Flechten

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JCM ramalina fraxinea b.jpg
Die baumbewohnende Strauchflechte Ramalina fraxinea besiedelt hauptsächlich alte, freistehende Laubbäume.
Text Verein biodivers
Interview Prof. Dr. Christoph Scheidegger
Review Dr. Michael Dietrich (m.dietrich@bluewin.ch) & Prof. em. Dr. Volkmar Wirth
Publikation Juli 2017


Inhaltsverzeichnis


Zusammenfassung

In der Schweiz sind aktuell ca. 1 800 Flechtenarten bekannt. Das Spektrum von Flechtenlebensräumen ist sehr vielfältig: Felsflächen und Mauern, magere Böden, die Borke von Bäumen und Sträuchern oder Totholz. Sie wachsen vorwiegend an exponierten Standorten mit ausreichend Licht und geringer Konkurrenz zu höheren Pflanzen. Flechten haben nur eine begrenzte Ausbreitungskapazität und ein sehr langsames Wachstum.

Für den Erhalt der Baumflechten sind lichte, naturnahe Wälder mit Altholzbeständen, sowie alte Solitärbäume zu schützen. Bodenflechten sind auf lückige und magere Trockenrasen und Heiden angewiesen, die durch eine regelmässige Pflege offengehalten werden. Von den rund 800 untersuchten baum- und bodenbewohnenden Arten sind fast 300 bedroht. Am stärksten gefährdet sind jene Flechten, die auf konstante Lebensraumbedingungen über lange Zeiträume angewiesen sind. Für alle Arten ist der Schutz bestehender Populationen die wichtigste Fördermassnahme.

Wuchsformen

Flechten (Lichen) sind Pilze, die in Symbiose mit Photobionten leben. Dies können Grünalgen und/oder Blaualgen (Cyanobakterien) sein. Die Pilzhyphen bilden das Gerüst der Flechte, das sogenannte Lager. Je nach Wuchsform vom Pilz werden Krusten-, Strauch- und Blattflechten unterschieden. Krustenflechten bilden flächige Lager mit glatter oder körniger Oberfläche. Sie sind fest mit dem Substrat verwachsen und lassen sich nicht ohne Verletzung lösen. Strauchflechten bilden aufrechte oder hängende Lager, die verzweigt oder fadenförmig sein können. Die Lager der Blatt- oder Laubflechten sind blattartig und lappig. Sie sitzen nur locker auf dem Substrat und lassen sich leicht ablösen. Die Einteilung erfolgt nur aufgrund morphologischer Merkmale und entspricht nicht den Verwandtschaftsverhältnissen. Mehr zu den Wuchsformen von Flechten auf Wikipedia und British Lichens

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Von links nach rechts: Bacidia rubella gehört zu den baumbewohnenden Krustenflechten. Sphaerophorus globosus ist eine geschützte Strauchflechtenart. Solorina saccata ist eine Blattflechte, die mit Erde gefüllte Felsspalten besiedelt.

Praxisrelevante Ökologie

Das Lager der Flechten aus Pilzhyphen verankert sie am Substrat und schützt die darin liegenden Photobionten vor intensiver Sonnenstrahlung und Fressfeinden. Der Pilz entnimmt der Luft Nährstoffe und Feuchtigkeit und gibt sie an die Photobionten weiter. Umgekehrt erhält der Pilz von den Algen und Cyanobakterien organische Verbindungen, die sie durch Photosynthese gewinnen. Flechten sind für viele wirbellose Tiere Nahrung und Lebensraum, wie Schnecken, Insekten und Milben. Einige Nachtfalter-Raupen heften sich Flechtenstücke zur Tarnung an und vielen Vögeln dienen Flechten für den Nestbau. Die Nutzung durch diese Tiere fördert auch die Ausbreitung der Flechten.

Flechten sind wechselfeuchte Organismen und können extreme klimatische Bedingungen überleben. Bei Trockenheit reduzieren sie ihren Stoffwechsel und regenerieren bei ausreichend Feuchtigkeit wieder vollständig. Auch Kältephasen können Flechten im Ruhestadium überstehen. Die hohe Anpassungsfähigkeit bedeutet jedoch nicht, dass Flechten sehr widerstandsfähig sind. Sie haben keine schützende Wachsschicht oder verschliessbare Spaltöffnungen, so dass eine erhöhte Luftverschmutzung zu einem verkümmerten Wuchs oder sogar zum Absterben der Flechten führen kann. Aufgrund ihrer Empfindlichkeit sind Flechten in den letzten Jahrzehnten als Bioindikatoren für die Luftqualität verwendet worden.

Flechten wachsen sehr langsam, der Zuwachs beträgt insbesondere bei Krustenflechten oft weniger als 1 mm pro Jahr. Andererseits können manche Flechten bis zu 9 000 Jahre alt werden. So ein hohes Alter und beständige Populationen können Flechten nur erreichen, wenn ihre Lebensräume hohe ökologische Kontinuität aufweisen. Die Kontinuität beinhaltet sowohl die Substrat- als auch die mikroklimatischen Verhältnisse am Standort, also, Feuchtigkeit, Temperatur und Lichtverhältnisse. Die spezifischen Ansprüche zeigen sich bspw. am Lichtbedarf der Arten. Schatten-Flechten können durch erhöhte Lichteinstrahlung ausbleichen, daher dürfen Pflegemassnahmen zur Auflichtungen ihrer Standorte nur schonend durchgeführt werden. Umgekehrt können lichtbedürftige Arten bei zu wenig Licht absterben. Der Erhalt der kleinräumigen Standortverhätltnisse und ihrer Trägersubstrate über viele Jahrzehnte oder besser Jahrhunderte ist daher für den Bestand der Flechtenpopulationen entscheidend.

