br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/abashop?s=208&p=productdetail&sku=429&language=de Agridea (2011). Erntetechnik und Artenvielfalt in Wiesen]<br />
: Das Merkblatt zeigt die Auswirkungen verschiedener Mähtechniken und nachfolgender Ernteschritte auf die Artenvielfalt und gibt Empfehlungen für eine möglichst tierschonende Ernte. <br /><br />
<br />
==Rotationsbrachen anlegen und Altgrassstreifen stehen lassen ==<br />
Bei der Anlage von Rotationsbrachen und Altgrasstreifen ist auf das Vorkommen von Heuschreckenpopulation in der näheren Umgebung zu achten, da Heuschrecken oft nur geringe Ausbreitungsdistanzen haben. Als Rückzugsstreifen werden bei jedem Schnitt 10% der Wiese stehen gelassen.<br /><br />
<br />
'''Links'''<br />
* [http://www.agraroekologie.ch/NuL07-10_Mueller_Bosshard.pdf Müller, M. & Bosshard, B. (2012). Altgrasstreifen fördern Heuschrecken in Ökowiesen - Eine Möglichkeit zur Strukturverbesserung im Mähgrünland]<br />
: Studie zu den positiven Auswirkungen von Altgrasstreifen als Rückzugsraum bei der Mahd in extensiv genutzten Wiesen. <br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/2012_01_1723.pdf Duss, M. et al. (2012). Vernetzte Ökoflächen fördern Heuschrecken]<br />
: Studie zur Auswirkung eines Vernetzungsprojektes von ökologischen Ausgleichsflächen (öAF) auf die Verbreitung von 2 Heuschreckenarten. Die Grosse Goldschrecke (''Chrysochraon dispar'') profitiert von Altgrasstreifen.<br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/download.php?filename=2001_1112_102.pdf Peter, B. & Walter, T. (2001). Heuschrecken brauchen ökologische Ausgleichsflächen] <br />
: Vergleichende Untersuchungen vor und nach der Einführung von Biodiversitätsförderflächen (BFF) zeigt deren Wichtigkeit für Heuschrecken auf.<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Buntbrache_Altgrassstreifen_AK.png<br />
| text = Links und Mitte: Die Gemeine Sichelschrecke (''Phaneroptera falcata'') und die Langflüglige Schwertschrecke (''Conocephalus fuscus'') schätzen die hohe Vegetation von Buntbrachen. <br /><br />
Rechts: Die Grosse Goldschrecke (''Chrysochraon dispar'') profitiert von Altgrasstreifen.<br />
}}<br />
<br />
==Beweidung ==<br />
Für die Beweidung sollen möglichst traditionelle Rassen, bzw. leichte Tiere eingesetzt werden. Generell scheint Schaf-Hütehaltung besonders günstig für Heuschrecken zu sein. Die Viehdichte darf nicht zu hoch sein; der jährliche Besatz sollte 150 Grossvieheinheiten&sup1; pro Hektare (GVE/ha) nicht überschreiten. Es empfiehlt sich, eine Beweidung in Koppeln zu führen, womit ein ähnlicher Effekt erzielt wird wie mit einer Rotationsmahd. <br /><br />
<small><sup>1</sup>Die Beweidungsintensität ergibt sich aus dem Produkt von Besatzstärke in Grossvieheinheiten pro Hektare mal Anzahl Bestossungstagen (GVE/ha * dd). Je nach Grösse und Alter der Tiere ändert sich der Wert, der sich mit dem [https://www.agate.ch/portal/web/agate/gve-rechner GVE-Rechner des Bundesamtes für Landwirtschaft] genau ermitteln lässt.</small> <br />
<br />
'''Links'''<br />
* [http://www.pronatura.ch/allegra-geissenpeter Pro Natura. Projekt „Allegra Geissenpeter“]<br />
: Pro Natura lanciert Projekte mit verschiedenen Weidetierarten, um die Trockenstandorte in den Alpen nachhaltig zu sichern, unter anderem zur Förderung der Heuschrecken. Die unterschiedlichen Projekte und die Ergebnisse der Erfolgskontrollen sind im [http://www.pronatura.ch/tl_files/dokumente_de/2_unsere_themen/biodiversitaet/Leitfaden_fuer_die_Aufwertung_von_brachliegenden_Trockenstandorten_durch_Beweidung-Beitraege%20zum%20Naturschutz_in_der_Schweiz_Nr%2037-2016_HighRes.pdf Leitfaden für die Aufwertung von brachliegenden Trockenstandorten durch Beweidung (2016)] zusammengefasst.<br />
<br />
== Direktbegrünung und Mahdgutübertragung ==<br />
Direktbegrünung und Mahdgutübertragung sind einer Ansaat vorzuziehen, da zusammen mit dem Pflanzenmaterial oder den Samen Insekten und Eier übertragen werden können. Dies ist insbesondere wichtig für Arten mit einem geringem Ausbreitungspotenzial. Das Saat- und Mahdgut sollte von [https://www.regioflora.ch/app/de/index.html Spenderflächen aus der nahen Umgebung] stammen, also [https://de.wikipedia.org/wiki/Autochthone_Art autochthon] sein, um die regionale genetische Vielfalt der Tier- und Pflanzenarten zu erhalten. Für eine erfolgreiche Besiedlung sollen Empfängerflächen in maximal 1&nbsp;km Distanz, besser nur 500&nbsp;m, zu bereits besiedelten Flächen angelegt werden. Bei der Begrünung können kleine Bodenstelle langfristig offengehalten werden, indem Steine oder Feinsediment als Substrat eingebracht wird. <br />
<br />
'''Hintergrundinformation'''<br />
* [http://public.bibliothek.uni-halle.de/index.php/hercynia/article/viewFile/218/224 Elias, D. & Thiede, S. (2008). Verfrachtung von Heuschrecken (Insecta: Ensifera et Caelifera) mit frischem Mähgut im Wulfener Bruch (Sachsen-Anhalt)]<br />
: Diese Studie zeigt auf, dass die Mahdgutübertragung für Heuschrecken eine wichtige Rolle spielt, insbesondere für wenig mobile Arten.<br />
* [http://www.agrarforschungschweiz.ch/artikel/2001_07_71.pdf Bosshard, A. & Kuster, D. (2001). Bedeutung neu angelegter Extensivwiesen für Tagfalter und Heuschrecken]<br />
: Die Untersuchung zeigt, dass neu angelegte Extensivwiesen rasch von gefährdeten Heuschrecken- und Tagfalterarten besiedelt werden können.<br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [https://www.regioflora.ch/ Regio Flora - das Portal zur Förderung der regionalen Vielfalt im Grünland]<br />
: Umfassende Informationen zur Direktbegrünung von Wiesen und Weiden.<br />
* [https://www.regioflora.ch/de/assets/content/pdf/RF_Praxismerkblatt_D_download9.11.15.pdf Agridea (2015). Direktbegrünung artenreicher Wiesen in der Landwirtschaft]<br />
: Leitfaden für die Praxis zum Einsatz von regionalem Saatgut in Biodiversitätsförderflächen.<br />
<br />
{{Foto-rechts-hoch<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Gewaesser_PZ.png<br />
| text = Die Ufer von Fliess- und Stillgewässern sind wichtige Verbreitungskorridore und sollen alternierend bewirtschaftet werden. <br />
}}<br />
<br />
== Feuchtgebiete und Trockenstandorte ==<br />
=== Ruderalstandorte und Säume entlang von Feuchtgebieten pflegen ===<br />
Zahlreiche Arten legen ihre Eier in Stängel von Pflanzen im Uferbereich von Still- und Fliessgewässern. Die Uferbereiche sind wichtige Verbreitungskorridore für die Tiere. Daher ist die extensive Pflege von Feuchtgebieten und Gräben das ganze Jahr über wichtig:<br />
* [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts|Mahd]] an den Ufern alternierend, an einem Ufer die Vegetation immer für ca. 1-2 Jahre stehen lassen <br />
* Säume am selben Ufer gestaffelt mähen und das Schnittgut abführen <br />
* Flächen nicht mulchen<br />
* Ruderalstandorte immer wieder abschnittweise stören durch extensive [[#Beweidung| Beweidung]] oder [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts | Mahd]], um die Verbuschung zu verhindern und [[#Strukturreiche Flächen schaffen und schützen| strukturreiche Flächen]] zu schaffen <br />
* Invasive Pflanzen zurückdrängen, insbesondere Flügelknöterich (''Fallopia'') und Drüsiges Springkraut (''Impatiens glandulifera'')<br />
<br />
=== Entbuschung von Trockenstandorten === <br />
Der Baum- und Strauchbewuchs soll bei grossen Standorten maximal 25% betragen, bei kleineren 10% oder weniger. Für die langfristige Offenhaltung der Trockenwiesen- und weiden eignen sich extensive Beweidung oder Mahd. Massnahmen zur Aufwertung von Trockenstandorten werden zu einem späteren Zeitpunkt bearbeitet.<br />
<br />
== Im Siedlungsgebiet ==<br />
=== Schotter- und Brachflächen extensiv pflegen ===<br />
Im Randbereich vom Siedlungsgebiet und auf Firmengeländen kann eine reiche Heuschreckenfauna entstehen, wenn grössere Offenflächen vorhanden sind. Dies können z.&nbsp;B. Schotter- und Industriebrachen sein, die einen lockeren Pflanzenbewuchs aufweisen. Diese Flächen sollen extensiv bewirtschaftet werden (siehe: [[#Mahdkonzepte und Abfuhr des Schnittguts|Mahdkonzepte]]). Der Strukturreichtum kann gefördert werden, indem die Pflege nur abschnittweise erfolgt und zusätzliche [[#Strukturreiche Flächen schaffen und schützen| Kleinstrukturen]] angelegt werden.<br />
<br />
=== Begrünung und Pflege von Flachdächern ===<br />
Flachdächer können einigen Heuschreckenarten, z.&nbsp;B. der Blauflügeligen Sandschrecke (''Sphingonotus caerulans'') oder der Blauflügeligen Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') als Trittstein dienen. Dauerhafte Ansiedlungen von Populationen wurden bisher noch nicht beobachtet. Bei der Anlage der Dächer ist Folgendes wichtig: <br />
* Nur einheimische Pflanzen und Saatgut verwenden <br />
* Offene Stellen belassen und regelmässig neue Offenflächen durch Abtragung des Oberbodens schaffen <br />
* Sand, Kies und Steine in unterschiedlichen Korngrössen verwenden <br />
* Pflanzen extensiv und abschnittsweise pflegen <br />
* Strukturreichtum durch Kieshaufen, Holz, etc. sicherstellen <br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://www.vorarlberg.at/pdf/berichtblaufluegeligesand.pdf Speck, M. & Brenneisen, S. (2014). Die Blauflügelige Sandschrecke (Sphingonotus caerulans) auf den extensiv begrünten Dächern der Europa-Allee in Zürich]<br />
: Diese Studie belegt das Vorkommen der Rote-Liste Art auf Flachdächern in Zürich. Die Blauflügelige Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') wurde in vorherigen Untersuchungen machgewiesen, die hier zitiert werden.<br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [https://www.stadt-zuerich.ch/ted/de/index/gsz/angebote_u_beratung/beratung/dachbegruenungen.html Stadt Zürich. Dachbegrünung]<br />
: Umfassende Informationen zur Anlage und Pflege von Dachbegrünung mit vielen Praxisbeispielen.<br />
* [https://www.stadt.sg.ch/home/raum-umwelt/bauen-sanieren/natur-stadt.html Stadt St. Gallen, Amt für Umwelt und Energie (2014). Leitfaden Dachbegrünung]<br />
: Ausführliche Informationen zu Aufbau und extensiven Begrünungsarten von Flachdächern.<br />
<br />
{{Fotos-links-550px<br />
| bilddatei = Heuschrecken_Siedlungsgebiet.png<br />
| text = Der Blauflügeligen Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') und der Blauflügeligen Sandschrecke (''Sphingonotus caerulans'') können Flachdächer als Trittsteine in neue Lebensräume dienen.<br />
}}<br />
<br />
=== Wildblumenwiesen und Trockenflächen anlegen und pflegen === <br />
In Parks und Gärten können auch anspruchsvollere Heuschreckenarten vorkommen, wenn Folgendes beachtet wird:<br />
* Nur einheimisches Saatgut verwenden <br />
* Lückig säen und nicht düngen <br />
* Offene Bodenflächen belassen <br />
* Maximal 2-mal pro Jahr mit Balkenmäher oder Sense und abschnittsweise mähen <br />
* Brachflächen, Altgrassstreifen und Säume um Gebüsche und Gehölze von 5-10m abschnittsweise pflegen, um eine Zunahme der Verbuschung zu verhindern <br />
* Mahdgut abführen <br />
<br />
'''Allgemeine Informationen'''<br />
* [http://www.pronatura.ch/blumenwiesen?file=tl_files/dokumente_de/2_unsere_themen/lebensraeume/Wiesen/Pro_Natura_Praxis_Blumenwiese.pdf Pro Natura 2014. Blumenwiesen anlegen und pflegen]<br />
: Ausführliche Informationen zur Anlage und Pflege von grossen und kleinen (Wild-) Blumenwiesen.<br />
* [https://assets.wwf.ch/custom/biodiv/pdf/PRIV_Wiesenparadies.pdf WWF Schweiz 2010. Buntes Wiesenparadies mit einheimischen Wildblumen]<br />
: Schritt für Schritt Anleitung zur Anlage und Pflege von Wildblumenwiesen für Privathaushalte.<br />
* [https://assets.wwf.ch/downloads/priv_ruderalflaechen_1.pdf WWF Schweiz 2010. Lebendige Trockenstandorte mit Sand, Kies und Schotter]<br />
: Anleitung zur Anlage und Pflege von Trockenstandorten für Privathaushalte.<br />
<br />
== Sekundäre Pionierstandorte anlegen und pflegen == <br />
Vom Menschen geschaffene Pionierstandorte sind für Heuschrecken wertvolle Sekundärhabitate geworden, da vielerorts die ursprünglichen Lebensräume (z.&nbsp;B. See- und Flussauen, Brandflächen, etc.) verschwunden sind. Der Erhalt der Pionierstandorte bedarf regelmässiger Pflegeeinsätze zur Verhinderung von Verfilzung und Verbuschung.<br />
Heuschrecken finden wertvolle Pionierflächen: <br />
* In Steinbrüchen und Kiesgruben <br />
* In Weinbergen<br />
* In Sand-, Lehmgruben und Mergelgruben <br />
* An Bahnhöfen und Gleisen<br />
* Auf Industriebrachen<br />
<br />
== Wiederansiedlung von Tieren ==<br />
Die Wiederansiedelung von ehemals vorkommenden Heuschrecken kann nur eine letzte Alternative im Naturschutz sein, da primär immer der Schutz der vorhandenen Populationen im Fokus steht und die Wiederansiedlung sehr aufwändig ist. Für eine erfolgreiche Wiederansiedlung ist es notwendig, eine sorgfältige Ansiedlungs-Strategie zu erarbeiten und die [https://portals.iucn.org/library/efiles/documents/2013-009.pdf Richtlinien der IUCN zur Wiederansiedlung] strikt zu befolgen. Die Wiederansiedlung von Heuschrecken ist bewilligungspflichtig und soll Spezialisten überlassen werden, weshalb hier nicht näher darauf eingegangen wird.<br />
<br />
<br />
{{Foto-rechts-quer<br />
| bilddatei = GSM-5012435629 6b68a9c506 b Ephipiger cfr diurnus female.jpg<br />
| text = Die Westliche Sattelschrecke (''Ephippiger diurnus'') besiedelt trockene und lückige Wiesen und Waldränder. Sie gehört zu den stark gefährdeten Arten. <br />
}}<br />
<br />
= Artenschutz =<br />
Viele Heuschreckenarten brauchen aufgrund ihrer Ansprüche an den Lebensraum ganz spezifische Fördermassnahmen. Die Priorisierung der gefährdeten Arten gemäss ihrem Förderbedarf kann der [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/liste-national-prioritaeren-arten.html Liste der National Prioritären Arten (2011)] entnommen werden. Eine wichtige Grundlage für die Förderung sind auch die in der [http://www.cscf.ch/cscf/de/home/wissenschaftliche-aktivitaten/fauna-indicativa.html Fauna Indicativa] zusammengestellten Präferenzen und Eigenschaften der einzelnen Arten.<br />
<br />
Es gibt nur wenige Praxisinformationen zum spezifischen Artenschutz von Heuschrecken. In der Schweiz wurde bisher nur für die Blauflügelige Ödlandschrecke (''Oedipoda caerulescens'') eine [http://kbnl.ch/wp-content/uploads/2016/11/webseite_Ocaerulescens.pdf Zusammenfassung zur Best Practice der Artenförderung] und ein [http://www.aln.zh.ch/internet/baudirektion/aln/de/naturschutz/artenfoerderung/ap_fa/oedland/_jcr_content/contentPar/downloadlist/downloaditems/40_1298476571873.spooler.download.1387468488719.pdf/Oedipoda_caerulescens_AP.pdf Schutzkonzept vom Kanton Zürich] erstellt. <br />
In den Nachbarländern wurden folgenden Publikationen zu Fördermassnahmen erstellt: <br />
<br />
'''Deutschland'''<br />
* [http://www.nlwkn.niedersachsen.de/naturschutz/natura_2000/vollzugshinweise_arten_und_lebensraumtypen/vollzugshinweise-fuer-arten-und-lebensraumtypen-46103.html#Wirbellose Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz. Niedersächsische Strategie zum Arten- und Biotopschutz]<br />
'''Österreich''' <br />
* [http://www.zobodat.at/pdf/NaturschutzbundBgld_9_2013_0001-0160.pdf Zuna-Kratky, T. et. al. (2013). Schutzprogramm für die gefährdeten Heuschrecken des Nordburgenlands]<br />
'''Niederlande''' <br />
* [http://repository.naturalis.nl/document/161506 Schut, D. et al. (2008). Actieplan prioritaire Sprinkhanen in Noord-Brabant]<br />
<br />
= Gefährdung =<br />
Von den 105 für die [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html Rote Liste 2007] untersuchten Heuschreckenarten sind fast 40% bedroht. Am stärksten gefährdet sind die Pionierarten entlang von Gewässern sowie die Arten der Flach- und Hochmoore. Die Erhaltung der letzten Populationen dieser Arten ist daher von grosser Bedeutung.<br />
Die grössten Gefährdungsursachen für alle Heuschreckenarten sind:<br />
* Verlust und Fragmentierung des Lebensraums durch Veränderung der Landnutzung, z.&nbsp;B. durch Umwandlung von Grünland in Äcker, Urbanisierung oder Industrialisierung<br />
* Intensivierung der Nutzung, insbesondere der Einsatz von Mähmaschinen und Mähaufbereitern, sowie Düngung und Erhöhung der Anzahl Schnitte pro Jahr, sowie höhere Viehdichten auf kleinerem Raum<br />
* Mangelnde (natürliche) Prozesse zur Offenhaltung der Landschaft und von Bodenstellen, Homogenisierung der Landschaft<br />
* Verdichtung der Vegetation durch Eutrophierung<br />
* Einsatz von Insektiziden<br />
<br />
Weitere Gefährdungsursachen in Bezug auf die Lebensraumbindung sind:<br />
* Grünlandarten: Intensive Beweidung oder häufige Mahd, Verbuschung oder Verkrautung durch Verbrachung, Verarmung der Pflanzenvielfalt, Düngung von Wiesen und Weiden <br />
* Feuchtgebietsarten: Veränderungen im Gewässerhaushalt von Feuchtgebieten, intensivere landwirtschaftliche Nutzung von Feuchtwiesen <br />
* Wald- und Waldrandarten: Fehlende Stufenstruktur des Waldrandes (Strauch- und Krautschicht), Entfernung von Hecken, Kleinstrukturen und Felsen, Intensivierung der Forstwirtschaft, Einsatz von Bioziden, Anbau von Monokulturen, touristische Nutzung (insbesondere mit Ski & Mountainbike)<br />
* Pionierarten: Verbauungen der Fliessgewässer und Eingriffe in den Geschiebehaushalt, Veränderungen des Gewässerhaushaltes und der Gewässerdynamik, Verbuschung und Verkrautung der Offenflächen<br />
<br />
= Wissenslücken =<br />
Die Wissenslücken sind nicht abschliessend und fokussieren besonders auf die Förderung.<br />
* Erfolgreiche Förderung seltener Arten<br />
* Minimale überlebensfähige Populationsgrössen <br />
* Vernetzung von Heuschreckenpopulationen unterschiedlicher Arten und Artenzusammensetzungen<br />
* Habitatspezifische Auswirkungen der Grünlandnutzung: lässt sich das auf Trockenrasen gewonnene Wissen bspw. auf Feuchtwiesen übertragen?<br />
* Barrierewirkung mehrspuriger Strassen (Autobahnen)<br />
* Auswirkungen vom Klimawandel, insbesondere langer Dürreperioden oder Starkregen<br />
<br />
= Praxisbeispiele =<br />
Für Heuschrecken haben wir nur ein Praxisbeispiel gefunden, welches die durchgeführten Massnahmen ausführlich beschreibt und eine Erfolgsuntersuchung beinhaltet. Daher freuen wir uns über Ihre [http://biodivers.ch/index.php/kontakt.html Vorschläge per Email.]<br />
* [http://www.parcs.ch/nwp/pdf_public/2014/26962_20140130_123116_Kurth_Salome_2007.pdf Kurth, S. (2007). Planning a migration corridor for the highly endangered grasshopper Chorthippus pullus (Orthoptera, Acrididae) in the Rottensand (Pfynwald, VS)] <br />
: Für den Kiesbankgrashüpfer wurde im Pfynwald ein Migrationskorridor errichtet und die anschliessende Nutzung beobachtet.<br />
<br />
= Allgemeine Links=<br />
* [http://lepus.unine.ch/carto/ Centre Suisse de Cartographie de la Faune (CSCF). Verbreitungskarten der Schweizer Tierarten]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-heuschrecken.html BAFU (2007). Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Heuschrecken]<br />
* [http://www.orthoptera.ch Orthoptera Schweiz. Heuschrecken-Plattform für die Schweiz und Europa ]<br />
* [http://www.orthoptera.ch/links Orthoptera Schweiz. Linkliste der Heuschrecken-Webseiten Europas und weltweit] <br />
<br />
== Glossar und weitere spannende Links ==<br />
* [https://www.orthoptera.ch/glossar Glossar von orthoptera.ch]<br />
* [http://www.biofotoquiz.ch/biofotoquiz/index.php?domain=standard&classID=278 Biofotoquiz]<br />
: Quiz mit Fotos von Heuschrecken und anderen Tier- und Pflanzenarten zum Kennenlernen der Arten.<br />
* [https://offene-naturfuehrer.de/web/Heuschreckenarten_nach_einfachen_Merkmalen_bestimmen_(Bayern) Heuschreckenarten nach einfachen Merkmalen bestimmen (Bayern)]<br />
: Wiki-Bestimmungsschlüssel für die Heuschrecken von Bayern. Der Leser wird anhand der Merkmale geführt, die Kenntnis von Fachbegriffen wird vorausgesetzt. <br />
* [http://www.andre-rey.ch/cms/fileadmin/pdf/Heuschecken_Bestimmungsschluessel_Suedalpen.pdf Fontana et al. (2002). Heuschrecken-Bestimmungsschlüssel für die östlichen Südalpen]<br />
: Bestimmungsschlüssel mit detaillierten Zeichnungen der Merkmale. <br />
* [http://www.orthoptera.ch/info-app-wiki/orthoptera-app Orthoptera-App]<br />
: Die Heuschrecken Bestimmungs-App für iphone und Android enthält zu jeder Art zahlreiche Fotos, Stimmaufzeichnungen und Hintergrundinformationen. Beobachtungen können in der App eingegeben und so dem CSCF gemeldet werden.<br />
<br />
= Literaturempfehlungen =<br />
* Detzel, P. (1998). Die Heuschrecken Baden-Württembergs. Stuttgart Hohenheim, Ulmer.<br />
: Bisher immer noch das beste Buch zur praxisnahen Ökologie und Massnahmen zur Förderung von Heuschrecken. Die Aufwertungs-Massnahmen sind an einzelne Arten und Lebensräume angepasst. Als genereller Leitfaden sind sie sehr gut, umsetzungsorientierte Anleitungen fehlen. Alles in allem ein gutes Buch für den Anfang, eine Weiterentwicklung ist aber dringend notwendig.<br />
* Ingrisch, S. & Köhler, G. (1998). Die Heuschrecken Mitteleuropas. Vol. Bd. 629. Magdeburg, Westarp Wissenschaften.<br />
: Sehr ausführliches und allgemeines Buch zur Biologie, Populationsdynamiken und Lebensräumen der Heuschrecken, weniger zur Biotopaufwertung und zu Fördermassnahmen. Trotz dem Alter immer noch lesenswert und informativ. <br />
* Schlumprecht, H. & Waeber, G. (2003). Heuschrecken in Bayern. Stuttgart Hohenheim. Ulmer. <br />
: Sehr ausführlicher Bestimmungs-Atlas mit vielen Informationen zur Lebensweise und den Lebensräumen der einzelnen Arten. Zu Gefährdung und Schutz gibt es Beispiele aus dem bayrischen Raum und Ratschläge zur Aufwertung für jede Art.<br />
* Maas, S., Detzel, P. & Staudt, A. (2002). Gefährdungsanalyse der Heuschrecken Deutschlands - Verbreitungsatlas, Gefährdungseinstufung und Schutzkonzepte. Bonn-Bad Godesberg, Bundesamt für Naturschutz.<br />
: Ausführlicher Atlas zu den Heuschreckenarten in Deutschland mit Gefährdungsanalysen und Informationen zu Habitaten, Biologie und Verbreitung der einzelnen Arten. Die Angaben zur Aufwertung von Lebensräumen sind kurz gehalten.<br />
* [http://dgfo-articulata.de/articulata Articulata - Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Orthopterologie] <br />
: In der Zeitschrift der DGFO erscheinen regelmässig Artikel zur Förderung von Heuschrecken, ältere Artikel können als PDF heruntergeladen werden.<br />
<br />
== Bestimmungsbücher ==<br />
* Baur, B., Bauer, H., Rösti, C., & Rösti, D. (2006). Die Heuschrecken der Schweiz. Bern, Haupt Verlag.<br />
: Intuitiver Bestimmungsschlüssel für die Schweizer Heuschreckenarten mit sehr schönen Detail-Zeichnungen. Enthält Verbreitungskarten und Erklärungen zu den wichtigsten Merkmalen.<br />
* Fischer, J., Steinlechner, D., Zehm, A., Poniatowski, D., et al., Hrsg. Bayerische Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege (2016). Die Heuschrecken Deutschlands und Nordtirols: Bestimmen - Beobachten - Schützen. Wiebelsheim Hunsrück, Quelle & Meyer.<br />
: Dieses Buch sticht positiv heraus. Es enthält Detailfotos der Bestimmungsmerkmale der Adultiere und Nymphen, eine Darstellung der Hauptaktivitätszeit aller Arten im Jahresverlauf und vieles mehr.<br />
* Weitere nationale und internationale Bestimmungsbücher sind auf [http://www.orthoptera.ch/literatur Orthoptera.ch] aufgeführt.<br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers ]|| info@biodivers.ch<br />
|-<br />
| Review|| [http://www.goeg.de/kontakt Prof. Dr. Peter Detzel] || [http://www.goeg.de/ Gruppe für ökologische Gutachten] <br />
|-<br />
| || [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Dr. Axel Hochkirch] || [https://www.uni-trier.de/index.php?id=20299 Universität Trier] <br />
|-<br />
| || [https://www.naturalis.nl/en/science/researchers/roy-kleukers Roy Kleukers] || [http://www.naturalis.nl/nl/ Naturalis Biodiversity Center] <br />
|-<br />
| || [https://www.orthoptera.ch/ueber-uns Florin Rutschmann] || [http://www.pronatura-aargau.ch/cms/index.php?id=4&no_cache=1 Pro Natura Aargau] <br />
|}<br />
<br />
<!-- biodivers-Links zu Arten: Kiesbankgrashüpfer Chorthippus pullus, Blauflügelige Ödlanschrecke Oedipoda caerulescens → Aktionsplandrehscheibe, Grüne Heupferd Tettigonia viridissima, Alpenschrecke Anonconotus alpinus <br />
biodivers-Links zu Lebensräumen: Kleinstrukturen, Hecke, Stillgewässer (mehrfach), Fliessgewässer (mehrfach), Wald und Waldrand (mehrfach), Feuchtgebiete, Sumpf, Grünland, Trockenwiesen und Trockenweisen, Entbuschung von Trockenwiesen (mehrfach)--></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=V%C3%B6gel&diff=4684
Vögel
2023-03-04T10:33:42Z
<p>VB2: </p>
<hr />
<div>[[fr:Oiseaux]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = wiedehopf michigerber zg 96 dpi.jpg<br />
| text = Von den etwa 200 Brutvögeln in der Schweiz sind fast 40% auf der Roten Liste aufgeführt. Sie sollen über den Lebensraumschutz oder mit gezielten Massnahmen für die einzelnen Arten gefördert werden. Der Wiedehopf (''Upupa epops'') braucht reich strukturierte, landwirtschaftlich extensiv genutzte, insektenreiche Flächen mit lückiger Vegetation.<br />
}}<br />
<br />
<br />
{|<br />
| Text || [https://www.birdlife.ch/ Eva Inderwildi]<br />
|-<br />
| Review || [http://www.viridis-environnement.ch/ Christian Meisser], [https://www.vogelwarte.ch/de/home/ Stefan Werner]<br />
|-<br />
| Publikation || April 2019<br />
|-<br />
| Aktuell || August 2022<br />
|}<br />
<br /><br />
{{TOC limit|2}}<br />
= Zusammenfassung =<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Luftbild_Hebebühne_96_dpi.jpg <br />
| text = Feuchtgebiete wie das abgebildete Neeracherried sind für viele seltene Vogelarten wie Bekassine (''Gallinago gallinago''), Tüpfelsumpfhuhn (''Porzana porzana''), Weissstorch (''Ciconia ciconia'') und verschiedene Entenarten essentielle Lebensräume.<br />
}}<br />
<br />
Die rund 200 Brutvogelarten der Schweiz besiedeln alle Lebensräume von den tiefen Lagen bis in die alpine Stufe. Vögel können mit der Förderung der Lebensräume auf der gesamten Fläche (Habitatschutz, z. B. naturnaher Waldbau), mit der Ausscheidung von Schutzgebieten oder mit spezifischen Artenförderungsmassnahmen gefördert werden. Je nach Lebensraum und Art sind die Ansprüche sehr unterschiedlich, weswegen die Massnahmen im [[#Erhalt_und_F.C3.B6rderung|Kapitel Erhalt und Förderung]] nach Lebensräumen gegliedert sind und in einem [[#Artenf.C3.B6rderung|eigenen Kapitel auf die spezifischen Artenförderungsmassnahmen]] eingegangen wird.<br />
<br />
Knapp 40% der Brutvögel der Schweiz sind auf der Roten Liste aufgeführt. Arten der Roten Liste finden sich in allen Lebensräumen, aber der Anteil der gefährdeten Arten ist im Kulturland und in den Feuchtgebieten besonders hoch. Massnahmen zur ökologischen Aufwertung dieser Lebensräume sind deswegen besonders wichtig. Aufgrund der Stellung in der nationalen Roten Liste und der internationalen Bedeutung der Schweizer Bestände wurden 118 National Prioritäre Vogelarten bezeichnet. Von diesen wurden unter Berücksichtigung des Handlungsbedarfs sowie der Wirksamkeit bereits vorhandener Naturschutzinstrumente 50 Prioritätsarten Artenförderung bezeichnet.<br />
<br />
=Aktuell=<br />
''August 2022'' <br /><br />
Gemäss der neuen Roten Liste der Brutvögel (BAFU 2021) gelten von den 205 Arten 40% als gefährdet. Das ist dreimal mehr als im europaweiten Vergleich. Weitere 20 % sind potenziell gefährdet. Überdurchschnittlich viele gefährdete Arten sind Bewohner des Kulturlandes und der Feuchtgebiete, zudem setzen Störungen den Vögeln zu. Der Vergleich der Listen von 2001, 2010 und 2021 zeigt, dass sich die Gefährdungssituation für Brutvögel insgesamt nicht verbessert hat. Die differenziertere Analyse macht deutlich, dass sogar von einer Verschlechterung gesprochen werden muss. Dies rührt daher, dass die meisten der positiven Veränderungen Arten betreffen, deren Bestände immer noch als „ausgedünnt“ zu beurteilen sind, umgekehrt aber bei Arten, die höher eingestuft wurden, die Verschlechterung durch starke Rückgänge bedingt war.<br /><br />
Der Weissstorch ist ein Beispiel einer Art, die sich dank gezielter Artenförderungsprojekte erholt hat und nicht mehr auf der Roten Liste figuriert. Dies zeigt, wie wichtig Lebensraumaufwertungen, biodiversitätsfreundliche Bewirtschaftungsmethoden und gezielte Artenförderung sind.<br /><br />
<br />
Quellen:<br />
* [https://www.vogelwarte.ch/de/projekte/lagebeurteilung/lagebeurteilung-vogel-schweiz Schweizerische Vogelwarte]<br />
* [https://biodiversitaet.scnat.ch/publications/search_details?id=1950 Forum Biodiversität Schweiz]<br />
* [https://naturschutz.ch/news/natur/keine-heile-welt-die-neue-rote-liste-der-brutvoegel/165728?utm_source=Naturschutz.ch&utm_campaign=dd67aff927-EMAIL_CAMPAIGN_2020_10_28_COPY_01&utm_medium=email&utm_term=0_03eb901253-dd67aff927-39602393&mc_cid=dd67aff927&mc_eid=00b6352408 Naturschutz.ch] <br /><br />
<br />
Links:<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-der-brutvoegel-2021.html Rote Liste der Brutvögel, 2021]<br />
* Neben der offiziellen Roten Liste gibt es von der Vogelwarte einen ausführlichen [https://www.vogelwarte.ch/de/projekte/lagebeurteilung/lagebeurteilung-vogel-schweiz Begleitbericht mit Grundlagen, Hintergründen der Einstufungen und Dokumentation aller evaluierten Arten]. <br />
* [[Media:UV-2124-DFI.xlsx|Artenlisten mit Gefährdungskategorien.]] <br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = alauda arvensis 020 96 dpi.jpg<br />
| text = Die Feldlerche (''Alauda arvensis'') war früher in unserer Landschaft omnipräsent. Nun hört man diesen Charaktervogel immer seltener. Er ist in der neuen Roten Liste als «verletzlich» eingestuft. Der Rückgang vieler Kulturlandarten ist eine Folge der weiterhin anhaltenden Intensivierung der Landwirtschaft. <br />
}}<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = montifringilla nivalis 043 96 dpi 96 dpi.jpg<br />
| text = Beunruhigende Tendenzen zeigen sich auch in den Bergen. Mittlerweile gelten 38 % der Bergvögel als bedroht, was unter anderem mit der Klimaerwärmung sowie der zunehmenden Freizeitnutzung zusammenhängen dürfte. Der Schneesperling (''Montifringilla nivalis'') ist neu als potentiell gefährdet eingestuft. <br />
}}<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = ciconia ciconia 042 96 dpi.jpg<br />
| text = Der Weissstorch (''Ciconia ciconia'') profitiert von Aufwertungsmassnahmen. <br />
}}<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = RL Voegel de zg.png<br />
| text = Gefährdung der Vögel gemäss Roter Liste (2021). <br />
}}<br />
<br />
<!--=Aktuell=<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = Steinkauz MathiasSchaef 96 dpi.jpg<br />
| text = Der Steinkauz ist der Vogel des Jahres 2021 <br />
}}<br />
<br />
Fördermassnahmen für den Steinkauz umfassen ein ganzes Massnahmenpaket. Bestehende [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten Hochstammobstgärten] und Eichenhaine müssen erhalten und wieder Jungbäume gepflanzt werden. Ein vielfältiges Mosaik aus extensiven Wiesen mit unterschiedlichen Schnittzeitpunkten und Weiden muss im [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten Obstgarten] gefördert werden. Lückige Vegetation und zahlreiche Kleinstrukturen sind weitere wichtige Lebensraumelemente. Nisthilfen können fehlende natürliche Höhlen im Kulturland ausgleichen. BirdLife Schweiz hat auf seiner [https://birdlife.ch/de/content/der-steinkauz-ist-der-vogel-des-jahres-2021 Webseite] viele wertvolle Informationen zur Förderung des Steinkauzes aufgeschaltet.<br />
--><br />
<br />
= Systematik =<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = 8005637117_c32d487830_o 96 dpi.jpg<br />
| text = Der etwa Krähen-grosse Urvogel Archaeopteryx lebte vor gut 150 Mio. Jahren. Er zeigt sowohl Merkmale von Reptilien als auch von Vögeln und war flugfähig<br />
}}<br />
<br />
Vögel existieren seit rund 150 Mio. Jahren und sind die jüngste Klasse innerhalb der Wirbeltiere. Sie sind nahe mit den Reptilien verwandt und direkte Nachkommen der Dinosaurier. Die Entwicklung der heutigen Vogelgruppen begann vor gut 70 Mio. Jahren. Weltweit kommen heute rund 10'700 Arten in 36 Ordnungen vor. In der Schweiz sind rund 180 Vogelarten aus 17 Ordnungen regelmässige Brutvögel. Weitere Vogelarten treten in der Schweiz als unregelmässige Brutvögel (24 Arten), Durchzügler oder Wintergäste auf. <br />
<br />
'''Links'''<br />
* Kurze [http://www.vogelwarte.ch/de/voegel/voegel-der-schweiz/ Porträts aller Vogelarten der Schweiz], inkl. seltener Gäste <br /> <br />
* [http://www.oiseaux.net Porträts der Vögel Frankreichs, Europas und der Welt (auf Französisch)]: Umfangreiche Webseite mit Listen der Vögel Frankreichs, Europas und der Welt. Zu vielen Arten gibt es Faktenblätter mit einer kurzen Beschreibung, Gesang, Fotos, Gefährdungsstatus, Verbreitungskarten, Angaben zur Ökologie, etc. Auf der Webseite hat es auch eine Bestimmungshilfe, Buchtipps und verschiedene Dossiers.<br />
<br />
= Praxisrelevante Ökologie =<br />
<br />
== Lebensräume ==<br />
<br />
Vögel besiedeln alle Lebensräume von den tiefen Lagen bis in die alpine Stufe. Manche Arten konnten sich gut an vom Menschen geprägte Lebensräume wie den Siedlungsraum anpassen, andere Arten sind sehr störungsanfällig und kommen nur in abgelegenen Lebensräumen vor. Die Förderung der Vögel, basierend auf Lebensraummassnahmen, wird im Kapitel 4 Erhalt und Förderung nach folgenden Habitaten aufgeteilt: <br />
<br />
* Fliessgewässer und Seen<br />
* Moore und Riedgebiete<br />
* Wälder <br />
* Kulturland <br />
* Gebirge<br />
* Siedlungsraum<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Abbaugebiete Abbaustellen (Kiesgruben und Steinbrüche)]<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = spatz_birkhahn_michigerber.png<br />
| text = Manche Arten, wie der Haussperling (''Passer domesticus'', links) leben in enger Nähe zum Menschen, andere Arten wie das Birkhuhn (''Tetrao tetrix'', rechts) brauchen störungsarme Lebensräume.<br />
}}<br />
<br />
Manche Gebiete beherbergen Vogelgemeinschaften oder Vogelansammlungen, für die wir in der Schweiz eine besondere Verantwortung tragen. Dazu zählen die<br />
- Wasser- und Zugvogelreservate von internationaler und nationaler Bedeutung WZVR: Die [https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19910014/index.html entsprechende Verordnung] soll die Lebensräume der ganzjährig in der Schweiz lebenden Wasservogelarten sowie die wichtigen [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/fachinformationen/massnahmen-zur-erhaltung-und-foerderung-der-biodiversitaet/oekologische-infrastruktur/wasser--und-zugvogelreservate.html Winterquartiere und Durchzugsgebiete der Zugvögel] schützen <br />
<br />
Andere Schutzgebiete wie die verschiedenen Biotope von nationaler Bedeutung, kantonale Schutzgebiete, kommunale Schutzgebiete und Waldreservate sind ebenfalls sehr wichtige Lebensräume für gewisse Vogelarten. So sind z. B. Moore und Moorlandschaften von nationaler Bedeutung wichtig für Wiesen- und Schilfbrüter. Waldreservate spielen eine grosse Rolle für Arten, die Alt- und Totholz benötigen. Generell sind [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/fachinformationen/massnahmen-zur-erhaltung-und-foerderung-der-biodiversitaet/oekologische-infrastruktur/biotope-von-nationaler-bedeutung.html Schutzgebiete] bedeutende Bestandteile der ökologischen Infrastruktur.<br />
<br />
Ein Teil der Kantone haben gezielt Wildruhezonen für das Auerhuhn oder das Birkhuhn ausgeschieden, um Störungen für diese Arten zu reduzieren.<br />
<br />
* [http://www.birdlife.ch/iba Important Bird and Biodiversity Areas IBA]: Weltweit werden von den BirdLife-Partnern anhand von einheitlichen Kriterien die wichtigsten Gebiete für den Schutz der Vögel ausgeschieden.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = enten_birdlifeschweiz_96_dpi.png<br />
| text = Die Wasser- und Zugvogelreservate beherbergen im Winter grosse Ansammlungen von Enten und anderen Wasservögeln für die die Schweiz internationale Verantwortung trägt.<br />
}}<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Karte_IBA_96_dpi.png<br />
| text = Die 31 Important Bird and Biodiversity Areas IBA der Schweiz decken von Gewässern bis zu hochmontanen Gebieten diverse Lebensräume der Vögel ab.<br />
}}<br />
<br />
== Biologie ==<br />
<br />
Vögel haben zum Teil sehr verschiedene ökologische Ansprüche und leben daher in sehr unterschiedlichen Lebensräumen. Entscheidende Faktoren sind ausreichend grosse geeignete Lebensräume, das Angebot und die Zugänglichkeit von Nahrung sowie das Vorhandensein von geeigneten Brutplätzen. Zudem spielen je nach Art auch andere Faktoren eine Rolle, wie z. B. das Vorhandensein von Singwarten und Versteckmöglichkeiten, der Konkurrenzdruck durch Artgenossen oder andere Arten und die Anwesenheit von Prädatoren oder Menschen. <br />
<br />
Die Vögel der Schweiz ernähren sich unterschiedlich. Das Spektrum reicht von tierischer Nahrung (Fleisch, Fisch, Insekten, etc.) bis zu vegetativen Pflanzenteilen (Blätter, Gräser, Knospen) oder Samen und Früchten. Die meisten bei uns vorkommenden Vögel sind an eine bestimmte Nahrung besonders gut angepasst. Sie können zwar bei Gelegenheit auch auf andere Nahrungsquellen umstellen, für das langfristige Überleben und eine erfolgreiche Fortpflanzung sind sie jedoch auf ihre (saisonal) bevorzugte Nahrung angewiesen. Das Nahrungsangebot für [[#Mobilit.C3.A4t|Standvögel und Kurzstreckenzieher]] verändert sich jahreszeitlich stark. Es gibt jedoch auch viele echte Nahrungsspezialisten, z. B. Eisvogel oder Mauersegler. Diese Spezialisten ziehen entweder in Gebiete, in denen ihre Nahrung auch im Winter verfügbar ist oder sie haben Nahrungsquellen erschlossen, welche auch hier das ganze Jahr über verfügbar sind. <br />
<br />
Was den Neststandort anbelangt sind die Vögel in der Regel auf einen bestimmten Typ spezialisiert. Man unterscheidet Höhlen- und Nischenbrüter, Baum- und Gebüschbrüter, Bodenbrüter, Felsbrüter und Vögel, die in Schwimmnestern brüten. Die Nistplatztreue ist bei einigen Vogelgruppen, wie z. B. Seglern, Schwalben und Greifvögeln gross, das heisst die Vögel kehren Jahr für Jahr an die bestehenden Brutplätze zurück. Es ist deswegen wichtig, diese Brutplätze und Nester als zentralen Teil ihres Lebensraumes zu erhalten. <br />
<br />
Bei der Jungenaufzucht haben die Vögel zwei unterschiedliche Strategien: Bei den Nesthockern (z. B. Eulen, Greifvögel und Singvögel) kommen die Jungtiere noch nicht vollständig entwickelt zur Welt. Die oft nackten und blinden Küken bleiben im Nest und werden dort von den Eltern aufgezogen. Die schon viel weiter entwickelten Küken der Nestflüchter (z. B. Enten, Hühnervögel) sind in der Lage, sofort nach dem Schlüpfen zu laufen und ihren Eltern zu folgen.<br />
<br />
Relevant für den Schutz der Vögel ist auch ihre Reproduktionsstrategie. Es gibt langlebige Arten, die jährlich nur wenige Nachkommen haben (Störche, Greifvögel) und kurzlebige Arten, die dafür in einem Jahr viele Nachkommen produzieren (viele Eier pro Gelege, mehrere Bruten pro Jahr, z. B. viele Singvogelarten). Bei langlebigen Arten beeinflusst der frühzeitige Tod einzelner Individuen die Bestandsentwicklung in viel grösserem Masse als bei kurzlebigen Arten. <br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = mehlschwalbennest_birdlifeschweiz_96_dpi.png<br />
| text = Mehlschwalben (''Delichon urbicum'') kehren jedes Jahr an den gleichen Brutstandort zurück und nutzen auch die Nester vom Vorjahr. Es ist deswegen sehr wichtig, diese zu erhalten<br />
}}<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = kuckuck_michigerber_96_dpi.png<br />
| text = Der Kuckuck (''Cuculus canorus'') ist unsere einzige Vogelart, die ihre Eier immer von einer fremden Vogelart ausbrüten lässt (Brutparasitismus). Sie ist auf ein reiches Angebot an grossen Insekten, hauptsächlich Raupen, und einen guten Wirtsvogelbestand angewiesen<br />
}}<br />
<br />
== Ökologie ==<br />
<br />
=== Mobilität ===<br />
<br />
Als grundsätzlich sehr mobile Tiere führen viele Vögel Ortsveränderungen durch, sowohl im Tages- und Jahresverlauf als auch über das gesamte Leben oder über Lebensabschnitte hinweg. Viele Arten verlassen die Schweiz im Herbst (Zugvögel). Unter diesen findet man Kurzstreckenzieher, die im Mittelmeerraum überwintern und Langstreckenzieher, die südlich der Sahara den Winter verbringen. Bei den Teilziehern, zieht nur ein Teil der Population, der Rest überwintert im Brutgebiet. Aber auch Arten, die das ganze Jahr in der Schweiz anzutreffen sind (Standvögel), können im Sommer und Winter andere Gebiete nutzen. So nutzen z. B. Eisvögel (''Alcedo atthis'') ausserhalb der Brutzeit fischreiche Gewässer, die aber keine Brutplätze aufweisen, oder weichen beim Zufrieren ihrer Bäche und Seen auf eisfreie Gewässer aus. Manche Alpenvögel ziehen im Winter etwas weiter ins Tal hinunter (Vertikalzug). <br />
Die Reviergrössen während der Brutzeit reichen von 0.25 ha oder weniger z. B. beim Buchfinken (''Fringilla coelebs'') bis zu mehreren 100 km2 beim Steinadler (''Aquila chrysaetos''). Die Reviergrösse variiert aber auch innerhalb einer Art in Abhängigkeit der Lebensraumqualität und des schwankenden Nahrungsangebots. Um tragfähige Populationen zu erhalten, brauchen viele Vogelarten grossflächig geeignete Lebensräume. <br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = zugvogeltypen_michigerber.png<br />
| text = Vertreter der unterschiedlichen Zugstrategien der Vögel: Buntspecht (''Dendrocopos major'', Standvogel), Singdrossel (''Turdus philomelos'', Kurzstreckenzieher), Mauersegler (''Apus apus'', Langstreckenzieher), Rotkehlchen (''Erithacus rubecula'', Teilzieher), Wasseramsel (''Cinclus cinclus'', Vertikalzieher)<br />
}}<br />
<br />
=== Vögel als Indikatoren ===<br />
<br />
Das Vorkommen von Vogelarten ist gebunden an das Vorhandensein von geeigneten Lebensräumen (Wald, Gewässer, Offenland, usw.), Habitatstrukturen (z. B. Höhlenbäume) und von Nahrung z. B. in Form von Insekten, Kleintieren oder Samen. Verliert die Landschaft an Strukturen oder gehen die Insekten zurück, so werden auch die davon abhängigen Vogelbestände abnehmen. Durch ihre eher auffällige Lebensweise (Gesang) und im Vergleich zu anderen Gruppen gute Bestimmbarkeit sind die meisten Vogelarten in ihren Beständen im Vergleich zu anderen Organismengruppen einfach zu erfassen. Daher eignen sich die Vögel gut als Indikatoren für den Zustand der jeweiligen Lebensräume. <br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://www.lwf.bayern.de/mam/cms04/biodiversitaet/dateien/a69_voegel-als-indikatoren.pdf „Vögel als Indikatoren für die Nachhaltigkeit“ (im Wald)] <br /> <br />
* [https://ojs.openagrar.de/index.php/JKA/article/view/2761 „Vogelarten der Agrarlandschaft als Bioindikatoren für landwirtschaftliche Gebiete“ (Deutschland)] <br /> <br />
* In der [http://www.biodivers.ch/de/index.php/Allgemeine_Informationen#Arten Liste der national prioritären Arten] und in der Liste [https://www.blw.admin.ch/dam/blw/de/dokumente/Instrumente/Direktzahlungen/Biodiversitaetsbeitraege/Vernetzungsbeitrag/Vollzugshilfe%20Vernetzung/uzl-artenliste-zielarten.xlsx.download.xlsx/UZL-Artenliste+Zielarten_DE.xlsx «UZL-Arten: Lebensräume» (UZL = Umweltziele Landwirtschaft)] hat es u. a. Angaben, in welchen Lebensräumen die einzelnen Arten vorkommen. <br /><br />
* Im [http://www.vogelwarte.ch/de/projekte/entwicklung/sbi-zustand/ Swiss Bird Index SBI] werden die neuesten Bestandsentwicklungen in der Vogelwelt dargestellt. <br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = indikatoren_michigerber.png<br />
| text = Der Mittelspecht (''Dendrocopos medius'') ist ein Indikator für eichen- und totholzreiche Wälder in tieferen Lagen. Das Braunkehlchen (''Saxicola rubetra'') kommt typischerweise in artenreichen, spät gemähten Heuwiesen vor<br />
}}<br />
<br />
=Erhalt und Förderung=<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = AK_01055 96 dpi.jpg<br />
| text = Im Landwirtschaftsgebiet braucht es mehr und qualitativ deutlich bessere Ökoflächen wie Buntbrachen oder extensive Wiesen<br />
}}<br />
<br />
Wie im Naturschutz allgemein, kann der Vogelschutz auf drei Ebenen ansetzen: Förderung der Vögel auf der ganzen Flächen indem z. B. der Waldbau naturnah gestaltet wird ('''Habitate'''), Förderung der Vögel durch Schutzgebiete ('''Gebiete''') und Förderung der Vögel durch zusätzliche spezifische Massnahmen auf Artniveau ('''Artenförderung'''), falls die beiden anderen Ansätze für den Erhalt einer Art nicht genügen. In den folgenden Unterkapiteln werden Massnahmen für die unterschiedlichen Lebensräume genannt (betrifft hauptsächlich die erste Ebene). Näheres zu den spezifischen Massnahmen auf Artniveau ist im Kapitel 5 Artenförderung zu finden.<br />
<br />
== Konkrete Fördermassnahmen nach Lebensraum ==<br />
<br />
Bei vielen der hier beschriebenen Massnahmen handelt es sich um allgemeine Massnahmen zur Verbesserung des Lebensraums. Sie haben einen indirekten Einfluss auf die Vogelarten, indem sie z. B. auf die Insekten wirken und so die Nahrungsgrundlage für die Vögel verbessern.<br />
<br />
=== Seen und Fliessgewässer ===<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Karte_WZVV_96_dpi.png<br />
| text = Karte aller Wasser- und Zugvogelreservate in der Schweiz (Stand 2015) <br />
}}<br />
<br />
Trotz der geringen Landesfläche liegen einige der grössten, im Winter eisfreien Binnenseen Europas ganz oder teilweise in der Schweiz. Entsprechend wichtig ist die Schweiz für Wasservögel, und sie trägt eine hohe internationale Verantwortung für diesen Lebensraum und die hier vorkommenden Arten. Obwohl die Wasserqualität der meisten Seen heute als gut bezeichnet werden kann, ist die Nähr- und Schadstoffbelastung vor allem bei einigen kleineren Seen nach wie vor problematisch. Zudem ist auf vielen Seen und entlang von Fliessgewässern der Störungsdruck durch Freizeitaktivitäten sehr hoch, was sowohl brütende als auch überwinternde oder auf dem Zug rastende Wasservögel betrifft. Die überlebenswichtigen Energiereserven rastender Vögel können durch Störungen und Flucht angegriffen werden. Die Uferzonen sind zudem sehr häufig zugebaut oder melioriert, die noch vorhandenen Naturbereiche oftmals einem starken Nährstoffeinfluss oder sonstigem Nutzungsdruck ausgesetzt.<br />
<br />
Massnahmen:<br />
<br />
* konsequenter Schutz aller wichtigen Wasser- und Zugvogelgebiete<br />
* Benennung weiterer wichtiger Wasservogelgebiete als WZVV-Reservate nationaler Bedeutung<br />
* [http://www.biodivers.ch/de/index.php/Renaturierung_und_Revitalisierung#Sicherung_des_Gew.C3.A4sserraumes Gewässerräume ausscheiden] und einhalten, auch bei Zuflüssen<br />
* Biodiversität beim Wasserstandsmanagement der Seen besser berücksichtigen<br />
* [http://www.biodivers.ch/de/index.php/Renaturierung_und_Revitalisierung Revitalisierungen] von begradigten Bächen und Flüssen<br />
* Aufrechterhaltung und Wiederherstellung der [http://www.biodivers.ch/de/index.php/Renaturierung_und_Revitalisierung#Geschiebe Gewässer- und Geschiebedynamik]<br />
* natürliche Ufervegetation erhalten und fördern<br />
* Erhöhung der [http://www.biodivers.ch/de/index.php/Renaturierung_und_Revitalisierung#Restwassersanierung Restwassermenge] in Flussabschnitten unterhalb von Wasserkraftwerken<br />
* Besucherlenkung durch Erarbeitung und Umsetzung von Konzepten über einen ganzen Fluss, Bach oder Uferabschnitt mit Schwerpunkten für die Naherholung und ungestörten Bereichen für die Natur <br />
* Informations- und Sensibilisierungsarbeit insbesondere für neue Sportarten (Paddle) verstärken<br />
* Sanierungen des [http://www.biodivers.ch/de/index.php/Renaturierung_und_Revitalisierung#Schwall_und_Sunk Schwall/Sunk-Regimes der Gewässer]<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = erholung_stoerung_birdlife_mgerber.png<br />
| text = Kiesbänke werden gerne von Erholungssuchenden genutzt. Die häufigen Störungen verunmöglichen das Brüten des stark gefährdeten Flussuferläufers (''Actitis hypoleucos'', rechts) und anderer Bodenbrüter<br />
}}<br />
<br />
=== Moore und Riedgebiete ===<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = peenetal_xjutz_96_dpi.JPG<br />
| text = Es braucht grossflächige Wiedervernässungen wie sie in den Nachbarländern schon länger umgesetzt werden, wie zum Beispiel im Peenetal in Nordostdeutschland <br />
}}<br />
<br />
Entwässerungen in grossem Stil haben die Feuchtgebiete der Schweiz auf einen Bruchteil der ursprünglichen Fläche reduziert (-90%). Eingriffe in den Wasserhaushalt und die Nährstoffbelastung setzen dem verbliebenen Rest nach wie vor zu, denn sie führen zu Vegetationsveränderungen und Verbuschung. Entsprechend sind viele Vogelarten der Feuchtgebiete stark gefährdet oder bereits ausgestorben.<br />
<br />
Massnahmen:<br />
<br />
* Austrocknen der Feuchtgebiete verhindern <br />
* Verbuschen der Feuchtgebiete verhindern<br />
* Wasserstandsregime an die Zielarten anpassen<br />
* ökologisch ausreichend grosse Pufferzonen einhalten (Nährstoffpuffer, hydrologischer Puffer und Störungspuffer)<br />
* differenzierte Pflege- und Gebietsmanagementpläne (menschliche Aktivitäten kanalisieren) erarbeiten und umsetzen<br />
* Wiedervernässungen und Regenerationen durchführen<br />
<br />
'''Links'''<br />
* [http://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/schutzgebiete/uv-umwelt-vollzug/regeneration_vonhochmooren.pdf.download.pdf/regeneration_vonhochmooren.pdf Vollzugshilfe Regeneration von Hochmooren] <br />
* [http://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/biodiversitaet/uz-umwelt-zustand/zustand_und_entwicklungdermooreinderschweiz.pdf.download.pdf/zustand_und_entwicklungdermooreinderschweiz.pdf Zustand und Entwicklung der Moore in der Schweiz] <br />
* [http://www.birdlife.ch/sites/default/files/documents/Zustand_Moore_Schweiz_2017.pdf Zustandsbericht Moore Schweiz]<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = grosserbrachvogel_michigerber_96_dpi.png<br />
| text = Der Grosse Brachvogel (''Numenius arquata'') brütet in grossflächigen Mooren und Feuchtwiesen. In der Schweiz ist er inzwischen als Brutvogel ausgestorben<br />
}}<br />
<br />
=== Wälder ===<br />
<br />
Natürlicherweise wäre die Schweiz grösstenteils von Wald bedeckt. Wieviel Offenland historisch durch Moore, Waldbrände, Grossherbivoren oder andere Einflussfaktoren bestand, ist nicht bekannt. Heute macht der Wald noch etwa einen Drittel der Landesfläche aus. Im Mittelland ist die Waldfläche stabil, während sie auf der Alpensüdseite und in den Alpen zunimmt (seit 1985 je nach Region 8 bis 28% laut Landesforstinventar 2013). Im Wirtschaftswald sind durch den naturnahen Waldbau häufige Arten häufig geblieben, doch sind zahlreiche anspruchsvollere Arten gefährdet durch den gleichförmigen Hochwald, der den Wald sehr stark verdunkelt, und durch den Mangel an Totholz und Zerfallsstrukturen im Wald.<br />
<br />
Massnahmen:<br />
<br />
* naturnaher Waldbau auf der ganzen Fläche des bewirtschafteten Waldes<br />
* Totholzanteil deutlich steigern auf 30-60m3 pro Hektare <br />
* Ausscheidung von mind. 10 für diesen Zweck geeigneten Biotopbäumen pro Hektare<br />
* Altholzinseln<br />
* Lichte Wälder <br />
* breite Übergangsbereiche Wald-Kulturland<br />
* Totalreservate und Sonderwaldreservate einrichten<br />
* keine Pflanzung und Förderung exotischer Baumarten als Anpassung an den Klimawandel<br />
'''Links'''<br />
* [https://totholz.wsl.ch/fileadmin/user_upload/WSL/Microsite/Totholz-CH/Praxis/beispiele_rothenbuch.pdf Rothenbucher Totholz- und Biotopbaum-Konzept] <br />
<!-- Link funktioniert nicht mehr, deshalb ausgeblendet: * [http://www.waldwissen.net/dossiers/wsl_dossier_totholz/index_DE Dossier Totholz] --><br />
* [http://www.birdlife.ch/de/wald Lebensraum Wald]<br />
* [http://www.birdlife.ch/sites/default/files/documents/Uebergangsbereiche_Poster_D-1.pdf Info-Poster Übergangsbereiche Wald-Kulturland]<br />
<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = schwarzspecht_buche_michigerber.png<br />
| text = Die Höhlen, die Schwarzspechte (''Dryocopus martius'') zimmern, werden später noch von vielen anderen Vogelarten, sowie Fledermäusen und Insekten genutzt. Das Stehenlassen von solchen Höhlenbäumen ist eine wichtige Fördermassnahme nicht nur für Vögel, sondern allgemein für die Biodiversität im Wald<br />
}}<br />
<br />
=== Kulturland ===<br />
<br />
Die Landwirtschaft wurde um ca. 5500 v. Chr. in Europa etabliert und schuf neue Lebensräume für Tiere und Pflanzen. Zahlreiche Vogelarten siedelten sich im neuen Kulturland an – darunter einheimische Arten von offenen Lebensräumen wie Mooren und alpinen Wiesen, Waldarten, die sich anpassen konnten, aber auch eingewanderte Arten, die ursprünglich zum Beispiel aus Steppengebieten stammten. Das Kulturland umfasst Habitate wie Wiesen und Weiden, Ackerland, [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten Obstgärten], Reben, [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Hecke Hecken] und Feldgehölze. Durch die intensivierte landwirtschaftliche Nutzung verlor das Kulturland in den letzten Jahrzehnten viel von seinem ursprünglichen Wert für die Vögel und andere Tiere. Die Intensivierungstendenz geht noch weiter. Problematisch ist unter anderem der massive Dünger- und Pestizideinsatz, der die Vielfalt der Pflanzen und Insekten stark reduziert und somit den Vögeln die Nahrungsgrundlage entzieht. So ist der Anteil der Arten der Roten Liste bei den Kulturlandvögeln besonders hoch.<br />
Aber nicht nur die Intensivierung schafft Probleme, sondern auch die Versiegelung von Kulturland sowie die Nutzungsaufgabe. Da Wiesland an natürlicherweise bewaldeten Standorten geschaffen wurde, bedeutet die Nutzungsaufgabe unterhalb der Waldgrenze eine Wiederbewaldung.<br />
<br />
Massnahmen:<br />
* weiteren Qualitätsverlust bei Trockenwiesen- und Weiden verhindern (kein Nährstoffeintrag, keine Beregnung, Pufferzonen einrichten, geeignete Bewirtschaftung)<br />
* gestaffelter Schnitt, späterer Schnittzeitpunkt und/oder weniger Schnitte/Jahr bei Wiesen<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Aufwertung Hochstammobstbäume] mit extensiv genutztem Unterwuchs, gestaffelter Mahd, offenen Bodenstellen und hoher Strukturvielfalt fördern<br />
* Rebberge mit lückiger Bodenbegrünung, sowie artenreichen Hecken und Baumgruppen<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Hecke/Pflanzung Anlage von Hecken im Kulturland fördern]<br />
* Anlage von bevorzugt mehrjährigen Brachen (und anderen Biodiversitätsförderflächen) sowie Vernetzungsprojekte im Kulturland fördern<br />
* Verhinderung der völligen Nutzungsaufgabe von abgelegenen Flächen<br />
* Biodiversitätsfreundliche Produktion fördern<br />
* Pestizideinsatz minimieren<br />
* Düngereinsatz reduzieren<br />
<br />
'''Links'''<br /> <br />
Hochstammobstgärten:<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten Obstgärten]<br />
* [http://www.hochstamm-suisse.ch Verein Hochstamm Suisse]<br />
* [http://www.birdlife.ch/de/content/hochstamm-obstgaerten Lebensraum Hochstamm-Obstgärten] <br /> <br />
Rebberge:<br />
* [http://www.vogelwarte.ch/de/projekte/lebensraeume/foerderung-der-vogelwelt-in-rebbergen Förderung der Vögel in Rebbergen]<br />
* [http://www.birdlife-zuerich.ch/projekte-service/voegel-im-aufwind/ Projekt Biodiversität im Rebberg von BirdLife Zürich:]<br />
Lückige Vegetation<br />
* [http://www.artenfoerderung-voegel.ch/assets/files/merkblaetter/FB_Lueckige_Vegetation.pdf Vögel brauchen lückige Vegetation zur Nahrungssuche]<br />
Landwirtschaft:<br />
* [http://www.bff-spb.ch/de/biodiversitaetsfoerderflaechen/ Biodiversitätsförderflächen]<br />
* [http://www.agri-biodiv.ch/de/startseite.html Handbuch Biodiversitätsförderung in der Landwirtschaft]<br />
* [http://praxistipps.lbv.de/praxistipps.html Praxistipps für Landwirte]<br />
* [https://www.vogelwarte.ch/de/projekte/lebensraeume/lebensraumverbundsystem-klettgau Lebensraumverbund in Kulturland]<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = landwirtschaft_birdlife_mgerber.png<br />
| text = Reich strukturierte Hochstammobstgärten mit angepasstem Unternutzen (gestaffelter Schnitt) sind ein wertvoller Lebensraum für den Gartenrotschwanz (''Phoenicurus phoenicurus'') und andere Arten der halboffenen Landschaft<br />
}}<br />
<br />
Vielen Vögeln des Landwirtschaftsgebiets geht es in ganz Europa schlecht, allen voran jenen Arten, die in Afrika überwintern. Sind also Veränderungen in den Zug- und Überwinterungsgebieten für die Bestandsverluste verantwortlich? Eine Studie zeigt, dass dies zumindest für das Braunkehlchen nicht der Fall ist. Die Verantwortung liegt in Europa. ([https://biodiversitaet.scnat.ch/publications/search_details?id=1784 Weitere Informationen)]<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = braunkehlchen_michigerber 96 dpi_zg.jpg<br />
| text = Sinkende Braunkehlchenbestände: Das Hauptproblem liegt in Europa. <br />
}}<br />
<br />
=== Siedlungsraum ===<br />
<br />
Noch stärker als das Kulturland ist der Siedlungsraum ein vom Menschen geschaffener und geprägter Lebensraum. Obwohl die Artenzahl hier meist tiefer ist als in naturnahen Lebensräumen, sind Siedlungsgebiete für einige Arten zu einem wichtigen Sekundärhabitat geworden.<br />
<br />
Massnahmen:<br />
<br />
* Grünflächen fördern und erhalten und mit einheimischen Pflanzen begrünen (Blumenwiesen, Sträucher, Bäume)<br />
* Anlage von naturnahen Gärten und Umgebungsgestaltungen (auch bei Mehrfamilienhaussiedlungen, Firmen und öffentlichen Gebäuden)<br />
* Verzicht auf Pestizide und Dünger<br />
* Nistmöglichkeiten beim Bau und der Renovation von Gebäuden einplanen<br />
* Glasflächen so gestalten, dass das Kollisionsrisiko für Vögel möglichst gering ist <br />
* Beleuchtung naturfreundlich planen, unnötige Lichtemissionen vermeiden <br />
* wo immer möglich auf Versiegelung der Böden verzichten<br />
* intensiv begrünte Dächer und begrünte Hauswände fördern<br />
* Beleuchtung optimieren (Leuchtkörperdichte verringern, gezielt beleuchten, Lichtmenge reduzieren bis Zeitabschaltung, Leuchtspektrum)<br />
<br />
'''Links'''<br />
* Materialien zum Thema [http://www.birdlife.ch/bauen Vögel und Bauen] – Natur rund ums Haus <br />
* Gebäudesanierungen: [http://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/vogel-fledermausfreundliche-gebaeudesanierung.html Vogel- und Fledermausfreundlich]<br />
* [https://www.birdlife.ch/de/content/begruente-waende-und-daecher Begrünte Wände und Dächer] <br />
* Vogelfreundliches Bauen mit [http://www.vogelglas.vogelwarte.ch Glas und Licht] <br />
* [http://www.bafu.admin.ch/licht Lichtemissionen (Lichtverschmutzung)] <br />
* [http://www.bund.net/fileadmin/user_upload_bund/_migrated/publications/130411_bund_chemie_broschuere_pestizidfreie_kommunen.pdf Pestizidfreie Kommunen (Deutschland)]<br />
* [https://www.vogelwarte.ch/de/voegel/ratgeber/gefahren-fuer-voegel/katzen-und-voegel Katzenproblematik]<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = siedlung_birdlife.png<br />
| text = Blumenwiesen, einheimische Bäume und Sträucher sowie in Bauten integrierte Nisthilfen bieten den Vögeln im Siedlungsraum Nahrung und Brutplatz<br />
}}<br />
<br />
=== Gebirge ===<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = alpenvoegel_michigerber.png<br />
| text = Schneesperling (''Montifringilla nivalis'') und Alpenbraunelle (''Prunella collaris'') sind zwei typische Vertreter der Alpen.<br />
}}<br />
<br />
Gebirgslandschaften dominieren weite Teile der Schweiz. Sie bieten Lebensraum für viele spezialisierte Tier- und Pflanzenarten, darunter auch einige Vogelarten. Mehrere Bergvogelarten haben in den Schweizer Alpen grosse Bestände, die von europäischer Bedeutung sind, z. B. die Alpenbraunelle (''Prunella collaris''). Deshalb trägt die Schweiz für viele Gebirgsarten eine hohe Verantwortung. Aufgrund der topografischen und klimatischen Bedingungen sind Gebirge wesentlich weniger dicht von Menschen besiedelt und weniger intensiv genutzt als das Mittelland. Deshalb haben in den Alpen und im Jura einige früher im Mittelland ebenfalls verbreitete Arten noch überlebt. Doch auch in den Bergregionen gerät die Natur zunehmend unter Druck. Die Landwirtschaft wird vielerorts entweder intensiviert oder gänzlich aufgegeben, was unterhalb der Baumgrenze zur Wiederbewaldung oder Intensivierung wertvoller, extensiv genutzter Heuwiesen führt. Problematisch ist auch der zunehmende Nutzungsdruck durch den Tourismus, da immer mehr Leute Erholung in der „unberührten“ Bergwelt suchen und mit technischen Hilfsmitteln (Seilbahnen, E-Bikes) auch die hintersten Winkel erschlossen sind. Auch die Zonen oberhalb der Baumgrenze mit typischen Arten wie Alpenschneehuhn (''Lagopus muta'') und Birkhuhn (''Tetrao tetrix'') geraten zunehmend unter Druck – im Sommer wie im Winter.<br />
<br />
{| class="wikitable"<br />
! Art<br />
! Lebensraum<br />
! Anteil (%)<br />
|-<br />
| Schneesperling (''Montifringilla nivalis'')<br />
| Alpine Gipfel<br />
| 25<br />
|-<br />
| Bergpieper (''Anthus spinoletta'')<br />
| Alpine Wiesen und Weiden<br />
| 25<br />
|-<br />
| Alpenbraunelle (''Prunella collaris'')<br />
| Alpine Gipfel<br />
| 21<br />
|-<br />
| Alpendohle (''Pyrrhocorax graculus'')<br />
| Alpine Gipfel<br />
| 19<br />
|-<br />
| Ringdrossel (''Turdus torquatus'')<br />
| Baumgrenze<br />
| 15<br />
|-<br />
| Hausrotschwanz (''Phoenicurus ochruros'')<br />
| Bergregionen, Städte<br />
| 13<br />
|-<br />
| Tannenhäher (''Nucifraga caryocatactes'')<br />
| Bergwälder<br />
| 12<br />
|-<br />
| Sommergoldhähnchen (''Regulus ignicapilla'')<br />
| Misch- und Nadelwälder<br />
| 10<br />
|-<br />
| Steinhuhn (''Alectoris graeca'')<br />
| Trockenwarme Bergregionen<br />
| 8<br />
|-<br />
| Zitronengirlitz (''Serinus citrinella'')<br />
| Bergwälder, Baumgrenze<br />
| 7<br />
|-<br />
| Fichtenkreuzschnabel (''Loxia curvirostra'')<br />
| Nadel- und Bergwälder<br />
| 6<br />
|-<br />
| Steinadler (''Aquila chrysaetos'')<br />
| Bergregionen<br />
| 6<br />
|-<br />
| Schwarzmilan (''Milvus migrans'')<br />
| Kulturland, Seeufer<br />
| 6<br />
|-<br />
| Mäusebussard (''Buteo buteo'')<br />
| Kulturland<br />
| 6<br />
|-<br />
| Rotmilan (''Milvus milvus'')<br />
| Kulturland<br />
| 5<br />
|-<br />
| Tannenmeise (''Periparus ater'')<br />
| Misch- und Nadelwälder<br />
| 5<br />
|}<br />
<br />
Erläuterung zur Tabelle: Unter den Arten mit im internationalen Vergleich grossen Vorkommen in der Schweiz (aufgeführt der Anteil am europäischen Bestand) finden sich viele Gebirgsarten (Tabelle ergänzt mit Spalte "Lebensraum" nach Maumary L., L. Vallotton & P. Knaus (2007) Die Vögel der Schweiz. Schweizerische Vogelwarte, Sempach, und Nos Oiseaux, Montmollin). <br /> <br />
<br /><br />
Bestandesentwicklung: <br /><br />
Die Vogelgemeinschaften in den verschiedenen Höhenstufen gleichen sich immer mehr an und decken auch weniger ökologische Funktionen ab. Diese Entwicklung hängt wahrscheinlich mit der Klimaerwärmung und Änderungen in der Landnutzung zusammen. ([https://biodiversitaet.scnat.ch/publications/search_details?id=1785 Weitere Informationen)]<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = alpine Wiesen und Weiden 96 dpi.JPG<br />
| text = In den Schweizer Alpen hat die biologische Vielfalt von Vögeln in den letzten 20 Jahren immer mehr abgenommen. <br />
}}<br />
<br />
Massnahmen:<br />
* keine Bewässerung und Düngung der wertvollsten Trockenwiesen und Weiden in den Bergen<br />
* Fortführung der extensiven Nutzung wertvoller Wiesen und Weiden<br />
* Besucherlenkungsmassnahmen (Wildtierruhezonen, Weggebote, ganzjährige oder saisonale Flug- und Kletterverbote an Brutfelsen)<br />
* keine Ausdehnung von touristischen Infrastrukturen in noch unbebaute Gebiete<br />
<br /><br />
'''Links'''<br />
* [http://www.wildruhezonen.ch Wildruhezonen, gesetzliche Grundlage, Karte] <br />
* Kampagne [http://www.respektiere-deine-grenzen.ch Respektiere deine Grenzen]<br />
<br /><br />
<br />
=== [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Abbaugebiete Abbaustellen (Kiesgruben und Steinbrüche)] === <br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = abbaugebiet_birdlifeschweiz_96_dpi.png<br />
| text = Kiesgruben sind für einige Vogelarten wie die Uferschwalbe (''Riparia riparia'') oder den Bienenfresser (''Merops apiaster'') zu einem wichtigen Ersatzlebensraum geworden<br />
}}<br />
<br />
[https://www.biodivers.ch/de/index.php/Abbaugebiete Abbaustellen wie Kiesgruben und Steinbrüche] sind vom Menschen geschaffene künstliche Lebensräume, die von der Struktur her natürlichen Felswänden oder Ufern von Flüssen (vegetationsloser Boden, Sandwände) ähneln und deswegen von manchen spezialisierten (Vogel)arten besiedelt werden. Da in der Schweiz kaum noch natürliche Flussläufe vorhanden sind, sind Kiesgruben für manche Arten (z. B. Flussregenpfeifer ''Charadrius dubius'', Uferschwalbe ''Riparia riparia'') ein wichtiger Ersatzlebensraum geworden. Allerdings bestehen diese Lebensräume meist nur für eine befristete Zeit.<br />
<br />
Massnahmen:<br />
* bestehende Brutplätze in Abbaustellen nach Möglichkeit erhalten (mit Absperrungen sichern, Brutwand jährlich ausserhalb der Brutzeit neu abstechen, um Erosion entgegen zu wirken)<br />
* bei Schliessung der Abbaustelle Ersatzbrutplätze schaffen (z. B. Sandschüttung für Uferschwalben) <br />
* Besucherdruck verringern<br />
* Naturnahe Rekultivierung nach Aufgabe der Nutzung<br />
<br />
'''Link'''<br />
* [https://www.birdlife.ch/de/content/artenfoerderungsprogramm-uferschwalbe Förderung der Uferschwalbe]<br />
* [https://www.landschaftundkies.ch/media/web/landschaftundkies.ch/media/medien/publikationen/natur/leitfaden_uferschwalbe_de.pdf Leitfaden zur Förderung der Uferschwalbe in der Schweiz]<br />
<br />
== Allgemeine Fördermassnahmen ==<br />
In allen Lebensräumen wird die Vielfalt der Kleinlebewesen durch das Anlegen von Kleinstrukturen (Stein- und Asthaufen, Altgrasstreifen, usw.) gefördert. Vögel profitieren direkt von den vorhandenen Strukturen (z. B. Brutplatz) und indirekt durch ein höheres Nahrungsangebot.<br />
<br />
* [http://www.wieselnetz.ch/wp-content/uploads/2016/03/Foerderkonzept_Kleinstrukturen_121121.pdf Merkblatt Kleinstrukturen]<br />
* [http://www.birdlife.ch/sites/default/files/documents/asthaufen.pdf Merkblatt Asthaufen und Wurzelteller]<br />
* [http://www.unine.ch/files/live/sites/karch/files/Doc_a_telecharger/Praxismerkblaetter/Reptilien/Praxismerkblatt_Holzhaufen.pdf Merkblatt Holzhaufen und Holzbeigen]<br />
* [http://www.birdlife.ch/sites/default/files/documents/kopfweiden.pdf Merkblatt Kopfweiden]<br />
* [http://www.birdlife.ch/sites/default/files/documents/saeume.pdf Merkblatt Krautsäume, Borde und Altgras]<br />
* [http://www.birdlife.ch/sites/default/files/documents/tuempel.pdf Merkblatt Pfützen und Tümpel]<br />
* [http://www.birdlife.ch/sites/default/files/documents/steinhaufen.pdf Merkblatt Steinhaufen]<br />
* [http://www.unine.ch/files/live/sites/karch/files/Doc_a_telecharger/Praxismerkblaetter/Reptilien/Praxismerkblatt_Steinhaufen.pdf Merkblatt Steinhaufen und Steinwälle]<br />
* [http://www.birdlife.ch/sites/default/files/documents/trockenmauern.pdf Merkblatt Trockenmauern]<br />
* [https://stonewalls.ch/sites/default/files/public/documents/downloads/Trockenmauer_Oekologie_D.pdf Ökologie der Trockenmauern]<br />
* [http://www.bff-spb.ch/de/biodiversitaetsfoerderflaechen/ Biodiversitätsförderung in der Schweizer Landwirtschaft – Trockenmauern, Steinhaufen, Säume, usw.]<br />
<br />
= Artenförderung =<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = storch_auerhahn_michigerber.png<br />
| text = Der Weissstorch (''Ciconia ciconia'') und das Auerhuhn (''Tetrao urogallus'') gehören sowohl zu den National Prioritären Vogelarten wie auch zu den Prioritätsarten Artenförderung<br />
}}<br />
<br />
Für manche Vogelarten sind die Massnahmen des Naturschutzes auf der ganzen Fläche oder das Ausscheiden von Schutzgebieten allein nicht ausreichend. Sie benötigen zusätzliche, spezifische Artenförderungsprogramme. 2003 haben BirdLife Schweiz, die Schweizerische Vogelwarte Sempach und das Bundesamt für Umwelt BAFU das Programm „Artenförderung Vögel Schweiz“ gestartet, um bestehende Artenförderungsprojekte zu koordinieren, neue Vorhaben zu lancieren und die verschiedenen Akteure fachlich zu unterstützen. Aufgrund der Stellung in der nationalen Roten Liste und der internationalen Bedeutung der Schweiz für eine Art wurden 118 National Prioritäre Vogelarten bezeichnet und davon wurden unter Berücksichtigung des Handlungsbedarfs sowie der Wirksamkeit bereits vorhandener Naturschutzinstrumente [https://www.ala-schweiz.ch/images/stories/pdf/ob/2010_107/OrnitholBeob_2010_107_265_Keller.pdf 50 Prioritätsarten Artenförderung] bezeichnet.<br />
<br />
'''Links'''<br />
* [http://www.artenfoerderung-voegel.ch Programm Artenförderung Vögel Schweiz]<br />
* [http://www.artenfoerderung-voegel.ch/priorittsarten.html Liste der 50 Prioritätsarten]<br />
* [http://www.artenfoerderung-voegel.ch/fachberichte.html Überblick über die Bedürfnisse und Massnahmen für alle 50 Arten]<br />
<br />
Für folgende Arten sind nationale Aktionspläne erstellt worden:<br />
* [http://www.artenfoerderung-voegel.ch/auerhuhn.html Auerhuhn (''Tetrao urogallus'')]<br />
* [http://www.artenfoerderung-voegel.ch/mittelspecht.html Mittelspecht (''Leiopicus medius'')]<br />
* [http://www.artenfoerderung-voegel.ch/flussuferlufer.html Flussuferläufer (''Actitis hypoleucos'')]<br />
* [http://www.artenfoerderung-voegel.ch/weissstorch.html Weissstorch (''Ciconia ciconia'')]<br />
* [http://www.artenfoerderung-voegel.ch/wiedehopf.html Wiedehopf (''Upupa epops'')]<br />
* [http://www.artenfoerderung-voegel.ch/steinkauz.html Steinkauz (''Athene noctua'')]<br />
* [http://www.artenfoerderung-voegel.ch/wachtelk.html Wachtelkönig (''Crex crex'')]<br />
<br />
Merkblätter und Informationen für die Förderung einzelner Arten:<br />
* [http://www.birdlife.ch/sites/default/files/documents/Merkblatt_Eisvogel_d.pdf Eisvogel (''Alcedo atthis'')]; siehe Entwicklung der Eisvogelbestände in den [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Praxisbeispiele#Thurauen Thurauen]<br />
* [https://www.vogelwarte.ch/de/projekte/publikationen?publicationId=1091 Feldlerche (''Alauda arvensis'')]<br />
* [http://www.birdlife.ch/sites/default/files/documents/FSKB_Flussregenpfeifer_2016.pdf Flussregenpfeifer (''Charadrius dubius'')]<br />
* [http://www.birdlife.ch/sites/default/files/documents/gartenrotschwanz.pdf Gartenrotschwanz (''Phoenicurus phoenicurus'')] (siehe auch das Merkblatt zu [http://www.artenfoerderung-voegel.ch/assets/files/merkblaetter/FB_Lueckige_Vegetation.pdf lückiger Vegetation])<br />
* [https://www.birdlife.ch/sites/default/files/documents/br_segler_2016_de.pdf Nistplätze für Mauer- und Alpensegler (''Apus apus'' und ''Tachymarptis melba'')] <br />
* Mauersegler (''Apus apus''): [http://www.birdlife.ch/sites/default/files/documents/SVS-Seglermerkblatt.pdf Mauersegler, das Wichtigste in Kürze]<br />
* [http://www.birdlife.ch/sites/default/files/documents/Mehlschwalbe_MB.pdf Mehlschwalbe (''Delichon urbicum'')]<br />
* Neuntöter (''Lanius collurio''):<br />
** [https://birdlife.ch/de/content/foerderung-des-neuntoeters Förderung des Neuntöters]<br />
** Dank des [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Farnsberg_.28BL.29 Obstgartenprojekts Farnsberg] konnte der Neuntöter stark gefördert werden.<br />
** im Ornis-Artikel [[Media:Schuck 2020 Von den Erfahrungen profitieren Orn2 17-19 Neuntoeter.pdf|«Von den Erfahrungen profitieren - Den Neuntöter fördern»]] wird aufgezeigt, auf was der Charaktervogel der Hecken angewiesen ist.<br />
<br />
<br />
Für Gemeinden<br />
* [http://www.vogelwarte.ch/assets/files/publications/upload2018/Michler_et_al_2018_Faktenblatt_Mehlschwalbe_Gemeinde.pdf Wohnungsnot bei der Mehlschwalbe - Faktenblatt]<br />
<br />
Für Private<br />
* [https://www.vogelwarte.ch/de/projekte/publikationen?publicationId=1522 Unter einem Dach mit der Mehlschwalbe - Faktenblatt]<br />
* [http://www.birdlife.ch/sites/default/files/documents/MB_Mittelspecht.pdf Mittelspecht (''Leiopicus medius'')]<br />
* [http://www.birdlife.ch/sites/default/files/documents/fb_turmfalke_schleiereule_d.pdf Schleiereule (''Tyto alba'')]<br />
* [http://www.birdlife.ch/sites/default/files/documents/MB_Steinkauz.pdf Steinkauz (''Athene noctua'')]<br />
* [http://www.birdlife.ch/sites/default/files/documents/2013-Merkblatt_Wachtelkoenig_D_kl.pdf Wachtelkönig (''Crex crex'')]<br />
* [http://www.birdlife.ch/sites/default/files/documents/SVS-MB_Wiedeh_D.pdf Wiedehopf (''Upupa epops'')] <br />
<br /> <br />
Kompetente Beratung für Artenschutzprojekte erhalten Sie bei [[#Praxisrelevante_Links|BirdLife Schweiz oder der Schweizerischen Vogelwarte Sempach]].<br />
<br /> <br />
<br />
<br />
Weitere Grundlagen für Artenschutzprojekte: <br />
* Der Kanton Luzern hat für [https://lawa.lu.ch/-/media/LAWA/Dokumente/Temp/Dokumente/Arten/leitarten/4_anhang_c.pdf?la=de-CH&hash=56D697FBD4D42A955AC648E599EDEFA7555B77C3 55 Vogelarten] kurze Steckbriefe erarbeitet.<br />
* 10 Artensteckbriefe aus Frankreich ([http://www.trameverteetbleue.fr/documentation/cote-recherche/syntheses-bibliographiques-especes Synthèses bibliographiques sur les traits de vie d'espèces]).<br />
<br />
== Nisthilfen ==<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = nisthilfe_mschuck_96_dpi.png<br />
| text = Diese künstliche Wiedehopfbrutnische in einer Trockensteinmauer hilft den Mangel an natürlichen Nisthöhlen zu überbrücken<br />
}}<br />
<br />
Nisthilfen sind dort, wo nicht ausreichend natürliche Strukturen als Nistplätze vorhanden sind, ein Teil der Artenförderung für Höhlenbrüter. Langfristiges Ziel sollte sein, dass mit Lebensraummassnahmen mit der Zeit wieder ausreichend natürliche Nistmöglichkeiten existieren. Im Kapitel Artenschutz sind unter den Links zu den Arten auch Angaben zu spezifischen Nisthilfen zu finden.<br />
<br />
'''Links'''<br />
* [https://www.vogelwarte.ch/de/voegel/ratgeber/nisthilfen/ Nisthilfen für verschiedene Arten]<br />
* [http://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/voegel/helfen/nistkaesten/index.html Nistkästen selber bauen]<br />
<br />
== Fütterung ==<br />
<br />
<!-- <br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = <br />
| text = Vögel sollten nur bei Schnee und gefrorenem Boden gefüttert werden und auf die Hygiene soll geachtet werden<br />
}}<br />
--><br />
Eine sachgemässe Zufütterung in Zeiten mit Nahrungsmangel kann den Kleinvögeln im Siedlungsbereich das Überleben erleichtern, vor allem bei Schnee und gefrorenem Boden im Winter. Seltene und gefährdete Arten kommen kaum an die Futterstellen in den Siedlungsräumen. Fütterung ist keine nachhaltige Artenförderungsmassnahme.<br />
Futterstellen bieten aber eine gute Gelegenheit, Vögel aus der Nähe zu beobachten und ermöglichen somit schöne Naturerlebnisse und eine Sensibilisierung für die Vogelwelt. Deshalb ist gegen ein sachgemässes und massvolles Füttern im Winter nichts einzuwenden. Es ist besonders auf die Hygiene am Futterhäuschen zu achten, sowie auf das Verabreichen von artgerechter Nahrung (z. B. kein Brot).<br />
<br />
'''Links'''<br />
* [http://www.birdlife.ch/sites/default/files/documents/MB_Fuetterung_Kleinvoegel_D_2014.pdf Merkblatt Fütterung von Kleinvögeln]<br />
* [http://www.birdlife.ch/sites/default/files/documents/MB_Fuetterung_Wasservoegel_D_2016.pdf Merkblatt Fütterung von Wasservögeln]<br />
* [http://www.birdlife.ch/sites/default/files/documents/merkblaetter/MB_Winterfuetterung_Greifvoegel_Eulen_D_2013.pdf Merkblatt Winterfütterung von Greifvögeln und Eulen]<br />
<br />
== Wiederansiedlung von Vögeln ==<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Bartgeieraussetzung_Hansruedi_Weyrich_und_Stiftung_Pro_Bartgeier.png<br />
| text = Wiederansiedlung von Bartgeiern (''Gypaetus barbatus'') in der Innerschweiz<br />
}}<br />
<br />
Das Konzept Artenförderung des Bundes, sowie die IUCN haben klare Richtlinien erstellt, wann eine Wiederansiedlung von Vögeln (und anderen Organismen) in Frage kommt. Unter anderem gilt es abzuklären, ob das Ziel-Gebiet zum natürlichen historischen Verbreitungsgebiet der Art gehört, ob die Ursachen für das Aussterben der Art behoben sind, ob nicht eine natürliche Wiederbesiedlung mittelfristig zu erwarten ist und ob die künstliche Wiederansiedlung Teil eines nationalen oder internationalen Konzeptes ist. Bei der erfolgreichen Ansiedlung des Bartgeiers war dies der Fall.<br />
<br />
'''Links'''<br />
* [http://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/biodiversitaet/fachinfo-daten/konzept_artenfoerderungschweiz.pdf.download.pdf/konzept_artenfoerderungschweiz.pdf Konzept Artenförderung Schweiz]<br />
* [https://portals.iucn.org/library/efiles/documents/2013-009.pdf IUCN Guidelines for Reintroductions and Other Conservation Translocations]<br />
* Webseite der [http://bartgeier.ch/ Stiftung Pro Bartgeier] zur Wiederansiedlung in der Schweiz<br />
<br />
== «Virtual Data Center VDC» ==<br />
<br />
In die Datenbank des Projekts «Virtual Data Center VDC» werden seit 2014 die Fundorte sämtlicher Organismengruppen eingespeist, um sie bei naturschutzrelevanten Projekten berücksichtigen zu können. Mit der Datenbank sollen insbesondere die Bedürfnisse der kantonalen Fachstellen abgedeckt werden. Diese Daten sind für die Öffentlichkeit nicht zugänglich.<br />
<br />
= Gefährdung =<br />
Gemäss der Roten Liste der Brutvögel (BAFU 2010) sind 78 (39%) der 199 beurteilten Vogelarten gefährdet. Arten der Roten Liste finden sich in allen Lebensräumen, aber der Anteil der gefährdeten Arten ist im Kulturland und in den Feuchtgebieten deutlich höher als im Wald oder in alpinen Lebensräumen. Zur aktuellen Roten Liste siehe Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/V%C3%B6gel#Aktuell Aktuell].<br />
<br />
== Lebensraumverlust ==<br />
<br />
Die wichtigste Gefährdungsursache für Vögel ist die anhaltende Zerstörung der Lebensräume, sowie die schleichende Verschlechterung der Lebensraumqualität. Letzteres betrifft insbesondere das Kulturland und die Feuchtgebiete. Im Kulturland führen die fortschreitende Industrialisierung und Intensivierung zu immer monotoneren, artenarmen Flächen. Auch lassen die häufigen Bearbeitungsschritte in den Flächen den Bodenbrütern kaum noch Brutchancen. Die Feuchtgebiete werden zunehmend trockener und verlieren die typischen Arten. Für Massnahmen siehe Kapitel Erhalt und Förderung unter dem jeweiligen Lebensraum.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = monotone_landwirtschaft_birdlifeschweiz_96_dpi.png<br />
| text = Eine solche strukturarme, homogene Kulturlandschaft bietet (fast) keiner Vogelart mehr einen Lebensraum.<br />
}}<br />
<br />
== Störungen ==<br />
<br />
Für viele Arten sind die zunehmenden Störungen durch menschliche Aktivitäten ein immer gravierenderes Problem. Freizeitaktivitäten finden immer mehr auch weit ab von Wegen statt. Störungen des Brutgeschäftes führen zum Verlassen des Brutplatzes, zur Aufgabe von Gelegen oder zum Auskühlen und Absterben von Eiern und Jungvögeln. Störungen im Winter zehren an den Energiereserven, senken die Überlebenschancen sowie die Reproduktionschancen in der nachfolgenden Brutsaison. Wichtig sind daher ausreichende Störungspufferzonen bei Vorranggebieten, besonders Biotopen von nationaler Bedeutung, Besucherlenkungskonzepte und Wildtierruhezonen.<br />
<br />
'''Links'''<br />
* Unterlagen und Studien zum [https://www.natursport.info/ Einfluss von Freizeitaktivitäten] auf Vögel <br />
* Forschung zum [http://www.vogelwarte.ch/de/projekte/stress-und-stoerungen/einfluss-freizeitaktivitaeten Einfluss von Freizeitaktivitäten] auf Vögel <br />
* Informationen zu [https://www.birdlife.ch/de/content/stoerungen-und-besucherlenkung Störungen und Besucherlenkung] <br />
* Störungen durch Drohnen:<br />
** [https://www.birdlife.ch/de/content/drohnen Informationen auf der Webseite von BirdLife Schweiz]<br />
** [https://www.vogelwarte.ch/de/voegel/ratgeber/gefahren-fuer-voegel/ruecksicht-beim-fliegen-mit-drohnen Rücksicht beim Fliegen mit Drohnen]<br />
* [https://www.vogelwarte.ch/de/voegel/beobachten/verantwortungsvolles-beobachten-und-fotografieren-der-voegel Verhaltenskodex Beobachten und Fotografieren]<br />
<br />
== Kollisionen und andere Unfälle ==<br />
<br />
Hunderttausende von Vögeln kollidieren jedes Jahr in der Schweiz an Glasflächen, Windenergieanlagen, Stromleitungen und Strommasten oder kommen um, weil sie sich in Rebnetzen oder anderen Ernteschutznetzen verfangen. Viele dieser Gefahrenstellen könnten durch eine sorgfältige Planung und einen angepassten Bau, eine korrekte Montage, respektive das Anbringen von Schutzmassnahmen entschärft werden.<br />
<br />
'''Links'''<br /> <br />
Massnahmen zur Verhinderung von Kollisionen an Glasflächen: <br />
* [http://www.birdlife.ch/de/glas Informationen auf der Webseite von BirdLife Schweiz]<br />
* [https://www.vogelglas.vogelwarte.ch/ Informationen auf der Webseite der Vogelwarte]<br />
* [https://www.provogel.ch/ Informationen auf proVogel]<br />
<br />
Vogelfalle Kamin:<br />
* [https://www.vogelwarte.ch/de/voegel/ratgeber/gebaeude-und-voegel/vogelfalle-kamine Informationen auf der Webseite der Vogelwarte]<br />
<br />
Vogelschutz an Starkstrom-Freileitungen: <br />
* [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/landschaft/publikationen-studien/publikationen/vogelschutz-an-starkstrom-freileitungen.html Empfehlungen für die Gestaltung von Leitungen und Masten]<br />
* [https://www.birdlife.ch/de/content/stromleitungen Informationen auf der Webseite von BirdLife Schweiz]<br />
* [https://www.vogelwarte.ch/de/projekte/konflikte/freileitungen/ Informationen auf der Webseite der Vogelwarte]<br />
<br />
Windenergieanlagen:<br />
* Empfehlungen zu Minimalabständen zwischen Vorkommen von sensiblen Vogelarten und [http://www.birdlife.ch/windenergie Windenergieanlagen]<br />
<br />
Landwirtschaft:<br />
* Fachgerechtes Anbringen von [http://www.birdlife.ch/rebnetze Rebnetzen und Ernteschutznetzen]<br />
* Die Arbeitsgruppe Rebnetze hat ein [https://swisswine.ch/de/feststellungsformular-verhedderte-tiere-rebnetzen-nicht-korrekt-montierte-rebnetze Meldetool] geschaffen, mit dem nicht korrekt gespannte Netze oder darin gefangene Vögel gemeldet werden können. <br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = glas_birdlifeschweiz_96_dpi.png<br />
| text = Transparente oder spiegelnde Glasflächen stellen ein grosses Kollisionsrisiko für Vögel dar. Das Verwenden von gemustertem Glas und konsequente Planung machen das Hindernis für die Vögel sichtbar<br />
}}<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = netze_birdlifeschweiz_96_dpi.png<br />
| text = Ein sachgerechtes Anbringen von Rebnetzen verhindert solche Vogelfallen (junger Grünspecht ''Picus viridis'')<br />
}}<br />
<br />
== Eingeführte Arten ==<br />
<br />
Gemäss der Biodiversitäts-Konvention sind vom Menschen eingeschleppte oder eingeführte Arten die zweitwichtigste Bedrohung für die weltweite Artenvielfalt gleich nach dem Lebensraumverlust. Probleme bereiten sowohl eingeführte Pflanzen (Neophyten) wie auch eingeführte Tiere (Neozoen). Für Vögel sind invasive Neophyten problematisch, da diese den Lebensraum stark verändern und das Nahrungsangebot (Pflanzensamen, Insekten) drastisch verringern können. Es bestehen in Europa aber auch Probleme mit eingeführten Vogelarten, da diese mit einheimischen Arten hybridisieren können und so heimischen Arten gefährden (Schwarz- ''Oxyura jamaicensis'' und Weisskopfruderente ''Oxyura leucocephala'') oder Konkurrenten sind (Rostgans ''Tadorna ferruginea'', Nilgans ''Alopochen aegyptiaca''). Wenn eine Art sich stark ausbreitet, ist es meist schon zu spät für Massnahmen. Es sollte deswegen beim Auftreten gebietsfremder Arten sofort eine Ansiedlung verhindert werden.<br />
<br />
'''Links'''<br />
* [http://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/fachinformationen/massnahmen-zur-erhaltung-und-foerderung-der-biodiversitaet/erhaltung-und-foerderung-von-arten/invasive-gebietsfremde-arten.html Invasive gebietsfremde Arten], Strategie der Schweiz <br />
* [https://www.birdlife.ch/de/content/eingefuehrte-arten Neozoen und Neophyten]<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = rostgans_michigerber_96_dpi.png<br />
| text = Gefangenschaftsflüchtlinge der ursprünglich aus Asien stammenden Rostgans (''Tadorna ferruginea'') haben sich in Europa etablieren können, breiten sich aus und können einheimische Entenarten, Turmfalke (''Falco tinnunculus'') und Schleiereule (''Tyto alba'') konkurrenzieren<br />
}}<br />
<br />
== Menschliche Verfolgung ==<br />
<br />
Der Mensch tötet absichtlich oder unabsichtlich Vögel. Zu nennen sind hier die Jagd, die Wilderei, sowie die absichtliche und die unabsichtliche Vergiftung. In der Schweiz ist die Jagd auf drei Prioritätsarten Artenförderung erlaubt (Birkhuhn ''Tetrao tetrix'', Alpenschneehuhn ''Lagopus muta'' und Waldschnepfe ''Scolopax rusticola''), davon wird die Waldschnepfe auf der Roten Liste als verletzlich geführt. Grosse Zahlen an Zugvögeln werden im Mittelmeerraum legal oder illegal geschossen oder gefangen, auch Arten, für die bei uns Schutzprojekte laufen. In der Schweiz spielt die Wilderei keine wesentliche Rolle.<br />
Seit ungefähr 10 Jahren treten vermehrt absichtliche Vergiftungen von Greifvögeln (insbesondere Wanderfalke ''Falco peregrinus'' durch Taubenzüchter) auf. Unabsichtliche Vergiftungen entstehen durch die Aufnahme von Bleimunition (z. B. durch Steinadler, Enten) oder die Aufnahme von Gift, das gegen andere Tiere (z. B. Wühlmäuse) verwendet wird. <br />
<br />
'''Links'''<br />
* [http://www.vogelwarte.ch/de/projekte/konflikte/bleivergiftung-bei-steinadlern Bleivergiftung bei Adlern]<br />
* [http://www.birdlife.ch/sites/default/files/documents/Merkblatt_Wanderfalken_D.pdf Merkblatt „Vorsätzliche Vergiftung von Wanderfalken und anderen Greifvögeln“]<br />
* [https://www.cms.int/en/news/birdlife-presents-killing-20 Report von BirdLife International zum illegalen Vogeltöten in Europa]<br />
<br />
== Klimaerwärmung ==<br />
<br />
Grundsätzlich sind mit einer Klimaerwärmung weitere Arten in der Schweiz zu erwarten. Einige südliche Arten werden ihr Areal nach Norden ausdehnen können, doch benötigen auch diese intakte Lebensräume. Allerdings gibt es auch Verlierer: für manche an hohe Gebirgslagen angepasste Arten (z. B. Alpenschneehuhn Lagopus muta) wird es zu einer Verkleinerung des zur Verfügung stehenden Lebensraums kommen. Offen ist auch, ob alle Vogelarten sich ausreichend schnell an die sich verändernden Lebensräume anpassen können.<br />
<br />
= Wissenslücken =<br />
<br />
Vögel sind eine vergleichsweise gut untersuchte Organismengruppe. Für die Brutvogelarten der Schweiz besteht in vielen Fällen ausreichend Wissen über die Gefährdungsursachen und die nötigen Schutzmassnahmen. Oft ist das Wissen zwar unvollständig, es reicht aber, um aufgrund von Experteneinschätzungen, die nötigen Massnahmen einzuleiten, während weitergehende Forschung betrieben wird. Für eine Minderheit der prioritären Arten (z. B. Steinhuhn ''Alectoris graeca'', Grauspecht ''Picus canus'', Fitis ''Phylloscopus trochilus'') ist fraglich, ob ausreichend Wissen für erste Massnahmen vorhanden ist. Hier ist insbesondere ökologische Forschung, z. B. zur Nahrungsverfügbarkeit und ihrem Zusammenhang mit dem Bruterfolg, dringend notwendig.<br />
<br />
'''Link'''<br />
* [http://www.artenfoerderung-voegel.ch/fachberichte.html Wissenslücken für gewisse Prioritätsarten Artenförderung Vögel Schweiz]<br />
<br />
= Praxisbeispiele = <br />
<br />
Auerhuhn (''Tetrao urogallus''):<br />
* [https://www.wsl.ch/de/projekte/populationsmodell-auerhuhn.html Projekt zur Förderung des Auerhuhns durch die WSL]<br />
<br />
Braunkehlchen (''Saxicola rubetra''):<br />
* [https://www.vogelwarte.ch/de/projekte/prioritaetsarten/artenfoerderung-braunkehlchen/ Artenförderung Braunkehlchen der Vogelwarte]<br />
<br />
Feldlerche (''Alauda arvensis''):<br />
* [http://www.andelfinger-naturschutzverein.ch/feldlerchenprojekt/ Feldlerchenprojekte Kanton Zürich]<br />
<br />
Kiebitz (''Vanellus vanellus''):<br />
* [https://www.birdlife-zuerich.ch/projekte-service/100xzuerinatur/projektliste/detail/projekt/kiebitzfoerderung-im-ackerbaugebiet/ Projekt von BirdLife Zürich]<br />
* [http://www.birdlife.ch/kiebitz Artenförderung Kiebitz bei BirdLife Schweiz ]<br />
* [https://www.vogelwarte.ch/de/vogelwarte/news/avinews/april-2015/wie-retten-wir-den-kiebitz Wauwiler Moos]<br />
<br />
Rotmilan (''Milvus milvus''):<br />
* [https://www.rotmilan.org/ Projekt Rotmilan Land zum Leben]<br />
<br />
Vögel der Hochstammobstgärten:<br />
* [https://www.birdlife.ch/de/content/obstgarten-farnsberg Förderprojekt von BirdLife Schweiz für die Vogelarten der Hochstammobstgärten im Farnsberg]<br />
<br />
Vögel der Rebberge:<br />
* [https://www.birdlife.ch/de/content/artenfoerderungsprojekt-buendner-herrschaft Förderprojekt von BirdLife Schweiz für Vogelarten der Rebberge in der Bündner Herrschaft]<br />
<br />
Wendehals (''Jynx torquilla''):<br />
* [https://www.birdlife.ch/de/content/artenfoerderungsprogramm-wendehals Förderprojekte Wendehals von BirdLife Schweiz]<br />
<br />
= Praxisrelevante Links =<br />
<br />
'''Ansprechpartner Vogelthemen:'''<br />
* [https://www.birdlife.ch BirdLife Schweiz]<br />
* [https://www.birdlife.ch/kantonalverbaende Kantonalverbände von BirdLife Schweiz] <br />
* [https://www.vogelwarte.ch Schweizerische Vogelwarte Sempach]<br />
* [http://www.artenfoerderung-voegel.ch Artenförderung Vögel Schweiz]<br />
* [https://www.ala-schweiz.ch/ Ala - Schweizerische Gesellschaft für Vogelkunde und Vogelschutz]<br />
* [https://www.nosoiseaux.ch Nos Oiseaux – Société romande pour l’étude et la protection des oiseaux]<br />
<br />
'''Vogelpflegestationen:'''<br />
* [https://www.birdlife.ch/sites/default/files/documents/pflegestationen.pdf Liste der Vogelpflegestationen in der Schweiz]<br />