Reproduktion und Ausbreitung

Die Vermehrung der beiden Symbiosepartner ist komplex. Algen und Cyanobakterien können bei geeigneten Umweltbedingungen auch ohne Symbiosepartner überleben und sich vermehren. Die Flechtenpilze können das nicht. Sie bilden Sporen in Fruchtkörpern (den so genannten Apothecien oder Perithecien), die vom Wind oder Tieren verbreitet werden und bei geeigneten Bedingungen keimen. Nur beim Aufeinandertreffen mit dem passenden Photobionten entsteht dann eine neue Flechte. Die Flechtenpartner können sich gemeinsam auch vegetativ vermehren. Hierbei bildet die Flechte stiftförmige Auswüchse (Isidien), die leicht abbrechen. Oder sie setzt körnige Soredien frei, dies sind sind kleine Körper aus Pilzhyphen und Algen oder Cyanobakterien.

Flechten haben aufgrund ihres langsamen Wachstums und ihrer Abhängigkeit von der langen Kontinuität ihrer Lebensräume nur ein begrenztes Ausbreitungspotenzial. Bei vielen seltenen Arten ist zudem die ursprüngliche Populationsgrösse auf < 5% geschrumpft, was die Ausbreitung zusätzlich erschwert. Für diese kleinen Populationen können seltene Störereignisse, wie z. B. Kahlschlag oder Feuer, sowie grössere Eingriffe im ursprünglichen Lebensraum umso stärkeren negativen Einfluss auf den Bestand haben.

Lebensräume und Substrate

Flechten kommen in allen Klimazonen der Erde vor. Sie sind besonders in Lebensräumen mit extremen Klimabedingungen zu finden, die für höhere Pflanzen zu trocken, zu nährstoffarm oder zu kalt sind. Flechten besiedeln eine Vielzahl von Substraten. Die Spezifität der Flechten an ihr Substrat variiert zwischen den Arten, die meisten sind jedoch auf natürliche Substrate angewiesen.

Baumbewohnende (epiphytische) Flechten

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Die Wolfsflechte Letharia vulpina wächst bevorzugt auf Nadelbäumen.

Alte, lichte Wälder und Altholzbestände, welche über Jahrhunderte kaum genutzt oder gestört wurden, sowie durch Plenterung nachhaltig bewirtschaftete Wälder sind die artenreichsten Lebensräume für Baumflechten. Freistehende Bäume, wie Hochstammobst- und Alleebäume, beherbergen mehr Arten als junge Wälder. Baumflechten wachsen hauptsächlich auf der Borke der Bäume, einige Arten auch auf Koniferen-Nadeln oder auf immergrünen Blättern. Sie entziehen dem Trägerbaum keine Nährstoffe und schädigen ihn nicht.

Die einzelnen Flechtenarten haben sich jeweils an bestimmte klimatische Bedingungen (z. B. Lichteinfall, Luftfeuchte) sowie Substratverhältnisse (pH-Wert und Struktur der Rinde) angepasst. Ändern sich diese Bedingungen, verschwinden die entsprechenden Arten. Bereits auf einem einzelnen Trägerbaum sind unterschiedliche Standorte vorhanden: am dicken Stamm herrschen ganz andere Bedingungen vor als in der Krone. Die mikroklimatischen Verhältnisse ändern sich auch im Laufe der Zeit. Je älter ein Baum, desto gröber ist seine Borke und desto mehr Feuchtigkeit kann sie speichern. Auf dem Trägerbaum lässt sich so eine zeitliche Sukzession und räumlich unterschiedliche Verteilung der Flechten beobachten. Voraussetzung für viele seltene Baumflechten ist das Vorhandensein genügend alter Bäume und der Strukturreichtum der Borke.

Holzbewohnende (lignicole) Flechten

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Cyphelium tigilare ist eine lignicole Krustenflechte.

Lignicole Flechten können auf jeglicher Art von Holz wachsen. Insbesondere stehendes, aber auch liegendes Totholz (auch Biotopholz genannt) bieten neben verbautem, unbehandeltem Holz ein geeignetes Substrat. Je nach Zersetzungsstadium (zähmorsch, ziemlich morsch, sehr morsch) dominieren unterschiedliche Arten. Langsam verwitternde Holztypen können über sehr lange Zeit von denselben Flechten genutzt werden. In naturnahen Gebieten ist die Menge von stehendem Totholz von entscheidender Bedeutung für den Reichtum an holzbewohnenden Flechten. Mit dem Stehenlassen von abgestorbenen Bäumen kann in Wäldern ein wesentlicher Beitrag zur Artenvielfalt geleistet werden. Wo keine Gefahr von umstürzenden, abgestorbenen Bäumen besteht ist dies auch im Offenland der Fall. In Siedlungsgebieten und in den übrigen Lebensräumen des Offenlands können holzbewohnende Flechten mit jeglichen Bauten aus unbehandeltem Holz gefördert werden.

Bodenbewohnende (terricole) Flechten

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Der Lebensraum von Vulpicida tubulosus ist die alpine Windheide.