<br />
'''Relevante Vogellisten:'''<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-der-brutvoegel-2021.html Rote Liste der Brutvögel der Schweiz]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/liste-national-prioritaeren-arten.html National prioritäre Vogelarten]<br />
* [http://www.artenfoerderung-voegel.ch/priorittsarten.html Prioritätsarten Artenförderung Vögel Schweiz]<br />
* [https://www.vogelwarte.ch/de/voegel/voegel-der-schweiz/ Bestandsentwicklung der Vogelarten der Schweiz]<br />
<br />
'''Bildungsangebot:'''<br />
* [https://www.birdlife.ch/de/kurse Kurse]<br />
Angebot für Schulen: <br />
* [https://www.birdlife.ch/de/content/umweltbildung-in-der-schule Umweltbildung in der Schule]<br />
* [https://www.vogelwarte.ch/de/besuch/schulen/ Schulklassen]<br />
* [https://www.storchenforscher.ch www.storchenforscher.ch]<br />
<br />
'''Ratgeber zu Fragen/Problemen rund um die Vögel:'''<br />
* [http://www.birdlife.ch/de/ratgeber Rat+Tat]<br />
* [http://www.vogelwarte.ch/de/voegel/ratgeber/ www.vogelwarte.ch/de/voegel/ratgeber]<br />
<br />
'''Vogelbestimmung:'''<br />
* [https://www.biofotoquiz.ch/domain/standard/id/3 Biofotoquiz – Vögel]<br />
<!-- * [http://www.oiseaux.net/identifier/ Französische Vogelnamen] <span style="background-color:yellow">(ev. weglassen, nicht sehr detaillierte Bestimmungshilfe)</span> --><br />
<br />
'''Links aus dem Ausland:'''<br />
* [http://www.birdlife.org BirdLife International, Dachverband der nationalen Vogelschutzorganisationen]<br />
* [https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/voegel/ NABU, Naturschutzbund Deutschland, BirdLife-Partner in Deutschland]<br />
* [https://www.lpo.fr LPO, Ligue pour la protection des oiseaux, BirdLife-Partner in Frankreich]<br />
* [http://www.lipu.it LIPU, Lega Italiana Protezione Uccelli, BirdLife-Partner in Italien]<br />
* [https://www.rspb.org.uk RSPB, Royal Society for the Protection of Birds, BirdLife-Partner in Grossbritannien]<br />
* [http://www.dda-web.de/ Dachverband Deutscher Avifaunisten]<br />
* [http://www.do-g.de/ Deutsche Ornithologen Gesellschaft]<br />
<br />
= Literaturempfehlungen = <br />
<br />
== Grundlagen- und Übersichtswerke ==<br />
<br />
* '''Die Vögel der Schweiz'''. L. Vallotton, L. Maumary, P. Knaus. Schweizerische Vogelwarte, Sempach. 2007. Grossformatiges Nachschlagwerk über Aussehen, Verhalten, Verbreitung und Zug der 419 in der Schweiz brütenden und als Durchzügler vorkommenden Vogelarten. Alle Arten werden in derselben Weise vorgestellt, indem ihre Verbreitung, ihr Lebensraum und Verhalten, ihre Wanderungen, die Entwicklung der Bestände, die Brutbiologie in der Schweiz und ihr Schutz beschrieben werden. Zusätzlich stellen Karten die Ringfunde von in der Schweiz beringten Vögeln im Ausland und hierzulande abgelesene Ringe anderer Beringungsstationen dar.<br />
* '''Das Kompendium der Vögel Mitteleuropas: Alles über Biologie, Gefährdung und Schutz'''. H.-G. Bauer, E. Bezzel, W. Fiedler. AULA-Verlag, Wiebelsheim, 2005. Ein bewährtes Nachschlagwerk in drei Bänden über Vorkommen, Biologie, Verbreitung, Bestandsentwicklung, Gefährdung und Schutz der Vogelwelt Europas. Der erste Band enthält die Artkapitel zu allen Ordnungen ausser den Sperlingsvögeln. Im zweiten Band wird die grosse Gruppe der Sperlingsvögel abgehandelt. Der dritte Band enthält das Literaturverzeichnis, Informationen zu Neozoen, Roten Listen und Konventionen zum Schutz der Vögel, sowie ein Glossar zu den wichtigsten Fachbegriffen. <br />
* '''Handbuch der Vögel Mitteleuropas''' (17 Bände in 23 Teilen). U. N. Glutz von Blotzheim et al. AULA-Verlag, Wiesbaden, 1966-1997. Auch wenn manche Bände des Handbuchs schon etwas älter sind, gilt es nach wie vor als Standardwerk der mitteleuropäischen Ornithologie. Jede Art wird detailliert abgehandelt mit Beschreibung (Aussehen und Stimme), Verbreitung, Bestand und Bestandsentwicklung, Wanderungen, Biotop, Fortpflanzung, Verhalten und Nahrung.<br />
<!-- <br />
<span style="background-color:yellow">Noch abklären, ob die Baden-Württemberger Werke aufgeführt werden sollen</span><br />
<br />
* Hölzinger, J., Andris, K., Institut für Oekologie und Naturschutz, Vogelwarte Radolfzell, Deutscher Bund für Vogelschutz. Landesverband Baden-Württemberg, 1987a. Die Vögel Baden-Württembergs. Band 1 Gefährdung und Schutz. Teil 1: Artenschutzprogramm Baden-Württemberg Grundlagen, Biotopschutz. Ulmer, Karlsruhe, Deutschland.<br />
<br />
* Hölzinger, J., Andris, K., Institut für Oekologie und Naturschutz, Vogelwarte Radolfzell, Deutscher Bund für Vogelschutz. Landesverband Baden-Württemberg, 1987b. Die Vögel Baden-Württembergs. Band 1 Gefährdung und Schutz. Teil 2: Artenschutzprogramm Baden-Württemberg Artenhilfsprogramme. Ulmer, Karlsruhe, Deutschland.<br />
<br />
* Hölzinger, J., Andris, K., Institut für Oekologie und Naturschutz, Vogelwarte Radolfzell, Deutscher Bund für Vogelschutz. Landesverband Baden-Württemberg, 1987c. Die Vögel Baden-Württembergs. Band 1 Gefährdung und Schutz. Teil 3: Artenschutzrecht, Historischer Teil. Ulmer, Karlsruhe, Deutschland.<br />
--><br />
<br />
== Praxisrelevante Literatur ==<br />
<br />
Turmfalke und Schleiereule:<br />
* Schaad, M. 2008. Turmfalke und Schleiereule: wie sie leben - wie wir helfen können. Schweizer Vogelschutz SVS/BirdLife Schweiz, Zürich.<br />
* Spiess, M., Schaad, M., 2010. [http://www.birdlife.ch/sites/default/files/documents/fb_turmfalke_schleiereule_d.pdf Turmfalken und Schleiereulen fördern]. Schweizerische Vogelwarte Sempach und BirdLife Schweiz.<br />
<br />
Kiebitz:<br />
* Schifferli L, Rickenbach O, Koller Und A, Gruebler M, 2009. Massnahmen zur Förderung des Kiebitzes Vanellus vanellus im Wauwilermoos (Kanton Luzern): Schutz der Nester vor Landwirtschaft und Prädation. Ornithologischer Beobachter 106, 311–326.<br />
<br />
Landwirtschaft:<br />
* Kohli, L., Spiess, M., Herzog, F., Birrer, S., 2004. Auswirkungen ökologischer Ausgleichsflächen auf typische Kulturlandvögel und ihre Lebensräume. Schweizerische Vogelwarte, Sempach.<br />
<br />
Nisthilfen:<br />
* Nisthilfen für Vögel und andere heimische Tiere (2010) K. Richarz & M. Hormann. Aula Verlag. Dieses Buch zeigt, wie 48 Vogelarten aus allen Lebensräumen dank geeigneter Nisthilfen, aber auch anderer Massnahmen gefördert werden können. Nisthilfen für Säugetiere, Amphibien/ Reptilien und Insekten werden ebenfalls beschrieben. Dem umfassenden Buch ist eine CD mit den Bauanleitungen und mit Merkblättern beigelegt.<br />
<br />
== Bestimmungsliteratur ==<br />
<br />
* '''Der Kosmos-Vogelführer''': Alle Arten Europas, Nordafrikas und Vorderasiens. L. Svensson, K. Mullarney, D. Zetterström. Franckh-Kosmos Verlag, Stuttgart, 2017. Der Kosmos-Vogelführer ist das umfassendste Bestimmungsbuch aller Arten Europas, Nordafrikas und Vorderasiens. 900 Vogelarten werden auf über 4.000 Farbzeichnungen mit den verschiedenen Kleidern, Unterarten und Geschlechtern dargestellt. Erklärungen im Bild verweisen auf wichtige Merkmale. Detaillierte Texte beschreiben Lebensraum, Kennzeichen, Verbreitung und Stimme. Aktuelle Verbreitungskarten mit Brut- und Überwinterungsgebieten, Zugrouten runden das Standardwerk von den führenden Ornithologen und Vogelzeichnern der Welt ab. <br />
* '''Handbuch der Vogelbestimmung'''. Europa und Westpaläarktis. M. Beaman, S. Madge. Ulmer-Verlag, 2007. Das Handbuch beschreibt alle in Europa und der Westpaläarktis vorkommenden Vogelarten, inkl. Zugvögel und nicht heimische Arten. Auf mehr als 8000 Farbzeichnungen werden die unterschiedlichen Federkleider der Vögel abgebildet. Die Verbreitung der einzelnen Arten ist auf über 600 Karten dargestellt. Die wichtigen Merkmale jeder Art sind ausführlich beschrieben.<br />
<br />
== Nationale und überregionale Faunenwerke ==<br />
<br />
* '''Schweizer Brutvogelatlas 2013 – 2016. Verbreitung und Bestandsentwicklung der Vögel in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein'''. Knaus P., Antoniazza S., Wechsler S., Guélat J., Kéry M, Strebel N. & Sattler T. Schweizerische Vogelwarte, Sempach 2018. Auf 648 Seiten werden die aktuellen Vorkommen, die Häufigkeit und die Höhenverbreitung aller Brutvögel der Schweiz und des Fürstentums Liechtenstein präsentiert, was 249 Arten oder Unterarten ausmacht. Der Atlas zeigt auch die markanten Veränderungen der Schweizer Vogelwelt in den letzten zwanzig bis sechzig Jahren. Dargestellt werden die Entwicklungen auch getrennt nach Lebensraum und dem darin vorkommenden Artenspektrum. Das umfangreiche Werk ist eine zentrale Grundlage für den Schutz und die Förderung der einheimischen Vögel und ihrer Lebensräume.<br />
* '''Atlas des oiseaux de France métropolitaine. Nidification et présence hivernale'''. Issa N. & Muller Y. (eds). LPO, SEOF, MNHN. Delachaux et Niestlé, Paris 2015.<br />
* '''Atlas Deutscher Brutvogelarten. Atlas of German Breeding Birds'''. K. Gedeon et al. Stiftung Vogelmonitoring Deutschland und Dachverband Deutscher Avifaunisten, Münster 2014<br />
<br />
== Vögel in den verschiedenen Lebensräumen ==<br />
<br />
* Burkhardt, M., Keller, V., 2003. Vögel am Wasser. Schweizerische Vogelwarte Sempach, 2003.<br />
* Graf, R., Kestenholz, M., 2002. Vögel in den Alpen. Schweizerische Vogelwarte, Sempach.<br />
* Kohli, L., Schweizerische Vogelwarte Sempach, 2004. Vögel im Kulturland. Schweizerische Vogelwarte Sempach, Sempach.<br />
* Mollet, P., Pasinelli, G., Zbinden, N., 2011. Vögel im Wald, Themen aus der Vogelwelt. Schweizerische Vogelwarte, Sempach.<br />
* Martina Müller, Mathias Ritschard, 2014. Brutvögel an Fliessgewässern - Naturnahe Gewässer - ornithologische Vielfalt. Orniplan AG.<br />
Die Broschüren der Vogelwarte können [https://www.vogelwarte.ch/de/shop/broschueren/ hier bestellt werden].<br />
<br />
== Weitere Literatur und Websites ==<br />
<br />
* Bruderer, B., 2017. Vogelzug: Eine schweizerische Perspektive. Der ornithologische Beobachter. Ala, Schweizerische Gesellschaft für Vogelkunde und Vogelschutz, Sempach.<br />
<br />
* Heer, L. et al. 2008. Important Bird Areas IBA Schweiz - Suisse - Svizzera – Switzerland. Schweizer Vogelschutz SVS/BirdLife Schweiz und Schweizerische Vogelwarte Sempach, Zürich und Sempach.<br />
<br />
= Glossar =<br />
<br />
Glossar im dritten Band von ''Das Kompendium der Vögel Mitteleuropas: Alles über Biologie, Gefährdung und Schutz. H.-G. Bauer, E. Bezzel, W. Fiedler. AULA-Verlag, Wiebelsheim, 2005.''<br />
<br />
[http://glossaire.oiseaux.net Französisch]<br />
<br />
= Verschiedenes =<br />
<br />
== Vogelbeobachtungen melden ==<br />
<br />
Vogelbeobachtungen können auf folgenden Meldeplattformen gemeldet werden:<br />
* [https://www.ornitho.ch Schweiz]<br />
* [https://www.ornitho.at Österreich]<br />
* [https://www.ornitho.de Deutschland]<br />
* [https://www.faune-france.org Frankreich]<br />
<br />
= Newsletter =<br />
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<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || Eva Inderwildi || [https://www.birdlife.ch/ BirdLife Schweiz]<br />
|-<br />
| Review || Christian Meisser || [http://www.viridis-environnement.ch/ viridis environnement]<br />
|-<br />
| || Stefan Werner || [https://www.vogelwarte.ch/de/home/ Schweizerische Vogelwarte]<br />
|}</div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Reptilien&diff=4683
Reptilien
2023-03-04T10:31:41Z
<p>VB2: </p>
<hr />
<div>[[fr:Reptiles]]<br />
<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Ringelnatter_Natrix_natrix_Portrait_1_96_dpi.jpg<br />
| text = Die Ringelnatter (''Natrix natrix'') legt ihre Eier nach der Paarung in Kompost- und Streuhaufen oder andere feuchte, sich gut erwärmende Stellen ab.<br />
}}<br />
<br />
{|<br />
| Text || [http://biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers]<br />
|-<br />
| Zusammenarbeit || [http://www.karch.ch/karch/de/home/die-karch/team/andreas-meyer.html Andreas&nbsp;Meyer]<br />
|-<br />
| Publikation || Juni 2018<br />
|}<br />
<br /><br />
{{TOC limit|2}}<br />
= Zusammenfassung =<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Galerie_1.png<br />
| text = Die Zauneidechse (''Lacerta agilis'') besiedelt sehr unterschiedliche Lebensräume wie z. B. Waldränder, Bahnböschungen, Heckensäume oder Flussufer. Wichtig sind ungenutzte Bereiche und [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen Kleinstrukturen]. Rechts ist ein für Zauneidechsen interessantes kleinräumiges Mosaik von Wald und mageren Wiesen.<br />
}}<br />
<br />
In der Schweiz kommen 15 Reptilienarten vor. Sie besiedeln sehr unterschiedliche Lebensräume. In ihren Revieren muss es Sonn- und Versteckplätze sowie geeignete Winterquartiere, Eiablageplätze und Jagdgebiete geben. Reptilien benötigen mosaikartige Habitate und sie brauchen Unordnung. Schutz- und Fördermassnahmen für die Blindschleichen und die Eidechsenarten können praktisch überall und auch sehr kleinräumig umgesetzt werden. Projekte zur gezielten Förderung der Schlangenarten sollen hingegen dort erfolgen, wo die Arten noch vorkommen oder zumindest das Potenzial besteht, dass eine spontane Einwanderung erfolgt. Für die stark gefährdeten Arten sind grossflächige Massnahmen notwendig, wie die [[Renaturierung und Revitalisierung#Renaturierung und Revitalisierung|Revitalisierung von Fliessgewässern]] und die Schaffung von Pionierlebensräumen, während die weniger anspruchsvollen Arten bereits mit geringerem Aufwand gefördert werden können. Bei der Förderung der Zauneidechse (''Lacerta agilis'') ist die Konkurrenz durch die Mauereidechse zu beachten.<br />
<br />
Die Reptilien sind die am stärksten bedrohte Wirbeltiergruppe. Gefährdet sind vor allem jene Arten, die auf tiefergelegene Lebensräume angewiesen sind (unterhalb ca. 1000 m ü. M.) und entsprechend unter der Intensivierung der Landwirtschaft und der Zersiedelung leiden.<br />
<br />
= Systematik =<br />
Die Reptilien der Schweiz gehören zur Ordnung der Schuppenkriechtiere (Squamata), welche die Schlangen (Serpentes oder Ophidia) und Echsen (Sauria) umfasst. Einzig die Europäische Sumpfschildkröte (''Emys orbicularis'') gehört zur Ordnung der Schildkröten (Testudines). Bei uns kommen 16 einheimische, eine eingeschleppte und eine ausgesetzte Art vor.<br />
<br />
<br /><br />
Nähere Informationen zur Systematik: <br /><br />
▪ [http://www.karch.ch/karch/de/home/reptilien/systematische-ubersicht.html Koordinationsstelle für Amphibien- und Reptilienschutz in der Schweiz (karch), Systematische Übersicht] <br /><br />
▪ [https://de.wikipedia.org/wiki/Systematik_der_Reptilien Wikipedia, Systematik der Reptilien]<br />
<br />
= Praxisrelevante Ökologie =<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Stuktur_Ina_Blanke_Ausschnitt_96_dpi.JPG<br />
| text = Reptilien brauchen mosaikartige, unordentliche, chaotische Lebensräume mit vielen Strukturen wie dieser mit Altgras umgebene Asthaufen, der Sonnplätze, Unterschlupf und Versteck bietet.<br />
}}<br />
<br />
== Lebensräume ==<br />
Reptilien besiedeln sehr unterschiedliche Lebensräume wie Wälder, Feuchtgebiete, [[Fliessgewässer#Fliessgewässer|Fliessgewässer]], Kulturland, Böschungen von Bahnen und Strassen, Alpweiden etc. Die bevorzugte Körpertemperatur liegt zwischen 25° C und 32° C, weshalb sonnige Lebensräume mit einem warmen Mikroklima der Schlüsselfaktor für das Vorkommen der wechselwarmen Reptilien ist. Sie fehlen in strukturlosem, intensiv genutztem Landwirtschaftsland, dichten Wäldern, schattigen und nordexponierten Lagen und oberhalb 3000 m ü. M. Der Lebensraum muss Versteck- und Sonnenplätze, Nahrung, Eiablage- oder Trächtigkeitsplätze und [http://www.karch.ch/karch/de/home/spannendes--wissenswertes/amphibien--reptilien-im-winter.html Winterquartiere] bieten. Je dichter dieses Angebot ist und je mosaikartiger sich die Strukturen verteilen, desto qualitativ besser ist der Lebensraum.<br />
<br />
Für Reptilien sind [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen Kleinstrukturen] wie Trockenmauern, Lesestein- und Holzhaufen, [[Hecke#Hecke|Hecken]] enorm wichtig.<br /><br />
[http://www.karch.ch/karch/de/home/lebensraume.html Mehr zu den Lebensräumen der Reptilien.]<br />
<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = reptilien galerie 2 96 dpi.png<br />
| text = Hecke mit Altgrassaum (links) und Lebensraummosaik mit extensiv genutztem Grünland und vielen Strukturen (rechts).<br />
}}<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = reptilien_galerie_3.png<br />
| text = Vielfältige Kiesgrube und strukturreiche Weide<br />
}}<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = reptilien_galerie_4.png<br />
| text = Stark aufgelichteter Moorwald mit Vorkommen von Ringelnatter (''Natrix natrix'') und Waldeidechse (''Zootoca vivipara'', rechts).<br />
}}<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = reptilien_galerie_5.png<br />
| text = Links: Böschungen an Verkehrswegen sind, wenn sie strukturreich sind und gut gepflegt werden, wichtige Vernetzungselemente; rechts: vielfältige, gut besonnte Böschung mit Trockensteinmauer, Gebüschgruppen/Einzelgebüschen und Altgras. <br />
}}<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = reptilien_galerie_6.png<br />
| text = Steinige Strukturen höherer Lagen sind sehr gute Reptilienlebensräume<br />
}}<br />
<br />
== Fortpflanzung und Wanderung ==<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Kreuzotter_Meyer_001_96_dpi.JPG<br />
| text = Kaum ist der Schnee weg, sonnen sich die Kreuzottern.<br />
}}<br />
Etwa zeitgleich mit den Amphibien beginnt im Frühling auch die Aktivität der Reptilien ab einer Temperatur von etwa 5°C. Von den einheimischen Reptilienarten sind zehn eierlegend (ovipar) und sechs lebendgebärend (ovovivipar: Waldeidechse (''Zootoca vivipara''), beide Blindschleichenarten, Schlingnatter (''Coronella austriaca''), Kreuzotter (''Vipera berus''), Aspisviper (''Vipera aspis'')). Einige Wochen nach der Paarung, meist im Juni und Juli, legen die oviparen Arten ihre Eier in feuchtwarmes, lockeres Bodensubstrat (z. B. unter Steinplatten oder in selbstgegrabene Höhlungen) oder in verrottendes, organisches Material ab. Der Schlupfzeitpunkt der Jungtiere hängt von der Art und der Temperatur ab. Die Weibchen der ovoviviparen Arten suchen während der Trächtigkeit sonnenexponierte Platze auf. Die Jungtiere werden zwischen Ende Juli und September geboren, je nach Temperatur oder Höhenstufe auch erst im Oktober. <br />
<br />
Anders als die Amphibien legen Reptilien keine ausgeprägten Wanderdistanzen zurück und verbleiben in der Regel in wenigen Kilometern Umkreis um ihr Winterquartier, meist aber wesentlich näher. Daher sind viele Reptilienarten oft nur regional oder lokal verbreitet und zeigen sich robust gegenüber Isolationseffekten. Eidechsen sind besonders ortstreu und legen durchschnittlich Distanzen von nur wenigen hundert Meter zurück. Schlangen haben im Gegensatz zu den Eidechsen jedoch einen hohen Raumbedarf. Mehr Informationen zu [http://www.karch.ch/karch/de/home/reptilien/reptilienarten-der-schweiz.html Biologie und Ökologie der einzelnen Arten.]<br />
<br /><br />
<br /><br />
<br />
=Erhalt und Förderung=<br />
<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = COAU_Habitat_Dirk_002_96_dpi.jpg<br />
| text = Trockensteinmauern sind wichtige Strukturen und Lebensräume<br />
}}<br />
<br />
Im Gegensatz zu den Amphibien sind Massnahmen oder Massnahmenpakete zur Förderung von Reptilien normalerweise nicht oder nur wenig artspezifisch, und häufig profitieren alle vorkommenden Arten gleichermassen von den umgesetzten Aufwertungen.<br /><br />
Das Praxismerkblatt [https://www.unine.ch/files/live/sites/karch/files/Doc_a_telecharger/Praxismerkblaetter/Reptilien/Praxismerkblatt_Reptilien%20foerdern.pdf "Einheimische Reptilien schützen und fördern"] der karch ist eine hervorragende Grundlage zur Förderung von Reptilien, deren Lektüre wir allen sehr empfehlen möchten.<br /><br />
Folgende, allgemeinen Massnahmen sind für die Reptilienförderung wertvoll:<br /><br />
* Natürliche Dynamik der [[Fliessgewässer#Fliessgewässer|Fliessgewässer]] erhalten, bzw. wiederherstellen<br />
* Extensivierung der Landwirtschaft<br />
* Förderung von Feldgehölzen, [[Hecke#Hecke|Hecken]] und strukturreichen Waldrändern<br />
* Schaffung von lichten Wäldern und Erhalt von Offenflächen im Wald<br />
* Offenhaltung und Pflege der von Steinbrüchen und Kiesgruben<br />
* Reptilienfreundliche Pflege von Verkehrsbegleitflächen<br />
* Anlage von [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen Kleinstrukturen] – überall, wo sinnvoll (Achtung: auf die Ansprüche der Zauneidechse (''Lacerta agilis'') achten! Siehe unten)<br />
<br />
<br />
{|<br />
|-<br />
| '''Konkurrenz zwischen Zaun- und Mauereidechse'''<br />
Da in vielen Regionen der Schweiz die Mauereidechse (''Podarcis muralis'') aus dem Süden eingeschleppt worden ist, ist eine Verdrängung der Zauneidechse durch die Mauereidechse unerwünscht. Bei der Förderung der Zauneidechse ist deshalb i. d. R. auf die Anlage von Steinstrukturen zu verzichten. Andere [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturenhttps://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen Kleinstrukturen] sind hingegen weniger problematisch. Weitere Informationen dazu finden sich in der der {{link Broschuere Koechlin Stiftung de}} (siehe Seiten 9 und 32).<br />
|}<br />
<br />
== Förderstrategie ==<br />
<br />
* Intakte Lebensräume erhalten und beeinträchtigte Lebensräume aufwerten und vergrössern<br />
* Vordringlich sind Massnahmen im gesamten Mittelland und im Jura, regional auch im Voralpen- und Alpenraum. Viele Lebensräume befinden sich ausserhalb von Schutzgebieten, z. B. im Siedlungsraum, entlang von Verkehrswegen, in der Landwirtschaftszone oder im Wald.<br /><br />
* Massnahmen im Umkreis bestehender Populationen (wenige 100 bis max. 2 km) umsetzen. Das trifft insbesondere auf die Schlangen zu.<br />
* Die karch ist daran, kantonale Reptilienvorranggebiete (KRVG) auszuscheiden. Wer grössere Förderprojekte plant, gerade mit Zielarten Schlangen, möge sich vorher mit den karch-Regionalvertretungen oder der Naturschutzfachstelle in Verbindung setzen.<br />
<br />
== Informationen auf karch.ch ==<br />
Auf der Webseite der karch findet man viele konkrete Informationen zur Förderung von Reptilien:<br /><br />
* [http://www.karch.ch/karch/de/home/reptilien-fordern/in-der-landwirtschaft.html Reptilien fördern in der Landwirtschaft]<br /><br />
* [http://www.karch.ch/karch/de/home/reptilien-fordern/im-wald.html Reptilien fördern im Wald]. Die WSL hat auf waldwissen.net den Artikel [https://www.waldwissen.net/wald/tiere/reptilien_amphibien_fische/wsl_reptilien/index_DE "Reptilien im Wald – unauffällige Sonnenanbeter"] veröffentlicht <br /><br />
* [http://www.karch.ch/karch/de/home/reptilien-fordern/in-feuchtgebieten.html Reptilien fördern in Feuchtgebieten] <br /><br />
* [http://www.karch.ch/karch/de/home/reptilien-fordern/an-fliessgewassern.html Reptilien fördern an Fliessgewässern und Uferverbauungen] <br /><br />
* [http://www.karch.ch/karch/de/home/reptilien-fordern/im-siedlungsraum.html Reptilien fördern im Siedlungsraum] <br /><br />
* [http://www.karch.ch/karch/de/home/reptilien-fordern/hauskatzen-und-reptilien.html Hauskatzen und Reptilien] <br /><br />
* [http://www.karch.ch/karch/de/home/spannendes--wissenswertes/aussetzen-und-ansiedeln.html Aussetzen und Ansiedeln von Reptilien]<br />
<br />
== Strukturelemente ==<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Steinhaufen_Mauern_AKS_Graf_001_96_dpi.JPG<br />
| text = Steinhaufen, ein Beispiel für die Reptilien so wichtigen [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen Kleinstrukturen]<br />
}}<br />
<br />
Strukturelemente sind für Reptilien von zentraler Bedeutung. Sie sind besonders wertvoll, wenn sie schon lange bestehen: <br />
* Hecken, Feld-, und Ufergehölze mit Dornensträuchern und Kraut- oder Altgrassäumen<br />
* Saumbiotope (insbesondere Böschungen) entlang von Waldrändern, am Rand von landwirtschaftlichen Nutzflächen, an Wegen und Strassen sowie an Ufern<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen Kleinstrukturen] der traditionellen Kulturlandschaft, insbesondere Lesesteinhaufen und -wälle sowie Trockenmauern<br />
* Totholz- und Schnittguthaufen aller Art<br />
* Verbauungen in Trockenbauweise aller Art, beispielsweise alte Hochwasserschutzdämme oder [https://de.wikipedia.org/wiki/Kapillarbrechende_Schicht Rollierungen] entlang von Bahnlinien und Strassen, aber auch geeignete Steinkorbverbauungen.<br />
<br />
Zu den Kleinstrukturen Steinhaufen, Steinlinsen, Steinkörbe, Holzhaufen und Eiablageplätze hat die karch [http://www.karch.ch/karch/de/home/reptilien-fordern/praxismerkblatter.html Merkblätter] erarbeitet. In der {{link Broschuere Koechlin Stiftung de}} hat es detaillierte Angaben zu Kleinstrukturen. Der Kanton Luzern hat die Merkblätter [https://lawa.lu.ch/download/download_njf/arten "Eiablageplätze für die Ringelnatter (''Natrix natrix'')" und "Lebensraumaufwertungen für die Ringelnatter (''Natrix natrix'')"] erarbeitet. Eiablageplätze nur in den Monaten April, Mai und Oktober abräumen oder verlegen. In dieser Zeit sind darin keine überwinternden Tiere und keine Eier vorhanden. <br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = reptilien_galerie_9.png<br />
| text = Als Eiablageplätze für Ringelnatter (''Natrix natrix'') angelegte Streuhaufen (v. a. Schilf). Das Schilf wird vor dem Aufschichten auf die Hälfte bis ein Drittel gekürzt. Die Haufen werden bereits im Folgejahr von den Schlangen angenommen. Entscheidend dafür ist die Temperatur, die konstant zwischen 24 bis 27 Grad Celsius sein muss.<br />
}}<br />
<br />
== Trockensteinmauern ==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Steinhaufen_Mauern_AKS_Meyer_009 96 dpi.JPG<br />
| text = Alte Trockensteinmauer <br />
}}<br />
<br />
<br />
Trockensteinmauern sind wertvolle Lebensräume für Reptilien. Richtig gebaut bestehen sie über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte. Die nachfolgenden Angaben liefern Informationen zu Bau und Unterhalt.<br />
<br />
'''Praxismerkblätter'''<br /><br />
▪ [http://www.birdlife.ch/sites/default/files/documents/trockenmauern.pdf Schweizer Vogelschutz SVS/BirdLife Schweiz (2006): Trockenmauern] <br /><br />
▪ [https://assets.wwf.ch/downloads/gemeinden_lebendige_grenzen_mit_trockenmauern.pdf WWF Schweiz (2009): Aktionsanleitung Gemeinden - Lebendige Grenzen mit Trockenmauern] <br /><br />
<br />
{{Foto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Bau_Trockenmauer_96_dpi.JPG<br />
| text = Der Bau einer Trockensteinmauer verlangt Fachwissen <br />
}}<br />
<br />
'''Bücher'''<br /><br />
Wer selber eine Trockensteinmauer bauen will oder sich vertieft damit befassen will, dem bieten folgende Bücher viele Informationen:<br /><br />
▪ Tufnell, R., Pelagatti, D., Hassenstein, M., 2009. Trockenmauern: Anleitung für den Bau und die Reparatur, 9. Aufl. ed. Haupt, Bern. <br />
Das Büchlein beschreibt die Verwendung von Trockenmauern für den Kultur- und Landschaftsschutz und erklärt mit vielen Bildern den praktischen Ablauf des Baus von Trockenmauern.<br /><br />
▪ Stiftung UmweltEinsatz Schweiz, 2015. Trockenmauern: Grundlagen, Bauanleitung, Bedeutung, 2. Auflage. ed. Haupt, Bern. [http://www.trockenmauerbuch.ch/ Webseite zum Buch]. «Trockenmauern» ist ein Standardwerk mit Texten, Fotos und Illustrationen zum Bau, zur Entstehung und zur Bedeutung von Trockenmauern. Das Buch vermittelt Fachwissen über Geschichte, Baukultur und Ökologie, ausserdem über Spezialthemen wie Landschaft im Wandel, Trockenmauern als Lebensraum für Flora und Fauna oder Wein aus steilen Rebhängen.<br />
<br />
'''Weitere Informationen'''<br /><br />
▪ [http://www.svtsm.ch/ Schweizerischer Verband der Trockensteinmaurer SVTSM]<br /><br />
<br />
== Weinberge aufwerten ==<br />
{{Fotos-links-500px<br />
| bilddatei = Steinlinsen_96_dpi.jpg<br />
| text = Steinlinsen als Strukturelemente in einem Rebberg<br />
}}<br />
<br />
Weinberge sind oft besonders arten- und individuenreich. Einige Empfehlungen zur Pflege von Weinbergen sind im Praxismerkblatt [https://www.google.ch/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=1&cad=rja&uact=8&ved=0ahUKEwi46fTgwbHZAhUEVhQKHfgdD3MQFggoMAA&url=https%3A%2F%2Fwww.unine.ch%2Ffiles%2Flive%2Fsites%2Fkarch%2Ffiles%2FDoc_a_telecharger%2FPraxismerkblaetter%2FReptilien%2FPraxismerkblatt_Reptilien%2520foerdern.pdf&usg=AOvVaw0C1m2w10rM2m5lB1a-PUaX "Einheimische Reptilien schützen und fördern"] der karch zu finden. Ulrich Schulte hat einen Vortrag zum [[Media:Schulte 2013 Reptilien Weinberg Vortrag 300dpi.pdf|Reptilienschutz im Weinberg (2013)]] mit detaillierten Zeichnungen zusammengestellt.<br />
<br />
== Reptilien bei Bau- und Sanierungsmassnahmen beachten ==<br />
Auf der Webseite der karch stehen umfangreiche Informationen zur [http://www.karch.ch/karch/de/home/reptilien-fordern/an-verkehrswegen.html Reptilienförderung entlang von Verkehrswegen]. Folgende Dokumente sind ergänzend: <br /><br />
▪ [http://www.mobilityplatform.ch/de/webviewer/download/583/dHash/70c649432b5d5bbbcbbee6668717df961b61b95f/?tu=0 Riede, J. et al. (2006): Vernetzung von Lebensräumen bei der Gestaltung von Verkehrsträgern]<br /><br />
Umfangreiches Dokument mit allgemeinen Informationen zur Planung von Verkehrsflächen und was es für einzelne Artengruppen zu beachten gilt, unter anderem Reptilien und Amphibien. <br /><br />
▪ [http://www.mobilityplatform.ch/de/webviewer/download/736/dHash/ebf9a248495e7c76bc5503a7b05f770adc3eddd0/?tu=0 Rhighetti, A. et al. (2008): Fauna gerechte Sanierung von bestehenden Gewässerdurchlässen]<br /><br />
Detaillierter Bericht mit Fotos, Zeichnungen und Praxisbeispielen, sowie Kosten und Nutzen von Sanierungsmassnahmen für verschiedenste Artengruppen, unter anderem Reptilien und Amphibien. <br /><br />
<br />
== Grundsätze zu Pflege und Unterhalt ==<br />
Als Pflege und Unterhalt werden oberirdische Massnahmen verstanden. Die nachfolgenden Punkte entsprechen fast vollständig der Tabelle "Pflege und Unterhalt von Reptilienlebensräumen - das Wichtigste in Kürze" in "Praxismerkblatt. Einheimische Reptilien schützen und fördern" (karch, 2012)<br />
* Pflege- und Unterhaltsarbeiten werden mit Vorteil zwischen November und Februar ausgeführt, da die Reptilien in dieser Zeit inaktiv sind. <br />
* Besonnung laufend optimieren: Ein Reptilienlebensraum sollte mehrheitlich besonnt sein. Stark wachsende und schattenwerfende Gehölze und Sträucher nach Bedarf zurückschneiden oder auslichten (weitere Angaben zum [[Hecke/Unterhalt und Pflege#Hecke/Unterhalt und Pflege|Unterhalt von Hecken]]). Schnittgut vor Ort als Asthaufen anlegen, aber nicht auf den wertvollsten, nährstoffarmen Flächen. Zuerst standortfremde Baumarten sowie Fichten (ganzjährig schattenwerfend) entfernen; alte Laubbäume schonen. Niedere Gebüsche (max. Höhe 150 cm, besser weniger) und Gebüschgruppen stehen lassen; ideal ist ein Verbuschungsgrad von 10 – 25%.<br />
* Altgras- und Krautsäume fördern: Eine verfilzte Grasschicht bietet Reptilien beste Versteckmöglichkeiten und ideale Bedingungen zur Thermoregulation! Vor allem im Bereich von [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen Kleinstrukturen], aber auch im Randbereich von Weiden, Wiesen, Weinbergen, Wäldern, Böschungen, Fliessgewässern etc. ungedüngte Säume erhalten, die lediglich alle drei bis fünf Jahre ab Ende Oktober oder November gemäht werden. Auch eine jährliche Mahd von Teilbereichen im Rotationsverfahren bietet sich an. Viele Flächen kann man auch verbrachen lassen und nur die Gehölze nach Bedarf auf Stock setzen respektive die Verbuschung auf maximal 25% beschränken.<br />
* Beweidung: Eine Beweidung kann mithelfen, Reptilienlebensräume vor dem Verbuschen und Verwalden zu bewahren. Derzeit fehlen reptilienspezifische Erfahrungen hinsichtlich der Beweidungsintensität, aber wahrscheinlich ist es von Vorteil, diese so gering wie möglich respektive nötig zu halten. Um die optimale Beweidungsdichte zu eruieren, mit sehr geringer Bestockung beginnen und bei Bedarf zurückhaltend erhöhen. Eine zu intensive Beweidung, bei der kaum mehr Altgras- und Krautvegetation stehen bleibt, wirkt sich ungünstig auf die Reptilienbestände aus. In diesem Fall ist das temporäre Ausscheiden nicht beweideter Bereiche (z.B. einige Meter breite Pufferzone zwischen Waldrand und Weide oder im Bereich von [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen Kleinstrukturen]) sinnvoll.<br />
* Mahd: Wiesen und Trockenwiesen im Randbereich und im Bereich von [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen Kleinstrukturen] nicht oder nur sehr extensiv mähen, vorzugsweise mit dem Balkenmäher und nicht vor Ende Oktober, Schnitthöhe mindestens 10 - 15 cm. Häufig ist eine Rotationsmahd sinnvoll.<br />
* Pflege von [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen Kleinstrukturen]: So wenig Pflege wie möglich, aber Besonnung und gut ausgeprägte Krautsäume sicherstellen. [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen Kleinstrukturen] dürfen und sollen mit Vegetation wie Gräsern und Kräutern, teilweise sogar mit Sträuchern überwachsen. Nur beschattende Gehölze und Bäume zurückschneiden oder entfernen. Anfallendes Astmaterial und Schnittgut an geeigneten Stellen zu Haufen schichten. Zerfallende Trockenmauern bieten Reptilien weiterhin ideale Versteckmöglichkeiten. Besonnung sicherstellen! Wenn eine Sanierung oder Reparatur der Mauer unausweichlich ist, in Trockenbauweise wiederaufbauen, gegebenenfalls unter Beizug einer Fachperson. Niemals verfugen oder mit Spritzbeton sanieren! Zeitpunkt dieser Arbeiten besser während der Aktivitätsperiode der Tiere, die dann fliehen können. Wenn immer möglich ist aus Sicht des Reptilienschutzes der kontrollierte Zerfall von Mauerwerk einer Sanierung vorzuziehen und stattdessen eine neue Mauer in der Nähe bauen!<br />
<br />
In der Broschüre [https://www.google.ch/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=2&cad=rja&uact=8&ved=0ahUKEwiK7aGt7rPZAhWLORQKHbAHAW0QFggtMAE&url=https%3A%2F%2Fagridea.abacuscity.ch%2Fabauserimage%2FAgridea_2_Free%2F1440_2_D.pdf&usg=AOvVaw0V2mb1Q0L9yKU78Rq6rIIW Erntetechnik und Artenvielfalt in Wiesen (Agridea 2011)] sind Empfehlung zur Schonung von Kleintieren enthalten. Das Wichtigste ist hier kurz zusammengefasst:<br />
* so wenig Unterhalt wie nötig<br />
* gestaffelte Nutzung<br />
* Mahd von innen nach aussen. Bei streifenförmig Mahd den letzten Streifen stehen lassen. Bei Mahd von aussen nach innen das Zentrum stehen lassen.<br />
* auf Mähaufbereitung sowie Mulch- oder Sauggeräte verzichten; Motorbalkenmäher einsetzen<br />
* Schnitthöhe so einstellen, dass Stoppeln von (8-)/10-12 cm Höhe stehen bleiben<br />
* bei schönem Wetter frühmorgens (vor 7 Uhr) oder spätabends (nach 18 Uhr) mähen (Bemerkung: Der für Reptilien optimale Zeitpunkt für die Mahd ist abhängig vom Standort, der Jahreszeit und den aktuellen Wetterbedingungen. Z. B. bei schönem Wetter vor Sonnenaufgang mähen, an kalten bedeckten Tagen tagsüber.)<br />
<br />
== Grundsätze für Aufwertungsmassnahmen ==<br />
Massnahmen, welche bekannte oder potentielle Winterquartiere betreffen, sollen im Sommerhalbjahr durchgeführt werden. Beispiele dafür:<br />
* Reparatur einer Trockensteinmauer<br />
* Vernässung eines Moors mit Vorkommen von Kreuzottern (''Vipera berus''). In [https://www.lfu.bayern.de/natur/artenhilfsprogramme_zoologie/kreuzotter/doc/moorrenaturierung_und_kreuzotter.pdf "Wasserstandserhöhungen bei der Moorrenaturierung und Kreuzotterschutz" (Völkl, 2010)] werden konkrete Lösungsansätze präsentiert.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Moorregeneration_xj_zugeschnitten 96 dpi.JPG<br />
| text = Die Regeneration von Mooren mit Vorkommen von Kreuzottern (''Vipera berus'') im (Spät-)Sommer/Frühherbst ausführen, wenn die Tiere aktiv sind. Falls Massnahmen nur im Winter ausgeführt werden können, mit dem Einstau des Wassers bis im Frühling warten. <br />
}}<br />
<br />
== Umsiedlungen und Wiederansiedlungen ==<br />
{{Foto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Emys_orbicularis_Urs_Jost_001_96_dpi.jpg<br />
| text = Für unsere einzige einheimische Schildkröte, die Europäische Sumpfschildkröte (''Emys orbicularis''), laufen Förderprojekte in der Romandie und im Tessin. <br />
}}<br />
<br />
Im Rahmen von Projekten kann es sein, dass Lebensräume von Reptilien beeinträchtigt oder zerstört und dafür Ersatz geschaffen werden muss. Eine Möglichkeit von Ersatzmassnahmen sind Umsiedlungen. An dieser Stelle soll betont sein, dass von Umsiedlungen, wenn immer möglich abgesehen werden soll, weil die Erfolgsaussichten klein und der Aufwand gross sind / weil das langfristige Überleben der Population im neuen Lebensraum kaum gewährleistet werden kann).<br />
<br />
Folgende Aspekte sind bei Umsiedlungen zu beachten:<br />
* Sie sind Spezialisten vorbehalten und sie sollen immer in Rücksprache/unter Beizug (mit) der karch erfolgen<br />
* Sie sind bewilligungspflichtig (kantonale Naturschutzfachstellen)<br />
* Sie sind aufwändig (Abfangen der Tiere, rechtzeitige Neuanlage des Ersatzhabitats)<br />
* Sie sind nur dann sinnvoll, wenn ein nicht besiedeltes, aber hochwertiges und gereiftes Ersatzhabitat ausreichender Grösse zur Verfügung steht<br />
<br />
Die Umsiedlung ist eine komplexe Thematik, deren wir uns zu einem späteren Zeitpunkt ausführlicher annehmen wollen. Momentan verweisen wir auf wichtige Literatur:<br />
* 2015 hat der NABU Nordrhein-Westfalen eine Tagung zu den Aspekten Ansiedlung und Umsiedlung durchgeführt. Die Resultate der Tagung sind in [http://shop.laurenti.de/product_info.php?products_id=1020 «Hachtel, M., Göcking, C., Menke, N., Schulte, U., Schwartze, M., Wedding, K., 2017. Um- und Wiederansiedlung von Amphibien und Reptilien. Beispiele, Probleme, Lösungsansätze 296 Seiten (Themenheft).»] zusammengefasst. <br />
* Brandt, I., Haack, A., 2012. Bebauungsplan Groß Borstel 25. Maßnahmen zur Umsiedelung des im Gebiet nachgewiesenen Zauneidechsenvorkommens (Report). Seebauer | Wegers und Partner GbR.<br />
* Grimm, E., 2012. Reptilien in der Praxis. Kartierung, Umsiedlung und Monitoring von Zaun- und Mauereidechse. Protokoll. Hessische Vereinigung für Naturschutz und Landschaftspflege e. V. (HVNL).<br />
* Schulte, U., 2015. Zur Problematik der Umsiedlung von Reptilien – am Beispiel der Mauereidechse (Vortrag), Tagung „Um- und Wiederansiedlung von Amphibien und Reptilien. NABU NRW Landesfachausschuss Amphibien- und Reptilienschutz.<br />
* Tschopp, A., Im Auftrag der Stadt Luzern, 2014. Altlastentechnische Sanierung Schiessplätze Allmend. Naturschutzfachliche Baubegleitung - Abfangen von Reptilien und Amphibien als begleitende Naturschutzmassnahme. Auswertungsbericht (Report). carabus Naturschutzbüro.<br />
* Veith, M., Schulte, U., 2013a. Zur Problematik von Umsiedlungen ‐ am Beispiel von Eidechsenpopulationen. Artenschutz in der Praxis – Erfahrungen mit Ersatzquartieren und der Umsiedlung von streng geschützten Arten, Ökologisches Kolloquium S. 47-54.<br />
* Veith, M., Schulte, U., 2013b. Zur Problematik von Umsiedlungen‐ am Beispiel von Eidechsenpopulationen ‐ Allgemeine und spezielle Aspekte (Vortrag), Ökologisches Kolloquium. Bundesamt für Gewässerkunde Deutschland.<br />
<br />
Vom BAFU gibt es den Leitfanden [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/landschaft/publikationen-studien/publikationen/wiederherstellung-und-ersatz-im-natur-und-landschaftsschutz.html «Wiederherstellung und Ersatz im Natur- und Landschaftsschutz: Die Eingriffsregelung nach schweizerischem Recht»] als relevante Grundlage für Ersatzmassnahmen (siehe Literatur).<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = reptilien_galerie_10.png<br />
| text = Bei der Sanierung und Renaturierung der Schiessanlagen auf der Luzerner Allmend wurden verschiedene Abfangmethoden getestet und zum Abfangen der Reptilien wurden unterschiedliche Materialen eingesetzt (rechts). Junge Ringelnatter (''Natrix natrix''; links).<br />
}}<br />
<br />
Zum [http://www.karch.ch/karch/de/home/spannendes--wissenswertes/aussetzen-und-ansiedeln.html Aussetzen und Ansiedeln] von Reptilien (und Amphibien) möchten wir auf die karch verweisen.<br />
<br />
=Artenschutz=<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = reptilien_galerie_7.png<br />
| text = Die Kreuzotter (''Vipera berus'') und die Vipernatter (''Natrix maura'') sind zwei Beispiele national prioritärer Arten.<br />
}}<br />
<br />
Elf Reptilienarten der Schweiz sind in der [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/liste-national-prioritaeren-arten.html Liste der National Prioritäre Arten] aufgeführt und haben erhöhten Förderbedarf. Die Einschätzung des Förderbedarfs erfolgt aufgrund der [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-reptilien.html Roten Liste der gefährdeten Reptilien der Schweiz (2005)] und spezifische Anpassungen aufgrund von Expertenwissen.<br /><br />
<br />
In die Datenbank des Projekts «Virtual Data Center VDC» werden seit 2014 die Fundorte sämtlicher Organismengruppen eingespeist, um sie bei naturschutzrelevanten Projekten berücksichtigen zu können. Mit der Datenbank sollen insbesondere die Bedürfnisse der kantonalen Fachstellen abgedeckt werden. Diese Daten sind für die Öffentlichkeit nicht zugänglich.<br /><br />
<br />
Mehrere Stellen haben zu einzelnen Reptilienarten Steckbriefe und Fördermassnahmen veröffentlicht:<br /><br />
▪ Von der karch gibt es zu allen Reptilienarten der Schweiz [http://www.karch.ch/karch/de/home/reptilien/reptilienarten-der-schweiz.html Steckbriefe] <br /><br />
Im Rahmen eines Workshops wurden zur [http://kbnl.ch/nl-praxis/biotop-und-artenschutz/ Förderung der Schlingnatter (''Coronella austriaca''), 2016] ausführliche Informationen zusammengestellt. Darin ist auch der [https://aln.zh.ch/internet/baudirektion/aln/de/naturschutz/artenfoerderung/ap_fa/schlingnatter.html Aktionsplan Schlingnatter des Kantons Zürich] berücksichtigt. In der Publikation [http://shop.laurenti.de/product_info.php?products_id=1001 Die Schlingnatter (2017)] ist das aktuelle Wissen zu dieser Art zusammengetragen. Auf Förderaspekte wird sehr allgemein eingegangen. <br /><br />
▪ Das Bundesamt für Naturschutz in Deutschland betreibt das [https://ffh-anhang4.bfn.de/arten-anhang-iv-ffh-richtlinie/reptilien.html Internethandbuch Reptilien] mit Informationen zu artenspezifischen Erhaltungsmassnahmen, Links, Angaben von Literatur und Projekten zu Äskulapnatter (''Zamenis longissimus''), Europäischer Sumpfschildkröte (''Emys orbicularis''), Mauereidechse (''Podarcis muralis''), Östlicher Smaragdeidechse (''Lacerta viridis''), Schlingnatter (''Coronella austriaca''), Würfelnatter (''Natrix tessellata'') und Zauneidechse (''Lacerta agilis''). <br /><br />
▪ Von [http://www.trameverteetbleue.fr Trame verte et bleue (Frankreich)] gibt es Artenportäts (Synthèses bibliographiques sur les traits de vie d'espèces) zu [http://www.trameverteetbleue.fr/documentation/cote-recherche/syntheses-bibliographiques-especes/lezard-vivipare-zootoca-vivipara Waldeidechse (''Zootoca vivipara'')] und zu [http://www.trameverteetbleue.fr/documentation/cote-recherche/syntheses-bibliographiques-especes/vipere-peliade-vipera-berus Kreuzotter (''Vipera berus'')] <br /><br />
▪ Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (D) hat [http://artenschutz.naturschutzinformationen.nrw.de/artenschutz/de/massn/gruppe/amph_rept Artensteckbriefe für drei Reptilienarten] erstellt, die viele praktische Informationen für die Förderung beinhalten.<br /><br />
▪ Aus Bayern gibt es die Publikationen [https://www.google.ch/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=2&cad=rja&uact=8&ved=0ahUKEwib0a20q7fZAhVFbRQKHZbuAYMQFggtMAE&url=http%3A%2F%2Fwww.naturpark-bayer-wald.de%2Ftw%2FKreuzotter%2Fstmug_kreuzotter.pdf&usg=AOvVaw268LM4lc71FOp_v4bEk_Ie Die Kreuzotter in Bayern - Erfolgreicher Artenschutz] <br /><br />
▪ Website und {{link Broschuere Koechlin Stiftung de}}: siehe nachfolgendes Kapitel.<br />
<br />
==Broschüre der Albert Koechlin Stiftung==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Zauneidechse_AKS_Meyer_002_96_dpi.JPG<br />
| text = Für die Förderung der Zauneidechse (''Lacerta agilis'') gibt es seit kurzem eine Broschüre mit detaillierten Angaben.<br />
}}<br />
<br />
{|<br />
|-<br />
| Die Albert Koechlin Stiftung möchte die Zauneidechse in der Zentralschweiz fördern. Dazu hat sie ein Projekt lanciert und es wurde eine [[#Praxisrelevante Literatur|Zauneidenchsenbroschüre]] erarbeitet und die [https://www.zauneidechse.ch/ Webseite zauneidechse.ch] lanciert. Beide enthalten umfangreiche Informationen zur Biologie und Ökologie der Zauneidechse, viele praktische Tipps zur Förderung in den verschiedenen Lebensräumen sowie hervorragende Illustrationen und viele Fotos.<br />
Die Angaben zu Anlage, Pflege und Unterhalt von Kleinstrukturen sind besonders ausführlich und anschaulich bebildert.<br />
|}<br />
<br />
=Gefährdung=<br />
Hauptursachen für den Rückgang der Reptilien sind:<br />
* Fehlende Landschaftsdynamiken, die natürliche Pionierlebensräume erschaffen, wie z. B. Hochwasser, Murgänge, Steinschläge und Lawinen<br />
* Fehlende lichte Waldstrukturen durch Nutzungsaufgabe oder Aufforstung<br />
* Intensivierung der Landwirtschaft: unangepasste und zu intensive Mahd, Einsatz von Bioziden und Schadstoffen<br />
* Zerstören von [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen Kleinstrukturen] wie Trockenmauern, Lesesteinhaufen und -wällen sowie Totholzhaufen, aber auch Hecken, Böschungen, Mulden, Gräben sowie Kraut- und Altgrassäumen<br />
* Verbuschung und Verwaldung, insbesondere von Trockenwiesen und -weiden, aber auch anderen ehemaligen land- oder alpwirtschaftlichen Nutzflächen vor allem im Berggebiet<br />
* Fehlende Brachflächen und [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen Kleinstrukturen] in Landwirtschaft- und Siedlungsgebiet<br />
* Fehlende Vernetzung zwischen den Habitaten<br />
* Erhöhter Strassenverkehr<br />
* Tötung von Tieren durch Hauskatzen und Menschen<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = reptilien_galerie_8.png<br />
| text = Unüberwindbare Hindernisse und unsachgemässe Pflege sind Beispiele für Gefährdungen an Eisenbahnstrecken. Steinkörbe sind eine gute Alternative für harte Verbauungen (im Bild mit einer Aspisviper (''Vipera aspis''))<br />
}}<br />
<!-- =Wissenslücken=<br />
* Vernetzung der Populationen, bzw. Isolationseffekte<br />
* Reptilienfreundliche Beweidungsintensität<br />
--><br />
<br />
= Praxisbeispiele=<br />
{{Fotos-links-500px<br />
| bilddatei = Schlingnatter_Coronella_austriaca_001_96_dpi.jpg<br />
| text = Die Schlingnatter (''Coronella austriaca'') kann z. B. durch den von Bau von Trockenmauern und die Anlage von Steinlinsen und Reptilientreppen gefördert werden.<br />
}}<br />
===Förderung der Zauneidechse (''Lacerta agilis'')===<br />
* [http://www.burgdorf.birdlife.ch/assets/PDF/DAMMPROJEKT-2013-.pdf Anlage von Kleinstrukturen und Hecken zur Förderung von Reptilien und Vögeln in der Gemeinde Lyssach] <br /><br />
* {{link Broschuere Koechlin Stiftung de}}.<br />
<br />
===Förderung der Europäischen Sumpfschildkröte (''Emys orbicularis'')===<br />
{{Fotos-links-500px<br />
| bilddatei = Emys_orbicularis_Urs_Jost_001_96_dpi.jpg<br />
| text = In einigen Kantonen laufen Wiederansiedlungsprojekte der Sumpfschildkröte (''Emys orbicularis'')<br />
}}<br />
<br />
In den Kantonen Genf, Neuenburg und Tessin laufen [http://karch.ch/karch/de/home/reptilien/reptilienarten-der-schweiz/europaische-sumpfschildkrote/wiederansiedlung-sumpfschildkrot.html Wiederansiedlungsprojekte]. Diese Projekte haben Pilotcharakter und werden wissenschaftlich eng begleitet. Erst die Resultate der Erfolgskontrollen werden zeigen, ob weitere Wiederansiedlungsprojekte sinnvoll sind oder nicht. Es sind zwingend die [http://www.unine.ch/files/live/sites/karch/files/Doc_a_telecharger/Schutz_Reptilien/Richtlinien_Schutz_Emys_D.pdf Richtlinien des Bundes und der karch ] berücksichtigen.<br /> <br />
Umfangreiche Informationen findet man auch auf der Webseite von [http://www.swissemys.ch/ Swiss''Emys''].<br />
<br />
===Verschiedene Projekte===<br />
<!-- ▪ [http://www.naturnetz-unteramt.net/aktuell/115-natur-neben-dem-gleis-die-ergebnisse Natur neben dem Gleis] <span style="background:yellow"> Andrin fragen </span> <br /> <br />
▪ Das Projekt [http://rosenundreptilien.ch/konzept/konzept.html Rosen & Reptilien] der Stiftung Wirtschaft & Oekologie legt Steinriegel als Ganzjahreslebensraum zur Förderung von Reptilien an und bepflanzt diese mit seltenen oder bedrohten einheimischen Rosenarten. Anlage und Bepflanzung der Steinriegel sind detailliert im [http://rosenundreptilien.ch/resources/Konzept_Endversion.pdf Artenschutzprogramm «Rosen & Reptilien»] beschrieben. <br /> --><br />
* Im Rahmen des Projekts 100xZüriNatur von [https://www.birdlife-zuerich.ch/home/ BirdLife Zürich] sind in den letzten Jahren [https://www.birdlife-zuerich.ch/projekte-service/100xzuerinatur/projektliste/ 12 Rebberge ökologisch aufgewertet worden (Stand Februar 2018)]. Von den Massnahmen, wie dem Anlegen von Trockensteinmauern, profitieren vor allem auch Reptilien.<br />
<br />
= Allgemeine Links =<br />
* [http://www.karch.ch/ Koordinationsstelle für Amphibien- und Reptilienschutz in der Schweiz (karch)]<br /><br />
* [http://lepus.unine.ch/carto/ CSCF Infofauna: Kartenserver der Tierarten der Schweiz]<br /><br />
* [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/rote-liste-der-gefaehrdeten-arten-der-schweiz--amphibien.html BAFU (2005): Rote Liste der gefährdeten Arten der Schweiz: Reptilien]<br /><br />
* [http://www.skn-reptilien.ch/DGHT-Schweiz/index.html Deutsche Gesellschaft für Herpetologie & Terrarienkunde (DGHT): Landesgruppe Schweiz]<br /><br />
<!-- <span style="background:yellow"> Link funktioniert nicht mehr, deshalb ausgeblendet</span> * [http://www.karch.ch/karch/de/home/glossar-und-links/links.html Weitere nationale und internationale Links auf der Webseite der karch]<br /> --><br />
* Der [http://shop.laurenti.de/ Laurenti-Verlag (Fachverlag für Feldherpetologie, Herpetologie und Säugetierkunde)] hat viele Publikationen zu Reptilien veröffentlicht, darunter etliche Monografien zu Arten (-> Beihefte der ZfF).<br /><br />
* [http://www.arc-trust.org/index.html Amphibian and Reptile Conservation]: Schottische Wohltätigkeitsorganisation zum Schutz von Amphibien und Reptilien und Herausgeber von: [https://www.arc-trust.org/Handlers/Download.ashx?IDMF=ca8c7414-fb47-4a9a-8883-8ae97268d261 The Reptile Habitat Management Handbook (2011)]<br />
<br />
== Glossar und weitere Links ==<br />
* [http://www.karch.ch/karch/de/home/glossar.html Das Glossar der karch zu Amphibien und Reptilien]<br /><br />
* [http://www.schulte-gutachten.net/site/publikationen/ Publikationen von Ulrich Schulte]: Ulrich Schulte ist Experte für die Förderung von Reptilien und Amphibien. Er hat viele Artikel zu diesem Thema veröffentlicht, die teilweise herunter geladen werden können <br /><br />
* [http://biofotoquiz.ch/biofotoquiz/?domain=standard&classID=20 Biofotoquiz: Amphibien & Reptilien]<br /><br />
<br />
== Reptilien in der Schule ==<br />
* [http://www.karch.ch/karch/de/home/aktivitaten/unterrichtsmaterialien/reptilien.html info fauna, karch: Unterrichtsmaterialien]<br />
<br />
=Literaturempfehlungen= <br />
<br />
== Grundlagen- und Übersichtswerke ==<br />
* Meyer, A. et al. (2009). Auf Schlangenspuren und Krötenpfaden. Amphibien und Reptilien der Schweiz. Haupt Verlag<br />
* Berney, Ch. (2001), Unsere Reptilien. Museum Basel.<br />
* Hofer, U. et al, (2001). Die Reptilien der Schweiz<br />
* Glandt, D. (2015). Die Amphibien und Reptilien Europas. Alle Arten im Porträt. Quelle & Meyer<br />
* Kwet, A. (2015). Reptilien und Amphibien Europas, 224 Arten mit Verbreitungskarten, Kosmos<br />
* Laufer, H., Fritz, K., Sowig, P. (2007). Die Amphibien und Reptilien Baden-Württembergs. Ulmer, Stuttgart.<br />
<br />
== Praxisrelevante Literatur ==<br />
* Koordinationsstelle für Amphibien- und Reptilienschutz in der Schweiz (karch), (2012). Praxismerkblatt Einheimische Reptilien schützen und fördern (Massnahmenblatt).<br />
* {{link Broschuere Koechlin Stiftung de}}<br />
<br />
== Bestimmungsbücher ==<br />
* Glandt, D., 2011. Grundkurs Amphibien- und Reptilienbestimmung: Beobachten, Erfassen und Bestimmen aller europäischen Arten, Quelle & Meyer Bestimmungsbücher. Quelle & Meyer, Wiebelsheim. Methodisches Werk. Behandelt (fast) alle Arten Europas und der angrenzenden Atlantischen Inseln. Umfassend bebilderte Schlüssel und detailgenaue Fotos ermöglichen eine sichere Bestimmung.<br /><br />
* [https://www.birdlife.ch/de/content/feldfuehrer-reptilien-der-schweiz Dusej et al. 2019. Feldführer Reptilien der Schweiz. BirdLife Schweiz] Kompakter, handlicher Führer mit den wichtigsten Informationen zu den einheimischen Reptilien<br /><br />
* [http://feldherpetologie.de/feldherpetologie/literatur/ Liste mit europäischen Bestimmungsbüchern der DGHT]<br />
<br />
== Bibliographie ==<br />
▪ [http://www.amphibienschutz.de/literatur/index.html Schriftenschau für den Feldherpetologen: Bibliographie zur Biologie, Ökologie und Faunistik der in den deutschsprachigen Ländern lebenden Amphibien und Reptilien ab 1954]<br />
<br />
<!--zu eingeschränkte Bibligraphie. Diese deshalb nicht anzeigen: [http://www.akademie-landesforschung.de/arbeitskreise/amphibien-und-reptilien/ Literaturliste der Akademie für ökologische Landesforschung e. V. in Münster (D) zu Amphibien und Reptilien]--><br />
<br />
= Verschiedenes =<br />
== Reptilienbeobachtungen melden ==<br />
Für den Schutz und die Förderung der Reptilien ist es wichtig, dass Sie Ihre [https://webfauna.cscf.ch/Webfauna/Welcome.do?request_locale=de Beobachtungen melden]. Dafür steht Ihnen die [http://www.cscf.ch/cscf/de/home/datenverwaltung/webfauna/webfauna-app.html Webfauna-App] zur Verfügung. Informationen zur Meldung findet man zudem auf der [http://www.karch.ch/karch/de/home/beobachtung-melden.html Webseite der karch].<br />
<br />
== Rechtliches ==<br />
Gemäss eidgenössischer Natur- und Heimatschutzverordnung (NHV) sind alle Reptilienarten geschützt. Weiteres zum rechtlichen Schutz ist im Praxismerkblatt [http://80.241.221.112/de/index.php/Reptilien#Praxisrelevante_Literatur "Einheimische Reptilien schützen und fördern"] aufgeführt.<br />
<br />
= Newsletter =<br />
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<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text: || [https://www.biodivers.ch Verein biodivers]|| info@biodivers.ch<br />
|-<br />
| Zusammenarbeit: || [http://www.karch.ch/karch/de/home/die-karch/team/andreas-meyer.html Andreas&nbsp;Meyer] || [http://www.karch.ch Koordinationsstelle für Amphibien- und Reptilienschutz in der Schweiz (karch)]<br />
|}</div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Gr%C3%BCnland/Grundlagen&diff=4682
Grünland/Grundlagen
2023-03-04T10:09:48Z
<p>VB2: </p>
<hr />
<div>[[fr:Milieux prairiaux/Informations de base]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = Fromentalwiese ABosshard zg 96 dpi.JPG<br />
| text = Die Fromentalwiesen sind innerhalb weniger Jahrzehnte weitestgehend verschwunden.<br />
}}<br />
<br />
=Sukzession und Bedeutung des Grünlands=<br />
Mit wenigen Ausnahmen ist Grünland keine natürliche Vegetation - bleibt eine Nutzung aus, folgt der Verlauf der meisten Grünland-Lebensraumtypen der natürlichen Sukzession. Maag et al. (2001) zeigen die verschiedenen Sukzessionsverläufe für unterschiedliche Standorte. Dabei hat jede Stufe der Sukzession beispielsweise eines Trockenrasens bis hin zum Wald ihren ökologischen Wert; die Artenvielfalt kann durch ein Nebeneinander verschiedener Sukzessionsstadien erhöht werden (Diacon et al. 2011). Die unterschiedlichen Stadien der Verbrachung und Verbuschung weisen willkommene Rückzugsgebiete und Nahrungsreservoirs für Reptilien, Spinnen und viele Insekten dar. Insbesondere jüngere Brachen können floristisch und faunistisch äusserst wertvoll sein; langfristig ist dagegen die Artenvielfalt in Dauerbrachen gefährdet (Dipner & Volkart 2010). <br />
<!-- Abbildung weglassen, weil nicht in guter Qualität zur Verfügung; Alternative: Foto einwachsender Wiese. In der folgenden Abbildung sind die Phasen der Verbuschung nicht mehr bewirtschafteter Halbtrockenrasen dargestellt (Quelle: Briemle et al. 1993):--><br />
<br />
Die Bedeutung des Grünlandes ist vielfältig und eine grosse Bandbreite von allgemeinen, nicht nur an das Grünland gebundene Ökosystemleistungen sind auch mit diesen Lebensräumen verbunden, wie produktive Erzeugnisse, genetische Ressourcen von Futterpflanzen, Bestäubungsleistungen, Erosionsvermeidung, kulturelle Leistungen, Speicherung von Kohlenstoff (Guntern et al. 2013). Ebenfalls relevant sind die mit dem Grünland verbundenen ästhetisch-landschaftlichen Aspekte bspw. im Hinblick auf die touristische Nutzung oder die Erholungsfunktion. Aus landwirtschaftlicher Sicht ist die Bedeutung des Grünlandes als Stätte der Futterproduktion zentral. Entsprechend sind Wiesen und Weiden für die landwirtschaftliche Nutzung im Laufe der vergangenen Jahrzehnte „optimiert“ worden. Beispielsweise stellen die Hochleistungsrassen in der Milchwirtschaft hohe Ansprüche an den Futterwert des Grünlandes: im jüngeren Aufwuchs ist der Rohfasergehalt niedriger und die Anteile an Rohprotein und Mineralstoffen höher. Entsprechend sind der Energiegehalt und die Verdaulichkeit des Futters besser. Damit sind die Anforderungen der Hochleistungsmilchwirtschaft mit dem Erhalt des artenreichen Grünlands nicht vereinbar (Gerowitt et al. 2011); landwirtschaftlich intensiv genutzte Wiesen haben kaum einen ökologischen Wert verglichen mit artenreichem Grünland.<br />
<br />
=Typologie des Grünlands=<br />
Je nachdem, worauf der Fokus liegt, kann das Grünland in Unterkategorien aufgeteilt werden; man kann vegetationskundliche, ökologische oder auch futterbauliche Kriterien anwenden.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Haber de zg.png<br />
| text = Haber (2014) gliedert das Grünland i.w.S. wie oben dargestellt (Abbildung leicht verändert).<br />
}}<br />
<br />
Dietl & Grünig (in Oppermann & Gujer 2003, S. 60) gliedern die artenreichen (Mäh-)Wiesen der Schweiz nach Wasser- und Nährstoffhaushalt in 19 Wiesentypen auf. Ihre tabellarische Übersicht zeigt für die jeweiligen Wiesentypen kennzeichnende Artengruppen und -kombinationen. Für den gedüngten Bereich wurde die obengenannte Systematik weiterentwickelt und [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie#Lebensr.C3.A4ume_des_Gr.C3.BCnlands Bosshard (2016) unterscheidet in der Folge für das gedüngte Wiesland neun Typen].<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = bosshard Genese de.png<br />
| text = Genese und Höhenverbreitung der gedüngten Wiesentypen. <br/> Quelle: Bosshard, A., 2016. Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas. Mit besonderer Berücksichtigung der Fromentalwiesen und des standortgemässen Futterbaus, Bristol-Schriftenreihe Band 50. Haupt Verlag, Bern. © Andreas Bosshard<br />
}}<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* Vereinfachter dichotomer Bestimmungsschlüssel zur Identifikation von Fromental- und Goldhaferwiesen in Bosshard (2016, S. 188).<br />
* [http://www.agraroekologie.ch/SchluesselGeduengteNaturwiesen.xls Bestimmungsschlüssel für die Wiesentypen des gedüngten Naturwieslands der Schweiz]<br />
* [https://www.agroscope.admin.ch/agroscope/de/home/themen/umwelt-ressourcen/monitoring-analytik/all-ema/methode/lebensraumansprache.html Bestimmungsschlüssel für Lebensräume der offenen Kulturlandschaft] (Buholzer et al. 2015)<br />
* Die [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/fachinformationen/massnahmen-zur-erhaltung-und-foerderung-der-biodiversitaet/oekologische-infrastruktur/biotope-von-nationaler-bedeutung/trockenwiesen-und--weiden.html Kartier- und Bewertungsmethode zur Erarbeitung des Inventars der Trockenwiesen und -weiden] ist im Technischen Bericht ausgeführt (Eggenberg et al. 2001)<br />
* [https://www.infoflora.ch/de/lebensraeume/typoch/4-grnland-naturrasen-wiesen-und-weiden.html Klassifikation der Grünlandlebensräume nach Delarze et al. (2015)]<br />
<br />
=Zustand und Entwicklung des Grünlands in der Schweiz=<br />
==Entstehung von Grünland==<br />
Grünland ist in Mitteleuropa vor 8000 Jahren durch Waldrodung zur Ackernutzung entstanden. Die anschliessend nicht mehr für den Ackerbau genutzten Flächen begrünten sich und wurden als Viehweiden genutzt. Wo Wiesland in prähistorischer Zeit vorkam, ist weitgehend ungewiss und wird in Bosshard (2016) kurz ausgeführt.<br />
<br />
Kapfer (2010a, 2010b) und Bosshard (2016) beleuchten die Entstehungsgeschichte und die historische Wies- und Weidelandnutzung und stellen sie in Vergleich mit heutigen Nutzungsformen: Während vieler hundert Jahre war das Wiesland in das Produktionssystem der auf Getreidebau ausgerichteten Dreizelgenwirtschaft ausgerichtet. Der Heu- und Emdschnitt führte zusammen mit den geringen Mistgaben (rund um den Hof herum) und der historisch üblichen Frühjahrsvorweide (Etzen) zu einer langfristigen Ausmagerung der Böden mit entsprechenden Folgen für die Vegetation. Reine Mähwiesen haben sich grossflächig erst im 19. Jahrhundert entwickelt, vorher waren alle Wiesen auch beweidet (Frühjahrs- oder Herbstweide). Nach dem Etzen erfolgte der Heuschnitt später und die Wiesenpflanzen konnten ihre individuelle Entwicklung bis zur Samenreife und dem Ausstreuen der Samen vollständig abschliessen. Die heutige erste Hauptnutzung auf den Mager- und Fromentalwiesen beim Heuschnitt entsprach historisch der zweiten Nutzung. Früher orientierte man sich für den Beginn und das Ende bestimmter Bewirtschaftungsgänge an Heiligen-Tagen. Diese Orientierungszeitpunkte wurden jedoch je nach Jahresverlauf bspw. für den Mahdbeginn auch flexibel gehandhabt. Die Ernte einzelner Flächen erstreckte sich über mehrere Wochen hinweg. Das Heu der Schnittwiesen wurde auf der Fläche getrocknet, wodurch eine erfolgreiche generative Vermehrung gefördert wurde (Poschlod 2011). Im Laufe der Zeit führten neue Ernteverfahren, Bewässerungsmassnahmen und neu auch die phänologischen Veränderungen aufgrund des Klimawandels zu einem früheren ersten Schnitt von Wiesen (Guntern et al. 2013).<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Bewirtschaftungsschemata Kapfer zg 96 dpi.jpg<br />
| text = Bewirtschaftungsschema der drei wichtigsten Wiesentypen der alten Dreizelgenwirtschaft. Quelle: Kapfer, A. (2010): Beitrag zur Geschichte des Grünlands Mitteleuropas im Hinblick auf den Arten- und Biotopschutz. Darstellung im Kontext der landwirtschaftlichen Bodennutzungssysteme. In: Naturschutz und Landschaftsplanung 42 (5), S. 133–140.<br />
}}<br />
<br />
<br /><br />
<table border="0", style="font-size:108%"> <br />
<tr> <br />
<td> '''Die ökologischen Auswirkungen und die Anwendung des Etzens (Frühjahrsvorweide) (Quelle: Bosshard 2015b)''' <br /> Etzen war bis ins 18./19. Jh. die übliche erste Nutzung von Mähwiesen. Heute wird die Vorweide dagegen vor allem im Berggebiet in den intensiver genutzten Wiesentypen noch regelmässig praktiziert. Etzen bewirkt langfristig einen Nährstoffentzug, die Wüchsigkeit einer Wiese wird vermindert und dadurch, dass kurzfristig Licht in den Bestand eingebracht wird, werden empfindlichere Pflanzen artenreicher Wiesen gefördert. Die längere bewirtschaftungsfreie Phase zwischen der Frühjahrsweide und dem nächsten Nutzungszeitpunkt durch Mahd führt zu einem deutlich schmackhafteren, gehaltvolleren (da eiweissreicheren) Heuaufwuchs, so dass Etzen auch aus futterbaulicher und wirtschaftlicher Sicht von Interesse sein dürfte. <br />
Das kurze, schonende Überweiden einer Wiese im Frühjahr führt zu einem strukturierteren Pflanzenbestand, einem längerdauernden Blütenangebot und einem späteren Heuschnitt und gewisse Tierarten (Tagfalter, Heuschrecken und wiesenbrütende Vogelarten) können davon profitieren (SHL 2008). Aus praktischen Gründen (logistischer Aufwand) kommt das Etzen nur für eine Minderheit von Grünlandflächen überhaupt in Frage und ist für BFF-Flächen bspw. im Rahmen von Vernetzungsprojekten realisierbar, sofern die kantonalen Vernetzungsrichtlinien dies vorsehen und begründen.</td> <br />
</tr> <br />
</table><br />
<br /><br />
<br />
Unter diesem historischen Blickwinkel ist die Entstehung der Artenvielfalt in Wiesen zu betrachten (Poschlod 2011): Die Artenzusammensetzung der Flachlandmähwiesen, wie sie sich in der heutigen Form präsentiert, ist wahrscheinlich erst etwa 300 Jahre alt; der namengebende Glatthafer (''Arrhenatherum elatius'') wurde erst Anfang des 18. Jahrhunderts eingeführt (d.h. ein durch Auswahl-Zucht verbesserter Ökotyp aus Südfrankreich). Möglicherweise ist die namengebende Art der Berg-Mähwiesen, der Goldhafer (''Trisetum flavescens'') ebenfalls erst zu dieser Zeit eingeführt worden. Fast alle Pflanzenarten des Wieslandes scheinen aus der autochthonen Flora zu stammen (bspw. aus lichten Stellen von Wäldern, aus Schotterflächen der Auen, aus den Randregionen der Hochmoore etc.). Verschiedene Futterpflanzen des Wieslandes sind (gezielt oder unabsichtlich) eingeführt worden und schon früh begann der Mensch, mit gezielten Einsaaten den Ertrag zu steigern.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Bewirtschaftungstypen Kapfer zg 1280 768.png<br />
| text = Übersicht zur Genese der Bewirtschaftungstypen des Grünlands Mitteleuropas. Quelle: Kapfer, A. (2010): Beitrag zur Geschichte des Grünlands Mitteleuropas im Hinblick auf den Arten- und Biotopschutz. Darstellung im Kontext der landwirtschaftlichen Bodennutzungssysteme. In: Naturschutz und Landschaftsplanung 42 (5), S. 133–140.<br />
}}<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* Zusammenfassende Betrachtungen und nähere Ausführungen zur Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des Grünlands liefern [http://www.dr-kapfer.de/index.php/download.html Kapfer (2010a, 2010b)], [https://pudi.lubw.de/detailseite/-/publication/90005 Poschlod (2011)] und Bosshard (2016).<br />
* Auch das [http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D13861.php Historische Lexikon der Schweiz] bietet zu verschiedenen Themen (Düngung, Futtermittel, Bewässerung, Wiesen, Weiden) informative Artikel.<br />
<br />
==Quantitativer und qualitativer Zustand und deren Veränderung==<br />
Das Grünland hat sich mit den technischen Möglichkeiten in der Landwirtschaft (Mechanisierung, Düngereinsatz) und den Flurbereinigungen der letzten Jahrzehnte stark verändert worden und verändert sich immer noch.<br />
<br />
Die [[Media:Tabelle Grünland Auszug Flächenbedarf.pdf|Tabelle]] gibt einen Überblick über die Ausdehnung und quantitative Veränderung der Schweizer Grünlandlebensräume. Quelle: «Guntern et al. (2013): Flächenbedarf für die Erhaltung der Biodiversität und der Ökosystemleistungen in der Schweiz», S. 96. Weitere Grünflächen befinden sich im Siedlungsgebiet.<br/><br />
<small>LN = Landwirtschaftliche Nutzfläche, SöG = Sömmerungsgebiet, BFF = Biodiversitätsförderfläche</small> <br />
{| class="wikitable" <br />
|-<br />
! style="width: 25%"| Lebensraum<br />
! style="width: 10%"| Zeit<br />
!colspan="2"|Ausdehnung [ha]<br />
! style="width: 25%"| Bemerkung, Quelle<br />
|- style="vertical-align:top;"<br />
| Wiesen und Weiden auf der LN (ohne SöG, Kunstwiesen) davon:<br/>- Extensiv genutzte BFF-Wiesen <br/>- Wenig intensiv genutzte BFF-Wiesen<br />
| 2011<br />
|colspan="2"|610’732 <br/><br/><br/>66‘056 <br/>22‘919<br />
| (BLW 2012) <br/>Wobei mit Qualität gemäss ÖQV: <br/>- Weiden, Waldweiden: 5'384 ha <br/>- Wiesen (inkl. Streuflächen): 28'864 ha<br />
|-<br />
| Sömmerungsgebiet <sup>1</sup> (SöG)<br />
| 2011<br />
|colspan="2"|505'385 (12% der CH)<br />
| Gemäss (Walter et al. 2013)<br />
|-<br />
|rowspan="2"|Trockenwiesen und –weiden (TWW)<br />
| 1900<br />
|colspan="2"|760‘000 (bis 900‘000)<br />
| (Eggenberg et al. 2001; Lachat et al. 2010b), Flächenverlust von 90-99% von TWW in den Regionen und 95% in der Schweiz. <sup>2</sup><br />
|-<br />
| 2010<br />
|colspan="2"|37‘011<br />
| <br />
|- style="vertical-align:top;"<br />
| Potenziell wertvolles Grasland auf der LN oder im SöG (ohne TWW, Moore Modell basierend auf der Steigung und der Höhe über Meer an den Fundorten von UZL-Ziel- und Leitarten.<br />
| 2012 <br/>Total: <br/>TZ: <br/>HZ: <br/>BZI: <br/>BZII: <br/>BZII: <br/>BZIV: <br/>SöG:<br />
| style="width: 20%"| [ha] <br/>231’688 <br/>3797 <br/>354 <br/>2'023 <br/>6943 <br/>9223 <br/>10'984 <br/>198'364<br />
| style="width: 20%"| [%] <br/> <br/>0.78 <br/>0.25 <br/>1.71 <br/>4.52 <br/>11.06 <br/>22.72 <br/>39.25<br />
| (Walter et al. 2013) <br/> <br/>TZ = Talzone <br/>HZ = Hügelzone <br/>BZ = Bergzone <br/> <br/>Grünland macht nahezu 100% des SöG sowie der LN in den BZIV und BZIII aus.<br />
|-<br />
|rowspan="2"|Fromentalwiesen auf der LN<br />
| 1950<br />
|colspan="2"|Abgesehen von TWW, Dauerweiden, Streuwiesen, Äckern nahezu alles<br />
| (Bosshard & Stähli 2012): genauere Angaben in Erarbeitung für Schlussbericht der laufenden Studie.<br />
|-<br />
| 2011<br />
|colspan="2"|3-8%<br />
| (Bosshard & Stähli 2012), wobei davon ca. 20% mit der Artenzusammensetzung von intensiv genutzten Fromentalwiesen der 1950er Jahre und max. 5% mit guter Qualität (pers. Mitteilung A. Bosshard) <br/>-> Rückgang von vermutlich > 90% und nahezu 100% für artenreiche Bestände (Bosshard 1998)<br />
|}<br />
<small><br />
<sup>1</sup> Gemäss Arealstatistik nahm die Alpwirtschaftliche Nutzfläche von 1979/85 bis 1992/97 von 555'662 um 3.2 % auf 537'802 ha ab. Ein weiterer Rückgang wurde bis 2004/09 festgestellt.<br />
</small> <br/><br />
<small><br />
<sup>2</sup> Schätzungsweise weitere Abnahme von 25-30% zw. 1995-2005 (Leibundgut 2007 zitiert in Graf & Korner 2011). Grössenordnungen in diesem Bereich sind im Wallis und Engadin durch Fallstudien bestätigt.<br />
</small><br />
<br />
<br/><br />
Ein Vergleich mit der Grünland-Situation in Deutschland zeigt: Ein mit der Schweiz (Tieflagen) vergleichbarer Anteil von rund 13% der Gesamtfläche (CH 14.7%) wird als landwirtschaftliches Grünland genutzt, der Grossteil davon ebenfalls intensiv (Boch et al. 2016).<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = Nutzung LN BFS 2018 96 dpi.png<br />
| text = Wie sich die landwirtschaftliche Nutzfläche der Schweiz auf die verschiedenen Nutzungstypen aufteilt. Quelle: BFS 2018, Die Schweiz in 21 Infografiken.<br />
}}<br />
<br />
Im Zeitraum von 1990 bis 2009 hat sich die Grünlandfläche in Deutschland um 875‘000 ha verringert. Zwischen 2003 und 2012 betrug der absolute Verlust des Dauergrünlands ca. 5%. In der Schweiz machen Landwirtschafts- und Alpwirtschaftsflächen zusammen mehr als einen Drittel der Gesamtfläche aus; zwischen 1985 und 2009 sind 85‘000 ha davon verlorengegangen, was der Grösse des Kantons Jura entspricht (BFS 2018). Die Fromentalwiesen, bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts der häufigste und zugleich produktivste Wiesentyp auf den guten Böden der tieferen Lagen Mitteleuropas, sind innerhalb weniger Jahrzehnte weitestgehend verschwunden. Damit einher ging eine qualitative Verschlechterung: ein Vergleich zwischen 1950 und 2009 zeigt, dass die damalig «intensiv» genutzten Wiesen in der Regel QII-Qualität hatten, heute hingegen in den noch vorhandenen Fromental-Vergleichswiesen nur noch ein Drittel diese Qualitätsanforderung erreicht («Fromentalwiesenprojekt», Bosshard 2016). Unter den besonders wertvollen Lebensräumen ging die Fläche der Trockenwiesen und -weiden zwischen 1900 und 2010 um 95% zurück.<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = TWW Zuerich Umweltbericht zg.png<br />
| text = Abnahme artenreicher Wiesen im Kanton Zürich. Quelle: Baudirektion Kanton Zürich (2008), Umweltbericht 2008.<br />
}}<br />
<br />
Im Schweizer Berggebiet nahm die Entwicklung des Futterbaus und der Wiesen und Weiden einen anderen Weg als im Mittelland: Erschwernislagen (steile oder schlecht erschlossene, meist mit vielen Kleinstrukturen durchsetzte Flächen) wurden zunehmend in Weiden umgenutzt oder ganz aus der Nutzung entlassen und ein Grossteil davon ist in der Folge verbuscht und verwaldet. Insgesamt hat die Waldfläche in den vergangenen 150 Jahren auf Kosten von Wiesen- und Weideflächen je nach Region um 30-100% zugenommen. Heute liegt der überwiegende Teil des artenreichen Wieslandes der Schweiz in solchen Erschwernislagen ab Bergzone I; besonders hoch ist dieser Anteil im Sömmerungsgebiet. Allerdings nehmen diese Flächen sowohl durch Nutzungsaufgabe als auch durch Intensivierung laufend ab (Bosshard 2016).<br />
<br />
Der Anteil BFF mit Qualitätsstufe II steigt stetig an; das Ziel eines 40%-Anteils wurde 2017 erstmals erreicht. Der Anteil im Talgebiet ist mit 28% jedoch immer noch tief (BLW 2018). Seit 2014 werden ebenfalls Beiträge für artenreiche Grün- und Streueflächen im Sömmerungsgebiet ausgerichtet; der Anteil dieser Flächen mit Qualitätsstufe II betrug 2017 217‘496 ha.<br />
<br />
{| class="wikitable" <br />
|- <br />
|colspan="5"| '''Übersicht über die Flächenanteile BFF mit QII-Qualität (in Hektaren) (Quelle: Agrarbericht BLW 2019)'''<br />
|-<br />
! BFF QII-Typ<br />
! style="text-align:right;" | Talregion<br />
! style="text-align:right;" | Hügelregion<br />
! style="text-align:right;" | Bergregion<br />
! style="text-align:right;" | Total<br />
|-<br />
| Extensiv genutzte Wiesen<br />
| style="text-align:right;" | 11495<br />
| style="text-align:right;" | 7395<br />
| style="text-align:right;" | 17411<br />
| style="text-align:right;" | 36301<br />
|-<br />
| Wenig intensiv genutzte Wiesen<br />
| style="text-align:right;" | 130<br />
| style="text-align:right;" | 411<br />
| style="text-align:right;" | 3220<br />
| style="text-align:right;" | 3761<br />
|-<br />
| extensiv genutzte Weiden und Waldweiden<br />
| style="text-align:right;" | 1468<br />
| style="text-align:right;" | 2830<br />
| style="text-align:right;" | 14759<br />
| style="text-align:right;" | 19057<br />
|-<br />
| artenreiche Grün- und Streuflächen im Sömmerungsgebiet<br />
| <br />
| <br />
| <br />
| style="text-align:right;" | 223509<br />
|}<br />
<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Entwicklung BFF Q2 2001 2016.png<br />
| text = Entwicklung (in Hektaren) der angemeldeten artenreichen Wiesen und Weiden (BFF mit Qualitätsstufe II) zwischen 2001 – 2016 (Quelle: Daten BLW).<br />
}}<br />
<br />
Die qualitativen Veränderungen in Wiesen und Weiden betreffen das allgemeine Nährstoffniveau, welches enorm gestiegen ist und das Verschwinden des früher verbreiteten Mosaiks von unterschiedlich genutzten Flächen (Schmid et al. 2007). Weitere qualitative Veränderungen der letzten Jahrzehnte beschreibt Bosshard (2016): Die Schlagkraft hat sich vervielfacht mit früherem Schnitt, viel höherer Nutzungsfrequenz und der zeitgleichen Nutzung viel grösserer Flächen. Die Erträge sind um ca. 60-80% gestiegen. Kleinstrukturen und Kulturlandschaftselemente sind verschwunden. Die schwereren Maschinen haben eine problematische Bodenverdichtung zur Folge und insbesondere für die Fauna destruktive Ernteverfahren (Rotationsmähwerke, Futteraufbereiter, Silagetechnik) nehmen zu. Heute wird vorwiegend Güllewirtschaft (rasch verfügbare Nährstoffe) statt der früher üblichen Festmistwirtschaft betrieben und durch den Wechsel von der Dürrfutterbereitung (Heu) zur Silage liegt der Nutzungszeitpunkt des ersten Aufwuchses heute früher im Jahr, es sind mehr Nutzungen pro Jahr möglich, die Ernte verläuft rascher und die Pflanzen können weniger absamen. Meliorationen, das Zusammenlegen von Parzellen und das Verschwinden von extensiven Parzellengrenzen bewirken ebenfalls grosse Veränderungen. Ein nächster Schritt steht mit der zukünftigen Automatisierung der Bewirtschaftung bevor. Anschaulich illustriert [https://www.pronatura.ch/de/wiesen-und-weiden Pro Natura anhand von Beispielen] die Entwicklung ehemals artenreicher Wiesen in artenarme Fettwiesen.<br />
<br />
Die ökologischen Auswirkungen der oben beschriebenen Veränderungen sind mannigfaltig: beispielsweise führt die Intensivierung der Graslandkultivierung und die früheren Schnittzeitpunkte zu einer Abnahme der Samenbank im Boden (Klimkowska et al. 2007). Die früheren Schnittzeitpunkte führen zur Überlappung mit der Brutsaison bodenbrütender Vögel; durch Mahd werden die Nester mechanisch zerstört oder sind für Prädatoren nach dem Schnitt leichter zugänglich oder die Futterverfügbarkeit wird während einer kritischen Phase der Nestlinge dezimiert (Britschgi et al. 2006). Einzelflächen wie auch die Gesamtfläche ökologisch wertvoller Wiesen und Weiden sind zu klein und zu stark fragmentiert. Kleine Grünlandflächen sind besonders empfindlich gegenüber negativer Randeffekte (z.B. Eindringen anderer Arten) und ökologischer Drift. Die durchschnittliche Grösse der TWW von nationaler Bedeutung beträgt heute 4.7 ha und im Sömmerungsgebiet 10.5 ha (Guntern et al. 2013): eine Wiederbesiedlung durch Tagfalter, Hummeln und Reptilien ist möglich, wenn die Flächen nicht weiter als 1-3 km voneinander entfernt sind. Charakteristische Heuschrecken und Laufkäfer dagegen überwinden selten Distanzen von über 100 m.<br />
<br />
'''Nährstoffversorgung im Grünland''' <br/><br />
Stickstoff ein elementarer Baustein aller Lebewesen; Pflanzen nehmen ihn über die Wurzeln in der Form von Ammonium oder Nitrat auf. Pflanzenverfügbarer Stickstoff ist natürlicherweise in den meisten Böden Mangelware – in den letzten Jahrzehnten gelangten jedoch riesige Mengen von Stickstoffverbindungen als Mineraldünger, Gülle oder aus Verbrennungsprozessen direkt oder indirekt über die Luft in die Böden. Der natürliche atmosphärische Eintrag von biologisch aktivem Stickstoff beträgt lediglich 0.5 – 2 kg/ha. Heute gelangt durchschnittlich 16 kg/ha Stickstoff über die Luft in den Boden, was in etwa der ausgebrachten Menge für mittel intensiv genutzten Wiesen entspricht. Peter (2011) weist darauf hin, dass bei drei der vier umweltrelevanten Stickstoffformen (Ammoniak, Nitrat und Lachgas) die Landwirtschaft gesamtschweizerisch gesehen die Haupt Emittentin ist. So müssten beim Ammoniak beispielsweise die Emissionen aus der Landwirtschaft annähernd halbiert werden, damit eine substanziell schädigende Wirkung in sensiblen Ökosystemen verhindert werden könnte. Für artenreiche Wiesen (kollin und montan) liegt der kritische Eintragswert bei 10-30 kg N pro Hektar und Jahr (Guntern 2016a). Entsprechend sind bspw. 49% der Trockenwiesen von den negativen Auswirkungen des atmosphärischen Stickstoffeintrags betroffen; die kritischen Eintragswerte (critical loads) werden in vielen Lebensräumen z.T. massiv überschritten (BAFU 2017). In Wiesen führt dies zu einer Bodenversauerung, zu einer starken Abnahme der Pflanzendiversität und zur Dominanz einiger weniger Grasarten und ist mitverantwortlich für die extreme Artenverarmung im Wiesland insbesondere in den Tieflagen (Bosshard 2016). Heutige Bestände sind im Vergleich zu früher wüchsiger und dichter.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Stickstoffbilanz 2015 BFS 2.png<br />
| text = Die Stickstoffbilanz in den Landwirtschaftsflächen (inkl. Alpweiden) zeigt langfristig betrachtet zwar einen rückläufigen Überschuss, dennoch resultierte 2015 ein Überschuss von 60 kg/ha (1990er-Jahre > 80 kg/ha). Quelle: Landwirtschaft und Ernährung, Taschenstatistik BFS 2018)<br />
}}<br />
<br />
Auch Phosphor ist einer der Hauptnährstoffe der Pflanzen und wird in der Landwirtschaft als Düngemittel eingesetzt. In den letzten zehn Jahren belief sich der Phosphorüberschuss auf rund 400 t/Jahr.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = phosphorbilanz 2018 de zg.png<br />
| text = Phosphorbilanz der Landwirtschaftsflächen. Phosphormengen, die in landwirtschaftliche Böden gelangen bzw. ihnen entzogen werden. Quelle: BFS – Umweltgesamtrechnung (2020)<br />
}}<br />
<br />
Im intensiv genutzten Grasland werden ausserdem steigende Zink- und Kupfereinträge beobachtet, welche aus dem Hofdünger (Gülle und Mist) bzw. aus den Futtermitteln stammen (Gubler et al. 2015). Aufgrund der hohen landwirtschaftlichen Nutzungsintensität kann auch im Grünland davon ausgegangen werden, dass vielerorts das Bodenleben dadurch beeinträchtigt wird.<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* BAFU (2017): [https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/biodiversitaet/uz-umwelt-zustand/biodiversitaet-schweiz-zustand-entwicklung.pdf.download.pdf/UZ-1630-D_2017-06-20.pdf Zustand und Entwicklung Biodiversität Schweiz]<br />
* Guntern et al. (2013): [http://www.ngzh.ch/media/pdf/Flaechenbedarf.pdf Flächenbedarf für die Erhaltung der Biodiversität und der Ökosystemleistungen in der Schweiz]<br />
* BAFU (2017): [https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/boden/uz-umwelt-zustand/boden-schweiz.pdf.download.pdf/UZ-1721-D_Boden2017.pdf Boden in der Schweiz. Zustand und Entwicklung. Stand 2017] <br />
* BFS (2018): [https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kataloge-datenbanken/publikationen/uebersichtsdarstellungen/taschenstatistik-schweiz.html Taschenstatistiken] <br />
* BLW (2019): [https://www.agrarbericht.ch/de Agrarbericht 2019]<br />
<br />
==Zustand und Entwicklung der Artengemeinschaften des Grünlands==<br />
Bei einer Vergleichsuntersuchung fanden Schlup et al. (2013) im extensiv bewirtschafteten Grünland (Kammgrasweide, Fromental- und Goldhaferwiese, Halbtrockenrasen) eine höhere Artenzahl an Gefässpflanzen als im durchschnittlichen Grünland der Schweiz. Ausserdem kamen im extensiven Grünland deutlich mehr Kenn- und Charakterarten sowie gefährdete Arten vor. Spezialisiertere Grünlandarten werden zunehmend von Generalisten verdrängt und es findet eine Trivialisierung statt.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = TWW Kennarten de zs.png<br />
| text = Die Tabelle zeigt, wie wichtig besonders wertvolle Lebensräume für den Erhalt von vielen Tiergruppen sind. Quelle: Hotspot 18, Forum Biodiversität Schweiz 2008)<br />
}}<br />
<br />
Demnach weist ein beträchtlicher Teil der Arten eine erhöhte Bindung zu Trockenwiesen und -weiden auf.<br />
Lebensraumverlust und -degradierung haben auf die Biodiversität im Grünland einen negativen Einfluss, wie die folgende Darstellung aus dem Biodiversitätsmonitoring Schweiz zeigt (BAFU):<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Indikatoren de zs.png<br />
| text = Vielfalt von Artengemeinschaften in Wiesen und Weiden - Index* von 0 (einheitlich) bis 100 (vielfältig), aller paarweisen Vergleiche der Stichprobenflächen, in Prozent. *Mittelwerte über einen Zeitraum von jeweils fünf Jahren. Quelle: BAFU: Biodiversitäts-Monitoring Schweiz BDM 2018<br />
}}<br />
<br />
Die Artenvielfalt ist seit Mitte der 2000er Jahre insgesamt zurückgegangen und deutet auf eine gesamtschweizerische Vereinheitlichung der Wiesen und Weiden hin, was einem Verlust der Biodiversität gleichkommt. Jedoch ist der Verlust der Artengemeinschaften in diesen Lebensräumen schon seit mindestens einigen Jahrzehnten im Gang: In den letzten 120 Jahren hat sich die durchschnittliche Pflanzenartenvielfalt auf 81 Wiesen fast halbiert (Schlup et al. 2013). Generell wird festgestellt, dass v.a. häufig vorkommende Arten zugenommen haben, welche keine besonderen Ansprüche an ihren Lebensraum stellen. Spezialisierte Grünlandarten werden zunehmend von Generalisten verdrängt, was zu einer Trivialisierung der Wiesen und Weiden führt.<br />
<br />
Auch die meisten Vogelarten, welche auf Äckern, Wiesen und Weiden brüten, sind aufgrund der hohen landwirtschaftlichen Nutzungsintensität im Rückgang begriffen: Der schweizerische Index der für das Kulturland typischen Brutvögel (46 UZL-Arten) hat seit 1990 um fast 30% abgenommen, der europäische Agrarvogelindex seit 1980 um über 50% (BLW 2017, Becker et al. 2014). Auch die Bergidylle ist zunehmend bedroht: ein Langzeitvergleich der Vogelwarte zeigt, dass im Engadin innerhalb von 22 Jahren der Anteil an wenig intensiv genutzten und artenreichen Wiesen von 32 auf 27% gesunken und die Brutbestände von Feldlerche, Baumpieper und Braunkehlchen um 44-61% gesunken sind (Korner et al. 2017). Den blütenbesuchenden Insekten wird durch den Rückgang des reichen Blüten- und Nektarangebots die Nahrungsgrundlage entzogen. Wesche et al. (2014) stellten bei Heuschrecken und Wanzen in Auen und Trockenwiesen innert 50 Jahren einen dramatischen Einbruch der Individuenzahlen (>60%) bei teils konstanten, teils zunehmenden Artenzahlen fest. Die botanische Zusammensetzung von Fromentalwiesen zeigt im Vergleich zu den 1950er Jahren eine durchschnittliche Abnahme der Artenzahl von rund 30% bei einer ebenfalls deutlichen Qualitätseinbusse (Bosshard 2015c).<br />
<br />
Im Rahmen des Monitoringprogramms ALL-EMA werden der Zustand und die Veränderung von Arten und Lebensräumen der Umweltziele Landwirtschaft in der offenen Agrarlandschaft Schweiz erfasst und die Biodiversitätsförderflächen beurteilt. Eine erste umfassende Auswertung zum Zustand der Biodiversität ist 2020 vorgesehen.<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* [https://www.agroscope.admin.ch/agroscope/de/home/themen/umwelt-ressourcen/monitoring-analytik/all-ema.html ALL-EMA]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/zustand/indikatoren.html Vielfalt von Artengemeinschaften in Wiesen und Weiden (BAFU)]<br />
* [http://www.biodiversitymonitoring.ch/de/home.html Biodiversitätsmonitoring Schweiz]<br />
* [https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/biodiversitaet/uw-umwelt-wissen/umweltziele_landwirtschaftstatusbericht.pdf.download.pdf/umweltziele_landwirtschaftstatusbericht.pdf BAFU & BLW (2016): Umweltziele Landwirtschaft UZL.]<br />
<br />
=Gefährdung und Gefährdungsursachen=<br />
43% der unter dem Begriff „Grünland“ zusammengefassten Lebensraumtypen gelten als gefährdet. Die wertvollsten Flächen der Trockenwiesen und -weiden sind in einem Inventar (TWW) bezeichnet - seit 1900 sind rund 95% der TWW in der Schweiz verschwunden.<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = Gefaehrdungskat Grünland de.png<br />
| text = Einstufung der 30 Lebensraumtypen des Grünlandes gemäss Roter Liste.<br />
}}<br />
<br />
Gefährdungsursachen und wichtige Treiber sind (Delarze et al. 2015, Bosshard 2016, Becker et al. 2014):<br />
* Der Verlust an Grünland-Lebensräumen durch Nutzungsaufgabe in Grenzertragslagen und nachfolgender Sukzession, durch Umwandlung von Grünland in Ackerland oder Kunstwiesen und durch den Siedlungs- und Strassenbau. Als Folge der Lebensraumverluste sind verbleibende Habitate oft zu klein und/oder von Isolation bedroht. Bis Fragmentierung und Randeffekte zum Verlust von Arten führen, kann es Jahrzehnte dauern; man spricht deshalb auch von der sogenannten Aussterbeschuld. Im Sömmerungsgebiet verschwinden mittel-wertvolle Flächen. Das aktuelle Instrument der BFF gibt im Sömmerungsgebiet keine Kriterien zur Bewirtschaftung vor. Es gibt Hinweise, dass die Kartierung der TWW nicht vollständig ist. Es besteht die Gefahr, dass wertvolle Flächen durch Intensivierung, falsche Nutzung oder Nutzungsaufgabe verloren gehen.<br />
* Intensivierung, moderne oder ungeeignete Bewirtschaftung sowie Nährstoffeinträge: Der Strukturwandel in der Landwirtschaft und die damit verbundene Intensivierung hat vielfache Auswirkungen auch auf das Grünland. Düngung und Zufütterung in der Viehhaltung haben vervielfachte Nährstoffeinträge und die Eutrophierung des Bodens zur Folge. Durch das Düngen werden viele Grünlandarten, insbesondere Kräuter, verdrängt und die Artenvielfalt nimmt in der Folge ab, weil wenige Arten dank dieser zugeführten Nährstoffe schnell wachsen, rasch Biomasse aufbauen und den Boden für den Aufwuchs anderer Pflanzen beschatten (Gerowitt et al. 2013). Die Intensivierung umfasst ausserdem die frühere Nutzung der Bestände zur Erzielung hoher Futterqualität (für die Hochleistungs-Milchkühe) und eine generell erhöhte Schlagkraft (mit schweren Maschinen), häufigere Nutzungen, den Einsatz von Pestiziden, Flurbereinigungen und Strukturverlust sowie kulturtechnische Massnahmen zur Entwässerung, Kalkung oder Bewässerung der Flächen. Des Weiteren werden Flächen eingeebnet bzw. unter Einsatz von bspw. Forstmulchern intensiviert. Vorgegebene Schnittzeitpunkte bewirken eine Monotonisierung der Landschaft sowie ein zeitgleiches Wegfallen von Nahrungsquellen. All diese Faktoren sowie die Aufgabe bestimmter Nutzungsformen führen zu einer Vereinheitlichung der Lebensräume. <br />
* Der Klimawandel stellt für den Wandel der Biodiversität und Ökosysteme einen bedeutenden Faktor dar (Guntern 2016b): insbesondere spielen der Temperaturanstieg sowie Veränderungen im hydrologischen Regime eine Rolle. Höhere Temperaturen und zunehmende Niederschlagsmengen führen bei gleichmässiger Bodendurchfeuchtung zu einer zunehmend schnelleren Wuchsleistung des Grünlands. Aus dem Biodiversitätsmonitoring ergeben sich Hinweise, dass im Mittelland bestimmte Lebensräume einerseits wärmer, andererseits auch trockener werden (BDM-Facts Nr. 4, BAFU 2012).<br />
* Auch invasive, gebietsfremde Arten können auf die heimische Biodiversität nachteilig wirken. V.a. folgende Arten bereiten bisher grossflächig Probleme im extensiv genutzten Wiesland: das Einjährige Berufkraut (''Erigeron annuus''), die beiden Goldrutenarten (''Solidago canadensis'' und ''S. serotina'', v.a. im unternutzten oder spät gemähten, feuchten bis wechselfeuchten Wiesland) sowie das Schmalblättrige Kreuzkraut (''Senecio inaequidens''). Weitere Neophyten mit invasivem Ausbreitungspotenzial werden auf der Neophyten-Watch-List geführt. Die (bemerkenswerte) Resistenz gegenüber neu eingebrachten Arten scheint ein Charakteristikum des mitteleuropäischen Wieslands zu sein (Bosshard 2016).<br />