Terricole Flechten wachsen auf Böden aus Erde, Sand, Humus, etc., sowie auf Moosen und Torf. Bei terricolen Arten ist die grösste Gefahr die Verbuschung. Natürliche Eigenschaften an den Standorten, wie Flachgründigkeit, extreme pH-Verhältnisse, oder periodische Dynamiken erhalten die Pionierflächen über lange Zeiträume. Die meisten Arten kommen im extensiv bewirtschafteten Grünland oder in von Natur aus waldfreien Rasen vor, besonders, wenn die Bestände lückig und nährstoffarm sind, wie z. B. Trockenrasen und Schotterrasen. Alpine Lebensräume sind dann mit Bodenflechten besiedelt, wenn die Vegetation lückig ist oder sie ideale Kleinstrukturen aufweisen, wie bspw. Erdanrisse oder Bergsturzblöcke. Flaumhaferwiesen (Arrhenathereten) oder nährstoffreichere Lebensräume und alle gedüngten Wirtschaftsflächen sind hingegen nicht geeignet.

Die wichtigsten Lebensräume für seltene terricole Flechtenarten sind:

  • Magerwiesen (Mesobrometen) und xerotherme Standorte, wie z. B. lichte Stellen in trockenen Wäldern
  • Trockene Standorte im Silikat- und Kalk-Bereich vom Mittelland bis in die nivale Stufe, wie z. B. Kalkmagerrasen
  • Alpine Rasen und Heiden
  • Offene, anorganische Standorte, wie z. B. Geröllhalden, Gletscherfelder und Sandlinsen (sandreiche Standorte), Wegböschungen
  • Diverse Arten kommen auch in Hochmooren vor

Gesteinsbewohnende (saxicole) Flechten

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Ophioparma ventosa gehört zu den saxicolen Krustenflechten.

Saxicole Flechten wachsen auf Silikat- und Kalkgestein und können terrestrisch, amphibisch und aquatisch sein. Für Gesteinsflechten ist die chemisch/mineralische Zusammensetzung von großer Bedeutung, insbesondere der pH-Wert der Oberfläche. Je nach Zusammensetzung der Gesteine und Umweltfaktoren (Düngung durch Vögel, Sickerwasser und Neigung der Felsfläche) tragen sie eine völlig andere Flora. Schwermetallhaltige Gesteine tragen eine sehr spezifische Flechtenflora mit an diese Verhältnisse angepassten "Erzflechten". Die wichtigsten Substrate für gesteinsbewohnende Flechten sind:

  • Felsen
  • (Bergsturz-)Blöcke
  • Findlinge (erratische Blöcke)
  • Geröll-/Blockschutthalden
  • Anthropogene Substrate: Trockensteinmauern (allenfalls auch verfugte Mauern), Ziegeldächer und Objekte aus Naturstein, bspw. historische Bauten und Grabkreuze

Erhalt und Förderung

Allgemeine Massnahmen

Der Schutz bestehender Vorkommen hat Priorität vor dem Schaffen neuer Lebensräume. Natürliche Dynamiken sollen aber zugelassen und nach Möglichkeit wiederhergestellt werden, z. B. durch Flussrevitalisierungen. In Lebensräumen, in denen die natürliche Dynamik fehlt, ist eine extensive Nutzung mit langen Umtriebszeiten oder gezielte Pflege notwendig, um Strukturreichtum und hohe Lichtverhältnisse zu erhalten. Bereits besiedelte Landschaftselemente sollen dabei in allen Lebensräumen stets erhalten bleiben. Die Homogenisierung der Landschaft ist ein grundlegendes Problem für Flechten, weshalb bei der Förderung ein integraler Ansatz (Ökosystemmanagement) wichtig ist. Gezielte Fördermassnahmen sollen ausgehend von bekannten oder vermuteten Vorkommen durchgeführt werden. Bei einigen Massnahmen können auch Synergien zur Förderung von Pilzen und Moosen genutzt werden.

Folgende Massnahmen unterstützen den Schutz und die Verbreitung von Flechten in allen Lebensräumen:

  • Schutz bestehender Populationen, d. h. des umgebenden Biotopes
  • Grossflächige Biotopvernetzung zum Erhalt und zur Ausbreitung isolierter Flechtenarten
  • Wiederherstellung der natürlichen Dynamiken in den Ökosystemen Wald, Feuchtgebiet und Fliessgewässer, Schutthalde und Böschung
  • Erhalt und Förderung des kleinräumigen Strukturreichtums in allen Lebensräumen
  • Kontinuität in der Bewirtschaftung und Pflege über lange Zeiträume, im besten Fall über Jahrhunderte
  • Schaffung und langfristige Pflege von (künstlichen) Pionierstandorten
  • Verminderung des Eintrages von Düngemitteln, Bioziden und Abgasen in Luft, Wasser und Boden

Entscheidend für den Bestand der Flechten ist auch ihre Berücksichtigung bei grossflächigen Eingriffen, wie z. B. Abholzungen oder Baumassnahmen. Besteht die Vermutung auf Vorkommen von seltenen Flechtenarten, sollen die Experten des Datenzentrums SwissLichens oder andere Flechtenspezialisten kontaktiert werden.

Bäume und Sträucher: epiphytische Flechten

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Alte Nussbäume (Juglans) im Kulturland sind Lebensraum für lichtbedürftige Flechten.