* Je nach Lebensraumtyp und Lage des Grünlandes stellen auch Freizeitaktivitäten bzw. Erholungsnutzung Gefährdungsfaktoren dar. In Deutschland sind insbesondere auch der Anbau von Energiepflanzen (Biogasproduktion, Raps für Kraftstoffproduktion) sowie die Agrophotovoltaik mögliche Gefährdungstreiber.<br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = rationelle Mahd as 96 dpi.jpg<br />
| text = Rationelle Erntemaschinen töten und verletzten viele Tiere.<br />
}}<br />
<br />
Nachfolgend werden einige ausgewählte Gefährdungsfaktoren näher beleuchtet.<br />
<br />
'''Unternutzung und Nutzungsaufgabe''': <br/><br />
Eine extensive Bewirtschaftung wird in Gebieten mit ungünstigen Produktionsbedingungen (Hangneigung, Bodenstruktur) immer weniger rentabel. In den letzten dreissig Jahren bewegten sich die Veränderungen in der Nutzungsform im Alpenraum stets in Richtung eines geringeren Bewirtschaftungsaufwands: von der Schnitt- zur Weidenutzung und von der Beweidung zur Verbrachung (Leitgruppe NFP 48 2007). Eine Unternutzung oder eine gänzliche Aufgabe der Bewirtschaftung führen kurzfristig zu Verbrachungserscheinungen, mittelfristig zu Verbuschung und Einwaldung. Wenn die Biomasse nicht weggeführt wird, tritt im Laufe der Jahre zunehmend Lichtmangel v.a. für die dichte, bodennahe Schicht in Form von sogenanntem Streuefilz auf. Gerade seltene und gefährdete Arten verschwinden oft zuerst und werden durch Generalisten ersetzt, bevor die Bewaldung einsetzt (Bosshard 2016). Im günstigsten Fall kann bereits nach 20 Jahren auf einer früheren Magerwiese oder -weide ein Wald stehen. In sehr magerem Wiesland führt die Nutzungsaufgabe und Verbrachung jedoch nicht zu einem Artenverlust, da die Wüchsigkeit für das Ausbilden eines Streuefilzes nicht ausreicht oder dieser rasch wieder abgebaut wird (bspw. durch Wind). Die natürliche Wiederbewaldung in Grenzertragslagen wird als Ausdruck eines grundlegenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wandels interpretiert, bei dem der Rückgang der Armut und die Zunahme des Wohlstands eine grosse Rolle spielen (Leitgruppe NFP 48 2007). Durch die abnehmende Verfügbarkeit von Arbeitskräften sind auch pflegerische Arbeiten der Bewirtschaftung gefährdet: damit eine möglichst langfristige Produktivität des Kulturbiotops sichergestellt werden kann, sind Pflegearbeiten wie Frühjahrssäuberung, exaktes Mähen, Abrechen des Schnittguts usw. notwendig, damit die «Saatbett-Bereitung» bzw. das Vorhandensein von Keimstellen gesichert ist.<br />
<br />
'''Steinfräsen''': <br/><br />
Steinfräsen zerkleinern Steine und Felsen, zermalmen und brechen den Boden auf, beseitigen Kleinstrukturen und Unebenheiten im Gelände. Diese irreparable Zerstörung der natürlichen Vegetation und der Kleinstrukturvielfalt ist u.a. für den Verlust von Baumpieper und Feldlerche im jurassischen Brutgebiet mitverantwortlich. Im Jura werden seit den 1990er-Jahren Steinfräsen teilweise grossflächig eingesetzt, um die wertvollen Kleinstrukturen zu eliminieren und ganze Flächen zu planieren. Die Gesetzeslage ist kantonal unterschiedlich (SO, JU, VD nicht erlaubt, NE & BE teilweise erlaubt) und trotz Verbot sind unbewilligte Fälle bekannt (Apolloni et al. 2017). Steinfräsen werden auch in höheren Lagen der Alpen regelmässig eingesetzt. Sie stellen eine so grosse Gefahr für die Biodiversität dar, dass sie verboten gehören.<br />
<br />
Weitere Informationen:<br />
* Delarze et al. (2016): [https://www.infoflora.ch/de/lebensraeume/rote-liste.html Rote Liste der Lebensräume der Schweiz]<br />
* Trockenwiesen und -weiden der Schweiz (TWW) [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/fachinformationen/massnahmen-zur-erhaltung-und-foerderung-der-biodiversitaet/oekologische-infrastruktur/biotope-von-nationaler-bedeutung/trockenwiesen-und--weiden.html Inventar, Vollzugshilfe und Merkblätter, Fallstudien]<br />
* [https://www.wsl.ch/de/biotopschutz-schweiz.html Wirkungskontrolle Biotopschutz Schweiz]<br />
<br />
=Rechtsgrundlagen =<br />
* [https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19983407/index.html Landwirtschaftsgesetz (LwG)]<br />
* [https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19983381/index.html Landwirtschaftliche Begriffsverordnung (LBV)]<br />
* [https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20130216/index.html Direktzahlungsverordnung (DZV)]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/oekologischer-leistungsnachweis.html Ökologischer Leistungsnachweis (ÖLN) gemäss DZV, Übersicht zu den einzelnen Artikeln]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/biodiversitaetsbeitraege.html Übersicht über die Biodiversitätsbeiträge pro BFF-Typ und Qualitätsstufe]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/biodiversitaetsbeitraege/qualitaetsbeitrag.html Weitere Ausführungen zu den BFF-Qualitätsbeiträgen (QI und QII)]<br />
* [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/biodiversitaetsbeitraege/vernetzungsbeitrag.html Weitere Ausführungen zu den Vernetzungsbeiträgen]<br />
* Die rechtliche Grundlage für den nationalen Schutz der Trockenwiesen und -weiden bildet das [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/fachinformationen/massnahmen-zur-erhaltung-und-foerderung-der-biodiversitaet/oekologische-infrastruktur/biotope-von-nationaler-bedeutung/trockenwiesen-und--weiden.html Inventar über die Trockenwiesen und -weiden mit den entsprechenden Verordnungen und Vollzugshilfen].<br />
<br />
=Praxisrelevante Wissenslücken =<br />
Nachfolgend sind wichtige Themen aufgeführt, zu welchen (teilweise) Wissenslücken bestehen:<br />
* Vorkommen und Verbreitung ökologisch wertvoller Grünlandflächen im Sömmerungsgebiet, flächendeckende Inventarisierung<br />
* Wissenschaftliche Grundlagen zum Düngungsbedarf von Fromental- und Goldhaferwiesen im Hinblick auf die botanische Vielfalt fehlen, Praxisversuche sind wünschenswert.<br />
* Es gibt kaum systematische Erfahrungen zum Etzen in Zusammenhang mit der Biodiversitätsförderung im artenreichen Wiesland, übergeordnete Erfolgskontrollen sind erwünscht.<br />
* Phänologisch basierte Schnittzeitpunkte<br />
* Einfluss von Heubläser-Einsätzen auf die Biodiversität, insbesondere die Fauna (Richner et al. 2014 beleuchten den Einfluss auf die Vegetation)<br />
* Auswirkungen der Bewirtschaftung auf die Fauna über alle Mäh- und Nachbereitungsgeräte hinweg unter vergleichbaren Bedingungen untersuchen. Verhalten der Populationen auf mehrschürigen Wiesen im Jahresverlauf.<br />
* Angaben zu Ausmass und Verbreitung von Bodenverdichtungen<br />
<br />
=Literatur=<br />
Die Publikationen zum Grünland sind äusserst umfangreich. Wir stellen Ihnen die gesamte [[Media:Dokumentation Grünland Literatur.pdf|Liste an verwendeter Literatur]] zur Verfügung.<br />
<br />
= Weitere Kapitel zum Grünland=<br />
* [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland Einleitung und Zusammenfassung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie Praxisrelevante Ökologie]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung Erhalt und Aufwertung durch optimierte Bewirtschaftung]<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat Aufwertung und Neuschaffung durch Direktbegrünung und Ansaat]<br />
<!--* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisbeispiele Praxisbeispiele]--><br />
<br />
= Autoren =<br />
{|<br />
| Text || [https://www.faunatur.ch/portr%C3%A4t/ Karin Loeffel]|| [https://www.faunatur.ch/ faunatur]<br />
|-<br />
| Review|| Andreas Bosshard || [http://www.agraroekologie.ch/ueber-uns/team/ Ö+L GmbH] <br />
|-<br />
| || Jean-Yves Humbert || [https://www.cb.iee.unibe.ch/about_us/pd_dr_humbert_jean_yves/index_eng.html Universität Bern, Conservation Biology]<br />
|-<br />
| || Heiri Schiess || <br />
|-<br />
| || André Stapfer || <br />
|-<br />
| || Markus Staub || [https://www.poel.ch/ Projekte Ökologie Landwirtschaft] <br />
|-<br />
| || Gaby Volkart || [http://www.ateliernature.ch/atena/francais.php atena]<br />
|-<br />
|}<br />
<br /></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Gr%C3%BCnland&diff=4681
Grünland
2023-03-04T10:07:32Z
<p>VB2: </p>
<hr />
<div>[[fr:Milieux prairiaux]]<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = blumenwiese AStapfer zg 96 dpi.jpg<br />
| text = Artenreiche Wiesen beherbergen bis zu 80 Pflanzenarten pro Quadratmeter und bieten Lebensraum für unzählige Tierarten, insbesondere Tagfalter, Heuschrecken und Wildbienen.<br />
}}<br />
<br />
{|<br />
| Text || [https://www.faunatur.ch/portr%C3%A4t/ Karin Loeffel]<br />
|-<br />
| Review || [http://www.agraroekologie.ch/ueber-uns/team/ Andreas Bosshard], [https://www.cb.iee.unibe.ch/about_us/pd_dr_humbert_jean_yves/index_eng.html Jean-Yves Humbert], Heiri Schiess, André Stapfer, [https://www.poel.ch/ Markus Staub] & [http://www.ateliernature.ch/atena/francais.php Gaby Volkart]<br />
|-<br />
| Publikation || Oktober 2020<br />
|}<br />
<br />
= Zusammenfassung =<br />
Blütenreiche, farbenfrohe Blumenwiesen, lautes Heuschreckengezirpe, gaukelnde Tagfalter, vorüberziehende Weidetiere auf strukturreichen Alpweiden – es sind nostalgische Bilder, die wir mit artenreichem Grünland verbinden. Durch die jahrhundertelange Bewirtschaftung von Weiden und Wiesen durch den Menschen ist eine vielfältige Kulturlandschaft mit typischen Pflanzen- und Tiergemeinschaften entstanden. Heute sind jedoch rund zwei Fünftel unserer Grünlandlebensräume gefährdet: Ursachen sind die zu intensive Nutzung einerseits und die ausbleibende Bewirtschaftung andererseits sowie ein allgemein enorm gestiegenes Nährstoffniveau und die durch eine gleichförmige Nutzung monotonisierte Landschaft. Das Biodiversitätspotenzial unserer Grünlandlebensräume ist beträchtlich: Wiesen und Weiden auf der landwirtschaftlichen Nutzfläche umfassen über 600‘000 ha, fast noch einmal so viel Fläche nimmt das Sömmerungsgebiet mit über 500‘000 ha ein – davon wird insgesamt rund ein Fünftel der Fläche als potenziell wertvoll betrachtet.<br />
Welche Massnahmen können wir ergreifen, um im Grünland wieder Lebensräume für eine reichhaltige Flora und Fauna zu schaffen? Worauf ist bei der Umsetzung von biodiversitätsfördernden Tätigkeiten zu achten? In den nachfolgenden Kapiteln stellen wir konkrete, praxisrelevante Informationen sowie spezifische Bewirtschaftungsempfehlungen für einzelne Lebensraumtypen vor und verbinden diese Informationen mit dem notwendigen ökologischen Hintergrundwissen.<br />
Für den Erhalt und die Aufwertung von artenreichem Grünland ist nebst wichtigen allgemeinen Massnahmen - wie das Vernetzen und funktionelle Verbinden von verschiedenen Habitaten oder das Schaffen von Strukturen - eine optimale Bewirtschaftung zentral: hierzu gehören eine variable und dynamische Nutzungsweise, der Einsatz schonender Mahd- und Ernteverfahren und das Verhindern und Vermindern von Nährstoffeinträgen. Zu einem späteren Zeitpunkt werden wir auch Empfehlungen zur Beweidung und zur Offenhaltung von Grünlandlebensräumen sowie zu praktischen Aspekten der Aufwertung und Neuanlage in Form von Direktbegrünungen und Ansaatverfahren (Kapitel in Erarbeitung) bereitstellen.<br />
<br />
= Einleitung =<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = alpine Wiesen und Weiden 96 dpi.JPG<br />
| text = In der Schweiz machen Wiesen und Weiden im Sömmerungsgebiet über 500‘000 Hektaren aus. Über die Qualität dieser Flächen ist zu wenig bekannt.<br />
}}<br />
<br />
Mähwiesen und -weiden machen etwa 70% der landwirtschaftlich genutzten Fläche der Schweiz aus. Durch die jahrhundertelange Bewirtschaftung durch den Menschen entstanden, hat sich eine vielfältige Kulturlandschaft mit Lebensräumen für Pflanzen und Tiere ausgebildet. Die Intensivierung in der Bewirtschaftung, der gestiegene Nährstoffeintrag sowie weitere Gefährdungen haben dazu geführt, dass rund zwei Fünftel der Lebensraumtypen des Grünlands als gefährdet gelten. Die besonders wertvollen Trockenwiesen und -weiden sowie die ehemals verbreiteten, blütenreichen Fromentalwiesen sind in den letzten Jahrzehnten beinahe verschwunden. Entsprechend gross ist der Handlungsbedarf zum Erhalt der noch verbliebenen artenreichen Grünflächen sowie zur Aufwertung und Neuschaffung der für viele Tiere und Pflanzen wichtigen Grünlandlebensräume.<br />
Für die Erarbeitung der Grundlagen und Praxisempfehlungen der folgenden Kapitel wurde in erster Linie deutschsprachige Literatur, v.a. aus der Schweiz, aber auch aus Deutschland konsultiert. Der Fokus liegt auf der Biodiversität. Weitere Aspekte wie bspw. die landwirtschaftliche Produktion sind nicht abgedeckt. Literatur der traditionellen Grünlandforschung ist zwar konsultiert, aber nicht zwingend zitiert worden. Bei der Umsetzung von Aufwertungs- und Fördermassnahmen ist zu beachten, dass allgemeingültige Empfehlungen jeweils im Rahmen der konkreten Projekte zu überprüfen sind.<br />
Der Begriff „Grünland“ umfasst nach ökologischen Kriterien alle dauerhaften Pflanzengesellschaften aus Kräutern und Gräsern, die natürlich (überschwemmte Bereiche von Flussniederungen, Rand von Sumpf- und Moorgebieten, besonders trockene Standorte, oberhalb Baumgrenze) oder durch Nutzung des Menschen (gedüngte und ungedüngte Wiesen und Weiden, Mähwiesen, Feuchtgrünland, Magerrasen, Streuobstwiesen) entstanden sind (Becker et al. 2014). '''Im vorliegenden Artikel wird der Begriff „Grünland“ als Überbegriff für die entsprechenden Lebensraumtypen nach Delarze et al. (2015) verwendet''' <ref>Delarze, Raymond; Gonseth, Yves; Eggenberg, Stefan; Vust, Mathias (2015): Lebensräume der Schweiz. Ökologie - Gefährdung - Kennarten. 3., vollst. überarb. Aufl. Bern: Ott.</ref> und umfasst demnach sowohl [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie#Lebensr.C3.A4ume_des_Gr.C3.BCnlands anthropogen geschaffene, als auch primäre Lebensräume]. In einem separaten Artikel abgehandelt werden die Feuchtgebiete. Eine Übersicht ausgewählter Grünlandbegriffe findet sich in Guntern et al. (2013, S. 96) <ref>Guntern, Jodok; Lachat, T.; Pauli, D.; Fischer, M. (2013): Flächenbedarf für die Erhaltung der Biodiversität und der Ökosystemleistungen in der Schweiz. Bern: Forum Biodiversität Schweiz.</ref>, oder auch auf [https://de.wikipedia.org/wiki/Grünland Wikipedia].<br />
<br />
Die praxisrelevanten Informationen zum Grünland haben wir in folgenden Kapiteln zusammengestellt:<br />
* [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie '''Praxisrelevante Ökologie''']: Hier sind die für das Verständnis und die Umsetzung der Fördermassnahmen relevantesten ökologischen Zusammenhänge erläutert. Es wird erklärt, welche Klassifikation der Lebensraumtypen des Grünlands den folgenden Kapiteln zugrunde liegt, welches die für das Grünland prägende Faktoren sind und die grundlegenden Zusammenhänge zwischen Bewirtschaftung (Mahd, Beweidung) und dem Artengefüge der Flora und Fauna des Grünlandes werden beleuchtet.<br />
* [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung '''Erhalt und Aufwertung durch optimierte Bewirtschaftung''']: dieses Kapitel leitet einerseits auf Ebene der Massnahmen, andererseits auf Ebene der Lebensraumtypen Praxisempfehlungen her. Das Kapitel thematisiert zu Beginn Massnahmen, welche nicht einzelflächenbezogen sind (variable und dynamische Nutzung, Strukturen schaffen, verbliebene Flächen vernetzen). Danach folgen flächenbezogene Empfehlungen zur Mahd und zur Ernte, u.a. mit Fokus auf Fauna freundliche, schonende Verfahren. Kurzgefasst sind die Themen Aushagerung und Kombination von Mahd und Beweidung (Frühjahrsvorweide, Herbstweide). Zentral für artenreiches Grünland ist es, Nährstoffeinträge zu verhindern oder zu vermindern: das Kapitel erwähnt grundsätzliche Empfehlungen, die Thematik wird allenfalls zu einem späteren Zeitpunkt vertieft behandelt. Ebenfalls zu einem späteren Zeitpunkt erarbeitet werden die Themen „Verbuschung verhindern / Offenhalten“ und „Entbuschen eingewachsener Flächen“ sowie „Beweidung für artenreiches Grünland“. Der letzte Teil des Kapitels ergänzt spezifische Bewirtschaftungsempfehlungen für die einzelnen Lebensraumtypen.<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat '''Aufwertung und Neuschaffung durch Direktbegrünung und Ansaat''']<br />
* [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen '''Grundlagen''']: Dieses Kapitel geht auf die Bedeutung, die Entstehung, den Zustand und die Entwicklung von Grünland näher ein. Er beleuchtet die quantitativen und qualitativen Veränderungen sowie die Gefährdung und Gefährdungsursachen einerseits lebensraumbezogen, andererseits auch in Bezug auf die Artengemeinschaften des Grünlands. Weitere Informationen umfassen die Typologie des Grünlands, praxisrelevante Wissenslücken sowie die rechtlichen Grundlagen.<br />
* <!-- [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisbeispiele '''Praxisbeispiele''']-->Praxisbeispiele werden zu einem späteren Zeitpunkt erarbeitet.<br /><br />
<br /></div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Obstg%C3%A4rten&diff=4680
Obstgärten
2023-03-04T09:45:54Z
<p>VB2: /* Praxisrelevante Ökologie von Hochstamm-Obstgärten */</p>
<hr />
<div>[[fr:Vergers]]<br />
<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = AK 0455 zg 96 dpi.jpg<br />
| text = Hochstammobstgärten bereichern und prägen das Landschaftsbild. Grosse Obstgärten sind selten geworden.<br />
}}<br />
{{TOC limit|3}}<br />
= Zusammenfassung =<br />
Hochstammobstgärten waren über Jahrhunderte in vielen Regionen landschaftsprägend, in einigen sind sie das noch heute. In ihrer Zahl und Ausdehnung sind sie aber in den vergangenen Jahrzehnten stark zurückgegangen und damit auch ihre Biodiversität.<br />
<br />
Im Kapitel [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Praxisrelevante_.C3.96kologie_von_Hochstamm-Obstg.C3.A4rten «Praxisrelevante Ökologie»] erfahren Sie Wissenswertes zur Biodiversität und welche Faktoren einen Obstgarten biologisch wertvoll machen. Von zentraler Bedeutung sind dabei die Strukturvielfalt und die Art und Weise des Unternutzens. Im Kapitel [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Erhalt_und_F.C3.B6rderung «Erhalt und Förderung»] wird darauf hingewiesen, welche wichtigen Punkte bei der Planung bzw. Neuanlage eines Obstgartens berücksichtig werden sollten, z.B. die Arten- und Sortenwahl der Bäume. Das Kapitel [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Pflege_und_Unterhalt «Pflege und Unterhalt»] widmet sich den Themen Baumschnitt bzw. -erziehung und der optimalen Bewirtschaftungsweise im Spannungsfeld von Baumgesundheit, Biodiversität und Schädlingsdruck. Im Kapitel [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Aufwertung «Aufwertung»] wird auf Möglichkeiten der Förderung von Kleinstrukturen oder die Schaffung von Ruderalflächen hingewiesen. Bei den [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Praxisbeispiele «Praxisbeispielen»] finden sie Informationen zu laufenden Projekten aus der Nordwestschweiz, dem trinationalen Steinkauzprojekt und dem Obstgarten Farnsberg.<br />
<br />
Sie können durch den Kauf von Hochstamm-Produkten die Erhaltung und Förderung von Obstgärten unterstützen. Im Kapitel [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Nutzung_und_Vermarktung Nutzung und Vermarktung] sind Adressen aufgeführt.<br />
<br />
= Das Wesentliche kompakt=<br />
<br />
{| class="wikitable"<br />
|-<br />
| style="text-align: center; font-size:20px;" |''Schnelleinstieg – wo finde ich besonders wichtige Themen?''<br />
|-<br />
| <br />
'''Grundlagen''': [https://biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Bedeutung_f.C3.BCr_die_Artenvielfalt Ökologische Bedeutung], [https://biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Praxisrelevante_.C3.96kologie_von_Hochstamm-Obstg.C3.A4rten Argumente für Hochstamm-Obstgärten]<br /><br />
'''Planen''': [https://biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Arten-_und_Sortenwahl Arten- und Sortenwahl], [https://biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Arten-_und_Sortenwahl wertvolle Sorten, alte Sorten], [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Planung_und_Pflanzung Standort- und Parzellenplanung]<br /><br />
'''Anlage''': [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Planung_und_Pflanzung Pflanzgut und Pflanzung], [https://biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Sch.C3.A4dlinge.2C_Krankheiten_und_N.C3.BCtzlinge_im_Obstbau Mäuseschutz], [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Nutzung_und_Vermarktung Nutzung/Vermarktung]<br /><br />
'''Pflegen''': [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Schnitt_und_Baumerziehung Baumpflege], [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Aufwertung Aufwertung von Obstgärten]<br />
|-<br />
| style="text-align: center; font-size:20px;" |''Lebensraum Obstgärten kompakt – ausgewähltes Wissen in Kurzform''<br />
|-<br />
| style="text-align: center;" | '''Argumente für die Förderung von Hochstamm-Obstgärten'''<br />
|-<br />
| <br />
* Enorm vielfältiger Lebensraum: gehört zu den [https://biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Bedeutung_f.C3.BCr_die_Artenvielfalt artenreichsten Lebensräumen in Mitteleuropa].<br />
* Hochstamm-Obstgärten sind darum artenreich, weil Lebensraumaspekte aus dem (Lichten) Wald und dem Grünland miteinander kombiniert sind.<br />
* 48 Brutvogelarten und 76 potenzielle weitere Besiedler sind nachgewiesen.<br />
* Bis zu 5000 Spezies wurden in einem Obstgarten in Deutschland nachgewiesen.<br />
* Hohe genetische Vielfalt (Obstsorten) mit über 2500 beschriebenen Sorten (Äpfel, Birnen, Kirschen, Zwetschgen).<br />
* Hochstamm-Obstgärten sind regional sehr landschaftsprägende Elemente; sie bereichern das Landschaftsbild.<br />
* Eine Vernetzung über grosse zusammenhängende Flächen hinweg kann mit Hochstamm-Obstgärten realisiert werden.<br />
<br />
|-<br />
| style="text-align: center;" | '''Erfolgsfaktoren für den idealen Hochstamm-Obstgarten aus Naturschutzsicht'''<br />
|-<br />
|<br />
* In einem idealen Hochstamm-Obstgarten sind die Pflege und Erhaltung über Generationen gesichert.<br />
* Das Vorhandensein junger und alter Bäume (mit Totholz) ist wichtig für die Struktur Diversität.<br />
* [https://biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Praxisrelevante_.C3.96kologie_von_Hochstamm-Obstg.C3.A4rten Möglichst grosse, zusammenhängende Obstgärten anstreben].<br />
* Ein grosser Anteil an qualitativ hochwertigen Flächen direkt im Unternutzen soll vorhanden sein (z.B. Extensive Wiesen und offener Boden).<br />
* Ein Mosaik von unterschiedlichen Flächen- und Strukturtypen anstreben (z.B. dornenreiche Hecken in der Umgebung und Altgrasstreifen).<br />
* Ein artenreicher Hochstamm-Obstgarten enthält Kleinstrukturen (z.B. Steinhaufen und Asthaufen) und Baumhöhlen.<br />
|-<br />
| style="text-align: center;" | '''Planen eines Hochstamm-Obstgartens'''<br />
|-<br />
| <br />
* Eine sorgfältige Standort- und Parzellenplanung ist wichtig: Bodeneigenschaften, Exposition, Höhenlage und Neigung können grossen Einfluss auf den Ertrag haben.<br />
* Extensive bzw. wenig intensive Wiesen können besser erreicht werden, wenn die Baumreihen breiter gepflanzt werden.<br />
* Auf die Arten- und Sortenwahl muss besonders geachtet werden (Diversifizierung, Langfristigkeit und Klimaentwicklung).<br />
* Wenn möglich auf robuste, resistente und für den biologischen Anbau geeignete Arten achten.<br />
* Alte Sorten können besonders in Hochstamm-Obstgärten eine besondere Rolle haben.<br />
|-<br />
| style="text-align: center;" | '''Anlegen des Obstgartens'''<br />
|-<br />
|<br />
* Dem Pflanzgut und dessen Anforderungen ist grosse Beachtung zu schenken: Für gut wüchsige und während zwei bis drei Generationen ertragreiche Hochstammbäume braucht es kräftige und gesunde Jungbäume mit verzweigten Ästen und einem kräftigen Wurzelwerk.<br />
* Pflanzzeitpunkt und Pflanzvorbereitung sind wichtige Grundbausteine für den späteren Erfolg des Obstgartens.<br />
* Bei der Pflanzung der Jungbäume sind einige Regeln zu beachten.<br />
* Dem Schutz der neu gepflanzten Bäume vor Mausfrass ist von Beginn weg hohe Beachtung zu schenken und wird für den erfolgreichen Erhalt des Obstgartens zur Daueraufgabe.<br />
|-<br />
| style="text-align: center;" | '''Pflege und Aufwertung '''<br />
|-<br />
|<br />
* Ein extensiver oder wenig intensiver Unternutzen ist wichtig für die ökologische Gesamtqualität des Obstgartens.<br />
* Eine zusätzliche Düngung darf nur sehr zurückhaltend gemacht werden und muss sich vorwiegend auf den Baumstreifen bzw. die Baumscheibe beschränken (z.B. Lanzendüngung).<br />
* Allenfalls durch die extensive Bewirtschaftung erhöhte Mäusepopulationen durch die Förderung von Kleinprädatoren in Schach halten.<br />
* Obstgärten mit [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen Kleinstrukturen wie Stein- und Asthaufen] aufwerten.<br />
* Auf regelmässige Neupflanzungen von Jungbäumen ist zu achten (20-30% junge Bäume sollte ein Obstgarten aufweisen).<br />
* Schnitt und Baumerziehung sind für eine lange Ertragsphase und die Bildung von Qualitätsobst wichtig. Zur Erhaltung der Vitalität, Produktivität und Qualitätserzeugung muss das Fruchtholz regelmässig durch Schnittmassnahmen verjüngt werden (→ Kurse zur richtigen Schnitttechnik)<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= Einleitung =<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = P1100933 zg 96 dpi Marco Bertschinger.JPG<br />
| text = In Deutschland konnten in einem Obstgarten 5000 Arten nachgewiesen werden.<br />
}}<br />
<br />
Hochstamm-Obstgärten waren einst die dominierende Kulturlandschaft in verschiedenen Teilen der Schweiz. In einigen Gebieten ist sie es auch heute noch. Der Hochstamm-Obstbau war und ist vor allem noch in der Ostschweiz (TG, SG), in der Zentralschweiz (LU, ZG), in der Nordwestschweiz (BL, AG) und in der Westschweiz (VD) weitverbreitet. 1951 gab es noch ca. 14 Mio. Bäume. Diese Zahl sank im Verlaufe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf noch ca. 2,4 Mio. Bäume<sup>1</sup> im Jahre 1999, was einem Rückgang von über 80% entspricht. Gründe für den Rückgang waren vor allem die zunehmende Mechanisierung und Intensivierung der Landwirtschaft zu dieser Zeit, aber auch der sehr hohe Aufwand für den Unterhalt und die Pflege der Obstgärten. Zudem wurden von der Eidgenössischen Alkoholverwaltung zwecks Eindämmung des grassierenden Alkoholkonsums in weiten Teilen der ländlichen Bevölkerung Rodungsprämien pro Baum ausgezahlt und es kam zu gross angelegten, von der öffentlichen Hand verfügten Fällungen von Hochstamm-Obstbäumen mit einem Höhepunkt in den 1960er-Jahren. 1975 wurden diese aufgrund der Opposition der Bevölkerung und der Mostereien gestoppt<sup>2</sup>. Es kam hinzu, dass für neues Bauland häufig siedlungsnahes Gebiet in Bauland eingezont wurde und damit Hochstamm-Obstgärten dem Siedlungsbau weichen mussten. Mit der in den 1990er Jahren geänderten Agrarpolitik werden wieder vermehrt Bäume gepflanzt.<br />
<br />
Die Schweiz ist aber europaweit nicht die einzige Region, wo der Hochstamm-Obstbau eine prägende Rolle gespielt hat. Auch in Nordspanien, Frankreich, Luxemburg, Deutschland, Österreich und Slowenien existieren noch heute grossflächige Hochstamm-Obstbestände<sup>3</sup>. Cider-Produktion (Apfelwein) gibt es auch im Südwesten Englands und in Wales<sup>4</sup>. Das Wort Streuobst oder Streuobstwiesen wird im deutschen Sprachraum synonym zu Hochstamm-Obstgärten verwendet, weil die Bäume oft locker über die Landschaft verstreut sind.<br />
<br />
Für die Beurteilung und Bewertung ökologischer Massnahmen ist es hilfreich einen kurzen Blick in die Geschichte zur Entwicklung des Obstbaus und der Obstgärten zu werfen. Beim Anblick von alten, knorrigen Bäumen in alten Hochstamm-Obstgärten könnte man meinen, dass es sich dabei um eine besonders alte bzw. ursprüngliche Form traditioneller Kulturlandschaften handelt. In Wirklichkeit entspringen sie aber einer relativ jungen Entwicklung, denn in den meisten, heute von Obstbau geprägten Landschaften, war der Ackerbau über Jahrtausende lang bedeutender als der Obstanbau. Erste Belege für die Verwendung von Wildobst gibt es schon aus der Jungsteinzeit, man vermutet aber, dass es sich vorwiegend um gesammeltes Obst aus den Wäldern handelte. Die Römer kultivierten um ihre Villen und Siedlungen erstmals aus dem Raum Zentralasien importierte Obstarten. Erst im 18. Und 19. Jahrhundert erfuhr der Obstanbau eine starke Ausdehnung<sup>5</sup>. Viele Obstbäume dienten ursprünglich der Selbstversorgung und waren eng an die Umgebung von Höfen und Siedlungen gekoppelt. Erst später ging man auch dazu über Obstbäume auf dem freien Feld zu pflanzen, um deren Früchte zu verkaufen und wohl, um vor allem im grossen Stil, Schnaps zu brennen. Damals gab es auch oft die kombinierte Nutzung von Äckern und Gemüsegärten im Obsthain, anstelle der heute weitverbreiteten Wiesen- und Weidenutzung im Unternutzen von Obstgärten.<br />
<br />
Die Wichtigkeit dieser Kultur zeigte sich auch in der sprachlichen Vielfalt unterschiedlicher Flurbezeichnungen: <br />
«Bungert», «Bommert», «Bommgarte» (Baumgarten), «Hoschtet» (Hofstatt) bezeichnen Wiesen, auf welchen Hochstammobstbäume in Gruppen oder Reihen vorhanden sind<sup>6</sup>.<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = BfS Obstbaumzählungen de 400dpi.png<br />
| text = Entwicklung der Zahl der Hochstammobstbäume (Quelle: Bundesamt für Statistik, Obstbaumzählung)<br />
}}<br />
<br />
<br />
<small><br />
<sup>1</sup> Konold, 1999. Handbuch Naturschutz und Landschaftspflege: Kap. XIII-7.9, Streuobstwiesen. ; Bundesamt für Statistik (BfS), 2020. Feldobstbäume: Entwicklung seit 1951. ; Müller, W. et al., 2015. Hochstammobstgärten - Vielfältige Lebensräume. Bird Life Schweiz, Zürich. <br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>2</sup> Agridea 2012. Hochstammobstgärten, planen, pflanzen, pflegen, S. 2 und [http://tradikula.ch/wp-content/uploads/2011/03/Geschichte_Alkoholverwaltung1.pdf Historischer Überblick Alkoholpolitik und Eidg. Alkoholverwaltung (EAV)]<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>3</sup> [https://www.nabu.de/natur-und-landschaft/landnutzung/streuobst/streuobstwissen/streuobstbau.html Streuobstbau in Europa NABU Deutschland]<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>4</sup> Roesler, M. 2015. Streuobstbau aus nationalem und europäischem Blickwinkel - Entwicklungen und innovative Projekte. Deutscher Landeschaftspflegetag in Wiesbaden. <br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>5</sup> Konold, 1999. Handbuch Naturschutz und Landschaftspflege: Kap. XI-2.11, S.3 <br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>6</sup> Müller, W. et al., 2015. Hochstammobstgärten - Vielfältige Lebensräume, S.2.<br />
</small><br />
<br />
= Praxisrelevante Ökologie von Hochstamm-Obstgärten=<br />
<br /><br />
<table border="0", style="font-size:108%"> <br />
<tr> <br />
<td> '''Was macht einen Hochstamm-Obstgarten ökologisch wertvoll: ''' <br /> <br />
* Ein fachgerechter Schnitt und eine [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Schnitt_und_Baumerziehung fachgerechte Pflege der Bäume] gewährleisteten gesunde, ertragreiche Bäume. Dadurch erreichen sie ein Alter, welches sie ökologisch wertvoll macht.<br />
* Ein extensiver bis wenig intensiver Unternutzen<sup>7</sup> mit einem grossen Blütenangebot, oder ein intensiv genutzter Streifen unmittelbar im Stammbereich, wo die Vegetation kurzgehalten wird, in Kombination mit artenreichen extensiv- bis wenig intensiv genutzten Wiesenstreifen zwischen den Baumreihen. <br />
* Das Vorhandensein alter Bäume mit Totholz und Baumhöhlen (z.T. mit Efeu bewachsen).<br />
* Eine gestaffelte Mahd im Unternutzen.<br />
* Viele [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen Kleinstrukturen (Asthaufen, Gebüschgruppen)] und Stellen mit offenem oder lückigem Boden.<br />
* Obstgärten, die nicht isoliert stehen, sondern möglichst mit anderen Lebensraumtypen, wie z. B. Hecken und weiteren Obstgärten vernetzt sind: Je grösser und vielfältiger das Gebiet, desto besser.<br />
* [https://www.youtube.com/watch?reload=9&v=s74UJH_fb18&feature=youtu.be In einem 7-minütigen Video] erklären Pascal König und Hans Brunner die ökologische Bedeutung der Hochstamm-Obstgärten.<br />
</td> <br />
</tr> <br />
</table><br />
<br /><br />
<br />
<small><br />
<sup>7</sup> Gemäss [[Media:Agridea 2023 Biodiversitaetsfoerderung Wegleitung 1200dpi.pdf|«Biodiversitätsförderung auf dem Landwirtschaftsbetrieb – Wegleitung» (Agridea 2023)]] soll die Biodiversitätsförderfläche «wenig intensiv genutzte Wiese» folgendermassen gedüngt werden: «Stickstoff: nur Mist oder Kompost, max. 30 kg verfügbarer N pro ha und Jahr»<br />
</small><br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = schnitt wiese strukturen.png<br />
| text = Der artenreiche Obstgarten will gepflegt sein: Der richtige Baumschnitt, extensive Wiesen, Kleinstrukturen und Baumhöhlen alter Bäume.<br />
}}<br />
<br />
== Allgemeines ==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = AK 04557 zg 96 dpi.jpg<br />
| text = Je älter die Bäume, desto ökologisch wertvoller werden sie. Abgebildet sind alte Birnbäume. <br />
}}<br />
<br />
Die Hochstamm-Obstgärten gelten vom Landschaftsbild her auch als die Savannen der Schweiz. Sie sind im Prinzip nichts anderes als relativ dicht bis locker bestocktes [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland Grünland]. Diese Mehrschichtigkeit von Baumbestand und Unternutzung ist typisch. Dichter bestockte Hochstamm-Obstgärten haben Ähnlichkeiten mit dem Lebensraum Lichter Wald <!-- (#intern verlinken, wenn Artikel Wald aufgeschaltet ist)-->. Obstgärten sind äusserst artenreich, weil sie Charakteristika aus beiden Typen, dem Wald und dem offenen Grünland, beinhalten. Sie stellen gewissermassen einen sanften Übergang vom Wald zum offenen Grünland dar und es kommen in ihnen Arten beider Lebensräume vor. Wenn Hochstamm-Obstgärten alte Bäume mit Baumhöhlen, Gebüsche und Hecken enthalten und an Waldränder grenzen, dann sind sie ausserordentlich strukturreich und darum für viele Tier- und Pflanzenarten als Habitat sehr interessant (siehe auch Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Bedeutung_f.C3.BCr_die_Artenvielfalt «Bedeutung für die Artenvielfalt»]).<br />
<br />
Zur Biodiversität gehören neben der Vielfalt der Arten und Lebensräume auch die weniger thematisierte genetische Vielfalt. Es sind heute nur noch eine wenige Sorten, welche in der Schweiz von Bedeutung sind. Es sind jedoch über 2500 verschiedene Apfel-, Birnen, Kirschen- und Zwetschgen-Sorten beschrieben<sup>8</sup>. Alleine über 1000 Apfelsorten sind bekannt aus der Schweiz. Kornprobst (1994)<sup>9</sup> erwähnt ebenfalls, dass bereits um das Jahr 1800 um die 1500 Obstsorten beschrieben sind. Eine enorme Vielfalt unterschiedlicher Ausprägungen für verschiedene Geschmäcker und Verwendungszwecke, vom Birnenschnaps bis zur Kirschtorte, vom Mostapfel bis zum Zwetschgenkompott. Die Diversität widerspiegelt sich auch in einem unterschiedlichen Genpool in verschiedenen Regionen. Diese sind auch Bestandteil der Kulturgeschichte einer Region (Kornprobst, 1994). Vor dem Hintergrund der Ausbreitung von Krankheiten und Schädlingen, aber auch im Hinblick auf den Klimawandel ist diese genetische Diversität als Quelle von Resistenzgenen von entscheidender Bedeutung.<br />
<br />
'''Die 4 wichtigsten Obstarten in der Schweiz und ihre genetische Vielfalt''':<sup>10</sup> <br />
<br />
'''Apfelbaum (''Malus domestica'')''':<br />
<br />
{| class="wikitable" <br />
|-<br />
| '''Obst-/Fruchttyp:'''<br />
| Kernobst/Kernfrucht<br />
|-<br />
| '''Anteil Schweiz:'''<br />
| 43% im Feldobstbau (häufigste Obstart in der Schweiz)<br />
|-<br />
| '''Verbreitung:'''<br />
| Weit verbreitet<br />
|-<br />
| '''Verwendung:'''<br />
| style="width:600px; text-align:left;" | Als Tafelobst oder als Rohstoff für Mostereien (Apfelsaft, Apfelwein) oder Brennereien (Schnaps, Spirituosen).<br />
|-<br />
| '''Baumform:'''<br />
| Bäume mit breiter, rundlicher Form (Apfelform)<br />
|-<br />
| '''Anzahl Sorten:'''<br />
| Ca. 1000 Sorten in der Schweiz<br />
|}<br />
<br />
'''Birnbaum (''Pyrus pyraster'')''':<br />
<br />
{| class="wikitable" <br />
|-<br />
| '''Obst-/Fruchttyp:'''<br />
| Kernobst/Kernfrucht<br />
|-<br />
| '''Anteil Schweiz:'''<br />
| 15% im Feldobstbau<br />
|-<br />
| '''Verbreitung:'''<br />
| Vor allem Luzern und Ostschweiz<br />
|-<br />
| '''Verwendung:'''<br />
| style="width:600px; text-align:left;" | Als Tafelbirnen nur geringe Bedeutung. Mostbirnen werden oft Äpfeln beigegeben, damit der Most ein besonderes Aroma erhält<br />
|-<br />
| '''Baumform:'''<br />
| Bäume mit mächtiger, birnenförmiger Baumkrone<br />
|-<br />
| '''Anzahl Sorten:'''<br />
| Ca. 500 Sorten in der Schweiz<br />
|}<br />
<br />
'''Kirschbaum (''Prunus avium''; Süsskirsche und ''Prunus cerasus''; Sauerkirsche)''':<br />
<br />
{| class="wikitable" <br />
|-<br />
| '''Obst-/Fruchttyp:'''<br />
| Steinobst/Steinfrucht<br />
|-<br />
| '''Anteil Schweiz:'''<br />
| 20% im Feldobstbau (zweithäufigste Obstart)<br />
|-<br />
| '''Verbreitung:'''<br />
| Vor allem im Baselbiet, Zugerland und am Bielersee<br />
|-<br />
| '''Verwendung:'''<br />
| style="width:600px; text-align:left;" | Tafelkirschen, Verarbeitung zu Konfitüre, Kirschsaft und Kirsch <br />
|-<br />
| '''Baumform:'''<br />
| Bäume mit rundlicher Form<br />
|-<br />
| '''Anzahl Sorten:'''<br />
| Ca. 600 Sorten in der Schweiz<br />
|}<br />
<br />
'''Zwetschgen-/Pflaumenbaum (''Prunus domestica'')''':<br />
<br />
{| class="wikitable" <br />
|-<br />
| '''Obst-/Fruchttyp:'''<br />
| Steinobst/Steinfrucht<br />
|-<br />
| '''Anteil Schweiz:'''<br />
| 15% im Feldobstbau<br />
|-<br />
| '''Verbreitung:'''<br />
| Überall verbreitet, besonders im Jura<br />
|-<br />
| '''Verwendung:'''<br />
| style="width:600px; text-align:left;" | Tafelzwetschgen, aber auch als Konfitüre und Dörrobst, Zwetschgenschnaps<br />
|-<br />
| '''Baumform:'''<br />
| Bäume eher klein<br />
|-<br />
| '''Anzahl Sorten:'''<br />
| Ca. 450 Sorten in der Schweiz<br />
|}<br />
<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Obstsorten5 zg 96 dpi Marco Bertschinger.jpg<br />
| text = In der Schweiz gibt es ca. 1000 beschriebene Apfelsorten.<br />
}}<br />
<br />
In der Schweiz gibt es mehrere 1000 verschiedene Obstsorten. [https://www.fructus.ch/ Fructus] und [https://www.prospecierara.ch/de.html Pro Specie Rara] (frz: https://www.prospecierara.ch/fr.html) kümmern sich um deren Erhaltung. Mit dem [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/nachhaltige-produktion/pflanzliche-produktion/pflanzengenetische-ressourcen/nap-pgrel.html Nationalen Aktionsplan zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der pflanzengenetischen Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft (NAP-PGREL)] soll die Sortenvielfalt bei den landwirtschaftlich bedeutenden Pflanzen zu erhalten werden. Von der Agroscope gibt es eine [[Media:Hunziker etal 2015 Beschreibung der Schweizer Obstvielfalt.pdf|Beschreibung der Schweizer Obstvielfalt]].<br />
<br />
<br />
<small><br />
<sup>8</sup> Müller, W. et al. 2015. Hochstamm-Obstgärten. Vielfältige Lebensräume. 4. Auflage. Bird Life Schweiz, Zürich, S. 4/5<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>9</sup> Kornprobst, M. 1994. Landschaftspflegekonzept Bayern. Streuobst. <br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>10</sup> Müller, W. et al. 2015. Hochstamm-Obstgärten. Vielfältige Lebensräume. 4. Auflage. Bird Life Schweiz, Zürich, S. 4/5<br />
</small><br />
<br />
== Bedeutung für die Artenvielfalt ==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Neukirch 1935 zg 96 dpi.png<br />
| text = Obstgärten in der Gemeinde Neukirch-Egnach (TG) im Jahr 1935<sup>11</sup>.<br />
}}<br />
<br />
Hochstamm-Obstgärten gehören zu den artenreichsten Lebensraumtypen in Mitteleuropa. Sie waren in vielen Regionen landschaftsprägend und so konnten sich im Laufe der Zeit vielfältige Lebensgemeinschaften einstellen.<br />
<br />
Bird Life Schweiz erwähnt in seiner Broschüre "Hochstamm-Obstgärten - vielfältige Lebensräume" die Zahl von 35 Brutvogelarten<sup>12</sup>. Darunter z. B. den Steinkauz (''Athene noctua''), den Gartenrotschwanz (''Phoenicurus phoenicurus'') und den Wendehals (''Jynx torquilla''). Das Landschaftspflegekonzept Bayern (Kornprobst, 1994) führt sogar 48 Arten als Brutvögel und 76 weitere Arten als potentielle Besiedler auf. Konold (2006) erwähnt im Weiteren 1000 Arten von [https://de.wikipedia.org/wiki/Gliederf%C3%BC%C3%9Fer Arthropoden] als Bewohner von Obstgärten. Eine Schätzung geht von gesamthaft bis zu 2500 - 3000 Spezies aus, wobei in einem Obstgarten bei Ravensburg am Bodensee/Deutschland 5000 Spezies gezählt wurden. Auch die genannte Zahl bei Konold (2006) von 5 - 12 Millionen Regenwürmern (''Lumbricus terrestris'') pro Hektare ist beeindruckend. Im Weiteren erwähnt Kornprobst (1994) 190 Käferarten und Konold (2006) über [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Wildbienen#F.C3.B6rdermassnahmen_in_Streuobstwiesen_und_Obstanlagen 70 Wildbienenarten]. <br />
Für Säugetierarten gibt es weniger aussagekräftige Erwähnungen, wobei Agridea (2012)<sup>13</sup> speziell Siebenschläfer, Igel, Mäuse und Fledermäuse erwähnt. Ebenfalls genannt werden Blindschleichen, Weberknechte, Eidechsen, Schmetterlinge, Ameisen, Florfliegen, Schwebfliegen, Wespen, Bockkäfer, Spinnen, Heuschrecken und Mücken. Zur Dichte von Insekten nennt Kornprobst (1994) die Zahl von 8000 Insektenindividuen pro Quadratmeter in Ulm/Deutschland.<br />
<br />
Bei den Pflanzen geht Konold (2006) von ca. 70 - 80 Arten in der Wiese aus. Des Weiteren nennt er Epiphyten, [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Moose Moose], [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Flechten#Schutz_von_alten_Solit.C3.A4rb.C3.A4umen.2C_Alleen_und_Streuobstb.C3.A4umen Flechten], Pilze und Bakterien.<br />
<br />
Von alten, strukturreichen Obstgärten profitieren vor allem Insekten, Vögel und Kleinsäuger. Aber auch Flechten und Pflanzen finden in den Gebieten wertvolle Habitate. <br />
<br />
'''Habitatstrukturen in Obstwiesen''':<br /><br />
[[Media:Habitatstrukturen Fauna Flora de.pdf|Übericht über die wichtigsten Habitatstukturen in Obstwiesen]] und die Sie nutzenden Tiere.<br />
<br />
[https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen Kleinstrukturen] bieten [https://www.biodivers.ch/de/index.php/S%C3%A4ugetiere Säugetieren] (z. B. Hermelin, Siebenschläfer) oder unzähligen Insekten Lebensraum und sie sind als Trittsteine für die Vernetzung zu umliegenden Lebensräumen wertvoll. Beim Baumschnitt können mit dem anfallenden Material Asthaufen erstellt werden. <br />
Grundsätzlich kann gesagt werden, je älter ein Baum, desto mehr Arten finden sich auf ihm ein<sup>14</sup>. <br />
<br />
Vögel profitieren am meisten von grossen, zusammenhängenden Obstgärten mit vielen alten Bäumen und einem diversifizierten Unternutzen. Etwa die Hälfte der Brutvögel der Obstgärten nistet in Baumhöhlen. Dazu gehören Steinkauz (''Athene noctua''), Wiedehopf (''Upupa epops''), Wendehals (''Jynx torquilla'') sowie verschiedene Specht- und Meisenarten. Bevorzugt entstehen Baumhöhlen natürlicherweise an faulenden Astlöchern und alten Bäumen. Der Grauschnäpper (''Muscicapa striata''), sowie der Gartenbaumläufer (''Certhia brachydactyla'') und der Gartenrotschwanz (''Phoenicurus phoenicurus'') brüten in Nischen oder Halbhöhlen<sup>15</sup>. An alten Apfelbäumen findet sich meistens ein gutes Angebot an Baumhöhlen.<br />
Für viele Vogelarten sind 60 - 100 ha die Mindestgrösse bezüglich des Lebensraumes<sup>16</sup>.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = obstgartenvoegel.png<br />
| text = Wiedehopf (''Upupa epops''), Wendehals (''Jynx torquilla''), Steinkauz (''Athene noctua'') und Gartenrotschwanz (''Phoenicurus phoenicurus'') sind typische, aber sehr selten gewordene Obstgartenvögel.<br />
}}<br />
<br />
'''Beispiele bedrohter Obstgartenvögel'''<br /><br />
Für den Steinkauz und den Wiedehopf liegen [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/artenfoerderung-voegel.html Aktionspläne des Bundes] vor.<br />
<br />
<br />
<small><br />
<sup>11</sup> [https://api.geo.admin.ch/luftbilder/viewer.html?lang=de&width=5954&layer=ch.swisstopo.lubis-luftbilder_schwarzweiss&bildnummer=19350140260140&title=ch.swisstopo.lubis-luftbilder-dritte-kantone.ebkey&rotation=206&datenherr=swisstopo&height=5952&x=2977.37&y=2968.77&zoom=1 map.geo.admin.ch (LUBIS)]<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>12</sup> Müller, W. et al. 2014. Hochstamm-Obstgärten - vielfältige Lebensräume, Bird Life Schweiz, S. 8<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>13</sup> Agridea, 2012. Hochstammobstgärten planen, pflanzen pflegen, S. 30<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>14</sup> Konold, 1999. Handbuch Naturschutz und Landschaftspflege. Kap. XI-2.11, S. 31<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>15</sup> [https://www.birdlife.ch/de/content/hochstamm-obstgaerten Hochstamm-Obstgärten Bird Life Schweiz]<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>16</sup> Konold, 1999. Handbuch Naturschutz und Landschaftspflege. Kap. XI-2.11, S. 15<br />