Ausscheidung von Reservaten

Die Einrichtung von Reservaten mit einem Nutzungsverbot oder extensiver Nutzung ist eine wichtige Massnahme zu Schutz seltener Flechtenarten. Da Flechten auf eine ökologische Kontinuität über besonders lange Zeiträume angewiesen sind, ist für sie der absolute Schutz der natürlichen Prozesse im Wald (Prozessschutz) eine geeignete Schutzstrategie. Auch Vorkommen von seltenen Flechten in der Umgebung von Waldreservaten sollen berücksichtigt und das Reservat nach Möglichkeit vergrössert werden.

Extensive, naturnahe Waldbewirtschaftung und Verlängerung der Umtriebszeit

Untersuchungen weisen darauf hin, dass eine Erhöhung der Umtriebszeit auf mindestens 120 Jahre die Diversität der baum- und totholzbewohnenden Flechten erhöhen kann. Einige baumbewohnende Arten können sich nur an 90- oder gar 200-jährigen Eichen etablieren. Notwendige Pflegeeingriffe sind der Bewirtschaftungsform anzupassen und sollen eine gemischte Alters- und lichtreiche Struktur wiederherstellen. Bevorzugt werden extensive Bewirtschaftungsformen, wie z. B. der Plenterwald oder der Mittelwald.

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Erhalt und Ausscheidung von Biotopbäumen und Altholzinseln

Beim Erhalt von Trägerbäumen müssen verschiedene Zeitabschnitte berücksichtigt werden, indem frühzeitig Ersatzbäume in der nahen Umgebung geschützt oder gepflanzt werden. Nur so kann ein kontinuierlicher Bestand an Altbäumen über Jahrhunderte gewährleistet werden. Untersuchungen zeigen, dass an dickeren Baumstämmen und älteren Bäumen mehr gefährdete Flechtenarten vorkommen, als an dünneren. Vom Aussterben bedrohte Arten fanden sich vermehrt auf Stämmen mit einem minimalen Brusthöhendurchmesser (BHD) von 38 cm. Für das Ausscheiden einzelner Biotopbäume ist primär das Vorkommen von prioritär zu schützenden Flechtenarten relevant. Im Kanton Luzern werden sie bspw. separat erfasst und entschädigt. Empfehlungen für den Schutz von Altholzinseln können aus den Qualitätskriterien des Kantons Solothurn übernommen werden.

Schutz von alten Solitärbäumen, Alleen und Streuobstbäumen

Alte Solitärbäume, Hochstammobstbäume, Alleebäume und Hecken können einerseits wertvolle Habitate für sehr lichtbedürftige Flechten sein, andererseits Ersatzhabitate für Arten, die in lichten Wäldern oder an Waldrändern vorkommen. Massnahmen zum Schutz der Flechtenflora freistehender Bäume sind:

  • Erhalt und Förderung von Baumhecken, Alleenbäumen und Hochstammobstbäumen
  • Verzicht auf mechanisches Säubern und Kalken der Stämme im Obstbau
  • Erhalt oder Schaffung extensiv bewirtschafteter Flächen mit Einzelbäumen
  • Schutz der freistehenden Bäume durch Aufnahme in Inventare (Raumplanungsgesetz)
  • Förderung von freistehenden Laubbäumen
  • In der Umgebung besiedelter Bäume auf intensive Beweidung und den Einsatz von Dünger und Bioziden verzichten

Sicherung alter Wälder und Waldbestände

Die Sicherung alter Wälder und Waldbestände, unabhängig von ihrer Nutzung, hat für den Flechtenschutz hohe Priorität. In alten Wäldern, die seit mehreren Jahrhunderten Bestand haben und als Dauerwald oder Plenterwald bewirtschaftet wurden, sind auch jüngere Bäume reich an Flechten. Wäldern, die vor etwa 150 Jahren aufgeforstet oder grossen Störungen ausgesetzt waren (bspw. Niederwald), fehlen alte Trägerbäume und die entsprechende Flechtenvegetation.

Hintergrundinformation


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Sowohl die Echte Lungenflechte Lobaria pulmonaria (links), als auch Usnea longissima (rechts) sind auf ungestörte, naturnahe (Berg-) Wälder angewiesen, die seit langer Zeit bestehen.

Bei der Pflanzung von Bäumen auf Eignung als Trägerbaum achten

Bei Neupflanzung von Bäumen an Alleen, in Parks, etc. und bei Ersatzbäumen sind standortgerechte, einheimische Gehölze zu bevorzugen. Im Offenland sollten dies, mit Ausnahme der Buche (Fagus) der Höhenstufe und den räumlichen Verhältnissen langfristig entsprechende Laubbäume sein. Es gilt zu beachten, dass Artenreichtum von Bäumen und Sträuchern nicht gleichzusetzen ist mit Artenreichtum an Flechten: Fichtenwälder im Gebirge können extrem artenreich sein. Trotzdem gilt, je höher die Diversität des Substratangebots, desto höher das Potential für eine artenreiche Flechtenvegetation. Die Flechtenvielfalt steigt zudem, wenn eine Diversität an kleinräumigen Strukturen besteht, z. B. abgedorrte Äste in der Baumkrone. Seltene Kleinstrukturen können dabei entscheidend für das Vorkommen von seltenen Flechtenarten sein. Als Trägerbäume nicht geeignet sind Rosskastanie (Aesculus) und Platane (Platanus).