</small><br />
<br />
== Unternutzen und Grösse von Hochstamm-Obstgärten ==<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = AK 04559 zg 96 dpi.jpg<br />
| text = Obstgarten mit vielfältiger Wiese mit sehr viel Östlichem Wiesen-Bocksbart (''Tragopogon pratensis'') im Unterwuchs.<br />
}}<br />
<br />
Der Unternutzen bezeichnet die Form der Nutzung unter den Hochstammbäumen, z. B. als Wiese, Weide, Garten oder Acker. Früher wurden siedlungs- oder Hof nah zwischen den Bäumen oft Getreideäcker oder Pflanz- und Gemüsegärten angelegt. Heute erfolgt die Nutzung unter den Bäumen meist als intensiv genutzte Wiese. Die Artenvielfalt ist klein und der ökologische Nutzen gering.<br />
Die [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie#Lebensr.C3.A4ume_des_Gr.C3.BCnlands blumenreichen Fromentalwiesen] waren früher weit verbreitet. Noch Mitte des letzten Jahrhunderts war es der [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen#Quantitativer_und_qualitativer_Zustand_und_deren_Ver.C3.A4nderung vorherrschende Wiesentyp]. So waren auch die Wiesen und Weiden unter den Obstgärten nur mässig gedüngt und entsprechend artenreich.<br />
In einem Hochstammobstgarten hängt die Zusammensetzung der Artengarnitur neben der Intensität der Grünlandnutzung auch von der Dichte der Baumbestockung ab, denn der Lichteinfall wird durch die Deckung mit Baumkronen bestimmt.<br />
In den 1990er Jahren waren von 4160 untersuchten Hochstammobstgärten 69% kleiner als 0.75 Hektaren und nur 8% grösser als 2 Hektaren. 90% dieser Flächen wiesen eine intensive und somit arten- und strukturarme Unternutzung<sup>17</sup> auf. Wie der nachfolgenden Tabelle entnommen werden kann, genügen solche Grössen bei weitem nicht, um seltene und spezialisierte Arten zu erhalten.<br />
<br />
<br />
{| class="wikitable" <br />
|-<br />
! rowspan="3" | Baumdichte<br />
Bäume/ha<br />
! colspan="3" | '''Notwendige Fläche in ha für'''<br />
|-<br />
| '''5 - 8 Arten'''<br />
| colspan="2" | '''Spezialisierte und Rote-Liste-Arten'''<br />
|-<br />
| Bei 100 Bäumen<br />
| Bei 300 Bäumen<br />
| Bei 1000 Bäumen<br />
|-<br />
| Locker: 10<br />
| 10 ha<br />
| '''x'''<br />
| '''x'''<br />
|-<br />
| Mittel: 50<br />
| 2 ha<br />
| 6 ha<br />
| '''x'''<br />
|-<br />
| Dicht: 100 - 150<br />
| 0,7 - 1 ha<br />
| 2 - 3 ha<br />
| 7 - 10 ha<br />
|}<br />
''Tabelle'': Notwendige Flächen der Obstgärten zur Förderung von Vogelarten in Abhängigkeit von der Baumdichte. '''x''' bedeutet eine unwahrscheinliche Kombination (Quelle: Broggi & Schlegel 1989 in Guntern et al. 2011). <br />
Lesebeispiel: Für einen Obstgarten mit 300 Bäumen braucht es bei einer mittleren Baumdichte von 50 Bäumen pro Hektare eine Fläche von 6 Hektaren und bei einer dichteren Pflanzung von Bäumen entsprechend nur 2 bis 3 Hektaren. Die Kombination von 300, locker stehenden Bäumen bräuchte eine Fläche von 30 Hektaren. Solche Obstgärten gibt es de facto kaum.<br />
<br />
<br />
Die Untersuchungen in zwei Gemeinden zeigen auf (siehe nachfolgende Tabelle), dass genügend grosse Obstgärten ohne extensive Unternutzung und Strukturreichtum keine positive Wirkung auf die Förderung von seltenen Arten hat. Dazu braucht es lokal mindestens 10% qualitativ hochwertige Flächen in den Obstgärten (extensiv genutzt und strukturreich). Es wird geschätzt, dass alleine für das Mittelland rund 17'500 ha ökologisch wertvolle Obstgärten notwendig wären<sup>18</sup>.<br />
<br />
<br />
{| class="wikitable" <br />
|-<br />
! Gebiet<br />
! Anteil Feldflur<br />
! Extensiver Unternutzen<br />
! Strukturreiche Flächen<br />
! Gartenrotschwanzquartiere pro km<sup>2</sup><br />
|-<br />
| Reinach BL<br />
| 5%<br />
| 12,6%<br />
| 12,4%<br />
| 6<br />
|-<br />
| Ruswil LU<br />
| 5%<br />
| 0,5%<br />
| 6,3%<br />
| 0,5<br />
|}<br />
''Tabelle'': Auswirkungen von extensiver Unternutzung und Strukturreichtum in Obstgärten auf die Anzahl Gartenrotschwanz-Reviere pro km<sup>2</sup> (Kohli & Birrer 2003 in Guntern et al 2013).<br />
<br />
<br /><br />
<table border="0", style="font-size:108%"> <br />
<tr> <br />
<td> '''Kann ein "qualitativ hochwertiger Hochstamm-Obstgarten" aus Sicht der Biodiversität mit der Qualitätsstufe 2 (QII) gemäss DZV erreicht werden?''' <br /> Die Experten sind sich diesbezüglich uneinig. Einerseits herrscht die Meinung, dass die Anforderungen der DZV ausreichen, andererseits wird betont, dass für einen Obstgarten mit charakteristischen Vögeln wie, z. B. dem Gartenrotschwanz, die Anforderungen an QII nicht genügen. Dazu brauche es einen höheren Strukturreichtum und artenreiche Wiesenflächen und Hecken in unmittelbarer Nähe. Selbst die Distanz von 50 m zur Zurechnungsfläche wird als zu weit eingeschätzt.<br />
Anmerkungen des Vereins biodivers: Die Entwicklung der Vogelbestände ist gut untersucht. Oben ist der Gartenrotschwanz erwähnt. Selbst diese einst sehr häufige Art ist aus unseren Obstgärten rar geworden. Anspruchsvollere Obstgartenvögel kann man nur noch in seltensten Fällen beobachten (Steinkauz, Rotkopfwürger, Wendehals, Wiedehopf)<sup>19</sup>.<br />
</td> <br />
</tr> <br />
</table><br />
<br /><br />
<br />
Die Nutzungsintensität, Düngung bzw. Nährstoffversorgung von Grasland und Bäumen ist im Zusammenhang mit der ökologischen Bedeutung von Obstgärten wichtig und viel schichtig. Sie wird kontrovers diskutiert. In der Realität werden, wie die Tabelle oben aufzeigt, meist zu wenig artenreiche Flächen bereitgestellt. Unbestritten ist, dass Jungbäume gedüngt werden müssen. Wird diese ausgelassen, zeigen sie ein kümmerliches Wachstum<sup>20</sup>. Für die Ausbildung zur Fromentalwiesen sollen laut Kornprobst (1994) Wiesen nicht oder nur schwach gedüngt sein. Konold (2006) schlägt vor, dass zur Steigerung der Artenvielfalt ausserhalb des Wurzelbereichs auf die Düngung verzichtet werden soll.<br />
<br />
Es stellt sich also die Frage nach einer Herangehensweise für die Erfüllung beider Ansprüche: Einerseits ein ausreichendes Nährstoffangebot für die (heranwachsenden) Bäume und andererseits ein wenig intensiver bis extensiver Unternutzen. Beides ist möglich! Im [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Planung Kapitel «Planung»] wird das am Beispiel des Obstgartens «Altwy» in Rümlang aufgezeigt, indem genügend breite Baumzwischenreihen eingeplant werden.<br />
<br />
In den vergangenen 20 Jahren hat man mit der Nutzung von extensiv und wenig intensiv genutztem Grünland reichlich Erfahrung gesammelt: Wichtig sind Nutzungsmosaike, dem Bestand angepasste Nutzungszeitpunkte und -häufigkeiten sowie Altgrasstreifen. Vergleiche dazu die Erfahrungen im [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Praxisbeispiele Obstgarten Farnsberg] und die Ausführungen im [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Wenig_intensiv_genutzte_Fettwiesen_und_-weiden_.28artenreich.29 Grünlandartikel].<br />
<br />
'''Fazit zum Unternutzen''':<br /><br />
Eine gestaffelt genutzte, artenreiche und höchstens mässig gedüngte Wiese entspricht einem optimalen Unternutzen betreffend Baumgesundheit und Ökologie. Durch den häufigen Schnitt, der erforderlichen Düngung für die Bäume, dem Vorbeugen vor Mäusen und der Beschattung lassen sich unter den Hochstammobstbäumen kaum artenreiche Wiesen erreichen, dies lässt sich jedoch zwischen den (genügend weit stehenden) Baumreihen und am Rand realisieren.<br />
<br />
'''Mulchen'''<br /><br />
Mulchen ist gemäss DZV auf den Baumscheiben erlaubt. Zur Förderung der Biodiversität ist Mulchen ansonsten unerwünscht. <br />
<br />
'''Beweidung'''<br /><br />
Auf die Beweidung wird zu einem späteren Zeitpunkt eingegangen.<br />
<br />
<br />
<small><br />
<sup>17</sup> Guntern et al. 2013, S. 126<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>18</sup> Guntern et al. 2013, S. 126<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>19</sup> «Obstgärten und Streuobstbestände sind landschaftsprägende Elemente des traditionell bewirtschafteten Kulturlandes. Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts hat sich mit der Intensivierung der Grünlandnutzung die Lebensraumsituation in Obstgärten für die ehemals typischen Brutvogelarten dieses Lebensraums grundlegend verschlechtert. Wiedehopf, Steinkauz, Wendehals und Rotkopfwürger sind grossräumig verschwunden. Es spricht vieles dafür, dass neben dem Rückgang der Obstgärten ein weiterer wichtiger Grund für den Rückgang der typischen Obstgartenvögel die Nahrungsgrundlage ist. Dabei ist vor allem für den Gartenrotschwanz nicht in erster Linie die vorhandene Biomasse ausschlaggebend, sondern die Erreichbarkeit von Beutetieren.» ([https://www.vogelwarte.ch/de/projekte/oekologische-forschung/abgeschlossene-projekte/projekt-gartenrotschwanz Quelle: Projekt Gartenrotschwanz]); <br />
fr : « Les vergers et les prés vergers sont des éléments marquants du paysage de la campagne cultivée de manière traditionnelle. Depuis le milieu du 20e siècle et avec l'intensification de l'exploitation des prés, la situation des habitats dans les vergers pour les espèces d'oiseaux nicheurs autrefois typiques de ces habitats s'est fondamentalement péjorée. La huppe fasciée, la chevêche d'Athéna, le torcol fourmilier et la pie-grièche à tête rousse ont largement disparu. En plus du déclin des vergers, une autre raison importante du déclin de ces oiseaux typiques des vergers est très probablement l'offre alimentaire. Pour le rougequeue à front blanc surtout, la biomasse à disposition n'est pas déterminante mais l'accessibilité des proies. » (source : https://www.vogelwarte.ch/fr/projets/recherche-ecologique/projets-termines/projet-rougequeue-a-front-blanc)<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>20</sup> Konold (1999) hält fest, dass "viele der in den letzten Jahren in bester Absicht gepflanzten Bäume infolge mangelnder Düngung und Pflege ein sehr kümmerliches Wachstum zeigen."<br />
</small><br />
<br />
== Strukturen==<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = P1100417 zg 96 dpi.JPG<br />
| text = Ast- und Steinhaufen sind bereichernde Elemente in einem Obstgarten.<br />
}}<br />
<br />
Die Strukturvielfalt von Hochstamm-Obstgärten ist wichtig für den ökologischen Wert. Je strukturreicher und abwechslungsreicher der Obstgarten, desto wertvoller ist er für diverse Arten. Für die Vögel ist ein Anteil an offenem Boden wichtig, idealerweise von 40 - 60 %. Die Untersuchung [https://www.vogelwarte.ch/assets/files/publications/archive/lueckige_vegetationen_de.pdf «Vögel brauchen lückige Vegetation zur Nahrungssuche»] (Schaub et al. 2008) bezieht sich auf verschiedene Lebensräume, sie zeigt aber eindrücklich die Wichtigkeit von offenen Bodenstellen für einige Vogelarten. Namentlich der Wiedehopf (''Upupa epops''), der Wendehals (''Jynx torquilla'') und der Gartenrotschwanz (''Phoenicurus phoenicurus'') profitieren davon. Für sie ist die Nahrungssuche in offenem Boden wesentlich einfacher als bei geschlossener Vegetation. Konold (2006) erwähnt unbefestigte Wege als Teil einer Strukturdiversität.<br />
Im Artikel [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen Kleinstrukturen] sind viele Informationen zu Bedeutung, Ökologie und Förderung der Strukturvielfalt enthalten.<br />
<br />
== Schädlinge, Krankheiten und Nützlinge im Obstbau ==<br />
Obstbauern sehen sich mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert. Im folgenden Abschnitt sind einige der wichtigsten Schädlinge aufgeführt mit Verlinkungen zu weiteren Informationen. Im Gegenzug ist es auch wichtig, die Nützlinge und deren Förderung zu kennen.<br />
<br />
'''Mäuse'''<br /><br />
Mäuse können grosse Probleme verursachen. Dagegen empfohlen werden: <br />
* Vegetation auf der Baumscheibe kurz halten.<br />
* Gestaffelte und eher frühe und regelmässige Nutzung (in Abweichung zu den DZV-Vorgaben, siehe [https://biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Unternutzen Box «Anpassungen an der DZV erforderlich»]). Zu späten Nutzung, insbesondere eine zu späte ersten Nutzung, fördert den Mäusebefall.<br />
* Hermelin und Mauswiesel fördern (siehe [https://biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Aufwertung Kapitel «Aufwertung»]). Eine Wiesel Familie frisst 50 – 100 Mäuse pro Tag. <br />
* [https://www.vogelwarte.ch/assets/files/projekte/artenfoerderung/fb_turmfalke_schleiereule_d.pdf Turmfalken und Schleiereulen fördern (Merkblatt)]. Sie können mit entsprechenden Nistkästen und Sitzstangen gefördert werden.<br />
<br />
''Weitere Informationen'':<br />
* Die Schermaus, [https://www.agridea.ch/old/de/publikationen/publikationen/pflanzenbau-umwelt-natur-landschaft/obst/die-schermaus/ Merkblatt der Agridea zur Schermaus]<br />
* [https://www.ramseier-suisse.ch/upload/cms/user/1152-Biohochstammobst_2016.pdf Merkblatt «Biologischer Obstbau auf Hochstammbäumen», Seite 26]<br />
* Auf der [https://www.agff.ch/publikationen/maeusebekaempfung/maeusebekaempfung-im-futterbau.html Webseite der Arbeitsgemeinschaft zur Förderung des Futterbaues (AGFF)]<br />
* [https://www.agridea.ch/old/de/publikationen/publikationen/pflanzenbau-umwelt-natur-landschaft/obst/hochstamm-obstgaerten-planen-pflanzen-pflegen/ Broschüre «Hochstamm-Obstgärten. Planen, pflanzen, pflegen», S. 19 (kostenpflichtig)]<br />
* Professionelle Mauser und Mausefallen (unvollständige Auflistung)<br />
** [https://www.topcat.ch/ Topcat Andermatt Biocontrol Suisse AG]<br />
<br />
'''Feuerbrand (Bakterium ''Erwinia amylovora'')'''<br />
Der [https://www.agroscope.admin.ch/agroscope/de/home/themen/pflanzenbau/obstbau/feuerbrand/hochstamm-obstbaeume.html Feuerbrand ist eine Bakterienkrankheit], die unter anderem Kernobstbäume (Apfel, Birne, Quitte) und verschiedene Zier- und Wildpflanzen befällt. <br />
<br />
'''Kirschessigfliege (''Drosophila suzukii'')'''<br />
[https://www.agroscope.admin.ch/agroscope/de/home/themen/pflanzenbau/pflanzenschutz/drosophila-suzukii.html Die Kirschessigfliege] ist erst seit 2011 in der Schweiz. Ihre Fähigkeit, diverse Nutzpflanzen zu befallen, macht sie zu einem schwierig zu bekämpfenden Schädling. Die Fliege befällt Früchte im Beeren-, Obst- und Weinbau.<br />
<br />
'''Marmorierte Baumwanzen (''Halyomorpha halys'')'''<br />
[https://www.agroscope.admin.ch/agroscope/de/home/themen/pflanzenbau/pflanzenschutz/halyomorpha.html Die Marmorierte Baumwanze] (''Halyomorpha halys'') stammt ursprünglich aus Ostasien und wurde 2004 in der Schweiz zum ersten Mal nachgewiesen. Sie ist zu einem bedeutenden Schädling in der Landwirtschaft geworden.<br />
<br />
''Weitere Informationen zu Nützlingen, Schädlingen und Krankheiten'':<br />
* [https://www.agroscope.admin.ch/agroscope/de/home/themen/pflanzenbau/obstbau/publikationen/pflanzenschutz/merkblaetter-pflanzenschutz-obstbau.html Merkblätter zum Pflanzenschutz im Obstbau]<br />
* [https://www.bioaktuell.ch/pflanzenbau/obstbau/hochstammobst/mb-biohochstammobst.html FiBL et al. 2016: Biologischer Obstbau auf Hochstammbäumen, S. 27 ff]<br />
* Kellerhals et al. (1997): Obstbau. 1. Auflage. Landwirtschaftliche Lehrmittelzentrale lmz, Zollikofen, S. 210: Auflistung zahlreicher Schädlinge<br />
<br />
= Erhalt und Förderung =<br />
Mit den finanziellen Beiträgen gibt es seit den 1990er-Jahren zwar Anreize zum Erhalt und zur Förderung der Biodiversität in den Hochstamm-Obstgärten. Die Hochstamm-Obstgärten stehen aber auf der Roten Liste der Lebensräume und der Rückgang resp. die Verschlechterung der Lebensraumqualität wirkt sich entsprechend negativ auf die begleitenden Artengemeinschaften aus <sup>21</sup>. Die Vermutung liegt nahe, dass einerseits die Nutzung zu intensiv ist, dass aber auch die Gesamtflächen und die Flächen der einzelnen Obstgärten zu klein geworden ist. Der [https://scnat.ch/de/uuid/i/f9d43fe8-182f-5d8a-9ddc-0c8c6e484037-Projektbericht%3A_Fl%C3%A4chenbedarf_f%C3%BCr_die_Erhaltung_der_Biodiversit%C3%A4t_und_der_%C3%96kosystemleistungen_in_der_Schweiz Bericht zum Flächenbedarf für die Biodiversität (Guntern et al., 2013)] stellt fest, dass vermutlich bereits ab den 1980er-Jahren die Flächen für viele seltene Obstgartenbewohner nicht mehr genügten, namentlich für den Trauerschnäpper, den Rotkopfwürger und den Steinkauz. Damals betrug die Fläche noch 55'000 ha. Eine Studie von 1983<sup>22</sup> zeigte für den Kanton Thurgau, dass bereits in den 1980er-Jahren typische Obstgartenvögel wie die oben erwähnten Arten kaum mehr vorkamen. Es darf deshalb davon ausgegangen werden, dass die Gesamtfläche der Hochstammobstgärten und/oder ihre ökologische Qualität bereits in den 1980er Jahren ungenügend waren. Es wären gemäss Studie von Guntern et al. (2013) bis zu 115'000 ha (Fläche der 1960er-Jahre)<sup>23</sup> notwendig, was mindestens einer Verzehnfachung der heutigen Fläche mit Qualität (QII) bedeuten würde. <br />
<br />
Mehr als 10% des Unternutzens muss qualitativ wertvoll und strukturreich sein<sup>24</sup> , damit eine positive Wirkung auf gefährdete Arten nachgewiesen werden kann, so die Schätzungen von Guntern et al. (2013). <br />
<br />
<br />
<small><br />
<sup>21</sup> Delarze et al. 2016. Rote Liste der Lebensräume der Schweiz. Aktualisierte Kurzfassung zum technischen Bericht 2013 im Auftrag des Bundesamtes für Umwelt (BAFU). Bern, bzw. Bundesamt für Landwirtschaft (BLW). 2019. Evaluation der Biodiversitätsbeiträge, Seite 3<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>22</sup> Zwygart, 1983. Die Vogelwelt von Nieder- und Hochstammobstkulturen des Kantons Thurgau. Der Ornithologische Beobachter 80: 89 - 104.<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>23</sup> Guntern et al. 2013. Flächenbedarf für Ökosystemleistungen, Kap. Hochstamm-Obstgärten.<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>24</sup> Bemerkung aufgrund der Rückmeldung der Reviewenden: QII heisst nicht gleichzeitig auch qualitativ wertvoll.<br />
</small><br />
<br />
== Fehlende Strategie ==<br />
Es ist erfreulich, dass die Anzahl Hochstamm-Obstbäume leicht zugenommen hat und es ist lobenswert, dass viele Betriebe wieder Bäume pflanzen und zum Teil grosse Obstgärten unterhalten und pflegen.<br />
Unseres Wissens gibt es aber keine Strategie und keine koordinierten Bestrebungen (auf kantonaler oder regionaler) Ebene, langfristig, grosse und ökologisch wertvolle Hochstamm-Obstgärten anzulegen und zu pflegen. Die Vernetzungsprojekte und -beiträge erachten wir dafür als zu wenig lenkend.<br />
Beispiele überbetrieblicher Ansätze sind von BirdLife Schweiz initiierte Projekte «Farnsberg» ([[Media:Koenig 2019 Es geht aufwärts Orn3 34-35 Farnsberg.pdf|«Es geht aufwärts», Ornis 3/19]]) und das [https://www.birdlife.ch/de/content/trinationales-birdlife-programm-steinkauz-und-obstwiesen Projekt zur Förderung des Steinkauzes] im Dreiländereck Deutschland, Frankreich und der Schweiz. Einen wegweisenden Ansatz verfolgt das [https://www.rares.ch/hochstamm-seetal/ Projekt «Hochstamm Seetal»] in den Kantonen Aargau und Luzern. Es verfolgt die Ziele, die Hochstammobstbäume, welche die Kulturlandschaft prägen, zu erhalten und ihren Bestand zu erhöhen, die Verarbeitung und der Verkauf der Produkte durch die Bauern zu fördern und somit die Wertschöpfung zu verbessern. Nutzen und Wert der Hochstammbäume sowie allgemein die Landwirtschaft sollen der Bevölkerung mit Öffentlichkeitsarbeit, Erlebnisangeboten und köstlichen Erzeugnissen nähergebracht werden.<br />
Der Kanton Zürich geltet grosse Obstgärten, ab 150 bzw. 300 Bäume je nach Fördergebiet, deutlich besser ab als die kleinen.<br />
<br />
== Planung ==<br />
=== Ein Obstgarten als Generationenprojekt ===<br />
Der Entscheid für die Neuanlage eines Hochstamm-Obstgartens ist ein Generationenprojekt. Es soll von einem Zeithorizont von mindestens 50 Jahren ausgegangen werden. Neugepflanzte Hochstammbäume benötigen 10 bis 15 Jahre für den Aufbau, die anschliessende Ertragsphase dauert etwa 40 Jahre. Für die Biodiversität fängt dann der wertvolle und interessante Lebensabschnitt an: Die ersten toten Äste werden sich zeigen, die ersten morschen Stellen im Holz begünstigen neue Tiergruppen, wie Käfer und Vögel und in der rauen Borke finden diverse Vogelarten Insekten für die Aufzucht der Jungtiere und es siedeln sich Flechten an. Ein alter und wertvoller Hochstamm-Obstgarten mag seine besten Ertragsjahre vielleicht hinter sich haben, mit fachgerechter Pflege können Bäume aber auch im hohen Alter noch gute Erträge liefern. Zentral sind die [https://biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Pflege_und_Unterhalt Pflege], eine angepasste Remontierung für den Erhalt des Obstgartens sowie eine gute Altersstruktur (Faustregel: Rund 20 Prozent der Bäume sind jünger als 5 Jahre).<br />
<br />
=== Arten- und Sortenwahl ===<br />
Auf die Arten- und Sortenwahl soll ein besonderes Augenmerk gelegt werden und muss sorgfältig auf dem Verwendungszweck abgestimmt sein. Weitere Informationen zu diesem Thema finden sich in folgenden Schriften:<br />
* [https://www.bioaktuell.ch/pflanzenbau/obstbau/hochstammobst/mb-biohochstammobst.html FiBL et al. 2016. Biologischer Obstbau auf Hochstammbäumen, S. 12]<br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/de/~178 Agridea, 2012: Hochstamm-Obstgärten. Planen, pflanzen, pflegen, S. 6] (kostenpflichtig)<br />
<br />
Auf den folgenden Merkblättern zur Sortenwahl finden Sie Angaben zu verschiedensten Sorten:<br />
* [https://www.agroscope.admin.ch/dam/agroscope/de/dokumente/themen/pflanzenbau/obstbau/feuerbrand/Feuerbrandrobuste%20Hochstammkandidaten%20aus%20der%20Apfelz%C3%BCchtung.pdf.download.pdf/Feuerbrandrobuste%20Hochstammkandidaten%20aus%20der%20Apfelz%C3%BCchtung.pdf Feuerbrandrobuste Hochstammkandidaten aus der Apfelzüchtung (2016)]<br />
* [https://www.swissfruit.ch/sites/default/files/beschreibung_mostapfelsorten.pdf Beschreibung wertvoller Mostapfelsorten (2018)] <br />
* [https://www.fibl.org/de/shop/1352-hochstamm.html Sorten für den Biologischen Anbau auf Hochstämmen] <br />
* Robuste Sorten Fructus: <br />
** [https://www.fructus.ch/obstvielfalt/ Rubrik Obstvielfalt]<br />
** [https://www.fructus.ch/apfelsorten/ Robuste Apfelsorten Fructus]<br />
** [https://www.fructus.ch/birnen/ Robuste Birnensorten Frucuts]<br />
** [https://www.fructus.ch/kirschen/ Robuste Kirchensorten Fructus]<br />
** [https://www.fructus.ch/pflaumen-und-zwetschgen/ Robuste Pflaumen- und Zwetschgensorten Fructus]<br />
* [https://www.agroscope.admin.ch/dam/agroscope/de/dokumente/themen/pflanzenbau/obstbau/feuerbrand/2016-09-28-Birnen-Feldobst-Sortenliste.pdf.download.pdf/2016-09-28-Birnen-Feldobst-Sortenliste.pdf Robuste Birnensorten (2016)]<br />
* [https://www.inforama.vol.be.ch/inforama_vol/de/index/beratung/beratung/beratungsgebiete/obst_beeren/feldobstbau_oekologie.assetref/dam/documents/VOL/Inforama/de/Dokumente/Beratung/Obst_Beeren/Feldobstbau/Brosch%C3%BCre_Fructus.pdf Hochwertige Schweizer Mostäpfel trotz Feuerbrand]<br />
<br />
'''Alte Sorten / Sortenfinder'''<br /><br />
Alte Sorten tragen zum Erhalt der genetischen Vielfalt bei, welche ebenfalls Teil der Biodiversität sind (vgl. hierzu [https://biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Allgemeines Kap. 4.1 «Allgemeines»]. Zudem sind alte Sorten Teil der Kulturgeschichte und regional an bestimmte Verhältnisse angepasst.<br />
Über den [https://www.prospecierara.ch/pflanzen/unsere-pflanzen/obst/sortenempfehlungen.html Sortenfinder von Pro Specie Rara] können Sie für Ihre Region alte Sorten finden.<br />
<br />
=== Planung und Pflanzung ===<br />
In den Broschüren [http://www.fibl.org/fileadmin/documents/shop/1152-hochstamm.pdf "Biologischer Obstbau auf Hochstammbäumen" (FiBL, 2016)] und [https://agridea.abacuscity.ch/de/~178 "Hochstammobstgärten. Planen, pflanzen, pflegen" (Agridea, 2012)] wird auf die relevanten Aspekte wie Standortbedingungen, Pflanzabstände, Pflanzung, etc. eingegangen. Betreffend Pflanzabstände möchten wir auf das nachfolgende Beispiel «Altwy» mit deutlich grösseren Distanzen zwischen den Baumreihen hinweisen.<br />
Auf die Neupflanzung eines Hochstammobstgartens auf wertvollen Trockenstandorten oder Magerwiesen ist zu verzichten. <br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = Pflanzung D.png<br />
| text = Pflanzung eines Obstbaums. Quelle: Biologischer Obstbau auf Hochstammbäumen, FiBL (Hrsg.), 2016.<br />
}}<br />
<br />
'''Beispiel Obstgarten «Altwy»'''<br />
Hans Brunner, Obstbauer aus Steinmaur/ZH plante 2010 im Auftrag der Stadt Zürich in Rümlang einen Hochstamm-Obstgarten. Das Ziel war die Integration von extensiv genutzten Wiesen im Obstgarten, um ein verzahntes Nebeneinander von Hochstamm-Obstbäumen mit Magerwiesen zu schaffen. Die Wiesen zwischen den Baumreihen sind gut besonnt. Zudem bieten die Zwischenflächen Platz für Kleinstrukturen oder die Anlage von Ruderalflächen.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Altwy zg.jpg<br />
| text = Planung des Obstgartens "Altwy" in Rümlang/ZH. Auf einer Fläche von knapp zwei Hektaren hat es ca. 180 Hochstamm-Obstbäume und 89 Aren extensive Wiesen. Die Bäume sind in den Reihen relativ eng gepflanzt, während die Abstände zwischen den Baumreihen so gross gewählt sind, dass genügend Platz für extensive Wiesen bleibt. Quelle/copyright: Christian Dünki <br />
}}<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Andi-Haeseli-FiBL Neupflanzung zg 96 dp.JPG<br />
| text = Der Obstgarten weist 120 Bäume pro Hektare aus. Diese werden als Hochstammspindeln herangezogen. Unter den Bäumen wird ein 6 Meter breiter Streifen gemulcht, die Wiesen dazwischen weisen Qualität QII auf.<br />
}}<br />
<br />
'''Empfehlungen für Baumbezug (unvollständige Auflistung)''':<br />
* [https://www.fructus.ch/empfohlene-baumschulen/ Baumschulliste Fructus]<br />
* [https://www.hochstammsuisse.ch/wp-content/uploads/2019/10/Garten_9.Baumschulen.pdf Baumschulliste Hochstamm Suisse]<br />
* [https://www.bioaktuell.ch/adressen/111/56/12/1.html Baumschulliste Bioaktuell]<br />
* [https://www.prospecierara.ch/fileadmin/user_upload/prospecierara.ch/Pflanzen/Obst/Baumschulliste_ProSpecieRara_Aktuell.pdf Baumschulliste Pro Specie Rara]<br />
Im Heckenartikel sind [https://biodivers.ch/de/index.php/Hecke/Planung#Bezugsadressen Bezugsadressen für Sträucher] aufgeführt. Dort kann nachgefragt werden, ob sie auch Hochstamm-Obstbäume anbieten.<br />
<br />
'''Mäuseschutz'''<br /><br />
Dem Schutz der neu gepflanzten Bäume vor Mausfrass ist von Beginn weg hohe Beachtung zu schenken und wird für den erfolgreichen Erhalt des Obstgartens zur Daueraufgabe. Informationen zur Mäusebekämpfung siehe im Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Sch.C3.A4dlinge.2C_Krankheiten_und_N.C3.BCtzlinge_im_Obstbau «Schädlinge, Krankheiten und Nützlinge»].<br />
<br />
== Nutzung und Vermarktung ==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Hydralada Sommerschnitt Sorte Wehntaler Hagapfel zg 96 dpi.JPG<br />
| text = Dank geeigneter Mechanisierung kann der Aufwand für die verschiedenen Arbeitsschritte stark reduziert werden. <br />
}}<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Auflesemaschine zg 96 dpi.JPG<br />
| text = Eine Auflesemaschine erleichtert die Ernte der zu Boden gefallenen Früchte. <br />
}}<br />
<br />
Die Produktion von Obst auf Hochstamm-Obstbäumen ist zeitaufwändig und viele Arbeiten sind noch immer schlecht mechanisierbar, obwohl es in den letzten Jahren mit verschiedenen technischen Entwicklungen auch für den Hochstamm-Obstbau deutliche Verbesserungen gegeben hat<sup>25</sup>. Alle beigezogenen Quellen<sup>26</sup> sind sich einig, dass eine kostendeckende Produktion ohne Direktzahlungsbeiträge von Bund und Kantonen und/oder Label gebundenen Beiträgen nicht rentabel ist.<br />
In der [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~1189~1/3~410150~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Spezialkulturen/Hochstamm-Obstg%C3%A4rten-planen-pflanzen-pflegen/Deutsch/Print-Papier Broschüre «Hochstammobstgärten. Planen, pflanzen, pflegen»] hat es Beispiele zum Arbeitsaufwand pro Baum, zu den Produktionskosten und Modellrechnungen (Seiten 32/33). In der Broschüre von [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~1189~1/3~410150~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Spezialkulturen/Hochstamm-Obstg%C3%A4rten-planen-pflanzen-pflegen/Deutsch/Print-Papier Agridea, 2012: Hochstammobstgärten. Planen, pflanzen, pflegen.] Auf den Seiten 25 bis 28 hat es Angaben zum rationellen Ernten. <br />
Die FiBL macht in ihrer Broschüre Vorschläge, wie mit Fallobst umgegangen werden kann (Seite 33).<br />
<br />
Beispiele für Direktvermarktung und Produkte (unvollständige Auflistung): <br />
* [https://www.hochstammsuisse.ch/produkte/ Diverse Produkte von «Hochstamm Suisse»]<br />
* [http://naturschutzprodukte.ch/Verschiedene Produkte aus Naturschutz-Projekten]<br />
* [http://bio-obst.ch/ Landwirtschaftsbetrieb mit etwa 400 Apfel-, 100 Birnen-, 15 Kirschen- sowie 60 Pflaumen- und Zwetschgensorten]<br />
* [http://mausacker.ch/biohof/ Landwirtschaftsbetrieb mit 500 grossen Hochstammbäume]<br />
* [https://www.rares.ch/shop/ Produkte von Hochstammt Seetal]<br />
* Durch den Kauf von Birnel unterstützen Sie Erhaltung und Förderung von Hochstamm-Obstbäumen. Kaufmöglichkeiten:<br />
** [https://www.brunnermosterei.ch/brunner_mosterei.php?t=Birnel&read_group=5 Mosterei E. Brunner AG]<br />
** [https://www.winterhilfe.ch/helfen/birnel-kaufen Winterhilfe]<br />
* Cidre-Produktion:<br />
** [https://oswaldruch.ch/cidre.htmlMosterei Oswald+Ruch Cidre-Produktion in Schaffhausen]<br />
** [https://www.fribourgregion.ch/de/P11255/die-mosterei-vulcain Mosterei Le Vulcain]<br />
* [https://www.appenzellerbier.ch/de/bier/bschorle.html "Bschorle" (alkoholfreies Biermischgetränk aus 28 verschiedenen Apfel- und Birnensorten aus Hochstamm-Obstanlagen)]<br />
<br />
Weitergehende Informationen zu verschiedenen Produktionslabels:<br />
* [https://www.bioaktuell.ch/pflanzenbau/obstbau.html Biologische Produktion]<br />
* [https://demeter.ch/unsere-produkte/obst-und-gemuese/ Demeter]<br />
* [https://www.hochstammsuisse.ch/ Hochstamm Suisse]<br />
<br />
{{Fotos-links-300px<br />
| bilddatei = 1 www.naturschutzprodukte zg 96 dpi.jpg<br />
| text = In Hochstamm-Obstgärten lassen sich Produktion und Biodiversität gut kombinieren.<br />
}}<br />
<br />
<small><br />
<sup>25</sup> Agridea, 2012. S. 32/33<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>26</sup> Agridea, 2012 und Benninger et al. 2016 <br />
</small><br />
<br />
== Beiträge ==<br />
Landwirte erhalten für Hochstamm-Feldobstbäume folgende [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/biodiversitaetsbeitraege.html Biodiversitätsbeiträge]<br />
* Qualitätsstufe I: 13.50 CHF/Baum<br />
* Qualitätsstufe II: 31.50 CHF/Baum (für Nussbäume 16.50 CHF/Baum)<br />
* Vernetzung: 5 CHF/Baum<br />
<br />
== Raumplanung ==<br />
Statt neue Bauzonen auszuscheiden, ist die Siedlungsentwicklung nach innen zu fördern. Diese wird mit der Revision des Raumplanungsgesetzes aktuell auch angestrebt. Im Rahmen der Ortsplanung (Richt- und Nutzungsplanung) können Obstgärten z.B. einer besonderen Landschafts- und Baumschutzzone zugeordnet werden. Obstbäume können selbstverständlich auch in Siedlungen gepflanzt werden. Hier werden zwar kaum gefährdete Vogelarten brüten, doch sind sie eine Bereicherung für Mensch und Tier. Gemeinden und Vereine können die Erhaltung der Obstbäume unterstützen indem sie z.B. Jungbäume vergünstigt abgeben oder bei der Pflege und Ernte mithelfen<sup>27</sup>.<br />
<br />
<small><br />
<sup>27</sup> Müller, W. et al. 2015: Hochstamm-Obstgärten. Vielfältige Lebensräume. 4. Auflage, S. 12<br />
</small><br />
<br />
= Pflege und Unterhalt =<br />
Für den ökologischen Wert von Hochstamm-Obstgärten sind die Baumpflege und eine gute Altersdurchmischung der Bäume von zentraler Bedeutung. Vor allem alte Hochstamm-Obstgärten tragen zu einer hohen Biodiversität bei. Baumschicht und Unternutzen bilden im Hochstamm-Obstgarten eine Einheit, darum ist es wichtig, dass auch die Wiesen oder Weiden ökologisch wertvoll sind und optimal unterhalten werden.<br />
<br />
== Schnitt und Baumerziehung ==<br />
Für eine lange Ertragsphase und die Bildung von Qualitätsobst brauchen Hochstammobstbäume ein stabiles Kronengerüst mit einem guten Lichteinfall bis ins Innere der Baumkrone und zu den Ansatzstellen der unteren Leitäste. Zur Erhaltung der Vitalität, Produktivität und Qualitätserzeugung muss das Fruchtholz regelmässig durch Schnittmassnahmen verjüngt werden. Die richtige Schnitttechnik kann in Kursen erlernt werden. Anlaufstellen hierfür sind beispielsweise die landwirtschaftlichen Beratungszentren der Kantone (siehe Link unten).<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Baumkrone zg 96 dpi.jpg<br />
| text = Verschiedene Erziehungssysteme: Links eine Rundkrone, rechts eine Hochstammspindel.Quelle: Biologischer Obstbau auf Hochstammbäumen, FiBL (Hrsg.), 2016.<br />
}}<br />
<br />
Informationen zum richtigen Schnitt und zur Erziehung sind in den folgenden Broschüren zu finden:<br />
* [https://www.fibl.org/de/shop/1152-hochstamm.html Biologischer Obstbau auf Hochstammbäumen, Seiten 18ff.]<br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~3244~1/3~410245~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Beitr%C3%A4ge-und-Bedingungen-im-%C3%96koausgleich/Fachgerechte-Pflege-von-Hochstamm-Feldobstb%C3%A4umen/Deutsch/Print-Papier Fachgerechte Pflege von Hochstamm-Obstbäumen, Seite 27] (kostenpflichtig)<br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~1189~1/3~410150~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Spezialkulturen/Hochstamm-Obstg%C3%A4rten-planen-pflanzen-pflegen/Deutsch/Print-Papier Hochstammobstgärten, planen pflanzen pflegen.] (kostenpflichtig) <br />
<br />
Baumschnittkurse (unvollständige Liste):<br />
* [https://www.agridea.ch/de/agridea/beratungsadressen/ Adressen der Landwirtschaftlichen Beratungszentren in der Schweiz]<br />
* [http://baumschnittkurs.ch/?id=20 Baumschnittkurs.ch]<br />
* [http://baumpflege-schweiz.ch/ Bund Schweizer Baumpflege]<br />
* [https://www.hauenstein-rafz.ch/de/pflanzenwelt/pflege/index-schnittarbeiten.php Hauenstein AG]<br />
* [https://www.bioterra.ch/kurse Bioterra]<br />
* [https://www.hochstammobst.ch/81/der-richtige-schnitt HochstammObst]<br />
<br />
== Unternutzen ==<br />
Im [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Praxisrelevante_.C3.96kologie_von_Hochstamm-Obstg.C3.A4rten Kapitel «Praxisrelevante Ökologie»] wird auf die relevanten Aspekte der Unternutzung eingegangen. Für Wiesen in Obstgärten sollen artenreiche Fromentalwiesen (''Arrhenatherion'') das Ziel sein [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland (Link zum Grünlandartikel)]. Im Fazit wird zusammengefasst, dass so viel wie für die Bäume erforderlich und so wenig wie nötig gedüngt und dass die Wiesen gestaffelt genutzt werden sollen.<br />
<br />
'''Schnitt/Mahd Grünland'''<br />
Um einerseits die Wiesen möglichst ökologisch zu nutzen und andererseits Ertrag und Entwicklung der Bäume zu gewährleisten, ist folgende Nutzung zu empfehlen:<br />
* Die extensiv oder wenig intensiv genutzten Wiesen zwei- bis dreimal pro Jahr mähen. Bei Gefahr von zu vielen Mäusen den ersten Schnitt, wenn dies erlaubt ist, bereits vor dem 15. Juni ausführen (vgl. Box unten).<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimale_Mahdnutzung Durch gestaffelte Mahd ein Nutzungsmosaik schaffen]<br />
* Baumscheiben häufig mähen oder mulchen und nach Bedarf der Bäume düngen.<br />
<br />
Die nachfolgende Abbildung schematisiert den Weg, der zwischen den drei Zielen guter Ertrag, hohe Biodiversität der Wiesen und geringer Mäusedruck gefunden werden muss. <br />
<br />
{{Fotos-links-500px<br />
| bilddatei = Ziele Unternutzen de zg 96 dpi.png<br />
| text = Der Unternutzen ist auf die verschiedenen Ziele abzustimmen. © Verein biodivers<br />
}}<br />
<br />
Ökologisch ist es besser, wenn Obstbäume und artenreiche Wiese eine Einheit bilden als wenn sie separat betrachtet und räumlich getrennt werden, wie das heute mit der «Zurechnungsfläche» für Obstgärten mit Qualität QII möglich ist. <!-- Die Beiträge gemäss DZV sind im Kapitel über Biodiversitätsförderflächen zusammengestellt. (#verlinken wenn dieses Kapitel erstellt ist)--><br />
<br />
<br /><br />
<table border="0", style="font-size:108%"> <br />
<tr> <br />
<td> '''Anpassungen an der DZV erforderlich''' <br /> <br />
Die ideale Wiesennutzung und die Vorgaben gemäss DZV widersprechen sich. Der vorgegebene Schnittzeitpunkt 15. Juni hält Landwirte davon ab, die Wiesen der Obstgärten extensiv zu nutzen. Eine Flexibilisierung des Schnittzeitpunkts ist erforderlich. Bei einer früheren Nutzung ist zudem die Futterqualität besser<sup>28</sup>.<br />
Der Kanton Bern bietet für als BFF angemeldete Wiesenflächen in Hochstammobstgärten eine Nutzungsvereinbarung an, die eine gestaffelte, eher frühe und regelmässige Nutzung in Abweichung zu den DZV Vorgaben erlaubt.<br />
Im Kanton Aargau ist es im Rahmen des Programms «Labiola» möglich, eine extensiv genutzte Wiese als Unternutzen eines Hochstammobstgartens gestaffelt und zu einem Teil früher zu mähen: Frühschnitt bis spätestens Ende Mai auf ca. einem Drittel bis etwa der Hälfte der Fläche (in Abweichung vom vorgegebenen Schnittzeitpunkt). Restliche Fläche frühestens vier Wochen später mähen (ca. ab 1. Juli), dabei Teilfläche mit Frühschnitt stehen lassen. Lage der Frühschnittfläche jedes Jahr wechseln. Alternativ steht auch die Vernetzungsmassnahme Atzheu zur Verfügung: Schonende kurze Frühlingsweide im April (ab 1. Mai keine Tiere mehr auf der Fläche). Erster Schnitt ab 1. Juli.<br />
<br />
<small><br />
<sup>28</sup> [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimale_Mahdnutzung Im Grünland-Artikel wird vertieft auf die Schnittzeitpunkte eingegangen]. Eine Option wäre auch die [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Kombination_von_Mahd_und_Beweidung.2C_Fr.C3.BChjahrsvorweide Frühnutzung].<br />
</small><br />
<br />
</td> <br />
</tr> <br />
</table><br />
<br /><br />
<br />
<table border="0", style="font-size:108%"> <br />
<tr> <br />
<td> '''Die richtige Praxis aus Sicht des Vereins biodivers''' <br /> Der Verein biodivers vertritt die Meinung, dass der Unternutzen eines Hochstamm-Obstgartens in jedem Fall extensiv oder wenig intensiv sein soll. Davon ausgenommen sind die Baumscheiben, wo dies aufgrund der Beschattung, Bedarf an Düngung der Bäume und häufiger Mahd zur Mäusebekämpfung nicht möglich ist. Nur so kann ein ökologisch wertvoller Obstgarten erreicht werden. Untersuchungen zeigen deutlich, dass grosse Hochstamm-Obstgärten allein nicht genügen, sondern dass der gesamtheitliche Ansatz entscheidend ist (Grösse, Altersdurchmischung der Bäume, Pflege der Bäume, blütenreiche und lückige Vegetation im Unternutzen, gestaffelte Nutzung, Kleinstrukturen). Das Propagieren von futterbaulich interessanten klee- und grasreichen Wiesen (siehe Agridea, 2012, S. 16) und artenreichen Hochstamm-Obstgärten widersprechen sich.</td> <br />
</tr> <br />
</table><br />
<br /><br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = 20200601 Marco Bertschinger gestaffelteNutzung zg 96 dpi Marco Bertschinger.JPG<br />
| text = Gestaffelter Schnitt des Unternutzens. Jeweils mindestens 25% der Fläche wird stehen gelassen.<br />
}}<br />
<br />
'''Beweidung'''<br /><br />
Auf die Beweidung wird auf der Webseite zu einem späteren Zeitpunkt detailliert eingegangen.<br />
<br />
'''Schutz vor Mäusen'''<br /><br />
Siehe [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Sch.C3.A4dlinge.2C_Krankheiten_und_N.C3.BCtzlinge_im_Obstbau Kapitel «Schädlinge, Krankheiten und Nützlinge im Obstbau», Unterkapitel «Mäuse»].<br />
<br />
Wer sich vertieft mit der Nutzung von Wiesen auseinandersetzen möchte ist der [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland Grünland-Artikel] empfohlen.<br />
<br />
= Aufwertung =<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = 20200131 Marco Bertschinger Asthaufen zg 96 dpi Marco Bertschinger.JPG<br />
| text = Hochstamm-Obstgärten können mit verschiedenen Massnahmen aufgewertet werden.<br />
}}<br />
<br />
'''[https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen Kleinstrukturen] im und um den Obstgarten anlegen''' <br /> <br />
In Obstgärten besonders geeignet sind Asthaufen. Sie können so angelegt werden, dass damit Jäger wie Wiesel und Hermelin gefördert werden, die Mäuse sehr effizient reduzieren können (siehe auch [https://biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Sch.C3.A4dlinge.2C_Krankheiten_und_N.C3.BCtzlinge_im_Obstbau Kapitel «Mäuse»]). Weitere [https://www.biodivers.ch/de/index.php/S%C3%A4ugetiere#Hermelin_.28Mustela_erminea.29_und_Mauswiesel_.28Mustela_nivalis.29 Informationen zu Hermelin und Mauswiesel können im Säugetier-Artikel] nachgelesen werden.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = asthaufen.png<br />
| text = Mauswiesel und Hermelin sind effiziente Mäusejäger. Speziell für sie aufgebaute Asthaufen sind deshalb empfehlenswert. Die Verbreitung dieser beiden Arten kann auf dem [http://lepus.unine.ch/carto/ Kartenserver] nachgeschaut werden. Quelle der Zeichnung: Fördermassnahmen für Wiesel im Landwirtschaftsgebiet (Boschi et al. 2014) <br />
}}<br />
<!--<br />
{{Fotos-links-300px<br />
| bilddatei = 20200601 Marco Bertschinger Nisthilfe zg 96 dpi Marco Bertschinger.JPG<br />
| text = Mit Nisthilfen werden Wildbienen, welche wichtige Bestäuber sind, gefördert.<br />
}} --><br />
<br />
'''Gehölze'''<br /><br />
Durch die Pflanzung von Büschen oder Buschgruppen wird ein Obstgarten vielfältiger ([https://www.biodivers.ch/de/index.php/Hecke Link zum Artikel «Hecken»]).<br />
<br />
'''Wiesen und Weiden in den Obstgärten aufwerten'''<br /><br />
Im [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland Grünland-Artikel] werden verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt, wie Wiesen ökologisch reichhaltiger gestaltet werden können. Neben der bereits im [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Pflege_und_Unterhalt Kapitel «Pflege und Unterhalt»] erwähnten gestaffelten Mahd können Altgrasstreifen stehen gelassen oder die [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimale_Mahdnutzung Wiesen ausgehagert werden]. Eine weitere Möglichkeit bietet die [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat Schaffung artenreicherer Wiesen durch Direktbegrünung oder Ansaat].<br />
<br />
'''Offene Flächen schaffen mit Ruderalflächen oder dem Fräsen der Bodenoberfläche'''<br /><br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Üsseri Rietwies 96 dpi.jpg<br />
| text = Vögel sind für die Nahrungssuche auf [http://www.artenfoerderung-voegel.ch/assets/files/merkblaetter/FB_Lueckige_Vegetation.pdf lückige Vegetation] angewiesen und [https://biodivers.ch/de/index.php/Wildbienen#Allgemeine_F.C3.B6rdermassnahmen_im_Landwirtschaftsgebiet erdnistende Wildbienen bevorzugen für ihre Nester offenen Boden].<br />
}}<br />
<br />
Gemüsegärten, Ruderalflächen und regelmässig gefräste Böden bieten offenen Boden, die Ruderalflächen zudem <br />
das ganze Sommerhalbjahr über ein Blütenangebot<!-- (später auf #Pionierflächen verlinken)-->.<br />
<br />
'''Aufhängen von Nistkästen''' für obstgartentypische Vögel, wie z. B. den Gartenrotschwanz (''Phoenicurus phoenicurus'') oder den Träuerschnäpper (''Ficedula hypoleuca'') und Fledermäuse:<br />
<br /><br />
<br />
* [https://www.birdlife.ch/de/content/nistkaesten-fuer-hoehlenbrueter Merkblatt von Bird Life Schweiz zu Höhlenbrütern]<br />
* [https://www.birdlife.ch/de/content/nisthilfen-fuer-halb-hoehlenbrueter Merkblatt von Bird Life Schweiz zu Halbhöhlenbrütern]<br />
* [https://www.vogelwarte.ch/de/voegel/ratgeber/nisthilfen/nistkaesten-fuer-hoehlenbrueter Seite mit Informationen und Merkblatt der Vogelwarte]<br />
<br />
Strukturen sollen so angelegt sein, dass sie die Bewirtschaftung nicht beeinträchtigen.<br />
<br />
Weiterführende Literatur:<br />
[https://raumentwicklung.tg.ch/public/upload/assets/92335/Gartenrotschwanz_Projektflyer_Artenfoerderung.pdf Artenförderung Gartenrotschwanz Kantone Thurgau und St. Gallen]<br />
<br />
= Gefährdung =<br />
* Zerstörung<br />
* Intensivierung (Düngung des Grünlandes, Pestizideinsatz)<br />
* Zersiedelung / Überbauung<br />
* Marktzerfall Obstpreis / Import billiges Obst<br />
* Feuerbrand und andere Krankheiten<br />
* Neue Schädlinge<br />
* Vernachlässigung und mangelnde Pflege<br />
* Zu viele Auflagen (Bürokratie)<br />
* Klimawandel<br />
* Sturmereignisse<br />
<br />
= Praxisbeispiele =<br />
Auf gute Beispiele wird zu einem späteren Zeitpunkt vertieft eingegangen. Hier hat es momentan Hinweise auf Vorzeigeprojekte zur Förderung von Hochstamm-Obstgärten.<br />