Links

Hintergrundinformationen

Abgestorbene Bäume und Äste erhalten

Flechten und Moose können einige Zeit auf kürzlich abgestorbenen Bäumen und Ästen überleben, wenn die Borke erhalten bleibt. Nach dem Abfall der Borke kann sich am stehenden Stamm oder auch an Hochstümpfen, je nach Dauerhaftigkeit des Holzes u. U. über Dutzende von Jahren eine artenreiche holzbewohnende Flechtenvegetation mit seltenen Arten einstellen. Müssen Bäume aus sicherheitstechnischen Gründen zurückgeschnitten werden, soll primär die Krone gekürzt werden, um die Populationen am Stamm zu erhalten. Die abgeschnittenen Äste können pyramidenförmig in der unmittelbaren Umgebung aufgestellt werden. Sehr wichtig ist, dass die Ast-Pyramide an einer Stelle platziert wird, die den mikroklimatischen Verhältnissen des Trägerbaums entspricht. Der Stamm von Bäumen kann sich allenfalls als Stütze für ein derartige Pyramide eignen. Es ist aber von einen Experten zu beurteilen, ob nicht allenfalls seltene epiphytische Arten am Stamm durch diese Massnahme geschädigt werden. Diese Massnahme eignet sich auch als Notlösung, wenn aus Versehen Stamm- oder Kronenteile mit seltener Epiphytenflora entfernt wurden.

Literatur

  • Dujesiefken, D. & Wurst, C. (2014). Wenn Bäume als Lebensstätten geschützter Arten nicht mehr verkehrssicher sind: Welche Lösungswege gibt es? Jahrbuch der Baumpflege 2014, Haymarket Media, Braunschweig, S. 206-213.
  • Stetzka, K. M. (2016). Moose und Flechten auf Stadtbäumen – Schutzbedürftige Baumgäste oder zu beseitigender Fremdbewuchs?. Dresdener Stadtbaumtage.

Transplantation

Die Transplantation von Flechtenfragmenten auf neue Trägerbäume kann seltene Flechtenarten vor dem Aussterben bewahren. Eine Transplantation ist notwendig, wenn die Distanz zu geeigneten Trägerbäumen zu gross ist oder Trägerbäume entfernt werden müssen. Da die Ansprüche der einzelnen Flechtenarten bezüglich der kleinräumigen Strukturen und mikroklimatischen Verhältnisse sehr spezifisch sind, soll die Transplantation nur von Fachleuten durchgeführt werden. Im schlechtesten Fall können durch eine unsachgemässe Transplantation noch seltenere Flechten- oder Moosarten in Mitleidenschaft gezogen werden. Werden seltene Flechtenarten auf einem gefällten Baum entdeckt, sind die Experten vom Datenzentrum SwissLichens oder andere Flechtenspezialisten zu informieren, welche allfällige Massnahmen zur Rettung der Flechten durchführen können.

Totholz: holzbewohnede Flechten

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Naturnahe Bergwälder mit stehendem und liegendem Totholz gehören zu den wichtigsten Flechtenhabitaten.

Erhöhung des Bestandes an grobem Totholz

Ausreichende Mengen vor allem an stehendem, aber auch liegendem Totholz verschiedenster Altersstufen und Verwitterungsstadien sind wichtig für den Erhalt einer artenreichen Flechtenvegetation. So weisen Baumstämme, die nicht vollständig aufliegen, eine hohe Feuchtigkeits- und Trockenheitsdiversität auf. Für den Flechtenschutz gibt es keine Untersuchung zu geeigneten Totholzmengen. Die Mengenempfehlung vom SVS/BirdLife Schweiz für Pilze von mindestens 60 m³/ha sind nach heutiger Kenntnis aber ausreichend.

Allgemeine Links

Erhalt und Bau von nicht imprägnierten Scheunen und Holzzäunen

Als Ersatzhabitate für Totholz können Scheunen, Schindeldächer, Zäune, Stützen für Obstbäume, Weinbaupfähle und andere Objekte aus Holz dienen. Das Holz sollte nicht imprägniert oder bemalt und später möglichst nicht gereinigt werden.

Literatur

  • Wirth, V. 2002. Indikator Flechte: Naturschutz aus der Flechten-Perspektive. Stuttgart. Staatl. Museum für Naturkunde.

Erde, Sand und Humus: terricole Flechten

Beweidung mit leichten Tieren und angepasste Schnitthöhe

Auf Wiesen und Weiden sind Pflegemassnahmen zur Eindämmung der Verbuschung regelmässig notwendig. Für die extensive Beweidung eignen sich Schafe und Ziegen besser als Pferde und Rinder, da letzte ein höheres Körpergewicht haben und grössere Trittschäden verursachen. Wenn möglich sollen Erdflechtenvorkommen bei der Beweidung ausgezäunt und vor Trittschäden geschützt werden. Bei der Mahd ist nicht die Häufigkeit entscheidend, sondern die Anpassung der Schnitthöhe an die Flechtenarten. Die Nutzungskontinuität soll so lange wie möglich bestehen bleiben.

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Terricole Flechten sind auf Vegetationslücken, wie hier in einer extensiven Trockenwiese, angewiesen.