<br />
== Farnsberg (BL) ==<br />
Am Farnsberg im Baselland läuft seit 2004 ein Projekt zur Aufwertung der Landschaft. Dabei ist der Hochstamm-Obstgarten im Fokus, es werden aber auch Hecken gepflanzt und offene Flächen und Strukturen angelegt.<br />
Im Bericht «Umweltziele Landwirtschaft» (BAFU und BLW 2008) ist festgehalten: «Am Farnsberg (BL) führte ein Anteil von 18,4 % (ohne Hochstammobstbäume) ökologisch hochwertiger Ausgleichsflächen in der landwirtschaftlichen Nutzfläche innerhalb kurzer Zeit dazu, dass sich die Bestände der Brutvogelarten stabilisierten oder gar leicht zunahmen.»<br />
Das Projekt wird in «Es geht aufwärts» und «Von den Erfahrungen profitieren» näher vorgestellt (siehe unten).<br />
<br />
'''Links''': <br />
* [http://obstgarten-farnsberg.ch/ Projekt Obstgarten Farnsberg]<br />
* [http://obstgarten-farnsberg.ch/projekt/der-werbefilm Filmausschnitt Farnsberg]<br />
<br />
'''Artikel im Ornis''':<br />
* [[Media:Koenig 2019 Es geht aufwärts Orn3 34-35 Farnsberg.pdf| König, P. (2019). «Es geht aufwärts». Ornis 3/19, Bird Life Schweiz (Hrsg.), S. 34/35]]<br />
* [[Media:Schuck 2020 Von den Erfahrungen profitieren Orn2 17-19 Neuntoeter.pdf| Schuck, M. (2020). «Von den Erfahrungen profitieren». Ornis 2/20, Bird Life Schweiz (Hrsg.), S. 17-19.]]<br />
<br />
== Steinkauzprojekt (CH-DE-FRA)==<br />
<br />
Der Steinkauz ist in der Nordwestschweiz um das Jahr 1990 herum ausgestorben. Im Elsass und in Südbaden haben aber kleine Bestände überlebt. Ziel des "BirdLife-Programms Steinkauz und Obstwiesen" ist die Wiederbesiedlung der Nordwestschweiz durch den Steinkauz . <br />
<br />
[https://www.birdlife.ch/de/content/trinationales-birdlife-programm-steinkauz-und-obstwiesen Weitere Informationen zum Trinationalen Projekt].<br />
<br />
= Literaturempfehlungen =<br />
* Benninger, P., Brunner, H. Häseli, A., König, P. Weibel, F. 2016. Biologischer Obstbau auf Hochstammbäumen. Produktion und Biodiversität erfolgreich kombinieren. 39 Seiten. Bioaktuell (Hrsg.) in Zusammenarbeit mit FiBL, BirdLife Schweiz, Hochstamm Suisse, Bio Suisse (Hrsg.), Basel.Das gemeinsam von vier grossen Akteuren im Hochstamm-Obstbau erstellte Merkblatt bietet viel Praxis- und Hintergrundwissen rund ums Thema biologischer Obstbau. Verständlich und prägnant werden sowohl ökologische, wie auch ökonomische und kulturelle Aspekte des biologischen Hochstamm-Obstbaus beleuchtet. Bezüglich der extensiven Nutzung der Grünlandvegetation bleibt die Schrift aber vage und zu allgemein.<br />
<br />
* Agridea, 2012. Hochstamm-Obstgärten planen, pflanzen, pflegen. 37 Seiten. Agridea (Hrsg.) (No. 1189), Lindau. Die Wegleitung der Agridea zu den Hochstamm-Obstgärten beleuchtet das Thema Hochstammobstbau auf vielfältige und informative Weise. Der Fokus liegt aber häufig auf einer rationalen, effizienten Bearbeitung der Strukturen, wodurch die Biodiversität nicht immer optimal berücksichtigt wird.<br />
<br />
* Kornprobst, M. 1994. Landschaftspflegekonzept Bayern, Streuobst, Band II.5. 134 Seiten. Bayerisches Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen (Hrsg.), München. Diese bereits etwas ältere Schrift aus dem Jahr 1994 ist eine gutes Grundlagenwerk bezüglich der ökologischen Werte und der kulturellen und geschichtlichen Entwicklung der Hochstamm-Obstgärten. Sie listet insbesondere auch die mannigfaltige Vielfalt der Obstgärten auf und hebt die ökologische Bedeutung in den Vordergrund.<br />
<br />
* Konold, W. 1999. Handbuch Naturschutz und Landschaftspflege: Kompendium zu Schutz und Entwicklung von Lebensräumen und Landschaften. Kap. XIII-7.9 Streuobstwiesen. 42 Seiten. Wiley-VCH, Weinheim. Das Grundlagenwerk bietet sehr umfassende Informationen zum Lebensraum der Hochstamm-Obstgärten auf einer stark naturschutzfachlichen und kulturellen Ebene. Auch auf Bewirtschaftungsformen und -methoden wird eingegangen und Fördermöglichkeiten werden erläutert.<br />
<br />
* Würth, B., Caillet-Bois, D. 2014. Biodiversitätsförderung Qualitätsstufe II von Hochstamm-Feldobstbäumen gemäss Direktzahlungsverordnung (DZV). 4 Seiten. Agridea (Hrsg.) (No. 1190), Lindau. Dieses kurze und übersichtliche Merkblatt informiert über sämtliche Belange der Biodiversitätsförderung in Hochstamm-Obstgärten hinsichtlich der Erlangung der Qualitätsstufe II (QII). Einerseits werden die Anforderungen an die biologische Qualität erläutert, andererseits die Förder- und Aufwertungsmöglichkeiten (Nisthöhlen, Strukturelemente) vorgestellt.<br />
<br />
<!--= Literatur =<br />
* Agridea, 2012. Hochstamm-Obstgärten planen, pflanzen, pflegen (No. 1189). Agridea.<br />
* FiBL, BirdLife Schweiz, Hochstamm Suisse, BioSuisse, 2016. Biologischer Obstbau auf Hochstammbäumen (Broschüre).<br />
* Guntern, J., Lachat, T., Daniela, P., Fischer, M., 2013. Flächenbedarf für die Erhaltung der Biodiversität und der Ökosystemleistungen in der Schweiz. Forum Biodiversität Schweiz, Akademie der Naturwissenschaften (SCNAT), Bern.<br />
* Hunziker, K., Gassmann, J., Bühlmann, A., Schaad, J., Kellermann, M., 2015. Beschreibung der Schweizer Obstvielfalt. Schweizer Zeitschrift für Obst- und Weinbau, 11–15.<br />
* Kellerhals, M., Müller, W., Bertschinger, L., Darbellay, C., Pfammatter, W., 1997. Obstbau, 1. Auflage. ed. Landwirtschaftliche Lehrmittelzentrale, Zollikofen.<br />
* König, P., 2019. Es geht aufwärts, Vorzeigebeispiel Farnsberg. Ornis 34–35.<br />
* Kornprobst, M., 1994. Landschaftspflegekonzept Bayern, Streuobst, Band II.5. Hrsg: Bayerisches Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen, München.<br />
* Müller, W., Schifferli, L., Weibel, U., Zwygart, D., Schaad, M., König, P., 2015. Hochstamm-Obstgärten. Vielfältige Lebensräume. Bird Life Schweiz (Hrsg.), Zürich.<br />
* Schuck, M., 2020. Von den Erfahrungen profitieren, Den Neuntöter fördern. Ornis 17–19.<br />
* SCNAT, 2018. Bericht zum Workshop «Frühnutzung von (Streu-) Wiesen und Weiden unter Berücksichtigung von Flora und Fauna».<br />
* Konold, W., 1999. Handbuch Naturschutz und Landschaftspflege: Kap. XI-2.11 und XIII-7.9 Streuobstwiesen. Kompendium zu Schutz und Entwicklung von Lebensräumen und Landschaften. Wiley-VCH, Weinheim.<br />
* Würth, B., Caillet-Bois, D., 2014. Biodiversitätsförderung Qualitätsst. II, Hochstamm-Feldobstbäume (No. 1190). Agridea (Hrsg.), Lindau.<br />
* Zwygart, D., 1983. Die Vogelwelt von Nieder- und Hochstammobstkulturen des Kantons Thurgau, Der Ornithologische Beobachter.--><br />
<br />
= Autor:innen=<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers]|| info@biodivers.ch<br />
|-<br />
|Review || [https://www.weu.be.ch/de/start/themen/umwelt/naturschutz.html Andreas Brönnimann] || [https://www.weu.be.ch/de/start/themen/umwelt/naturschutz.html Abteilung Naturförderung]<br />
|-<br />
| || [https://www.weu.be.ch/de/start/themen/umwelt/naturschutz.html Pascal König] || [https://www.weu.be.ch/de/start/themen/umwelt/naturschutz.html Abteilung Naturförderung] <br />
|-<br />
| || [https://raumentwicklung.tg.ch/mitarbeitende.html/5004 Barbara Weiss] || [https://raumentwicklung.tg.ch/themen/natur.html/5641 Abteilung Natur und Landschaft Kt. Thurgau]<br />
|-<br />
| || [https://www.birdlife.ch/de/content/geschaeftsstellen-kontakte Patrik Peyer]|| [https://www.birdlife.ch/ BirdLife Schweiz] <br />
|-<br />
| Interviews || Hans Brunner || [https://www.brunnermosterei.ch/ E. Brunner AG, Wehntaler Mosterei]<br />
|-<br />
| || [https://www.birdlife.ch/de/content/geschaeftsstellen-kontakte Martin Schuck] || [https://www.birdlife.ch/ BirdLife Schweiz]<br />
|-<br />
| || [https://naturschutzbuero.ch/ueber-uns/team/hansruedi-schudel/ Hansruedi Schudel] || [https://naturschutzbuero.ch/ Naturschutz und Artenförderung GmbH]<br />
|-<br />
| || [https://www.vogelwarte.ch/de/vogelwarte/ueber-uns/team/ Roman Graf] || [https://www.vogelwarte.ch/de/home/ Schweizerische Vogelwarte Sempach]<br />
|-<br />
| || [https://naturschutzbuero.ch/ueber-uns/team/livia-bieder/ Livia Bieder] || [https://naturschutzbuero.ch/ Naturschutz und Artenförderung GmbH]<br />
|-<br />
| || [https://versaplan.ch/ueber-uns/p1000589/ Benjamin Kämpfen] || [https://versaplan.ch/ versaplan]<br />
|}</div>
VB2
https://biodivers.ch/de/index.php?title=Obstg%C3%A4rten&diff=4679
Obstgärten
2023-03-04T09:45:34Z
<p>VB2: </p>
<hr />
<div>[[fr:Vergers]]<br />
<br />
{{Startfoto-rechts-quer<br />
| bilddatei = AK 0455 zg 96 dpi.jpg<br />
| text = Hochstammobstgärten bereichern und prägen das Landschaftsbild. Grosse Obstgärten sind selten geworden.<br />
}}<br />
{{TOC limit|3}}<br />
= Zusammenfassung =<br />
Hochstammobstgärten waren über Jahrhunderte in vielen Regionen landschaftsprägend, in einigen sind sie das noch heute. In ihrer Zahl und Ausdehnung sind sie aber in den vergangenen Jahrzehnten stark zurückgegangen und damit auch ihre Biodiversität.<br />
<br />
Im Kapitel [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Praxisrelevante_.C3.96kologie_von_Hochstamm-Obstg.C3.A4rten «Praxisrelevante Ökologie»] erfahren Sie Wissenswertes zur Biodiversität und welche Faktoren einen Obstgarten biologisch wertvoll machen. Von zentraler Bedeutung sind dabei die Strukturvielfalt und die Art und Weise des Unternutzens. Im Kapitel [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Erhalt_und_F.C3.B6rderung «Erhalt und Förderung»] wird darauf hingewiesen, welche wichtigen Punkte bei der Planung bzw. Neuanlage eines Obstgartens berücksichtig werden sollten, z.B. die Arten- und Sortenwahl der Bäume. Das Kapitel [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Pflege_und_Unterhalt «Pflege und Unterhalt»] widmet sich den Themen Baumschnitt bzw. -erziehung und der optimalen Bewirtschaftungsweise im Spannungsfeld von Baumgesundheit, Biodiversität und Schädlingsdruck. Im Kapitel [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Aufwertung «Aufwertung»] wird auf Möglichkeiten der Förderung von Kleinstrukturen oder die Schaffung von Ruderalflächen hingewiesen. Bei den [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Praxisbeispiele «Praxisbeispielen»] finden sie Informationen zu laufenden Projekten aus der Nordwestschweiz, dem trinationalen Steinkauzprojekt und dem Obstgarten Farnsberg.<br />
<br />
Sie können durch den Kauf von Hochstamm-Produkten die Erhaltung und Förderung von Obstgärten unterstützen. Im Kapitel [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Nutzung_und_Vermarktung Nutzung und Vermarktung] sind Adressen aufgeführt.<br />
<br />
= Das Wesentliche kompakt=<br />
<br />
{| class="wikitable"<br />
|-<br />
| style="text-align: center; font-size:20px;" |''Schnelleinstieg – wo finde ich besonders wichtige Themen?''<br />
|-<br />
| <br />
'''Grundlagen''': [https://biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Bedeutung_f.C3.BCr_die_Artenvielfalt Ökologische Bedeutung], [https://biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Praxisrelevante_.C3.96kologie_von_Hochstamm-Obstg.C3.A4rten Argumente für Hochstamm-Obstgärten]<br /><br />
'''Planen''': [https://biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Arten-_und_Sortenwahl Arten- und Sortenwahl], [https://biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Arten-_und_Sortenwahl wertvolle Sorten, alte Sorten], [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Planung_und_Pflanzung Standort- und Parzellenplanung]<br /><br />
'''Anlage''': [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Planung_und_Pflanzung Pflanzgut und Pflanzung], [https://biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Sch.C3.A4dlinge.2C_Krankheiten_und_N.C3.BCtzlinge_im_Obstbau Mäuseschutz], [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Nutzung_und_Vermarktung Nutzung/Vermarktung]<br /><br />
'''Pflegen''': [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Schnitt_und_Baumerziehung Baumpflege], [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Aufwertung Aufwertung von Obstgärten]<br />
|-<br />
| style="text-align: center; font-size:20px;" |''Lebensraum Obstgärten kompakt – ausgewähltes Wissen in Kurzform''<br />
|-<br />
| style="text-align: center;" | '''Argumente für die Förderung von Hochstamm-Obstgärten'''<br />
|-<br />
| <br />
* Enorm vielfältiger Lebensraum: gehört zu den [https://biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Bedeutung_f.C3.BCr_die_Artenvielfalt artenreichsten Lebensräumen in Mitteleuropa].<br />
* Hochstamm-Obstgärten sind darum artenreich, weil Lebensraumaspekte aus dem (Lichten) Wald und dem Grünland miteinander kombiniert sind.<br />
* 48 Brutvogelarten und 76 potenzielle weitere Besiedler sind nachgewiesen.<br />
* Bis zu 5000 Spezies wurden in einem Obstgarten in Deutschland nachgewiesen.<br />
* Hohe genetische Vielfalt (Obstsorten) mit über 2500 beschriebenen Sorten (Äpfel, Birnen, Kirschen, Zwetschgen).<br />
* Hochstamm-Obstgärten sind regional sehr landschaftsprägende Elemente; sie bereichern das Landschaftsbild.<br />
* Eine Vernetzung über grosse zusammenhängende Flächen hinweg kann mit Hochstamm-Obstgärten realisiert werden.<br />
<br />
|-<br />
| style="text-align: center;" | '''Erfolgsfaktoren für den idealen Hochstamm-Obstgarten aus Naturschutzsicht'''<br />
|-<br />
|<br />
* In einem idealen Hochstamm-Obstgarten sind die Pflege und Erhaltung über Generationen gesichert.<br />
* Das Vorhandensein junger und alter Bäume (mit Totholz) ist wichtig für die Struktur Diversität.<br />
* [https://biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Praxisrelevante_.C3.96kologie_von_Hochstamm-Obstg.C3.A4rten Möglichst grosse, zusammenhängende Obstgärten anstreben].<br />
* Ein grosser Anteil an qualitativ hochwertigen Flächen direkt im Unternutzen soll vorhanden sein (z.B. Extensive Wiesen und offener Boden).<br />
* Ein Mosaik von unterschiedlichen Flächen- und Strukturtypen anstreben (z.B. dornenreiche Hecken in der Umgebung und Altgrasstreifen).<br />
* Ein artenreicher Hochstamm-Obstgarten enthält Kleinstrukturen (z.B. Steinhaufen und Asthaufen) und Baumhöhlen.<br />
|-<br />
| style="text-align: center;" | '''Planen eines Hochstamm-Obstgartens'''<br />
|-<br />
| <br />
* Eine sorgfältige Standort- und Parzellenplanung ist wichtig: Bodeneigenschaften, Exposition, Höhenlage und Neigung können grossen Einfluss auf den Ertrag haben.<br />
* Extensive bzw. wenig intensive Wiesen können besser erreicht werden, wenn die Baumreihen breiter gepflanzt werden.<br />
* Auf die Arten- und Sortenwahl muss besonders geachtet werden (Diversifizierung, Langfristigkeit und Klimaentwicklung).<br />
* Wenn möglich auf robuste, resistente und für den biologischen Anbau geeignete Arten achten.<br />
* Alte Sorten können besonders in Hochstamm-Obstgärten eine besondere Rolle haben.<br />
|-<br />
| style="text-align: center;" | '''Anlegen des Obstgartens'''<br />
|-<br />
|<br />
* Dem Pflanzgut und dessen Anforderungen ist grosse Beachtung zu schenken: Für gut wüchsige und während zwei bis drei Generationen ertragreiche Hochstammbäume braucht es kräftige und gesunde Jungbäume mit verzweigten Ästen und einem kräftigen Wurzelwerk.<br />
* Pflanzzeitpunkt und Pflanzvorbereitung sind wichtige Grundbausteine für den späteren Erfolg des Obstgartens.<br />
* Bei der Pflanzung der Jungbäume sind einige Regeln zu beachten.<br />
* Dem Schutz der neu gepflanzten Bäume vor Mausfrass ist von Beginn weg hohe Beachtung zu schenken und wird für den erfolgreichen Erhalt des Obstgartens zur Daueraufgabe.<br />
|-<br />
| style="text-align: center;" | '''Pflege und Aufwertung '''<br />
|-<br />
|<br />
* Ein extensiver oder wenig intensiver Unternutzen ist wichtig für die ökologische Gesamtqualität des Obstgartens.<br />
* Eine zusätzliche Düngung darf nur sehr zurückhaltend gemacht werden und muss sich vorwiegend auf den Baumstreifen bzw. die Baumscheibe beschränken (z.B. Lanzendüngung).<br />
* Allenfalls durch die extensive Bewirtschaftung erhöhte Mäusepopulationen durch die Förderung von Kleinprädatoren in Schach halten.<br />
* Obstgärten mit [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen Kleinstrukturen wie Stein- und Asthaufen] aufwerten.<br />
* Auf regelmässige Neupflanzungen von Jungbäumen ist zu achten (20-30% junge Bäume sollte ein Obstgarten aufweisen).<br />
* Schnitt und Baumerziehung sind für eine lange Ertragsphase und die Bildung von Qualitätsobst wichtig. Zur Erhaltung der Vitalität, Produktivität und Qualitätserzeugung muss das Fruchtholz regelmässig durch Schnittmassnahmen verjüngt werden (→ Kurse zur richtigen Schnitttechnik)<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= Einleitung =<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = P1100933 zg 96 dpi Marco Bertschinger.JPG<br />
| text = In Deutschland konnten in einem Obstgarten 5000 Arten nachgewiesen werden.<br />
}}<br />
<br />
Hochstamm-Obstgärten waren einst die dominierende Kulturlandschaft in verschiedenen Teilen der Schweiz. In einigen Gebieten ist sie es auch heute noch. Der Hochstamm-Obstbau war und ist vor allem noch in der Ostschweiz (TG, SG), in der Zentralschweiz (LU, ZG), in der Nordwestschweiz (BL, AG) und in der Westschweiz (VD) weitverbreitet. 1951 gab es noch ca. 14 Mio. Bäume. Diese Zahl sank im Verlaufe der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf noch ca. 2,4 Mio. Bäume<sup>1</sup> im Jahre 1999, was einem Rückgang von über 80% entspricht. Gründe für den Rückgang waren vor allem die zunehmende Mechanisierung und Intensivierung der Landwirtschaft zu dieser Zeit, aber auch der sehr hohe Aufwand für den Unterhalt und die Pflege der Obstgärten. Zudem wurden von der Eidgenössischen Alkoholverwaltung zwecks Eindämmung des grassierenden Alkoholkonsums in weiten Teilen der ländlichen Bevölkerung Rodungsprämien pro Baum ausgezahlt und es kam zu gross angelegten, von der öffentlichen Hand verfügten Fällungen von Hochstamm-Obstbäumen mit einem Höhepunkt in den 1960er-Jahren. 1975 wurden diese aufgrund der Opposition der Bevölkerung und der Mostereien gestoppt<sup>2</sup>. Es kam hinzu, dass für neues Bauland häufig siedlungsnahes Gebiet in Bauland eingezont wurde und damit Hochstamm-Obstgärten dem Siedlungsbau weichen mussten. Mit der in den 1990er Jahren geänderten Agrarpolitik werden wieder vermehrt Bäume gepflanzt.<br />
<br />
Die Schweiz ist aber europaweit nicht die einzige Region, wo der Hochstamm-Obstbau eine prägende Rolle gespielt hat. Auch in Nordspanien, Frankreich, Luxemburg, Deutschland, Österreich und Slowenien existieren noch heute grossflächige Hochstamm-Obstbestände<sup>3</sup>. Cider-Produktion (Apfelwein) gibt es auch im Südwesten Englands und in Wales<sup>4</sup>. Das Wort Streuobst oder Streuobstwiesen wird im deutschen Sprachraum synonym zu Hochstamm-Obstgärten verwendet, weil die Bäume oft locker über die Landschaft verstreut sind.<br />
<br />
Für die Beurteilung und Bewertung ökologischer Massnahmen ist es hilfreich einen kurzen Blick in die Geschichte zur Entwicklung des Obstbaus und der Obstgärten zu werfen. Beim Anblick von alten, knorrigen Bäumen in alten Hochstamm-Obstgärten könnte man meinen, dass es sich dabei um eine besonders alte bzw. ursprüngliche Form traditioneller Kulturlandschaften handelt. In Wirklichkeit entspringen sie aber einer relativ jungen Entwicklung, denn in den meisten, heute von Obstbau geprägten Landschaften, war der Ackerbau über Jahrtausende lang bedeutender als der Obstanbau. Erste Belege für die Verwendung von Wildobst gibt es schon aus der Jungsteinzeit, man vermutet aber, dass es sich vorwiegend um gesammeltes Obst aus den Wäldern handelte. Die Römer kultivierten um ihre Villen und Siedlungen erstmals aus dem Raum Zentralasien importierte Obstarten. Erst im 18. Und 19. Jahrhundert erfuhr der Obstanbau eine starke Ausdehnung<sup>5</sup>. Viele Obstbäume dienten ursprünglich der Selbstversorgung und waren eng an die Umgebung von Höfen und Siedlungen gekoppelt. Erst später ging man auch dazu über Obstbäume auf dem freien Feld zu pflanzen, um deren Früchte zu verkaufen und wohl, um vor allem im grossen Stil, Schnaps zu brennen. Damals gab es auch oft die kombinierte Nutzung von Äckern und Gemüsegärten im Obsthain, anstelle der heute weitverbreiteten Wiesen- und Weidenutzung im Unternutzen von Obstgärten.<br />
<br />
Die Wichtigkeit dieser Kultur zeigte sich auch in der sprachlichen Vielfalt unterschiedlicher Flurbezeichnungen: <br />
«Bungert», «Bommert», «Bommgarte» (Baumgarten), «Hoschtet» (Hofstatt) bezeichnen Wiesen, auf welchen Hochstammobstbäume in Gruppen oder Reihen vorhanden sind<sup>6</sup>.<br />
<br />
{{Fotos-links-800px<br />
| bilddatei = BfS Obstbaumzählungen de 400dpi.png<br />
| text = Entwicklung der Zahl der Hochstammobstbäume (Quelle: Bundesamt für Statistik, Obstbaumzählung)<br />
}}<br />
<br />
<br />
<small><br />
<sup>1</sup> Konold, 1999. Handbuch Naturschutz und Landschaftspflege: Kap. XIII-7.9, Streuobstwiesen. ; Bundesamt für Statistik (BfS), 2020. Feldobstbäume: Entwicklung seit 1951. ; Müller, W. et al., 2015. Hochstammobstgärten - Vielfältige Lebensräume. Bird Life Schweiz, Zürich. <br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>2</sup> Agridea 2012. Hochstammobstgärten, planen, pflanzen, pflegen, S. 2 und [http://tradikula.ch/wp-content/uploads/2011/03/Geschichte_Alkoholverwaltung1.pdf Historischer Überblick Alkoholpolitik und Eidg. Alkoholverwaltung (EAV)]<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>3</sup> [https://www.nabu.de/natur-und-landschaft/landnutzung/streuobst/streuobstwissen/streuobstbau.html Streuobstbau in Europa NABU Deutschland]<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>4</sup> Roesler, M. 2015. Streuobstbau aus nationalem und europäischem Blickwinkel - Entwicklungen und innovative Projekte. Deutscher Landeschaftspflegetag in Wiesbaden. <br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>5</sup> Konold, 1999. Handbuch Naturschutz und Landschaftspflege: Kap. XI-2.11, S.3 <br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>6</sup> Müller, W. et al., 2015. Hochstammobstgärten - Vielfältige Lebensräume, S.2.<br />
</small><br />
<br />
= Praxisrelevante Ökologie von Hochstamm-Obstgärten=<br />
<br /><br />
<table border="0", style="font-size:108%"> <br />
<tr> <br />
<td> '''Was macht einen Hochstamm-Obstgarten ökologisch wertvoll: ''' <br /> <br />
* Ein fachgerechter Schnitt und eine [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Schnitt_und_Baumerziehung fachgerechte Pflege der Bäume] gewährleisteten gesunde, ertragreiche Bäume. Dadurch erreichen sie ein Alter, welches sie ökologisch wertvoll macht.<br />
* Ein extensiver bis wenig intensiver Unternutzen<sup>7</sup> mit einem grossen Blütenangebot, oder ein intensiv genutzter Streifen unmittelbar im Stammbereich, wo die Vegetation kurzgehalten wird, in Kombination mit artenreichen extensiv- bis wenig intensiv genutzten Wiesenstreifen zwischen den Baumreihen. <br />
* Das Vorhandensein alter Bäume mit Totholz und Baumhöhlen (z.T. mit Efeu bewachsen).<br />
* Eine gestaffelte Mahd im Unternutzen.<br />
* Viele [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen Kleinstrukturen (Asthaufen, Gebüschgruppen)] und Stellen mit offenem oder lückigem Boden.<br />
* Obstgärten, die nicht isoliert stehen, sondern möglichst mit anderen Lebensraumtypen, wie z. B. Hecken und weiteren Obstgärten vernetzt sind: Je grösser und vielfältiger das Gebiet, desto besser.<br />
* [https://www.youtube.com/watch?reload=9&v=s74UJH_fb18&feature=youtu.be In einem 7-minütigen Video] erklären Pascal König und Hans Brunner die ökologische Bedeutung der Hochstamm-Obstgärten.<br />
</td> <br />
</tr> <br />
</table><br />
<br /><br />
<br />
<small><br />
<sup>7</sup> Gemäss [[Media:Agridea 2023 Biodiversitaetsfoerderung Wegleitung 1200dpi.pdf| «Biodiversitätsförderung auf dem Landwirtschaftsbetrieb – Wegleitung» (Agridea 2023)]] soll die Biodiversitätsförderfläche «wenig intensiv genutzte Wiese» folgendermassen gedüngt werden: «Stickstoff: nur Mist oder Kompost, max. 30 kg verfügbarer N pro ha und Jahr»<br />
</small><br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = schnitt wiese strukturen.png<br />
| text = Der artenreiche Obstgarten will gepflegt sein: Der richtige Baumschnitt, extensive Wiesen, Kleinstrukturen und Baumhöhlen alter Bäume.<br />
}}<br />
<br />
== Allgemeines ==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = AK 04557 zg 96 dpi.jpg<br />
| text = Je älter die Bäume, desto ökologisch wertvoller werden sie. Abgebildet sind alte Birnbäume. <br />
}}<br />
<br />
Die Hochstamm-Obstgärten gelten vom Landschaftsbild her auch als die Savannen der Schweiz. Sie sind im Prinzip nichts anderes als relativ dicht bis locker bestocktes [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland Grünland]. Diese Mehrschichtigkeit von Baumbestand und Unternutzung ist typisch. Dichter bestockte Hochstamm-Obstgärten haben Ähnlichkeiten mit dem Lebensraum Lichter Wald <!-- (#intern verlinken, wenn Artikel Wald aufgeschaltet ist)-->. Obstgärten sind äusserst artenreich, weil sie Charakteristika aus beiden Typen, dem Wald und dem offenen Grünland, beinhalten. Sie stellen gewissermassen einen sanften Übergang vom Wald zum offenen Grünland dar und es kommen in ihnen Arten beider Lebensräume vor. Wenn Hochstamm-Obstgärten alte Bäume mit Baumhöhlen, Gebüsche und Hecken enthalten und an Waldränder grenzen, dann sind sie ausserordentlich strukturreich und darum für viele Tier- und Pflanzenarten als Habitat sehr interessant (siehe auch Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Bedeutung_f.C3.BCr_die_Artenvielfalt «Bedeutung für die Artenvielfalt»]).<br />
<br />
Zur Biodiversität gehören neben der Vielfalt der Arten und Lebensräume auch die weniger thematisierte genetische Vielfalt. Es sind heute nur noch eine wenige Sorten, welche in der Schweiz von Bedeutung sind. Es sind jedoch über 2500 verschiedene Apfel-, Birnen, Kirschen- und Zwetschgen-Sorten beschrieben<sup>8</sup>. Alleine über 1000 Apfelsorten sind bekannt aus der Schweiz. Kornprobst (1994)<sup>9</sup> erwähnt ebenfalls, dass bereits um das Jahr 1800 um die 1500 Obstsorten beschrieben sind. Eine enorme Vielfalt unterschiedlicher Ausprägungen für verschiedene Geschmäcker und Verwendungszwecke, vom Birnenschnaps bis zur Kirschtorte, vom Mostapfel bis zum Zwetschgenkompott. Die Diversität widerspiegelt sich auch in einem unterschiedlichen Genpool in verschiedenen Regionen. Diese sind auch Bestandteil der Kulturgeschichte einer Region (Kornprobst, 1994). Vor dem Hintergrund der Ausbreitung von Krankheiten und Schädlingen, aber auch im Hinblick auf den Klimawandel ist diese genetische Diversität als Quelle von Resistenzgenen von entscheidender Bedeutung.<br />
<br />
'''Die 4 wichtigsten Obstarten in der Schweiz und ihre genetische Vielfalt''':<sup>10</sup> <br />
<br />
'''Apfelbaum (''Malus domestica'')''':<br />
<br />
{| class="wikitable" <br />
|-<br />
| '''Obst-/Fruchttyp:'''<br />
| Kernobst/Kernfrucht<br />
|-<br />
| '''Anteil Schweiz:'''<br />
| 43% im Feldobstbau (häufigste Obstart in der Schweiz)<br />
|-<br />
| '''Verbreitung:'''<br />
| Weit verbreitet<br />
|-<br />
| '''Verwendung:'''<br />
| style="width:600px; text-align:left;" | Als Tafelobst oder als Rohstoff für Mostereien (Apfelsaft, Apfelwein) oder Brennereien (Schnaps, Spirituosen).<br />
|-<br />
| '''Baumform:'''<br />
| Bäume mit breiter, rundlicher Form (Apfelform)<br />
|-<br />
| '''Anzahl Sorten:'''<br />
| Ca. 1000 Sorten in der Schweiz<br />
|}<br />
<br />
'''Birnbaum (''Pyrus pyraster'')''':<br />
<br />
{| class="wikitable" <br />
|-<br />
| '''Obst-/Fruchttyp:'''<br />
| Kernobst/Kernfrucht<br />
|-<br />
| '''Anteil Schweiz:'''<br />
| 15% im Feldobstbau<br />
|-<br />
| '''Verbreitung:'''<br />
| Vor allem Luzern und Ostschweiz<br />
|-<br />
| '''Verwendung:'''<br />
| style="width:600px; text-align:left;" | Als Tafelbirnen nur geringe Bedeutung. Mostbirnen werden oft Äpfeln beigegeben, damit der Most ein besonderes Aroma erhält<br />
|-<br />
| '''Baumform:'''<br />
| Bäume mit mächtiger, birnenförmiger Baumkrone<br />
|-<br />
| '''Anzahl Sorten:'''<br />
| Ca. 500 Sorten in der Schweiz<br />
|}<br />
<br />
'''Kirschbaum (''Prunus avium''; Süsskirsche und ''Prunus cerasus''; Sauerkirsche)''':<br />
<br />
{| class="wikitable" <br />
|-<br />
| '''Obst-/Fruchttyp:'''<br />
| Steinobst/Steinfrucht<br />
|-<br />
| '''Anteil Schweiz:'''<br />
| 20% im Feldobstbau (zweithäufigste Obstart)<br />
|-<br />
| '''Verbreitung:'''<br />
| Vor allem im Baselbiet, Zugerland und am Bielersee<br />
|-<br />
| '''Verwendung:'''<br />
| style="width:600px; text-align:left;" | Tafelkirschen, Verarbeitung zu Konfitüre, Kirschsaft und Kirsch <br />
|-<br />
| '''Baumform:'''<br />
| Bäume mit rundlicher Form<br />
|-<br />
| '''Anzahl Sorten:'''<br />
| Ca. 600 Sorten in der Schweiz<br />
|}<br />
<br />
'''Zwetschgen-/Pflaumenbaum (''Prunus domestica'')''':<br />
<br />
{| class="wikitable" <br />
|-<br />
| '''Obst-/Fruchttyp:'''<br />
| Steinobst/Steinfrucht<br />
|-<br />
| '''Anteil Schweiz:'''<br />
| 15% im Feldobstbau<br />
|-<br />
| '''Verbreitung:'''<br />
| Überall verbreitet, besonders im Jura<br />
|-<br />
| '''Verwendung:'''<br />
| style="width:600px; text-align:left;" | Tafelzwetschgen, aber auch als Konfitüre und Dörrobst, Zwetschgenschnaps<br />
|-<br />
| '''Baumform:'''<br />
| Bäume eher klein<br />
|-<br />
| '''Anzahl Sorten:'''<br />
| Ca. 450 Sorten in der Schweiz<br />
|}<br />
<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Obstsorten5 zg 96 dpi Marco Bertschinger.jpg<br />
| text = In der Schweiz gibt es ca. 1000 beschriebene Apfelsorten.<br />
}}<br />
<br />
In der Schweiz gibt es mehrere 1000 verschiedene Obstsorten. [https://www.fructus.ch/ Fructus] und [https://www.prospecierara.ch/de.html Pro Specie Rara] (frz: https://www.prospecierara.ch/fr.html) kümmern sich um deren Erhaltung. Mit dem [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/nachhaltige-produktion/pflanzliche-produktion/pflanzengenetische-ressourcen/nap-pgrel.html Nationalen Aktionsplan zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung der pflanzengenetischen Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft (NAP-PGREL)] soll die Sortenvielfalt bei den landwirtschaftlich bedeutenden Pflanzen zu erhalten werden. Von der Agroscope gibt es eine [[Media:Hunziker etal 2015 Beschreibung der Schweizer Obstvielfalt.pdf|Beschreibung der Schweizer Obstvielfalt]].<br />
<br />
<br />
<small><br />
<sup>8</sup> Müller, W. et al. 2015. Hochstamm-Obstgärten. Vielfältige Lebensräume. 4. Auflage. Bird Life Schweiz, Zürich, S. 4/5<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>9</sup> Kornprobst, M. 1994. Landschaftspflegekonzept Bayern. Streuobst. <br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>10</sup> Müller, W. et al. 2015. Hochstamm-Obstgärten. Vielfältige Lebensräume. 4. Auflage. Bird Life Schweiz, Zürich, S. 4/5<br />
</small><br />
<br />
== Bedeutung für die Artenvielfalt ==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Neukirch 1935 zg 96 dpi.png<br />
| text = Obstgärten in der Gemeinde Neukirch-Egnach (TG) im Jahr 1935<sup>11</sup>.<br />
}}<br />
<br />
Hochstamm-Obstgärten gehören zu den artenreichsten Lebensraumtypen in Mitteleuropa. Sie waren in vielen Regionen landschaftsprägend und so konnten sich im Laufe der Zeit vielfältige Lebensgemeinschaften einstellen.<br />
<br />
Bird Life Schweiz erwähnt in seiner Broschüre "Hochstamm-Obstgärten - vielfältige Lebensräume" die Zahl von 35 Brutvogelarten<sup>12</sup>. Darunter z. B. den Steinkauz (''Athene noctua''), den Gartenrotschwanz (''Phoenicurus phoenicurus'') und den Wendehals (''Jynx torquilla''). Das Landschaftspflegekonzept Bayern (Kornprobst, 1994) führt sogar 48 Arten als Brutvögel und 76 weitere Arten als potentielle Besiedler auf. Konold (2006) erwähnt im Weiteren 1000 Arten von [https://de.wikipedia.org/wiki/Gliederf%C3%BC%C3%9Fer Arthropoden] als Bewohner von Obstgärten. Eine Schätzung geht von gesamthaft bis zu 2500 - 3000 Spezies aus, wobei in einem Obstgarten bei Ravensburg am Bodensee/Deutschland 5000 Spezies gezählt wurden. Auch die genannte Zahl bei Konold (2006) von 5 - 12 Millionen Regenwürmern (''Lumbricus terrestris'') pro Hektare ist beeindruckend. Im Weiteren erwähnt Kornprobst (1994) 190 Käferarten und Konold (2006) über [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Wildbienen#F.C3.B6rdermassnahmen_in_Streuobstwiesen_und_Obstanlagen 70 Wildbienenarten]. <br />
Für Säugetierarten gibt es weniger aussagekräftige Erwähnungen, wobei Agridea (2012)<sup>13</sup> speziell Siebenschläfer, Igel, Mäuse und Fledermäuse erwähnt. Ebenfalls genannt werden Blindschleichen, Weberknechte, Eidechsen, Schmetterlinge, Ameisen, Florfliegen, Schwebfliegen, Wespen, Bockkäfer, Spinnen, Heuschrecken und Mücken. Zur Dichte von Insekten nennt Kornprobst (1994) die Zahl von 8000 Insektenindividuen pro Quadratmeter in Ulm/Deutschland.<br />
<br />
Bei den Pflanzen geht Konold (2006) von ca. 70 - 80 Arten in der Wiese aus. Des Weiteren nennt er Epiphyten, [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Moose Moose], [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Flechten#Schutz_von_alten_Solit.C3.A4rb.C3.A4umen.2C_Alleen_und_Streuobstb.C3.A4umen Flechten], Pilze und Bakterien.<br />
<br />
Von alten, strukturreichen Obstgärten profitieren vor allem Insekten, Vögel und Kleinsäuger. Aber auch Flechten und Pflanzen finden in den Gebieten wertvolle Habitate. <br />
<br />
'''Habitatstrukturen in Obstwiesen''':<br /><br />
[[Media:Habitatstrukturen Fauna Flora de.pdf|Übericht über die wichtigsten Habitatstukturen in Obstwiesen]] und die Sie nutzenden Tiere.<br />
<br />
[https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen Kleinstrukturen] bieten [https://www.biodivers.ch/de/index.php/S%C3%A4ugetiere Säugetieren] (z. B. Hermelin, Siebenschläfer) oder unzähligen Insekten Lebensraum und sie sind als Trittsteine für die Vernetzung zu umliegenden Lebensräumen wertvoll. Beim Baumschnitt können mit dem anfallenden Material Asthaufen erstellt werden. <br />
Grundsätzlich kann gesagt werden, je älter ein Baum, desto mehr Arten finden sich auf ihm ein<sup>14</sup>. <br />
<br />
Vögel profitieren am meisten von grossen, zusammenhängenden Obstgärten mit vielen alten Bäumen und einem diversifizierten Unternutzen. Etwa die Hälfte der Brutvögel der Obstgärten nistet in Baumhöhlen. Dazu gehören Steinkauz (''Athene noctua''), Wiedehopf (''Upupa epops''), Wendehals (''Jynx torquilla'') sowie verschiedene Specht- und Meisenarten. Bevorzugt entstehen Baumhöhlen natürlicherweise an faulenden Astlöchern und alten Bäumen. Der Grauschnäpper (''Muscicapa striata''), sowie der Gartenbaumläufer (''Certhia brachydactyla'') und der Gartenrotschwanz (''Phoenicurus phoenicurus'') brüten in Nischen oder Halbhöhlen<sup>15</sup>. An alten Apfelbäumen findet sich meistens ein gutes Angebot an Baumhöhlen.<br />
Für viele Vogelarten sind 60 - 100 ha die Mindestgrösse bezüglich des Lebensraumes<sup>16</sup>.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = obstgartenvoegel.png<br />
| text = Wiedehopf (''Upupa epops''), Wendehals (''Jynx torquilla''), Steinkauz (''Athene noctua'') und Gartenrotschwanz (''Phoenicurus phoenicurus'') sind typische, aber sehr selten gewordene Obstgartenvögel.<br />
}}<br />
<br />
'''Beispiele bedrohter Obstgartenvögel'''<br /><br />
Für den Steinkauz und den Wiedehopf liegen [https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/biodiversitaet/publikationen-studien/publikationen/artenfoerderung-voegel.html Aktionspläne des Bundes] vor.<br />
<br />
<br />
<small><br />
<sup>11</sup> [https://api.geo.admin.ch/luftbilder/viewer.html?lang=de&width=5954&layer=ch.swisstopo.lubis-luftbilder_schwarzweiss&bildnummer=19350140260140&title=ch.swisstopo.lubis-luftbilder-dritte-kantone.ebkey&rotation=206&datenherr=swisstopo&height=5952&x=2977.37&y=2968.77&zoom=1 map.geo.admin.ch (LUBIS)]<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>12</sup> Müller, W. et al. 2014. Hochstamm-Obstgärten - vielfältige Lebensräume, Bird Life Schweiz, S. 8<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>13</sup> Agridea, 2012. Hochstammobstgärten planen, pflanzen pflegen, S. 30<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>14</sup> Konold, 1999. Handbuch Naturschutz und Landschaftspflege. Kap. XI-2.11, S. 31<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>15</sup> [https://www.birdlife.ch/de/content/hochstamm-obstgaerten Hochstamm-Obstgärten Bird Life Schweiz]<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>16</sup> Konold, 1999. Handbuch Naturschutz und Landschaftspflege. Kap. XI-2.11, S. 15<br />
</small><br />
<br />
== Unternutzen und Grösse von Hochstamm-Obstgärten ==<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = AK 04559 zg 96 dpi.jpg<br />
| text = Obstgarten mit vielfältiger Wiese mit sehr viel Östlichem Wiesen-Bocksbart (''Tragopogon pratensis'') im Unterwuchs.<br />
}}<br />
<br />
Der Unternutzen bezeichnet die Form der Nutzung unter den Hochstammbäumen, z. B. als Wiese, Weide, Garten oder Acker. Früher wurden siedlungs- oder Hof nah zwischen den Bäumen oft Getreideäcker oder Pflanz- und Gemüsegärten angelegt. Heute erfolgt die Nutzung unter den Bäumen meist als intensiv genutzte Wiese. Die Artenvielfalt ist klein und der ökologische Nutzen gering.<br />
Die [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Praxisrelevante_%C3%96kologie#Lebensr.C3.A4ume_des_Gr.C3.BCnlands blumenreichen Fromentalwiesen] waren früher weit verbreitet. Noch Mitte des letzten Jahrhunderts war es der [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Grundlagen#Quantitativer_und_qualitativer_Zustand_und_deren_Ver.C3.A4nderung vorherrschende Wiesentyp]. So waren auch die Wiesen und Weiden unter den Obstgärten nur mässig gedüngt und entsprechend artenreich.<br />
In einem Hochstammobstgarten hängt die Zusammensetzung der Artengarnitur neben der Intensität der Grünlandnutzung auch von der Dichte der Baumbestockung ab, denn der Lichteinfall wird durch die Deckung mit Baumkronen bestimmt.<br />
In den 1990er Jahren waren von 4160 untersuchten Hochstammobstgärten 69% kleiner als 0.75 Hektaren und nur 8% grösser als 2 Hektaren. 90% dieser Flächen wiesen eine intensive und somit arten- und strukturarme Unternutzung<sup>17</sup> auf. Wie der nachfolgenden Tabelle entnommen werden kann, genügen solche Grössen bei weitem nicht, um seltene und spezialisierte Arten zu erhalten.<br />
<br />
<br />
{| class="wikitable" <br />
|-<br />
! rowspan="3" | Baumdichte<br />
Bäume/ha<br />
! colspan="3" | '''Notwendige Fläche in ha für'''<br />
|-<br />
| '''5 - 8 Arten'''<br />
| colspan="2" | '''Spezialisierte und Rote-Liste-Arten'''<br />
|-<br />
| Bei 100 Bäumen<br />
| Bei 300 Bäumen<br />
| Bei 1000 Bäumen<br />
|-<br />
| Locker: 10<br />
| 10 ha<br />
| '''x'''<br />
| '''x'''<br />
|-<br />
| Mittel: 50<br />
| 2 ha<br />
| 6 ha<br />
| '''x'''<br />
|-<br />
| Dicht: 100 - 150<br />
| 0,7 - 1 ha<br />
| 2 - 3 ha<br />
| 7 - 10 ha<br />
|}<br />
''Tabelle'': Notwendige Flächen der Obstgärten zur Förderung von Vogelarten in Abhängigkeit von der Baumdichte. '''x''' bedeutet eine unwahrscheinliche Kombination (Quelle: Broggi & Schlegel 1989 in Guntern et al. 2011). <br />
Lesebeispiel: Für einen Obstgarten mit 300 Bäumen braucht es bei einer mittleren Baumdichte von 50 Bäumen pro Hektare eine Fläche von 6 Hektaren und bei einer dichteren Pflanzung von Bäumen entsprechend nur 2 bis 3 Hektaren. Die Kombination von 300, locker stehenden Bäumen bräuchte eine Fläche von 30 Hektaren. Solche Obstgärten gibt es de facto kaum.<br />
<br />
<br />
Die Untersuchungen in zwei Gemeinden zeigen auf (siehe nachfolgende Tabelle), dass genügend grosse Obstgärten ohne extensive Unternutzung und Strukturreichtum keine positive Wirkung auf die Förderung von seltenen Arten hat. Dazu braucht es lokal mindestens 10% qualitativ hochwertige Flächen in den Obstgärten (extensiv genutzt und strukturreich). Es wird geschätzt, dass alleine für das Mittelland rund 17'500 ha ökologisch wertvolle Obstgärten notwendig wären<sup>18</sup>.<br />
<br />
<br />
{| class="wikitable" <br />
|-<br />
! Gebiet<br />
! Anteil Feldflur<br />
! Extensiver Unternutzen<br />
! Strukturreiche Flächen<br />
! Gartenrotschwanzquartiere pro km<sup>2</sup><br />
|-<br />
| Reinach BL<br />
| 5%<br />
| 12,6%<br />
| 12,4%<br />
| 6<br />
|-<br />
| Ruswil LU<br />
| 5%<br />
| 0,5%<br />
| 6,3%<br />
| 0,5<br />
|}<br />
''Tabelle'': Auswirkungen von extensiver Unternutzung und Strukturreichtum in Obstgärten auf die Anzahl Gartenrotschwanz-Reviere pro km<sup>2</sup> (Kohli & Birrer 2003 in Guntern et al 2013).<br />
<br />
<br /><br />
<table border="0", style="font-size:108%"> <br />
<tr> <br />
<td> '''Kann ein "qualitativ hochwertiger Hochstamm-Obstgarten" aus Sicht der Biodiversität mit der Qualitätsstufe 2 (QII) gemäss DZV erreicht werden?''' <br /> Die Experten sind sich diesbezüglich uneinig. Einerseits herrscht die Meinung, dass die Anforderungen der DZV ausreichen, andererseits wird betont, dass für einen Obstgarten mit charakteristischen Vögeln wie, z. B. dem Gartenrotschwanz, die Anforderungen an QII nicht genügen. Dazu brauche es einen höheren Strukturreichtum und artenreiche Wiesenflächen und Hecken in unmittelbarer Nähe. Selbst die Distanz von 50 m zur Zurechnungsfläche wird als zu weit eingeschätzt.<br />
Anmerkungen des Vereins biodivers: Die Entwicklung der Vogelbestände ist gut untersucht. Oben ist der Gartenrotschwanz erwähnt. Selbst diese einst sehr häufige Art ist aus unseren Obstgärten rar geworden. Anspruchsvollere Obstgartenvögel kann man nur noch in seltensten Fällen beobachten (Steinkauz, Rotkopfwürger, Wendehals, Wiedehopf)<sup>19</sup>.<br />
</td> <br />
</tr> <br />
</table><br />
<br /><br />
<br />
Die Nutzungsintensität, Düngung bzw. Nährstoffversorgung von Grasland und Bäumen ist im Zusammenhang mit der ökologischen Bedeutung von Obstgärten wichtig und viel schichtig. Sie wird kontrovers diskutiert. In der Realität werden, wie die Tabelle oben aufzeigt, meist zu wenig artenreiche Flächen bereitgestellt. Unbestritten ist, dass Jungbäume gedüngt werden müssen. Wird diese ausgelassen, zeigen sie ein kümmerliches Wachstum<sup>20</sup>. Für die Ausbildung zur Fromentalwiesen sollen laut Kornprobst (1994) Wiesen nicht oder nur schwach gedüngt sein. Konold (2006) schlägt vor, dass zur Steigerung der Artenvielfalt ausserhalb des Wurzelbereichs auf die Düngung verzichtet werden soll.<br />
<br />
Es stellt sich also die Frage nach einer Herangehensweise für die Erfüllung beider Ansprüche: Einerseits ein ausreichendes Nährstoffangebot für die (heranwachsenden) Bäume und andererseits ein wenig intensiver bis extensiver Unternutzen. Beides ist möglich! Im [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Planung Kapitel «Planung»] wird das am Beispiel des Obstgartens «Altwy» in Rümlang aufgezeigt, indem genügend breite Baumzwischenreihen eingeplant werden.<br />
<br />
In den vergangenen 20 Jahren hat man mit der Nutzung von extensiv und wenig intensiv genutztem Grünland reichlich Erfahrung gesammelt: Wichtig sind Nutzungsmosaike, dem Bestand angepasste Nutzungszeitpunkte und -häufigkeiten sowie Altgrasstreifen. Vergleiche dazu die Erfahrungen im [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Praxisbeispiele Obstgarten Farnsberg] und die Ausführungen im [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Wenig_intensiv_genutzte_Fettwiesen_und_-weiden_.28artenreich.29 Grünlandartikel].<br />
<br />
'''Fazit zum Unternutzen''':<br /><br />
Eine gestaffelt genutzte, artenreiche und höchstens mässig gedüngte Wiese entspricht einem optimalen Unternutzen betreffend Baumgesundheit und Ökologie. Durch den häufigen Schnitt, der erforderlichen Düngung für die Bäume, dem Vorbeugen vor Mäusen und der Beschattung lassen sich unter den Hochstammobstbäumen kaum artenreiche Wiesen erreichen, dies lässt sich jedoch zwischen den (genügend weit stehenden) Baumreihen und am Rand realisieren.<br />
<br />
'''Mulchen'''<br /><br />
Mulchen ist gemäss DZV auf den Baumscheiben erlaubt. Zur Förderung der Biodiversität ist Mulchen ansonsten unerwünscht. <br />
<br />
'''Beweidung'''<br /><br />
Auf die Beweidung wird zu einem späteren Zeitpunkt eingegangen.<br />
<br />
<br />
<small><br />
<sup>17</sup> Guntern et al. 2013, S. 126<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>18</sup> Guntern et al. 2013, S. 126<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>19</sup> «Obstgärten und Streuobstbestände sind landschaftsprägende Elemente des traditionell bewirtschafteten Kulturlandes. Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts hat sich mit der Intensivierung der Grünlandnutzung die Lebensraumsituation in Obstgärten für die ehemals typischen Brutvogelarten dieses Lebensraums grundlegend verschlechtert. Wiedehopf, Steinkauz, Wendehals und Rotkopfwürger sind grossräumig verschwunden. Es spricht vieles dafür, dass neben dem Rückgang der Obstgärten ein weiterer wichtiger Grund für den Rückgang der typischen Obstgartenvögel die Nahrungsgrundlage ist. Dabei ist vor allem für den Gartenrotschwanz nicht in erster Linie die vorhandene Biomasse ausschlaggebend, sondern die Erreichbarkeit von Beutetieren.» ([https://www.vogelwarte.ch/de/projekte/oekologische-forschung/abgeschlossene-projekte/projekt-gartenrotschwanz Quelle: Projekt Gartenrotschwanz]); <br />