Erhalt und Förderung von Trocken- und Magerwiesen und -weiden

Auf den trockensten Stellen in Trockenwiesen- und -weiden sind zahlreiche seltene Erdflechten- und Pilzarten zu finden. Insbesondere thermophile Kalkfeslgrasfluren und felsensteppenartige, lückige Trockenrasen mit Felsnischen sollen erhalten werden. Einige sehr seltene Flechtenarten wachsen in Silikatmagerrasen. Von besonderer Bedeutung für Gesteinsflechten sind die Findlinge und Felsblöcke in den Magerrasen. Wo sich auf den Blöcken eine Schicht von Feinerde angesammelt hat, bieten sie auch seltenen bodenbewohnenden Flechten einen wertvollen Lebensraum. Die Steine sollen belassen und eine Aufforstung oder Nutzungsaufgabe verhindert werden.

Links

  • Senn-Irlet, B. & Scheidegger, C. (2006). Trockenwiesen und -weiden - Flechten und Pilze
  • Dietrich, M. & Bürgi-Meyer, K. (2011). Die Chestenenweid am Vierwaldstättersee (Kanton Luzern, Zentralschweiz) – ein bedeutender Lebensraum für Flechten trockenwarmer Standorte auf der Alpennordseite. Herzogia 24, S. 33-52.
  • Wirth, V. (2002). Indikator Flechte: Naturschutz aus der Flechten-Perspektive. Stuttgart. Staatl. Museum für Naturkunde.

Erhalt von offenen Bodenstellen bei Begrünung

Bei Begrünungen sollen mosaikartige Strukturen geschaffen und kleine Bodenstellen offen gehalten werden. Eingebrachte Steine oder Feinsediment eignen sich zur Erhaltung der Offenflächen. Die Direktbegrünung ist der Mahdgutübertragung vorzuziehen, da letztere ggf. die bestehende Bodenvegetation abdeckt.

Allgemeine Links

Schaffung neuer Pionierstandorte durch Bodenabtrag

In südexponierten, schwach geneigten Lebensräumen, die nicht oder nur langsam verwalden, werden mit Bodenabtrag Vegetationslücken eingebracht. Geeignete ist die Methode z. B. für Trockenwiesen, Autobahn- und Bahnböschungen. Zur Schaffung einer vielfältigen Struktur können Kleinstrukturen angelegt werden, bspw. Ast- und Steinhaufen.

Allgemeine Links

Verzicht aufs Mulchen

Bodenflechten können in der Regel unter einer Mulch- oder Streudecke nicht überleben, da die Photosynthese der Photobionten gestört wird. Zudem erhöht die Nährstoffzunahme den Konkurrenzdruck durch Gefässpflanzen. Daher soll auf Grasmulch, Häcksel und Streu verzichtet werden.

Im Moor: epiphytische und terricole und Flechten

Extensive Pflege (Entbuschung, Mahd) in Hochmooren

Hochmoore sind für seltene Flechten relevanter als Flachmoore. Baumflechten kommen insbesondere auf Berg-Föhren (Pinus mugo) und (Moor-)Birken (Betula) vor, Erdflechten überwiegend auf erhöhten, trockenen Stellen wie Bülte und Torfstichkanten. Pionierarten besiedeln frische Torfanrisse oder neu verlandetes Gebiet, andere Arten wachsen nur auf älterem Untergrund. Empfohlene Massnahmen zum Schutz der Flechtenflora von Hochmooren sind:

  • Erhalt von Bülten und Torfstichkanten in Hochmooren
  • Betreten der Moore vermeiden, Trittverbote einhalten
  • Düngen der Moore vermeiden, Pufferzonen ausscheiden und einhalten
  • Pflegeeinsätze (Entbuschung, Mahd) können Pionierstandorte künstlich erhalten, müssen jedoch durch oder in Begleitung von fachlich ausgebildete Personen erfolgen

Stein und Felsen: saxicole Flechten

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Ungestörte Blockschutthalden sind bedeutende Lebensräume für saxicole Flechten.

Erhalt der Lichtverhältnisse an Felsen und Findlingen

Für Gesteinsflechten besteht die Gefahr, dass durch Verbuschung der Lichteinfall abnimmt. Ehemals lichtreiche Standorte sollen durch Entfernung der Gehölze wiederhergestellt werden. An nordexponierten Stellen sollen die Schattenstandorte aber erhalten bleiben. Weitere Massnahmen zum Schutz der Flechten auf Steinen und Felsen sind:

  • Kleinere Ausragungen in Magerrasen freilegen
  • Laubwurf an Füßen und auf Köpfen der Felsen entfernen, um Humusanreicherung zu vermeiden
  • Erhalt von alten, beschattenden Einzelgehölzen

Links

Kletterverbote einhalten, Findlinge nicht besteigen

Findlinge sind wichtige Lebensräume für seltene Flechten und Moose, insbesondere die wenigen Findlinge im Mittelland. Zum Schutz der vorhandenen Populationen sollen Kletterverbote eingehalten und Kletterrouten nicht verlassen werden.

Allgemeine Informationen

Erhalt von Steinen an und in Fliessgewässern

Auf zeitweise untergetauchten Silikatsteinen kann am Rande und innerhalb von Fliessgewässern eine artenreiche Flechten- und Moosflora entstehen. Je nach Art wird eine mehr oder weniger starke Dauerüberflutung toleriert, wenn das Wasser frei von Verunreinigungen durch Abwässer oder Düngeeinträge ist. Die Lebensräume an den Fliessgewässern und offene Quellen sollen erhalten werden. Dort wo auf Verbauungen an Fliessgewässern nicht verzichtet werden kann, sollen möglichst standortgerechte Natursteine ohne Mörtel verwendet werden, z. B. bei Blockwurf und Buhnen. Flechtenbewachsene Steine im Gewässer sollen erhalten und nicht für den Verbau verwendet werden.

Erhalt von natürlichen Pionierstandorten und Errichtung von Schuttkegeln in Steinbrüchen

Langezeit bestehende Schuttkegel, Lawinenkegel, Gletschervorfelder und Steinschlagstellen sind Habitate mit einer sehr hohen Flechtendiversität aufgrund ihrer hohen Strukturdiversität. Für die Besiedelung benötigen die Flechten lange Zeiträume. Daher sollen diese Gebiete nicht gestört und aufgelassenen Steinbrüche über Jahrzehnte erhalten werden. Für die Schaffung von Pionierstandorten, die ohne regelmässige Pflege lange Zeit gehölzfrei bleiben, eignen sich grosse und hohe Felsbereiche ohne angrenzende Schuttkegel. Wenn die natürlichen oder sekundären Lebensräume verändert werden sollen, ist eine Abklärung mit Experten notwendig, um seltene Flechtenarten zu schützen.

Links


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Von links nach rechts: Trockenmauern, alte Dachziegel und alte Bauwerke, wie die Museggmauer in Luzern, können seltene Flechtenarten aufweisen. Bei Ausbesserungen und Baumassnahmen empfiehlt es sich daher, Experten zum Schutz der Flechten beizuziehen.

Verwendung von Natursteinen und Erhalt von historischen Bauten

Seltene Flechtenarten können auf den unterschiedlichsten von Menschen verwendeten Natursteinen wachsen: auf Dachziegeln, Wegkreuzen, Grenzsteinen, Grabsteinen und Pflästerungen. Historische Bauten, wie Kirchen, Burgen und Ruinen, und alte Trockensteinmauern sind für Flechten besonders interessant. Die Flechten können die bewachsenen Steine vor der Witterung schützen und schädigen diese nur in seltenen Fällen, wenn das Gestein sehr weich oder stark kalkhaltig ist. Vor der Restaurierung von historischen Gebäuden und Anlagen wird empfohlen, ein Gutachten zu erstellen, um ein Restaurierungs- und Schutzkonzept auszuarbeiten. Empfohlene Massnahmen zum Schutz seltener Flechten auf verbauten Natursteinen sind:

  • Unterlassen der Reinigung
  • Wenn eine Reinigung notwendig ist, sollte diese schonend (ohne Hochdruckreiniger oder Sandstrahler) und nur abschnittsweise erfolgen
  • Historische, bewachsenen Steine und Dachziegel wiederverwenden und seitenrichtig einbauen (bewachsene Flächen nach oben)

Links

  • Im Auftrag vom Kanton Luzern war Michael Dietrich verantwortlich für den Flechtenschutz bei der Sanierung der mittelalterlichen Museggmauer und ihrer Türme. Für die Sanierung sind mehrere Schlussberichte zur ökologischen Baubegleitung entstanden, die praxisrelevante Massnahmen für den Flechtenschutz beinhalten.
  • Wirth, V. (2002). Indikator Flechte: Naturschutz aus der Flechten-Perspektive. Stuttgart. Staatl. Museum für Naturkunde.
  • Theiler, A., Cathry, P., Humair, R, 2011. Almausa - die historischen Natursteinmauern von Altdorf. Verlag Gisler, Altdorf.

Hintergrundinformationen

CS Leptogium hildenbrandii.jpg
Die wenigen bestehenden Standorte von Hildenbrands Gallertflechte (Leptogium hildenbrandii) sind durch den Erhalt der Trägerbäume und ein ausreichendes Angebot an freistehenden Laubbäumen zu schützen.

Artenschutz

Für viele Flechtenarten besteht Handlungsbedarf. Aktuelle Informationen zu Gefährdung, Verbreitung und Schutzstatus in der Schweiz werden auf SwissLichens veröffentlicht. In die Datenbank des Projekts «Virtual Data Center» VDC werden seit 2014 die Fundorte sämtlicher Organismengruppen eingespeist, um sie bei naturschutzrelevanten Projekten zu berücksichtigen. Mit der Datenbank sollen insbesondere die Bedürfnisse der kantonalen Fachstellen abgedeckt werden. Die Daten sind für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Bei Verdacht auf Vorkommen von geschützten Flechten sind die Experten des Datenzentrums SwissLichens zu kontaktieren. Für die Umsetzung konkreter Schutzmassnahmen für gesteins- und holzbewohnende Flechten besteht noch keine Prioritätenliste. Für Baum- und Erdflechten empfiehlt sich folgende Priorität:

Darüber hinaus haben die Kantone Bern und Uri eigene Prioritätslisten erstellt:

Zur Umsetzung von artspezifische Fördermassnahmen braucht es Spezialisten mit guter Artenkenntnis, da die Massnahmen je nach Art auch negative Auswirkungen haben können. Bei Arten, deren Vorkommen und Populationsgrössen nicht gut untersucht sind, sollen die Massnahmen an die Bedürfnisse der Zielarten (primär die national prioritären Arten) ausgerichtet werden, die vorkommen könnten. Zukünftig sollen dafür Potenzialkarten zur Planung der Massnahmen erstellt werden. Es gibt bereits beispielhafte Karten für die Schweiz, unter der Berücksichtigung von Klimawandel und Waldstruktur für einzelne Flechtenarten.