fr : « Les vergers et les prés vergers sont des éléments marquants du paysage de la campagne cultivée de manière traditionnelle. Depuis le milieu du 20e siècle et avec l'intensification de l'exploitation des prés, la situation des habitats dans les vergers pour les espèces d'oiseaux nicheurs autrefois typiques de ces habitats s'est fondamentalement péjorée. La huppe fasciée, la chevêche d'Athéna, le torcol fourmilier et la pie-grièche à tête rousse ont largement disparu. En plus du déclin des vergers, une autre raison importante du déclin de ces oiseaux typiques des vergers est très probablement l'offre alimentaire. Pour le rougequeue à front blanc surtout, la biomasse à disposition n'est pas déterminante mais l'accessibilité des proies. » (source : https://www.vogelwarte.ch/fr/projets/recherche-ecologique/projets-termines/projet-rougequeue-a-front-blanc)<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>20</sup> Konold (1999) hält fest, dass "viele der in den letzten Jahren in bester Absicht gepflanzten Bäume infolge mangelnder Düngung und Pflege ein sehr kümmerliches Wachstum zeigen."<br />
</small><br />
<br />
== Strukturen==<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = P1100417 zg 96 dpi.JPG<br />
| text = Ast- und Steinhaufen sind bereichernde Elemente in einem Obstgarten.<br />
}}<br />
<br />
Die Strukturvielfalt von Hochstamm-Obstgärten ist wichtig für den ökologischen Wert. Je strukturreicher und abwechslungsreicher der Obstgarten, desto wertvoller ist er für diverse Arten. Für die Vögel ist ein Anteil an offenem Boden wichtig, idealerweise von 40 - 60 %. Die Untersuchung [https://www.vogelwarte.ch/assets/files/publications/archive/lueckige_vegetationen_de.pdf «Vögel brauchen lückige Vegetation zur Nahrungssuche»] (Schaub et al. 2008) bezieht sich auf verschiedene Lebensräume, sie zeigt aber eindrücklich die Wichtigkeit von offenen Bodenstellen für einige Vogelarten. Namentlich der Wiedehopf (''Upupa epops''), der Wendehals (''Jynx torquilla'') und der Gartenrotschwanz (''Phoenicurus phoenicurus'') profitieren davon. Für sie ist die Nahrungssuche in offenem Boden wesentlich einfacher als bei geschlossener Vegetation. Konold (2006) erwähnt unbefestigte Wege als Teil einer Strukturdiversität.<br />
Im Artikel [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen Kleinstrukturen] sind viele Informationen zu Bedeutung, Ökologie und Förderung der Strukturvielfalt enthalten.<br />
<br />
== Schädlinge, Krankheiten und Nützlinge im Obstbau ==<br />
Obstbauern sehen sich mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert. Im folgenden Abschnitt sind einige der wichtigsten Schädlinge aufgeführt mit Verlinkungen zu weiteren Informationen. Im Gegenzug ist es auch wichtig, die Nützlinge und deren Förderung zu kennen.<br />
<br />
'''Mäuse'''<br /><br />
Mäuse können grosse Probleme verursachen. Dagegen empfohlen werden: <br />
* Vegetation auf der Baumscheibe kurz halten.<br />
* Gestaffelte und eher frühe und regelmässige Nutzung (in Abweichung zu den DZV-Vorgaben, siehe [https://biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Unternutzen Box «Anpassungen an der DZV erforderlich»]). Zu späten Nutzung, insbesondere eine zu späte ersten Nutzung, fördert den Mäusebefall.<br />
* Hermelin und Mauswiesel fördern (siehe [https://biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Aufwertung Kapitel «Aufwertung»]). Eine Wiesel Familie frisst 50 – 100 Mäuse pro Tag. <br />
* [https://www.vogelwarte.ch/assets/files/projekte/artenfoerderung/fb_turmfalke_schleiereule_d.pdf Turmfalken und Schleiereulen fördern (Merkblatt)]. Sie können mit entsprechenden Nistkästen und Sitzstangen gefördert werden.<br />
<br />
''Weitere Informationen'':<br />
* Die Schermaus, [https://www.agridea.ch/old/de/publikationen/publikationen/pflanzenbau-umwelt-natur-landschaft/obst/die-schermaus/ Merkblatt der Agridea zur Schermaus]<br />
* [https://www.ramseier-suisse.ch/upload/cms/user/1152-Biohochstammobst_2016.pdf Merkblatt «Biologischer Obstbau auf Hochstammbäumen», Seite 26]<br />
* Auf der [https://www.agff.ch/publikationen/maeusebekaempfung/maeusebekaempfung-im-futterbau.html Webseite der Arbeitsgemeinschaft zur Förderung des Futterbaues (AGFF)]<br />
* [https://www.agridea.ch/old/de/publikationen/publikationen/pflanzenbau-umwelt-natur-landschaft/obst/hochstamm-obstgaerten-planen-pflanzen-pflegen/ Broschüre «Hochstamm-Obstgärten. Planen, pflanzen, pflegen», S. 19 (kostenpflichtig)]<br />
* Professionelle Mauser und Mausefallen (unvollständige Auflistung)<br />
** [https://www.topcat.ch/ Topcat Andermatt Biocontrol Suisse AG]<br />
<br />
'''Feuerbrand (Bakterium ''Erwinia amylovora'')'''<br />
Der [https://www.agroscope.admin.ch/agroscope/de/home/themen/pflanzenbau/obstbau/feuerbrand/hochstamm-obstbaeume.html Feuerbrand ist eine Bakterienkrankheit], die unter anderem Kernobstbäume (Apfel, Birne, Quitte) und verschiedene Zier- und Wildpflanzen befällt. <br />
<br />
'''Kirschessigfliege (''Drosophila suzukii'')'''<br />
[https://www.agroscope.admin.ch/agroscope/de/home/themen/pflanzenbau/pflanzenschutz/drosophila-suzukii.html Die Kirschessigfliege] ist erst seit 2011 in der Schweiz. Ihre Fähigkeit, diverse Nutzpflanzen zu befallen, macht sie zu einem schwierig zu bekämpfenden Schädling. Die Fliege befällt Früchte im Beeren-, Obst- und Weinbau.<br />
<br />
'''Marmorierte Baumwanzen (''Halyomorpha halys'')'''<br />
[https://www.agroscope.admin.ch/agroscope/de/home/themen/pflanzenbau/pflanzenschutz/halyomorpha.html Die Marmorierte Baumwanze] (''Halyomorpha halys'') stammt ursprünglich aus Ostasien und wurde 2004 in der Schweiz zum ersten Mal nachgewiesen. Sie ist zu einem bedeutenden Schädling in der Landwirtschaft geworden.<br />
<br />
''Weitere Informationen zu Nützlingen, Schädlingen und Krankheiten'':<br />
* [https://www.agroscope.admin.ch/agroscope/de/home/themen/pflanzenbau/obstbau/publikationen/pflanzenschutz/merkblaetter-pflanzenschutz-obstbau.html Merkblätter zum Pflanzenschutz im Obstbau]<br />
* [https://www.bioaktuell.ch/pflanzenbau/obstbau/hochstammobst/mb-biohochstammobst.html FiBL et al. 2016: Biologischer Obstbau auf Hochstammbäumen, S. 27 ff]<br />
* Kellerhals et al. (1997): Obstbau. 1. Auflage. Landwirtschaftliche Lehrmittelzentrale lmz, Zollikofen, S. 210: Auflistung zahlreicher Schädlinge<br />
<br />
= Erhalt und Förderung =<br />
Mit den finanziellen Beiträgen gibt es seit den 1990er-Jahren zwar Anreize zum Erhalt und zur Förderung der Biodiversität in den Hochstamm-Obstgärten. Die Hochstamm-Obstgärten stehen aber auf der Roten Liste der Lebensräume und der Rückgang resp. die Verschlechterung der Lebensraumqualität wirkt sich entsprechend negativ auf die begleitenden Artengemeinschaften aus <sup>21</sup>. Die Vermutung liegt nahe, dass einerseits die Nutzung zu intensiv ist, dass aber auch die Gesamtflächen und die Flächen der einzelnen Obstgärten zu klein geworden ist. Der [https://scnat.ch/de/uuid/i/f9d43fe8-182f-5d8a-9ddc-0c8c6e484037-Projektbericht%3A_Fl%C3%A4chenbedarf_f%C3%BCr_die_Erhaltung_der_Biodiversit%C3%A4t_und_der_%C3%96kosystemleistungen_in_der_Schweiz Bericht zum Flächenbedarf für die Biodiversität (Guntern et al., 2013)] stellt fest, dass vermutlich bereits ab den 1980er-Jahren die Flächen für viele seltene Obstgartenbewohner nicht mehr genügten, namentlich für den Trauerschnäpper, den Rotkopfwürger und den Steinkauz. Damals betrug die Fläche noch 55'000 ha. Eine Studie von 1983<sup>22</sup> zeigte für den Kanton Thurgau, dass bereits in den 1980er-Jahren typische Obstgartenvögel wie die oben erwähnten Arten kaum mehr vorkamen. Es darf deshalb davon ausgegangen werden, dass die Gesamtfläche der Hochstammobstgärten und/oder ihre ökologische Qualität bereits in den 1980er Jahren ungenügend waren. Es wären gemäss Studie von Guntern et al. (2013) bis zu 115'000 ha (Fläche der 1960er-Jahre)<sup>23</sup> notwendig, was mindestens einer Verzehnfachung der heutigen Fläche mit Qualität (QII) bedeuten würde. <br />
<br />
Mehr als 10% des Unternutzens muss qualitativ wertvoll und strukturreich sein<sup>24</sup> , damit eine positive Wirkung auf gefährdete Arten nachgewiesen werden kann, so die Schätzungen von Guntern et al. (2013). <br />
<br />
<br />
<small><br />
<sup>21</sup> Delarze et al. 2016. Rote Liste der Lebensräume der Schweiz. Aktualisierte Kurzfassung zum technischen Bericht 2013 im Auftrag des Bundesamtes für Umwelt (BAFU). Bern, bzw. Bundesamt für Landwirtschaft (BLW). 2019. Evaluation der Biodiversitätsbeiträge, Seite 3<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>22</sup> Zwygart, 1983. Die Vogelwelt von Nieder- und Hochstammobstkulturen des Kantons Thurgau. Der Ornithologische Beobachter 80: 89 - 104.<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>23</sup> Guntern et al. 2013. Flächenbedarf für Ökosystemleistungen, Kap. Hochstamm-Obstgärten.<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>24</sup> Bemerkung aufgrund der Rückmeldung der Reviewenden: QII heisst nicht gleichzeitig auch qualitativ wertvoll.<br />
</small><br />
<br />
== Fehlende Strategie ==<br />
Es ist erfreulich, dass die Anzahl Hochstamm-Obstbäume leicht zugenommen hat und es ist lobenswert, dass viele Betriebe wieder Bäume pflanzen und zum Teil grosse Obstgärten unterhalten und pflegen.<br />
Unseres Wissens gibt es aber keine Strategie und keine koordinierten Bestrebungen (auf kantonaler oder regionaler) Ebene, langfristig, grosse und ökologisch wertvolle Hochstamm-Obstgärten anzulegen und zu pflegen. Die Vernetzungsprojekte und -beiträge erachten wir dafür als zu wenig lenkend.<br />
Beispiele überbetrieblicher Ansätze sind von BirdLife Schweiz initiierte Projekte «Farnsberg» ([[Media:Koenig 2019 Es geht aufwärts Orn3 34-35 Farnsberg.pdf|«Es geht aufwärts», Ornis 3/19]]) und das [https://www.birdlife.ch/de/content/trinationales-birdlife-programm-steinkauz-und-obstwiesen Projekt zur Förderung des Steinkauzes] im Dreiländereck Deutschland, Frankreich und der Schweiz. Einen wegweisenden Ansatz verfolgt das [https://www.rares.ch/hochstamm-seetal/ Projekt «Hochstamm Seetal»] in den Kantonen Aargau und Luzern. Es verfolgt die Ziele, die Hochstammobstbäume, welche die Kulturlandschaft prägen, zu erhalten und ihren Bestand zu erhöhen, die Verarbeitung und der Verkauf der Produkte durch die Bauern zu fördern und somit die Wertschöpfung zu verbessern. Nutzen und Wert der Hochstammbäume sowie allgemein die Landwirtschaft sollen der Bevölkerung mit Öffentlichkeitsarbeit, Erlebnisangeboten und köstlichen Erzeugnissen nähergebracht werden.<br />
Der Kanton Zürich geltet grosse Obstgärten, ab 150 bzw. 300 Bäume je nach Fördergebiet, deutlich besser ab als die kleinen.<br />
<br />
== Planung ==<br />
=== Ein Obstgarten als Generationenprojekt ===<br />
Der Entscheid für die Neuanlage eines Hochstamm-Obstgartens ist ein Generationenprojekt. Es soll von einem Zeithorizont von mindestens 50 Jahren ausgegangen werden. Neugepflanzte Hochstammbäume benötigen 10 bis 15 Jahre für den Aufbau, die anschliessende Ertragsphase dauert etwa 40 Jahre. Für die Biodiversität fängt dann der wertvolle und interessante Lebensabschnitt an: Die ersten toten Äste werden sich zeigen, die ersten morschen Stellen im Holz begünstigen neue Tiergruppen, wie Käfer und Vögel und in der rauen Borke finden diverse Vogelarten Insekten für die Aufzucht der Jungtiere und es siedeln sich Flechten an. Ein alter und wertvoller Hochstamm-Obstgarten mag seine besten Ertragsjahre vielleicht hinter sich haben, mit fachgerechter Pflege können Bäume aber auch im hohen Alter noch gute Erträge liefern. Zentral sind die [https://biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Pflege_und_Unterhalt Pflege], eine angepasste Remontierung für den Erhalt des Obstgartens sowie eine gute Altersstruktur (Faustregel: Rund 20 Prozent der Bäume sind jünger als 5 Jahre).<br />
<br />
=== Arten- und Sortenwahl ===<br />
Auf die Arten- und Sortenwahl soll ein besonderes Augenmerk gelegt werden und muss sorgfältig auf dem Verwendungszweck abgestimmt sein. Weitere Informationen zu diesem Thema finden sich in folgenden Schriften:<br />
* [https://www.bioaktuell.ch/pflanzenbau/obstbau/hochstammobst/mb-biohochstammobst.html FiBL et al. 2016. Biologischer Obstbau auf Hochstammbäumen, S. 12]<br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/de/~178 Agridea, 2012: Hochstamm-Obstgärten. Planen, pflanzen, pflegen, S. 6] (kostenpflichtig)<br />
<br />
Auf den folgenden Merkblättern zur Sortenwahl finden Sie Angaben zu verschiedensten Sorten:<br />
* [https://www.agroscope.admin.ch/dam/agroscope/de/dokumente/themen/pflanzenbau/obstbau/feuerbrand/Feuerbrandrobuste%20Hochstammkandidaten%20aus%20der%20Apfelz%C3%BCchtung.pdf.download.pdf/Feuerbrandrobuste%20Hochstammkandidaten%20aus%20der%20Apfelz%C3%BCchtung.pdf Feuerbrandrobuste Hochstammkandidaten aus der Apfelzüchtung (2016)]<br />
* [https://www.swissfruit.ch/sites/default/files/beschreibung_mostapfelsorten.pdf Beschreibung wertvoller Mostapfelsorten (2018)] <br />
* [https://www.fibl.org/de/shop/1352-hochstamm.html Sorten für den Biologischen Anbau auf Hochstämmen] <br />
* Robuste Sorten Fructus: <br />
** [https://www.fructus.ch/obstvielfalt/ Rubrik Obstvielfalt]<br />
** [https://www.fructus.ch/apfelsorten/ Robuste Apfelsorten Fructus]<br />
** [https://www.fructus.ch/birnen/ Robuste Birnensorten Frucuts]<br />
** [https://www.fructus.ch/kirschen/ Robuste Kirchensorten Fructus]<br />
** [https://www.fructus.ch/pflaumen-und-zwetschgen/ Robuste Pflaumen- und Zwetschgensorten Fructus]<br />
* [https://www.agroscope.admin.ch/dam/agroscope/de/dokumente/themen/pflanzenbau/obstbau/feuerbrand/2016-09-28-Birnen-Feldobst-Sortenliste.pdf.download.pdf/2016-09-28-Birnen-Feldobst-Sortenliste.pdf Robuste Birnensorten (2016)]<br />
* [https://www.inforama.vol.be.ch/inforama_vol/de/index/beratung/beratung/beratungsgebiete/obst_beeren/feldobstbau_oekologie.assetref/dam/documents/VOL/Inforama/de/Dokumente/Beratung/Obst_Beeren/Feldobstbau/Brosch%C3%BCre_Fructus.pdf Hochwertige Schweizer Mostäpfel trotz Feuerbrand]<br />
<br />
'''Alte Sorten / Sortenfinder'''<br /><br />
Alte Sorten tragen zum Erhalt der genetischen Vielfalt bei, welche ebenfalls Teil der Biodiversität sind (vgl. hierzu [https://biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Allgemeines Kap. 4.1 «Allgemeines»]. Zudem sind alte Sorten Teil der Kulturgeschichte und regional an bestimmte Verhältnisse angepasst.<br />
Über den [https://www.prospecierara.ch/pflanzen/unsere-pflanzen/obst/sortenempfehlungen.html Sortenfinder von Pro Specie Rara] können Sie für Ihre Region alte Sorten finden.<br />
<br />
=== Planung und Pflanzung ===<br />
In den Broschüren [http://www.fibl.org/fileadmin/documents/shop/1152-hochstamm.pdf "Biologischer Obstbau auf Hochstammbäumen" (FiBL, 2016)] und [https://agridea.abacuscity.ch/de/~178 "Hochstammobstgärten. Planen, pflanzen, pflegen" (Agridea, 2012)] wird auf die relevanten Aspekte wie Standortbedingungen, Pflanzabstände, Pflanzung, etc. eingegangen. Betreffend Pflanzabstände möchten wir auf das nachfolgende Beispiel «Altwy» mit deutlich grösseren Distanzen zwischen den Baumreihen hinweisen.<br />
Auf die Neupflanzung eines Hochstammobstgartens auf wertvollen Trockenstandorten oder Magerwiesen ist zu verzichten. <br />
<br />
{{Fotos-links-400px<br />
| bilddatei = Pflanzung D.png<br />
| text = Pflanzung eines Obstbaums. Quelle: Biologischer Obstbau auf Hochstammbäumen, FiBL (Hrsg.), 2016.<br />
}}<br />
<br />
'''Beispiel Obstgarten «Altwy»'''<br />
Hans Brunner, Obstbauer aus Steinmaur/ZH plante 2010 im Auftrag der Stadt Zürich in Rümlang einen Hochstamm-Obstgarten. Das Ziel war die Integration von extensiv genutzten Wiesen im Obstgarten, um ein verzahntes Nebeneinander von Hochstamm-Obstbäumen mit Magerwiesen zu schaffen. Die Wiesen zwischen den Baumreihen sind gut besonnt. Zudem bieten die Zwischenflächen Platz für Kleinstrukturen oder die Anlage von Ruderalflächen.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Altwy zg.jpg<br />
| text = Planung des Obstgartens "Altwy" in Rümlang/ZH. Auf einer Fläche von knapp zwei Hektaren hat es ca. 180 Hochstamm-Obstbäume und 89 Aren extensive Wiesen. Die Bäume sind in den Reihen relativ eng gepflanzt, während die Abstände zwischen den Baumreihen so gross gewählt sind, dass genügend Platz für extensive Wiesen bleibt. Quelle/copyright: Christian Dünki <br />
}}<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Andi-Haeseli-FiBL Neupflanzung zg 96 dp.JPG<br />
| text = Der Obstgarten weist 120 Bäume pro Hektare aus. Diese werden als Hochstammspindeln herangezogen. Unter den Bäumen wird ein 6 Meter breiter Streifen gemulcht, die Wiesen dazwischen weisen Qualität QII auf.<br />
}}<br />
<br />
'''Empfehlungen für Baumbezug (unvollständige Auflistung)''':<br />
* [https://www.fructus.ch/empfohlene-baumschulen/ Baumschulliste Fructus]<br />
* [https://www.hochstammsuisse.ch/wp-content/uploads/2019/10/Garten_9.Baumschulen.pdf Baumschulliste Hochstamm Suisse]<br />
* [https://www.bioaktuell.ch/adressen/111/56/12/1.html Baumschulliste Bioaktuell]<br />
* [https://www.prospecierara.ch/fileadmin/user_upload/prospecierara.ch/Pflanzen/Obst/Baumschulliste_ProSpecieRara_Aktuell.pdf Baumschulliste Pro Specie Rara]<br />
Im Heckenartikel sind [https://biodivers.ch/de/index.php/Hecke/Planung#Bezugsadressen Bezugsadressen für Sträucher] aufgeführt. Dort kann nachgefragt werden, ob sie auch Hochstamm-Obstbäume anbieten.<br />
<br />
'''Mäuseschutz'''<br /><br />
Dem Schutz der neu gepflanzten Bäume vor Mausfrass ist von Beginn weg hohe Beachtung zu schenken und wird für den erfolgreichen Erhalt des Obstgartens zur Daueraufgabe. Informationen zur Mäusebekämpfung siehe im Kapitel [https://biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Sch.C3.A4dlinge.2C_Krankheiten_und_N.C3.BCtzlinge_im_Obstbau «Schädlinge, Krankheiten und Nützlinge»].<br />
<br />
== Nutzung und Vermarktung ==<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Hydralada Sommerschnitt Sorte Wehntaler Hagapfel zg 96 dpi.JPG<br />
| text = Dank geeigneter Mechanisierung kann der Aufwand für die verschiedenen Arbeitsschritte stark reduziert werden. <br />
}}<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Auflesemaschine zg 96 dpi.JPG<br />
| text = Eine Auflesemaschine erleichtert die Ernte der zu Boden gefallenen Früchte. <br />
}}<br />
<br />
Die Produktion von Obst auf Hochstamm-Obstbäumen ist zeitaufwändig und viele Arbeiten sind noch immer schlecht mechanisierbar, obwohl es in den letzten Jahren mit verschiedenen technischen Entwicklungen auch für den Hochstamm-Obstbau deutliche Verbesserungen gegeben hat<sup>25</sup>. Alle beigezogenen Quellen<sup>26</sup> sind sich einig, dass eine kostendeckende Produktion ohne Direktzahlungsbeiträge von Bund und Kantonen und/oder Label gebundenen Beiträgen nicht rentabel ist.<br />
In der [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~1189~1/3~410150~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Spezialkulturen/Hochstamm-Obstg%C3%A4rten-planen-pflanzen-pflegen/Deutsch/Print-Papier Broschüre «Hochstammobstgärten. Planen, pflanzen, pflegen»] hat es Beispiele zum Arbeitsaufwand pro Baum, zu den Produktionskosten und Modellrechnungen (Seiten 32/33). In der Broschüre von [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~1189~1/3~410150~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Spezialkulturen/Hochstamm-Obstg%C3%A4rten-planen-pflanzen-pflegen/Deutsch/Print-Papier Agridea, 2012: Hochstammobstgärten. Planen, pflanzen, pflegen.] Auf den Seiten 25 bis 28 hat es Angaben zum rationellen Ernten. <br />
Die FiBL macht in ihrer Broschüre Vorschläge, wie mit Fallobst umgegangen werden kann (Seite 33).<br />
<br />
Beispiele für Direktvermarktung und Produkte (unvollständige Auflistung): <br />
* [https://www.hochstammsuisse.ch/produkte/ Diverse Produkte von «Hochstamm Suisse»]<br />
* [http://naturschutzprodukte.ch/Verschiedene Produkte aus Naturschutz-Projekten]<br />
* [http://bio-obst.ch/ Landwirtschaftsbetrieb mit etwa 400 Apfel-, 100 Birnen-, 15 Kirschen- sowie 60 Pflaumen- und Zwetschgensorten]<br />
* [http://mausacker.ch/biohof/ Landwirtschaftsbetrieb mit 500 grossen Hochstammbäume]<br />
* [https://www.rares.ch/shop/ Produkte von Hochstammt Seetal]<br />
* Durch den Kauf von Birnel unterstützen Sie Erhaltung und Förderung von Hochstamm-Obstbäumen. Kaufmöglichkeiten:<br />
** [https://www.brunnermosterei.ch/brunner_mosterei.php?t=Birnel&read_group=5 Mosterei E. Brunner AG]<br />
** [https://www.winterhilfe.ch/helfen/birnel-kaufen Winterhilfe]<br />
* Cidre-Produktion:<br />
** [https://oswaldruch.ch/cidre.htmlMosterei Oswald+Ruch Cidre-Produktion in Schaffhausen]<br />
** [https://www.fribourgregion.ch/de/P11255/die-mosterei-vulcain Mosterei Le Vulcain]<br />
* [https://www.appenzellerbier.ch/de/bier/bschorle.html "Bschorle" (alkoholfreies Biermischgetränk aus 28 verschiedenen Apfel- und Birnensorten aus Hochstamm-Obstanlagen)]<br />
<br />
Weitergehende Informationen zu verschiedenen Produktionslabels:<br />
* [https://www.bioaktuell.ch/pflanzenbau/obstbau.html Biologische Produktion]<br />
* [https://demeter.ch/unsere-produkte/obst-und-gemuese/ Demeter]<br />
* [https://www.hochstammsuisse.ch/ Hochstamm Suisse]<br />
<br />
{{Fotos-links-300px<br />
| bilddatei = 1 www.naturschutzprodukte zg 96 dpi.jpg<br />
| text = In Hochstamm-Obstgärten lassen sich Produktion und Biodiversität gut kombinieren.<br />
}}<br />
<br />
<small><br />
<sup>25</sup> Agridea, 2012. S. 32/33<br />
</small><br />
<br />
<small><br />
<sup>26</sup> Agridea, 2012 und Benninger et al. 2016 <br />
</small><br />
<br />
== Beiträge ==<br />
Landwirte erhalten für Hochstamm-Feldobstbäume folgende [https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/direktzahlungen/biodiversitaetsbeitraege.html Biodiversitätsbeiträge]<br />
* Qualitätsstufe I: 13.50 CHF/Baum<br />
* Qualitätsstufe II: 31.50 CHF/Baum (für Nussbäume 16.50 CHF/Baum)<br />
* Vernetzung: 5 CHF/Baum<br />
<br />
== Raumplanung ==<br />
Statt neue Bauzonen auszuscheiden, ist die Siedlungsentwicklung nach innen zu fördern. Diese wird mit der Revision des Raumplanungsgesetzes aktuell auch angestrebt. Im Rahmen der Ortsplanung (Richt- und Nutzungsplanung) können Obstgärten z.B. einer besonderen Landschafts- und Baumschutzzone zugeordnet werden. Obstbäume können selbstverständlich auch in Siedlungen gepflanzt werden. Hier werden zwar kaum gefährdete Vogelarten brüten, doch sind sie eine Bereicherung für Mensch und Tier. Gemeinden und Vereine können die Erhaltung der Obstbäume unterstützen indem sie z.B. Jungbäume vergünstigt abgeben oder bei der Pflege und Ernte mithelfen<sup>27</sup>.<br />
<br />
<small><br />
<sup>27</sup> Müller, W. et al. 2015: Hochstamm-Obstgärten. Vielfältige Lebensräume. 4. Auflage, S. 12<br />
</small><br />
<br />
= Pflege und Unterhalt =<br />
Für den ökologischen Wert von Hochstamm-Obstgärten sind die Baumpflege und eine gute Altersdurchmischung der Bäume von zentraler Bedeutung. Vor allem alte Hochstamm-Obstgärten tragen zu einer hohen Biodiversität bei. Baumschicht und Unternutzen bilden im Hochstamm-Obstgarten eine Einheit, darum ist es wichtig, dass auch die Wiesen oder Weiden ökologisch wertvoll sind und optimal unterhalten werden.<br />
<br />
== Schnitt und Baumerziehung ==<br />
Für eine lange Ertragsphase und die Bildung von Qualitätsobst brauchen Hochstammobstbäume ein stabiles Kronengerüst mit einem guten Lichteinfall bis ins Innere der Baumkrone und zu den Ansatzstellen der unteren Leitäste. Zur Erhaltung der Vitalität, Produktivität und Qualitätserzeugung muss das Fruchtholz regelmässig durch Schnittmassnahmen verjüngt werden. Die richtige Schnitttechnik kann in Kursen erlernt werden. Anlaufstellen hierfür sind beispielsweise die landwirtschaftlichen Beratungszentren der Kantone (siehe Link unten).<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Baumkrone zg 96 dpi.jpg<br />
| text = Verschiedene Erziehungssysteme: Links eine Rundkrone, rechts eine Hochstammspindel.Quelle: Biologischer Obstbau auf Hochstammbäumen, FiBL (Hrsg.), 2016.<br />
}}<br />
<br />
Informationen zum richtigen Schnitt und zur Erziehung sind in den folgenden Broschüren zu finden:<br />
* [https://www.fibl.org/de/shop/1152-hochstamm.html Biologischer Obstbau auf Hochstammbäumen, Seiten 18ff.]<br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~3244~1/3~410245~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Beitr%C3%A4ge-und-Bedingungen-im-%C3%96koausgleich/Fachgerechte-Pflege-von-Hochstamm-Feldobstb%C3%A4umen/Deutsch/Print-Papier Fachgerechte Pflege von Hochstamm-Obstbäumen, Seite 27] (kostenpflichtig)<br />
* [https://agridea.abacuscity.ch/de/A~1189~1/3~410150~Shop/Publikationen/Pflanzenbau-Umwelt-Natur-Landschaft/Spezialkulturen/Hochstamm-Obstg%C3%A4rten-planen-pflanzen-pflegen/Deutsch/Print-Papier Hochstammobstgärten, planen pflanzen pflegen.] (kostenpflichtig) <br />
<br />
Baumschnittkurse (unvollständige Liste):<br />
* [https://www.agridea.ch/de/agridea/beratungsadressen/ Adressen der Landwirtschaftlichen Beratungszentren in der Schweiz]<br />
* [http://baumschnittkurs.ch/?id=20 Baumschnittkurs.ch]<br />
* [http://baumpflege-schweiz.ch/ Bund Schweizer Baumpflege]<br />
* [https://www.hauenstein-rafz.ch/de/pflanzenwelt/pflege/index-schnittarbeiten.php Hauenstein AG]<br />
* [https://www.bioterra.ch/kurse Bioterra]<br />
* [https://www.hochstammobst.ch/81/der-richtige-schnitt HochstammObst]<br />
<br />
== Unternutzen ==<br />
Im [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Praxisrelevante_.C3.96kologie_von_Hochstamm-Obstg.C3.A4rten Kapitel «Praxisrelevante Ökologie»] wird auf die relevanten Aspekte der Unternutzung eingegangen. Für Wiesen in Obstgärten sollen artenreiche Fromentalwiesen (''Arrhenatherion'') das Ziel sein [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland (Link zum Grünlandartikel)]. Im Fazit wird zusammengefasst, dass so viel wie für die Bäume erforderlich und so wenig wie nötig gedüngt und dass die Wiesen gestaffelt genutzt werden sollen.<br />
<br />
'''Schnitt/Mahd Grünland'''<br />
Um einerseits die Wiesen möglichst ökologisch zu nutzen und andererseits Ertrag und Entwicklung der Bäume zu gewährleisten, ist folgende Nutzung zu empfehlen:<br />
* Die extensiv oder wenig intensiv genutzten Wiesen zwei- bis dreimal pro Jahr mähen. Bei Gefahr von zu vielen Mäusen den ersten Schnitt, wenn dies erlaubt ist, bereits vor dem 15. Juni ausführen (vgl. Box unten).<br />
* [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimale_Mahdnutzung Durch gestaffelte Mahd ein Nutzungsmosaik schaffen]<br />
* Baumscheiben häufig mähen oder mulchen und nach Bedarf der Bäume düngen.<br />
<br />
Die nachfolgende Abbildung schematisiert den Weg, der zwischen den drei Zielen guter Ertrag, hohe Biodiversität der Wiesen und geringer Mäusedruck gefunden werden muss. <br />
<br />
{{Fotos-links-500px<br />
| bilddatei = Ziele Unternutzen de zg 96 dpi.png<br />
| text = Der Unternutzen ist auf die verschiedenen Ziele abzustimmen. © Verein biodivers<br />
}}<br />
<br />
Ökologisch ist es besser, wenn Obstbäume und artenreiche Wiese eine Einheit bilden als wenn sie separat betrachtet und räumlich getrennt werden, wie das heute mit der «Zurechnungsfläche» für Obstgärten mit Qualität QII möglich ist. <!-- Die Beiträge gemäss DZV sind im Kapitel über Biodiversitätsförderflächen zusammengestellt. (#verlinken wenn dieses Kapitel erstellt ist)--><br />
<br />
<br /><br />
<table border="0", style="font-size:108%"> <br />
<tr> <br />
<td> '''Anpassungen an der DZV erforderlich''' <br /> <br />
Die ideale Wiesennutzung und die Vorgaben gemäss DZV widersprechen sich. Der vorgegebene Schnittzeitpunkt 15. Juni hält Landwirte davon ab, die Wiesen der Obstgärten extensiv zu nutzen. Eine Flexibilisierung des Schnittzeitpunkts ist erforderlich. Bei einer früheren Nutzung ist zudem die Futterqualität besser<sup>28</sup>.<br />
Der Kanton Bern bietet für als BFF angemeldete Wiesenflächen in Hochstammobstgärten eine Nutzungsvereinbarung an, die eine gestaffelte, eher frühe und regelmässige Nutzung in Abweichung zu den DZV Vorgaben erlaubt.<br />
Im Kanton Aargau ist es im Rahmen des Programms «Labiola» möglich, eine extensiv genutzte Wiese als Unternutzen eines Hochstammobstgartens gestaffelt und zu einem Teil früher zu mähen: Frühschnitt bis spätestens Ende Mai auf ca. einem Drittel bis etwa der Hälfte der Fläche (in Abweichung vom vorgegebenen Schnittzeitpunkt). Restliche Fläche frühestens vier Wochen später mähen (ca. ab 1. Juli), dabei Teilfläche mit Frühschnitt stehen lassen. Lage der Frühschnittfläche jedes Jahr wechseln. Alternativ steht auch die Vernetzungsmassnahme Atzheu zur Verfügung: Schonende kurze Frühlingsweide im April (ab 1. Mai keine Tiere mehr auf der Fläche). Erster Schnitt ab 1. Juli.<br />
<br />
<small><br />
<sup>28</sup> [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimale_Mahdnutzung Im Grünland-Artikel wird vertieft auf die Schnittzeitpunkte eingegangen]. Eine Option wäre auch die [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Kombination_von_Mahd_und_Beweidung.2C_Fr.C3.BChjahrsvorweide Frühnutzung].<br />
</small><br />
<br />
</td> <br />
</tr> <br />
</table><br />
<br /><br />
<br />
<table border="0", style="font-size:108%"> <br />
<tr> <br />
<td> '''Die richtige Praxis aus Sicht des Vereins biodivers''' <br /> Der Verein biodivers vertritt die Meinung, dass der Unternutzen eines Hochstamm-Obstgartens in jedem Fall extensiv oder wenig intensiv sein soll. Davon ausgenommen sind die Baumscheiben, wo dies aufgrund der Beschattung, Bedarf an Düngung der Bäume und häufiger Mahd zur Mäusebekämpfung nicht möglich ist. Nur so kann ein ökologisch wertvoller Obstgarten erreicht werden. Untersuchungen zeigen deutlich, dass grosse Hochstamm-Obstgärten allein nicht genügen, sondern dass der gesamtheitliche Ansatz entscheidend ist (Grösse, Altersdurchmischung der Bäume, Pflege der Bäume, blütenreiche und lückige Vegetation im Unternutzen, gestaffelte Nutzung, Kleinstrukturen). Das Propagieren von futterbaulich interessanten klee- und grasreichen Wiesen (siehe Agridea, 2012, S. 16) und artenreichen Hochstamm-Obstgärten widersprechen sich.</td> <br />
</tr> <br />
</table><br />
<br /><br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = 20200601 Marco Bertschinger gestaffelteNutzung zg 96 dpi Marco Bertschinger.JPG<br />
| text = Gestaffelter Schnitt des Unternutzens. Jeweils mindestens 25% der Fläche wird stehen gelassen.<br />
}}<br />
<br />
'''Beweidung'''<br /><br />
Auf die Beweidung wird auf der Webseite zu einem späteren Zeitpunkt detailliert eingegangen.<br />
<br />
'''Schutz vor Mäusen'''<br /><br />
Siehe [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Sch.C3.A4dlinge.2C_Krankheiten_und_N.C3.BCtzlinge_im_Obstbau Kapitel «Schädlinge, Krankheiten und Nützlinge im Obstbau», Unterkapitel «Mäuse»].<br />
<br />
Wer sich vertieft mit der Nutzung von Wiesen auseinandersetzen möchte ist der [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland Grünland-Artikel] empfohlen.<br />
<br />
= Aufwertung =<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = 20200131 Marco Bertschinger Asthaufen zg 96 dpi Marco Bertschinger.JPG<br />
| text = Hochstamm-Obstgärten können mit verschiedenen Massnahmen aufgewertet werden.<br />
}}<br />
<br />
'''[https://www.biodivers.ch/de/index.php/Kleinstrukturen Kleinstrukturen] im und um den Obstgarten anlegen''' <br /> <br />
In Obstgärten besonders geeignet sind Asthaufen. Sie können so angelegt werden, dass damit Jäger wie Wiesel und Hermelin gefördert werden, die Mäuse sehr effizient reduzieren können (siehe auch [https://biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Sch.C3.A4dlinge.2C_Krankheiten_und_N.C3.BCtzlinge_im_Obstbau Kapitel «Mäuse»]). Weitere [https://www.biodivers.ch/de/index.php/S%C3%A4ugetiere#Hermelin_.28Mustela_erminea.29_und_Mauswiesel_.28Mustela_nivalis.29 Informationen zu Hermelin und Mauswiesel können im Säugetier-Artikel] nachgelesen werden.<br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = asthaufen.png<br />
| text = Mauswiesel und Hermelin sind effiziente Mäusejäger. Speziell für sie aufgebaute Asthaufen sind deshalb empfehlenswert. Die Verbreitung dieser beiden Arten kann auf dem [http://lepus.unine.ch/carto/ Kartenserver] nachgeschaut werden. Quelle der Zeichnung: Fördermassnahmen für Wiesel im Landwirtschaftsgebiet (Boschi et al. 2014) <br />
}}<br />
<!--<br />
{{Fotos-links-300px<br />
| bilddatei = 20200601 Marco Bertschinger Nisthilfe zg 96 dpi Marco Bertschinger.JPG<br />
| text = Mit Nisthilfen werden Wildbienen, welche wichtige Bestäuber sind, gefördert.<br />
}} --><br />
<br />
'''Gehölze'''<br /><br />
Durch die Pflanzung von Büschen oder Buschgruppen wird ein Obstgarten vielfältiger ([https://www.biodivers.ch/de/index.php/Hecke Link zum Artikel «Hecken»]).<br />
<br />
'''Wiesen und Weiden in den Obstgärten aufwerten'''<br /><br />
Im [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland Grünland-Artikel] werden verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt, wie Wiesen ökologisch reichhaltiger gestaltet werden können. Neben der bereits im [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Obstg%C3%A4rten#Pflege_und_Unterhalt Kapitel «Pflege und Unterhalt»] erwähnten gestaffelten Mahd können Altgrasstreifen stehen gelassen oder die [https://biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimierte_Bewirtschaftung#Erhalt_und_Aufwertung_durch_optimale_Mahdnutzung Wiesen ausgehagert werden]. Eine weitere Möglichkeit bietet die [https://www.biodivers.ch/de/index.php/Gr%C3%BCnland/Aufwertung_und_Neuschaffung_durch_Direktbegr%C3%BCnung_und_Ansaat Schaffung artenreicherer Wiesen durch Direktbegrünung oder Ansaat].<br />
<br />
'''Offene Flächen schaffen mit Ruderalflächen oder dem Fräsen der Bodenoberfläche'''<br /><br />
<br />
{{Fotos-links-600px<br />
| bilddatei = Üsseri Rietwies 96 dpi.jpg<br />
| text = Vögel sind für die Nahrungssuche auf [http://www.artenfoerderung-voegel.ch/assets/files/merkblaetter/FB_Lueckige_Vegetation.pdf lückige Vegetation] angewiesen und [https://biodivers.ch/de/index.php/Wildbienen#Allgemeine_F.C3.B6rdermassnahmen_im_Landwirtschaftsgebiet erdnistende Wildbienen bevorzugen für ihre Nester offenen Boden].<br />
}}<br />
<br />
Gemüsegärten, Ruderalflächen und regelmässig gefräste Böden bieten offenen Boden, die Ruderalflächen zudem <br />
das ganze Sommerhalbjahr über ein Blütenangebot<!-- (später auf #Pionierflächen verlinken)-->.<br />
<br />
'''Aufhängen von Nistkästen''' für obstgartentypische Vögel, wie z. B. den Gartenrotschwanz (''Phoenicurus phoenicurus'') oder den Träuerschnäpper (''Ficedula hypoleuca'') und Fledermäuse:<br />
<br /><br />
<br />
* [https://www.birdlife.ch/de/content/nistkaesten-fuer-hoehlenbrueter Merkblatt von Bird Life Schweiz zu Höhlenbrütern]<br />
* [https://www.birdlife.ch/de/content/nisthilfen-fuer-halb-hoehlenbrueter Merkblatt von Bird Life Schweiz zu Halbhöhlenbrütern]<br />
* [https://www.vogelwarte.ch/de/voegel/ratgeber/nisthilfen/nistkaesten-fuer-hoehlenbrueter Seite mit Informationen und Merkblatt der Vogelwarte]<br />
<br />
Strukturen sollen so angelegt sein, dass sie die Bewirtschaftung nicht beeinträchtigen.<br />
<br />
Weiterführende Literatur:<br />
[https://raumentwicklung.tg.ch/public/upload/assets/92335/Gartenrotschwanz_Projektflyer_Artenfoerderung.pdf Artenförderung Gartenrotschwanz Kantone Thurgau und St. Gallen]<br />
<br />
= Gefährdung =<br />
* Zerstörung<br />
* Intensivierung (Düngung des Grünlandes, Pestizideinsatz)<br />
* Zersiedelung / Überbauung<br />
* Marktzerfall Obstpreis / Import billiges Obst<br />
* Feuerbrand und andere Krankheiten<br />
* Neue Schädlinge<br />
* Vernachlässigung und mangelnde Pflege<br />
* Zu viele Auflagen (Bürokratie)<br />
* Klimawandel<br />
* Sturmereignisse<br />
<br />
= Praxisbeispiele =<br />
Auf gute Beispiele wird zu einem späteren Zeitpunkt vertieft eingegangen. Hier hat es momentan Hinweise auf Vorzeigeprojekte zur Förderung von Hochstamm-Obstgärten.<br />
<br />
== Farnsberg (BL) ==<br />
Am Farnsberg im Baselland läuft seit 2004 ein Projekt zur Aufwertung der Landschaft. Dabei ist der Hochstamm-Obstgarten im Fokus, es werden aber auch Hecken gepflanzt und offene Flächen und Strukturen angelegt.<br />
Im Bericht «Umweltziele Landwirtschaft» (BAFU und BLW 2008) ist festgehalten: «Am Farnsberg (BL) führte ein Anteil von 18,4 % (ohne Hochstammobstbäume) ökologisch hochwertiger Ausgleichsflächen in der landwirtschaftlichen Nutzfläche innerhalb kurzer Zeit dazu, dass sich die Bestände der Brutvogelarten stabilisierten oder gar leicht zunahmen.»<br />
Das Projekt wird in «Es geht aufwärts» und «Von den Erfahrungen profitieren» näher vorgestellt (siehe unten).<br />
<br />
'''Links''': <br />
* [http://obstgarten-farnsberg.ch/ Projekt Obstgarten Farnsberg]<br />
* [http://obstgarten-farnsberg.ch/projekt/der-werbefilm Filmausschnitt Farnsberg]<br />
<br />
'''Artikel im Ornis''':<br />
* [[Media:Koenig 2019 Es geht aufwärts Orn3 34-35 Farnsberg.pdf| König, P. (2019). «Es geht aufwärts». Ornis 3/19, Bird Life Schweiz (Hrsg.), S. 34/35]]<br />
* [[Media:Schuck 2020 Von den Erfahrungen profitieren Orn2 17-19 Neuntoeter.pdf| Schuck, M. (2020). «Von den Erfahrungen profitieren». Ornis 2/20, Bird Life Schweiz (Hrsg.), S. 17-19.]]<br />
<br />
== Steinkauzprojekt (CH-DE-FRA)==<br />
<br />
Der Steinkauz ist in der Nordwestschweiz um das Jahr 1990 herum ausgestorben. Im Elsass und in Südbaden haben aber kleine Bestände überlebt. Ziel des "BirdLife-Programms Steinkauz und Obstwiesen" ist die Wiederbesiedlung der Nordwestschweiz durch den Steinkauz . <br />
<br />
[https://www.birdlife.ch/de/content/trinationales-birdlife-programm-steinkauz-und-obstwiesen Weitere Informationen zum Trinationalen Projekt].<br />
<br />
= Literaturempfehlungen =<br />
* Benninger, P., Brunner, H. Häseli, A., König, P. Weibel, F. 2016. Biologischer Obstbau auf Hochstammbäumen. Produktion und Biodiversität erfolgreich kombinieren. 39 Seiten. Bioaktuell (Hrsg.) in Zusammenarbeit mit FiBL, BirdLife Schweiz, Hochstamm Suisse, Bio Suisse (Hrsg.), Basel.Das gemeinsam von vier grossen Akteuren im Hochstamm-Obstbau erstellte Merkblatt bietet viel Praxis- und Hintergrundwissen rund ums Thema biologischer Obstbau. Verständlich und prägnant werden sowohl ökologische, wie auch ökonomische und kulturelle Aspekte des biologischen Hochstamm-Obstbaus beleuchtet. Bezüglich der extensiven Nutzung der Grünlandvegetation bleibt die Schrift aber vage und zu allgemein.<br />
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* Agridea, 2012. Hochstamm-Obstgärten planen, pflanzen, pflegen. 37 Seiten. Agridea (Hrsg.) (No. 1189), Lindau. Die Wegleitung der Agridea zu den Hochstamm-Obstgärten beleuchtet das Thema Hochstammobstbau auf vielfältige und informative Weise. Der Fokus liegt aber häufig auf einer rationalen, effizienten Bearbeitung der Strukturen, wodurch die Biodiversität nicht immer optimal berücksichtigt wird.<br />
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* Kornprobst, M. 1994. Landschaftspflegekonzept Bayern, Streuobst, Band II.5. 134 Seiten. Bayerisches Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen (Hrsg.), München. Diese bereits etwas ältere Schrift aus dem Jahr 1994 ist eine gutes Grundlagenwerk bezüglich der ökologischen Werte und der kulturellen und geschichtlichen Entwicklung der Hochstamm-Obstgärten. Sie listet insbesondere auch die mannigfaltige Vielfalt der Obstgärten auf und hebt die ökologische Bedeutung in den Vordergrund.<br />
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* Konold, W. 1999. Handbuch Naturschutz und Landschaftspflege: Kompendium zu Schutz und Entwicklung von Lebensräumen und Landschaften. Kap. XIII-7.9 Streuobstwiesen. 42 Seiten. Wiley-VCH, Weinheim. Das Grundlagenwerk bietet sehr umfassende Informationen zum Lebensraum der Hochstamm-Obstgärten auf einer stark naturschutzfachlichen und kulturellen Ebene. Auch auf Bewirtschaftungsformen und -methoden wird eingegangen und Fördermöglichkeiten werden erläutert.<br />
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* Würth, B., Caillet-Bois, D. 2014. Biodiversitätsförderung Qualitätsstufe II von Hochstamm-Feldobstbäumen gemäss Direktzahlungsverordnung (DZV). 4 Seiten. Agridea (Hrsg.) (No. 1190), Lindau. Dieses kurze und übersichtliche Merkblatt informiert über sämtliche Belange der Biodiversitätsförderung in Hochstamm-Obstgärten hinsichtlich der Erlangung der Qualitätsstufe II (QII). Einerseits werden die Anforderungen an die biologische Qualität erläutert, andererseits die Förder- und Aufwertungsmöglichkeiten (Nisthöhlen, Strukturelemente) vorgestellt.<br />
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<!--= Literatur =<br />
* Agridea, 2012. Hochstamm-Obstgärten planen, pflanzen, pflegen (No. 1189). Agridea.<br />
* FiBL, BirdLife Schweiz, Hochstamm Suisse, BioSuisse, 2016. Biologischer Obstbau auf Hochstammbäumen (Broschüre).<br />
* Guntern, J., Lachat, T., Daniela, P., Fischer, M., 2013. Flächenbedarf für die Erhaltung der Biodiversität und der Ökosystemleistungen in der Schweiz. Forum Biodiversität Schweiz, Akademie der Naturwissenschaften (SCNAT), Bern.<br />
* Hunziker, K., Gassmann, J., Bühlmann, A., Schaad, J., Kellermann, M., 2015. Beschreibung der Schweizer Obstvielfalt. Schweizer Zeitschrift für Obst- und Weinbau, 11–15.<br />
* Kellerhals, M., Müller, W., Bertschinger, L., Darbellay, C., Pfammatter, W., 1997. Obstbau, 1. Auflage. ed. Landwirtschaftliche Lehrmittelzentrale, Zollikofen.<br />
* König, P., 2019. Es geht aufwärts, Vorzeigebeispiel Farnsberg. Ornis 34–35.<br />
* Kornprobst, M., 1994. Landschaftspflegekonzept Bayern, Streuobst, Band II.5. Hrsg: Bayerisches Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen, München.<br />
* Müller, W., Schifferli, L., Weibel, U., Zwygart, D., Schaad, M., König, P., 2015. Hochstamm-Obstgärten. Vielfältige Lebensräume. Bird Life Schweiz (Hrsg.), Zürich.<br />
* Schuck, M., 2020. Von den Erfahrungen profitieren, Den Neuntöter fördern. Ornis 17–19.<br />
* SCNAT, 2018. Bericht zum Workshop «Frühnutzung von (Streu-) Wiesen und Weiden unter Berücksichtigung von Flora und Fauna».<br />
* Konold, W., 1999. Handbuch Naturschutz und Landschaftspflege: Kap. XI-2.11 und XIII-7.9 Streuobstwiesen. Kompendium zu Schutz und Entwicklung von Lebensräumen und Landschaften. Wiley-VCH, Weinheim.<br />
* Würth, B., Caillet-Bois, D., 2014. Biodiversitätsförderung Qualitätsst. II, Hochstamm-Feldobstbäume (No. 1190). Agridea (Hrsg.), Lindau.<br />
* Zwygart, D., 1983. Die Vogelwelt von Nieder- und Hochstammobstkulturen des Kantons Thurgau, Der Ornithologische Beobachter.--><br />
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= Autor:innen=<br />
{|<br />
| Text || [https://www.biodivers.ch/index.php/willkommen.html Verein biodivers]|| info@biodivers.ch<br />
|-<br />
|Review || [https://www.weu.be.ch/de/start/themen/umwelt/naturschutz.html Andreas Brönnimann] || [https://www.weu.be.ch/de/start/themen/umwelt/naturschutz.html Abteilung Naturförderung]<br />
|-<br />
| || [https://www.weu.be.ch/de/start/themen/umwelt/naturschutz.html Pascal König] || [https://www.weu.be.ch/de/start/themen/umwelt/naturschutz.html Abteilung Naturförderung] <br />
|-<br />
| || [https://raumentwicklung.tg.ch/mitarbeitende.html/5004 Barbara Weiss] || [https://raumentwicklung.tg.ch/themen/natur.html/5641 Abteilung Natur und Landschaft Kt. Thurgau]<br />
|-<br />
| || [https://www.birdlife.ch/de/content/geschaeftsstellen-kontakte Patrik Peyer]|| [https://www.birdlife.ch/ BirdLife Schweiz] <br />
|-<br />
| Interviews || Hans Brunner || [https://www.brunnermosterei.ch/ E. Brunner AG, Wehntaler Mosterei]<br />
|-<br />
| || [https://www.birdlife.ch/de/content/geschaeftsstellen-kontakte Martin Schuck] || [https://www.birdlife.ch/ BirdLife Schweiz]<br />
|-<br />
| || [https://naturschutzbuero.ch/ueber-uns/team/hansruedi-schudel/ Hansruedi Schudel] || [https://naturschutzbuero.ch/ Naturschutz und Artenförderung GmbH]<br />
|-<br />
| || [https://www.vogelwarte.ch/de/vogelwarte/ueber-uns/team/ Roman Graf] || [https://www.vogelwarte.ch/de/home/ Schweizerische Vogelwarte Sempach]<br />
|-<br />
| || [https://naturschutzbuero.ch/ueber-uns/team/livia-bieder/ Livia Bieder] || [https://naturschutzbuero.ch/ Naturschutz und Artenförderung GmbH]<br />
|-<br />
| || [https://versaplan.ch/ueber-uns/p1000589/ Benjamin Kämpfen] || [https://versaplan.ch/ versaplan]<br />
|}</div>
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