Gefährdung

Flechten gehören zu einer Organismengruppe, deren Vorkommen z. T. gut bekannt, deren Populationsgrössen aber relativ schlecht untersucht sind. Die Rote Liste der gefährdeten Flechtenarten der Schweiz (2002) behandelt nur 786 bekannte baum- und erdbewohnende Flechtenarten, von denen 75% an den Lebensraum Wald gebunden sind. Für 8% der gefährdeten Flechten trägt die Schweiz eine sehr hohe internationale Verantwortung. Die Gefährdung der etwa 1‘000 Arten umfassenden Gruppen der Totholz bewohnenden und Gesteinsflechten ist nur marginal untersucht. Für sie gibt es noch keine Rote Liste für die Schweiz. Allgemein sind Habitatsveränderungen und -verlust, sowie die Luftverschmutzung die wichtigsten Gefährdungsursachen der Flechten. Die Auswirkungen der Luftverschmutzung durch erhöhte Schwefeldioxidwerte konnte in letzten Jahrzehnten stark verringert werden. Heute haben insbesondere Luftschadstoffe mit eutrophierender Wirkung wie Stickstoffverbindungen aus Massentierhaltung und Düngung von landwirtschaftlichen Flächen, sowie Kraftfahrzeugsemissionen, einen schädlichen Einfluss auf die Flechtenpopulationen.

Die wichtigsten Gefährdungsursachen für baum- und holzbewohnende Flechten sind:

  • Mangel an alten Bäumen durch zu kurze Umtriebszeiten, intensive Pflege und Kahlschlag
  • Anbau von Monokulturen, insbesondere mit Kiefern, Fichten und Douglasien
  • Fehlendes Totholz, insbesondere von ganzen Stämmen
  • Entfernung von alten Hochstammbäumen und Überhältern in Hecken
  • Rodung von Einzelbäumen und Alleebäumen

Die wichtigsten Gefährdungsursachen für bodenbewohnende Flechten sind:

  • Fehlende Pionierstandorte in der Landwirtschaft
  • Entwässerung von Feuchtstandorten, v.a. der ausgesprochen nährstoffarmen Hochmoore
  • Begradigung von Flussläufen, welche zu einem Verschwinden der für die Pioniervegetation wichtigen natürlichen Dynamik der Auengebiete führt
  • Bodenplanierung für den Bau von Skipisten
  • Ersatz von Natursteinmauern durch Betonmauern, Entfernen von Steinpflästerungen und zunehmende Asphaltierung
  • Zunehmende Eutrophierung (übermässige Nährstoffanreicherung) unserer Umwelt
  • Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre

Wissenslücken

  • Wissen zu amphibischen und aquatischen Arten in Quellen und Gebirgsbächen
  • Populationsgrössen der Flechten, insbesondere der Totholz- und Gesteinsflechten
  • Vergleichende Untersuchungen der Artenvielfalt in der Schweiz zwischen alten und neu begründeten Wäldern mit vergleichbarer struktureller Diversität und Baumartenzusammensetzung.
  • Erfolgreiche Methoden zur Transplantation von Strauch- und Krustenflechten
  • Einfluss vom Bergtourismus, insbesondere Mountainbike und Klettern

Praxisbeispiele

Allgemeine Links

Glossar und weitere spannende Links

Literaturempfehlungen

  • Wirth, V. (2002). Indikator Flechte: Naturschutz aus der Flechten-Perspektive. Stuttgart: Staatl. Museum für Naturkunde.
Das Band gibt einen Überblick über die Gefährdung und den Schutz von Flechten in Südwestdeutschland. Zu jedem Flechtenhabitat, bzw. -substrat werden neben den Grundlagen die betroffenen Artengruppen und Indikatorarten, sowie Gefährdung und Gefährdungsursachen genannt. Empfehlungen für Massnahmen und Mindeststandards, sowie Fallbeispiele aus dem süddeutschen Raum bieten eine Grundlage für den praktischen Flechtenschutz.
  • Kirschbaum, U. & Wirth, V. (2010). Flechten erkennen - Umwelt bewerten. 3., Vollst. neu bearb. Aufl. Umwelt und Geologie. Wiesbaden. Hessisches Landesamt für Umwelt und Geologie.
Kurze aber sehr prägnante Einführung in die Biologie und Ökologie sowie der diagnostisch wichtigsten Merkmale der Flechten. Von den wichtigsten/häufigsten im Schlüssel enthaltenen Arten gibt es alphabetisch angeordnete Artportraits, in denen die wichtigsten morphologischen Merkmale und – für den Anfänger besonders hilfreich – die Unterscheidungsmerkmale ähnlicher Arten angeführt werden. Ferner finden sich hier Information zur Ökologie (inkl. der Empfindlichkeit gegenüber Schadstoffen) und Häufigkeit der Arten.

Bestimmungshilfen

Das Werk gibt umfassend Auskunft über die Verbreitung in Deutschland und hat dazu noch an die 700 Arten abbildet.

Autoren

Text Verein biodivers info@biodivers.ch
Interview Prof. Dr. Christoph Scheidegger Eidg. Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL
Review Dr. Michael Dietrich Umweltbüro für Flechten in Kriens (m.dietrich@bluewin.ch)
Prof. em. Dr. Volkmar Wirth Staatliches Museum für Naturkunde Karlsruhe